Endbericht "Wohlstandsbilanz 2010"
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Forschungsverbund SED-Staat Koserstr. 21, 14195 Berlin _______________________________________________________________ Ostdeutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall – eine Wohlstandsbilanz Gutachten für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) von Klaus Schroeder 1 Einleitung Dieses Gutachten 1 soll eine unvoreingenommene Beurteilung des Aufbaus in den Neuen Bundesländern in den letzten zwanzig Jahren erlauben. Die materielle Situation jedenfalls hat sich 20 Jahre nach dem Mauerfall für die meisten ehemaligen DDR-Bürger stark verbessert. Dies belegen wir durch Da- ten und Fakten. Das ist wichtig, auch deshalb, weil viele die Ausgangslage zum Ende der DDR heute offenbar in einem verklärten Licht sehen. Das Gutachten macht sichtbar, dass die Neuen Länder einen einmaligen An- gleichungsprozess vollzogen haben. Es lässt auch noch einmal die Zustände im real existierenden Sozialismus Revue passieren und macht Belege dafür öffent- lich, wie die Staatsführung seinerzeit Wirtschaftsdaten gefälscht hat, was dazu beiträgt, dass manche den tatsächlichen desolaten Zustand der DDR bis heute nicht zur Kenntnis nehmen und sicher auch deshalb die in den vergangenen zwei Jahrzehnten erbrachte Aufbauleistung nicht zu würdigen wissen. Professor Dr. Klaus Schroeder, Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, 21. August 2009 Inhalt 3 Fazit und Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Studie / Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall: Schnelle Angleichung und fortbestehende Unterschiede 9 Die Schlussbilanz der DDR 29 Nach der Wiedervereinigung: Wohlstandsexplosion in Ost-deutschland und Wohlstandsstagnation in Westdeutschland 49 Der wirtschaftliche Aufholprozess – und seine Probleme 66 Die Angleichung der Lebensverhältnisse und der gespaltene Blick auf Staat und Gesellschaft 84 Die Sanierung des ehemaligen Territoriums der DDR 87 Die Kosten der Einheit 1 Anm. d. Verf.: Zusammenfassende Überarbeitung einer Studie, die im kommenden Jahr als Buch erscheinen wird. 2 Fazit und Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Studie Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall: Schnelle Angleichung und fortbestehende Unterschiede Wer den Weg, den Deutschland und speziell die Ostdeutschen nach dem Fall der Mauer in den beiden nachfolgenden Jahrzehnten zurückgelegt haben, an- gemessen würdigen will, sollte mit der Betrachtung der Schlussbilanz der DDR beginnen. Der erst nach dem Fall der Mauer mögliche nüchterne Blick auf die Hinterlassenschaften der SED offenbart: Die DDR hat aus sozialen und ideolo- gischen Motiven weit über ihre Verhältnisse gelebt, die Umwelt flächendeckend zerstört, Innenstädte verfallen lassen und die Menschen in ein zentralistisch gelenktes Korsett von Vorgaben eingespannt. Wie marode die DDR-Wirtschaft tatsächlich ist, wird einer breiten Öffentlichkeit erst nach dem Sturz von Erich Honecker deutlich. Nun diagnostizieren Planer, Ökonomen und Stasi-Offiziere den Zerfall der zentralistischen Planwirtschaft und ihrer industriellen Basis. Jetzt wird öffentlich, wie veraltet und verschlissen die Industrie, wie rückständig der Modernisierungsgrad fast aller Wirtschaftsbe- reiche und wie hoch der Aufwand für Reparaturen, Subventionen und Aufrecht- erhaltung der „inneren Sicherheit“ ist. Aus eigener Kraft hätte die DDR nur mit- tels massiver sozialer Einschnitte überleben können. Der Sozialismus hat von der 1945 übernommenen Substanz gelebt und sie aufgebraucht. Brisante Daten über den tatsächlichen Zustand der Wirtschaft, die Außenhan- delsbeziehungen mit dem Westen, die Ungleichheit bei Einkommen und Ver- mögen, den Zustand der Umwelt und des Gesundheitswesen werden auf Wei- sung von oben geheim gehalten, manipuliert, gefälscht. Die an internationale Organisationen weitergegebenen gefälschten Daten prä- gen bis heute bei vielen das verzerrte Bild, dass die DDR unter den angeblich zehn führenden Industrienationen rangiert habe. Tatsächlich erreichte die DDR in etwa nur das Niveau der schwächsten EU-Länder. Dreist manipuliert die SED-Führung Daten zum Handel mit dem nichtsozialisti- schen Wirtschaftsgebiet. Aus einem Importüberschuss wird ein Exportüber- schuss. Auch die hohen Kosten für den Sicherheitsapparat werden verschwie- gen. Die Selbsttötungsziffern dürfen jahrzehntelang nicht veröffentlicht werden. Versorgungsmängel bestimmen den Alltag der meisten DDR-Bürger. Selbst in Ost-Berlin, wo die SED-Führung viele Ressourcen des privaten Verbrauchs konzentriert, kommt es immer wieder zu Engpässen bei bestimmten Produkten. Dabei geht es nicht nur um Südfrüchte, sondern um banale Dinge wie Schuhe, Bettwäsche, Puddingpulver und ähnliches. Die Neu- oder Ersatzbeschaffung 3 von technischen Konsumgütern zieht sich bei vielen Produkten, nicht nur bei Autos, zum Teil über Jahre hin. Viele technische Konsumgüter sind nicht nur überteuert, sondern im Vergleich zu westlichen Produkten hoffnungslos veraltet. Die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln, Mieten und ähnlichem führt nicht nur zur Verschwendung, sondern auch zur Verwahrlosung, sozialer Nivel- lierung und Unterhöhlung der Leistungsbereitschaft. Die mangelnde Leistungsbereitschaft vieler Werktätiger, hohe Ausfallzeiten und Krankenstände etc. werden ebenfalls erst kurz vor dem Ende des SED-Staates auf Führungsebene ausführlich thematisiert. Angesichts der vorhandenen ver- deckten Arbeitslosigkeit wäre auch ohne Wiedervereinigung eine Arbeitslosen- rate von mindestens 10 % rasch Realität in der DDR geworden. Bei Fortbestehen der DDR hätten die Verantwortlichen zur Modernisierung der Volkswirtschaft den Sozialstaat um mindestens ein Drittel seines Niveaus redu- zieren müssen. Die Diskrepanz im Wohlstand zwischen Ost und West hätte sich noch einmal spürbar vergrößert. Die Annahme der Bundesregierung, durch ordnungspolitische Weichenstellun- gen und massive Transfers binnen weniger Jahre einen sich selbst tragenden Wirtschaftsaufschwung in den neuen Ländern entfalten zu können, erweist sich als Fehlschluss. Der ökonomische Angleichungsprozess stockt schon Mitte der neunziger Jahre, als die Bauwirtschaft – in den Jahren zuvor durch staatliche Subventionen und Steueranreize begünstigt – erlahmt. Seit diesem Zeitpunkt wächst die ostdeutsche Wirtschaft im Durchschnitt wieder schwächer oder nur geringfügig stärker als die westdeutsche, so dass die Differenz in Wirtschafts- kraft und Produktivität annähernd konstant bleibt. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall liegt das BIP je Einwohner im Osten bei etwa zwei Drittel des west- deutschen Niveaus, die Produktivität in etwa bei drei Viertel. Dennoch hat sich das materielle Lebensniveau weiter Bevölkerungskreise in Ost- und West- deutschland dank kontinuierlich fließender Transfers in etwa angeglichen. Durch den unter Helmut Kohl eingeschlagenen sozialen und konsumorientierten Vereinigungspfad, der zwangsläufig gewaltige finanzielle Transfers voraussetzt, vollziehen sich unmittelbar nach der Vereinigung materielle und soziale Anglei- chungsprozesse in atemberaubender Geschwindigkeit. Schon Mitte der neunzi- ger Jahre leben etwa drei Viertel der Deutschen in Ost und West unter fast glei- chen materiellen Bedingungen. Seither verlangsamt sich zwar die durchschnitt- liche materielle Annäherung der Haushalte, wiewohl inzwischen – unter Be- rücksichtigung fortbestehender regionaler Kaufkraftunterschiede – die durch- schnittlichen realen ostdeutschen Haushaltseinkommen etwa 80 % bis 85 % des Westniveaus erreicht haben dürften. Noch bestehende und sich auch nur langfristig ändernde Unterschiede existieren – als systembedingte Nachwirkung 4 – insbesondere in der Verteilung des Vermögens und der hieraus resultieren- den Einkommen. Aber auch auf diesem Feld lässt sich eine erstaunliche relati- ve Verbesserung für ostdeutsche Haushalte konstatieren. Ihre durchschnittli- chen Geldvermögen steigen in den letzten zwanzig Jahren von etwa einem Fünftel auf über die Hälfte des westdeutschen Niveaus. Werden die kapitalisier- ten Besitzansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung miteinbezogen, erreichen Ostdeutsche – je nach Alter und Geschlecht – sogar etwa 80 % bis 90 % des westdeutschen Niveaus. Der durchschnittliche Lebensstandard ostdeutscher Haushalte hat sich sowohl im Ausstattungsgrad mit langlebigen Konsumgütern als auch bei den Wohnver- hältnissen dem westdeutschen weitgehend angeglichen, ihn in einigen Berei- chen sogar überholt. Jenseits der Betrachtung des Durchschnitts vereinheitli- chen sich freilich auch die sozialen Differenzierungsmechanismen in Ost und West, wodurch in Ostdeutschland eine nun nach anderen Kriterien als zuvor materiell und sozial ausdifferenziertere Gesellschaft entsteht. Sie ist etwas – jetzt öffentlich sichtbar – ungleicher und vielfältiger und damit der westdeut- schen ähnlicher geworden, aber es finden sich in ihr nach wie vor noch Über- bleibsel alter Verhältnisse, die sich teils in das neue System einfügen, teils ihm fremd bleiben. Trotz der lebensgeschichtlichen Umbrüche, von denen die meis- ten Menschen betroffen waren, ändern sich die sozialen Hierarchien nach der Transformation nur wenig. Die in der DDR privilegierten Beschäftigtengruppen können, sei es als Arbeitnehmer, Selbstständige oder als Rentner, auch nach der Vereinigung ihre Vorrangstellung behaupten. Sie werden seltener arbeitslos und sind weniger von sozialen Abstiegen betroffen. Durch die Währungsumstel- lung und die Sozialunion sichern sie sich zudem ihre schon zu DDR-Zeiten vor- handenen überdurchschnittlichen Vermögensbestände und vergleichsweise hohe Renten. Erst im Nachhinein wird deutlich, wie ungleich in der DDR die Einkommen und vor allem die Geldvermögen