Archäologie – Mittelalter – Neuzeit – Zukunft Festschrift für Ingolf Ericsson Bamberger Schriften zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit

begründet von

Ingolf Ericsson

Band 6

2017

DR. RUDOLF HABELT GMBH ∙ BONN Archäologie

Mittel-

Alter

Neuzeit

Zukunft

Festschrift für Ingolf Ericsson

herausgegeben von Rainer Atzbach, Patrick Cassitti, Hauke Kenzler und Luitgard Löw

2017

DR. RUDOLF HABELT GMBH ∙ BONN Die Drucklegung dieses Bandes wurde dankenswerter Weise ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von

Aarhus Universitets Forskningsfond (AUFF) Oberfrankenstiftung Gesellschaft für Archäologie in Bayern e. V. Erzbistum Bamberg Burgenstiftung Schleswig-Holstein e. V. Monika Decoster Dr. Norbert Ruß, Bamberg Mittel- und Ostdeutscher Verband für Altertumsforschung e. V. Sparkasse Bamberg Universitätsbund Bamberg e. V.

Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Institut für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte

SCHOOL OF AU CULTURE AND SOCIETY AARHUS UNIVERSITY

ISBN 978-3-7749-4096-3

Ein Titelsatz ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich (http://www.ddb.de)

Layout: Dr.-Ing. Katrin Atzbach, Aarhus Druck: AZ Druck und Datentechnik, Heisinger Straße 16, D-87437 Kempten

© 2017 by Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn Prof. Dr. Ingolf Ericsson Vorwort

Rainer Atzbach, Patrick Cassitti, Hauke Kenzler, Luitgard Löw

AMANZ – ist die in Bamberg gängige Kurzbezeich- der Universität zu festigen und auszubauen. Er behielt nung für die Archäologie des MittelAlters und der Neu- dabei die praktische Ausrichtung des Lehrstuhls bei, die Zeit, jener universitären Disziplin, mit der der Name von seinem Vorgänger Walter Sage geprägt worden war. Ingolf Ericsson eng verknüpft ist. Bereits unmittelbar Hier erweiterte er jedoch das geographische wie metho- nach dem Abschluss seines Studiums zog es ihn 1975 dische Arbeitsfeld in Forschungsprojekten und betreuten nach Deutschland, wo er zehn Jahre lang im Sonder- Abschlussarbeiten unter Ausnutzung seiner internationa- forschungsbereich 17 „Skandinavien- und Ostseeraum- len Kontakte nachhaltig. Zudem schärfte er das Profil des forschung“ an der Christian-Albrechts-Universität Kiel Faches ebenso umsichtig wie zielstrebig. Er begründete tätig war. Dieser SFB setzte Maßstäbe im Bereich der zwei archäologische Buchreihen: die „Bamberger Schrif- länderübergreifenden, interdisziplinären Forschung. ten zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit“ Die zweite wichtige Station in seinem wissenschaft- und die „Bamberger Kolloquien zur Archäologie des lichen Werdegang war die assoziierte Professur für Ar- Mittelalters und der Neuzeit“, die in allen einschlägigen chäologie des Mittelalters an der Universität Aarhus in Fachbibliotheken und darüber hinaus zugänglich sind. Dänemark. An dieser Institution genießt Ingolf Erics- son bis heute einen guten Ruf aus seiner Zeit als Ab- Als er nach Bamberg kam, vermisste er ein gemeinsa- teilungsleiter, während der er sich durch effiziente und mes „Institutsgefühl“, wie er selbst das viel treffende- durchdachte Organisationsarbeit hervorgetan hat. Hier re dänische Wort „institutshygge“ übersetzte. Deshalb setzte Ingolf Ericsson den länder- und disziplinenüber- initiierte er gleich zwei erfolgreiche Traditionen: den greifenden Ansatz fort, der seine Arbeit im SFB 17 cha- Bamberger Archäologentag, der mittlerweile zu einem rakterisiert hatte. fixen Treffpunkt für zahlreiche Archäologen, Alumni Der Ruf nach Bamberg, auf jenen noch jungen und Freunde des Lehrstuhls geworden ist, sowie die Lehrstuhl, der in Deutschland als erster explizit der Ar- regelmäßig wiederkehrenden Sonderausstellungen zu chäologie des Mittelalters und der Neuzeit gewidmet Themen der Archäologie des Mittelalters und der Neu- worden war, bot ihm die Chance, die Entwicklung des zeit (1997–1999: „AusGrabungen, Schicht für Schicht Faches zu beeinflussen. Diese Chance hat er seitdem ins Mittelalter“ im Historischen Museum Bamberg konsequent wahrgenommen. Bei seinem Dienstantritt und in Folge als Wanderausstellung an anderen Orten; bestand der Bamberger Lehrstuhl im Wesentlichen aus 2004–2006 „Rückspiegel. Archäologie des Alltags in vier Büros und verwaisten Projekträumen im Volkspark. Mittelalter und früher Neuzeit“ im Historischen Muse- Ausgehend von dieser eher mittelmäßigen Ausgangslage um Bamberg; 2016: „Der letzte Weg – Tod und Bestat- gelang es Ingolf Ericsson, die Stellung der Archäologie tung in Mittelalter und Neuzeit“ im Diözesanmuseum des Mittelalters und der Neuzeit innerhalb und außerhalb Bamberg). Innerhalb der Universität verhalf Ingolf Ericsson dem den Tätigkeit geblieben ist, richtete er seine Interessen Lehrstuhl zu Ansehen, indem er die fachübergreifende und organisatorische Begabung auf zusätzliche, für den Zusammenarbeit aktiv unterstützte. So führte er den Bamberger Forschungsstandort relevante Bereiche. Als Lehrstuhl in das neu gegründete Institut für Archäolo- große, langjährige Projekte sind vor allem die Ausgra- gie, Bauforschung und Denkmalpflege (heute: Archäo- bungen im ehemaligen Reichskloster Lorsch zu nennen, logie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte) sowie in das das DFG-Projekt „Mühlberg-Ensemble in Kempten Zentrum für Mittelalterstudien, wodurch er an der Grün- (Allgäu). Sachkultur und Sozialtopographie einer Stadt dung von zwei wichtigen Lehr- und Forschungseinrich- des Spätmittelalters im Spiegel neu entdeckter archäo- tungen beteiligt war, die über die Grenzen Deutschlands logischer und schriftlicher Quellen“, die Grabungen in hinaus bekannt wurden. Lindelach bei Gerolzhofen sowie das Forschungspro- Durch organisatorisches Geschick und Ausdauer jekt „Forchheim in der Karolingerzeit“, das 2015 ange- verbesserte er die Platz- und Arbeitsbedingungen im laufen ist. Dazu gesellen sich Dutzende kleinerer, aber Lehrstuhl stetig. Zuletzt bewerkstelligte er den Umzug nicht minder wichtiger Projekte, die zahlreichen Bam- in das neue Gebäude der Abteilung Archäologien am berger Studierenden die Möglichkeit gegeben haben, Kranen 14. Hier stehen den Studierenden und For- praktische Erfahrungen zu sammeln und sich wissen- schern seit 2012 ausreichend Räume für Fundbearbei- schaftlich durch Magister- und Doktorarbeiten zu qua- tung und Gruppenarbeiten zur Verfügung, sowie eine lifizieren. Durch die Beibehaltung einer starken lokalen Fachbibliothek, ein modernes Funddepot und großzü- Komponente in der Forschungstätigkeit entwickelte sich gige Büros. der Lehrstuhl zu einem wichtigen Bezugspunkt in der Die Lehre und die Betreuung von Studierenden war Region. International suchte Ingolf Ericsson den Kon- Ingolf Ericsson stets ein zentrales Anliegen. In seinen takt und den fachlichen Austausch zu Institutionen in 22 Jahren als Inhaber des Lehrstuhls für Archäologie benachbarten Ländern. So wirkte er an der Einrichtung des Mittelalters und der Neuzeit betreute er drei er- des „Doktorandendreiecks“ mit, das Dozenten und folgreiche Habilitationen, 36 Promotionen, 140 Ma- Abschlusskandidaten mittelalterarchäologischer Fächer gisterarbeiten, sowie 9 Master- und 45 Bachelorarbei- u. a. an den Universitäten Bamberg, Prag und Wrocław ten. Der kontroverse und komplizierte Übergang zum eine Plattform für den wissenschaftlichen Austausch Bologna-System war eine Herausforderung, der er sich bietet. Die grenzübergreifende Zusammenarbeit wurde erfolgreich stellte. Obwohl sein Bestreben, einen Ba- darüber hinaus durch ein gemeinsames Projekt mit der chelorstudiengang für Archäologie des Mittelalters und Karls-Universität Prag gepflegt, das sich zwischen 2006 der Neuzeit einzurichten, scheiterte, gelang es ihm, ein und 2007 der Erforschung der Dorfwüstung Milikov Verwässern des starken Profils des Faches im neuen (Miltigau) im Kaiserwald widmete. Zuletzt gipfelten die- Studienplan abzuwehren. So konnte er die Rolle Bam- se Bemühungen in der Schaffung des „ArchäoCentrum bergs als führender Ausbildungsort für die Archäologie Bayern-Böhmen“, ein bedeutendes Brückenprojekt, des Mittelalters- und der Neuzeit bewahren, wobei er das zusammen mit der Westböhmischen Universität in stets den Namensbestandteil „und der Neuzeit“ be- Pilsen und der Karls-Universität Prag sowie mehreren wusst betonte. Auch durch ein aktives Studiengangs- assoziierten Partnern in der Region entwickelt wurde. marketing stellte er sicher, dass die Attraktivität des Die EU hat 2017 für dieses Vorhaben eine Förderung Masterstudiengangs „Archäologie des Mittelalters und von 2,4 Millionen Euro bewilligt, die in die Entwicklung der Neuzeit“ trotz eines fehlenden spezifischen Bache- des genannten ArchäoCentrums im Geschichtspark lorstudiengangs erhalten blieb. Bärnau-Tachov fließen werden. Dieses Projekt- veran In der Forschung zeichnete sich Ingolf Ericsson als schaulicht die spezifische Bamberger Herangehenswei- erfolgreicher Organisator und Einwerber von Drittmit- se an die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, teln aus. Besonders hervorzuheben ist, dass er die inter- die wesentlich von Ingolf Ericsson mitgeprägt worden nationale Ausrichtung des Lehrstuhls gestärkt hat, ohne ist: eine starke regionale und gesellschaftliche Veranke- die Lokal- und Regionalforschung zu vernachlässigen. rung der Forschungs- und Lehrtätigkeit gepaart mit ei- Ingolf Ericsson hat seine Forschungsschwerpunkte ner deutlichen internationalen Ausrichtung. Es ist dieser und Tätigkeiten auf die spezifischen Bedürfnisse undbesonderen Mischung sowie dem kontinuierlichen und Eigenarten des Bamberger Lehrstuhls angepasst. Wäh- zähen Einsatz von Ingolf Ericsson zu verdanken, dass rend skandinavische Archäologie natürlich weiterhin ein der Bamberger Lehrstuhl zu einer anerkannten Größe wichtiges Element seiner wissenschaftlichen und lehren- geworden ist, die aus der universitären Landschaft Eu- ropas nicht mehr wegzudenken ist. Dies spiegelt sich rer erlebten und erleben, ihnen sei für Ihre Beiträge auch in den Beiträgen dieser Festschrift wieder. Die herzlich gedankt. Die Finanzierung archäologischer große Bandbreite der behandelten Themen bezeugt, Veröffentlichungen ist eine wiederkehrende Herausfor- wie stark sich die Disziplin in den letzten Jahrzehnten derung für alle, die in unserem Fach arbeiten. Deshalb entwickelt hat, nicht zuletzt auch dank Ingolf Ericsson. gilt unser besonderer Dank den im Kolophon dieses Bandes genannten Institutionen und privaten Förde- Diese Festschrift wäre nicht denkbar ohne die Mit- rern, auch ihr Engagement ist ein unverzichtbares Ele- wirkung ihrer Autorinnen und Autoren, die Ingolf ment archäologischer Forschung und Lehre – und ein Ericsson als Freund, Wegbegleiter, Kollegen oder Leh- wichtiger Teil dieser Gabe für Ingolf Ericsson.

Aarhus, Müstair, Bamberg und Karlstad 2017 Inhalt

Einleitung Ingolf Ericsson und die Archäologie des Mittelalters (Hans-Georg Stephan)...... 5 Ingolf Ericsson: Lehrer und Forscher – Eine Vita...... 8

RAINER ATZBACH, Europe in Denmark. Central European influences on pottery, glass making and housing comfort in Denmark...... 13

SEBASTIAN BRATHER, Grubenhäuser zwischen Ost und West – Kennzeichen, Verbreitung und Funktion...... 31

PATRICK CASSITTI, Für das Jenseits gerüstet: Die mittelalterlichen und neuzeitlichen Grabbeigaben aus Kloster St. Johann in Müstair...... 41

BIRGIT FRIEDEL, „Ich wecke Dich am Totentor“ – Die Präsentation von Tod im Museum...... 67

MANFRED GLÄSER, Ressourcen der deutschen Siedlung Lübeck im 12. und 13. Jahrhundert...... 73

EIKE GRINGMUTH-DALLMER, Frühformen in der hochmittelalterlichen Ostsiedlung – auch bei den Fluren?...... 87

G. ULRICH GROSSMANN, Die Burg Hocheppan und ihre Baugeschichte...... 95

RITA HANNIG-WANNINGER, Eine spätmittelalterliche Steinbüchse aus dem mittelfränkischen Kirchensittenbach, Landkreis Nürnberger Land...... 117

ANJA HEIDENREICH, Cuatrovitas – Eine hochmittelalterliche Landmoschee mit Dorfwüstung westlich von Sevilla (Spanien)...... 125

MATHIAS HENSCH, St. Leonhard in Penk – Frühe Kirchengründung als Hinweis auf bischöfliche Jurisdiktion des 9. bis 13. Jahrhunderts? Ein archäologisch- historischer Beitrag zur Kirchengeschichte des Nordgaus...... 155

VOLKER HERRMANN, Aktuelle Projekte der archäologischen Bauforschung im Kanton Bern. Aus der Arbeit des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern (ADB)...... 185

KATRIN KANIA, Unter der Haube? Überlegungen zu Frauenkopfbedeckungen des Hochmittelalters...... 207

1 HAUKE KENZLER, Historische Karten und die Rekonstruktion der kreuzfahrerzeitlichen Siedlungslandschaft von Israel/Palästina...... 221

JAN KLÁPŠTĔ, Ist das Erzgebirge eine Trennungs- oder Harmonisierungslinie der böhmischen und sächsischen Archäologie des Mittelalters?...... 241

LARS KRÖGER und LUKAS WERTHER, Vom Rhein zur Donau – Überlegungen zur Binnenschifffahrt zwischen Römischer Kaiserzeit und Hochmittelalter...... 249

HANS KRONGAARD KRISTENSEN, Klosterarchäologie in Dänemark: Der Beginn der Forschung...... 283

THOMAS LIEBERT, Ein Gotteshaus, dem keines ähnlich ist auf 15 Meilen – Die Laurentiuskirche zu Roßtal, Lkr. Fürth...... 297

LUITGARD LÖW, Invisible culture: museum storage and the death of things...... 323

NELO LOHWASSER, „… an ir hemde ein fürspan er dâ sach ...“ – Sternförmige Gewandspangen des 13./14. Jahrhunderts...... 331

ANNA ŁUCZAK und JERZY PIEKALSKI, Castle Chojnik/Kynast. Some remarks on research about the beginning of the private castles in Silesia...... 347

EIKE H. MICHL, Von steinernen Reitern und vergessenen Toten – Neue (und alte) archäologische Forschungen am Bamberger Dom...... 355

ULRICH MÜLLER, Archäologie der Vormoderne und der Moderne: Argumente für eine neue Sichtweise auf das Mittelalter und die Neuzeit...... 377

KAI THOMAS PLATZ, Aspekte zum Hausbau im frühen Mittelalter...... 389

DIRK RIEGER, Die neue Großgrabung im Lübecker Gründungsviertel – Ein erster Überblick...... 423

ELSE ROESDAHL, Königin Sophia von Dänemark, Landgräfin von Thüringen (ca. 1141–1198) und ihre Kinder. Eine Skizze dänischer Heiratspolitik im 12. Jahrhundert...... 437

ANDREAS SCHÄFER, Anmerkungen zur Erfassung und Interpretation neuzeitlicher Meilerplätze...... 445

DIRK SCHEIDEMANTEL, 20 Jahre Braunkohlenarchäologie in Sachsen (Südraum Leipzig). Von der Devastierung Breunsdorfs bis zu aktuellen Grabungen ländlicher Siedlungen des Mittelalters im Tagebau „Vereinigtes Schleenhain“ (Lkr. Leipzig)...... 455

MARGRET SLOAN, Die Tür zum Garten. Die archäologische Ausgrabung eines ehemaligen Gartens innerhalb des Gebäudes Kranen 14 in Bamberg...... 477

C. SEBASTIAN SOMMER, Das kommt in den Ofen – Zum Bau der Raetischen Mauer und zum Umgang mit ihr in Mittelalter und früher Neuzeit...... 513

2 HANS-GEORG STEPHAN, Aquamanilen – Figürliche Gießgefäße aus Keramik. Typologie, Chronologie, Gedanken zu Funktion, Verbreitung und Materialität eines mittelalterlichen Tafelgeräts und Statussymbols...... 521

BRITTA ZIEGLER, Die Archäologische Akademie des Lehrstuhls für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit – Ein Erfahrungsbericht...... 569

3 4 Eine spätmittelalterliche Steinbüchse aus dem mittelfränkischen Kirchensittenbach, Landkreis Nürnberger Land

Rita Hannig-Wanninger

Abstract In 1960, a small was found during the building of a bridge in Kirchensittenbach, Middle Franconia. The find represents a very early example of capable of direct fire at fortifications. It is an important testimony to the changes in warfare and fortifications which were the consequence of the introduction of black powder and the technological advances in artillery manufacture. Only few examples exist in collections which are directly comparable to the bombard from Kirchensittenbach, for example in Switzerland, albeit of more recent date and of unknown origin. Because the site of the find from Kirchensittenbach is known nda can be connected with historical events, it possesses extraordinary authenticity and offers opportunities for chronological studies. The bombard also sheds light on questions regarding the place of manufacture and the general provenance of this type of artillery.

Beschreibung, Fundort und zeitliche Einordnung

Beschreibung

Bei dem Bodenfund handelt es sich um ein kleines ge- hängen. Daher achtete man darauf, den „Trag-“Henkel drungenes mörserartiges Geschütz aus Eisen mit zwei- bzw. Transportring auf der oberen Rohrwandung exakt geteilter, insgesamt 38,5 cm langer Form, bestehend aus im Schwerpunkt des Geschützes anzubringen. Erst dies Pulverkammer und „Flug“ mit einem Kaliber von 14 cm ermöglichte das Verladen auf eine zweirädrige Schub- (Abb. 1 a–b). Die Büchse ist offensichtlich voll gegossen karre, bevor Hebewerkzeuge mit Windenkonstruktionen und nachgeschmiedet und wiegt 44,6 kg. Kammer und und im 16. Jahrhundert schließlich der Flaschenzug zum Flug verjüngen sich zum Pulverkammerboden hin und Einsatz kamen (Schmidtchen 1977, 68–71). werden durch einen mittleren Wulst und einen großen Mit Bombarden dieses Typs wurden Steinkugeln halbrunden Henkel äußerlich voneinander abgegrenzt. verschossen. Im Gegensatz zu den späteren Geschüt- Die Pulverkammer ist durch den Zündstollen mit dem zen feuerte man diese frühen Steinbüchsen fast auf Zündloch über dem Stoßbodenrand verbunden. Im dem Erdboden liegend ab. Daher auch die Bezeich- Henkel befindet sich ein locker angeschmiedeter Ring,nung Legbüchse. Lediglich eine einfache hölzerne Bet- möglicherweise ein Kettenglied, der als Hilfsmittel beim tung, auf der die Feuerwaffe mittels Ösen und Ketten Transport zur Befestigung auf einer Bettung diente. Da- befestigt war, sollte den Rückstoß abfangen (Schmidt- mit das Geschütz bewegt und auf eine zweirädrige Schub- chen 1977, 65, Abb. 89). Später wurden die Geschütze karre geladen werde konnte, musste das Rohr waagrecht in Balkenwiderlagern fest verankert, um sie schwenk-

117 Abb. 1 a–b: Steinbüchse aus Kirchensittenbach, Bayerisches Lan- desamt für Denkmalpflege, AZ E-2015-564-1_0-1 (Objektfoto © Hermann Historica Auktionen, München).

und drehbar zu machen (Egg u. a. 1971, 15). Ab dem bewährte „Wachsausschmelzverfahren“. Da die neue 17. Jahrhundert wird im deutschen Sprachraum der Waffengattung eine möglichst hohe Durchschlagskraft Begriff „Lafette“ für diese Vorrichtungen verwendet. erreichen sollte, forderten unzählige Experimente ihren Anfangs, wohl bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts, Tribut, so dass die eine oder andere Gliedmaße geopfert als die Kugeln noch nicht sauber gerundet waren, wur- wurde (Schmidtchen 1977, 44, 46, 208). Dennoch schritt den sie mit Hilfe eines Holzklotzes „verschoppt“, um die Entwicklung rasch voran und bereits am Ende des ein seitliches Entweichen der Treibgase zu vermeiden 14. Jahrhunderts hatte man die Gesetze von Masse und und der Steinkugel Führung zu geben (Abb. 2 a–c). Beschleunigung erlernt. Neben den kleineren Varianten Verantwortlich für die Bedienung der Geschütze vor wurden künftig auch „Riesengeschütze“ hergestellt, wie Ort waren diejenigen, die auch mit der Herstellung be- z. B. die so genannte „Pumhart von Steyr“ mit 80 cm auftragt wurden, die Büchsenschützen und Meister aus Kaliber und 259 cm Gesamtlänge oder die „Dulle Griet dem Rot- und Kandlgießergewerbe. Diese neue Berufs- von Gent“ mit 64 cm Kaliber und 498 cm Gesamtlänge gruppe hatte sich aus der städtischen Schmiede- und (Egg u. a. 1971, 204; Schmidtchen 1977, 36–37 Abb. 43– Glockengießertradition entwickelt. Ihre Erfahrungen 44; Mehl 2003, 15). übertrugen die nun als Büchsenmacher tätigen Hand- Den großen und kleinen frühen Feuerwaffen gemein werker auf den neuen „Geschäftszweig“ und verwende- war ihre zweigeteilte Form. Durch sie konnte man einen ten die gleichen Techniken, wie das beim Glockenguss kleineren Verbrennungsraum herstellen, um einen hö-

118 Abb. 2 a und b: Vorbereiten und Laden einer Steinbüchse um 1400 (© Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 600, fol. 5r, fol. 7v, fol. 5v). heren Gasdruck zu erzeugen, wodurch eine größere Ef- fektivität erreicht wurde. Im Gegensatz zu den zeitglei- chen großen und in der Regel aus Stäben geschmiedeten „Riesengeschützen“ sind solche frühen Bombarden in kleiner gedrungener Ausführung, wie die Kirchensitten- bacher Büchse, zwar aus bildlichen Darstellungen be- kannt (siehe Abb. 2), aber in nur wenigen Fällen erhalten (Rathgen 1928, Taf. 8).

Fundort

Kirchensittenbach liegt in einem Tal des auch als „Hers- brucker Schweiz“ bezeichneten Teils der Frankenalb. Die gleichnamige Gemeinde gehört heute zum Land- kreis Nürnberger Land, Bezirk Mittelfranken. Der Ort ist im 11. Jahrhundert erstmals durch die Nennung einer Kirche …ecclesia s consecravit Sitenbach in den Urkunden greifbar. Diese lag in „Nidern Sickenpach“. Das Dorf war 1285 zweigeteilt. Ein herrschaftlicher Ansitz befand sich in „Obernssickkenpach“. Im 12. und 13. Jahrhundert sind als Grundherren die Sittenbeck, in der Mitte des 14. Jahrhunderts dann die Erlbecks belegt (Reitzenstein 2009, 117). Von der mittelalterlichen Burg ist nur noch der Rest eines Sockel-Fundaments übriggeblieben, das heute von einem Weiher umgeben ist. Auf der Urauf- nahme von 1831 ist dieser Wasserburgstall sehr gut er- kennbar (Abb. 3). Südöstlich davon liegt der nach dem 1595 erfolgten Abbruch des sog. „Alten Schlosses“ für einen Nürnberger Patrizier erbaute Adelssitz, der nach diesem auch als „Tetzelschloss“ bezeichnet wird. Historisch sind in Kirchensittenbach zwei größere kriegerische Auseinandersetzungen greifbar, bei denen der Ort schwere Einbußen erlitt. 1391 wurde das Dorf im Städtekrieg, einem anfangs lokalen Konflikt zwischen Bayern und Salzburg, der bald in die Entscheidung über die künftige Rolle von König, Fürst und Städten über- ging, zerstört. 150 Jahre später, kaum hatte sich der Ort erholt, geriet das Dorf 1450 in den 1. Markgräflerkrieg und wurde während dieser Auseinandersetzung zwischen der Stadt Nürnberg und der Markgrafschaft Ansbach von Nürnberger Truppen niedergebrannt (Schwemmer 1959, 196). In diesem Kontext ist sicherlich auch die Büchse an- zusiedeln, die vor 55 Jahren bei Sanierungsarbeiten an einer Brücke in Kirchensittenbach entdeckt wurde. Um

119 Abb. 2 c: Verschoppen einer Steinbüchse um 1400 (© Bay- erische Staatsbibliothek München, Cgm 600, fol. 5r, fol. 7v, fol. 5v).

digkeit des Verkeilens verneint wird (vgl. Schmidtchen 1977, 50). Die Kirchensittenbacher Legbüchse hat starke Ähn- lichkeit mit einer kleinen Gruppe von Geschützen in Schweizer Sammlungen. Diese werden allgemein den Burgunderkriegen (1473–1479) zugeordnet und in die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert. Insbesondere ein Exemplar in der Sammlung Carl Beck in Sursee (Inv.- Nr. S 2225) scheint in Abmessungen und Form derart identisch, dass man von „werkstattgleich“ sprechen könnte. Neun ähnliche Büchsen befinden sich im Museum Murten (Inv. 115 A, 115 B), in Schloss Grandson, im Stadtmuseum Aarau, im Musée militairevaudois, Mor- ges, im Musée historique La Neuveville, im Musée d‘art et d‘histoire, Genêve und in der Sammlung Wolfensber- ger, Bauma, Kanton Zürich (vgl. Gessler 1918–1920).

Summa summarum ist damit eine Datierung der Kir- chensittenbacher Büchse in den Zeitraum vom Ende des 14. bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts möglich. Die Vergleichsstücke und deren Zusammenhang mit welche es sich genau handelte, ist nicht mehr exakt zu den Burgunderkriegen lassen auf einen längeren Her- bestimmen, doch kommt vor allem ein Bauwerk in Nähe stellungs- und Verwendungszeitraum schließen. des Wasserburgstalls in Betracht, da dort zu dieser Zeit ebenfalls Sanierungsmaßnahmen stattfanden. Die wissenschaftliche Bedeutung der Kirchensit- tenbacher Steinbüchse Typologische Einordnung Forschungsgeschichte Das Kirchensittenbacher Geschütz besitzt die Charak- teristika der Generation der älteren Steinbüchsen, wel- Die Beschäftigung mit sehr frühen Feuerwaffen besitzt che sich allmählich entwickelten, als die neuartige Tech- durchaus Tradition. Ihre Erforschung reicht zwei Jahr- nologie der mit Schießpulver beschleunigten Geschos- hunderte zurück. Dennoch ist der Kenntnisstand in Vie- se erstmals in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts lem lückenhaft, vor allem, was regionale Spezifika der auftauchte (Rathgen 1928, 95 ff., 115 ff.; Schmidtchen Herstellung sowie die Überlieferung historischer Origi- 1977, 114). Zur Optimierung der Schusskraft hat sie nalstücke und deren Verwendung betrifft. neben der zweigeteilten Form einen konisch gearbeite- Gerade in den Anfängen der Forschung erfolgten ten Flug, der ein leichteres „Verschoppen“ ermöglich- die Studien oft im Zusammenhang mit übergeordneten te. Diese bereits weiter entwickelte Form dürfte nicht militär- und technikgeschichtlichen Themen oder griffen vor Ende des 14. Jahrhunderts entstanden sein. Zeit- regional- und kunstgeschichtlich interessante Punkte he- lich lässt sie sich auf Grund ihres Fundorts zwischen raus. Da die Geschütze selbst fast immer verloren waren, dem Städtekrieg 1391 und dem ersten Markgrafenkrieg basierte deren Auswertung überwiegend auf zeitgenös- 1449/50 ansiedeln. Eine Herstellung nach der Mitte des sischen Schriftquellen über kriegerische Auseinander- 15. Jahrhunderts kommt ebenso kaum in Betracht, da setzungen, Erwerbsverzeichnissen oder Artillerieinven- nach archivalischen Belegen bereits 1454 die Notwen- taren, notgedrungen ohne Kenntnis und Analyse der

120 Sachzeugnisse. Soweit erhaltene Geschütze aus der Zeit ginventaren und Adelssammlungen verwahrt wurden vor 1500 eine Würdigung erfuhren, war deren Herkunft (Mehl 2003, 15 ff.). Vermutlich wurde der Großteil der in der Regel unbekannt. kleineren frühen Bombarden im Zuge der technischen Zu den frühen umfassenderen Arbeiten, die sich Weiterentwicklung, vor allem aber auch wegen dem par- dem Thema Feuerwaffen annehmen, zählt sicherlich allel laufenden „Aufrüsten“ im Befestigungswesen, wie- eine Abhandlung des Germanischen Museums aus dem der eingeschmolzen. Der Kirchensittenbacher Büchse letzten Drittel des 19. Jahrhunderts (Germanisches Na- kommt somit ein hoher Wert aufgrund der Seltenheit tionalmuseum 1877). Aus dem Anspruch heraus, Ori- der Überlieferung vergleichbarer Geschütze zu. ginale zu sammeln und sich gleichermaßen dem diese erläuternden wissenschaftlichen Quellenmaterial zu widmen, entstand eine Edition literarischer Quellen und Geschichtliche Bedeutung Abbildungen von Originalwaffen aus eigener und frem- der Sammlung. Vorangegangene (Schmidt 1868) und Landesgeschichtliche Bedeutung folgende Studien sind geprägt von einer ausgesprochen militärgeschichtlichen Blickrichtung. Der Blick auf die Forschungsgeschichte zeigt, welche Wendelin Boheim, österreichischer Offizier der Sonderrolle diese kleine Feuerwaffe durch ihre gesicher- k.u.k.-Armee, Waffenhistoriker und Museumsbedienste- te Provenienz einnimmt. Sie ist nach derzeitigem Kennt- ter, schuf 1890 eines der Standardwerke zur historischen nisstand in Bayern und Franken der einzig bekannte Waffenkunde. Ausführlich erläutert er die Entwicklung Bodenfund mit belegbarem Einsatzort. Nur drei Ver- der Schutz-, Angriffs- und Turnierwaffen vom Beginn gleichsbespiele, zudem mit anderem Aussehen, und zwei des Mittelalters bis ins ausgehende 18. Jahrhundert. Im davon aus anderen Ländern sind bekannt: die gusseiser- Kapitel 4 seines Handbuches beschäftigt er sich mit den ne Steinbüchse von Burg Landskron in der Nähe des Feuerwaffen und betont, dass „die technische Entwicklung rheinland-pfälzischen Neuenahr, die bereits erwähnte der Feuerwaffe in ihren ersten Stadien […] bis jetzt noch nicht Büchse aus Bodian Castle im englischen Sussex und eine genügend festgestellt [ist], doch deuten die kurzen Angaben der Bombarde aus der Burgstelle Altenlandberg in Bauma Chronisten darauf hin, dass die ersten Feuerwaffen als schwerfäl- im Kanton Zürich (Rathgen 1928, Taf. 8). lige Maschinen auftraten…“ (zit. nach Boheim 1890, 430). Besondere regionalgeschichtliche Bedeutung erlangt Auch laut Bernhard Rathgen sind aus Eisen gegosse- die Büchse als greifbares Zeugnis historischer Ereignis- ne Steinbüchsen aus der Zeit vor 1500 kaum bekannt. Ar- se im spätmittelalterlichen Kirchensittenbach durch den chivalien und Kenntnisse seien spärlich (Rathgen 1928). Städtekrieg 1391 und den 1. Markgräflichen Krieg 1450. Augenscheinlich greift die Forschung mangels über- Nach dem derzeitigen typologischen Kenntnisstand lieferter Sachgüter aus der frühen Phase immer wieder wäre eine Verknüpfung sowohl mit dem einen als auch auf die gleichen Anschauungsbeispiele zurück, so auch dem anderen Kriegsgeschehen denkbar. Im Freistaat auf den vielzitierten „Bodiam “ vom Beginn Bayern handelt es sich um den einzigen Fall, bei dem des 15. Jahrhunderts, der nach seinem Fundort Bodian der singuläre Bodenfund der Legbüchse überhaupt mit Castle im südenglischen Sussex benannt ist (Mehl 2003, historischen Ereignissen in einem Zusammenhang steht, 13). Mit seinem zugunsten der Schussgenauigkeit verlän- der eine vertiefte Erforschung herausfordert. Aufgrund gertem Flug und seiner dünnen Wandung unterscheidet dieses Alleinstellungsmerkmals kommt der Büchse auch sich dieser in Aussehen und Technik vom mittelfränki- landesgeschichtliche Bedeutung zu. schen Bodenfund mit seiner konischen Steinbüchsen- form deutlich. Insgesamt betrachtet sind die relativ kurzen und Militärgeschichtliche Bedeutung kleinen Büchsen mit einem Kugeldurchmesser von 12–20 cm aus der Frühzeit des Geschützwesens im Ge- Volker Schmidtchen unternimmt 1977 in seiner Abhand- gensatz zu ihren „großen Zeitgenossen“ mit Kalibern lung Bombarden, Befestigungen, Büchsenmeister den Versuch, von 25 bis 80 cm verhältnismäßig rar überliefert (Rath- der technischen Entwicklung im Geschützwesen von gen 1928, Abb. 24–26). Sie sind aus Eisen gegossen und den ersten Mauerbrechern bis zur Belagerungsartillerie nicht aus Schmiedeeisen hergestellt, wie die große An- während des 15. und 16. Jahrhunderts nachzugehen und zahl von schweren und riesigen Geschützen, die oft auch dabei aufzuzeigen, welche militärischen, sozioökonomi- lange nach ihrer Benutzung stolz in Zeughäusern, Bur- schen und politischen Konsequenzen einige der Innova-

121 Abb. 3: Kirchensittenbach auf dem Blatt NW 068-05 der bayerischen Uraufnahme aus dem Jahr 1831 (Historische Karte © Bayeri- sche Vermessungsverwaltung). tionen im Verlauf dieser Entwicklung hatten (Schmidt- ort. Die auffällige Ähnlichkeit mit einer kleinen Gruppe chen 1977). Die Belagerungen befestigter Plätze häuften von Artilleriegeschützen, die in Schweizer Sammlungen sich und erste Feuerwaffen wie die Büchse aus Kirchen- untergebracht sind, wurde bereits angesprochen. Da die sittenbach kamen dabei zum Einsatz. Die großen Mau- burgundische Armee Herzog Karls des Kühnen, die erbrecher stellten zusehends eine Bedrohung dar, so dass 1476/77 bei Grandson, Murten und Nancy geschla- noch im 15. Jahrhundert der Übergang vom spätmittel- gen wurde, anscheinend auch kleine Bombarden die- alterlichen Befestigungswesen zur frühneuzeitlichen Fes- ses Aussehens benutzte und in der Schweiz und dem tung einsetzte: Mauern wurden verstärkt, Platz für die benachbarten Elsass mit zehn Exemplaren die größte neuen Geschütze geschaffen, Türme abgedeckt, etc. Die Sammlungsdichte nachgewiesen ist, etablierte sich für kleine, besonders mobile Büchse aus Kirchensittenbach diese kleinen gegossenen Steinbüchsen mit ihren cha- steht am Beginn dieser sich allmählich abzeichnenden rakteristischen bandförmigen Verstärkungen auch Entwicklung und ist damit ein wichtiges Zeugnis und andernorts die Bezeichnung „burgundisch“. Verknüp- „früher Anstoß“ für die Veränderungen im Befesti- fungen mit entsprechenden Gießereien oder Auftrag- gungs- und gleichermaßen Kriegswesen im späten Mit- gebern sind aber nach wie vor unbekannt. Auch die telalter und der frühen Neuzeit (Schmidtchen 1990). Sie teilweise illustrierten Burgunderbeuteinventare liefern besitzt somit eine hohe militärgeschichtliche Bedeutung. keine Belege für die Herkunft dieser kleinen Geschüt- ze (Deuchler 1963, 309–310). Da man davon ausgehen muss, dass die Geschütze meist wieder eingeschmolzen Technikgeschichtliche Bedeutung – Herstellung und Provenienz wurden, bleibt es schwierig, die tatsächlichen Verbrei- tungsschwerpunkte festzustellen. Natürlich überwiegt Nachdem die Büchse in Kirchensittenbach gefunden derzeit der Anteil der Objekte in Sammlungen, die sich und wahrscheinlich dort auch zuletzt verwendet worden im schweizerisch-nordostfranzösisch-niederländischen ist, stellt sich erneut die Frage nach ihrem Herstellungs- Kulturraum befinden und der Gedanke an eine- regio

122 nalgebundene Herstellung ist nicht von der Hand zu len auf, als er für Herzog Ludwig den Reichen von Bay- weisen. Wo weitere Produktionszentren oder gar die ern-Landshut fünf Büchsen goss, war aber dann ab 1448 Anfänge der Produktion dieses Waffentyps liegen, sei auf 12 Jahre der Stadt Nürnberg verpflichtet, bevor er allerdings dahingestellt. in die Dienste des Kurfürsten Friedrich I. von der Pfalz Der Fundort Kirchensittenbach in Kombination und später Herzog Ludwigs von Bayern-Landshut trat mit den dort historisch greifbaren Ereignissen als ter- (Grieb 2007b, 1664–1665). minus post quem lassen eine Datierung nach der Mitte Dass die Kirchensittenbacher Büchse ein Produkt des 15. Jahrhunderts nicht mehr zu. In dieser Zeit galt der Pegnitzer oder Widersteinschen Gießer ist, lässt sich Nürnberg im süddeutschen Raum bereits als eines der derzeit nicht belegen, doch kann man angesichts der bedeutendsten Zentren für den Geschützguss „…und etablierten, überregional geschätzten Büchsengießerhüt- war gleichzeitig die militärisch wohl am stärksten gerüstete Stadt ten in Nürnberg von einer heimischen Herstellung aus- überhaupt. 1449 standen in Nürnberg allein 144 einheimische gehen. Somit kommt dieser frühen Feuerwaffe sowohl Büchsenschützen und -meister, vornehmlich aus dem Rot- und in regional-, als auch in technikgeschichtlicher Hinsicht Kandlgießergewerbe zur Bedienung der Büchsen auf den Mauern eine Schlüsselstellung zu. der Stadt zu Verfügung. Darüber hinaus waren in längerfristigen Verträgen mehrere berühmte, auch auswärts gefragte Büchsen- meister, wie Hans Nürnberger, Hermann und Hans Widerstein Ausblick an die Stadt gebunden.“ (zit. nach Schmidtchen 1977, 180). Wie eng die Bindung an die Stadt war, davon zeugt Die Kirchensittenbacher Legebüchse als greifbares 1466 der Bestallungsbrief des Hans Pegnitzer als städti- Zeugnis historischer Ereignisse ist sowohl für die scher Büchsenmeister auf zehn Jahre ohne Kündigungs- Wissenschaft, die Landesgeschichte und im Beson- recht. 1476 wurde er als offensichtlich weitgeschätzter deren für die Geschichte der historischen Region der Kompetenzträger in Sachen Geschützfertigung nach Reichsstadt Nürnberg von herausragender Bedeutung. „Straßburg ausgeliehen“ (Grieb 2007a, 1120). Ein As- Da eine Abwanderung ins Ausland einen wesentli- pekt, der hinsichtlich der Betrachtung des „burgun- chen Verlust für den deutschen Kulturbesitz mit sich dischen Steinbüchsentyps“ von immensem Wert sein bringen würde, wird vom Bayerischen Landesamt für könnte. Gemäß einem Eintrag im Salbuch des St. Klara- Denkmalpflege derzeit eine Eintragung in das- Ver klosters verkaufte Hans Pegnitzer sein Wohn- und Gieß- zeichnis national wertvollen Kulturgutes angestrebt. haus am Frauentor in Nürnberg 1456 an seinen Schwa- In diesem Zusammenhang geht ein herzlicher Dank ger Herrmann Widerstein (Neuhaus 1933). an Dr. T. Eser, Leiter der Sammlung Wissenschaft- Herrmann Widerstein, ebenfalls Büchsen- und Ge- liche Instrumente und Medizingeschichte, Waffen schützgießer, war seit 1440 in Nürnberg, zunächst beim und Jagdkultur des Germanischen Nationalmuseums Büchsenmacher Hans Nürnberger tätig, bevor er 1449 Nürnberg, für seine fachliche Unterstützung und an für zehn Jahre vom Nürnberger Rat zum Büchsenmeis- meine Kollegen im Landesamt, Dr. M. Ullrich und ter bestellt wurde. Sein Bruder Hans Widerstein, auch Dipl.-Geograph R. Wanninger für ihre konstruktiven Geschütz- und Büchsengießer, taucht 1443 in den Quel- Anregungen.

Literatur

W. Boeheim, Handbuch der Waffenkunde (Leipzig 1890).

F. Deuchler, Die Burgunderbeute (Bern 1963).

E. Egg/J. Jobé/H. Lachouque/Ph. E. Cleator/D. Reichel, Kanonen – Illustrierte Geschichte der Artillerie (Lausanne 1971).

Germanisches Nationalmuseum (Hrsg.), Quellen zur Geschichte der Feuerwaffen. Facsimilierte Nachbildungen alter Originalzeichnungen, Minia- turen, Holzschnitte und Kupferstiche, nebst Aufnahmen alter Originalwaffen und Modelle (Leipzig 1877).

E. A. Gessler, Die Entwicklung des Geschützwesens in der Schweiz, von seinen Anfängen bis zum Ende der Burgunderkriege. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, I.–III. 1918–1920, 82–84.

M. H. Grieb (Hrsg.), Nürnberger Künstlerlexikon 2, H–Pe (Nürnberg 2007a).

123 M. H. Grieb (Hrsg.), Nürnberger Künstlerlexikon 3: Pf–Z (Nürnberg 2007b).

H. Mehl, Feld-, Festungs- und Belagerungsartillerie: Heeresgeschütze aus 500 Jahren 1: 1450–1920 (Herford 2003).

A. Neuhaus, Der Nürnberger Geschützgießer Endres Pegnitzer der Ältere. Anzeiger des German. Nationalmus. 1932/33 (1933) 128– 161.

B. Rathgen, Das Geschütz im Mittelalter (Berlin 1928).

W.-A. v. Reitzenstein, Lexikon fränkischer Ortsnamen. Herkunft, Bedeutung: Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken (München 2009).

R. Schmidt, Die Entwicklung der Feuerwaffen und anderer Kriegswerkzeuge seit Erfindung des Schießpulvers bis zur Neuzeit (Schaffhausen 1868).

V. Schmidtchen, Bombarden, Befestigungen, Büchsenmeister. Von den ersten Mauerbrechern des Spätmittelalters zur Belagerungsartillerie der Renaissance. Eine Studie zur Entwicklung der Militärtechnik (Düsseldorf 1977).

V. Schmidtchen, Kriegswesen im späten Mittelalter. Technik, Taktik, Theorie (Weinheim 1990).

W. Schwemmer, Die Kunstdenkmäler des Landkreises Hersbruck. Die Kunstdenkmäler von Bayern 10 (München 1959).

Autorin: Dr. Rita Hannig-Wanninger Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege Referat Z I – Denkmalliste/Denkmaltopographie Burg 4 D-90403 Nürnberg [email protected]

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