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Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Mai/Juni 2016

„Kraft heißt nicht unbedingt Lautstärke“

Manfred Honeck und das Pittsburgh Symphony Orchestra

Manfred Honeck kommt mit seinem Pittsburgh Symphony Orchestra für ein dreitägiges Gastspiel in den Musikverein – seine „Heimat“, wie er selbst im Gespräch mit Daniel Ender sagt.

Sie sind gerade zwischen zwei Reisen kurz in Ihrem Haus in Vorarlberg. Was bedeutet der Begriff „Heimat“ für Sie – persönlich und musikalisch? Persönlich bedeutet für mich „Heimat“, wenn ich nach Hause komme und mich zu Hause fühle – wenn ich bei meiner Familie bin. Das ist die private und persönliche Seite. Meine musikalische Heimat ist und bleibt selbstverständlich Wien. Dort bin ich aufgewachsen, dort habe ich meine Ausbildung erhalten, gelernt, wie man mit Musik umgeht, wie man musikalisch denkt. Andererseits ist es immer gut und gesund, wenn man andere Einflüsse einbezieht – daher möchte ich meine Auslandserfahrungen nicht missen. Es ist aber jedes Mal auch das Gefühl, nach Hause zu kommen, wenn ich im Musikverein bin, wo ich meine ersten Auftritte hatte. Wie die berühmtesten Komponisten mit diesem Haus verbunden sind – und überhaupt mit der Stadt Wien –, das ist schon etwas Besonderes.

Welchen Reiz hat für Sie der ständige Wechsel zwischen den Kontinenten? Wenn man einmal Wurzeln geschlagen hat, wird man nur schwer wieder weggehen. Es ist aber einfach wunderschön, die Denkweisen und Mentalitäten verschiedener Völker zu erleben. Ich bin gerade aus Schweden und Finnland zurückgekommen, wo man eine ganz andere Sprache spricht, London, die etwas stressige Weltstadt, und Amerika, wo man wieder ganz anders denkt. Das ist schon faszinierend – auch, wie sich diese Denkweisen auch in der Musik widerspiegeln. In Schweden gibt es eine gewisse Verhaltenheit, aber in Verbindung mit größter Qualität, in Finnland klingen die Orchester auch ein wenig verhalten, aber zugleich mit einer gewissen Direktheit im Klang – und so sind die Menschen dort auch. Die Sprache spielt dabei sicher eine Rolle. Und in Amerika gibt es neben dem Sentiment viel Kraft – was nicht unbedingt Lautstärke heißen muss –, Intensität und Energie. Das ist schon fantastisch.

Wie sehen Sie vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen die Wiener Musikkultur? Mit fällt immer wieder ein, was mein Lehrer, der leider schon verstorbene Prof. Alfred Staar, gesagt hat: „Quälen Sie Ihr Instrument nie! Behandeln Sie die Geige wie Ihre Ehefrau!“ Er dachte vielleicht nicht daran, dass nicht alle Ehemänner ihre Ehefrau liebevoll behandeln. Aber gemeint war: In Wien versucht man, den Klang immer poliert, höflich, nie aufdringlich zu behandeln. Und auch wenn die Wiener den Ruf haben, gerne zu nörgeln, bewahren sie sich immer eine gewisse Weichheit und Rundheit im Klang. Ein Forcieren darf es nicht geben. Diese Weichheit werden Sie nicht nur bei Johann Strauß hören, sondern beispielsweise auch bei Strawinsky. Ich hoffe sehr, dass diese Tradition nicht verloren geht. Raum für Veränderung muss natürlich immer sein, aber die Bewahrung der eigenen Identität ist genauso wichtig.

Ist es auch eine Wiener Besonderheit, dass es eine gewisse Großzügigkeit gibt, dass Genauigkeit etwa nicht überbewertet wird?

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Natürlich wollen wir alle präzise spielen. Man muss aber technische und musikalische Präzision unterscheiden. Wenn ein Dirigent nur technische Präzision fordert, wird er die vielleicht bekommen. Überzeugend muss das aber noch lange nicht sein. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn ich musikalische Präzision verlange, die technische Präzision wie von selbst dazukommt, wenn man etwa eine Phrase gestaltet, ihre Höhepunkte und Wellen genau fühlt.

Werden solche Anforderungen von einem amerikanischen Orchester ebenso erfüllt wie von einem europäischen? Ich bin sehr froh, dass das Pittsburgh Symphony Orchestra, aber auch andere amerikanische Orchester diesbezüglich wirklich aufgewacht sind. In Pittsburgh haben ja vor mir , und als mein unmittelbarer Vorgänger gewirkt – da spürt man schon das europäische Denken. Einerseits wird natürlich ungeheuer präzise gespielt. Andererseits kann man wirklich gemeinsam atmen, gemeinsam in Phrasen denken, einen Klang vorgeben. Diese Seite des Musizierens habe ich in meiner Arbeit stark forciert.

Stellen amerikanische Orchester einen Dirigenten vor andere Anforderungen in der Kommunikation – von der Schlagtechnik bis zum Verbalisieren? Als Dirigent muss man immer eine genaue Vorstellung davon haben, was man erreichen möchte, und natürlich auch davon, was die jeweilige Musik hergibt. Genaue Klangvorstellungen sind für mich das Allerwichtigste – der Klang kann von Stück zu Stück sehr unterschiedlich sein. Ich glaube sogar, dass man für jeden Komponisten, manchmal auch für jedes Werk, einen eigenen Klang entwickeln muss. Wenn ich das Thema des 2. Satzes der 5. Symphonie von Tschaikowskij dirigiere, wo die Bratschen, Celli und Bässe ganz dunkel wie aus dem Nichts auftauchen, dann das wunderbare Horn-Solo wie ein weicher, unaufdringlicher Lichtstrahl dazukommt: Wenn ich das dem Orchester erkläre, nehmen die das ganz automatisch auf. Und dann muss ich das natürlich auch in die Schlagtechnik legen. Aber wenn das Orchester weiß, warum ich etwas von ihm verlange, spielt es automatisch viel besser. Das weiß ich auch aus meiner eigenen Erfahrung als Orchestermusiker. Daraus habe ich viel gelernt – auch, weil ich so viele wunderbare Dirigenten aus dieser Warte beobachten durfte.

Tschaikowskij haben Sie bereits erwähnt, den Sie auch bei Ihrem Gastspiel interpretieren werden. Wie haben Sie das Programm gewählt? Dr. Angyan hat mich gebeten, einen roten Faden durch die drei Konzerte zu legen. Ich finde es sehr schön, dass wir drei Tschaikowskij-Symphonien machen können, weil das Orchester diese Musik einfach phantastisch spielt. Wenn man so eine große Reise macht, ist es wichtig, sich möglichst in seiner Gesamtheit zu präsentieren. Daher geht unser Programm von der Wiener Klassik bis zur Moderne – wir wandern sozusagen durch die Jahrhunderte. Es freut mich besonders, dass wir mit Haydn, Beethoven, Berg und Bruno Hartl Komponisten haben, die sehr stark mit Wien verbunden sind – und ich finde es wunderschön, dass ich das mit meinem Orchester in meiner Heimat präsentieren darf. Und wir haben mit dem Geiger Leonidas Kavakos, dem Pianisten Daniil Trifonov und dem Schlagzeuger Martin Grubinger auch ganz wunderbare Solisten dabei!

Martin Grubinger wird das Schlagzeugkonzert von Bruno Hartl, dem Solo-Pauker der Wiener Philharmoniker, interpretieren – was ist das für ein Stück?

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Mit Hartl verbindet mich seit meiner Zeit bei den Philharmonikern eine Freundschaft. Sein Konzert, das wir letztes Jahr beim Schleswig-Holstein-Festival aufgeführt haben, ist sehr gut zu hören. Es hat einen Anfang und ein Ende, einen großen Bogen. Und man spürt bei seiner Musik, wie sehr ihn die Wiener Schule geprägt hat. Dadurch passt er wunderbar in unser Programm.

Das Gespräch führte Daniel Ender.

Manfred Honeck, 1958 in Nenzing, Vorarlberg, geboren, studierte Violine sowie Viola an der Musikuniversität Wien und war zunächst Bratschist der Wiener Philharmoniker. Seine Dirigentenlaufbahn begann er als Assistent von beim Gustav Mahler Jugendorchester, Chefpositionen hatte er u. a. am Opernhaus Zürich, an der Norwegischen Nationaloper Oslo, beim Schwedischen Radio-Symphonieorchester Stockholm und an der Staatsoper Stuttgart inne. Seit 2008 ist er dem Pittsburgh Symphony Orchestra als Musikdirektor verbunden. Sein Vertrag wurde bereits zweimal verlängert, zuletzt bis zur Saison 2019/20. Honeck ist außerdem Erster Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie und künstlerischer Leiter der Internationalen Wolfegger Konzerte.

Daniel Ender Der Musikwissenschaftler und -journalist Dr. Daniel Ender leitet die Abteilung Wissenschaft/Kommunikation der Alban Berg Stiftung Wien, lehrt an der Musikuniversität Wien sowie an der Universität Klagenfurt und schreibt regelmäßig für den Standard sowie die Neue Zürcher Zeitung.

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