.

KULTUR

Pop Rausch im Supermarkt Sie geben sich als intellektuelle Ei- erköpfe, und doch gelten die Helden der US-Band Pavement als große

Hoffnung des Rock’n’Roll. INTER-TOPICS STAR / n guten Tagen spielt Stephen Malk-

mus gern den Mode- und Lebens- SHOOTING Aberater. Dann schreibt er , Rocksänger Malkmus deren Titel dazu angetan sind, orientie- „Keine Kastrationsangst“ rungsbedürftigen jungen Menschen den Weg zu weisen: „“ zum er, „und die Kerle von der Presse reden Beispiel war im letzten Jahr ein wuchti- immer nur vom Erfolg.“ ger, auch im Musikkanal MTV ausgie- Malkmus, im kalifornischen Stockton big gespielter Hit – und zugleich die aufgewachsen und neuerdings an Ame- grimmige Aufforderung an alle langhaa- rikas Ostküste zu Hause, gefällt sich in rigen Holzfällerhemdträger zwischen der Rolle des gebildeten Tüftlers und Seattle und Stuttgart, sich zusammenzu- Sound-Archäologen, und deshalb kramt reißen: Endlich sollte Schluß sein mit er nun minutenlang in einer zerschlisse- Slacker-Melancholie und Grunge-De- nen Umhängetasche und fördert eine pression. Platte der deutschen Band Popol Vuh Nun schlägt Malkmus, 27 und als aus dem Jahr 1971 hervor. „Unglaublich Kopf der US-Band Pavement mittler- schöne, unglaublich seltsame Musik“, weile ein echter Popstar, noch kämpferi- schwärmt er. schere Töne an: „Fight This Generati- Nicht ihr Sinn fürs Obskure, sondern on“ heißt eine Nummer auf der gerade das Gespür für die richtige Haltung im erschienenen jüngsten Pavement-Platte richtigen Augenblick haben Malkmus „“, und auch wenn Malk- und seine vier Pavement-Kumpane zu mus den Text seines Songs derart dahin- Idolen des Independent-Rock gemacht. nuschelt, daß nicht so ge- nau zu verstehen ist, ge- gen welche Generation es eigentlich loszuschlagen gilt, machen harte Gitar- renriffs und schroffe Rhythmusbrüche die Bot- schaft klar: Die Weiner- lichkeit ist aufgebraucht, es kommt eine – hoffent- lich – bessere Zeit. Manchmal allerdings erwischt Malkmus, den Kritiker amerikanischer, deutscher und französi- scher Musikblätter gern als „Zukunft des Rock- ’n’Roll“ feiern, einen schlechten Tag. So wie an diesem regnerischen Morgen in einer Hambur- ger Hotellobby, wo er ziemlich mürrisch und mit einer strengen Studenten- brille im Milchgesicht vor einem Orangensaft sitzt und widerwillig Auskunft

gibt über seinen frischen R. TRADE Ruhm: „Uns geht es um Malkmus-Band Pavement Musik, Mann!“ schnauzt Die Weinerlichkeit ist aufgebraucht

226 DER SPIEGEL 17/1995 Vor dem Hintergrund schleppender, im- fahren ist“, kommentiert er die Lobhu- in seinen im CD-Booklet abgedruckten merzu auf maximale Reduktion bedach- del-Poesie vieler Musikjournalisten, die Notizen zu „Wowee Zowee“, und mit ter und oft wunderbar melodischer Ar- sich durch die Pavement-Klänge zu ab- all diesen Wahrheiten gehe es ihm „wie rangements erzählen Pavement vom surden Vergleichen mit den Beatles mit Versen, die man irgendwoher ge- Stilwirrwarr und den Sehnsüchten dieser oder den Kinks, mit besten Platten von klaut hat – du weißt, sie werden dir nie- Tage – und kleiden ihre freundliche R.E.M. oder Creedence Clearwater Re- mals weiterhelfen“. Verachtung fürs Musikgeschäft in sarka- vival animiert fühlen. „Unsere Musik Könnte sein, daß eben diese Skepsis, stische Texte. „There is no castration soll vor allem Spaß machen“, sagt er, für die der Sänger mitunter als übler Zy- fear“, verkündet Sänger Malkmus mit „und schon deshalb sind wir wie tausend niker beschimpft wird – er selbst spricht gelangweilter Stimme gleich in der er- andere Bands.“ lieber von der „Unfähigkeit, an irgend- sten Songzeile des neuen – auch Derlei verschlurftes Understatement was zu glauben“ –, das Provozierende in der Erfolgsmühle des Musikgeschäfts zeichnet auch die besten Pavement- an Pavement ausmacht: Nicht um die fürchtet der Mann nicht um seine künst- Songs aus: Ein scheinbar desinteressier- Definition irgendwelcher generationsei- lerische Potenz. nenden Lebensziele geht es Malkmus Dieser Gestus des souveränen Auf- und seinen Gefährten, sondern um die trumpfens und der milden Arroganz ist Augenblicksdevisen, die Formulierung von Augenblicksdevisen, es, der den Rezensenten der Fachwelt nur einen lang die schon einen Song später keine Gül- imponiert. Allein Pavement sei die Er- tigkeit mehr beanspruchen: Fünf intel- füllung der anerkannt monströsen Auf- Gültigkeit beanspruchen lektuelle Eierköpfe spielen Einkaufs- gabe zuzutrauen, „den Rock vor der rausch im Pop-Supermarkt. endgültigen Verblödung zu retten“, be- tes, müdes Herumlungern in den Rui- Dabei verlieren sie gelegentlich die hauptet etwa die Berliner taz. Und das nen der Rockgeschichte, das sich, so der Orientierung. Live-Auftritte der Band US-Fachblatt Spin ließ angesichts der erste Eindruck, weder um die staunens- geraten nicht selten zu kakophonischen „jungenhaften Charmebolzen“, die sich werte Verführungskraft der eigenen Exzessen, bei denen die auf Platte sorg- da anschickten, „den heiligen Gral der Melodiefunde noch um die Bedeutung sam geordneten Songstrukturen in Rich- Rockmusik zu stürmen“, alle kritischen der meist lässig hingeworfenen Text- tung Chaos zerfasern. Im Juli sollen Pa- Bedenken fahren: „Vielleicht ist das ja brocken schert – tatsächlich aber sind vement auf Konzerttour nach Deutsch- gar keine so blöde Idee.“ die Pavement-Musiker Virtuosen, die land kommen, aber Malkmus selbst sind solche Erret- mit vorbildlicher Detailwut die Idee des mag keine Besserung geloben: „Wir ver- tungs- und Eroberungsphantasien reich- perfekten Popsongs verfolgen. suchen nun mal, in jedem Moment alles lich fremd. „Mein Gott, ich weiß über- Es gebe so verdammt viele verbrauch- zu geben – und manchmal ist das ein haupt nicht, was in diese Burschen ge- te Wahrheiten, seufzt Stephen Malkmus bißchen zuviel.“ Y

DER SPIEGEL 17/1995 227