Aus: Zeitschrift Für Papyrologie Und Epigraphik 123 (1998) 237–248
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WERNER ECK – FRANCISCO JAVIER NAVARRO DAS EHRENMONUMENT DER COLONIA CARTHAGO FÜR L. MINICIUS NATALIS QUADRONIUS VERUS IN SEINER HEIMATSTADT BARCINO aus: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 123 (1998) 237–248 © Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn 237 DAS EHRENMONUMENT DER COLONIA CARTHAGO FÜR L. MINICIUS NATALIS QUADRONIUS VERUS IN SEINER HEIMATSTADT BARCINO* A la Profesora Carmen Castillo, con ocasión de sus 25 años de cátedra Im Jahre 1978 wurde in der Zeitschrift Dacia ein Inschriftenfragment veröffentlicht, das in Barcino aufgefunden worden war und das die Herausgeberin Isabel Rodà zu Recht dem spanischen Senator L. Minicius Natalis Quadronius Verus zugeschrieben hat.1 Es handelt sich um ein weißes Marmorfrag- ment, das auf dem Gelände einer Thermenanlage entdeckt wurde; es war dort zur Auskleidung des Schwimmbeckens, das nach einer Zerstörung im Jahre 265 wiederaufgebaut worden war, wiederver- wendet worden. Der erhaltene Teil der Marmortafel ist relativ klein; das Fragment mißt 67 cm in der Höhe, 26 cm in der Breite und ist 4,5–3 cm dick. Die erhaltenen Buchstaben schwanken in der Höhe zwischen 5,9 und 2,6 cm. Die Herausgeberin der Inschrift hat den Text folgendermaßen wiederher- gestellt: …………………… …[candi]dato Im[p(eratoris)]… 4,1 cm …[diocese]os Cart[haginiens(is)]… 4,2 cm …[XI]III Gem(inae)… 4,2 cm …[Colon]ia ó [Iul]ia Car[thago]… 5,9 cm …s posu[it/erunt]… 5,2 cm …[v]etus[tate]… 5,2 cm …curant[e]… 2,6 cm …[duumv?]iro q[uinquennali?]… 2,7 cm Sowohl durch den Fundort Barcino als auch durch die Reste der erhaltenen Ämter ist mit Sicherheit anzunehmen, daß es sich bei dem genannten Senator um L. Minicius Natalis Quadronius Verus, den Sohn des L. Minicius Natalis, consul suffectus im Jahr 106, handelt. Beide stammen aus Barcino, wo sie durch mehrere epigraphische Texte bezeugt sind.2 Von beiden ist unter anderem bekannt, daß sie, wohl * Dem Museum der Stadt Barcelona sei dafür gedankt, daß Javier Navarro das Inschriftenfragment im Original untersu- chen durfte. 1 I. Rodà, Le inscrizioni in onore di Lucius Minicius Natalis Quadronius Verus, Dacia 12, 1978, 219–223. Diese Inschrift ist im zuletzt erschienenen Band von G. Fabre, M. Mayer und I. Rodà, Inscriptions Romaines de Catalogne (IRC IV), Paris 1997, 98 f. Nr. 34 ohne Veränderung gegenüber der Erstpublikation wiederabgedruckt worden. 2 Siehe die gesamte Dokumentation in PIR2 M 619. 620. 238 W. Eck – F. J. Navarro im Jahre 124 oder 125, für die Bewohner von Barcino ein balineum cum porticibus3 erbauen ließen. Für den Sohn sind, auch abgesehen von den Zeugnissen aus Barcino, außerordentlich zahlreiche Inschriften bekannt, so viele wie für wenige andere Mitglieder der senatorischen Führungsschicht. Dadurch ist es möglich, nicht nur seine gesamte Laufbahn zu rekonstruieren; vielmehr kann man auch einen etwas mehr als oberflächlichen Blick in seine Persönlichkeit tun, soweit dies bei epigraphischen und das heißt von vorne herein für die Öffentlichkeit bestimmten Texten überhaupt zu erwarten ist. So erfahren wir, daß er großes Interesse an den Olympischen Spielen hatte, an denen er sich im Jahr 129, als er bereits prätorischen Rang erreicht hatte, mit einem Pferdegespann beteiligte.4 Auch seine Sensibilität für religi- öse Phänomene tritt uns aus mehreren seiner Inschriften entgegen;5 sie war vermutlich stärker entwik- kelt als bei vielen anderen Mitgliedern des Senatorenstandes. Sein cursus honorum ist vollständig bekannt. Er begann in der Spätzeit Traians mit einem Amt des Vigintivirats und setzte die Laufbahn fort mit drei Militärtribunaten, die er zum Teil unter seinem Vater, der Statthalter von Oberpannonien war, ableistete.6 Im Jahr 121 wurde er Quästor Hadrians, konnte aber noch im selben Jahr, da Hadrian sich auf die Reise in die Nordprovinzen begeben hatte, als Legat seinen Vater begleiten, als dieser den Prokonsulat in Africa erlost hatte. Nach Volkstribunat und Prätur kommandierte er eine Legion in Britannien und übernahm danach die cura viae Flaminiae, gekoppelt mit der praefectura alimentorum im Einzugsbereich derselben Straße. Erst 139 gelangte er zum Suffektkonsulat, was bis heute Rätsel aufgibt. Denn ein Senator, der seine Laufbahn so vielversprechend als triumvir monetalis und quaestor Augusti begonnen hatte, sollte eigentlich weit früher zum Konsulat gekommen sein. Doch ein eindeutiger Grund läßt sich nicht nennen.7 Nach dem Konsulat übernahm er noch drei Ämter: die cura operum publicorum et aedium sacrarum, die Statthalterschaft in Nieder- mösien und schließlich den Prokonsulat in Africa, wohl um das Jahr 154.8 Das Fragment aus Barcelona kann eine weitere kleine Facette zum Bild dieser Persönlichkeit und seiner Beziehungen zu verschiedenen Städten innerhalb des Imperium Romanum beitragen. Dazu ist es aber notwendig, den Text genau zu rekonstruieren und insbesondere danach zu fragen, in welchen Kontext diese Inschrift ursprünglich gehörte und welcher Zweck mit ihr verfolgt wurde. * * * Die in Barcelona gefundene Inschrift enthält zweifelsohne nur einen kleinen Teil des Textes. Weder die Herausgeberin der Inschrift, Isabel Rodà, noch jemand anders hat versucht, sie in ihrer Gesamtheit zu rekonstruieren. Nach Isabel Rodà ist von fast allen Zeilen des ursprünglichen Textes ein Teil erhalten geblieben, nur die erste Zeile mit dem Namen des Geehrten sei verloren gegangen.9 Die Inschrift habe ursprünglich den cursus des Minicius Natalis nur bis zum Volkstribunat etwa im Jahre 125 angeführt. In diesem Jahr oder kurz danach sei die Inschrift konzipiert und in der Öffentlichkeit aufgestellt worden. Diese überlegung beruht vor allem auf einer Formulierung der ersten noch erhaltenen Zeile. Dort ist auf Grund des fragmentarischen Textes zu ergänzen: [quaestori candi]dato im[p(eratoris)]. Da Hadrian 3 CIL II 4509 = 6145 = IRC IV 30. 4 Inschriften von Olympia 230 = Syll.3 840. 5 Siehe z.B. IGR I 1391; CIL XI 2925. 3002; I. It. IV 1, 33. Vgl. Groag, RE XX 1836ff. s. v. Minicius 19; W. Eck, Reli- gion und Religiosität in der soziopolitischen Führungsschicht der Hohen Kaiserzeit, in: Religion und Gesellschaft in der Römischen Kaiserzeit, hg. W. Eck, Köln 1989, 15ff., bes. 40. 6 Der Vater Minicius Natalis ist in Pannonia superior jetzt vom Jahr 112 bis 116/7 bezeugt. 7 Siehe zuletzt A. Kolb, Die kaiserliche Bauverwaltung in der Stadt Rom. Geschichte und Aufbau der cura operum publicorum unter dem Prinzipat, Stuttgart 1993, 196ff. und B. E. Thomasson, Fasti Africani. Senatorische und ritterliche Amtsträger in den römischen Provinzen Nordafrikas von Augustus bis Diokletian, Stockholm 1996, 61 ff. 8 Zur Laufbahn siehe zuletzt PIR2 M 620; A. R. Birley, The Fasti of Roman Britain, Oxford 1981, 244ff.; A. Kolb (Anm. 5) 196ff. 9 I. Rodà, S. 220: pensiamo che manca soltanto la prima (righa) col nome del personaggio. Das Ehrenmonument für L. Minicius Natalis Quadronius Verus 239 nicht als divus erwähnt sei, müsse der Text noch zu seinen Lebzeiten abgefaßt worden sein. Dann aber könne die Inschrift am ehesten in die Zeit unmittelbar nach dem Prokonsulat des Vaters datiert werden, ähnlich wie ein anderes epigraphisches Zeugnis aus Barcino, CIL II 4509 = 6145 = D. 1029 = ICR IV 30, in dem der Vater Minicius Natalis bereits als Prokonsul von Africa erscheint, der Sohn aber als tribunus plebis designatus angeführt wird. Somit sei klar, daß fast alle Zeilen des Textes partiell erhal- ten seien; nur die erste Zeile der Inschrift, in der ursprünglich der Name des Geehrten stand, fehle.10 Diese Interpretation ist aus mehreren Gründen nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Gegengründe sind teilweise rein formaler Natur, teilweise aber inhaltlicher Art, die mit der Funktion der Inschrift zusammenhängen. Nach der Rekonstruktion des Textes, 11 die auf Grund der erhaltenen Reste sowie der anderen bekannten Inschriften recht genau möglich ist, dürfte die Marmortafel, wie unten gezeigt werden wird, insgesamt rund 2,70 m breit gewesen sein. Das erhaltene Fragment ist nur 67 cm hoch. Selbst wenn man für die Namenszeile größere Buchstaben ansetzt, wie es sicher nötig ist, bleibt man immer noch erheb- lich unter einer Höhe von einem Meter für die Tafel. Das ist zwar möglich, aber doch nicht das Übliche für ein derartiges Monument. Vielmehr könnte man durchaus mit einer größeren Höhe rechnen. Das aber würde bedeuten, daß am Beginn noch mehr Zeilen zu ergänzen wären, nicht nur eine einzige Namenszeile. Die Inschrift war im übrigen nicht auf eine einzige zusammenhängende Tafel geschrie- ben, sondern wohl auf zwei. Denn der rechte Rand des Fragments scheint der ursprüngliche gewesen zu sein, so daß sich nach rechts eine weitere Tafel, auf der sich der Text fortsetzte, angeschlossen haben müßte. In der ersten Zeile des Fragments ist ein Teil der Formulierung erhalten, mit der die Quästur in dem Cursus benannt war. Natalis Iunior hatte dieses Amt als candidatus Hadrians erhalten, weshalb auch der Kaiser angeführt wird. Da der Hinweis auf den Kaiser in der Form im[p(eratoris)] erscheint, nahm Isabel Rodà an, Hadrian sei noch am Leben gewesen, als der Text geschrieben wurde. Doch ist diese Schlußfolgerung keineswegs notwendig. Die Quästur ist in drei anderen Inschriften des Minicius Natalis Iunior weitgehend erhalten. Es finden sich folgende Formen: CIL XIV 3599 = D. 1061: quaestori candidato divi Hadriani (nach dem Prokonsulat des Natalis, also nach ca. 154) CIL II 4510 = IRC IV 30: q. candid. [divi] Hadriani Aug. (nach dem Prokonsulat des Natalis, also nach ca. 154) CIL II 4509 = 6145 = D. 1029 = IRC IV 30: q. Aug. (124/125) In zwei Texten, die nach dem Tod Hadrians abgefaßt wurden, wird der Kaiser also mit divus ange- führt. Im dritten Text, der um 124/125 in Barcino eingemeißelt wurde, wird nur von q. Aug. gesprochen. Der Befund läßt es zunächst einleuchtend erscheinen, daß auch im vorliegenden Fall die Formulierung [quaestori candi]dato imp., also ohne divus, das Inschriftenfragment aus Barcino in die Zeit vor dem Tod Hadrians datieren sollte. Freilich ist dies nicht so eindeutig wie es zunächst scheint. Denn es finden sich immer wieder Cursusinschriften von Senatoren, in denen ein Kaiser ohne divus erscheint, obwohl er zum Zeitpunkt der Abfassung des epigraphischen Textes schon tot und divinisiert war.