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“Some of these bootleggers...” Sessions, die als erste größere "Raub- pressung" der Pop-Geschichte zunächst Tell Tale Signs - Bob Dylans neue fast normal im Plattenhandel zu bekom- "Bootleg Series" Vol. 8 men war, dann unter die Ladentheke und als Deluxe-Ausgabe schließlich in den Untergrund wanderte - und dort unter verändertem Namen und von Axel Jost immer neuen Song-Zusammenstellun- gen dutzendfache Wiedergeburten feier- Bootlegs in der Popmusik? Noch so te. ein Phänomen, das zu ver- Aufgrund des Erfolges der Scheibe antworten hat - und das kam so: Nach kamen recht schnell weitere Dylan-Boot- Dylans Motorradunfall 1966 hielt er im legs (und auch solche von anderen Jahr darauf lange Sessions mit Musikern Bands wie etwa Led Zeppelin, Pink der späteren im berühmten Floyd oder den Beatles) auf den Markt: "Big Pink"-Haus in Woodstock NY ab. Aufnahmen von Radio-Shows, Live-Mit- Das dabei eingespielte umfangreiche schnitte, alternative Song-Versionen, Song-Material war zunächst nicht für verworfene oder vergessene Titel, im eine offizielle Veröffentlichung vorgese- einschlägigen Jargon allesamt gerne als hen - und da schlug die Stunde der "Raritäten" oder "Outtakes" bezeichnet. ersten modernen Bootlegger: "The Great Und obwohl offizielle Zahlen über die mit White Wonder" hieß 1969 die Scheibe den Bootlegs erzielten Verkäufe natür- mit einigen Songs aus den "Big Pink"- lich nicht existieren, sind den Platten- firmen dadurch mit Sicherheit hohe Um- sätze entgangen, zumal die Vinyl- Scheiben aus dem Underground oft in- telligent zusammengestellt und mit liebe- vollem Begleitmaterial versehen waren. "Some of these bootleggers / they make beautiful stuff" bekannte Bob Dylan im Jahre 2001 zutreffend in seinem Song "Sugar Baby". Schließlich sah sich Columbia Re- cords 1975 zum ersten Mal veranlasst, den Bootleggern nicht nur mit juristi- schen Mitteln zu begegnen, sondern sie

Dick und glänzend - die Deluxe-Schuber-Box. Im Innern sind die beiden Hardcover-Bücher zu erkennen.

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auf ihrem eigenen Felde zu schlagen: Schuber aufgestellt: Das erste Buch mitsamt ausklappbarem Eine Doppel-LP mit etlichen (aber bei Anhang - den drei CDs. weitem nicht allen) Titeln aus den acht Jahre zuvor im "Big Pink" eingespielten fundgrube an höchst interessantem Sessions wurde offiziell veröffentlicht, Dylan-Material quer durch alle Schaf- und sie brachte es - zur Riesenüber- fensperioden in bis dato unerhörter raschung von Bob Dylan selbst - zu klanglicher Qualität, darunter auch der hohen Chartplatzierungen in den USA legendäre Song "Blind Willie McTell", der (Nr. 7) und Großbritannien (Nr. 8). Die unbestritten zu Dylans besten überhaupt CD 3: Das Objekt der Begierde: Die dritte CD "Royal Albert Hall" bezeichnet), 1975 der Deluxe-Ausgabe. Bootlegger ließen sich dadurch freilich gehört. So groß die Freude über die Die drei CDs in der Box sind wie alte Columbia- (Rolling Thunder Tour) und 1964 (Phil- nicht entmutigen, sondern warfen im schöne Kompilation und deren klangli- Promo-Platten aufgemacht. harmonic Hall, New York City). Die sieb- Ihr Klang ist angeblich nicht nur "stereo" son- Gegenteil eine Scheibe nach der ande- che Aufbereitung bei den Fans auch war, dern sogar "spectra-morphic". te Ausgabe schließlich beinhaltete ren auf den (Schwarz-)Markt, so dass bereits damals wurde vielerorts ein Kon- Songs aus dem Umfeld von "No sich Dylans Plattenfirma zu weiteren Ge- zept für die weitere plattentechnische fentlichtes Material (insgesamt 18 Direction Home", dem vielgelobten Film genmaßnahmen gezwungen sah: Aufbereitung von Dylans Werk vermisst: Songs) präsentiert hatte. (Gut, wenn von Martin Scorsese über Bob Dylans 1991 schließlich wurde nämlich die Unveröffentlichtes, alternative Fassun- man musikhistorisch noch weiter zurück- Entwicklung in den Jahren 1961 bis "Bootleg Series" geboren. Dylans Plat- gen, Live-Versionen, alles fand sich hier gehen will, dann hatte Dylans 1971er 1966, darunter auch hochinteressantes, tenfirma war gewillt, den Bootleggern bunt nebeneinander; das erste Dreier- Hit-Kompilation "Bob Dylan's Greatest für die breite Zuhörerschaft unbekanntes dauerhaft den Wind aus ihren Segeln zu pack der "Bootleg Series" bot in dieser Hits Vol. II" bereits einige zum damaligen Material - welches allerdings lediglich bis nehmen: Regelmäßig sollte nun endlich Form keinen logischen Anknüpfungs- Zeitpunkt unveröffentlichte Songs, auf zum Jahr 1966 reichte. unveröffentlichtes Material neben den punkt für weitere Veröffentlichungen - Dylans Wunsch hin übrigens, enthalten). Diesem allgemeinen Bootleg- regulären und aktuellen Veröffentlich- ebenso wenig wie es übrigens "Bio- Weitere "Bootleg Series" folgten: Die Durcheinander folgte nun im Oktober ungen dem interessierten Publikum graph" getan hatte, eine Bob-Dylan- Vols. 4, 5 und 6 lieferten Live-Auftritte 2008 ein weiteres: The "Bootleg Series" zugänglich gemacht werden. Die Vols. 1- Werkschau, die bereits im Jahre 1985 aus den Jahren 1966 (Manchester Free Vol. 8 nämlich, die auf einer bzw. zwei 3 boten auf drei CDs insgesamt 58 bis auf fünf LPs bzw. drei CDs neben 35 Trade Hall, von den Bootleggern und oder gar drei CDs (beziehungsweise vier dato unveröffentlichte Titel - eine Riesen- bekannten Dylan-Titeln auch unveröf- auch von der Plattenfirma fälschlich als LPs, welche den beiden ersten CDs ent-

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sprechen) die bereits bekannten Boot- "Elder Statesman" des zeitgenössischen leg-Series-Überraschungstüten ergänzt. Rock'n'Roll. Sein neues L&T-Outfit mit Mit - Sie erraten es - Live-Aufnahmen, Menjou-Bärtchen und Hut erinnert mich unveröffentlichten Songs und alternati- zudem sehr an Vincent van Goghs ven Tracks knüpft Vol. 8 inhaltlich und Gemälde "Armand Roulin" aus dem Ja- thematisch an die Zusammenstellung hre 1888 - derzeit zu besichtigen in der der Erstausgabe der "Bootleg Series" Villa Hügel in Essen - und lässt assozia- an, nunmehr immerhin zeitlich einge- tiv erahnen, wie weit Dylan zurückgreift, grenzt auf die Jahre 1989 bis 2006 (also der tief in der reichen amerikanischen auf den aktuellen Dylan), einen Zeit- Musiktradition gräbt und Elemente aus raum, in welchem - jetzt darf ich mich Blues, Country, Rockabilly und Rhyth- selber aus meinem ""- m'n'Blues neben dem noch älteren "klas- Artikel aus Heft 61 (S. 7) zitieren - "Dylan sischen" Balladen-Stil zu einem dichten übrigens keine schlechte Platte mehr Klangteppich verwebt. Textlich setzen gemacht" hat. Das lässt für die neue sich die Scheiben auf höchst kunstvolle, Ausgabe der "Bootleg Series" hoffen. höchst poetische Weise mit dem Zu- Vier Alben sind es im Wesentlichen, stand unserer Zivilisation und dem die in diesem Zeitraum Dylan- und auch Schicksal der darin lebenden einzelnen Buch aufgeklappt (bitte auf die 27 achten!): Songs, die es aus welchen Gründen Eine Doppelseite des Musik-Geschichte geschrieben haben: Menschen auseinander; es geht um Le- Begleitbuches: Unten rechts erahnt man die auch immer nicht auf das TOOM-Album (1989), Time Out Of Mind ben, es geht um Tod, es geht um Liebe Abbildung des ersten Dylan-Bootlegs geschafft hatten. namens "". (TOOM) (1997), Love and Theft (L&T) und es geht um persönliches Schicksal, Ebenso fielen fertig produzierte (2001) und Modern Times (2006) - und um Sehnsucht und Verlust, um Hoff- ten und kontrollierten Produktionen doch Alternativ-Fassungen weg, die ihren ver- genau um diese kreist ein wichtiger Teil nung, Spiritualität, Obsessionen und um das "Aus" für etliche hervorragende öffentlichten Versionen in nichts nach- der Songs auf der "Bootleg Series" Vol. Seelenqual. Jeder Titel bietet eine ande- Songs, die bei den Sessions zwar kom- stehen, freilich dank modifizierten Tempi, 8, die "Tell Tale Signs", auf gut Deutsch re poetische Facette dieser vielgestalti- plett aufgenommen worden waren, aber abgewandelten Textzeilen oder umge- die "Menetekel", düstere Orakelworte, gen Sicht auf die Welt - jedenfalls für die- thematisch, musikalisch oder aus ande- formten Akkorden nicht der jeweiligen die nichts wirklich Gutes versprechen. jenigen Hörer, die bereit sind, sich auf ren Gründen nicht in das atmosphäri- musikalisch-textlich-atmosphärischen Im Gegensatz zu einigen vorausge- die zu Songs verdichteten Essay-Mini- sche Gesamtbild des jeweiligen Album- Gesamtidee entsprachen. Mal war gangenen Platten Dylans, insbesondere aturen einzulassen. Und es wurden die- konzepts passten. Auf der aktuellen Dylans Gesang zu munter (seine ge- der - auch nach eigenem Eingeständnis jenigen immer mehr, die sich an Dylans "Bootleg Series" gibt es nun viele dieser sanglichen Leistungen auf dieser Boot- in seinem Buch "Chronicles" - inkonsis- bilderreichen Kommentaren und seinen liegen gebliebenen Titel in sehr ersprieß- leg-Series zählen übrigens zu den be- tenten Periode ab Ende der Siebziger, oft sehr eingängigen kleinen Melodie- licher Klangqualität zu hören. Entsprech- sonders positiven Überraschungen: Man handelte es sich bei diesen vier Schei- linien erfreuen wollten: "Modern Times" ende Highlights sind beispielsweise die glaubt gar nicht, wie vielseitig, wie ge- ben um wohlproduzierte (Daniel Lanois schaffte es 2006 schließlich wieder an bislang unveröffentlichten Titel "Red konnt und artikuliert dieser Mann phra- zum Beispiel hatte bei zwei Alben Regie die Spitze der US-Charts, 30 Jahre nach River Shore", "Marchin' to the City" oder sieren kann), mal die Stimmung zu ent- geführt) und wohlklingende, kohärente, der "Desire"-LP aus dem Jahre 1976. "Dreamin' Of You" (zu dem ein neuer spannt, mal passte die Aussage konsistente, in sich stimmige ästhetisch- So schön die erzielten künstlerischen Videoclip gedreht wurde, mit dem vielleicht nicht ganz - so ist jedenfalls zu musikalisch-poetische Gesamtkunst- und kommerziellen Erfolge der neueren Schauspieler Harry Dean Stanton in der vermuten. werke. Dylan-Alben auch für alle Beteiligten wa- Rolle eines gealterten Bootleggers) - In allen Fällen können die Songs mit- Dylan gibt darin erfolgreich den ren, so bedeuteten die exakt abgestimm- allesamt typische, perfekte Dylan- samt ihren nicht so ausgefeilt produzier-

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Singles Cover: Der erste Eindruck täuscht - das zweite Buch kommt nur mit den Abbildungen von Single-Hüllen, eine echte Vinyl-Single fehlt darin leider.

dieses Albums im Lichte neuer biogra- phischer Erkenntnisse erst noch zu schreiben ist, vielleicht ja gar von ihm selbst in den nächsten "Chronicles": Bob Dylan war damals gerade, ohne dass es jemand wusste, wieder einmal verheira- tet und hatte zu dem Zeitpunkt eine klei- ne Tochter, die vielleicht der Grund für die Kinderreim-Songs auf der Platte ist. ten Arrangements neben den bereits Wenn man als Besucher einer Live- bekannten Versionen bestehen und Show der "" einen gehören von daher unabdingbar in Dy- Song nicht auf Anhieb erkennt, dann lans Veröffentlichungskatalog. "Can't muss das nicht unbedingt an der miesen Buch aufgeklappt (bitte auf die 29 achten!): gebundenen Liner-Notes plus zusätzli- Das waren Hits auch in Deutschland: "Blowin' Wait" etwa gibt es hier in zwei Varianten: Akustik der Halle oder der unterdurch- in the Wind" und "". chem Buch plus Vinyl-Single (und exor- beide sind drängender, treibender, teils schnittlichen Form des Sängers und sei- Daneben "" aus dem bitantem Preis) bereit. Auch an die Vinyl- Vereinigten Königreich. verzweifelter als auf "Time Out Of Mind"; ner Band an diesem Abend liegen, im Liebhaber hat man gedacht: Eine sie setzen auch textlich völlig neue Ak- Gegenteil: Vielleicht wird man ja Zeuge Vier-LP-Box (mit je 180 Gramm Kampf- zente, scheinen sehr viel mehr noch in einer mehr oder weniger kompletten Und sie zeigen einmal mehr, wie dring- gewicht) enthält alle Stücke der Doppel- spirituelle Tiefen vorzudringen. Von dem Neuinterpretation eines bekannten lich und wie überfällig endlich eine CD und ist nur wenig günstiger als die Song "Mississippi" gibt es in der Deluxe- Songs mit verändertem Text, veränder- umfangreiche Dokumentation von Dy- Dreier-CD-Box. Box sogar drei komplett verschiedene tem Tempo, veränderter Melodie. Auch lans jüngeren Live-Auftritten ist. Eine gute Woche lang konnte man Fassungen, mal bluesiger, mal rhythmi- solche, den Zuhörer vor Ort oft irritieren- Dylans Plattenfirma sieht die aktuelle die darauf enthaltenen Songs vor ihrer scher, mal Melodie-betonter, die sich so- den Live-Beispiele, hält die Vol. 8 der Ausgabe der "Bootleg Series" klar als Veröffentlichung über die Internet-Radio- wohl untereinander als auch von der ver- "Bootleg Series" bereit: Titel wie die (im "major release" und stellt sie demzufolge station NPR gestreamt komplett und le- öffentlichten Version auf L&T deutlich Gegensatz zu den eher verhaltenen Ver- breit im Markt auf: Eine exzellente Wer- gal in recht ordentlichem Klang hören - unterscheiden - und jede macht dank sionen auf der Platte) live sehr ent- bekampagne machte die interessierte großes Kompliment für diese Offenheit Dylans unterschiedlicher Phrasierung schlossen-kraftvoll und energetisch dar- Öffentlichkeit auf die Veröffentlichung und diesen Mut seitens Sony/BMG: Viele auf ihre Art Sinn. Das nach wie vor gebotenen modernen Dylan-Klassiker aufmerksam. Das Produkt kommt als Interessenten werden sich die CDs nicht umstrittene, von Don Was produzierte "Ain't Talkin", "High Water" (mit seinem Internet-Download für die ganz Fortge- zuletzt aufgrund der klanglichen Qualität All-Star-Album "" damaligen französischen Lead-Gitar- schrittenen, die auf herkömmliche Ton- dennoch kaufen, auch wenn ihnen die (1990) wäre damals durch die jetzt end- risten Freddy Koella), "Things Have träger nicht mehr angewiesen sind; dann Musik schon bekannt ist. lich veröffentlichte, textbetonende, mehr Changed" und "" sind in Form einer Einzel-CD für Einsteiger Ich habe mich als alter Fan natürlich expressiven denn atmosphärischen Ver- solche Beispiele von Song-Interpretatio- (13 Songs); weiter als Doppel-CD für für die "große" Box entschieden, weil ich sionen von "" und "Ring nen, die einem im Konzert schier den den Normalkäufer (27 Stücke); für gut neugierig auf die zusätzlichen Songs Them Bells" in jeder Hinsicht aufgewer- Atem rauben, wenn man das Glück hat, betuchte Fans hält man eine Deluxe-Box war und außerdem die erweiterten Be- tet worden. Wobei die wahre Geschichte die Performance dort live zu erleben. mit dritter CD (12 weitere Lieder) und gleitmaterialien, insbesondere das Buch

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mit den Single-Covern, besitzen wollte Musiker zu benennen, was freilich nicht ungen von "klassischer" amerikanischer ches Song-Material und ungezählte (auch wenn angesichts des Preises in immer gelungen ist. Song-Literatur aus der Zeit vor dem alternative Live-Versionen der Songs, beinahe dreistelliger Höhe der Platten- Leider, leider fehlen die Songtexte - Rock'n'Roll (1992 und 1993 auf zwei mit sehr unterschiedlichen Texten. Zur firma vielleicht nicht zu Unrecht "Ab- sie hätten das Buch nicht nur dicker, CDs erschienen) oder seine Auftrags- (leider dramatisch unterschätzten) zocke" vorgeworfen wird). Die LP-Aus- sondern auch sehr viel informativer arbeiten für Filmmusiken. Auch hierzu Europa-Tournee 1984 mit Carlos gabe ist mir (verglichen mit der LP- gemacht. Aber mit ein bisschen Suchen finden sich reichlich Song-Beispiele auf Santana? Zu den ebenso legendären Variante der Wilburys-Re-Issues, vgl. findet man diese im Internet. Musikalisch der neuen "Bootleg Series": Das bilder- wie geheimnisumwitterten, dynamisch- Hörerlebnis 63) diesmal nicht so wichtig, und tontechnisch ist die dritte CD keinen reiche, die Hörer-Phantasie stimulieren- leidenschaftlichen Live-Shows aus dem weil der Klang der CDs, die in Stereo Deut schlechter, sie enthält aber auch de "Huck's Tune" ist davon mein ganz New Yorker Supper-Club (1993)? Und - und - kleiner Dylan-Scherz - "spectra- kein Highlight, das den Inhalt der beiden persönlicher Favorit, dicht gefolgt vom bitte, bitte - zu der seit 1988 laufenden morphic" aufgenommen sind, bereits anderen meilenweit überragen würde Schlusstitel des Zwei-CD-Sets, der über und auf offiziellen Tonträgern nahezu stimmt: Der Sound wirkt durchweg aut- und weswegen man sie unbedingt ha- achtminütigen endzeitlich-schwermüti- völlig undokumentierten "Never Ending hentisch und natürlich und stellt den ben müsste. Understatement-Fetischis- gen, menetekelhaften Bürgerkriegsballa- Tour"? Und zwar gerne auch in mehre- Hörer vom ersten Moment an zufrieden. ten wird es freuen, dass sie, im Gegen- de "'Cross the Green Mountain". Die ne- ren Folgen: Schließlich wird dieses fast Ein eventuelles analoges Klang-Quänt- satz zu den beiden anderen Tonträgern, ue Zusammenstellung demonstriert manisch-rastlose musikalische chen "Mehr" wäre in diesem Zusammen- vom Windows-Mediaplayer nicht identifi- zudem in exzellenter Form, dass es bei Unterwegs-Sein einmal als Haupt- und hang ohne Bedeutung. Zudem fehlt - ziert werden kann ("Unbekannter Inter- den Songs von Bob Dylan eigentlich Lebenswerk Bob Dylans in die anders als bei den Wilburys - der Ver- pret"). Zusammengefasst: Die Deluxe- keine "definitiven" Versionen gibt und Geschichtsbücher eingehen! Bob Dylan gleichsmaßstab einer klanglich besseren Ausgabe muss man nicht besitzen, und dass letztlich nicht das einmal fertig ge- und seine Plattenfirma sollten sich zu früheren Veröffentlichung. die hundert Euro muss man nicht ausge- stellte und veröffentlichte Song-Produkt diesen Themen doch bitte einmal die Die Box kommt in einem dicken ben, die Musik sollte man aber schon das endgültige Ergebnis von Dylans Ar- passenden Werke von "some of these schwarz-weißen Hochglanz-Pappschu- haben - ergo: Die dritte CD wird vermut- beit ist, sondern der damit verknüpfte bootleggers" anschauen - die haben da ber mit den beiden Büchern in ebenfalls lich recht bald als preiswertes, selbst und im Grunde nie endende kreative inhaltlich nämlich schon hervorragende dicken Papp-Einbänden. Weitere Beiga- gebranntes Bootleg die Runde machen - Schöpfungsprozess - nennen wir es ein- Vorarbeit geleistet: Nur den Klang, den ben sind nicht enthalten, auch keine Zer- ob sich Sony/BMG und Dylans knallhar- fach Bob Dylans Vision von Kunst. kriegen sie halt niemals so hin… tifikate bezüglich Limitierung oder Ähnli- ter Business-Manager Jeff Rosen, an- Die neue Ausgabe der "Bootleg ches. Für Liebhaber ist das geblich der Drahtzieher hinter diesem Series" jedenfalls bietet einen gelunge- Nachträge: Singles-Cover-Buch eine schöne Projekt, das wirklich so vorgestellt ha- nen Ausschnitt dieser Kunst, bezogen In diversen wichtigen Ländern klet- Dreingabe; wirklich essentiell ist es ben? auf eine bestimmte Schaffensperiode - terte "The "Bootleg Series" Vol. 8: Tell nicht, weil es zu den Covern, die farbig Nichtsdestotrotz: Die Bootleg-Series aber da gäbe es noch so viel mehr (ganz Tale Signs - Rare and Unreleased 1989- und in Originalgröße enthalten sind, so Vol. 8 hat für mich den Stellenwert, den abgesehen von der notwendigen 2006" kurz nach Veröffentlichung in die gut wie keine Erläuterungen gibt: Es ist früher Ergänzungsbände zu mehrteiligen Entwicklung eines Gesamtkonzeptes für jeweiligen Album-Top-Ten, beim Online- sozusagen ein reines Bilder-Buch. Das Lexikon-Ausgaben besaßen: Sie ist für die Zugänglichmachung der Dylan- Händler Amazon.com gar auf Platz 1: andere Buch enthält neben den drei CDs Fans der "späten" Dylan-Phase ab 1989 Archive): sicherlich ein Erfolg des geschickten auf knapp 60 Seiten mit vielen Fotos schlichtweg unverzichtbar, weil sie viel Wann kommen (um nur einige weni- Marketings, aber dank der Qualität des einen mit viel Herzblut geschriebenen neues Licht in diese immer noch aktuel- ge Desiderate zu nennen) endlich Materials auch sehr begrüßenswert. Bob Begleittext des Dylan-Kenners Larry le Schaffensperiode bringt, zu der im Üb- Ausgaben der "Bootleg Series" zum Dylans "Reste seines Spätwerks" (Die "Ratso" Sloman über die Geschichte der rigen nicht nur die vier beziehungsweise Album "" (1974)? Es Welt) erwiesen sich somit als sehr viel Songs. Auch hat man sich bemüht, zu fünf regulären Alben aus dieser Zeit ge- gibt von dieser Platte zwei völlig ver- erfolgreicher als die meisten aktuellen jedem Song die daran beteiligten hören, sondern auch Dylans Einspiel- schiedene Versionen, es gibt zusätzli- Neuerscheinungen jüngerer Zeitgenos-

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sen. Quasi zeitgleich zum Veröffentlich- ungstermin der neuen "Bootleg Series" wurden Gerüchte gestreut, dass Bob Dy- lan über Konzerte in Deutschland im Frühjahr 2009 (Saarbrücken) verhandelt. Natürlich hoffen Fans wie ich darauf, dass er die "neuen" Songs der "Bootleg Series" Vol. 8 spätestens dann auch in seine Live-Shows übernimmt… Aktuelle Informationen über und viele Links zu Bob Dylan hält wie immer Karl- Erik Andersens Website www.expectin- grain.com bereit - dort fand ich zum Bei- spiel den Tipp mit dem Live-Stream. Das Hörerlebnis hat Dylans Schaffen stets recht regelmäßig begleitet. Eine umfangreiche Besprechung von "Time Out Of Mind" findet sich in Heft 22, von "Love and Theft" in Heft 38 und von "Modern Times" in Heft 58. Eine Kurz- bewertung von "Oh Mercy" fand sich im Heft 28 von DAS OHR. Auch die erste Ausgabe der "Bootleg Series" habe ich dort rezensiert, und zwar in DAS OHR Heft 34. Über die "Never-Ending-Tour" berichtete Christof Graf sehr ausführlich im Hörerlebnis Heft 30. AJ

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