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Anything Goes – Musik / Texte: ; Originalbuch: P. G. Wodehouse & Guy Bolton / Howard Lindsay & Russel Crouse; neues Buch: Timothy Crouse & John Weidman; Regie / Choreografie: Kathleen Marshall; Bühne: Derek McLane; Kostüme: Martin Pakledinaz; Licht: Peter Kaczorowski; Ton: Brian Ronan; Originalorchestrierung: Michael Gibson; Zusätzliche Orchestrierung: Bill Elliott; Musical Supervision / Vokalarrangements: ; Musikalische Leitung: James Lowe. Darsteller: u.a. (Reno Sweeney), Colin Donnell (Billy Crocker), John McMartin (Elisha Whitney), Laura Osnes (Hope Harcourt), Jessica Walter (Evangeline Harcourt), Adam Godley (Lord Evelyn Oakleigh), Jessica Stone (Erma), (Moonface Martin), Walter Charles (Captain). Broadway-Premiere: 21.11.1934, Alvin Theatre, New York. Broadway-Revival-Pre- miere: 07.04.2011, Theatre, New York. www.roundabouttheatre.org

Anything Goes

Immer wieder ein Vergnügen von Didier C. Deutsch

Wunderbare Sutton Foster! Sie mag nicht der tanznummern der Extraklasse, eine wurde Szenen allein zur Skizzierung eines Hinter- einzige Grund sein, sich dieses fröhliche um die kleine Melodie herum gebaut, die grundbildes dient, als Vorwand für eine und bunte Revival der ollen Cole-Porter- den ersten Akt beschließt, und die andere umfassende Kollektion erlesener Songs und Kamelle anzuschauen, das nun im Stephen ist das Pseudo-Gebet “Blow, Gabriel, blow” Tanznummern. Ursprünglich hatten P. G. Sondheim Theatre Premiere feierte, aber sie – der Song, der 1934, als sie Wodehouse und Guy Bolton die Handlung ist sicher der schönste Grund. Diese ge- die Rolle der Reno Sweeney kreierte, erst verfasst; es sollte um eine kunterbunte schmeidige, feine Darstellerin, eines der die Flügelspannweite zum großen Broad- Gruppe von Passagieren gehen, deren Lu- schönsten Juwelen des Broadway, hält Hof way-Star verlieh (obwohl man sich heute xusschiff sinkt. Die Idee wurde in dem Mo- als unbezähmbare Reno Sweeney und fast fragen muss, ob Merman auch so gut ment verworfen, als das Kreuzfahrtschiff macht einfach nur das, was sie am besten steppen konnte). “S.S. Morro Castle” 1934 vor der Küste kann: spielen, singen, tanzen, ihr gewin- New Jerseys völlig ausbrannte und über nendes Lächeln und ihre liebenswerte Per- Das Stück, das viele Kenner der Materie für 100 Menschen zu Tode kamen. sönlichkeit strahlen lassen. “die vollendete Musical Comedy der Dreißiger” halten, wurde endlose Male um- Da die Songs, der wichtigste Teil des neuen Natürlich bereitet die neue Produktion geschrieben und neu inszeniert. Es gehört Musicals, aber bereits komponiert waren, auch aus anderen Gründen Spaß, einer da- zu den nur schwer tot zu kriegenden Musi- stattete man das Stück einfach mit einem von heißt Kathleen Marshall. Ihre flotte Re- cals der 30er-Jahre, in denen das Buch mit neuen Buch aus. Wodehouse und Bolton gie und Choreografie gipfeln in zwei Stepp- seiner Ansammlung unbeschwerter kleiner standen nicht mehr zur Verfügung (der eine war in Paris, der andere in London), des- halb verpflichtete Produzent Vinton Freed- ley damals den Regisseur der Urauffüh- rung, den ehemaligen Bühnenautor Ho- Joan Marcus ward Lindsay, und als seinen Partner Russel Foto: Crouse, den Presseagenten der Theatre Guild, der ebenfalls Ambitionen auf eine Schriftstellerkarriere erkennen ließ. Es war ein gefährlicher Schachzug – aber die bei- den Herren legten los und wurden zu ei- nem der produktivsten Autorenteams der Broadway-Geschichte.

In ihrer neuen Handlung fährt die Predige- rin Reno, verschossen in den jungen Wall- Street-Agenten Billy Crocker, auf exakt dem Schiff nach England, das auch dessen große Liebe Hope Harcourt gewählt hat, eine junge reiche Erbin auf dem Weg zu ihrer Hochzeit mit einem britischen Lord, ebenfalls an Bord. Billy kommt zum Ab- schied von Hope an Bord und versteckt sich dort spontan in der törichten Hoff- nung, sie doch noch gewinnen zu können. Dazu aber muss er seine Identität hinter den unterschiedlichsten Verkleidungen tar- nen, unter anderem hängt er sich ein Hun- defell als Bart um. Reno hilft ihm, genauso Sutton Foster (Reno Sweeney; Mitte)

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Laura Osnes (Hope Harcourt) und Colin Donnell (Billy Crocker) Joel Grey (Moonface Martin) und Sutton Foster (Reno Sweeney) Fotos: Fotos: Joan Marcus Joan

wie der “gefährliche” Gangster Moonface stand. Zu ihnen gehören Klassiker wie Als die Show im Jahr 1987 neu inszeniert Martin, derzeit 13. auf der Liste der meist- “You're the top”, “I get a kick out of you”, wurde, machten sich Timothy Crouse und gesuchten Verbrecher. Von ihm bekommt “All through the night”, “Blow, Gabriel, John Weidman noch einmal ans Buch und Billy, was er gerade am dringendsten blow” (wo Ethel Merman zum ersten Mal würzten es mit weiteren Pointen, Gags und braucht: einen gültigen Fahrschein und ei- die Gelegenheit bekam, ihre ganze Stimm- witzigen Einlagen, obwohl sie insgesamt nen falschen Pass. gewalt zu zeigen) und natürlich die Titel- dicht an der Vorlage blieben. Sie behielten In seiner formvollendeten Leichtigkeit melodie. Die Partitur gehört zu den besten, die allermeisten von Porters Songs, misch- diente das Buch natürlich nur als Abschuss- die Porter je geschrieben hat, mit Ausnah- ten aber weitere Nummern aus seinen an- basis für die zahlreichen Songs von Cole me der sehr späten ‘Kiss Me, Kate’ hat er deren Musicals darunter, um den Wiederer- Porter, der damals im Zenit seiner Karriere nie wieder Vergleichbares geschaffen. kennungswert des Stücks noch zu erhöhen.

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Sutton Foster (Reno Sweeney; Mitte) Joan Marcus Fotos:

So finden wir jetzt in der neuen Version würde. Nein, es war als hübsches, gedan- eines der Highlights der Produktion im von ‘Anything Goes’ auch die Songs “It's kenloses Soufflé konzipiert, das einfach nur Jahr 1987 war (siehe »musicals« Heft 8, de-lovely” und “Goodbye, little dream, sein Publikum unterhalten wollte, was ihm Seite 7). Aber Foster ist auf ihre ganz eige- goodbye” aus ‘Red, Hot And Blue’ von in den Händen der kreativen Kathleen ne Weise frech und ungestüm, ihr toller, 1936, “Friendship” aus ‘DuBarry Was A Marshall in diesem Revival nach der Fas- eleganter Körper macht sie obendrein zu ei- Lady’ von 1939, “Easy to love” aus dem sung von 1987 mit erfrischendem Schwung ner der attraktivsten Darstellerinnen, die MGM-Film ‘Born To Dance’ von 1936 und bestens gelingt. diese Rolle je verkörpert haben. Mit ihrem seltsamerweise auch “I want to row on the breiten, strahlenden Lächeln und ihrem crew”, besser bekannt als “The crew song”, Die Produktion des Roundabout Theatre enormen Tanz- und Gesangstalent ist sie aus ‘Paranoia’, einem der ersten Cole-Por- und ihre Regisseurin haben in Sutton Fos- einfach eine helle Freude, zumal die Rolle ter-Musicals aus dem Jahr 1913. ter eine dynamische Reno Sweeney gefun- ihr auch ständig Gelegenheit gibt, die Bei- den. Sie mag die Erinnerung an Merman ne zu werfen und sich in offensichtlich per- Ganz klar, ‘Anything Goes’ war nie eines nicht auslöschen (und wer könnte das fekt auf sie zugeschnittenen Nummern die der intellektuellen Musicals, wie sie etwa schon!), auch nicht die an Patti LuPone, Seele aus dem Leib zu tanzen. John Weidman für Sondheim schreiben deren ausgelassene Interpretation der Rolle Die fleißige und immer perfekt trainierte Schauspielerin, die ihrem Publikum stets beharrlich das Maximum ihres Könnens zeigen will, sie wirkt hier dennoch völlig Reaktionen der amerikanischen Presse entspannt und mühelos, vielleicht, weil sie von der Regisseurin so stilvoll und sicher in Both goofy and sexy, shruggingly in - of the park. Joel Grey gives his happiest Szene gesetzt wurde. Dadurch gewinnt ihre souciant and rigorously polished, Ms. Fos - performance in years as Public Enemy Rollengestaltung noch mehr an Qualität; ter’s performance embodies the essence of #13, and director-choreographer Kathleen obwohl sie weder die knallharte, rotzfreche escapist entertainment in the 1930s, when Marshall has a field day, outdoing herself Nachtclub-Entertainerin ist, die die Rolle hard times called for bold smiles, tough with several rousing dance numbers. This stellenweise verlangt, noch die Predigerin, wisecracks and defiant fantasies of over- new ‘Anything Goes’ is a daffy, shipshape so schlägt sie doch in den zwei Tanznum- the-top opulence. That’s the tone that Ms. romp. mern, in denen sie das gesamte Ensemble Marshall is going for in this Roundabout Steven Suskin, Variety anführt, genau den richtigen Ton an, wie Theater Company production. im gesamten Stück. Ben Brantley, The New York Times Kathleen Marshall's revival for the Roundabout, which opened on Broadway Moonface Martin ist die abergläubische Why, one wonders, should Roundabout last night, is like one of those old Holly- Nummer 13 auf der Liste der meistgesuch- see fit to trot out ‘Anything Goes’, the wood movies with Bette Davis as a ten Verbrecher, der unbedingt zur Nummer frequently produced 1934 musical chest- frumpy schoolteacher: You don't really zwölf aufrücken möchte; Joel Grey bringt nut? Turns out it has a compelling reason: buy it, but the star's still fun to watch. hier wieder jenen Bühnencharakter mit, der Sutton Foster. She doesn't just deliver Elisabeth Vincentelli, New York Post in letzter Zeit die meisten seiner Rollen ge- those Cole Porter hits, she knocks 'em out

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Colin Donnell (Billy Crocker) und Sutton Foster (Reno Sweeney) “Buddie, beware” setzt kurz vor dem Finale noch einmal einen besonderen Höhepunkt in einer Produktion, der es wahrlich nicht an Highlights mangelt.

Unbedingt erwähnen muss man Adam God- ley, der hier als Lord Evelyn Oakleigh, ex- zentrisches Mitglied des britischen Adels, sein Broadway-Debüt gibt; sein schnurriges Porträt gipfelt in einem zum Brüllen komi- schen “The gypsy in me”, das eine Szene aus ‘The Pirate’, Cole Porters erfolglosem Musicalfilm aus dem Jahr 1948, in Erinne- rung bringt. In seiner Biografie im Pro- grammheft erwähnt Godley, dass er in Lon- don bereits drei Nominierungen für den Olivier Award vorweisen könne, für die Darstellung eines Doktors, eines Komikers und eines autistischen Gelehrten – verloren hätte er dann “gegen einen Diener, einen Barmann und einen Clown”. Vielleicht klappt es ja am Broadway mit der Tony- Nominierung, verdient hätte er sie …

Obwohl dieses Revival der aufwendigen Produktion von 1987 nicht gleichkommt, kann es doch wunderbare Bühnenbilder von Derek McLane, schöne Kostüme von Martin Pakledinaz und eine stimmungsvolle Be- prägt hat: eine liebenswerte, angenehm ru- ihnen einen wunderbar detaillierten Pas de leuchtung von Peter Kaczorowski vorweisen hige und doch wirkungsvolle Präsenz. Da- deux zu “It's de-lovely” auf den Leib cho- sowie gekonnte Vocal Arrangements, die bei hat er nichts von seiner charmanten reografiert. Musical Supervisor Rob Fisher geschrieben Persönlichkeit und seiner sängerischen Ge- hat. staltungskraft verloren. Sein “Be like the Zu den anderen Koryphäen der Produktion blue bird” jedenfalls gehört zu den besten gehören John McMartin, ein langjähriger Kathleen Marshall hält alle Fäden fest in Momenten der ganzen Aufführung. Gast am Broadway, der hier als Elisha der Hand und so beweist auch diese Pro- Whitney zurückkehrt und “The crew song” duktion von ‘Anything Goes’ erneut, wie Sowohl Colin Donnell (Billy Crocker) als darbietet, oder auch Jessica Walter als stil- ein 77 Jahre altes Musical immer noch auch Laura Osnes (Hope Harcourt) sind ge- volle, distinguierte Mrs. Harcourt. Jessica frisch aussehen und klingen kann, originell winnende Darsteller, er beweist vor allem Stone bringt als Moonfaces freches und und spannend. Talent als brillanter Komiker. Beide sind durchweg witziges Gangsterliebchen Erma attraktive Tänzer, Kathleen Marshall hat das Theater zum Kochen; ihre Nummer Foto: Foto: Joan Marcus Joan

v.l.n.r. Shina Ann Morris, Joyce Chittick, Colin Donnell (Billy Crocker), Sutton Foster (Reno Sweeney), Joel Grey (Moonface Martin), Kimberly Fauré und Jennifer Savelli

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