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III. Die Konstruktion des „Schwarzen Ordens“ 1. Der Bruch mit der SA Eigentlich war Walther Stennes1 ideales „SS-Material“. Der 1895 geborene ehema- lige preußische Kadettenschüler und hochdekorierte Frontoffizier war „solda- tisch“ durch und durch. Als Gründer und Führer des Freikorps Hacketau bzw. als Hauptmann einer schwer bewaffneten Berliner Polizeihundertschaft zur besonde- ren Verwendung, die 1919 zum Schutz des Regierungsviertels gegen linke Revolu- tionäre geschaffen worden war, hatte er sich bis 1922 erhebliche Meriten um die Sache der Weimarer Rechtsradikalen erworben. Auch nach seinem Ausscheiden aus der Polizei, in der er wegen seines politischen Extremismus in den Innen- dienst versetzt werden sollte, und während seiner Zeit als nicht besonders erfolg- reicher Taxiunternehmer blieb er in rechten paramilitärischen Kreisen aktiv, zum Beispiel im Umfeld der „Schwarzen Reichswehr“.2 Ob er tatsächlich kein Anti- semit war, wie sein ihm persönlich befreundeter Biograf Charles Drage behauptet,3 sei dahingestellt. Jedenfalls schloss er sich schon Ende 1927 der nationalsozialisti- schen „Bewegung“ an. Allerdings hatte Stennes aus Sicht der Schutzstaffel zwei Fehler, die dazu führ- ten, dass er nicht zu einem der Ihren, sondern zu ihrem ersten bedeutsamen Feind aus den Reihen der Nationalsozialisten und in seiner Niederlage zu einem ihrer wichtigsten Geburtshelfer wurde. Erstens gehörte Stennes eben nicht der SS an, sondern der SA, wo er seit 1928, angeworben von Franz von Pfeffer bzw. sogar von Hitler persönlich, die Berliner Sturmabteilung befehligte. Seit 1929 hatte er den Rang eines „OSAF-Stellvertreters“ inne, von denen es nur fünf gab, und war zuständig für ganz Ostdeutschland und damit für rund ein Drittel aller damali- gen SA-Männer.4 Zweitens war Stennes Hitler gegenüber nicht willfährig. Er war eigenen Aussagen zufolge deshalb nicht „führergläubig“, weil er Hitler wegen dessen feigen Verhaltens am 9. November 1923 verachtete. Der Vorsitzende der NSDAP war, als es an der Feldherrenhalle zum Schusswechsel mit der Polizei kam, in Deckung gegangen, hatte sich dabei die Schulter ausgekugelt und war dann im Auto eines SA-Arztes ins Haus seines Freundes Ernst Hanfstaengl in Uffing geflo- hen, wo er sich zwei Tage später widerstandslos verhaften ließ.5 Entsprechend be- ließ es Walther Stennes, als es 1930 zu ernsthaften Spannungen zwischen der SA- Führung und den Parteifunktionären der NSDAP kam, im Gegensatz zu seinem 1 Zu Stennes JANSSEN, DRAGE und Personendossier der Berliner Polizei, in BA Berlin, NS 26, Bd. 1368. 2 Zu dieser Organisation SAUER: Schwarze Reichswehr. 3 DRAGE, S. 106. 4 BROWN, S. 66. Zu Stellung und Rang der OSAF-Stellvertreter in der SA 1929 s. u. a. Tages- befehl für den Festzug der SA in Nürnberg am 4. 8. 1929, in BA Berlin, NS 23, Bd. 509. 5 Zu Hitlers Verhalten KERSHAW, Bd. 1, S. 265–266. Zu Stennes’ Wertung desselben Schreiben Stennes’ an das IfZ München vom 12. 11. 1956, in IfZ-Archiv, ZS 1147, Bd. 1, Bl. 5. 78 III. Die Konstruktion des „Schwarzen Ordens“ für die süddeutsche SA zuständigen Kollegen August Schneidhuber nicht bei fle- henden Bittschriften an Hitler6, sondern versuchte, den „Führer“ bzw. den Berli- ner Gauleiter Joseph Goebbels zu erpressen.7 Worum ging es in diesem Konflikt in der Sache? Einerseits waren die politi- schen Leiter erzürnt darüber, dass ihnen Franz von Pfeffer und die von ihm ein- gesetzten, vielfach von außen rekrutierten höheren SA-Führer die direkte Kon- trolle über die aktivistische Basis der Sturmabteilung entzogen hatten.8 Anderer- seits war die SA in mehrfacher Hinsicht unzufrieden mit der politischen Leitung. Viele ihrer Männer und Führer misstrauten dem „Legalitätskurs“ Hitlers, der diesen in militärischen Freund-Feind-Kategorien denkenden Haudegen vielfach zu komplex war und ihnen Kompromisse wie etwa die Annäherung an den seit Oktober 1928 amtierenden DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg bzw. den alt- konservativen Wehrverband Stahlhelm oder die Koalition mit der DVP und der DNVP in Thüringen ab Januar 1930 abverlangte.9 Zudem fühlte man sich zu wenig für den eigenen aufopferungsvollen Aktivismus gewürdigt, den beispiels- weise Schneidhuber scharf mit der „im Ganzen grundfaulen Masse der P[artei] g[enossen]“ kontrastierte. Umso weniger Grund hätten die Parteifunktionäre, so wieder Schneidhuber, zu ihrem zum Teil anmaßenden, „eine Art Gottähnlichkeit“ beanspruchenden Auftreten.10 Schließlich ging es um Geld. Die SA-Führer hielten es für unhaltbar, dass der Masse ihrer Männer, die zu diesem Zeitpunkt mehrheit- lich der Unterschicht bzw. unteren Mittelschicht entstammten und schwer unter den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise zu leiden hatten,11 Beiträge zur NSDAP, zur SA und zur SA-Versicherung sowie die Finanzierung der eigenen Ausrüstung abverlangt wurden, während die Politische Organisation Gelder in Prestigeprojekte wie das prachtvolle „Braune Haus“ in München steckte. Für die neue Parteizentrale hatte man im Frühsommer 1930 das feudale Palais Barlow in der Brienner Straße 45 gekauft, das mit größtem Aufwand renoviert wurde12 – für viele SAler ein krasses Beispiel für die „Verbonzung“ der Partei.13 6 Zu Schneidhubers Position, der im September 1930 formulierte „Die SA ringt mit dem Füh- rer um seine Seele und hat sie bisher nicht. […] Die SA kann dem Führer, wenn er ihr seine Seele schenkt, niemals entgleiten!“ s. Stellungnahme des OSAF-Stellvertreters Süd, Schneid- huber, zur vorgesehenen Umorganisation der SA-Führung vom 19. 9. 1930, in BA Berlin, NS 23, Bd. 509; gekürzt in: TYRELL, S. 336–339. 7 Zu einem ersten derartigen Erpressungsversuch, bei dem Stennes mit seinem Austritt aus SA und NSDAP gedroht hatte, s. GOEBBELS, Bd. 1/II, S. 355, und Bd. 1/III, S. 65, 68 und 82; auf S. 68 Goebbels‘ prägnant formuliertes Urteil: „Wenn Krieger anfangen, eigene Politik zu ma- chen, dann gibt das immer Blödsinn.“ 8 Vgl. Goebbels Klage über „diese Jungen, die bei uns noch nicht warm geworden sind“, in: GOEBBELS, Bd. 1/II, S. 355. 9 BROWN, S. 60–61. 10 Stellungnahme des OSAF-Stellvertreters Süd, Schneidhuber, zur vorgesehenen Umorganisation der SA-Führung vom 19. 9. 1930, in BA Berlin, NS 23, Bd. 509; gekürzt in: TYRELL, S. 336–339. 11 MÜHLBERGER: Hitler’s Followers, S. 178–180; LONGERICH: SA, S. 81–86. 12 Vgl. die ausführlichen Artikel Hitlers zur Rechtfertigung des Projekts im Völkischen Beobach- ter vom 28. 5. 1930 und 21. 2. 1931, in: HITLER, Bd. III/3, S. 207–209, und Bd. IV/1, S. 206–218. 13 Vgl. u. a. die Presseerklärung Stennes‘ vom 2. 4. 1931, in: MICHAELIS/SCHRAEPLER, Bd. 7, S. 398– 399. 1. Der Bruch mit der SA 79 Im Vorfeld der Reichstagswahl am 14. September 1930 eskalierte die Situation, da die SA einerseits besonders viel Wahlkampfarbeit zu leisten hatte, sich ande- rerseits bei der Aufstellung der Kandidatenlisten übergangen fühlte. Drei der fünf OSAF-Stellvertreter, Stennes, Schneidhuber und der für Mitteldeutschland zu- ständige Manfred von Killinger, sowie Franz von Pfeffer selbst protestierten im Juli 1930 bei Hitler. Als dieser sich weigerte nachzugeben und bedingungslose Unterordnung forderte, sah Goebbels „eine kleine Palastrevolution“ kommen.14 Es wurde etwas mehr als das, nämlich eine ausgewachsene SA-Revolte und die Geburtsstunde der eigenständigen SS. Am 12. August 1930 drohte Pfeffer seinen Rücktritt an. Am 23. August reiste Stennes zusammen mit vier ostdeutschen SA-Führern nach München, um per- sönlich bei Hitler vorzusprechen. Doch sie wurden trotz „zweitägigen Wartens im Vorzimmer“ nicht zum „Führer“ vorgelassen.15 Fünf Tage später kündigte der Berliner OSAF-Stellvertreter an, den Wahlkampfdienst einzustellen bzw. die nächste Goebbels-Versammlung sogar selbst zu sprengen, wenn seine dringlichs- ten Forderungen – eine Verbesserung der SA-Finanzierung, drei Plätze auf der NSDAP-Liste für die Reichstagswahl und die sofortige Absetzung des Gauge- schäftsführers Franz Wilke – nicht erfüllt würden. Der solchermaßen erpresste Berliner Gauleiter wandte sich Hilfe und Rat suchend unter anderem an seinen ehemaligen Stellvertreter Kurt Daluege.16 Dieser, Jahrgang 1897 und nach dem Notabitur von 1916 bis 1918 im Kriegseinsatz, war 1921 als Student des Inge- nieurswesens nach Berlin gekommen. Dort hatte er sich zunächst dem Freikorps Rossbach und dem antisemitischen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund, schon 1922 aber der NSDAP angeschlossen. Während der Verbotszeit hatte er den Berliner Frontbann, danach bis zu Stennes‘ Antritt die Berliner SA geführt. Weil er sich durch dessen Bevorzugung zurückgesetzt fühlte, wechselte Daluege im Juli 1930 zur SS. Durch seine enge persönliche Bekanntschaft zu Goebbels und auch Hitler wurde er sofort zur dominanten Figur der Berliner Schutzstaf- fel, zumal der Gauleiter der Reichshauptstadt vom offiziellen Führer der SS vor Ort, Kurt Wege, ausgesprochen wenig hielt.17 Über den persönlichen Kontakt zwischen Goebbels und Daluege wurde die Schutzstaffel zum Akteur in der sich anbahnenden Krise. Unter anderem übernahm nun in Abstimmung mit Goebbels und Wilke eine kleine SS-Wache den Schutz der Berliner Gaugeschäftsstelle in der Hedemann- straße 10, ein Schritt, den Stennes, der sich als OSAF-Stellvertreter auch als Kom- 14 LONGERICH: SA, S. 103–104; GOEBBELS, Bd. 2/I, S. 214–215. 15 17-seitige Broschüre „Wie es zur Stennes-Aktion kam“, hg. von Walther Stennes [o. D., 1931], in BA Berlin, NS 26, Bd. 83. 16 GOEBBELS, Bd. 2/I, S. 228–229. 17 Zur Person Daluege vgl. CADLE: My honor, und ders.: Kurt Daluege. Zu Wege s. BA Berlin, SSO Kurt Wege. Zu Goebbels, Einschätzung Weges als reinem „Feldwebeltyp“ s. GOEBBELS,