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BAD 97 ALCHEMY In den Medien ist es ja heutzutage gang und gäbe, dass man sagt, man muss die Menschen abholen, wo sie sind. Das bedeutet nichts anderes, als dass man meint, man wüsste, wo sie seien. Dieser Paternalismus wird noch als Dienstleistung verkauft, wo die Menschen willfährig für ihre eigene Erniedrigung bezahlen. Natürlich, wenn sie jetzt diese Erniedrigung gewohnt sind, wünschen sie sich die auch und gehen raus, wenn sie ernst genommen werden. Christopher Dell [in "Gegen den Beat", 3sat] Wir plaudern über den Hilter-Stalin-Pakt, über Tante Luise, über Hüpfbohnen und den Vampyrotheutis infernalis, den schröcklichsten aller schröcklichen Tiefseekraken. Kurzum, es geht uns gut. Sibylle Lewitscharoff Every piece that doesn't change the world is a failure. Eivind Buene Ein Buch - was sind schon Bücher. Konservierte Eitelkeiten, aufgeputzte Weisheiten, einseitig jede, Irrtümer, und wo sie am besten sind: Trauer. Bücher, wirkliche Bücher, sind gekelterte Trauer. Gerhard Fritsch Gelesen Elias Canetti - Die gerettete Zunge Christopher Ecker - Fahlmann James Gordon Farrell - Die Belagerung von Krishnapur Theodor Fontane - Der Stechlin Gerhard Fritsch - Moos auf den Steinen Cinzia Ghigliano + Henrik Ibsen - Nora Richard Hughes - In Bedrängnis Andrej Kurkow - Petrowitsch; Jimi Hendrix live in Lemberg Volker Kutscher - Lunapark Tuomas Kyrö - Bettler und Hase Javier Marías - Morgen in der Schlacht denk an mich Gustav Meyrink - Des deutschen Spießers Wunderhorn; Das grüne Gesicht Christoph Ransmayr - Cox oder Der Lauf der Zeit José Saramago - Geschichte der Belagerung von Lissabon John Savage - Teenage. Die Erfindung der Jugend (1875-1945) Heinrich Schirmbeck - Ärgert dich dein rechtes Auge Jeff Torrington - Schlag auf Schlag Ernst Wiechert - Das einfache Leben 2 F r e a k s h o w : Kick Out Je j'Aime Wir stapfen durch den Schnee, denn das wäre doch gelacht, wenn mehr Leute auf der Bühne stünden als ihnen gegenüber, bei dieser Sonntagsmatinee am 10.12.2017. Angesagt sind GRU- GRÜ aus Montpellier, angepriesen als Jazzcore'n'Roll und ein "Konzentrat aus Wildheit und Zartheit" - ach du Sch... Un Poil plus Singe? Noch mehr Gezappel à la française? Aber was tut man nicht alles, um Treuebonuspunkte als schmerzfreier Freak zu sammeln. Immerhin ist der Sound im Immerhin (anders als zuletzt bei Ava Mendoza) diesmal vom Feinsten. Und die vier zarten Wilden - Toussaint Guerre mit Hut, blonder Mähne und lederbefranstem Westernshirt an Tenorsax & Keyboard, Nicolas Galliano mit schwarzem Rauschebart am E-Bass, Romain Hubon, kraushaarig und mit Moustache, an der Gitarre und Yvan-Paul Houët, ebenfalls schwarzbärtig, das Haar schnittig gestutzt als Pferdeschwänzchen, am Schlagzeug - haben doch tatsächlich das Zeug, uns Feuer unter die Ärsche zu machen mit zwar nicht direkt humorlosem, aber doch vorwiegend dynamisch kom- plexem AvantRock/Jazz. Die Gitarre - ist das 'Zone Courte Durée' als Auftakt? - beißt mit großmäuligem Wahwah Löcher in den Luftraum, das Saxophon bepfeffert ihn und uns gleich mit. Daher ist der Juckreiz beträchtlich, und Polo klopft die Pfeffersteaks durch und durch und wendet sie, sichtbar begeistert, auf dem Salamandergrill. Gali macht die Ansagen und ich habe den hintergründigen Bassisten im Verdacht, dass er, wenn nicht das Hirn, dann doch den Magnetkern des Quartetts bildet. Im feurigen Drive diktieren Bass und Batterie mit Schub und Gegenschub, Zug und Gegenzug eine rhythmische Elastizität, die den GruGrü- Groove rückkoppelt an krummtaktige Folklore (zumindest der imaginären Sorte). 'Afro Pack' (von GruGrüs Debut 2013) macht das als Encore besonders sinnfällig. Dazu kommen Klang- schlieren durch Gitarreneffekte und die Keys. Das kann man, muss man aber nicht psychedelisch nennen. Aber suggestiv ist es allemal, animierend, kickend, die vier wirken wirklich gut geölt zusammen, dabei ohne zackige Matheformeln. Mit langen, ge- staltwandlerischen Stücken, energischem Input. Dabei gibt's wenig solistische Mätzchen, vom firebeastigen Saxsound ab- gesehen ist der Jazz-, sprich: der Improanteil so gut aufgehoben im rasanten, engmaschigen Groove wie das Neandertaler-Erbe im Homo sapiens-Genom. Dominiert das Gebläse, darf man schon mal an Cowboys From Hell denken. Grugru? Das ist der Sago- wurm, die Larve des Palmrüsslers. Auf GruGrüs "Pendulum" (2015) sieht man sie ja, Palmrüssler-Papa als Flic, die für- sorgliche Mama und den larvenköpfigen, von einem Pfeil lädierten Junior, offenbar besser integriert als Kafkas Käfer. Aber Unerwünschte können schnell am Autobahnrand aus- gesetzt werden ('M'Est Avis Qu'On Va L'Abandonner Sur L'Auto- route') oder Opfer einer Triebjagd werden ('La Traque'). Wir fühlen uns bei 'Pendulum' king-crimsonifiziert und durch die Bank ausgesetzt auf den Bergen des Frohsinns. Gejagt, besser: mitgerissen auf die wahren RockJazz-Gipfel. Da capo und Merci für dieses gehaltvolle FreakShow-Finish des Jahrgangs 2017. Fotos: Jeroen Jacobs 3 The night ist dark and full of voices... and She surrounds everything Zola Jesus live in Frankfurt von Marius Joa * Den Anlass zur Fortsetzung meiner kleinen Review-Reihe gibt es am 25. November 2017 in Frankfurt am Main, denn die große Tour von Nika Danilova alias ZOLA JESUS führt sie auch ins Künstlerhaus am Mousonturm. Die traditionsreichen Stimmen von The Mystery Of The Bulgarian Voices schallen aus den Lautsprechern während das Publikum allmählich eintrifft und bevor der Support Act, ein glatzköpfiger Soulsänger, dessen Namen [Devon Welsh] ich vergessen habe, sich mitten in die vorderen Zuschauerreihen wagt. Wie die todbringende Samara aus "The Ring" kommt Nika auf allen vieren aus dem Off angekrochen, mit langen, dunklen Haaren und einem schwarzen, teilweise umgewickelten Kleid, und eröffnet die Show mit dem existentialistischen 'Veka' in Clubsound-Ambiente. Auf der Bühne außerdem nur Shannon Kennedy an der Viola und Alex DeGroot (Bass, Gitarre). Weil der Großteil der Musik vorprogrammiert wurde, gelingt es, die Atmosphäre des ak- tuellen Albums "Okovi" (BA 96) nahezu 1:1 auf das Live-Setting zu übertragen. Vor allem ist der Sound wahrlich bestechend. Und obwohl ich am linken Bühnenrand ganz nah an den monströsen Lautsprecher-Boxen positioniert bin, auch keineswegs zu laut. Nicht nur durch die tolle Akustik und den ausdrucksstarken Gesang werden wir prächtig entfesselt, Nika betört uns mit ihren Tanzeinlagen, ob lasziv-verträumt oder trotzig-energiegeladen, wenn sie nicht ab und zu (etwa bei 'Soak') ihrem weißen Mini-Keyboard ein paar Töne entlockt. Beim akrobatischen Höhepunkt besteigt die zierliche Sängerin die mehrere Meter hohen Boxen links am Bühnenrand, um wie die Königin der Dunkelelfen direkt über den Zu- schauern zu thronen, als erwarte sie die Huldigungen ihrer Untertanen. 'Witness' und 'Siphon' widmet Nika zwei Verwandten, die bereits mehrere Selbstmordversuche hinter sich haben. Leider gibt es hierbei Dazwischen-Gekichere von zwei unsensiblen Idioten hinter mir, die aber sogleich von einer engagierten Konzertbesucherin zurechtgewiesen werden. Das kann die emotional-kraftvolle Darbietung bei 'Witness', bei der auch Kennedy zur gefühlvollen Hochform aufstreicht, aber keineswegs schmälern. 'Siphon' überzeugt als brodelnde, schicksalstrotzende Power-Ballade. Die performten Songs stammen über- wiegend von "Okovi", aber ein paar "ältere Hits" runden das Gesamterlebnis Zola Jesus ab, z.B. 'Clay Bodies', das die abstraktere Atmosphäre des Debütalbums "The Spoils" (2009) evoziert. Auch meine beiden Lieblingssongs werden gespielt: 'Night' als minimalistische Version mit stärkerer Betonung des Gesangsparts und einem dominant stampfenden Beat. 'Vessel' klingt auch live als hätte ein gigantischer Schwarm von Grillen und anderen Insekten diesen Song komponiert, elektronisches Flirren und Zirpen als psychedelische Soundkulisse. Wie überaus passend der Refrain "And it surrounds everything...". Ein synästhetisches Spektakel bietet die Show durch Schatten und Lichteffekte, die auf die große Wand hinter der Bühne geworfen werden. Das erschwert zwar das Fotografieren, lässt aber Zola Jesus wie eine geisterhafte Erscheinung aus einer VHS-Parallelwelt wirken, an der Grenze zwischen heller und dunkler Seite der Macht. Den musikalischen Klimax erklimmt "Exhumed", wenn sich Nika im "Exorcism- Mode" stimmlich sowie körperlich noch mehr verausgabt und einen wahrlichen Veitstanz aufführt, während die Viola zur furios verzerrten Teufelsgeige mutiert. Als letzte Zu- gabe beschließt den Abend das reduziert-eindringliche 'Skin' ohne großen Klangteppich einfach nur mit stim- mungsvoll aushallender Gitarre und Gesang. Ein Konzert nicht nur zum Abwerfen der Fesseln, sondern auch als schwarze, kathartische Welle, die für gut eine Stunde die Sorgen der Zuschauer fortgespült hat. Beim kleinen Mer- chandising-Stand kommt es danach noch zu einer kurzen Begegnung mit Nika, die auch aus der Nähe betrachtet kaum an magischer Aura einbüßt, wenngleich viele der Besucher sie im Trubel des Foyers leicht übersehen haben. 4 over pop under rock AltrOck (Milano) 2010 wurden die Straßburger 'Cheese Rocker' CA- MEMBERT als Newcomer mit ihrem Debut "Clacos- mique" gleich zum Würzburger Artrock Festival ein- geladen. Ihre folgende "Schnörgl Attahk" konnte dann schon bei AltrOck goutiert werden (ALT-022, 2011). Dort gongen und zappen Fabrice Toussaint und Ge- nossen jetzt auch Negative Toe (ALT-058) wieder mit Camembert Electrique- und Suzy Creamcheese-Spi- rit, und gleich 'Orteil Négatif / Once Upon A Time In The Galax-cheese' ist ein Freak-Gruß gen Würzburg. Denn: The first 40 seconds of track 1 are dedicated