Nr° 4 Dezember 2015

Fachblatt des Berufsverbandes Österreichischer Kunst- und WerkerzieherInnen P.b.b. GZ 02Z031508 M BÖKWE, Beckmanngasse 1A/6, 1140 Wien Retouren an „BÖKWE, Niederhofen 14, 3233 Kilb“

BILDNERISCHE ERZIEHUNG | TECHNISCHES WERKEN | TEXTILES GESTALTEN

BuKo15 BlindE FlEcKEn intErnationalEr KongrEss dEr KunstpädagogiK 2015 13. - 15. FEBruar 2015 in salzBurg

doKumEntation dEr KongrEssErgEBnissE BÖKWE 4-15 – BuKo15 – BlindE FlEcKEn – intErnationalEr KongrEss dEr KunstpädagogiK 2015 KongrEss dEr KunstpädagogiK 4-15 – BuKo15 BlindE FlEcKEn intErnationalEr BÖKWE GRUSSWORTE

Geschafft! Liebe Mitglieder, liebe Leserinnen und Leser! Liebe Leserin, lieber Leser, Lesen hilft. vor Ihnen liegt der Tagungsband zum ersten internationalen deutschsprachigen Kongress der Kunstpädagogik Blinde Erstmals fand vom 13. bis 15. 02. 2015 an der Universität Flecken Salzburg 2015, Auflage 5.000. Er wird an alle Teil- Mozarteum in Salzburg der internationale Bundeskongress nehmerInnen des Kongresses, an die Mitglieder des lbg, des der Kunstpädagogik buko15 „Blinde Flecken“ – veranstaltet BÖKWE und viele Mitglieder des BDK verschickt. von den fachspezifischen Berufsverbänden der Schweiz (lbg Begonnen hat es im April 2012. Beim Kongress „Interkul- Verband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer für bildnerische tur. Kunstpädagogik remixed“ (Part 8 BuKo12) in Nürnberg Gestaltung/Bild und Kunst) Deutschlands (BDK Fachverband hat Clemens Höxter zu mir gesagt: „Und du, Franz, du machst für Kunstpädagogik) und Österreichs (BÖKWE Berufsverband den nächsten Kongress in Salzburg.“ Bernhard Gwiggner hat Österreichischer Kunst- und WerkerziehrInnen) statt. mir zugeredet. Für mich war dann klar: „Wenn ich das ma- Ich bedanke mich bei allen, die das Zustandekommen er- che, dann einen Kongress mit den Schweizern, Österreichern möglichten und durch ihre Beiträge und mit ihrer Teilnahme und Deutschen.“ Im Sommer 2012 haben wir uns dann in dieses Pilotprojekt unterstützt haben. Am Ausbau der Ver- Linz getroffen, die Vorsitzenden der Berufsverbände Verena netzung und Zusammenarbeit der nationalen Verbände wird Widmaier (CH), Martin Klinkner (D) und Gerrit Höfferer (A). weitergearbeitet. Ein Konzept für eine weitere gemeinsame Nach dem Treffen war klar, wir machen den Kongress mit Tagung ist bereits in Planung. Der Kongress bot ein breites dem Titel Blinde Flecken. Die Universität Mozarteum hat die Spektrum an Themen, Vortrags- und Workshopformaten und Idee unterstützt und zugesagt, den Kongress infrastrukturell, fungierte als Forum des Austausches und der Begegnung. organisatorisch, personell und logistisch zu fördern. Überraschendes, Heiteres, Kontroversielles, Sperriges und Im Oktober 2012 haben wir das Projekt auf dem BuKo12 Konventionelles, Utopisches und Visionäres trafen aufeinan- in Dresden offiziell bekannt gemacht. Anja Schönau und Rita der und eröffneten neue Perspektiven auf die Fachdisziplin. Pöll waren seit 2013 im Organisationsteam in Salzburg und Die vorliegenden Texte laden Sie als Leserinnen und Leser nun wurden Beiträge für den Kongress gesammelt. Anfang dazu ein, sich ein „Bild“ von der Heterogenität und Breite des November hat sich das Board getroffen und das Programm Kongresses zu machen. Ich bedanke mich nochmals bei Franz entworfen: neben den Vorsitzenden der Verbände waren das Billmayer, allen Mitwirkenden, dem Veranstalter Mozarteum, Edith Glaser-Henzer, Helen Bösch, Judit Villiger, Katja Büchli, den Verbänden und ganz besonders bei Hilde Brunner, die im Franziska Pirstinger, Eva Lausegger, Gila Kolb, Lars Zumban- Hintergrund unprätentiös und unermüdlich Lektorats- und Re- sen, Bernhard Gwiggner und Marie-Luise Lange. Die Stadt daktionsarbeit für diesen Tagungsband geleistet hat. Salzburg hat uns für einen symbolischen Betrag die Poly- Erfreuen Sie sich an den vielen interessanten Beiträgen. technische Schule zur Verfügung gestellt. 2014 haben Peter Lesen hilft. Egger und Alex Moling die Online-Anmeldung eingerichtet, doch Ende des Jahres waren die Anmeldungen noch spärlich. Gerrit Höfferer Das hat sich im Jänner 2015 geändert – und die höheren Bundesvorsitzende BÖKWE Teilnahmegebühren der Spätbucher halfen mit, diese Doku- mentation zu finanzieren. Und plötzlich war der Februar 2015 da. Arne Geisel und Studierende der Universität Mozarteum haben während der Veranstaltung die TeilnehmerInnen und ReferentInnen be- treut, die Bühnentechniker des Mozarteums für Ton und Licht gesorgt. Nach dem Kongress sind die Texte für diese Doku- mentation gekommen. Hilde Brunner hat sie genau gelesen und Gottfried Goiginger den Tagungsband gelayoutet. Die Fotos für die Impressionen-Seiten hat Allen einen herzlichen Dank vom Billmayer Franz Iris Greiffenhagen aufgenommen.

BÖKWE 4_2015 | 1 INHALT INHALT

Inhalt

Roland Reichenbach Barbara Lutz-Sterzenbach, Ansgar Schnurr, Rolf Laven Andreas Brenne, Nanna Lüth „So fühlt man Absicht, und man ist Ernst Wagner „Selbstausdruck und Bildungsrelevanz Gender Trouble in der Kunstpädagogik der verstimmt“ Dritte Räume in Elementar/Primarpädagogik“ – als Primarstufe ...... S. 140 Drei Perspektiven zur Kunstpädagogik ...... S. 6 Kunstpädagogik auf dem Weg zu Transkultur, Hoffnungsfeld im kunstpädagogischen Globalität, Diversity ...... S. 55 Diskurs Andreas Brenne Marc Vermeulen Planung einer qualitativ-empirischen Studie im Gender Trouble Lehrer, Kunst, Bildung + public value Joachim Kettel Kunstunterricht an der Schnittstelle von Elementar- Möglichkeiten einer geschlechtergerechten Künstlerische Ausbildung und public value ...... S. 15 Exploration_Vertiefung_Transfer – und Primarpädagogik ...... S. 95 Kunstpädagogik ...... S. 142 Komplettset mit Gelinggarantie?...... S. 57 Joachim Penzel Nicole Berner Nanna Lüth Anschaulichkeit im Denken, Lernen und Jörg Grütjen Tiefenräumliche Darstellungskonzepte im Geschlecht und andere Töne. Erklären Fachspezifische Lernschwierigkeiten von fünften Schuljahr Gute Gründe, die Palette der Kunstpädagogik Eine Transferleistung der Kunstpädagogik ...... S. 22 Schülerinnen und Schülern im Kunstunterricht ..S. 62 Ergebnisse und kunstdidaktische Folgerungen ...... S. 99 zu erweitern ...... S. 144

Barbara Kaesbohrer Klaus Küchmeister Timo Bautz Myriam Gallo, Virginie Halter, Muriel Schwaerzler Bewegte Bilder sehen und verstehen Filmbildung in der Kunstpädagogik Üben – blinder Fleck oder verlorenes Terrain ...S. 104 Ideeller Forschungsraum zur Selbstreflexion Betrachtung zeitbasierter Kunst am Beispiel Potenziale von Handy, Smartphone und Tablet PC ....S. 68 und Positionierung im (OFF-)Kulturfeld ...... S. 146 der Videokunst ...... S. 25 Ernst Wagner Peter Truniger, Andrea Zimmermann Was bringt die Kompetenzorientierung für Lucile Schwörer-Merz Alexander Glas, Hubert Sowa, Katja Fragegeleitetes Mentorat im gestalterisch- die Praxis? Künstlerische Erfahrungs- und Brandenburger, Alexander Schneider künstlerischen Prozess ...... S. 74 Bericht aus dem Comeniusprojekt „Gemeinsamer Gestaltungsprozesse als zentraler Bilder gestalten lernen, Bilder verstehen Referenzrahmen Visual Literacy“ ...... S. 108 Einflussfaktor auf den Professionalisierungs- lernen. Iwan Pasuchin prozess von Kunstlehrenden ...... S. 149 Neue Ansätze kunstpädagogischer Lernforschung ....S. 29 Gemeinsam sind wir (ausdrucks-) stark! Gerrit Höfferer Vom Ineinandergreifen der Theorie und Praxis der Zeichen-, Bild- und Performancespiele Swantje Kaulfers, Sabine Lenk, Rainer Mügel, Karina Pauls Intermedialen Künstlerischen Bildung ...... S. 78 aus Kunst und Pop ...... S. 112 Wilfried Reuter, Tanja Wetzel, Ingo Wirth Bildhauerei im Kunstunterricht ...... S. 33 „Symmetrie geht für mich gar nicht ...!“ Jochen Krautz Ruth Mateus-Berr, Julia Poscharnig Welche Vorstellungen leiten uns, wenn wir Tobias Thuge Lernen in der Kunstpädagogik Der blinde Fleck in der (Aus-) Bildung. beratend in ästhetische Prozesse von Schülern Bildinterventionen im öffentlichen Raum ...... S. 37 Thesen zu einem theoretischen und praktischen Biografie, Kunst- und Designpädagogik, im Kunstunterricht eingreifen? ...... S. 154 Desiderat ...... S. 82 Identität, Ausbildung ...... S. 121 Antje Winkler Kunibert Bering, Carl-Peter Buschkühle, Rolf Delivery for Mr. Assange – Freiheit in der Julia Gerber, Nadja Nafe Peter Angerer, Franziska Pirstinger, Mario Urlass Niehoff Sicherheitsgesellschaft Partizipation: sinnvoll – beliebig – Der blinde Fleck: Das ist das Kind...... S. 126 Vielfalt üben – Zur Qualifikation Ein Essay für die Kunst ...... S. 42 überbewertet ...... S. 87 von Kunstpädagogen ...... S. 159 Cornelia Wetzel Katrin Dropczynski, Marcus Nümann, Mareike Buchmann, Susanne Schittler, Anna Stern Erlernte Hilflosigkeit im Kunstunterricht Rolf Niehoff Lars Zumbansen Performancekunst im Kunstunterricht Qualitative Ursachenforschung zur Entstehung Zum Profil des schulischen Kunstpädagogen ...S. 159 Didaktische Modellierung der Chancen einer kollaborativen, körperorientierten, von Hilflosigkeit und Entwicklung eines positiven Unterrichtsplanung im Fach Kunst ergebnisoffenen und mehrperspektivischen Kompetenzgefühls in der Kunstpraxis Carl-Peter Buschkühle Ein blinder Fleck ...... S. 46 Vermittlungs- und Handlungspraxis ...... S. 91 (Stand August 2015) ...... S. 130 Kunstpädagogik ist eine Kunst für sich und verlangt die Bildung von Generalisten .....S. 161 Birgit Eiglsperger, Hans Gruber Ruth Kunz Differenziertes Wahrnehmen Forschen und Lernen in der Berufspraxis ...... S. 134 Förderungsmöglichkeiten im plastischen Gestalten ...S. 50

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Kunibert Bering Susanne Henning Manuel Zahn Torsten Meyer, Gila Kolb mit Gesa Krebber, Wie kam die „Kunst“ in den Zeichenunterricht Architektur, Skulptur und Gesellschaft Annäherung aus filmwissenschaftlicher Nikolas Klemme, Bernadett Settele, Ole Wollberg, und in die Kunstpädagogik? ...... S. 163 Die soziale Dimension des architektonischen Perspektive ...... S. 237 Heinrich Lüber Raumes skulptural erkunden ...... S. 195 What’s Next, Art Education?...... S. 268 Sara Burkhardt, Antje Dudek, Christine Heil, Karl-Josef Pazzini Sabine Sutter Anna Heggemann Zufallende Kunst und Transfer zur Lehre ...... S. 238 Torsten Meyer Freiräume für kollektive Skulptur als Klangraum Thesen zur Next Art Education ...... S. 268 Diskurserweiterungen schaffen Klänge als Materialien der Kunst entdecken ...... S. 198 Sidonie Engels, Jan Grünwald, Gila Kolb, Barbara Einladung in einen Kommunikationsraum im Foyer. ...S. 169 Mahlknecht, Anna Pritz, Anna Schürch, Bernadett Gesa Krebber Werner Fütterer Settele, Nora Sternfeld Apokalypse neu ...... S. 269 Zsófia Ruttkay, Judit Bényei, Gabriella Pataky Außerschulische Projekte im Alltäglichen Geschichte (nicht) weitererzählen lernen. Interaktives Märchenbuch für Kinder „Man ist drinnen, da sieht und hört man nichts“. . . . .S. 204 Revisionen der Kunstpädagogikgeschichte Nikolas Klemme Neue Wege im Kindergarten und in der Schule Die AG Kunst Pädagogik Geschichte stellt sich vor ...S. 242 [we like to share it all] ...... S. 270 am Beispiel des Märchens „Der kleine Hahn und Teresa Sansour, Susanne Bauernschmitt, Sabine sein diamantener Halbkreuzer” ...... S. 176 Essig-Dehner Nadia Bader, Birgit Huber, Catharina Jochum, Bernadett Settele Inklusion – Kunst – Anerkennung ...... S. 208 Notburga Karl, Tobias Loemke, Thomas Röske, Queer Art Education ...... S. 271 Barbara Bader Christian Vittinghoff Tacit knowing in doppeltem Sinn Manfred Safr Kunst und Begehren ...... S. 246 Ole Wollberg Emergenzbedingungen kunst-pädagogischer Transformationspotentiale der PerformativeKompetenz ...... S. 272 Könnerschaft ...... S. 181 Bildnerischen Erziehung ...... S. 214 Nadia Bader Gut gemeint und knapp daneben ...... S. 246 Heinrich Lüber Edith Glaser-Henzer Věra Uhl Skřivanová auxiliary constructions ...... S. 273 Wechselseitige Durchdringung fachlicher und Vergleichende Pädagogik als Basis der Catharina Jochum berufsbezogener Wissensbereiche in internationalen Forschungen und Dokumente ..S. 218 „That‘s probably me“ ...... S. 247 Biografien ...... S. 280 studentischen Fall- und Interventionsstudien ...S. 184 Marc Fritzsche Tobias Loemke Claudia Niederberger Aspekte des internationalen Manfred Nitschke malt „Irgendjemand Tacit knowing - zur Bedeutung des impliziten kunstpädagogischen Fachdiskurses im fehlt Immer.“ ...... S. 248 Wissens in der Studieneingangsphase ...... S. 185 Feld digitaler Medien ...... S. 224 Thomas Röske Beate Florenz Judith Klemenc Das Begehren nach Outsider Art ...... S. 249 Zeichnung – fachdidaktisch gegengelesen .....S. 186 Fahrradschlauchknoten Der blinde Fleck – Öffnung auf Unvorhersehbares ...S. 228 Birgit Huber, Notburga Karl Sara Hornäk, Petra Kathke, Susanne Henning, zeichnet einen Schmetterling .....S. 250 Anna Heggemann Evelyn May, Karl-Josef Pazzini, Andrea Sabisch, (Zwischen-) Raum, Körper, Klang Manuel Zahn Wolfgang Ranft Skulpturales Handeln von Kindern und Gedanken zur Forschungswerkstatt Visuelle Künstlerische Strategien – ein Klärungsplädoyer S. 252 Jugendlichen im erweiterten Feld ...... S. 188 Bildung Blinder Fleck und Fiktion –Transdisziplinäre Elfi Alfermann Sara Hornäk kunstpädagogische Zugänge ...... S. 233 Philosophie als blinder Fleck Auf dem Boden der Kunstpädagogik ...... S. 256 Bezugsfelder von Mensch, Raum und Skulptur Andrea Sabisch zwischen Horizontale und Vertikale ...... S. 188 Annäherung aus phänomenologischer Annemarie Hahn, Robert Hausmann, Kristin Klein, Perspektive ...... S. 234 Gila Kolb, Matthias Laabs, Konstanze Schütze Petra Kathke Methode Mandy ...... S. 264 Dazwischen nichts? Evelyn May Die Aktivierung des ZwischenRaums im Annäherung aus der Perspektive der skulpturalen Prozess ...... S. 192 Visual Studies ...... S. 235

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Roland Reichenbach und Pädagogik so wenig verstehen oder auf ihre je freundli- ge verziert, welche bloß die Offenheit möglicher Antworten che Art und Weise missverstehen. suggerieren soll. Zum Missverständnis auf Seiten der Pädagogik gehört „So fühlt man Absicht, sicher die fromme Hoffnung, dass die „Kultivierung der Frei- Aus einer empirischen Perspektive: und man ist verstimmt“1 heit“ etwas mit der Sorge um die Pflanze im häuslichen Topf Ästhetisches Urteil und Bildkompetenz2 2 Während das Konzept zu tun hätte. Doch la liberté est une plante sauvage (Touraine Urteile zu fällen ist leicht – im ästhetischen Bereich noch der „Bildkompetenz“ Drei Perspektiven zur Kunstpädagogik 1997), Freiheit also eine wilde Pflanze, und Freiheitspraxis leichter als im moralischen. Fragt man irgendeinen Men- (in Bildwissenschaft stört eigentlich immer (zumindest in gewisser Weise). Hier schen „Was denken Sie über X?“, so gibt er meistens Aus- und Kunstpädagogik) hilft die pädagogische Gärtnermetaphorik nur bedingt oder kunft, auch wenn er vorher noch nie über X nachgedacht teilweise affirmativ aber überhaupt nicht weiter. Auf Seiten der Kunstschaffen- hat. Vielleicht zögert er einen Augenblick, dann ist das Urteil vertreten wird (vgl. 1 Bekanntes Zitat aus Vorbemerkungen kulativen Teil folgt ein methodisch-empirischer Teil mit einer den kann das Missverständnis gehören, wonach pädagogi- gefällt, und eine scheinbar höchstpersönliche Meinung ver- z.B. Sachs-Hombach Johann Wolfgang Die folgenden Bemerkungen und Überlegungen beziehen sich ontogenetischen Perspektive, der inhaltlich der Erfassung der sche Bemühungen um Konformität, An stand und allgemeine lässt den Mund, in welchem es vor wenigen Sekunden erst 2003), wird es von an- von Goethes Torquato aus drei unterschiedlichen Perspektiven auf Aspekte der Be- Entwicklung des ästhetischen Urteils gewidmet ist. Als Ver- Gesellschaftstauglichkeit die Originalität des menschlichen geboren worden ist. Jean Piaget zitiert in seiner Studie Das deren, wohl aber einer Tasso (II. Aufzug, ziehung und damit verbundenen Spannung zwischen Kunst treter einer entwicklungsorientierten Pädagogik meine ich, Ausdrucks vor allem bedrohen statt fördern würden. Diese Weltbild des Kindes (1981/1926) Passagen aus Interviews Minderheit, kritisch 1. Auftritt) und Pädagogik. Diese Spannung, sofern sie denn kultiviert dass wir über die Entwicklung und Bildung des ästhetischen Institutionenfeindlichkeit der Vertreter des „eigentlichen mit fünf- bis siebenjährigen Kindern, die (noch) glauben, dass hinterfragt (vgl. Park & wird, mag einerseits auf wechselseitigen Missverständnis- Empfindens, Schaffens und Urteilens noch viel zu wenig wis- Menschseins“ ist Ausdruck des oben schon genannten Kre- das Denken vor allem im Mund stattfindet: man denkt mit Reichenbach 2012). sen und andererseits auf je mehr oder typischen Selbstmiss- sen. Die ontogenetische Perspektive auf die Ästhetik zeigt ativitätsdispositivs, welches ja nicht nur zufällig mit neo-libe- dem Mund. Tatsächlich denken auch manche Erwachsene verständnissen auf Seiten der Repräsentanten von Pädago- auf andere Weise, wie wenig sinnvoll die Entgegensetzung ralen Vorstellungen des Markts und der Gesellschaft kompa- mit dem Mund… Damit soll gesagt sein: Da wir überall auf- gik bzw. Kunst beruhen. Nun beschäftigen sich die meisten von Kunst und Pädagogik letzten Endes ist. Der dritte Teil ist tibel ist: denn ist jeder Mensch allein sich selbst der nächste? gefordert werden, unsere Meinungen und Befindlichkeiten zu Menschen weder mit Bildungstheorie noch mit Kunsttheorie. nun aber normativer Art. Er ist Kriterien der Kunstpädagogik Nun ist heute die Versuchung groß, Kunsterfahrung und äußern, unsere Präferenzen zu bekunden und moralische, po- Ich selber mute mir zu, etwas von der ersteren zu verste- und Kunstvermittlung gewidmet und beleuchtet kurz einen die ästhetische Dimension der Bildung – etwa aus legitima- litische und ästhetische Urteile abzugeben, erstaunt ja auch hen, aber nichts (oder bei nahe nichts) von der letzteren. möglichen Umgang mit unterschiedlichen „Logiken“ von tionsstrategischen Gründen – zu pädagogisieren, didaktisie- gar nicht mehr, wie leicht Urteile gefällt werden. Schulische Wer von einem Bereich etwas versteht, kann „eigentlich“ Kunst und Pädagogik. Spekulative, ontogenetische und nor- ren und instrumentalisieren. Weniger ausgeprägt scheinen Lehrpläne und pädagogische Diskurse sind geprägt von der wissen, dass man weder über diesen Bereich noch über alle mative Perspektiven und damit verbundene Argumente und Bereitschaft und Bemühung, für die Pädagogizität der Kunst Anregung, dass sich die Schülerinnen und Schüler zu nahezu anderen Domänen so allgemein sprechen sollte, wie es nun Einsichten können gewiss nicht ineinander überführt werden, und die elementare Aufgabe der Expression und Artikulati- allen Fragen eine „eigene Meinung“ bilden sollen. Ganz so, leider auch im Folgenden teilweise zum Ausdruck kommt: Es aber sie können eine bestimmte Kohärenz (wenn auch nicht on jeder Bildungsbemühung eine angemessene Sprache zu als ob sich eine Meinung durch die Tatsache qualifiziere, dass gibt die Bildung so wenig wie die Kunst, die Bildungstheorie Konsistenz) suggerieren und Analogien stimulieren, die das finden. Vielleicht gibt es zwischen höchst abstrakten, for- ego es ist, der sie geäußert hat. so wenig wie die Kunsttheorie. Ein Fundament für diskursive Nachdenken über die Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen malistischen, immer wieder pseudo-philosophisch anmu- Doch wenn die so genannte Bildkompetenz – um ein zeit- Missverständnisse ist gerade diese Rede, die aufgrund man- der Kunstpädagogik vielleicht bereichern. tenden Diskursen auf der einen Seite und konkretistischen, genössisch curricular relevantes Beispiel zu nennen – als gelnder Kenntnisse, mangelnder Zeit und/oder mangelnder rührend-unschuldig erscheinenden Bemühungen im Bereich eine dem ästhetischen Urteil förderliche Kompetenz begrif- Anstrengung nicht genügend differenziert. So gibt es auch Aus einer spekulativen Perspektive: der Kunstpädagogik auf der anderen Seite keinen klar zu be- fen werden soll, so kann sie nicht nur darin bestehen, dass nicht die Kunstpädagogik. Dennoch reden wir meist so, als Zur Gemeinsamkeit von Kunst und Pädagogik stimmenden Zwischenbereich von Fragen, Postulaten und Menschen zu Bildern ihre höchstpersönlichen Meinungen ob es sie in einem klar umrissenen Verständnis geben könnte. Zur Mythisierung der Person in Kunst und Pädagogik gehört Praxen, die sowohl bildungstheoretisch als auch ästhetisch äußern können. Vielmehr müsste das Sehen und Verstehen Die drei Perspektiven, von denen hier in unterschiedlicher sicher die Dichotomie bzw. Gegensetzung von Person und In- zu überzeugen vermögen. Aber es gibt die Frage zu und von Bildern als eine Kulturtechnik betrachtet werden, die ein Intensität ausgegangen wird, sind nicht wirklich ineinander stitution. Die Institution erscheint als das notwendige (oder nach diesem Bereich. Das Kultivieren der Fragen zur Span- Studieren, also ein Bemühen um das Verstehen einer Sache übersetzbar und es soll damit auch kein konsistentes Ge- auch nicht notwendige) Übel: die engen Familienbande, die nung zwischen Kunst und Pädagogik erscheint mir daher erfordern. Es wäre dann zu fragen, woraus eine solche Kom- samtgemälde suggeriert werden. Die erste, nur kurz bemüh- gesellschaftlichen Normen, die Bildungseinrichtungen, der auch die einzig sinnvolle Weise zu sein, um mit eben dieser petenz besteht und wie sie ausgebildet werden kann (Zem- te Perspektive darf spekulativ genannt werden. Spekuliert Staat, ja auch die Sprache: Der „wahre“ Pädagoge kann da- Spannung zwischen Kunst und Pädagogik umzugehen – auch bylas 2005, S. 137). wird über eine Gemeinsamkeit von Kunst und Pädagogik, mit wenig anfangen, der „wahre“ Künstler noch weniger. Die wenn dies etwas tautologisch tönt. Kurz: Könnten Antworten Nun gibt es in der Diskussion um die visuelle Kompetenz die gerne übersehen wird: den zugrundeliegenden, meist nur Institution wird als Gegenpart und teilweise sogar Verhinde- hier wirklich überzeugen, wären sie längst schon gefunden immer wiederkehrende Hinweise, wonach etwa das Sehen impliziten Bezug auf das Konzept der Person, welches in der rung der Bildung der Person bzw. der Ausdrucksfreiheit der worden. Auch benötigen Fragen nicht immer Antworten, als Können beispielsweise einer Radiologin etwas anderes modernen Situation sowohl hinsichtlich der Möglichkeit, als Person verstanden. Diese quasi-romantische Sicht scheint und besser als Antworten zu geben zu Fragen, die keiner ge- als einer Modedesignerin bedeuten müsse und bei einem Jä- Individuum (ganzheitliches „Un-Teilbares“) ein eigenes Leben recht verbreitet zu sein in Bildung und Kultur, und es erstaunt, stellt hat oder niemand versteht, ist es wohl immer noch, ger wieder etwas anderes als bei einem Ausstellungskurator zu führen, und – damit verbunden – im persönlichen Aus- wie die institutionellen, von Konventionen geprägten Ermög- jene Fragen zu verstehen zu versuchen, auf die es vielleicht (vgl. Mikos 1999). Diese Hinweis sind einleuchtend, d.h. es druck originell zu sein, als geheiligt, „sakralisiert“ betrachtet lichungsbedingungen der Förderung der Personenbildung und gar keine überzeugenden Antworten geben kann und geben scheint kaum sinnvoll zu sein, auf ein universelles, zeitloses werden darf. Mit Hans Joas soll an dieser Stelle eine positi- des menschliches Ausdrucks so wenig interessieren oder soll. Kurz: wer Fragen hat, aber keine Antworten, scheint und kulturübergreifendes Konzept der visuellen Kompetenz ve Bewertung dieser Sakralisierung geteilt sein. Kunst und ganz ignoriert werden können. Das entsprechende ex-nihilo- mir ein verlässlicherer Kandidat zu sein, um im Bereich der zu rekurrieren, außer freilich in einem rein funktional-orga- Pädagogik erscheinen aus dieser Perspektive in gewisser oder out-of-the-blue-Denken scheint eine Grundlage dafür zu Kunstpädagogik auf sinnvolle Weise zu wirken, als wer seine nischen und wahrnehmungspsychologischen Sinn, womit Weise vergleichbar oder verwandt zu sein. Nach diesem spe- bieten, dass sich die Vertreterinnen und Vertreter von Kunst Schein-Gewissheiten nur ab und zu mit einer passenden Fra- kaum noch eine kulturelle Kompetenz gemeint werden kann,

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aber die als Ermöglichungsgrundlage des Sehens interessie- sie es zu tun haben, nur ganz bedingt als Abbilder natura- u Bilder als komplexe Form-Inhalts-Gefüge wahrnehmen, „Aesthetic development has to do with the progressive ren oder auch nicht interessieren mag. listischer Art zu verstehen sind. Sie sind viel enger auf das erleben, verstehen, analysieren, deuten, herstellen kön- growth of an individual’s ability in thinking about, and respon- In seiner ökologischen Betrachtung der Bildkompetenz angewiesen, was bei den Tätigkeiten der Radiologin und dem nen. ding to aesthetic objects“, fasst Chen (1997, S. 13) zusammen. stellt der experimentelle Psychologe Hecht (2003) die in- Jäger in den Hintergrund zu rücken hat, wiewohl sie auch u Bilder als durch historisch-kulturelle Kontexte determi- In rezeptiver und reflexiver Hinsicht ist die ästhetische Entwick- teressante, aber nicht unproblematische Behauptung auf, dort nicht ganz verschwinden darf: die Einbildungskraft. niert wahrnehmen, erleben, verstehen und deuten kön- lung weit besser untersucht als hinsichtlich ihrer produktiven wonach Bildkompetenz – was immer dann spezifischer da- So kann bilanzierend vielleicht gesagt werden, dass, wie nen. Komponente. Neben wichtigen Vorarbeiten von James Bald- runter verstanden wird – in dem Maße wichtig(er) werde, auch immer Bildkompetenz konkret gefasst wird, sie als eine u Bilder als subjektiv-biografisch bedingt wahrnehmen, er- win und Jean Piaget gab es seit den 60er Jahren immer wieder 5 Vgl. Rolf Niehoff, in welchem die Ähnlichkeit zwischen Abbild und Realität kulturelle Kompetenz zu verstehen sei. Doch visuelle Kom- leben, verstehen und deuten können. Forschungsbemühungen, die Entwicklung des ästhetischen Kunstportal, Schroe- abnimmt: „Perfekte Ähnlichkeit wäre dann gegeben, wenn petenz ist nicht mit der Bildkompetenz gleichzusetzen, son- u Bilder als spezifische Zeichensysteme von anderen spezi- Urteils vom Kindesalter zum Erwachsenenalter am Beispiel der del-Verlag. Ebenso: es uns gelänge, ein Bild zu erzeugen, das die Netzhaut des dern im elementaren Sinne Voraussetzung der letzteren. Die fischen Zeichensystemen, z.B. der Wortsprache, diffe- Bildbetrachtung zu verstehen. Interessante Versuche stammen Arbeitsgruppe Beobachters in exakt gleicher Weise reizt, wie es die Bildvor- visuelle Kompetenz kann jedoch in spezifischen Bereichen renzieren können. aus der strukturgenetischen Perspektive, d.h. von Autorinnen Bildungsstandards HV lage tut. Oder anders gesagt, wenn es keinen wahrnehmba- der sozialen und professionellen Praxis sehr differenziert und u Unterschiedliche Bildsorten differenzieren und in Wech- und Autoren, die sich in der einen oder anderen Weise der 2005 Saarbrücken, für ren Unterschied zwischen Abbild und Realität gibt, d.h. deren gesteigert werden. Gemeinsam hat sie mit der Bildkompe- selbeziehungen bringen können. Theorie der diskontinuierlichen Entwicklung sensu Jean Piaget den Kunstunterricht. Ähnlichkeit perfekt ist, hat unsere Bildkompetenz die normale tenz in höher entwickelten Formen die zunehmend starke u Unterschiedliche Bildmedien differenzieren und in Wech- verpflichtet sahen und z.T. immer noch sehen. 6 Z.B. Machotka, Cof- Handlungskompetenz erreicht“ (S. 159). Bildkompetenz aber Abhängigkeit zu diversen Wissenstypen (Tatsachenwissen, selbeziehungen bringen können.5 Ein interessantes Modell der ästhetischen Entwicklung fey, Clayton, Brunner ist nur dann wirklich interessant, wenn es um das Bild als Verfügungswissen, vielleicht auch Orientierungswissen). Die hat Michael Parsons in How we understand art (1987) vorge- oder Housen. Bild und nicht bloß als Abbild der Realität zu betrachten ist. Bildkompetenz ist dagegen als eine spezifische Form der äs- Mit der Angabe solcher „Standards“ wird suggeriert, man schlagen. Es handelt sich um das Resultat von Befragungen, Wir haben hier einen Versuch vor uns, Kultur naturalistisch zu thetischen Urteilskompetenz zu verstehen. Aus diesem Grund wüsste genau, worum es geht, wenn von Bildkompetenz die Parsons in den 70er und 80er Jahren mit insgesamt über verstehen und reduzieren. Das ist heute leider sehr verbreitet wird das ästhetische Urteil vorwiegend hinsichtlich Produkti- die Rede ist. Wenn hier etwas penetrant immer wieder von 300 Probandinnen und Probanden durchgeführt hat, deren Al- und fand auch Eingang in kunstpädagogischen Überlegungen on, Rezeption und Reflexion der bildenden Künste themati- „wahrnehmen, erleben, verstehen und deuten“ die Rede ist, ter zwischen vier und rund 50 Jahren variierte und die jeweils und Diskussionen. Von der Abbildtheorie ausgehend erscheint siert, wiewohl es darauf natürlich nicht beschränkt ist3. dann doch zu Recht, da sich Bilder weder über Texte noch über zwischen fünf oder sechs Bilder zu beurteilen hatten (S. 18). die vor allem noch strategisch beschworene Gefährlichkeit Definitionen wirklich erschließen lassen (vgl. Bering 2006). Mit Die Rekrutierung der Probanden erfolgte informell, neben Kin- 3 Im Bereich der bilden- der Bilderflut eher unproblematisch. Denn es ist ein wenig Modelle der Entwicklung von Bildkompetenz4 der Angabe solcher Standards oder Teilkompetenzen wissen dern, Jugendlichen, Studierenden wurden auch ein paar we- den Kunst und allge- überzeugendes Argument zu behaupten, die Bildkompetenz Es gibt interessante Versuche der Ausdifferenzierung des wir allerdings nicht, ob und wie sie von Kindern und Jugendli- nige Professoren der Kunstgeschichte und -theorie befragt. mein der ästhetischen sei deswegen immer wichtiger, weil es immer mehr Bilder Konstruktes der Bildkompetenz. Die Bildkompetenz ist chen, aber auch Erwachsenen angeeignet werden. Wir wissen Die Interviews bezogen sich auf acht mehr oder weniger Erfahrung kommt gäbe, und schließlich würden ja wir von Bildern regelrecht deshalb als „Konstrukt“ zu bezeichnen, weil sie nicht be- damit nichts über die Entwicklung des ästhetischen Urteils. Ist bekannte Gemälde von Picasso, Goya, Renoir, Albright, Klee, die Begrenztheit der überflutet und zugedeckt und könnten ohne entsprechende obachtbar ist. Aus bestimmten Daten, z.B. Äußerungen zu anzunehmen, Erwachsen hätten die genannten Fähigkeiten in Chagall und Bellows. Die Proband/innen wurden aufgefordert, gesprochenen und ge- Kompetenz kaum mehr ein normales oder autonomes Leben Wahrnehmungsakten oder Produktionen mit gestalterischem der Regel erworben? Nach unserem Wissen scheint alles da- die Gemälde zu beschreiben, zu beurteilen, ob es sich um schriebenen Sprache (was vielleicht Gegensätze sind) führen etc. Material etc., schließen wir vielmehr auf die Kompetenz und gegen zu sprechen! Zum Beispiel fallen schon Abigail Housens einen „guten“ Gegenstand für ein Bild handle, welche Gefühle zum Ausdruck. Der Gegen solche Dramaturgie scheint es sinnvoll, Bildkom- deren Qualität. Forschungstechnisch gesprochen müssen Beobachtungen von erwachsenen Museumsbesuchern ganz man mit dem Bild verbinde und welche Gefühle dargestellt Bereich des Wissens petenz von visueller Kompetenz mehr oder weniger strikt zu Konstrukte wie die Bildkompetenz „operationalisiert“ wer- gegenteilig aus (vgl. DeSantis & Housen 1996/2007, S. 15)! würden, wie Farbe und Form gefallen und schlicht, ob sie ist größer als jener trennen, wenigstens im analytischen Sinne. Ein Jäger, auch den, d.h. meistens untergliedert werden in Teilkompetenzen, Und es handelt sich hierbei immerhin um Personen, die ein Mu- glauben, dass es sich um ein Meisterwerk handle (Parsons der Sprache. Das stille wenn er ästhetisch interessiert und gebildet ist, benötigt vor die auf quantitative oder qualitative Weise empirisch erfasst seum überhaupt betreten. Im Unterschied etwa zur kognitiven a.a.O., S. 19). Ganz nach der exhaustiven Methode sollten und nicht artikulierte allem visuelle Kompetenz, genau gleich wie ein Chamäleon werden können. Im Bereich der ästhetischen Entwicklung Entwicklung und selbst vielen Bereichen der sozialen Entwick- die Befragten ihre Urteile so lange begründen, bis sie keine bzw. nicht artikulier- sie benötigt, um ein Insekt zu erbeuten, aber als Jäger be- bzw. der Entwicklung des ästhetischen Urteils gibt es keine lung scheint die Entwicklung des ästhetischen Urteils nach neuen Gründe mehr entwickeln konnten. bare Wissen – tacit nötigt er kaum Bildkompetenz im Sinne einer ästhetischen psychometrischen Skalen und wenn es sie gäbe, so wären bisherigem Untersuchungswissen insgesamt eher bescheiden Wie andere Forscher/innen der kognitiv-ästhetischen Ent- knowledge – ist im Urteilskompetenz. Eine Radiologin wird nicht deshalb so gut sie mit Vorsicht zu genießen und würden wohl von den meis- ausgeprägt zu sein. Ein hoher ästhetischer Entwicklungsstand wicklung6 behauptete Parsons aufgrund seiner Befragungen ästhetischen Urteil auf bezahlt, weil sie originelle ästhetische Urteile liefert, sondern ten ästhetisch interessierten Menschen nur mit Abscheu zur ist ja auch nicht nötig, denn die binären Codes von „schön/ und ganz dem strukturgenetischen Paradigma verpflichtet, eigentümliche Weise weil sie das von ästhetischen Motiven möglichst unbelastete Kenntnis genommen. Das ist normal. hässlich“, „gefällt mir/gefällt mir nicht“, oder von „schmeckt dass sich die Entwicklung der ästhetischen Kompetenz – zu- anwesend, wiewohl Abbild des körperlichen Zustandes eines Patienten möglichst Es gibt nun aber zahlreiche Vorschläge, Bildkompetenz mit gut/schmeckt nicht“ sind schnell zu erwerben und der Einzelne mindest was die Betrachtung und Beurteilung von Kunstge- es eben, wie das so zu lesen hat, dass eine valide Diagnose gestellt werden Hilfe der Angabe von scheinbar konkreten Teilkompetenzen kommt mit einfachen Urteilsstrukturen meist sehr gut durchs mälden betrifft – am besten stufenmäßig beschreiben lasse. praktische Wissen kann. Hier geht es um die spezifische und spezialisierte, mög- näher zu bestimmen. Diese Bestimmungen wirken so plausi- Leben; d.h. der individuelle Nutzen, in ästhetisch relevanten Stufenmodelle sind leicht kritisierbar, weil mit ihnen in der analytisch kaum lichst auf Tatsachenwissen beruhende Aneignung von visu- bel wie auch willkürlich und teilweise penibel und ärgerlich. Fragen extrem gut informiert zu sein und differenziert urteilen Regel starke Behauptungen einhergehen, mit denen man sich fassbar ist. eller Kompetenz. Dies ist bei der Modedesignerin und beim Beispielsweise (und das ist fast noch das überzeugendste zu können, ist für die meisten Menschen gering (und die Funk- fast immer eine große Anzahl von forschungsempirischen Pro- 4 Vgl. zu diesem Ab- Ausstellungskurator gewiss weniger der Fall, wiewohl auch Beispiel, das uns bekannt ist) kann Bildkompetenz verstan- tionalität sozialer Distinktion durch „volksfeindliches“ bzw. un- blemen einhandelt. Zu diesen starken Behauptungen gehört die schnitt Reichenbach & sie mitunter auf Wissenstypen rekurrieren mögen, die weder den werden als: verständliches Vokabular ist ja vielerorts eher als ambivalent zu Idee der Voraussagbarkeit und Gerichtetheit der Entwicklung. Maiello (2009) dem Jäger noch der Radiologin fremd sind. Die Modedesi- u Bilder als (spezifisch) gestaltete Phänomene wahr- bezeichnen). Mit anderen Worten, während die ersten Schritte Manche Autoren reden sogar – wohl allzu optimistisch – von gnerin und der Ausstellungskurator benötigen aber deshalb nehmen, erleben, verstehen, analysieren, herstellen kön- oder Stufen der ästhetischen Entwicklung schnell erreicht sein einer „Logik“ der Entwicklung. Das Stufenmodell, welches Par- erheblich mehr Bildkompetenz, weil die „Bilder“, mit denen nen. mögen, harzt es dann plötzlich ganz deutlich … sons vorschlägt, lässt sich mit Tabelle 1 kommentieren.

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Stages of aesthetic development nach Michael J. Parsons (1987) um einen theoretischen Rahmen dafür anzugeben, wie sich Bildern, das Geschlecht der beurteilenden Person eine Rolle Entwicklung denken lässt. Es gibt nämlich keine Stufen der zu spielen scheint. So fühlen sich Frauen der Gruppe der Be- Tabelle 1 Stages / Topics Subject matter Expression Medium, form, style Judgment ästhetischen Entwicklung, jedenfalls nicht in den Köpfen der fragten in unserer Untersuchung beispielsweise stärker vom 1. Favoritism Versuchspersonen, sondern bloß in kognitiv-psychologisch Werk von Renoir und Männer stärker von den Werken von imprägnierten Köpfen der Forscherinnen und Forscher, d.h. in Picasso und Bellows angesprochen. 2. Beauty and Realism XX X X X deren Rekonstruktionsversuchen. Unsere erste exploratorische Analyse liefert einige interes- 3. Expressiveness X XX X X Und als solche hatten auch wir vor Jahren begonnen, sante Erkenntnisse hinsichtlich der Entwicklung des ästheti- 4. Style and Form X XX X uns dem prekären Unterfangen der Konstruktvalidierung der schen Urteils, indem sie einerseits einige Thesen von Parsons ästhetischen Entwicklung sensu Parsons auf empirischem zu bestätigen scheint, andererseits Fragen nach der Rolle des 5. Autonomy XX Wege zu widmen. Inhalts von Bildern sowie des Geschlechts des Betrachters für die Qualität des ästhetischen Urteils aufwirft. Typische Aussagen für die Stufe des „Favoritism“ sind telling when judgments reflect only idiosyncratic aspects of Die empirische Erforschung Analysiert man nun die Äußerungen und Kommenta- nach Parsons beispielsweise: „It’s my favorite color!“ oder ourself and when some universal aspects that we share with von Bildkompetenz re zu den Bildern, so lassen sich freilich große Differenzen „I like it because of the dog. We’ve got a dog and its name is others“ (S. 121). Diese Umschreibung erinnert an die „sub- Im Rahmen einer exploratorischen Untersuchung haben wir hinsichtlich der Differenziertheit und Distanzierungsfähigkeit Toby“ oder „I don’t believe in bad paintings. They’re all most- jektive Allgemeingültigkeit“, in welcher Kant das Wesen des 74 Studierende der Universität Basel (57 weiblich, 17 männ- der Urteile und Urteilenden feststellen. Wenn eine Person ly good“ (Parsons a.a.O., S. 22). Illustrative Beispiele für die ästhetischen Urteils sieht. lich) im Alter von durchschnittlich 24 Jahren (SD=6.02) zu dem Bild von Klee äußert: „Die Formenvielfalt und Asym- Stufe „Beauty and Realism“: „It’s gross! It’s really ugly!“ oder Die wenigen hier genannten Beispiele – an denen selber mittels eines Onlineinstrumentariums nach Urteilen hinsicht- metrie sprechen mich nicht an, aber zwingen mich, das Bild „You can see how carefully he’s done it. It’s really good!“ freilich keine Stufe auf valide Weise diagnostiziert werden lich der Eigenschaften von sieben der acht oben genannten zu betrachten“, (VP 158), so kommt ein reflexives Moment oder „It looks like the real thing“, aber auch „It’s really just kann – zeigen aber auch, wie wissensabhängig gerade die Werke befragt, die schon Michael Parsons in seinen Inter- zum Ausdruck, das anderen Personen wenigstens für diese scribbling. My little brother could do that“ (ebd.). Nach Abi- oberen Stufen zu sein scheinen. Während angenommen view-Studien benutzt hat7. Befragung völlig zu fehlen scheint. Es zeigte sich, dass die 7 Diese Explorations- gail Housen sind die meisten spontanen Reaktionen auch von werden kann, dass eine mehr oder weniger natürliche Ent- Die Faktorenanalyse der Urteile ergab Ähnlichkeiten (in Qualität und Differenziertheit der Aussagen der Versuchsper- studie wurde 2009 an Erwachsenen, wenn sie Gemälde im Museum betrachten, wicklungslogik in den ersten Stufen aus den diversen Daten gleiche Richtung gehende Antworten) bei der Beurteilung sonen über die Bilder hinweg mehrheitlich konsistent sind. der Universität Basel wie schon erwähnt, von dieser Art. rekonstruierbar ist, sind die höheren Stufen der ästhetischen der Werke von Bellows und Klee. Die Werke von Albright und Auch scheint es möglich zu sein, die Aussagen im Lichte von durchgeführt (Carmine Ankerbeispiele für die Stufe „Expressiveness“ gehen in Entwicklung in Abhängigkeit mit formaler Bildung und der Renoir sowie die Werke von Chagall und Goya wurden hin- Stufenmodellen sensu Parsons zu rekonstruieren und zu grup- Maiello & Roland folgende Richtung: „That really grabs me!“ Oder: „You can fokussierten Beschäftigung mit Kunst zu sehen. Während gegen in gegensätzlicher Richtung beurteilt. Die Ergebnisse pieren. Reichenbach, bisher see the artist felt really sorry for her“. Oder: „We all have a Feldman behaupten kann, dass „the domain of aesthetic legen nahe, dass die untersuchten Werke von Albright und Relativ differenziert urteilenden Personen gelingt es, eine unveröffentlicht). different experience of it. There’s no point in talking about judgment and reasoning does seem to conform quite well Renoir und die untersuchten Werke von Chagall und Goya als Distanz zur eigenen Affiziertheit einerseits und zum Objekt good or bad. It’s all in the individual“ (S. 23). Beispiele für to theoretical prediction about developmental levels and gegensätzlich rezipiert werden. Die untersuchten Werke von andererseits zu schaffen und sich nicht vom blossen Gefallen die vierte Stufe, „Style and Form“, sind etwa: „See the grief sequences, leading us to conclude that further research in Bellows und Klee scheinen hingegen als weitgehend gleich- oder Missfallen im Urteilsprozess leiten zu lassen. So meint in the tension in the lines, the pulling on the handkerchief“, this domain is justified“ (Feldmann 1994, S. 132, zit. nach förmig beurteilt und wahrgenommen zu werden. Es stellt sich eine Versuchsperson zu Picassos Weinender Frau: „Dadurch, oder: „There’s a quirky humour in the face. It’s basically fron- Chen a.a.O., S. 18), muss – etwas spezifischer – Mockros natürlich die Frage nach den Gründen für das unterschied- dass alles so verdreht ist und die Frau grün ist, finde ich das tal, but the eyes are done in a Cubist style“, oder auch: „He’s zugestimmt werden, wenn sie festhält: „...the higher level of liche Bewertungsverhalten. Erste Auswertungen der miter- Bild ein bisschen schreckhaft und ekelhaft. […] Mich fas- playing with the eyes. They’re more like cups or boats, it’s nonuniversal developmental domains cannot be achieved wi- hobenen qualitativen Aussagen der Befragten deuten darauf ziniert, wie es gezeichnet ist. […] es ist keine Perspektive a visual metaphor“ (S: 24) Schließlich die Stufe der „Auto- thout specific deliberate instruction“ (Mockros 1989, S, 71, hin, dass die Grundlage der Urteile im dargestellten Inhalt, erkennbar und alles wirkt verdreht. […] Im Bild ist viel Gefühl nomy“: „In the end the style is too loose, self-indulgent. I zit. nach Chen a.a.O., S. 18). d.h. im Motiv der Bilder liegt. Dies deutet, um es mit Parsons enthalten.“ (VP 189). Die gleiche Person äussert sich über don’t like that, I want more self control“. Oder: „I go back and Im Unterschied zu anderen Bereichen scheint der Bereich zu sagen, auf relativ basale Formen der ästhetischen Urteils- Albright: „Mir gefällt die Art der Darstellung einfach nicht. forth on this. I used to think it too rhetorical, now I vibrate der ästhetischen Entwicklung also stärker umwelt- und kon- kompetenz hin (Stufe 1 bis 2). Die Farben sind mir zu dunkel, aber den Gegenstand finde ich to it again“ (S. 25). Michael Parsons schreibt zur höchsten textsensitiv zu sein. Die Idee der möglicherweise universell Auch weitere Ergebnisse unterstützen die Thesen von eigentlich gut, weil es irgendwie etwas von Vergänglichkeit Stufe der ästhetischen Entwicklung: „The nature of judg- bzw. kontextübergreifend verstandenen Gerichtetheit der Parsons, da sie deutlich in die Richtung interpretiert werden hat. […] Mir gefällt die Frau, sie ist alt, hat aber doch irgend- ment becomes clearer at the last stage. It dominates stage Entwicklung muss nicht aufgegeben werden, wenn mit Feld- müssen, wonach das Alter (der jungen Erwachsenen) kaum wie einen Schimmer an sich.“. Wieder eine andere Befragte five in the same way we have seen the subject dominate man gleichzeitig festgehalten wird, „art is inherently not a eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Werke meint zum gleichen Bild: „Das Bild an sich wirkt sehr unäs- stage two, expression stage three, and the medium stage universal activity“ (1983, S. 19). Die Umweltabhängigkeit der spielt. Vorkenntnisse im Bereich der Kunst und Anzahl der thetisch, es bekommt aber Brisanz durch das Kaputte oder four. Judgment occurs at all stages, but it becomes a topic Entwicklung des ästhetischen Urteils bezöge sich so nicht auf Semester sowie die Häufigkeit des Besuchs von Museen und Verletzte, durch die düstere Farbwahl.“ (211). of self-conscious concern at stage five because responses ihre Richtung oder behauptete Invarianz der Stufenabfolge als Ausstellungen scheinen hingegen in einem bedeutsamen Zu- Beispiele für wenig differenzierte Kommentare sind sehr to particular paintings are colored by an awareness of the vielmehr auf die Bedingungen der Ermöglichung von Entwick- sammenhang mit den Urteilen zu stehen. Dies weist auf die häufig in unserem Datenmaterial (das übrigens auf freiwilli- precariousness of judgment. Stage five is the ‚postconventi- lung. Um es etwas salopp zu formulieren: Piaget allein reicht Abhängigkeit von einschlägigem Wissen der höheren Urteils- ger Basis zustande gekommen ist) vorzufinden. So mag recht onal‘ stage. We no longer accept judgment on the authority nicht aus, es braucht auch Vygotsky! Aber freilich hilft auch stufen hin. stereotyp und dichotom geurteilt werden: entweder ein Bild of the tradition but reexamine them for ourself. This confronts die Verbindung von Piaget und Vygotsky allein nicht im Ge- Die Ergebnisse deuten aber auch darauf hin, dass, zumin- gefällt oder es wird abgelehnt. Zur Illustration drei Äusserun- us directly with the difficulties of judging objectively: i.e., of ringsten, ästhetische Entwicklung zu verstehen, sondern nur dest auf der Ebene des Gefühls der Betroffenheit gegenüber gen der gleichen Person, die zu Albright meint: „Mir gefällt

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gar nichts an diesem Bild. […] Es ist schreckhaft. […] Zu riculare Rahmenbedingungen (Lehrpläne) und institutionelle stehenden Lern- und Bildungsprozesse zu finden. Eine zu bestehen, sich als fragende Person zu erkennen („Ich weiß dunkel. […] Person ist zu fett.“ Und zu Chagall: „Die Phanta- Rahmenbedingungen. starke Produktorientierung birgt die Gefahr, die pädago- nicht, was ich damit anfangen soll…“) sie, die geniale Komposition, die Farben, einfach genial. […] Schulpädagogisch und öffentlich legitimierte Bestrebun- gisch bedeutsamen Bildungserfahrungen zu übergehen ad 4) Welt- und Wirklichkeitsbezug. Zwar ist es nicht mög- Die Formen sind sehr rund, irreal und schön. Es ist magisch.“ gen sind einer von außen gesetzten realistischen (in mög- oder nicht angemessen sichtbar zu machen. lich, mit pädagogischen „Techniken“ persönliche Bedeutsam- Zu Klee: „Mir gefällt davon nichts, es ist nichts, es ist krank. lichst jeder Hinsicht „planbaren“) Herstellungs- und Umset- keit herzustellen oder auch nur Interesse hervorzubringen, […] Man muss so empfinden, um so was zu malen.“ (101). zungslogik („Vermittlungswissen“) unterworfen. Über Ziele ad 2) Gegenstandsorientierung und Subjektorientierung be- aber die Relevanz der Auswahl der Thematik liegt im Bezug Oder der dargestellte Gegenstand ist das entscheidende und Mittel der Zielerreichung sollte Klarheit herrschen. Das dingen sich wechselseitig. Den Ausgangspunkt in der Kultur- zur Wirklichkeit der Kinder und Jugendlichen, die am Projekt Urteilskriterium. Zu Bellows: „Die abgebildete Sportart und Wesen des weitgehend selbst bestimmten Schaffens im vermittlung bildet immer der Gegenstand. Der Gegenstand ist beteiligt sind (das schließt Thematiken etwa der abstrakten deren Auswirkungen interessieren mich nicht. […] Boxen ist Kunst- und Kulturbereich ist aber stark von offenen Prozes- an kulturellen und ästhetischen Kriterien zu bemessen und zu Kunst oder die antike Tragödie keineswegs aus). Der Wirk- unmenschlich“. Zu Goya: „Gewalt, Krieg sprechen mich nicht sen, gewissen Risiken und Unsicherheiten – also vom Ver- befragen, welche Thema der konstruktiven Auseinanderset- lichkeitsbezug (was hat dies mit mir, uns, dem Leben, dem an. […] Bilder, die Elend, Gewalt etc. darstellen, betrachte suchscharakter – geprägt. Dies erfordert Risikobereitschaft zung im Projektprozess sind, sein müssen. Das trifft auch für Leben mit den Anderen etc. zu tun?) ist im Tun selbst, in der ich persönlich nicht sehr gerne.“ Zu Renoir: „Es wird eine sehr („es kann scheitern“) und Fähigkeiten des Umgangs mit Am- kleinere, weniger aufwändige, aber nichtsdestotrotz ebenso Art der gemeinsamen Reflexion, der konkreten Interpretation nachvollziehbare Szene dargestellt, da man solche Situatio- bivalenz und Ambiguität. bedeutsame Projekte (z.B. Theaterbesuch) zu. immer wieder zu befragen. Wirklichkeitsbezug ist nicht eine nen selber kennt, kann man sich gut hineinversetzen. […] Daraus – in der Vermittlung dieser Logiken und der damit Subjektorientierung heißt, dass die am Kulturvermittlungs- Festlegung, sondern eine soziale Praxis des Fragens und der Jeder kennt solche Situationen und fällt schnell in eigene verbundenen und je zu erwartenden Spannungen – besteht projekt beteiligten Personen sich selbst zur Projektthematik Deutung. Gedanken.“ (ebd.). die Hintergrundfolie, vor welcher die Herausforderung von in ein – so weit wie möglich – reflektiertes Verhältnis zu Diese exemplarische Darstellung sei hier abgebrochen. Wir Kunstpädagogik und Kulturvermittlung zu sehen sind. Kultur- setzen lernen. Dies ist nicht möglich, wenn die Artikulation glauben, dass solche Studien helfen können und auch nötig vermittlungsprojekte sind durch beide Logiken und die Span- nicht als eine gemeinsame Aufgabe verstanden wird. Die Literatur sind, um die Entwicklung der ästhetischen Urteilskompetenz nung zwischen diesen bestimmt. Es ist entscheidend, dass (wie auch immer angemessene) Diskursivität ermöglicht es Bourdieu, P. (1988). Die feinen Unterschiede. Zur Kritik der gesell- besser zu verstehen. Im Grunde wäre solches Wissen not- die beteiligten Personen diese Spannung nicht zu umgehen erst, meinen Empfindungen, Meinungen und Einstellungen schaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. wendig, um eine entwicklungsorientierte Kunstpädagogik zu versuchen, sondern sie – auf angemessene Weise – mit zum eine Sichtbarkeit zu geben und sie mit den Anderen abzu- Bruner, J.S. (1974). Der Prozess der Erziehung. Berlin: Berlin Verlag, stärken, die auch bildungstheoretisch gestützt werden kann. Thema zu machen. gleichen. Subjektorientierung kann nur im intersubjektiven 4. Aufl. (Original 1960). Eine pädagogisch reflektierte und bildungstheoretisch be- Setting für den Einzelnen selbst eine reflektierte Qualität Chen, J. C.-H. (1997). An Examination of Theories of Aesthetic 8 Projekt „Qualitätskri- Aus einer normativen Perspektive: gründete Wahl und Umsetzung eines kunstpädagogischen erlangen. Development with Implication for Future Research. Journal of terien der Kulturver- Zwei Logiken kunstpädagogischer Projekts hat sich an den Kriterien der (1) Prozessorientierung, Ein reflektiertes Selbstverhältnis (Bildung) benötigt Inhalte, Taiwan Normal University: Humanities and Social Sciences, 42, mittlung an und für Bemühungen (2) Gegenstandsorientierung und Subjektorientierung, (3) Wissen, Informationen, geteilte Erfahrungen, geteilte Artiku- 13-27. Schulen“ (2014- Im Rahmen einer qualitativen Studie zu Kriterien von Kultur- Deutungsoffenheit und (4) Welt- und Wirklichkeitsbezug zu lationen, kurz: Bildungsarbeit, und kann sich nicht im bloß DeSantis, K. & Housen, A. (2007). A Brief Guide to Development 2015), initiiert und vermittlungsprojekten an Schulen8 haben wir ein Thesenpa- messen. Subjektiven („meine Meinung“) erschöpfen. Bescheidener Theory and Aesthetic Development. http://www.nysaae.org/A finanziert von der EDK pier formuliert, in welchem die Spannung zwischen Kunst ad 1) Prozessorientierung heißt freilich, dass Prozesse im kann von Selbstsituierung gesprochen werden: Was bedeu- Brief Guide to Development Theory and Aesthetic Development (der Schweizerischen und Pädagogik auf mehr oder weniger produktive Weise the- Mittelpunkt von Kulturvermittlung und Kunstpädagogik ste- tet das für mich? by Karin DeSantis and Abigail Housen.pdf Konferenz der kanto- matisiert wird. Wie kunstpädagogische Projekte sind die an hen. So haben sich Vermittlungsprozesse an der Differenz ad 3) Deutungsoffenheit. Mit den schon genannten Kri- Dewey, J. (1998). Kunst als Erfahrung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp nalen Erziehungsdirek- Kulturvermittlungsprojekten beteiligten Personen in vielfälti- von vermittelbar und nicht vermittelbar zu messen. Was soll terien verbunden ist das Kriterium der Deutungsoffenheit (Original 1934). toren), durchgeführt ge Prozesse involviert, namentlich (1) Initiationsprozesse, (2) und kann unter den gegebenen Rahmenbedingungen, der zentral. Die objektive bzw. objektivierte Seite des Kulturver- Elkins, J. (2007). Introduction. The Concept of Visual Literacy, and its in Zusammenarbeit Auswahlprozesse, (3) Planungsprozesse, (4) Umsetzungs- konkreten Situation, den gegebenen Mitteln, den beteiligen mittlungsprojekts (z.B. Thematik Heimat von Secondos) darf Limitations. In: James Elkins (Hrsg.). Visual Literacy. New York: zwischen dem prozesse („Umsetzungsdidaktik“), (5) Vermittlungsprozesse Personen (Entwicklungsstand, Wissensstand, Motivation nicht durch Prozesse der Psychologisierung, Pädagogisierung Routledge, S. 1-9. Verband KVS (Kult- (im engeren Sinn), (6) Lernprozesse / Bildungsprozesse, (7) etc.) vermittelt werden? Was lässt sich nicht vermitteln? und Moralisierung „vereindeutigt“ werden. Nicht die Doktrin, Hecht, H. (2003). Bildkompetenz als Wahrnehmungskompetenz am vermittlung Schweiz) Artikulationsprozesse und (8) Evaluationsprozesse (Wirkun- Im Zentrum stehen die Lern- und Bildungsprozesse bei allen sondern die Frage steht im Mittelpunkt. Ziel kann nur sein, Beispiel virtueller Räume. In K. Sachs-Hombach (Hrsg.), Was ist und dem IfE (Institut gen), und sie sind dabei in der Regel „ergebnis-“ bzw. „pro- Beteiligten (nicht nur den Schüler/innen): Während die Qua- Antworten auf eine Frage zu kennen und zu reflektieren und Bildkompetenz? Interdisziplinäre Studien zur Bildwissenschaft. für Erziehungswissen- duktorientiert“, d.h. versuchen, pädagogisch wünschenswer- lität des Produkts natürlich von herausragender, ja primärer meinen Standort zu diesen Antworten zu artikulieren. Es kann Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag, S. 157-175. schaft der Universität te Ziele zu erreichen. Die Qualitätskriterien solcher Bemühun- Bedeutung ist, interessiert insbesondere aus pädagogischer nicht Ziel sein, eine bestimmte Antwort geben zu müssen. Höffe, O. (1983). Immanuel Kant. München: Beck. Zürich). Beteiligte gen betreffen die (1) involvierten Personen (Kulturschaffende, Sicht ebenso der Lern- und Bildungsinhalt, d.h. der Weg zum Bildungsziel ist die Kenntnis (Sensibilität, Sprache) eines Housen, A. (1996). Studies on aesthetic development. Minneapolis: Personen (alphabe- Kulturvermittler und Pädagoginnen und Pädagogen) und ihre Ziel und darüber hinaus. Dies erfordert: Deutungshorizontes (mag er noch so kindlich artikuliert wer- American Association of Museums Sourcebook. tisch): Dagmar Kopse Kommunikation und Interaktion, (2) die vielfältigen Prozesse u Sensibilität und Interesse an Bildungsprozessen (von Kin- den). Ein hohes Bildungsziel ist zu lernen, dass es verschie- Housen, A. (2001-2002). Aesthetic Thought, Critical Thinking and (KVS), Anna Park (IfE), des Kulturvermittlungsprojekts sowie deren (3) Wirkungen. dern und Jugendlichen) bei den Kulturschaffenden und dene Deutungshorizonte gibt, die nicht immer zusammenfal- Transfer. In: Arts and Learning Research Journal, 18 (1), 2001- Christoph Reiche- Freilich gehören zu den Kriterien der Kunstpädagogik und u Sensibilität und Interesse der Pädagoginnen und Pädago- len oder verschmelzen können und dass meine Perspektive 2002. nau (KVS), Roland Kulturvermittlung auch (4) formale Rahmenbedingungen gen für Fragen der Kultur und Kunst (meine Art, die Frage zu beantworten) nur eine unter anderen Joas, H. (2012). Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Reichenbach (IfE), (Ermöglichungs- bzw. Gelingensbedingungen), insbesondere u Beide, die beteiligten Kulturschaffenden und die Päda- möglichen Perspektiven darstellt. Subjektorientierung heißt, Menschenrechte. Frank-furt a.M.: Suhrkamp. Franziska Schmidt finanzielle Rahmenbedingungen, zeitökonomische Rahmen- goginnen und Pädagogen haben sich zu bemühen, eine sich als deutendes Wesen zu verstehen oder zu erkennen. Kant, I. (1991). Kritik der Urteilskraft. Stuttgart: Reclam (Original (IfE). bedingungen, rechtliche Rahmenbedingungen, schulisch-cur- angemessene Sprache / Artikulation für die im Zentrum Deuten heißt, verstehen wollen. Dies mag „allein“ darin 1790).

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Mikos, L. (1999). Visuelle Kompetenz und Bilderfahrungen als Ele- Reckwitz, A. (2012). Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess ge- Marc Vermeulen ment der Sozialisation. In: Medienimpulse. Beiträge zur Medien- sellschaftlicher Ästheti-sierung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. pädagogik. 7. Jg., H. 27, S. 13-18. Reichenbach, R. & Maiello, C. (2009). Bildkompetenz und die Ent- Park, A. & Reichenbach, R. (2012). Zusammenfassender Schluss- wicklung des ästhetischen Urteils. Referat an der Tagung «Das Lehrer, Kunst, Bildung + public value bericht zum Teilprojekt „Bildkompetenz“ im Rahmen des Projek- Bild und die Bildung». Universität Basel, 27. März 2009. Künstlerische Ausbildung und public value1 tes und strategischen Initiative „Shaping the Future – Das Bild Reichenbach, R. & van der Meulen, N. (2010). Einleitend zum The- als Generator von Innovation“ http://www.ife.uzh.ch/research/ menteil: Ästhetisches Urteil und Bildkompetenz. Zeitschrift für ae/forschung/Zusammenfassender_Schlussbericht_zum_Teil- Pädagogik, 56(6), 795-805. projekt.pdf Sachs-Hombach, K. (2003) (Hrsg.). Was ist Bildkompetenz? Inter- Parsons, M. J. (1987). How We Understand Art. A Cognitive De- disziplinäre Studien zur Bildwissenschaft. Wiesbaden. Deutscher In meinem Text geht es um die Analyse des gesell- Das erste stammt von dem amerikanischen Politologen velopmental Account of Aesthetic Experience. Cambridge: Cam- Universitätsverlag. schaftlichen bzw. politischen Kontextes, in dem sich Marc Moore (1996) aus Harvard. Er hat den Begriff des pu- bridge University Press. Touraine, A. (1997). Pourrons-nous vivre ensemble? Egaux et dif- künstlerische Bildung entwickeln kann. So etwas blic value analysiert (Moore, 1995). Moore definiert dabei Piaget, J. (1981). Das Weltbild des Kindes. Stuttgart: Klett-Cotta férents? Prais: Fayard. mache ich im wesentlichen auch an der Business drei entscheidende Perspektiven. Wenn wir über public value 1 Transkript des Vor- (Original 1926) Zembylas, T. (2005). Visuelle Kompetenz – zur Forschung von School2, an der ich als Strategieanalytiker unter- reden, dann sprechen wir zunächst von Werten. Werte sind trages Julia Jordan, Posner, R. (2003). Ebenen der Bildkompetenz. In K. Sachs-Hombach Könnerschaft und Kennerschaft im künstlerischen Feld. In K. richte und forsche. „Strategie“ ist ein Verfahren, Sachverhalte, die geschätzt werden, die Leute wichtig fin- Judith Zaunschirm, (Hrsg.), Was ist Bildkompetenz? Interdisziplinäre Studien zur Bild- Kókai (Hrsg.), Visual Culture. Budapest: Museum Ludwig, S. bei dem man versucht, die Umgebung zu lesen, um den und die Emotionen auslösen. Es ist nicht trivial, wenn wir Bearbeitung Franz wissenschaft. Wiesbaden. Deutscher Universitätsverlag, S. 17-34. 137-157. Räume für das zu finden, was man glaubt, dass hier über Bildung oder Kunst sprechen. Beide sprechen Leute Billmayer wichtig oder gut ist. Das werde ich in diesem Text emotional an. Andererseits meint das zweite Wort public, 2 Marc Vermeulen ist versuchen. Ich bin Mitglied des Aufsichtsrats des dass dieser Wert immer öffentlich ist. Es geht also nicht um Professor Strategy, LKCA3, das ist, denke ich, so ähnlich wie der BÖKWE Bildung und Kunst aus primär privatem Interesse. Die Ver- Innovation and Gover- in Österreich, der lbg in der Schweiz oder der BDK in bindung von Öffentlichem und Emotion macht das Sprechen nance in Non-Profits Deutschland. darüber oft schwierig und kompliziert. Genau darum geht es an der TIAS School for Moore. Sobald etwas öffentlich ist, kommt es zu einer politi- Business and Society Dreiecke, immer wieder Dreiecke. Meine ganze Geschichte schen Einengung durch Budgets etc. Die Beschäftigung mit Tilburg, Niederlande. dreht sich um das Dreieck. Was interessiert mich an Drei- public value ist also nicht trivial, im Gegenteil, sie kann ziem- 3 National Centre of ecken? Dreiecke gibt es in meinem Leben schon sehr lange. lich kompliziert werden. Expertise Ich bin in der Nähe einer Kirche geboren und mit ihr aufge- wachsen. Das Dreieck spielt mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist im katholischen Glauben eine zentrale Rolle. Mit dieser Trinität bin ich aufgewachsen. Bei den künst- lerischen Dreiecken mag ich besonders die Form. Ich schaue Abb.1 sie mir gerne an. Mein eigenes künstlerisches Arbeiten ist nie über das Dreieck bei Ministeck hinausgegangen. Der Höhe- punkt meiner musikalischen Aktivität war die Triangel. Damit habe ich meine musikalische Laufbahn beendet. Jetzt bin ich mehr mit dem Dreieck der Landvermesser beschäftigt. Mit der Triangulation haben diese herausgefun- den, dass man etwas von drei unterschiedlichen Punkten aus betrachten muss, um Tiefe zu sehen. Seriöse Triangulation bedeutet, von mehreren Seiten auf etwas zu schauen und mehrere Perspektiven zu kombinieren, um eine entsprechen- de analytische Tiefe zu gewinnen. Ich möchte nicht gern im Bermudadreieck sein. Das Nachdenken über das Öffentliche kann zu einer Art Flug über das Bermudadreieck werden. Es gelingt uns oft nicht, das Wesentliche herauszuarbeiten und zu benennen. Anders als beim Bermudadreieck müssen wir Öffentliche Werte werden im Unterricht, in der Kunst, bei uns aber anschauen, was eigentlich im Kern, im Herzen unse- der Polizei etc. geschaffen. Sie generieren öffentliche Werte, rer Arbeit, in der Mitte des Dreiecks passiert. wie Bildung, Sicherheit usw. Bei öffentlichen Werten gibt es Ich werde mit vier Dreiecken arbeiten. drei zentrale Fragen. (Abb.1)

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Die erste Frage ist naheliegend, aber oft schwer zu beant- das in den Schulen? Warum machen wir das unter staatlicher worten. Wann ist etwas gut? Wann sind wir fertig? Wann Aufsicht? Warum lassen wir keine privaten Organisationen haben wir genügend Kunst in einer Gesellschaft? Oder wann zu? In diesem Zusammenhang geht es auch darum, was uns ist etwas schön genug? Was also ist der essentielle Punkt, berechtigt, Leute mehr oder weniger in den Unterricht bzw. auf den wir hinarbeiten? Bildung tendiert zum Beispiel dazu, überhaupt in die Schule zu zwingen. grenzenlos zu sein. Immer wenn wir eine Stufe erreicht ha- Zur dritten Frage sage ich nicht viel. Das ist eher Ihre als ben, ist da schon wieder eine nächste; man ist nie fertig. meine Expertise. Wenn wir wissen, wohin es gehen soll und Die Gesundheit ist ein anderes Beispiel. Wenn eine tödliche dass wir die Befugnis haben, die Leute dorthin zu führen, wie Krankheit erfolgreich bekämpft ist, kommt die nächste. Das machen wir das dann? Wie geht das? Wie soll man das di- Universum, in dem wir arbeiten, wird immer größer; es ist nie daktisch pädagogisch ordnen und formen? fertig. In einer technischen Umgebung ist das anders. Hier Ich werde mich eher auf die Legitimierung konzentrieren. kann man sagen, das Gebäude ist fertig. Jetzt steht es. Aber Timo Meynhardt, ein deutscher Kollege, hat einen Über- bei öffentlichen Werten sind wir eigentlich nie ganz fertig. blick darüber gegeben, wie man öffentliche Wertschöpfung Das ist der erste wichtige Punkt. betrachten kann (Meynhardt, 2008). Dabei arbeitete er auch Als nächstes gilt, was wir da machen, ist immer umstrit- mit den Ansätzen von Moore. Meynhardt unterscheidet bei ten. Eine politische Angelegenheit ist per Definitionem eine der künstlerischen Bildung vier Positionen. umstrittene Sache. Der Wert von Kunst wird unterschiedlich Zunächst definiert er die instrumentell-ökonomische Posi- gesehen. Künstlerische Bildung bzw. Ausbildung kann als ein tion. Künstlerische Bildung ist ökonomisch wichtig, weil sie Recht des Menschen bezeichnet werden. In der internationa- einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leistet. Die Abb.2 len Erklärung der Menschenrechte steht geschrieben, dass zweite Position betrifft mehr den hedonistisch-ästhetischen alle das Recht haben, sich in einer ihnen gemäßen Form Aspekt: Kunst als Ausdruck von Persönlichkeit. Leute sol- auszudrücken. In diesem Sinne ist künstlerische Bildung ein len lernen, eine Form zu finden, sich so auszudrücken, wie allgemeines Menschenrecht. Eine ganz andere Logik ergibt sie sein wollen. Dabei steht das Ich, die Persönlichkeit des sich, wenn man die Kunst von einer ökonomischen Warte aus Schülers, im Zentrum und nicht die Wirtschaft. Der Fokus Die dritte Position belegt der Markt. Man überlässt die werden, das vom Staat mehr oder weniger unabhängig ist. betrachtet. In eine Stadt wie Salzburg kommen viele Leute, liegt auf dem Genuss, auf einem Gefühl vom Schönen und Sache Privatunternehmen. Hier stehen vor allem finanzielle Staatliche Gelder und Absicherung spielen hier eine unterge- weil es hier Kunst und schöne Gebäude gibt und die Stadt Guten. Interessanterweise wird in Amerika Kunst vor al- Gewinne im Vordergrund. In den Niederlanden ist z.B. bei ordnete Rolle. Hier positionieren sich viele Künstler, Politiker für gute Musik berühmt ist. Und dann gibt es die Idee von lem deshalb öffentlich gefördert, weil dort die Auffassung der Musik auffällig, dass Popmusik ein wesentlich kommer- hingegen nicht, damit ist eine gewisse Art Spannung vorpro- einer neuen ökonomischen Entwicklung auf der Grundlage vertreten wird, Kunst leiste einen Beitrag zu einer guten zielleres Unternehmen ist als die klassische Musik. Das ist grammiert. Wenn ein System nicht in der Balance ist und der twentyfirst century skills, wo künstlerische Bildung mit Gesellschaft. Hier tendiert die Wertezuschreibung mehr in interessant: Warum überlassen wir die eine Form mehr dem Personen in unterschiedlichen Positionen in verschiedenen Kreativität assoziiert wird. den ethisch-moralischen Bereich. Die politisch-soziale Sicht Markt, die andere mehr dem Staat und wieder eine andere Paradigmen agieren, kommt es zu Spannungen. Wie auch immer wir brauchen eine Antwort auf die Frage, geht eher davon aus, dass Kunst z.B. in der Arbeiter- oder eher privaten, nicht kommerziellen Initiativen? Dieses Dreieck Schulen und Museen werden von drei Seiten eingekreist wohin es geht. Auf Englisch: If you don’t know where you are Revolutionskunst eine Möglichkeit ist, sich in einer andern wird noch interessanter, wenn wir uns anschauen, wie Leute (McKevitt, 1998). Zum einen geht es hier um public values going to, any road will bring you. Wo geht es hin? Das ist Moo- Form als durch Wählen am politischen Diskurs zu beteiligen. im jeweiligen System funktionieren. und diese haben immer mit einer Form politischer Steuerung res erste Frage. Wir müssen eine Antwort auf die Frage fin- Stalin und Hitler haben in ihrer Kunstpolitik versucht, Kunst Sobald es um staatliche Unternehmen geht, werden Ge- zu tun. Steuergelder und politische Überlegungen spielen den: Was ist die essentielle Logik künstlerischer Ausbildung? und Politik gleichzuschalten. Sie ähnelten sich darin, dass setze wichtig; dann müssen sich Künstler plötzlich als Bü- eine Rolle. Das ist Politik. Dabei geht es auch darum, wie die Nehmen wir an, dass wir da irgendwie eine Antwort finden. sie die Kunst in den politischen Bereich gezogen haben (Go- rokraten an alle Gesetze halten. Das haben im wesentlichen Zuständigkeiten zwischen Bund, Land und Gemeinden auf- Dann sind wir bei der zweiten Frage. Moore verwendet lomstock, 2011). auch Stalin und Hitler versucht: Sie integrierten das künstleri- geteilt sind. In Holland wird das derzeit diskutiert, weil die dafür einen schönen englischen Ausdruck „where did you get Damit komme ich zur nächsten Frage. Wer hat die Produk- sche System in das politische und wollten Kunst bürokratisch Nationalpolitik dezentralisiert und vieles in die Zuständigkeit your licence to operate“. Es geht hier also um die Befugnis. tionslizenz? Wer darf Bildung produzieren? Das kann die Zivil- organisieren, also alles gesetzlich regulieren. Bürokratisierung der Gemeinden übertragen wird. Einige große Städte, wie Warum machen wir öffentliche künstlerische Bildung? Wa- gesellschaft sein, Non-Profit-Stiftungen, geistliche Gruppen erzeugt bürokratisches Verhalten. Es kommt zu Diskussionen Amsterdam oder Rotterdam, bekommen Probleme, weil sie rum überlassen wir das nicht privaten Unternehmen? Warum etc. Ich glaube, hier in Österreich gibt es wie im südlichen mit Künstlern, die es ansonsten gar nicht gäbe. In Holland plötzlich für Einrichtungen wie das Reichsmuseum verant- machen wir das nicht in den Familien, sondern an Schulen? Teil der Niederlande viele Schulen, die von der katholischen gibt es beispielsweise staatliche Orchester, deren Musiker wortlich werden können. Es handelt sich um eine staatliche In Amerika wäre es undenkbar, dass am Sonntagmorgen Kirche getragen werden. Sie sind nicht staatlich. Hier agiert nur innerhalb ihres Arbeitsvertrages in diesem Orchester mu- Einrichtung, die in Amsterdam liegt. Dies zieht die Frage nach Leute aus dem öffentlichen System zusammenkommen, um also auch nicht der Staat. Es sind Gruppen, die aus einer Art sizieren dürfen, in privaten Orchestern gibt es solche Diskus- sich, wer dafür zuständig ist, die National- oder die Lokalbe- über künstlerische Bildung zu sprechen. In Amerika ist das Berufung heraus etwas machen wollen. Die zweite Institution sionen überhaupt nicht. Bei Unternehmen steht der Profit an hörde? In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage: Privatsache, wo sich öffentliche Behörden nicht einmischen. wäre der Staat. Frankreich ist hier ein ganz gutes Beispiel. erster Stelle. Im Kunstmarkt und -unterricht spielt das Geld Welchen Einfluss hat eigentlich Europa? Ich denke, im Be- Es fließen auch keine öffentlichen Gelder. Dort stellen private Der gesamte Unterricht und auch sehr viel von der künstleri- eine tragende Rolle. Ganz anders bei privaten Non-Profit-Or- reich des Künstlerischen ist dieser ziemlich gering. Wir ha- Organisationen, meist Firmen, große Geldsummen zur Ver- schen Bildung wird vom Staat durchgeführt. Auch die Staats- ganisationen: Hier wird aus inneren Motivationen, einer Be- ben momentan keine europäische Kunstpolitik. In der Bildung fügung, um Leute zu unterrichten. Warum also machen wir museen werden stark vom Staat geprägt. rufung heraus agiert. Es soll etwas Neues, Gutes geschaffen hingegen, speziell in der höheren Bildung, sieht das anders

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aus. Welche Einflüsse gibt es zum Beispiel am Mozarteum, „Umgang mit Ungewissheit – rationen in allen Ländergruppen, sieht man eine Zunahme auf auch bspw. Polizisten und Ärzte – im Endeffekt die gesamte welche Rolle spielt österreichische, welche europäische Po- Life is uncertain, eat dessert first!“ beiden Achsen. Pickt man ein Publikum aus dem kollektiven, Öffentlichkeit. litik? Das Bachelor-/ Master-System und der internationale Hier muss man zuerst einmal fragen: Was wissen wir eigent- öffentlichen Bereich auf der x-Achse nahe dem Schnittpunkt Zum Schluss möchte ich mich noch auf den deutschen So- Austausch von Studierenden befinden sich schon auf der eu- lich über die Entwicklung der Gesellschaft? Im Grunde sicher mit der y-Achse, heraus und versucht es mit „Glauben Sie ziologen Ulrich Beck (Beck 1999) beziehen, der sich mit der ropäischen, internationalen Ebene. Und das, was innerhalb nur eines; wir wissen nichts. Hier haben Leute mit kreativem mir, es ist gut für uns alle!“ zu beruhigen, wird das nur wenig Risikogesellschaft befasste. Er stellte fest, dass wir es in der Österreichs geregelt wird: wird das vom Bund, vom Land Talent viele Chancen: Das Umgehen mit Unsicherheit und Wirkung erzielen. Denn hier reicht Glaube nicht aus, hier wird Gesellschaft mit immer mehr Risiken zu tun haben, aber das oder von der Stadt bestimmt? die Fähigkeit, darüber intensiv nachdenken zu können, was Wissen verlangt. Das ist so etwas wie evidence based edu- Vermögen, mit den Risiken umzugehen, abnimmt. Auch das Die zweite Gruppe bilden Experten, u.a. Künstler und Leh- sein könnte, ist im Allgemeinen eine kreative Aktivität. Der cation. Gibt es einen evidence based Kunstunterricht? Keine hat wieder mit Transparenz und Vertrauen zu tun. Die heutige rer, die eine Art öffentlichen Dienst ausführen. Diese haben Umgang mit Unsicherheit könnte für Leute im künstlerischen Ahnung. Kann man beweisen, dass man dem, was im Unter- Position zeigt sich darin, was ich einmal in Amerika hörte: die unheimliche Eigenschaft, immer ihre eigenen Gehirne Bereich eine neue Nische bieten. richt gelehrt wird, vertrauen kann? Ich glaube nicht (mehr). „Caution! If you are too open-minded, your brain may fall out.“ anzustrengen, was allein schon zu Spannungen führt. In Hol- Im Harvard Business Review, einer der wichtigsten Zeit- Im Prinzip steht auch hier eine Frage im Zentrum: „Was bringt Meine Hoffnung für den kreativen Bereich ist, dass sich land wird momentan über die Organisation von Krankenhäu- schriften im Bereich der business schools, wurde eine Umfra- mir das?“. Zusammengefasst geht die Tendenz eindeutig weg dies umkehrt. Das Kreative soll uns befähigen zu lernen, sern diskutiert: Grob gesagt, stehen die Ärzte als diejenigen, ge publiziert, in der u.a. die Frage „Was wissen wir sicher?“ vom Glauben und hin zum Wissen und vom Kollektiv hin zum kreativ mit Risiko umzugehen. Unsere Probleme liegen offen die als Mediziner mit den Einrichtungen vertraut sind, der an Rektoren aller business schools gestellt wurde. Unabhän- Individuum. Vor allem auf den öffentlichen Sektor wird dies da, die Gesellschaft ist an und in sich komplex, Kombination von außen kommenden Politik aus Den Haag gegenüber. gig von Kontinent und Nation lautete die Antwort darauf: starke Auswirkungen haben. Den Glauben zu vermitteln, dass dieser Komplexität und der Risikovermeidung erzeugt einen Wenn sich diese Experten stärker als eine Gruppe mit ei- „Wir wissen nichts.“ Es gibt jedoch einige Meta-Trends in der es wichtig sei, schöne Musik zu machen oder schöne Bilder Stillstand. Eine wesentliche Herausforderung, bei der u.a. die ner eigenen Identität definieren, wird die externe Steuerung Gesellschaft, die mit Sicherheit irgendwie kommen werden; zu malen, wird nicht mehr lange funktionieren. Bildung Hilfe leisten kann, liegt darin, neue Formen zu suchen, schwieriger. wir wissen nur nicht genau wie und in welcher Kombination. Eine zweite interessante Entwicklung birgt ein großes Ri- wie man in der Komplexität neues Vertrauen und Kreativität Die dritte Gruppe sind die Nutzer, also in erster Linie Schü- Eine Übersicht dieser Meta-Trends lässt erkennen, dass die siko. Zur Veranschaulichung stelle man sich ein Panoptikum- organisieren und einen neuen Weg finden kann, wie man risi- ler, Eltern und Museumsbesucher. Auch sie beeinflussen das Komplexität des Zusammenlebens und damit auch die Unge- Gefängnis vor: In der Mitte befinden sich die Aufseher und koreicher in dieser Komplexität operieren könnte. System. Zum einen, weil sie bei Unzufriedenheit etwa mit wissheit zunehmen werden. ringsherum am Rand, mit ziemlichem Abstand zum Wach- der Schulpolitik bei Wahlen versuchen können, daran etwas Wir wissen nicht, wie sich die Systeme entwickeln wer- turm, sind die Gefangenen. Nur wenige Aufseher können so Literatur zu ändern. Zum anderen sind sie die unmittelbaren Kunden den. Wir können uns aber eine Gesellschaft als eine Art Karte leicht eine große Gruppe von Gefangenen beaufsichtigen, Beck, U. (1999). World Risk Society . Cambridge UK: Polity des Systems, die Hörer und diejenigen, die sich bspw. di- vorstellen, und sie damit als ein Biotop verstehen, in dem weil diese im Unklaren darüber sind, ob sie gerade beobach- Press. rekt im Klassenraum befinden. In Holland werden Schüler, ein großes Gegen- und Miteinander herrscht. Außerdem wird tet werden oder nicht. Im Wachturm wird ausgemacht, ob Foucault, M. (1975/1995 (transl.)). Discipline and Punish. The Eltern und Besucher immer qualifizierter. Das führt zu grund- Hedonismus immer wichtiger: Der Wunsch, sich selbst und man gezielt beobachtet und wo der Fokus liegt; die Gefan- Birth of a Prison. New York: Vintage Books. legenden Diskussionen darüber, wer Recht hat. Vor zwanzig nicht die Gesellschaft ins Zentrum zu stellen, zeigt sich so genen wissen nicht, wen von ihnen es betrifft. Die beiden Golomstock, I. (2011). Totalitarian Art: In the Soviet Union, oder dreißig Jahren gab es ganz einfach kluge und weniger gut wie auf der ganzen Welt. Das wirft die neue Frage auf, Parteien haben demnach unterschiedlichen Zugang zu Infor- the Third Reich, Fascist Italy and the People’s Republic of kluge Leute. Die weniger klugen gingen zur Schule, um klug wie wir Vertrauen organisieren sollen. Wem und was können mationen (Foucault, 1975/1995 (transl.). Eine ähnliche Ent- China. New York: Overlook Press. zu werden – es gab klare Machtverhältnisse. Heutzutage wir eigentlich trauen und können wir überhaupt vertrauen? wicklung zeigt sich im Bereich der digitalen Medien und vor McKevitt, D. (1998). Managing core public service. Oxford : sind unsere Lehrer nicht mehr so gut ausgebildet; nur noch Ich frage dabei nicht nach dem Kollektiv, sondern dem Indi- allem des Internets. Auch in den Schulen lässt sich dies nicht Blackwell. sehr wenige können eine akademische, universitäre Ausbil- viduum. Die Fragen, wem man vertrauen kann und wie man vermeiden: Gibt man etwa auf youtube „fighting teachers“ Meynhardt, T. (2008). Public Value – oder: was heißt Wert- dung vorweisen. Bei den Experten ist also das Bildungsni- Vertrauen organisieren kann, hat wiederum mit Transparenz ein, wird man etwa 25.000 Filme finden, in denen entspre- schöpfung zum Gemeinwohl? dms – der moderne staat veau gesunken und bei Schülern und Besuchern gestiegen. zu tun. Einige Untersuchungsergebnisse werden das in der chende Situationen in Schulen mit iPhones oder ähnlichem – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management Heft Diese Entwicklung wiederum stört die Kommunikation auf Folge verdeutlichen. Wesentlich ist, dass Unterricht in der gefilmt wurden. Die Schule ist ein gläsernes Haus – alles 1 , 457-468. Augenhöhe. Wenn sich also an einer Stelle etwas ändert, Gesellschaft immer wichtiger wird. Wir kommen aus einer kann gefilmt und hochgeladen werden und im Internet zur Moore, M. (1995). Creating Public Value. Cambridge Mass.: verändert dies damit das ganze System. Wenn die Rezipien- Gesellschaft, in der die soziale Herkunft eine zentrale Bedeu- freien Verfügung stehen. In diesem Szenario befinden sich Harvard University Press. ten individueller, klüger oder auch radikaler werden, hat das tung hatte; heute hingegen spielt Bildung eine immer bedeu- die Lehrer als Gefangene im Panoptikum; sie werden von den OECD. (2008). Trends shaping Educaction. Paris: OECD. Auswirkungen. Vor kurzem ist in Kopenhagen ein Attentat tendere Rolle. Schülern observiert. Das betrifft nicht nur Lehrer, sondern for Cultural Education and Amateur Arts, Utrecht passiert auf den Künstler Lars Vilks: Es ging dabei um den Bei der ersten Untersuchung handelt es sich um die Ausdruck öffentlicher Freiheit. Die Gruppe der Attentäter grafische Darstellung der World Value Survey (aus: OECD, fühlt sich einem anderen System verpflichtet, ihrem Glau- 2008), in der die künftigen Veränderungen bei den Werten ben, den sie in ihr neues Land mitgebracht haben. Das kann abgebildet sind (siehe Abb. 2) Die Farben der Graphen reprä- Wünsche und Forderungen nach sich ziehen, wie das Tragen sentieren hier Ländergruppen, die Punkte auf den einzelnen von Kopftüchern oder die Einschränkung der im Unterricht Graphen sind die Generationen. Die x-Achse des Systems gezeigten Bilder. Hier soll darüber nicht geurteilt werden, könnte man die „hedonistische Achse“ nennen, sie reicht von sondern auf die Veränderung hingewiesen werden, die bei „kollektiv“ nach „individuell“. Die y-Achse könnte als „Ratio- Museumsbesuchern und Schülern durch Immigration ausge- nalitäts-Achse“ bezeichnet werden, die sich von Glauben bis löst werden können. Wissen erstreckt. Vergleicht man die Entwicklung der Gene-

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20 | BÖKWE 4_2015 BÖKWE 4_2015 | 21 SCHULE KONKRET SCHULE KONKRET

Joachim Penzel analoges Beispiel verlagert und mit einer alltäglichen Ge- schichte eingekleidet. Somit entsteht eine Anschaulichkeit von Prozessen, die sich analog im Inneren des Körpers un- Anschaulichkeit im Denken, sichtbar abspielen. (Abb.1) (Abb. 1) Mandy Engelhardt: Spiel- Lernen und Erklären Modellbegriff modell für den Blutkreis- Eine Transferleistung der Kunstpädagogik Die didaktischen Unterschiede der dargestellten beiden Erklä- lauf (Anschauungsmateri- rungs- bzw. Veranschaulichungsformen des Blutkreislaufes al für den Sachunterricht gründen auf verschiedenen Modellauffassungen. Der Kunst- Klasse 4) wissenschaftler Gottfried Boehm unterscheidet einerseits abbildhafte Modelle, die mit Ähnlichkeit in Bezug auf den das Erklären von spezifischen Sachverhalten geht, erweist Es gehört zu den „blinden Flecken“ des schulischen hängen aller Unterrichtsfächer verlassen sich die Lehrenden Sachverhalt arbeiten, und andererseits abstrakte Modelle, sich offensichtlich der Frontalunterricht als die effektivste Me- Kunstunterrichts / der Bildnerischen Erziehung, dass ganz selbstverständlich auf das didaktische Bilderangebot die dem veranschaulichten Zusammenhang unähnlich sind thode. Kern jeder Fachdidaktik und damit die wichtigste pro- deren Verhältnis zu den übrigen Fächern angespannt von Schulbuchverlagen und anderen Herstellern didaktischer (Boehm 2007). Innerhalb wissenschaftlicher Abbildungen fessionelle Schlüsselqualifikation der Lehrenden ist nach wie bzw. mehr oder weniger ungeklärt ist. Daran ändert Medien. Dabei wird meist nicht hinterfragt, ob die genutzten werden meist diese beiden Formen benutzt. In der bildenden vor die Fähigkeit, leicht fassbar und möglichst anschaulich zu auch die zunehmende Praxis von fächerübergreifen- Bilder überhaupt anschaulich sind, das heißt, ob sie einer er- Kunst, vor allem bei Werken ab dem 20. Jahrhundert, findet erklären. Und das heißt: eigene Worte und Bilder zu nutzen. den und fächerverbindenden Unterrichtsangeboten klärenden Funktion tatsächlich gerecht werden. man aber noch eine dritte Vorstellung. Diese kann als ana- Für anschauliches Erklären ist ein Denken in Bildern eine wenig. Trotz aller Diskussion um Bildkompetenzen loges, als expressives oder ästhetisches Modell bezeichnet wesentliche Voraussetzung. Innerhalb aller Schulfächer und (visual literacy) als Teil der basalen Bildungsstan- Anschaulich / unanschaulich werden (Penzel 2012: 190ff). Solche Modelle sind dem zu damit aller Sachgebiete gibt es kein Thema, das nicht in dards ist die Stellung der gestaltenden Fächer im Heute scheint bereits das Vorhandensein eines Bildes zu rei- erläuternden Sachverhalt sowohl ähnlich als auch unähnlich. skizzenhafter Bildform – und das meint hier in einem ana- schulischen Kontext nach wie vor als marginal zu chen, um eine Sache erklären zu können. Doch trügt dieser Das Unähnliche entspricht einer Übertragung auf einen an- logen bzw. expressiven Modell – dargestellt werden kann. bewerten. Dieser defizitäre Zustand mag auch damit Eindruck, wie ein kurzer Blick auf eines der prominenten Bei- deren Zusammenhang, der zum Zwecke der Verdeutlichung Fotosynthese im Biologieunterricht (Penzel 2013), Grenzwert- zu begründen sein, dass die Kunstpädagogik, von spiele des Sachunterrichts der Grundschule und des Biologie- zentraler Prinzipien genutzt wird. So kann beispielsweise das folge im Mathematik- und Heisenbergsche Unschärferelation wenigen Ausnahmen abgesehen (Billmayer 2008), unterrichts der Sekundarschulen verdeutlichen soll: Das Ver- schwierig zu verstehende mathematische Prinzip der Grenz- im Physikunterricht (Penzel 2015), selbst kunsttheoretische zu wenig klar macht, was sie den anderen Fächern stehen des Blutkreislaufes gehört zu den zentralen Problemen wertfolge, die sich mit wachsendem Index immer mehr einer Probleme (Penzel 2014) können als Schaubild oder als Modell bieten kann. aus dem Bereich menschlicher Anatomie. Die einschlägigen, bestimmten Zahl (dem Grenzwert) annähert, ohne diese zu visualisiert werden und damit die Ausführungen der Lehren- den meisten Erwachsenen vertrauten Abbildungen zu die- erreichen, durch zwei Magneten veranschaulicht werden. den illustrieren. Bildhaftes Denken sem Thema zeigen ein dreigliedriges System von Lunge, Herz (Abb.2) Bei großer Feldstärke ist es nicht möglich, dass sich Die Übersetzung eines Fachproblems in ein selbst entwi- Zu den besonderen Kompetenzen der Kunst, die über eine und Organen, die mit roten Linien für die Arterien und blauen die gleichgepolten Magnetenden berühren. Bei diesem Erklä- ckeltes Bild vermag Verstehensprozesse auszulösen, zu steu- produktive und rezeptive Unterrichtspraxis an die Lernenden Linien für die Venen verbunden sind. In dieser Weise wird die rungsansatz handelt es sich nicht um ein mathematisches ern und nachhaltig zu sichern. Davon zeugt die von Stefan vermittelt werden, gehört die faszinierende Fähigkeit, in Bil- Zirkulation von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Blut Anwendungsbeispiel, vielmehr wird eine abstrakte Sache Schneider für den gymnasialen Unterricht entwickelte Film- dern zu denken. Innerhalb der Fachdidaktik wird bildhaftes dargestellt. Derartige wissenschaftliche Abbildungen gelan- (Grenzwert) hier mit einer anderen (magnetischen Absto- reihe „Deutsch in Bildern“. Hier werden vermeintlich trocke- Denken leider oft nur als Vorstufe praktischer Gestaltungs- gen jedoch über einen realistisch illustrativen Charakter, der ßungskräften) verdeutlicht. Es handelt sich also um ein analo- ne, oft auch für Erwachsene schwierig wirkende Gramma- prozesse betrachtet, dabei handelt es sich hierbei um eine die Lage der einzelnen Organe und die beiden Funktionen des ges Anschauungsmodell. Genauso könnte auch eine bekann- tikprobleme anhand dreiminütiger Bildgeschichten erklärt. grundsätzliche Form der Auseinandersetzung mit der Welt. Blutes zeigt, nicht hinaus. Das Interessante am Blutkreislauf te Bildsymbolik genutzt, eine metaphorische Entsprechung Einfach gezeichnete Sympathiefiguren, die sich problemlos Bildhaftes Denken ermöglicht eine nichtrealistische, nicht ist jedoch, dass er als eine Einführung für Heranwachsende des Sachverhaltes gesucht oder diese in eine illustrierende am Faktischen und Logischen orientierte Form der Weltbe- nicht nur als eine wichtige Funktion des menschlichen Or- Geschichte, die als Parabel (als Gleichnis) dient, eingekleidet trachtung. Hierbei geht es stattdessen um analoges Denken, ganismus betrachtet werden kann, sondern weiterreichend werden. Eine so verstandene Anschaulichkeit vermag die um die Nutzung von Metaphern und Metonymien, um den auch als elementares Erlernen einfacher systemischer Denk- gesamte schulische Unterrichtskultur zu verändern, wenn Gebrauch von Symbolen und Allegorien bei der Auseinander- weisen. Daher haben Studierende des Fachs Gestalten/Kunst sie als Potential sowohl des Lehrens als auch des Lernens setzung mit unterschiedlichsten Sachverhalten. Bildhaftes an Grundschulen der Martin-Luther-Universität Halle-Witten- verstanden wird. Denken ist nicht nur die Grundlage jeder Bildherstellung, berg analoge Modelle für derartige Probleme entwickelt. Für vielmehr gilt es seit der antiken Lehre von der Rhetorik als den Blutkreislauf ist es eine Art Achterbahnspiel, bei dem Anschaulich lehren (Abb. 2) wesentliche Voraussetzung für Anschaulichkeit im Sprechen. die Kinder einen kleinen LKW an drei Stationen (Hersteller, Wie John Hatties Metastudie „Visible Learning“ (dt. „Ler- Schaubild zur Erklärung In Bildern zu denken und mittels Bildern Sachverhalte zu er- Zentrale, Firma) jeweils mit unterschiedlichen Stoffen be- nen sichtbar machen“, Hattie 2013) verdeutlicht hat, leisten der Grenzwertfolge klären, ermöglicht es, jedes noch so komplizierte reale oder und entladen, um das Austauschsystem des Blutkreislaufes diverse Formen eines schülerorientierten Unterrichts, aber (kollektiv entwickeltes abstrakte Thema verständlich darzulegen. Nur werden genau – und damit allgemeine Prinzipien von Kreislaufsystemen – ebenso verschiedene Medienangebote relativ wenig, um ei- Concept Map auf einer diese Basics guter Vortragskultur heute in der Schule zu we- auch motorisch nachzuvollziehen. Das Kernproblem des mit nen individuellen fachlichen Lernerfolg zu garantieren. Wenn SchiLF am Gymnasium nig genutzt. In den unterschiedlichsten Erklärungszusammen- der Atmung verbundenen Stoffwechsels wird hier auf ein es um das Einführen in neue Problemstellungen und damit um Melle)

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Abb.3 Barbara Kaesbohrer Stefan Schneider: Deutsch in Bilder, Filmreihe zu Wortarten, Bewegte Bilder sehen und verstehen hier Filmstill zu „Prono- Betrachtung zeitbasierter Kunst men“ – deren Erklärung wird in die Geschichte am Beispiel der Videokunst von Schneewittchen und den sieben Zwerge eingebunden (https:// www.youtube.com/ watch?v=JENW77ztkj8) auch als Tafelbild wiederholen lassen, verdeutlichen in ih- späteren Zeit und eine anschauliche Erklärung im Kontext ei- Zeitbasierte Kunst - Was ist das? Gegenstand sich zum einen nicht bewegt und zum anderen – für den Unterricht in ren Handlungen die Unterschiede einzelner Wortarten (z.B. ner Präsentation bzw. eines Schülervortrags. Als im 19. Jahrhundert die Bilder laufen lernten, beeinflusste ausreichend Zeit für die Betrachtung zur Verfügung steht. Die Klasse 5. Adverben, Artikel, Possessivpronomen etc.). Das jeweilige (Zur Didaktik des anschaulichen Erklärens und des bild- dies auch die bildende Kunst. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts Rezeption zeitbasierter Kunst mit klassischen Bildbetrach- Fachproblem wird hier nicht nur unterhaltsam dargestellt, haften Denkens führen Stefan Schneider und Joachim Pen- experimentierten immer mehr Künstler mit dem Medium Film tungsmethoden kann daher nur eingeschränkt hilfreich sein. Abb.4 viel weiter reichend ist anhand der einprägsamen Bilder auch zel Schulungsseminare und Lehrerweiterbildungen für alle und ebenso mit ersten performativen Darstellungspraktiken, In der Schule sind zeitbasierte Kunstformen längst ange- Analyse einer litera- nach längerer Zeit eine Reproduktion des vermittelten Wis- Schulfächer durch.) die sich von der klassischen Theateraufführung zunehmend kommen. So sind etwa Film, Videokunst oder Performance rischen Figurenkonstellati- sens möglich. (Abb.3) abgrenzten. Die turbulenten Soirees der Futuristen, die Auf- bereits Bestandteil der Curricula. Daher ist es an der Zeit, on (Schülerzeichnung 10. Literatur führungen im Cabaret Voltaire, die ersten Filmexperimente insbesondere für SchülerInnen geeignete Methoden für die Klasse, Sekundarschule Anschaulich Lernen Billmayer, Franz (Hrsg.) (2008): Angeboten Nachgefragt, Bd. 1 und der Dadaisten und die explorativen Filme der Surrealisten Betrachtung von zeitbasierten Kunstformen zu entwickeln. Könnern, Unterricht von Bildhaftes Denken besitzt außerdem das Potential, neben 2, München stehen zu Beginn dieser neuen Entwicklungen. Seither haben Auf der Suche nach geeigneten Betrachtungsmodellen ist Heike Mosebach und der Lehr- auch die Lernkultur in allen Unterrichtsfächern der Boehm, Gottfried (2007): Ikonisches Wissen. Das Bild als Modell, in: sich nicht nur der experimentelle Film und die Performance es naheliegend, Analysemodelle aus den klassischen Zeit- Joachim Penzel) verschiedenen Schulstufen zu verändern. Das Verstehen von ders.: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin in der Kunst etabliert, sondern auch zahlreiche Spielarten künsten wie etwa Musik, Tanz oder Theater heranzuziehen. Wissenszusammenhängen, egal in welchem Unterrichtsfach, Hattie, John (2013): Lernen sichtbar machen. Überarbeitete und Unterkategorien herausgebildet. Dazu gehören neben Allerdings haben die klassischen Zeitkünste über die Jahr- bedeutet nun, sich selbst ein Bild zu machen, Symbole zu deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning“, besorgt von der Videokunst u. a. Videoskulptur und Video-Installationen, hunderte Strukturen entwickelt, die das Memorieren ihrer zeichnen und in der Folge eigene Worte zu finden. Das soll Wolfgang Beywl und Klaus Ziegler, Baltmannsweiler Netzkunst, interaktive Medienkunst, urbanes Mapping, Hap- Kunst erleichtern. Narration, Rhythmus, Wiederholung sind das abschließende Beispiel aus dem Deutschunterricht einer Penzel, Joachim (2012): BILD SEIN. Künstlerische Modelle des Se- penings, , Aktionskunst, Performance-Kunst oder klassische Techniken, die der Erinnerung dienen. Anders als Sekundarschule verdeutlichen. In einer 10. Klasse wurde aus hens, Zeigens und Denkens, Halle partizipative Kunstformen im öffentlichen Raum. Eine we- in den klassischen Zeitkünsten operieren jedoch zeitbasierte Thomas Manns Roman „Die Buddenbrooks“ die berühmte ders. (2013): Concept Mapping: Mit Bildern Probleme lösen und er- sentliche Gemeinsamkeit dieser vielfältigen Ausrichtungen Kunstformen nicht unbedingt mit diesen Techniken oder ver- Werberszene, in der Bendix Grünlich um die Hand von Tony klären. Zu einer kreativen Form des Lehrens und Lernens in unter- besteht in ihrer zeitlichen Dimension. All diese Kunstformen weigern sich ihnen bewusst. Buddenbrook anhält, einer Figurenkonstellationsanalyse un- schiedlichen Unterrichtsfächern, in: Arbeitsmaterialien des Be- werden durch ihre Prozesshaftigkeit bestimmt. Damit ist je- Der Film nimmt hierbei eine Sonderstellung ein, da sich terzogen. Es galt, die Interaktionen der einzelnen Personen reichs Gestalten/Kunst an Grundschulen, Halle: http://wcms.uzi. dem einzelnen Werk eine bestimmte Ablaufzeit oder Dauer das Medium Film in seiner kurzen Geschichte in zwei Rich- sichtbar zu machen, Charaktertypen herauszuarbeiten und uni-halle.de/download.php?down=31048&elem=2704404&- eingeschrieben. Dadurch wird der Betrachter damit konfron- tungen entwickelt hat. Auf der einen Seite etablierte sich dabei Kontrast- und Parallelfiguren mit ihrem Beitrag am func=i58rjnqhs5m7c42hb26nje24aj4estee (05.01.2014) tiert, sich mit dem Faktor Zeit auf die eine oder andere Weise der Spielfilm, in Anlehnung bzw. Ergänzung zum Theater, als Konfliktgeschehen zu veranschaulichen. Die Analyse sollte ders. (2014): Mit dem Bild zum Bild. Iconic Concept Mapping als auseinanderzusetzen. narrative Zeitkunst und auf der anderen Seite entwickelten nicht als sprachliche Darstellung und nicht als abbildhafte ästhetisch-praktisches Verfahren der Werkinterpretation im Kun- sich u.a. der experimentelle Film und die Videokunst, die Illustration, sondern als Analogie, das heißt als sinnbildliche stunterricht, in: Lutz-Sterzenbach, Barbara u.a. (Hrsg.): Bild und Rezeption von Kunst im zeitlichen Ablauf - vornehmlich der zeitbasierten bildenden Kunst zugeordnet Entsprechung, umgesetzt werden. Die Schüler zeichneten Bildung, München, S. 647—654 Braucht es eine neue Betrachtungsmethode? werden. Demzufolge kann es hilfreich sein, filmanalytische u.a. Schachfiguren, farbige Klötze, verschiedene Blumen und ders. (2015) Anschaulich erklären. Zur Arbeit mit Iconic Concept Die zeitbasierten Künste haben den Kunstbegriff nachhaltig Methoden aus dem Bereich der Spielfilmanalyse auf die Be- Garnspulen, mit denen der Hochzeitsantrag metaphorisch als Mapping in anderen Unterrichtsfächern – eine Transferleistung erweitert und fordern damit die klassische Kunstbetrachtung trachtung von experimenteller Filmkunst zu übertragen. Für ein Einwickeln der Braut und der Brauteltern übersetzt wurde. der Kunstpädagogik, BDK-Mitteilungen, Nr. 1, 2015, S. 29-32 aufs Neue heraus. Der Betrachtungszeitraum wird durch die die Analyse experimenteller Filme kann beispielsweise die (Abb.4) Derartige Bilder ermöglichen eine verdichtete Infor- Schneider, Stefan (2014-2015): Deutsch in Bildern, Filmreihe auf Dauer einer Performance oder einer Videoarbeit vorgegeben. formale Filmanalyse, deren Schwerpunkt in der Analyse der mation, ein schnelles Wiedererinnern des Problems zu einer Youtube.com Zusätzlich erfordert die Betrachtung von Kunstformen, die in Filmsprache liegt, ein geeignetes Verfahren sein. Mit Hilfe der der Zeit ablaufen, unsere volle Aufmerksamkeit. So kann der formalen Filmanalyse können insbesondere die audiovisuellen Betrachter während der Filmvorführung nur bedingt den Film Elemente des Films wie Bildkomposition, Gestaltung des Mi- gleichzeitig reflektieren. Die Analyse des Gesehenen muss se-en-scène, Einstellungsgrößen, Kamerafahrten, Montage demnach hinterher erfolgen. Dafür muss sich der Betrachter und Sound untersucht werden. Dementsprechend war eines allerdings erinnern können. Klassische Bildbetrachtungsme- meiner Anliegen für den geplanten Workshop, Teilaspekte der thoden gehen jedoch davon aus, dass der zu betrachtende formalen Filmanalyse an Filmbeispielen anzuwenden.

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Konzeption und Ablauf des Workshops Auswertung des Workshops abschließender Kompromiss wurde ein zweimaliges Sehen Umfangreicher und daher aufschlussreicher waren die Proto- Die Grundidee des Workshops war, ein konkretes Betrach- Es nahmen insgesamt 20 Personen an dem Experiment teil. des Filmes vorgeschlagen. Nach dem ersten Sehen sollte die kolle zu „The Reflecting Pool“. Von den insgesamt elf „Pool“- tungsmodell, das in der Schule bereits verwendet wird Die Reaktionen auf die Methode des Protokollschreibens fie- Reflexion der eigenen Eindrücke im Vordergrund stehen, erst Protokollen waren fünf mit Szenenfolge, drei mit gerichteten (Wahrnehmungsbeschreibung mit Hilfe des Protokolls), len kontrovers aus und lieferten mir daher fruchtbare Ergeb- nach dem nochmaligen Sehen sollte eine Analyse mit Metho- Fragen und drei mit freien Beschreibungen. Auch in dieser an zwei Filmbeispielen auszuprobieren, um anschließend nisse. den, wie etwa der formalen Filmanalyse, folgen. Versuchsreihe wird deutlich, dass die Beschreibung von mit den TeilnehmerInnen Vor- und Nachteile dieses Mo- Die erste, spontane Reaktion einer Teilnehmerin war die Handlung dominiert. Obwohl zu Beginn des Films für einige dells zu diskutieren und ergänzend noch weitere Vor- Ablehnung des Protokollschreibens während der Filmpräsen- Auswertung der Protokolle Sekunden nur der Ort zu sehen ist – ein grünes Wasserbe- schläge und Ideen für die Betrachtung von Videokunst zu tation: „Ich habe das Protokollschreiben absichtlich verwei- Es wurden insgesamt 14 Protokolle abgegeben. Die mei- cken (untere Bildhälfte) in einer bewaldeten Umgebung (obere sammeln. gert. Ich wollte den Film erst in Ruhe ansehen und genießen.“ sten Protokolle sind Beschreibungen des Films von Bill Viola. Bildhälfte) – beschreiben die meisten diese ersten Sekunden Der Workshop war in drei Abschnitte gegliedert. Zu Be- In dieser Aussage liegt ein wichtiges Argument gegen das Nur drei Protokolle von „Play“ wurden zurückgegeben. Dies nur kurz, während sich der zweite Satz bereits auf die agie- ginn stand ein kurzer Impulsvortrag, der in die Wahrnehmung zeitgleiche Protokollieren, das von zwei weiteren Personen ist meiner Ansicht nach kein Zufall. Die Beschreibung des rende Person bezieht: „Pool im Grünen/Wald. Mann kommt bewegter Bilder einführte und die formale Filmanalyse als bestätigt wurde: „Ich muss das erst sehen, dann kann ich gezeigten Ausschnitts von „Play“, wie die abgegebenen von hinten“, „Pool und Umgebung( Park/ Wald). Mann kommt, mögliche Methode für den Unterricht kurz vorstellte. An- darüber nachdenken.“ „Sehen und Schreiben gleichzeitig Protokolle belegen, erwies sich als sehr schwierig, da die stellt sich zum Pool“, „Lautes, monotones Geräusch, ein Mann schließend waren alle eingeladen, an dem Wahrnehmungs- geht nicht, da Schreiben ja auch gleichzeitig Interpretation Schnittfolge des Films schnell ist und nur ein sehr kurzer erscheint“, „Szene ohne Figur, Übersicht der Situation. Mann experiment teilzunehmen, das anschließend diskutiert ist.“ Die Wahrnehmung wird durch die Aufgabe, während der Ausschnitt gezeigt wurde. Oftmals ist nur ein Satz notiert, erscheint“, „Teich ohne Mann. Teich mit Mann mittig“. Nur werden sollte. Ich hatte zwei Filmbeispiele ausgewählt, die Filmvorführung das Gesehene in Worte zu fassen, teilweise der lediglich einen Teilaspekt des Filmes beschreibt, wie ein Teilnehmer beginnt mit einer ausführlicheren Beschrei- hintereinander gezeigt wurden. Dazu erhielten die Teilneh- eingeschränkt. Insbesondere die Wahrnehmung des eigenen etwa: „Zusammenschnitt von mehreren Szenen“. Dieser bung: „Pool im Garten oder Park, Geräusche von Wind und merInnen vorbereitete Protokollblätter, auf denen sie ihre Erlebens der filmischen Ereignisse kann dabei verloren gehen. Versuch machte außerdem deutlich, dass die führenden Wasser, lichtbewegte Wasseroberfläche. Bäume spiegeln Beobachtungen aufschreiben konnten. Der erste Film war So entfachte sich eine lebhafte Diskussion darüber, inwieweit Fragen ohne Vorkenntnisse von filmischer Montage spontan sich: Grüntöne, Sonnenlicht. Eine Person kommt aus dem Hin- „The Reflecting Pool“ von Bill Viola von 1979 (Dauer: 6:45 die Methode des Protokollschreibens für den Unterricht sinn- kaum zu beantworten sind. Folglich wäre für den Unterricht tergrund ...“ Diese Beschreibung erfasst mit wenigen Worten Min.). Ich hatte Violas Film ausgewählt, da er performative voll ist und, damit verbunden, welche der Protokollbögen eine ausführliche Vorbereitung nötig, wofür diesem Work- die audiovisuelle Atmosphäre der ersten Sekunden des Films. Elemente mit langsamer Ereignisabfolge beinhaltet und da- hilfreich sind. Einige (fünf Personen) fanden das Protokoll mit shop allerdings die Zeit fehlte. An den Rückmeldungen wird Allerdings schrieb dieser Teilnehmer die Beschreibung aus her leichter zu rezipieren bzw. zu beschreiben ist. Der zweite den führenden Fragen sehr hilfreich, mahnten jedoch an, dass sichtbar, dass die Wahrnehmung von schnell geschnitte- der Erinnerung erst am Ende des Workshops nieder. Daraus Film war ein Ausschnitt von „Play“ von Christoph Girardet die Fragen vielleicht zu viel vorwegnehmen könnten. Kritisch nen Filmen wie „Play“ und damit deren Beschreibung auf könnte man schließen, dass die nachträgliche Beschreibung und Matthias Müller (Dauer des Ausschnitts: 0:58 Min.) von bewerteten einige TeilnehmerInnen (vier Personen) die Pro- Schwierigkeiten stößt. Trotzdem konnte eine Teilnehmerin aus der Erinnerung vielleicht mehr Material zutage fördert – 2003. „Play“ hatte ich gewählt, weil hier ein filmsprachliches tokolle mit der Szeneneinteilung, da sie selbst teilweise den die einzelnen Bildwechsel schnell erfassen: „1. Bild Frau, zumindest bei kurzen Filmen – und damit besser sowohl den Thema im Zentrum steht: die Kreation von Narration durch Film anders untergliedert hätten und daher die Vorgabe eher dann Männer/ Frauen, nah. Es wird klar, dass Menschen Film als auch die eigene Wahrnehmung beschreiben könnte. Montage. Girardets und Müllers Filme sind für den Unterricht irritierend auf sie wirkte. Das freie Protokoll wurde von vielen im Publikumsraum (Theater) sind. Die Ausschnitte werden Ferner wird an den Protokollen ersichtlich, dass die vor- gut geeignet, um die formale Filmanalyse anzuwenden, da (acht Personen) als brauchbare Lösung erachtet. Die Diskus- größer, mehr Menschen sind zu sehen. Blicke nach links gegebene Szenenfolge meist nicht eingehalten wurde. Wie mit ihrer Hilfe speziell die angewendeten Montagetechniken sion führte schließlich zu der Frage, ob ein schriftliches Pro- und nach rechts. Menschen scheinen nervös, stehen auf, bereits in den Rückmeldungen der TeilnehmerInnen erwähnt analysiert und damit die Intentionen der beiden Künstler klar tokoll überhaupt sinnvoll sei. Einerseits wurde das sorgsame blicken umher.“ Diese Beschreibung erfasst bereits wesent- wurde, scheint diese Vorgabe nicht hilfreich zu sein. Die Pro- herausgearbeitet werden können. Beschreiben – möglichst ohne Interpretation – als Instrument liche Inhalte der Bildfolge. In einem zweiten Schritt könnte tokolle mit den führenden Fragen zeigen auf, dass die Teil- Als Protokollblätter hatte ich drei Varianten vorberei- der achtsamen Wahrnehmung von drei Teilnehmerinnen ge- nun diskutiert werden, um was für ein Bildmaterial es sich nehmerInnen wesentliche Elemente des Filmes erwähnen, tet. Das erste gab dem Betrachter eine szenische Struktur stützt. Andererseits entwickelte sich in der Gruppe das Be- handelt (Found-Footage-Material aus amerikanischen Klas- die teilweise in anderen Protokollen fehlen. So kann diese vor (Szenenabfolge für „Pool“ bzw. Einstellungsabfolge für dürfnis, die Filmbetrachtung mit anderen Methoden erlebbar sikern) und wie die Künstler erreichen, dass die unabhängi- Form des geführten Protokolls, vorausgesetzt die Fragen sind „Play“), das zweite enthielt führende Fragen, die bereits auf zu machen. gen Filmausschnitte auf den Zuschauer wie ein zusammen- nicht zu deskriptiv, eine hilfreiche Stütze, insbesondere für die zu erwartenden Ereignisse des Films hinwiesen (wie Dies führte zu konstruktiven Vorschlägen für die Betrach- hängender Handlungsablauf wirken. Ferner wird in dieser jüngere SchülerInnen sein. Die freien Beschreibungen sind, etwa: Was macht der Mann? Was ist anschließend im Pool tung experimenteller Filme im Kunstunterricht, wie etwa: Beschreibung deutlich, dass die Aufmerksamkeit auf der mit Ausnahme des oben genannten Erinnerungsprotokolls, zu sehen? etc.) und das dritte Protokollblatt war ohne wei- Beobachtungen mündlich in der Schülergruppe gemeinsam Handlungsebene liegt und keine Beschreibung der Bildqua- inhaltlich am schwächsten. Im Vergleich wird deutlich, dass tere Angaben, um eine freie Beschreibung zu ermöglichen. zu beschreiben und zusammenzutragen; Filme mehrmals lität des Films enthält. Es findet keine weiterführende Bild- eine vorgegebene Struktur den TeilnehmerInnen half, mehr Für jeden Film sollte jeweils nur ein Protokoll nach Wahl aus- ansehen oder unterbrechen; Erlebnisbilder zum gesehenen beschreibung statt. Beispielsweise wären die verwendeten Notizen zu machen. Hier müsste ein Mittelweg (z.B. ein gefüllt werden. Film zeichnen; den Film nachspielen; ein Storyboard zum Film amerikanischen Filmklassiker anhand der visuellen Ästhetik Blatt mit einer offenen Zeilenstruktur) gefunden werden, da Ziel des Workshops war, einerseits mit den teilnehmenden entwickeln; eigene Wahrnehmungserfahrungen oder das des Filmmaterials (Farbe und Qualität der Filmausschnitte, vermutlich SchülerInnen mit einem leeren Blatt noch mehr KunstpädagogInnen Methoden zu diskutieren und zu ent- persönliche Interesse am Film beschreiben. Ferner stellte ein Ausstattung und Kostüme der 1950er, berühmte Schau- Schwierigkeiten haben könnten. Manchen Notizen waren wickeln, die im Unterricht angewendet werden könnten. Lehrer ein Filmprojekt mit seinen Schülern vor, das praktische spieler wie Sophia Loren und Cary Grant in Nahaufnahme Skizzen beigefügt. Dies könnte für den Kunstunterricht eine Andererseits hoffte ich, erste Antworten auf meine Frage Filmproduktion mit theoretischem Hintergrundwissen ver- etc.) identifizierbar gewesen. Zugegebenermaßen war es wertvolle Erweiterung sein. Eine Person hielt die Zweiteilung zu finden, ob die vorgestellte Methode des schriftlichen Pro- zahnt. Die Erfahrungen mit dem eigenen Filmprojekt flossen diesmal nur möglich, einen Ausschnitt des Films zu zeigen. des Bildes auf dem Protokollblatt als Skizze fest. Eine weitere tokolls Erkenntnisse über Wahrnehmung und Reflexion von dabei direkt in die rezeptive Filmbetrachtung ein und sensibi- Daher sind die wenigen und kurzen Rückmeldungen sicher- Person hatte die ersten Szenen fast wie ein Storyboard skiz- zeitbasierter Kunst liefert. lisierten die SchülerInnen für die filmsprachlichen Mittel. Als lich auch diesem Umstand geschuldet. ziert. An diesem Beispiel zeigte sich, dass die Zeit während

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des Sehens knapp bemessen ist. Während für die ersten Sze- schriftliche Protokoll mehr als erstes Notizblatt zu verwenden Alexander Glas, Hubert Sowa, Katja Brandenburger, Alexander Schneider nen noch Zeit blieb, neben dem Satz eine Skizze zu zeichnen, oder ein Erinnerungsprotokoll unmittelbar nach der Filmprä- entfielen die Skizzen während des ereignisreicheren zweiten sentation zu erstellen. Für den Kunstunterricht sind die prak- Teils des Films. tischen Methoden, die gestalterische Impulse beinhalten, Bilder gestalten lernen, sicherlich am anregendsten. Gleichzeitig sollte ebenso das Fazit für den Kunstunterricht reflektierte Wahrnehmen und damit das Verstehen von Vide- Bilder verstehen lernen. Während des Workshops sind zahlreiche Vorschläge von okunst gefördert werden. Dafür braucht es Betrachtungsme- Neue Ansätze kunstpädagogischer erlebnisorientierten Methoden (Nachspielen, Erlebnisbilder thoden, die sichtbar machen, was gesehen wurde. zeichnen) über Methoden mit filmtechnischen Mitteln (Sto- Lernforschung ryboarding, Verzahnung mit Filmproduktion) bis zu schülerori- Fazit für die eigene Forschung entierten Methoden (eigenes Interesse am Film beschreiben, Im folgenden Semester werde ich mit einer Studierendengrup- in der Schülergruppe gemeinsam den Film entdecken) ent- pe meine empirische Forschung bezüglich der Wahrnehmung Jochen Krautz hat in seinem Vortrag zum „Lernen in der lative Lernfolge. Deren Struktur gründet einerseits in wickelt worden, die eine Betrachtung von Filmen für Schüle- von Videokunst fortsetzen. Für dieses Projekt sind Beschrei- Kunstpädagogik“ (siehe verkürzten Abdruck im vorliegenden der Entwicklungslogik des kindlichen und jugendlichen rInnen interessant machen könnten. Das schriftliche Protokoll bungen zentraler Bestandteil der Analyse. Aus dem Workshop Band) einige essenzielle Feststellungen zum kunstpädagogi- Weltverstehens, andererseits orientiert sie sich an kul- 1 Sowohl der Haupt- hat sich als teilweise nützlich aber auch als teilweise hinder- konnte ich hierfür hilfreiche Impulse gewinnen, die ich in die schen Lernbegriff getroffen1. turellen Konventionen. Im Bezugsfeld beider lassen sich vortrag von Jochen lich erwiesen. Allerdings könnte ein vorbereitetes Protokoll- wissenschaftlichen Untersuchungen einbeziehen werde, wie didaktische Ziele von Unterricht mit der Grundformel von Krautz als auch die blatt, das mit konkreten Fragen durch den Film begleitet, für etwa der Vergleich zwischen Erinnerungsprotokollen, Direkt- Grundlagen der kunstpädagogischen der „Zone der nächsten Entwicklung“ (Wygotsky 1987) beiden Sektionsvorträ- jüngere SchülerInnen eine sinnvolle erste Annäherung an die protokollen und dem zweimaligen Sehen eines Films. Lernforschung beschreiben – also im Zwischenraum vom „Ist“ und der ge von Katja Branden- Filmanalyse sein. Ein offenes Protokoll mit der Möglichkeit Die Dominanz der Handlungsbeschreibung gegenüber der Entsprechend seinen Ausführungen lässt sich für den be- „Tendenz“ des Entwicklungsstandes zum „Möglichen“ der burger und Alexander Skizzen einzufügen könnte ebenfalls das Interesse der Schü- Beschreibung von audio-visuellen Phänomenen fand ich ein grifflichen Rahmen der kunstpädagogischen Lernforschung Lernziele – in Orientierung am konventionellen Stand der Schneider werden ler wecken. Das gleichzeitige Sehen und Schreiben stellte überraschendes Ergebnis, das ich in der nächsten Studie festhalten: Kultur. demnächst im ersten sich als problematisch heraus. So wäre empfehlenswert das überprüfen werde. u Kunstpädagogisches Lernen vollzieht sich in einem durch u Deswegen ist kunstpädagogische Lernforschung nötig – Heft der Zeitschrift Aufgaben und Zielsetzungen strukturierten Unterricht. nämlich als „Unterrichtsforschung mit einem didaktischen des Forschungs- u Es zielt auf kulturelle Konventionen des Bildverstehens Erkenntnisinteresse“ (Krautz). Es handelt sich also nicht verbundes IMAGO und Bildgestaltens, die didaktisch durch DEIXIS (Zeige- um eine nur beobachtende und beschreibende Entwick- publiziert werden handlungen) und MIMESIS (Nachahmungsbezüge, Vor- lungsforschung, sondern um eine praktisch orientierte (IMAGO. Zeitschrift machen, Nachmachen, Mitmachen) vermittelt und von Forschung, die dazu hilft, kunstpädagogische Lehre in für wissenschaftliche den Lernenden angeeignet werden. einer begründenden Weise curricular zu ordnen und ihre Kunstpädagogik, Heft u Im Zentrum der primär produktorientierten Lernprozesse Wirkungen empirisch zu überprüfen. 1: „Lernen im Kunst- stehen Handlungen der Darstellung und Gestaltung, die In der BuKo-Sektion „Lernen und Üben in der Kunstpädagogik. unterricht“, München, zu Produkten führen, anhand derer sich das Können und Beiträge der kunstdidaktischen Lernforschung“ wurde dies an Kopaed) das dem Lernen nachweisen und beschreiben lässt. zwei Beispielen von Doktoranden im IMAGO-Forschungsver- kunstpädagogischen u Der eigentliche Hintergrund dieser beobachtbaren Dar- bund Kunstpädagogik thematisiert. Lernbegriff eine aus- stellungsleistungen ist die Vorstellungsbildung, die im führlichere Darstellung Zentrum des kunstpädagogischen Lernens steht. Aber Lernen im Bereich des Bildgestaltens widmen wird. Vorstellen – das primär zu Bildende – kann nur im Darstel- Im Bereich der Bildgestaltung gibt es zahlreiche Lernfelder. len greifbar werden. Sie sind domänenspezifisch differenziert (also als Zeichnen, u Lernen im Feld der Darstellung und des Bildverstehens ist Malen, Plastizieren, Konstruieren, Photographieren usw.). grundsätzlich kooperativ, nicht subjektzentriert. Es voll- Gestaltungslernen als solches weist bestimmte allgemeine zieht sich unter der didaktisch gezielten Einwirkung von Parameter auf, aber auch domänenspezifische Besonder- Vorstellungs-, Wahrnehmungs- und Darstellungshilfen heiten, über die wir bisher wenig wissen und die auch kaum von Seiten der Lehrenden, also in deiktischen und mi- erforscht sind. metischen Strukturen. Entsprechend muss sich die em- Die allgemeinen Parameter lassen sich in der Grundstruk- pirische Erforschung der Lernprozesse auf das „Typische“ tur von Wahrnehmen, Vorstellen und Darstellen fassen. Im und „Allgemeine“ von Lernen im Unterricht fokussieren, Bereich von darstellungsbezogenen Aufgabenstellungen im nicht so sehr auf das „Singuläre“ isolierter subjektiver Er- Kunstunterricht sind darüber hinaus die allgemeinen Para- fahrungen. meter des handwerklichen, gestalterischen und inhaltlichen u Das kunstpädagogische Lernen lässt sich aufschlüs- Lernens maßgebend. Deren Verhältnis zueinander und des- seln und beschreiben als didaktisch strukturierte kumu- sen sinnvolle Strukturierung durch Aufgabenstellungen und

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Schüler das spezifische Können und Wissen in dieser Sub- präsentiert werden. Abwechselnd stehen die Gesamtheit der anderen Menschen geteilt werden können. Für die Bildrezep- domäne erlernen. Technische Objekte aus der Lebenswelt Konstruktion, funktional relevante Details oder freie Anwen- tionsforschung ergibt sich damit ein klar definiertes Aufga- der Heranwachsenden werden im Hinblick auf die Förderung dung des Gelernten im Mittelpunkt des Interesses. Alle drei benfeld, nämlich das „Wie“ der Näherungsformen an das Bild zeichnerischer Fähigkeiten so vermittelt, dass die Schüler ein Komponenten werden immer wieder in Relation zueinander zu erforschen. Von Interesse sind die Strategien und Heran- Abb. 1: Bleistiftzeichnung Verständnis für deren konstruktive und funktionale Zusam- gesetzt und von allgemeinen wie spezifischen didaktischen gehensweisen der Kinder und Jugendlichen, ihr Rückgriff auf einer 13-jährigen Schüle- menhänge entwickeln können. Anhand bewusster Wahr- Interventionen begleitet. intuitive oder bereits erlernte Heuristiken, die im Sinne eines rin ohne Übung nach der nehmung und didaktischer Interventionen können im Lern-/ Abb. 2 veranschaulicht, wie sich diese Übungen und wie- „Modus operandi“ isoliert und als Vorstellungen in einem ge- Vorstellung. Lehrprozess Vorstellungen verändert werden, wodurch wie- derholte Praxis in einer veränderten zeichnerischen Darstel- meinsam geteilten Resonanzraum verortet werden können. derum das zeichnerische Darstellungsvermögen im Bereich lung niederschlagen und auch im Transfer auf ein anderes Ob- Mit der Frage, wie bildrezeptive Vorgänge erschließbar des Sachzeichnens modifiziert und differenziert werden kann. jekt noch einmal eine Weiterentwicklung ablesbar ist (Abb. werden, ergeben sich im Einzelnen folgende Problemfelder: Das kunstdidaktische Setting ist in aufeinander aufbauenden 3). Es zeigt sich auch hier, dass die Anforderungen an die u Was wissen wir über natürliche Strategien der Bilder- Sequenzen angelegt, die ein Fahrrad und eine Schreibtisch- Heranwachsenden sowohl kognitiver als auch motorischer schließung? lampe in einer methodisch-didaktischen Systematik analy- Art sind, die sich in individuellen zeichnerischen Prozeduren u Welche assoziativen Kontextualisierungen sind feststell- sieren. Das eigentliche Ziel der Unterrichtseinheit ist jedoch konkretisieren. Deshalb werden Probleme der Wahrnehmung bar? nicht, das zeichnerische Wissen und Können in Bezug auf ein sowie Strukturen der Vorstellungsbildung, der Darstellung u Wie sind die Wahrnehmungsprozesse mit Blick auf eine bestimmtes Objekt zu lernen, sondern diese exemplarisch und Gestaltung in der Studie berücksichtigt. Sinnentnahme zu verstehen? Abb. 2: Die Schülerin erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten auch auf andere Im Zeichenprozess wird kooperativ handelnd gelernt. Das u Wie unterscheiden sich diese in den unterschiedlichen erinnert sich an die im ähnliche Produkte übertragen zu können. Die Schüler sollen Angebot an Vorstellungs- und Darstellungshilfen ist so ent- Lebensphasen? Kunstunterricht geübten dazu befähigt werden, ihre individuellen Verfahrensstrukturen wickelt, dass es zunächst systematisch an die zeichnerische u Welche Art Objektidentifizierung liegt vor und welche Ver- zeichnerischen Strukturen für das konstruktive Sachzeichnen sowie für das Sachzeich- Problemstellung herangeht. Es kann von der Lehrperson an- knüpfungen können innerhalb der Bildelemente erbracht und wendet sie an. nen im Allgemeinen weiter zu entwickeln: Am Beispiel der schießend differenzierend eingesetzt bzw. von den Schülern werden, auch hinsichtlich des Erkennens narrativer In- Schülerin Sandra wird deutlich, dass bei ungeübten Zeich- den individuellen Bedürfnissen entsprechend genutzt werden, halte? nern zunächst einfache Symbole überwiegen (Abb. 1). Der um eigene Verfahrensstrukturen zu bilden. Auf diese Weise Lehrgang ist so konzipiert, dass die Objekte in verschiedenen wird durch die zentralen Elemente des Übens und Wieder- Alexander Schneider: lernbegleitende Interventionen sind in einer Didaktik des Ge- Lernarrangements und in abwechslungsreichen Kontexten holens zeichnerischer Verfahrensstrukturen das notwendige Bilder betrachten lernen staltenlernens relativ präzise beschreibbar. Herstellungswissen im Sachzeichnen erworben. Zugleich Begreift man „Lernen“, wie Jochen Krautz es in seinem Bei- Die domänenspezifischen Besonderheiten bauen sich kann die Nachhaltigkeit der gelernten Inhalte gesichert wer- trag bereits benannt hat, „als Modifizierung von Vorstellungs- darauf auf, erfordern aber eine wesentlich differenziertere den, die ihrerseits elementarer Bestandteil einer curricularen formeln durch Wahrnehmung“, so lässt sich der Lernprozess Betrachtung. So wirft z.B. Zeichnenlernen ganz andere di- Sequenzlogik im schulischen Kontext ist. in der Bildrezeption ausgehend von den Mehrdeutigkeiten daktische Probleme auf als Plastizierenlernen. Doch selbst eines Kunstwerkes beschreiben. Da Bilder der Bildenden innerhalb des Zeichnenlernens gibt es weitere Subdomänen Lernen im Bereich des Bildverstehens Kunst in einem ungleich höheren Maß doppelbödig sind als (wie z.B. Sachzeichnen, narratives Zeichnen, räumlich-kon- Lernforschung im Bereich bildrezeptiver Prozesse geht eben- etwa ein Passbild oder eine informative Illustration, erfordert struktives Zeichnen, Porträtzeichnen, Landschaftszeichnen, falls von den eben vorgestellten Prämissen eines grundsätz- Kunstbetrachtung eine verweilende Betrachterhaltung, die Abb. 3: Zeichnung dersel- erklärendes Zeichnen usw.), die jeweils einzeln erforscht lich sozialen Feldes des Kooperativen aus. Darin verorten die Irritationen des Kunstwerkes zu überbrücken versucht. ben 13-jährigen Schülerin und in ihren didaktischen Strukturen geklärt werden müssen. sich die wesentlichen Parameter des Bildverstehens. Diese Gelingen kann die „Überbrückung“ aber nur, indem man die nach der Beobachtung Im Kern läuft diese Klärung auf die Formulierung sinnvoller sind zunächst anthropologisch verankert, begründen sich aus der Irritation gewonnenen Fragen nicht allein mit vor- zum Abschluss der Lernfolgen und die Entwicklung von domänenspezifischen aber auch ontogenetisch durch die Entwicklung des Heran- gängigem Wissen beantwortet, sondern zum heuristischen Unterrichtseinheit. Ihr Methoden hinaus. In ihrem Beitrag über Sachzeichnen im wachsenden in den kulturell und sozial bedingten Bedeu- Erkenntnisprinzip erhebt. Eine solche Heuristik setzt voraus, Gestaltungswissen hat Unterricht der Sekundarstufe 1 stellte Katja Brandenburger tungskonstruktionen. In enger Verbindung steht dazu auch dass man Verstehen im Sinne Michael Tomasellos als einen das zeichnerische Niveau ihre Lehrmethodik und Forschungsbefunde zum Erlernen des das Vorstellungs- und Imaginationsvermögen des Einzelnen, Akt „geteilter Intentionalität“2 begreift. Mit „intentional“ von 2 Vgl. Tomasello, Mi- deutlich erhöht. prozeduralen Gestaltungswissens im Bereich des abbilden- deren Stellenwert die Forschung zunehmend erkennt. Der Fo- lateinisch „intendere“ für „sich auf etwas richten“ ist hier chael (2010): Warum den Zeichnens von technischen Gegenständen dar. kus der vorliegenden Forschung richtet sich damit weniger einerseits die anthropologische und andererseits die herme- wir kooperieren. auf eine subjektzentrierte und in der Begründung auf eine, neutische Verfasstheit unseres Daseins angesprochen, d.h. Berlin. Katja Brandenburger: ausschließlich auf das Subjekt hin rückbezügliche Argumen- wir begegnen uns und der Welt im Wissen und Vertrauen, Konstruktives Sachzeichnen lernen tation, sondern auf Rezeptionsformen, die als allgemeine dass unser Denken und Handeln wie auch das unserer Mit- Das Forschungsvorhaben zum konstruktiven Sachzeichnen Verhaltensmuster identifizierbar sind. Zugrunde liegt die An- menschen sinnhaft angelegt sind. Folglich ist dem Bild der ist im Kunstunterricht verortet, nimmt also einen betont nahme eines kollektiv geteilten Systems von bewussten oder Sinn nicht unmittelbar eingeschrieben, aber es ist von Men- praxisorientierten Blickwinkel ein. An einem kleinen Aus- unbewussten Wahrnehmungs- und Handlungsschemata. schen für Menschen gemacht; das Werk bildet sich durch schnitt des Kunstunterrichts kann so untersucht werden, wie Vorgestellt werden dabei Sachverhalte, die in erster Linie mit eine zweifache „Hinwendung“ aus: die des Künstlers und die

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Abb. 4: Vorstudie Karina Pauls von Edward Hopper „Nighthawks“ (1941/42), Kohle auf Papier Bildhauerei im Kunstunterricht

Einen Überblick zu geben über Was bedeutet dies für das, was Bildhauerei sein kann, den Kunstunterricht? Bild abzuzeichnen, begaben sie sich in einen Modus verwei- ist – zumindest in der Kürze In Nordrheinwestfalen (NRW) lender Bildbetrachtung. Ein Zustand, der die Zeichnenden zur – nicht möglich. Einige Heraus- besteht gemäß den Lehrplänen Abb. 5: Detail aus Hop- eingehenderen Bildrezeption anleitete und mit der szenischen forderungen für den Kunstunter- die zentrale Aufgabe des Kunst- pers „Nighthawks“, 1942 Ambiguität in der Bar konfrontierte. richt lassen sich jedoch an weni- unterrichts in der Vermittlung von Glaubte man auf den ersten Blick, ein hinter dem Tresen gen exemplarisch ausgewählten Bildkompetenz (KLP 2013: 9). Die sitzendes Pärchen zu erkennen, schlägt deren körperliche Beispielen herausarbeiten. Abb. Schüler sollen Kompetenzen im Nähe bei genauem Hinsehen in ein distanzierendes Moment 1 und 2 zeigen Werke im öffent- Umgang mit Bildern unterschied- um, und man fragt sich, ob sich die beiden überhaupt kennen lichen Raum in Düsseldorf. Sie lichster Provenienz (Alltagsbil- (vgl. Abb.4). Parallel zu der Art und Weise wie Hopper selbst sind Teil der Alltagswirklichkeit dern und Bildern der bildenden als Flaneur in New York umherschlendernd seine Beobach- und nehmen auf diese auf unter- Kunst) erlangen und sich mit tungen in Skizzen (vgl. Abb. 5) festhielt und in eben diesem schiedliche Art und Weise Be- diesen nicht nur in der Rezeption, Abb.1 Bild intentional verdichtet, wiederholt sich dieser Akt des zug. Christoph Pöggeler (Abb.1) sondern auch in eigenen Gestal- Christoph Pöggeler: Säu- Verdichtens erneut in den Zeichnungen der Probanden (vgl. positioniert seine Figuren auf tungen auseinandersetzen. Wenn lenheilige, 2001- 2007 Abb. 6 und 7). Die aus dem Forschungssetting gewonnenen Litfaßsäulen, die zum Stadtbild man die Forderung, Produktion Zeichenergebnisse geben ein aufschlussreiches Zeugnis von gehören, in der Funktion als Sockel jedoch die Figuren aus und Rezeption sinnvoll aufeinander zu beziehen, ernst nimmt, den unterschiedlichen Deutungsprozessen der beiden. Die dem Betrachterraum herausheben. Dani Karavan (Abb.2) stellt sich die Frage nach den Bezugspunkten für die gestalte- Abb. 6: Details aus der Darstellung des 13-Jährigen (Abb. 6) verselbstständigte hingegen schafft ein begehbares Werk, durch das die Grenze rische Arbeit. Ist die zeitgenössische Kunst der Bezugspunkt, Zeichnung eines 13-Jäh- sich im Gegensatz zur Zeichnung der 16-Jährigen (Abb. 7) zwischen Werk, Betrachter und städtischem Raum durch- dann steht die gestalterisch-handwerkliche Seite mitunter rigen, Bleistift auf Papier. deutlich gegenüber dem Vor-Bild. Wo der jüngere Proband lässig wird. nicht mehr im Vordergrund, und gestalterisch-konzeptionelle Während der jüngere die Sitzposition der beiden Figuren vertauschte und in ein Mo- Neben dem Betrachterbezug sind u.a. die Relation zwi- Anliegen, die möglicherweise eine gezielte Abweichung von Proband die Sitzpositi- ment des sich Anschmiegens überführte, löste die ältere die schen Werk und städtischem Raum, Werk und Naturvorbild, traditionellen Techniken und „materialgerechtem“ Arbei- on der beiden Figuren szenische Ambiguität des Bildes durch eine Berührung der Fragen der Formgebung und der Materialität bildhauerische ten erfordern, gewinnen an Bedeutung. Wie wichtig ist vor vertauscht und sie anei- beiden Personen auf. Hierin deutet sich eine alters- bzw. bil- Problemfelder, die in der Betrachtung dieser Werke (und so- diesem Hintergrund dann das Erlernen von handwerklichen nander schmiegt, erfasst dungsbedingte Varianz der den Probanden zur Verfügung ste- mit im Kunstunterricht) relevant werden können. Techniken und Verfahren der Formgebung? Wie viel Raum soll die 16-jährige Probandin henden Vorstellungsformen an, denen als didaktisch zu be- Christoph Pöggelers Figuren sind Beispiele für eine fast der konzeptionellen Seite im Kunstunterricht gegeben wer- die Unbestimmtheit der rücksichtigende Rezeptionsbedingungen weiter nachzugehen schon „traditionelle Herangehensweise“; denn es wurde den, und kommt man in der Umsetzung einer Idee ganz ohne szenischen Darstellung. sein wird. Die im Umgang mit Hoppers Bild angeklungenen in einem gestalterisch- handwerklich-technische des Betrachters. Anhand von Edward Hoppers „Nighthawks“ entwicklungs- und erfahrungsabhängigen Differenzen legen handwerklichen Prozess Fertigkeiten aus? Damit rechts: (1942) habe ich den Umgang mit bildhafter Mehrdeutigkeit eine große didaktische Sensibilität bei der Bildauswahl nahe, Material geformt und stellt sich die Frage, wel- Abb. 7: Detail aus im Lernprozess genauer untersucht. Auf den ersten, rein wenn man bildendes Lernen im Kunstunterricht als herme- bearbeitet. In der zeit- che gestalterisch-hand- der Zeichnung einer oberflächlichen Blick erscheint uns auf Hoppers Bild alles neutische Vermittlung von Selbst und Sache versteht. Eine genössischen Kunst werklichen Grundlagen 16-Jährigen, Bleistift und eindeutig benennbar. Durch den Einsatz von Hell-Dunkel vertiefende Darstellung der hier anklingenden Implikationen können Bedeutungen je- wesentlich sind und wie schwarzer Filzstift auf lenkt Hopper unseren Blick in den Handlungsmittelpunkt und Bedingungen für das rezeptive Lernen, erscheint in Kürze doch gerade durch eine und wann diese vermit- Papier. des Bildes – eine Bar. Die dargestellte Szene scheint sich in der Zeitschrift des Forschungsverbundes „IMAGO“. bewusste Abkehr von telt werden. zu fortgeschrittener Stunde zu ereignen; denn die Straße ist handwerklich-techni- Die Lehrpläne in NRW menschenleer und es sind nur noch wenige Gäste zugegen: Literatur schen Regeln und einen sind in diesem Punkt offen Ein Mann, der uns den Rücken zuwendet, und ein Pärchen, Tomasello, Michael (2010): Warum wir kooperieren. Berlin. Verzicht auf Formgebung formuliert und überlassen Abb. 2: das mit dem Barkeeper zu sprechen scheint. Indem ich Pro- Wygotski, Lew (1987): Ausgewählte Schriften. Arbeiten zur psychi- im eigentlichen Sinne grundlegende Entschei - Dani Karavan: Tzaphon, banden unterschiedlichen Alters die Aufgabe stellte, Hoppers schen Entwicklung der Persönlichkeit. Bd. 2. Berlin. entstehen. dungen dem Lehrenden. 1990

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erkunden und von diesen aus zu Bildfindungen zu gelangen. Die zentrale Frage, die sich an alle Wege stellt, ist die nach der zu erzielenden Wirkung. Abb.3 Grafik Beispiele aus dem Kunstunterricht Die gewählten Beispiele beziehen sich auf Workshops, in de- nen sich Schüler der Stufe Q1 (Klasse 11) mit der sehr traditi- onellen Form der Steinbildhauerei auseinandergesetzt haben. Abb. 5 Zwei Grundkurse arbeiteten im Sommer 2013 und Frühjahr Schülerarbeit Arbeits- 2014 im Atelier von Jürgen Zaun in Neuss. Die Workshops prozess fanden im Rahmen des Landesprogramms „Kultur und Schu- le“ statt, das Projekte von Künstlern an Schulen fördert. Die Für diesen stellen sich schließlich Fragen der Schwerpunkt- Workshops waren Teil des regulären Kunstunterrichts und Schüler mit der Arbeit im Atelier begannen, hatte jeder ein ben. Die Schüler, die vollplastisch arbeiten wollten, schlugen setzung einerseits und der Strukturierung und Verknüpfung wurden von Jürgen Zaun und mir gemeinsam konzipiert und Tonmodell im Maßstab 1:1 als Orientierung vorliegen. zunächst nur in einer Richtung die grobe Form aus dem Stein. von Inhalten in größeren Unterrichtseinheiten andererseits. durchgeführt. Es entstand eine Art „Scheibe“, die erst in einem zweiten Ein möglicher konzeptioneller Rahmen kann lauten: „Wege Die Bildfindungsprozesse wurden bewusst aus verschie- Reflexion Schritt zur runden Form beispielsweise eines Kopfes ausge- der Bildfindung“ (vgl. auch Pauls 2014, 2015). denen Richtungen initiiert und damit die Frage der hand- Der Prozess der Ideenfindung ging nicht primär vom Materi- arbeitet wurde. (Abb. 5) Die Arbeit mit Modellen bedeutete Alle in der Grafik (Abb.3) aufgeführten Bereiche spielen auf werklich-technischen Herangehensweise unterschiedlich al aus, sondern wurde von motivbezogenen Fragen geleitet. eine Bindung an ein Vorbild, das es so gut wie möglich zu die eine oder andere Weise in Bildern jedweder Provenienz beurteilt. Die Steinbildhauerei stellte für beide Lerngruppen Erst nachdem erste inhaltliche Entscheidungen getroffen wa- erreichen galt. Dadurch entstand eine Situation, in der es eine Rolle und lassen sich nicht voneinander trennen. Den- nur eine Einheit in einem Halbjahr zur Bildhauerei dar; in den ren, wurde geklärt, wie sich das Motiv plastisch umsetzen „richtig“ und „falsch“ gab und das Vorhaben durch einen fal- noch ist es möglich, einzelne Aspekte aus dem Ganzen für anderen Einheiten wurden die Ausgangspunkte für den Bild- lässt. Für den Arbeitsprozess in Stein war mit dem Tonmodell schen Schlag „scheitern“ konnte. Das Material erfuhren die eine eingehende Betrachtung stärker hervorzuheben. Auch findungsprozess entsprechend anders gewählt, wie ein Bei- und den Vorüberlegungen eine klare Zielvorgabe geschaffen Schüler in erster Linie unter dem Aspekt seiner Bearbeitungs- wenn am Ende Bildidee, Material und Verfahren der Behand- spiel am Ende dieses Beitrages verdeutlichen soll. und das Bestreben vorhanden, Wege zur Realisierung des möglichkeiten. lung des Materials zusammenwirken, ist die Arbeit dennoch Vorhabens in Stein kennenzulernen. Ergebnis eines Prozesses, der nicht linear verläuft und an des- Grundkurs Stufe Q1, Juli 2013 Bei diesem Vorgehen ist kritisch zu sehen, dass die Beurtei- Grundkurs Stufe Q1, Frühjahr 2014 sen Anfang nicht unbedingt alle Bereiche gleich stark beteiligt Der eintägige Workshop wurde im Unterricht vorbereitet, lung, was sich in Stein realisieren lässt und was nicht, für die Aufbauend auf den Erfahrungen aus dem Sommerworkshop waren. Ein Ziel kann im Kunstunterricht darin bestehen, den sodass die Schüler mit einem konkreten Vorhaben ins Ate- Schüler in der Phase der Ideenfindung nur bedingt möglich ist verfolgte ein anderer Grundkurs in umfangreichen Blockver- Schülern in ihrer eigenen gestalterischen Arbeit zu ermögli- lier kamen. Es gab keine Themenvorgabe; den Schülern war und die erste Begegnung mit dem Material unter Umständen anstaltungen (14 Std. an vier Terminen) einen Ansatz, der das chen, verschiedene Wege der Bildfindung zu beschreiten. Die freigestellt, vollplastisch oder im Relief zu arbeiten, lediglich bereits eine Modifikation des Konzepts erforderlich macht. Material in den Vordergrund stellte. Die Schüler sollten nicht Fragen der handwerklich-technischen Umsetzung sind dann das Material Sandstein und die Größe des Blocks waren vor- Die dreidimensionale Form in einem Steinblock zu sehen, im Dialog mit einem Tonmodell arbeiten. Zur Bearbeitung je nach gewähltem Ansatz unterschiedlich zu beurteilen. Eine gegeben. Die Schüler entwickelten Bildideen zunächst in Ton erfordert eine differenzierte Wahrnehmung und ein gutes standen ihnen unregelmäßig geformte Tuffstein-Blöcke zur eher konzeptionell angelegte Arbeit kann vielleicht auf eine (Abb. 4). Ein Tonmodell und die Umsetzung ebendieser Form räumliches Vorstellungsvermögen. Eine klare Vorgabe zu Um- Verfügung, die sie selber auswählen konnten und auf deren „handwerklich richtige“ Ausführung verzichten, wenn dies in Sandstein waren als Anschauungsmaterial im Unterricht setzungsschritten sollte den Schülern eine Orientierung ge- Form sie reagieren sollten. Einige Schüler sahen Gesichter im das Konzept unterstützt. Andererseits ist es auch möglich, vorhanden, sodass erste Überlegungen zu Möglichkeiten und traditionelle Verfahren und ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu Grenzen des Materials angestellt werden konnten. Als die

Abb. 6 Schülerarbeiten (Tuffstein)

Abb.4 Schülerarbeit (Tonmodell + Sandstein)

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mit der Frage, wann eine Plastik optisch schwer oder leicht Tobias Thuge wirkt, befasst (Abb. 7). Ihre Aufgabe war, „Leichtigkeit“ dar- zustellen und das Material und die Art seiner Verarbeitung entsprechend zu wählen. Auf die Steinbildhauerei folgte eine Bildinterventionen im öffentlichen Raum Reihe zur Porträtplastik, die zum einen auf die Arbeit mit dem Naturvorbild und zum anderen auf das Erlernen handwerklich- Abb. 7 technischer Möglichkeiten zur Herstellung einer Plastik ange- Schülerarbeit Thema legt war. (Abb. 8) „Leichtigkeit“ Im Juni des Jahres 2013 steht ein junger Mann in Istanbul auf medial präsent aber noch immer weitgehend unerforscht. Fazit dem Taksim-Platz und schaut stundenlang stumm und ohne Der hier vorgelegte Beitrag versteht sich als zu erweiternde Stein, andere wagten sich an ungegenständliches Arbeiten Von den verschiedenen „Wegen der Bildfindung“ auszugehen, Bewegung auf ein übergroßes Bild des türkischen Staats- Diskussionsgrundlage und kann in seinen Betrachtungen der heran, z.B. indem sie eine ausgefallene, schon vorhandene kann als Möglichkeit gesehen werden, größere Unterrichts- gründers Atatürk; innerhalb kurzer Zeit versammeln sich um thematisierten Bildphänomene keinen Anspruch auf Vollstän- Form verstärkten und weiterentwickelten (Abb. 6). einheiten zu strukturieren und den Schülern eine Vorstellung ihn Passanten und tun ihm dies nach. Im Januar 2008 blei- digkeit erheben. von bildnerischen Prozessen, die nicht nach einem bestimm- ben inmitten des belebten Bahnhofs Grand Central Station Obwohl in der Szene, aus der sie stammen, noch immer Reflexion ten Schema ablaufen, zu vermitteln. Die Wirkung von Bildern in New York circa 200 Menschen zeitgleich mitten in ihren umstritten, sind Street Art, Urban Art oder Post-Graffiti als Für die Bearbeitung gab es in diesem Fall keine empfohlene stellt dabei den Dreh- und Angelpunkt dar und wird zur Grund- Bewegungen wie erstarrt stehen und verharren so fünf Mi- Termini weitgehend klar umrissen (vgl. Reinecke 2012: 17 ff.) Schrittfolge. Die Schüler sammelten die Erfahrungen in einem lage für die Beurteilung, ob etwas „handwerklich richtig“ oder nuten. In Hochhausfenstern in Paris lassen sich im Sommer und verweisen auf Bilderzeugnisse unterschiedlichster Her- Arbeitsprozess, für den es keine konkrete Zielvorgabe in Form „falsch“ ist; denn die Erfahrung in der Auseinandersetzung 2011 Bilder von Videospielfiguren finden, die sich teilweise stellungsart, die zumeist anonym, unaufgefordert und häufig eines Modells gab. Das ermöglichte, „Fehler“ wie das ver- mit zeitgenössischer Kunst zeigt den Schülern, dass auch über mehrere Stockwerke erstrecken und aus bunten Klebe- illegal im urbanen Raum hinterlassen werden. Ihre Erzeuger sehentliche Abschlagen von Teilen des Steins in den Bildfin- in einer bewussten Abkehr von tradierten Wegen der Ge- zetteln gefertigt sind. Benachbarte Hochhäuser reagieren mit verwenden Hauswände, Gehwege, Straßen, öffentliche Ver- dungsprozess einzubeziehen und auf im Prozess (unfreiwillig) staltung Möglichkeiten des Ausdrucks liegen. Das Erlernen ähnlichen Bildern in Sichtweite; ein „Post-it War“ entbrennt kehrsmittel und Stadtmobiliar als Träger für die Bilder, so- entstandene Bedingungen zu reagieren. handwerklich-technischer Verfahren wird damit nicht hinfäl- an vielen Gebäuden der Stadt. dass sie oftmals nur zeitlich begrenzt sichtbar sind. Street Die Herausforderung für den Lehrenden besteht bei diesem lig, sondern unter einem anderen Blickwinkel und im Kontext Die aufgeführten Ereignisse stehen exemplarisch für ein Art hat ihre Wurzeln in der Subkultur des Graffitis und teilt Ansatz darin, nach einer ersten Phase des Ausprobierens und der zu erzielenden Wirkung als eine gestalterische Möglich- Phänomen, welches sich seit etwa der Jahrtausendwende sich mit diesem noch immer den Habitus einer subversiven, Reagierens auf zufällig entstandene Formen in Einzel- und keit betrachtet. Die Wege der Bildfindung und die Wirkung weltweit beobachten lässt. Innerhalb öffentlich zugänglicher gesellschaftlich wenig anerkannten Ausdrucksform, da ihre Gruppenberatungen zu verdeutlichen, wie aus dem sponta- von Bildern ins Zentrum zu stellen, kann als ein Ansatz ge- Räume und Sichtfelder kommt es zu temporären Bildereig- Hervorbringungen oftmals als Sachbeschädigung gesehen nen ersten Zugriff auf das Material ein Konzept entwickelt sehen werden, der einerseits eine sinnvolle Verbindung von nissen, die sich von den üblichen urbanen Sehgewohnheiten werden: „Die Akteure [der Street Art oder Urban Art – T.T.] werden kann, das den folgenden Arbeitsprozess leitet. Wann Rezeption und Produktion ermöglicht, und andererseits einen abheben und zumeist im Rahmen von sozialer Interaktion autorisieren sich selbst, hinterlassen ihre Arbeiten ungefragt ist eine Form stimmig? Wo sind Kontraste erforderlich? Wann gangbaren Weg im Umgang sowohl mit alltäglichen Bildern entstehen. Jenseits der bekannten Methoden der Bildpro- im öffentlichen Raum und nehmen damit die aktive und „funktioniert“ eine Arbeit? als auch mit Werken der bildenden Kunst darstellt. duktion sowohl der Street Art als auch der etablierten Kunst selbstbestimmte Mitgestaltung des öffentlichen Raumes für Die Arbeiten in Stein waren nicht die einzigen zum The- entstehen auf diese Weise Bilder, die sich öffentlichen Raum sich in Anspruch. Urban Art ist ein Phänomen, das sich aus ma „Plastik“ in diesem Kurs. Zuvor hatten die Schüler sich Literatur erobern, in einen Zwischenbereich von Alltagskultur und modernen Städten nicht mehr wegdenken lässt. Sie hat das Kernlehrplan für die Sekundarstufe II, Gymnasium/Gesamtschule in Kunst einzuordnen sind, sich zum Teil unmittelbar auf gesell- Stadtbild nachhaltig verändert.“ (Müller/Uhlig 2011: 4) Nordrhein-Westfalen, Kunst, hrsg. v. Ministerium für Schule und schaftliche Vorgänge beziehen und oftmals eine ästhetische Zum Teil grundlegend anders verhält es sich jedoch mit den Abb. 8 Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Wirkung erzielen, ohne dabei den Kriterien des „Werks“ in oben umrissenen Bildwelten, die in einem vielfältigen Zwi- Schülerarbeit Thema Pauls, Karina: Materialität – Technik – Konzept. Wege der Bildfin- einem künstlerischen Sinne gerecht zu werden. schenbereich von Street Art, Alltagskultur und Kunst anzusie- „Porträtplastik“ dung in der Plastik, in: Bering, Kunibert; Gerber, Julia; Nafe, Na- deln sind, jedoch mit der Street Art gemein haben, dass sie dja; Niehoff, Rolf; Pauls, Karina: Bildbegriff und Kunstverständnis Flashmob, Urban Gardening, Urban Hacking – ebenfalls vor allem im Stadtraum entstehen. Gravierendste im kunstpädagogischen Kontext, Oberhausen 2014 Begriffe, Kategorisierung, Deutung Unterschiede sind aber, dass sie in sozialer Kollaboration und Pauls, Karina: Bild – Idee, Gestaltung, Vermittlung, in: Bering, Ku- Im Folgenden wird versucht, eine erste allgemeine Einord- fast nie durch eine Person allein entstehen, dass sie medial nibert; Fleck, Robert (Hgg.): Bildbegriff und Kunstverständnis in nung und Beschreibung der oben geschilderten Phänomene anders repräsentiert und dokumentiert sowie gesellschaftlich Geschichte und Gegenwart, Oberhausen 2015 (im Druck) vorzunehmen. Obwohl vor allem Aspekte und Erscheinungs- anders rezipiert werden. In Ermangelung eines feststehenden formen der Street Art mittlerweile auch im deutschspra- Terminus für diese Art von Bildern wird hier vorerst der Begriff Abbildungsnachweise chigen Raum wissenschaftlich erforscht werden (vgl. Klitzke/ der Bildintervention im öffentlichen Raum verwendet. Abb. 1: Christoph Pöggeler: Säulenheilige, 2001 – 2007. Foto: Karina Schmidt 2009; Krause/Heinicke/KM4042/KLUB7 2010; Rei- Der Flashmob kann als die bekannteste, weil medial ver- Pauls necke 2012) und auch kunstpädagogische und kunstdidak- breitetste Form der Bildinterventionen angesehen werden. Abb. 2: Dani Karavan: Tzaphon, 1990. Foto: Karina Pauls tische Berücksichtigung finden (vgl. K+U-Themenheft Urban Verstanden werden darunter zeitlich eng begrenzte Aktio- Abb. 3: Grafik der Autorin Art), sind Phänomene wie etwa Flashmobs, Urban Garde- nen von größeren Menschengruppen im Stadtraum, die für Abb. 4-7: Schülerarbeiten. Foto: Karina Pauls ning, Urban Knitting, Urban Hacking, Adbusting etc. zwar Außenstehende plötzlich und überraschend beginnen und

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sonders verschandelten oder „toten Orten“ im Stadtraum, wohnheiten der Betrachter gemacht. Diese Bildinterventio- wie z.B. Fußgängerinseln zwischen Straßen, wilde Pflanzun- nen verfolgen oftmals Formen des Protests, verweisen auf gen vorgenommen, um so auf unwirtliche Lebensräume der gesellschaftliche, politische oder auch private Miss-Stände Stadt hinzuweisen. Hierfür werden häufig – der Bedeutung und bedienen sich hierfür eines spielerisch-pointierten Aus- Abb.1 des Begriffs „Guerilla“ getreu – sogenannte Samenbomben, drucks, der in Aktionen, Installationen, Zeichnungen, verän- Urban Hacking: Auf den handliche Kugeln aus Erde vermischt mit einer Vielzahl von derten oder zerstörten Bildern, Aufklebern, Textbotschaften ersten Blick scheinen die Pflanzensamen, verwendet, die schnell auf die zu begrünen- etc. Form findet. beiden Aufschriften wenig den Flächen geworfen werden. Eine der ersten Deutungen von Bild- und Schriftzeichen im originell, sie erinnern an Die variantenreichste Ausprägung der Bildinterventionen Stadtraum unternahm Jean Baudrillard basierend auf den An- einen pubertären Streich. stellt das Urban Hacking dar. Dieser Begriff fasst kleine Aktio- fängen der Graffiti-Bewegung in New York der späten 1960er nen oder das Hinterlassen temporärer Spuren im Stadtraum Jahre. Bezogen auf Graffiti-Tags, den pseudonymen Namens- zusammen, die in irgendeiner Weise originell, pointiert die üb- zeichen der Sprayer, stellt Baudrillard bereits den sozialen, lichen Sichtweisen hacken, stören oder anderweitig unterlau- kollaborativen Aspekt der Bewegung fest: „Namen [gemeint fen. Die Funktionsweise des Urban Hacking lässt sich prototy- sind Graffiti-Tags – T.T.] ohne Intimität, wie das Ghetto ohne pisch an folgendem Beispiel erläutern: Die Abbildung zweier Intimität ist, ohne Privatleben, aber von einem intensiven kol- Klingeltaster mit der Beschriftung „Satan“ und „Jesus“ lektiven Austausch lebt. Was diese Namen in Anspruch neh- (Abb.1) wirkt auf den ersten Blick wenig originell und erin- men, ist nicht eine bürgerliche Identität, eine Persönlichkeit, zumeist, ohne Spuren zu hinterlassen, ebenso wieder enden. tischen Willens und Formen der Kunst: „Smart Mobs haben nert eher an einen pubertären Streich. Aber mit dem Wissen, sondern die radikale Exklusivität des Clans, der Bande, der Das Geschehen selbst ist zweckfrei und basiert auf der mehr bereits Wahlen umgedreht und Demonstrationen organisiert, dass dies die Klingel eines Friedhofs ist, also eines Ortes, der Gang, der Altersklasse, der Gruppe oder Ethnie, die, wie man oder weniger spontanen Verabredung von Gruppen, die im die eine Regierung gestürzt haben. Nun werden sie halt für mit dem christlichen Erlösungsgedanken und mit religiösen weiß, durch die Übertragung des Namens, durch die absolu- Internet diese Aktionen organisieren und über soziale Netz- Performance-Kunst eingesetzt.“ (Rheingold zit. nach Sixtus Jenseitsvorstellungen konnotiert ist, entsteht im Bild eine te Treue zu diesem Namen […] entsteht […]. Diese Form werke dokumentieren. „Der Flash Mob ist die aufgekratzte 2003) Pointe, eine ironisch-respektlose Brechung, die der zunächst symbolischer Benennung wird von unserer Sozialstruktur, Kehrseite der brütenden, feindseligen Alltagsmasse […]. Im Unter Urban Gardening oder dem eher als Protestform belanglos anmutenden Beschriftung der beiden Klingeltaster die jedem seinen Eigennamen und eine private Individualität Flash Mob lichtet sich die Welt für Sekunden – es flackern zu verstehenden Guerilla Gardening ist das Aussähen bzw. eine erweiterte, unerwartete Bedeutung zukommen lässt und verpaßt, verneint, indem sie im Namen einer abstrakten und Witz, ein Plan, eine Pointe und im Glücksfall Talent durch die Setzen von Pflanzen auf öffentlich zugänglichen Flächen des dem Betrachter wenigstens ein Lächeln abringt (Abb. 2). Oft- universalen urbanen Sozialität jede Solidarität bricht.“ (Bau- Trübnis. Gemeinsam sind die Stadtraums zu verstehen, mals sind Aktionen oder Spuren des Urban Hacking Reaktio- drillard 1978: 26) Übertragen auf gegenwärtige Bildinterven- Mobber frech und schneiden wobei auch hier die Akteure nen auf bereits vorhandene Spuren oder Bilder, durch die sich tionen lässt sich daraus Zweierlei feststellen. den Überwachungskameras zumeist anonym und in recht- die Akteure herausgefordert, provoziert fühlen. In Zeiten von u Erstens: Sie sind nicht mehr nur geprägt durch eine Fratzen. […] Vorerst reicht licher Grauzone vorgehen. Wahlkämpfen lässt sich dies an mehr oder minder kreativen Selbstreferenzialität, die lediglich die Absicht hat, auf die es nur zu kollektiven Geh- und Das Urban Gardening zielt Veränderungen, zeichnerischen Ergänzungen, Teilabrissen Existenz des Erzeugers und des Bildes selbst zu verwei- Sprechversuchen, zu Dada- auf ein nachhaltiges, pro- oder gar der Zerstörung von Wahlplakaten nachvollziehen sen (vgl. Baudrillard 1978: 25), sondern sie können mit Theatersprengseln.“ (Kümmel duktives Vorgehen ab, da zu- (die ja an sich ebenfalls eine mehr oder weniger willkommene einer klaren Intention und Botschaft versehen werden. 2003) Deutlich wird in dieser meist Nutz- und Zierpflanzen Bildintervention darstellen). Mit dem Begriff des Adbusting ist (Weshalb die beschriebenen Vorgehensweisen der Bildin- Charakteristik das kreative angebaut werden, die dann eine Erscheinungsform des Urban Hacking gemeint, die vor terventionen zunehmend in das Interesse von Marketing- Potential, das in diesen Aktio- als solche auch Verwendung allem die Veränderung von Werbeplakaten meint, bei der die Strategien rücken.) nen beinhaltet sein kann. Dem finden. Hierzu eignen sich Aussagen der Werbebotschaften durch Wortspiele oder dem u Zweitens: Nach wie vor sind die Akteure der öffentlichen zweckfreien, häufig spaßori- die Stadtgärtner – zum Teil Verdecken bzw. Hinzufügen von Textteilen zumeist in eine Bildeingriffe untereinander weitgehend unbekannt, orga- entierten Flashmob steht der unbeachtet oder geduldet – konsum- oder globalisierungskritische Aussage verändert nisiert lediglich durch moderne Kommunikationsmittel und Smartmob gegenüber, der Brach-, Park- und ungenutz- werden. Auf der Website notesofberlin.com finden sich die soziale Medien. Sie agieren für den Moment jedoch als Abb.2 sich als dezidiert politisch te Privatflächen innerhalb vielfältigen Erscheinungsformen des Urban Hacking umfas- Gruppe, als Team, in Protestform als Meute und sprich- Im Kontext des Ortes bzw. gesellschaftskritisch der Stadt an, um auf diesen send dokumentiert. wörtlicher Mob (ohne dabei zwingend destruktiv zu sein, – einer Pforte zu einem versteht und in seinem Rah- Pflanzenbau zu betreiben. Gemeinsam ist den hier kurz umrissenen Interventions- was die Bezeichnung „Mob“ intendiert), der im Sinne Friedhof – entsteht jedoch men Aufmerksamkeit für bzw. Subversiver ist das Guerilla formen, dass sie innerhalb urbaner Räume in kollaborativer eines gemeinsamen Ziels zusammenarbeitet, die öffent- eine ironische Pointe. Protest gegen ein thematisier- Gardening, welches ursprüng- Form über einen zumeist beschränkten Zeitraum Bilder ent- liche Ordnung in Frage stellt, diese bewusst stört und die- tes Problem generieren will. lich als politische Protestform stehen lassen, die eine Okkupation des öffentlichen Raumes ser Öffentlichkeit seine Bilder aufzwingt. Der Medientheoretiker Ho- gegen triste, verschmutzte, und dessen Wahrnehmung durch seine Nutzer darstellen. ward Rheingold sieht hierbei dem Menschen entfremdete Dabei werden entweder neue Bilder geschaffen oder es Diese Bilder müssen somit, zumindest in Teilen, als Ausdruck deutliche Berührungspunkte Innenstädte entstand. Dabei wird auf vorhandenes Bildmaterial der Stadt zurückgegriffen politischer und gesellschaftlicher Willensbildung verstanden zwischen dem Ausdruck poli- werden an unerwarteten, be- und dies zum Ausgangspunkt eines Eingriffs in die Sehge- werden.

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Wahrnehmungen von Bildinterventionen eignen oder umgekehrt. Unbestritten ist hingegen, dass sich ventionen stellen die Bildinterventionen ein lohnenswertes Kümmel, Peter: Der kurze Sommer der Anarchie. In: Die Zeit 38/2003. Gesamtgesellschaftlich spielt der Diskurs um die beschrie- Künstler und ganze künstlerische Strömungen, wie etwa der Unterrichtsthema dar – und nicht allein deswegen verdienen http://www.zeit.de/2003/38/Flashmobs [Stand: 28.04.2015] benen Bildinterventionen und ihre verschiedenen Spiel- und Dadaismus, die - und Performance-Kunst, bereits sie auch eine weiterführende kunstpädagogische Betrach- Kunst+Unterricht Themenheft Urban Art. 351/2011. Ausdrucksformen nur eine geringe Rolle. Sie sind noch lange vor den Bildinterventionen ähnlicher Strategien bedien- tung und Erforschung. Müller, Carsten/Uhlig, Bettina: „Narrenhände beschmieren Tisch und immer ein Bildgenre, das vornehmlich von urbanen Ju- ten. Zuvorderst ist natürlich auf zu verweisen, Wände?“ oder – Die Rückeroberung der Stadt durch Urban Art. gendlichen und jungen Erwachsenen geschaffen, bewusst der mit seinen Aktionen immer wieder direkt in die Gesell- Literatur In: K+U 351/2011. S. 4–10. rezipiert, diskutiert, dokumentiert und aktiv weiterentwi- schaft, in den öffentlichen Raum hineindrängte, um dort seine art Das Kunstmagazin spezial: Street Art. Reinecke, Julia: Street-Art. Eine Subkultur zwischen Kunst und Kom- ckelt wird. Nichtsdestotrotz sind die Interventionen Er- Ideen mit eindrücklichen Bildern zu unterstreichen. Seine si- Baudrillard, Jean: Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen. Berlin: merz. 2. Auflage. Bielefeld: transcript 2012. scheinungen in der Stadt, die von allen ihren Bewohnern cher größte Bildintervention im öffentlichen Raum (ohne dass Merve 1978. Rheingold, Howard: Smart Mobs. The Next Social Revolution. New wahrgenommen werden können und oftmals auf eine Re- er sie als solche bezeichnet hat) dauerte von 1982 bis 1987, Klitzke, Katrin/Schmidt, Christian (Hrsg.): Street Art. Legenden zur York: Basic Books 2013. aktion, ein Verhalten ihnen gegenüber, drängen. Des wei- denn ganze fünf Jahre brauchte es, bis alle Basaltstelen der Straße. Berlin: Archiv der Jugendkulturen 2009. Sixtus, Mario: Flash Mobs: Wenn dir plötzlich Hunderte applaudie- teren unterliegen Bildinterventionen Moden und Trends, Aktion „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwal- Krause, Daniela/Heinicke, Christian/KM4042/KLUB7 (Hrsg.): Street ren. http://www.spiegel.de/netzwelt/web/flash-mobs-wenn-dir- sodass deren Weiterentwicklung und Dauerhaftigkeit kaum tung“ vom Friedrichsplatz in Kassel geräumt und jeweils mit Art. Die Stadt als Spielplatz. 2. Auflage. Berlin: Archiv der Ju- ploetzlich-hunderte-applaudieren-a-258913.html [Stand: 28.04. abzuschätzen sind. Beispiel hierfür ist der schon erwähnte dazugehöriger Eiche im Stadtgebiet verpflanzt wurden. Fest- gendkulturen 2010. 2015] sogenannte Post-it War, der seinen Ausgang im Sommer zuhalten ist jedoch, dass die Bildinterventionen durchaus das 2011 in Paris nahm. Hierbei beklebten Büroangestellte ihre Potential künstlerischen Ausdrucks in sich tragen, ihre Um- Fenster, in Zusammenarbeit zum Teil über mehrere Etagen, setzung Zeichen einer gruppendynamischen Kreativität sein mit bunten, selbstklebenden Notizzetteln und erschufen so und ihre Wirkung von Rezipienten auch als künstlerisches Kurzbericht zu „Welche Vorstellungen leiten uns, wenn wir beratend in bildnerisch-künstlerische Prozesse im mosaikähnliche Bilder von populären Comic- oder Video- Produkt wahrgenommen werden kann. Kunstunterricht eingreifen“ von T. Wetzel, S. Lenk, S.Kaulfers, R.Mügel, W.Reuter, I.Wirth spielfiguren. Benachbarte Hochhausbelegschaften reagier- ten mit ähnlichen Bildern, sodass ein Wettbewerb um das Kunstpädagogische bzw. schulische Eindrücke aus der Workshop-Arbeit auffälligste Bild entstand. Jedoch dauerte diese Spielart Anknüpfungspunkte der Bildintervention (denn aufgrund des Wirkens der Bilder Die kunstpädagogischen Potentiale des vorgestellten Phäno- in den Stadtraum hinein muss auch diese Form als solche mens können hier nur knapp umrissen werden: Eine schu- gelten) nicht viel länger als einen Sommer und erfuhr zumin- lische Auseinandersetzung mit den Bildinterventionen legiti- Die Workshop-Leitenden stellten eine Dieses Setting hatte bewirkt, dass und mit viel Neugier und Wertschätzung dest bis heute keine Fortsetzung. miert sich jedoch bereits aus der Tatsache, dass diese grund- Reihe von Arbeiten von Schülerinnen sich alle etwa 30 Teilnehmenden sofort die Bilder betrachtet. Bezogen auf die Wirtschaft sind deutlich Prozesse der legender Bestandteil der Sehgewohnheiten und der Alltags- und Schülern der 12. Klasse zur Verfü- in Gruppen organisiert und sich sehr Die zweite Runde zeigte auf, dass die Affirmation festzustellen. Die subversiven Strategien der kultur von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Städten gung, welche von den Teilnehmenden schnell auf das Bildmaterial eingelas- Kollegen aus Deutschland zum Teil auf Bildinterventionen werden hier dem Marketing, der Wer- geworden sind und die Entstehung von Bildinterventionen bearbeitet werden konnten. Ganz im sen hatten. Eine zweite Gruppe bear- ähnliche Fragestellungen gestossen bung unterworfen, um auf diese Weise neue Käufer- und maßgeblich durch diese Gruppe geprägt wird. Sie weisen Sinne eines Workshops wurden das Ge- beitete zeitgleich die gleichen Bilder, waren und andererseits andere Ge- Kundenschichten zu erreichen, die auf traditionellen Kanälen somit einen hohen Wirklichkeitsbezug auf, der sich deutlich fäss und das Bildmaterial genutzt, den was den späteren Austausch weiter wichtungen für Reaktionsmöglichkei- des Marketings sonst kaum anzusprechen wären. Als Bei- motivierend auf eine Thematisierung auswirken kann. Sowohl Austausch in einer Gruppe anzuregen. befruchtete. ten bevorzugten. spiel kann eine dem Flashmob ähnliche Aktion der Telekom rezeptiv-reflexiv als auch produktiv lassen sich die Interventi- Es waren Arbeiten einer Zwischen- Meine Gruppe bestand aus zwei Die Workshop-Leitung hatte bereits gelten, die im November 2009 in einer der Vorhallen des onen zum Gegenstand einer längerfristigen Auseinanderset- phase eines längeren Prozesses zum Lehramt-Studierenden aus Österreich zu Beginn erwähnt, dass sie keine Pa- Leipziger Hauptbahnhofs stattgefunden hat. Gemeinsam zung machen, welche wiederum an viele gängige Themen Thema „Heimat – ich mache mich nach und einer PH-Dozentin aus der Schweiz. tentlösung vorlegen würde, sondern mit einer großen, mehr oder weniger spontan versammel- des Kunstunterrichts angeknüpft werden können. Alltagskul- dem Abitur auf neue Wege auf“ aus- Diese Mischung von Alter, Wissens- mit dem Workshop die Gelegenheit bie- ten Menschenmenge stimmte ein professioneller Sänger tur, Street Art, Architektur und Stadtraumgestaltung, Perfor- gewählt worden. Das bedeutet, dass stand und Geläufigkeit Kinderzeichnun- ten wollte, der eigenen Unsicherheit in Beethovens Vertonung der „Ode an die Freude“ an, die von mancekunst, Grafik-Design, Malerei, Medienkunst etc. bieten weder die Startphase mit der exakten gen zu betrachten, brachte verschiede- der Begleitung nachzuspüren und durch den Menschen vor Ort mitgesungen wurde. Aus den Bild- als übergeordnete und in dieser oder ähnlicher Form sicher Aufgabenstellung, noch das letzte Bild ne Blickwinkel und Fragestellungen auf den Austausch eigene, übliche Vorstel- und Tonaufnahmen entstand ein TV-Werbespot der Telekom überall curricular verankerte Themenbereiche die Chance, die der Phase gezeigt wurden. die Skizzen und Entwürfe. Die Aussage lungsbilder zu hinterfragen. (https://www.youtube.com/watch?v=IDSsP6U_v_M), der beschriebenen Phänomene im Unterricht zu behandeln. Da- Der Blick sollte auf den Blinden „Ich bin eben noch näher an dieser 14. 2. 2015, weniger ein konkretes Produkt in den Mittelpunkt stellt, son- rüber hinaus ist ein großes Spektrum an fächerverbindenden Fleck der Begleitung und Beratung, auf Schülerin dran!“ zeigte auf, dass eine Monica Bazzigher-Weder dern eher für ein angenehmes Gemeinschaftsgefühl, eine Möglichkeiten gegeben, in denen die Bandbreite des Themas die Gespräche mit der Schülerin wäh- intensive Auseinandersetzung und ein Wohlfühlatmosphäre warb und somit auf einen positiven erkundet werden kann: Anknüpfungspunkte lassen sich ohne rend des Prozesses, gerichtet werden. „Sich-Einfühlen“ in die Thematik und Bezug zur Firma abzielte. weiteres zu den Fächern Politik, Geschichte, Deutsch, Geo- Das Bildmaterial sollte mit den Fragen die Darstellungsmöglichkeiten der Unübersichtlich ist die Einflussnahme der Bildinterventio- grafie und Darstellendes Spiel finden. „Was fällt mir auf?“ und „Was würde Schülerin erfolgte. Gemeinsam wur- nen im Bereich der bildenden Kunst selbst, da in den wenig- Aufgrund ihrer formalen Vielfältigkeit, ihrer inhaltlichen ich der Schülerin oder dem Schüler sa- den Fragen an die Schülerin formuliert, sten Fällen klar zu differenzieren ist, ob sich nun Künstler die Vielschichtigkeit, ihrer Bezugnahme auf gesellschaftliche Ver- gen wollen?“ studiert werden. mögliche Beratungsthemen aufgezeigt Strategien und Ausdrucksformen der Bildinterventionen an- hältnisse sowie ihres Vergnügens beim Unterlaufen von Kon-

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Antje Winkler kommt es mir auf das ästhetische Objekt an, welches „eine tes. Sofern das Paket Assange erreichen würde, war dieser Krise unseres automatischen Verstehens [provoziert, A.W.], angeregt worden: „Show us your view of the diplomatic crisis wodurch sie die Qualität einer geradezu exzessiv semanti- unfolding outside the embassy“2, ein Bild von sich selbst soll- Delivery for Mr. Assange – sierbaren Fremdheit annehmen, aufgrund derer sie mehr zu te er schießen und die Paketkamera an jemanden seiner Wahl sein scheinen, als was sie faktisch sind.“ (Rebentisch 2013: weiter versenden. Derart war Assange per Mail im Vorfeld Freiheit in der Sicherheitsgesellschaft 170). Nach Rebentisch ist dies das Wesen von Kunst. Dem- kontaktiert worden und die KünstlerInnen hatten ihm über Ein Essay für die Kunst nach obliegt das kritische oder politische Potential der ästhe- das Motiv der Mail-Art-Performance Auskunft erteilt. tischen Setzung im Kunstwerk und vermittelt sich mehr noch Werfen wir nun einen analytischen Blick auf die Videoar- in der Reflektion des als Negation, Bruch oder quer liegend beit, die online abrufbar ist3. Der thematische Verlauf des Erfahrenen. Die zeitgenössische Kunst ist, wie Agamben Videos impliziert eine klare Dramatik und ist getragen von meint, „kon-temporär“ also „mit der Zeit“ und fügt ihrer Chro- starken Spannungsbögen. Der gesamte Bildaufbau zeigt zwei In der Kraft der Kunst geht es um TV und Russia Today übertrugen diese Gemengelage via Li- nik insbesondere „Diskontinuitäten, Spaltungen, Zäsuren“ Flächen die auf einer schwarzen Fläche im Breitbildformat an- unsere Freiheit. (Menke 2013:14) vestream ins Internet. Im Zuge der Berichterstattung kam es zu, um sie erst einmal „lesbar zu machen“ (Agamben 2009: geordnet sind. Beide synchron gesetzten Bildmonitore wer- live zu einem unvorhergesehenen Ereignis. Die Auslieferung 39-40). So ist auch Delivery for Mr. Assange intermedial und den wie durch eine Letterbox (Briefkastenschlitz) beobacht- Das Anliegen der Sektion Die Lust am Nicht-Algorithmischen einer Pizzabestellung, die im Forum 4Chan bekanntgegeben hybrid. Möglichkeiten im ästhetischen Erfahren des Werkes, bar. Hierin wird ein ästhetisches Gestaltungselement dieser – Neues für den Kunstunterricht?, welche im Rahmen des worden war, konterkarierte nun in ihrer vermeintlichen Nor- was nun erst Werk und Objekt der Betrachtung wird, sind Arbeit deutlich, welches zwischen videotechnischem Können Internationalen Kongresses der Kunstpädagogik Blinde Fle- malität diese Situation, zumal es nicht bei dieser einen Pizza- gegeben. Das Streben nach Verallgemeinerung als Wunsch und einem ästhetischen Verständnis von künstlerischer Ab- cken in Salzburg (14.02.2015) stattfand, soll im vorliegenden auslieferung blieb. Die !Mediengruppe Bitnik formulierte ihre einer verabsolutierenden Interpretation ist nicht progressiv straktion in der Komposition von Motiv, Schnitt, Montage, Beitrag zusammengetragen und einen Einblick in den For- Beobachtungen folgendermaßen: und nicht in meinem Interesse. harmonischen Proportionen der Bildgrößen und Perspekti- schungsansatz der HBS-Promovendin Antje Winkler (TU „Andererseits waren die Taxis, die Limousinen die auf As- Richten wir nun einen tiefergehenden Blick auf Delivery for ven changiert. Ausgehend von einer sicheren heimeligen Dresden) geben. sange warteten, der zwar soeben Asyl erhalten hatte aber Mr. Assange. Poststation wird das Paket in den technischen Ablauf und Dieser Essay fokussiert eine philosophisch ästhetische keinen Schritt vor die Botschaft machen durfte, auch ein Als am 16. Januar 2013 in einem Postshop in East-London die Trübung von roten und später grünen Posttaschen über- Annäherung an Kunst im Kontext der Gegenwart. Eine sol- politischer Kommentar. Taxis vorbeizuschicken, live auf allen um 12:43 Uhr von den KünstlerInnen ein herkömmliches geben, hin zur Finsternis von immer wiederkehrenden kom- che Betrachtung erfährt die Live-Mail-Art-Performance De- Kanälen, ist zudem ein sehr persönlicher Eingriff mitten in Paket auf den Weg zu WikiLeaksgründer Assange gebracht plett schwarzen Bildern, die von kurzgefassten, rationalen livery for Mr. Assange des Zürcher KünstlerInnenkollektivs ein geopolitisches Ereignis. Plötzlich fühlten wir alle die auf wurde, war dieses mit einer Kamera (in einem Smartphone), Informationen via Twitter kommentiert werden, welche den !Mediengruppe Bitnik. Mit Arbeiten wie Surveillance Chess 4Chan herumhingen und den Weg der Pizza-Bestellung zum einem GPS-Tracker und einem Controller ausgerüstet. Das Zustand der Übertragung der Bilder formuliert. Im nächsten (2012) oder Opera Calling (2007) suchte das Kollektiv un- Auftauchen der Pizza-Kuriere verfolgt hatten als hätten wir Päckchen mit einem Loch im Karton, hinter dem das Smart- Moment stehen die Bildschirme komplett still, nicht einmal längst auf künstlerisch-ästhetische Weise, gesellschaftliche gemeinsam der abstrakten Geopolitik unsere persönliche phone resp. die Kamera angebracht war, vollzog die Reise die Zeit im Liveticker läuft oder ist zu sehen, um das „Total Widersprüche herrschender Verhältnisse, technischer Über- Geschichte entgegengestellt.“ (!Mediengruppe Bitnik 2013: durch das Versandsystem des Royal Mail Postal Service und Blackout since 30 Min.“ mitgeteilt zu bekommen, welches wachungspraxen im öffentlichen Raum und deren Einflüsse 14) schoss dabei alle 10 Sekunden Bilder seiner Umgebung. Die direkt gekoppelt wird mit „First doubts Arise. Maybe some- auf ein demokratisches Miteinander aufzuzeigen. Das Besondere – Ästhetische – dieses Kunstwerks soll für Bilder erschienen direkt im WebCam Format auf der Websei- one taped Camera?“. Es folgen mäandernd menschenleere Einführend sei kurz auf das Kunstwerk eingegangen. De- den Diskurs um Freiheit im Spannungsverhältnis der Sicher- te der !Mediengruppe Bitnik. Erweiternd wurden diese ver- Räume, die auch wiederkehrend kommentiert werden mit: livery for Mr. Assange aus dem Jahr 2013, dem Jahr der heitsgesellschaft dargelegt werden. Denn was sich in diesem mittels ihres Twitteraccounts kommentiert, verlinkt. Die Mög- „Black. Camera Broken. […] Light. We are alive!“ und Fron- Snowden-Enthüllungen über das illegale massenhafte Sam- Verhältnis evoziert, ist eine Dialektik von staatlichem Sicher- lichkeit des kommunikativen Austauschs mit anderen resp. talansichten von Beinen oder schemenhaften Gestalten, die 1 http://www.bitnik. meln privater Daten durch staatliche Überwachungsstruktu- heitsstreben, ökonomischen Interessen an digitalen Daten die RezipientInnen der Liveübertragung direkt online an der Rollwägen schiebend sich durch die grauen betonfarbenen org/assange/ (Stand ren der Geheimdienste NSA oder dem britischen GCHQ, voll- und dem demokratischen Recht auf freier Meinungsbildung Auslieferung des Paketes teilhaben zu lassen und sich ggfs. Innenansichten dieser Verteilerzentren bewegen. Begleitet 02.01.2015). zog sich zunächst als 32-stündige Live-Mail-Art-Performance bzw. -äußerung resp. freier Zugänge zu Wissen mit öffentli- zu Wort melden zu können, war eine Grundbedingung dieser von dem spannenden Fortschreiten der Soundspur. Endlich 2 http://www.bbc. am 16. und 17. Januar 2013 in London. Das darüber hinaus cher Bedeutung. Dieses dialektische Verhältnis wird m. E. auf Performance. Ein Real_World_Ping, a System_Test1 sollte schließt sich das Erwachen in der Botschaft an. Doch auch an com/news/technolo- konzipierte Video ist Dokument und zugleich eigenständi- ästhetisch-künstlerische Weise zum Thema des Kunstwerks sich vollziehen. In der Manier computertechnischer Analy- dieser Stelle ist äußerste Spannung vordergründig. Denn mit gy-21058597 (Stand ge Form in dem Werk Delivery for Mr. Assange und soll an Delivery for Mr. Assange und aus ihm tritt die Problematisie- se von Programmen fand eine analytische Übertragung auf dem Ankommen des Paketes in der Embassy, erreicht den 09.04.2015). späterer Stelle Gegenstand einer ästhetisch-künstlerischen rung, wie virulent freiheitliche und demokratische Werte de- analoge Systeme statt. Vergleichbar mit der Funktionsweise Zuschauenden die Information, dass das Paket nun im Sicher- 3 https://www.youtube. Annäherung sein. Das Werk baut sich als komplex struktu- konstruiert werden, zum Vorschein. von Algorithmen wurde das Paket regelgeleitet dem Postsy- heitsbereich der Botschaft weilt. Das Bild dazu ist schwarz. com/ rierte Performance auf. Eine Art Recherchephase forcierte Wenn ich anschließend über diese Arbeit spreche, sie zu stem übergeben. Denn Schwachstellen oder Fehler sollten Inwiefern Sicherheitsbeauftragte das Ding inspizieren, bleibt watch?v=zlZTgh die Leitfrage, welche freien Zugänge es überhaupt noch zu lesen beginne und beschreibe, wie ich sie erfahre, kommt es im analogen System des Royal Mail Postal Service gefunden im Verborgenen. Später, Aufatmen. Auch diese vermeintliche hCuxg (Stand Menschen unter Bedingungen der totalen Überwachung gibt. bei der Erschließung dieser zeitgenössischen Kunst auf das werden und vermittels der objektgebenden Blackbox, ge- Hürde des Systemtests kann als genommen betrachtet wer- 08.02.2015). Auslöser waren die Ereignisse rund um das politische Asyl Wesenhafte an. meint ist das Paket, anderen oder Interessierten als Gelegen- den. Ein ambivalenter Augenblick mit einer Raubkatze, der in des WikiLeaks-Gründers Julian Assange und seine Flucht Wesenhaft ist m. E. das „was die Existenz der Kunst heit der visuellen Analyse nicht vorenthalten, sondern zu Teil doppelter Richtung von den KünstlerInnen inszeniert ist, in unter massivem Polizeiaufgebot in die Ecuadorianische Bot- […] über die Herkunft, die Verfassung und das Schicksal werden. Das herkömmliche Standardpaket wurde unter dem dem fragend „What is this? Where are we?“ das Unwissen schaft in London/Großbritannien im August 2012. Reuters des menschlichen Geistes sagt“ (Menke 2013: 9). Hernach Vorzeichen des Adressaten zum Vehikel dieses Experimen- über das Kommende ausgedrückt wird. Diese Szene ist ge-

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tragen von einem Auf und Ab in Hell und Dunkel. Manchmal beschriebene dialektische Verhältnis und auch auf das Phä- Beweis erbringt: quere Zugänge zu eröffnen ist möglich. Kunstwerk m.E. das virulente Problem dieser digitalisierten steht der Kontakt zur Außenwelt, die Blackbox sendet Bilder nomen, inwiefern unter Bedingungen totaler Überwachung Wie bereits im Eingangsstatement angekündigt wurde, Tage: nämlich das Problem der Hoheit über Wissen und der Umgebung und dann bricht die Verbindung wieder kom- und Kontrolle, denen zugleich eine vermeintliche Hoheit über lässt sich nunmehr festhalten, dass dieses performative Informationen von öffentlicher Relevanz. Deswegen sind plett ab – alles ist dunkel und die Unsicherheit über den Ver- Information und Wissen in hegemonialer Weise inhärent ist, Kunstwerk als Experiment einen Beitrag im Diskurs um In- Snowden und andere nach Armen Avanessian5 auch die 5 Eugster, David: bleib steigt. Mit dem Blick in das Maul einer Raubkatze tritt Kritik und das Aufzeigen von Schwachstellen im System Aus- formationsfreiheit leistet – versucht es doch als solches das „wahren Revolutionäre“ der Gegenwart; denn sie verfügen Interview mit der totale Kontrast auch zum herkömmlichen Inhalt der Bilder druck finden darf oder reguliert ist. Edward Snowden, Chel- alte System der Post dem des Digitalen der Kommunikation nicht nur über technisches Können, sie sind auch so weit Armen Avanessian, ein. Haben wir vorher einen Einblick in das Innere der Ver- sea Manning oder Aaron Schwartz sind Synonyme für das gegenüberzustellen. Allein durch die Anrufung des Delin- politisiert, dass sie Freiheit als Wesensmerkmal von Selbst- Akzelerationismus, teilerzentren der Post gehabt, so ist dies plötzlich eine sehr Aufzeigen dieser Widersprüchlichkeiten von der Normierung quenten Assange zum Adressaten ihres Paketes werden bestimmung in das Zentrum der Kontroverse stellen. „Entschleunigung ist lebendige organische Konkretion. Der Blick in das Maul der dessen, was sichtbar wird oder unsichtbar und im Verborge- per se Kontrollorgane der thematisch angebundenen Nati- der falsche Weg“, Katze jagt einem fast einen Schrecken ein und man begreift nen bleibt, was auf illegale verdeckte Weise ermittelt wird. onen/Institutionen aufs Tableau gerufen. Spannend ist die Literatur WOZ Die Wochenzei- langsam, es deutet sich eine Veränderung an. Was nun fol- Die Negation verweist auf eine Krise demokratischer Werte Art, wie sich das Kollektiv mit einem Postpaket, welches Agamben, Giorgio (2009): What is the Contemporary?, in: ders., tung, Nr. 14/2015 vom gen wird sind regelrecht verspielte kindliche Motive, die nur und nicht zuletzt auf die Dekonstruktion freiheitlicher Rechte dem Postgeheimnis eingegliedert ist, diesem Sachverhalt What is an Apparatus and other Essays. Standford, 39-54. 02.04.2015, verfügbar im Zusammenspiel der Darstellung, also der Folge der Bilder der Meinungsbildung wie -äußerung. Der Regelübertritt als annähert. Es ist eben nicht nur die Kontrastierung der Sys- !Mediengruppe Bitnik: Ein Paket für Herrn Assange. Zürich. unter: https://www. liegt. Nicht das einzelne Bild transportiert dies, sondern das Chance der Vergegenwärtigung demokratischer Werte des teme: Altes versus Neues bzw. Analoges versus Digitales. Menke, Christoph (2013): Die Kraft der Kunst. Berlin. woz.ch/1514/ Sujet der Darstellung. Wir sehen nun ein Kärtchen auf dem sozialen Miteinanders und das Aufzeigen von defizitären Zu- Denn dieser vollzieht sich nicht ausschließend, sondern Rebentisch, Juliane (2013): Über eine materialistische Seite von akzelerationismus/ „Hello World“ steht, dann wieder Motive von anderen Raub- ständen sind wesenhaft für Freiheit. Eine Freiheit, für die u.a. schließt das jeweils Andere mit ein. Es ist als ob die staat- Camp, Naturgeschichte bei Jack Smith, in: ZfM 1/2013, 165- entschleunigung- katzen-Darstellungen in diversen Nah- und Fernaufnahmen. o.g. Akteure auf überbordende Weise mit dem Preis des Ver- lichen Regelungen wie im Postgeheimnis verankert nun 178. ist-der-falsche-weg Wir sind nicht mehr im technischen Vollzug, sondern werden lustes ihres privaten Lebens bezahlen. Wesentlich für diese Teil digitaler Kommunikation wären und insofern für eine Singelnstein, Tobias; Stolle, Peer (2012): Die Sicherheitsgesell- (Stand 09.04.2015). von jemandem durch seine Umgebung geführt. Die anschlie- demokratische Schieflage ist eben der mangelhafte Schutz freie Atmosphäre Sorge trügen. Insofern verhandelt dieses schaft, Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert. Wiesbaden. ßende Begegnung mit Assange ist schließlich eine Art Happy von demokratischen Grundelementen, wie das Recht auf End und kann als Erweis für den bestandenen Systemtest an- zivilen Ungehorsam oder auf freie Meinungsäußerung. Ten- gesehen werden. Karteikarten mit von Hand geschriebenen denzen, die sich im Sinne der Autoren Singelnstein/Stolle Kunstpädagogik auf dem Weg zu Transkultur, Globalität, Diversity Losungen werden in die Kamerakiste gezeigt, welche kurzum mit dem Terminus „Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle auch von Assange in Frontalansicht gehalten zu sehen sind. im 21. Jahrhundert“ als einen Paradigmenwechsel von so- „Welcome to Ecuador“, „Free Bradley Manning“, „Transpar- zialer Kontrolle, welche „die Gesamtheit der teilweise auch „Transkultur, Globalität, Diversity sind sammenarbeit von Schulklassen mit Lutz-Sterzenbach, Barbara; Schnurr, ency for the State! Privacy for the rest of us!“ sind zu lesen. widersprüchlichen Mechanismen, Techniken und Institutio- präsent, auch in der Kunstpädagogik.“ Kunstschaffenden unterschiedlicher Ansgar; Wagner, Ernst (Hg.): Bild- Damit endet diese Sequenz im Schwarz des Bildschirms. nen gegenwärtiger Sozialkontrolle wie auch ihre vielfältigen Der Workshop von Schnurr, Lutz- Kulturen ermöglichen4, Austauschpro- welten remixed. Transkultur, Globalität, Der Adressat und die öffentliche Kontaktaufnahme zu ihm, Entstehungsbedingungen“ umfasst, einordnen lassen (Sin- Sterzenbach und Wagner forderte jekte mit Schulen anderer Landesteile Diversity in kunstpädagogischen die Akkukapazität, das Senden von Bildern alle 10 Sekunden gelnstein/Stolle 2013: 121). Das Ziel von sozialer Kontrolle heraus, „Fragen zum Sehen in einer oder Länder5 sowie die „Partnerschaf- Feldern. Bielefeld: transcript 2013, S. sowie die Chance der aktiven Kommentierung der Gescheh- ist die allgegenwärtige Kontrolle der Gesellschaft durch ihre transkulturellen [Gesellschaft] zu stel- ten Nord-Süd in der Lehrerinnen und 325-335 entwickelt auf der Tagung zur nisse stellen Parameter dar, die wie Programmierregeln unter Mitglieder unter der Prämisse der Risikoverwaltung. Das len und neue Ideen und Strategien für Lehrerbildung“ für Pädagogische Hoch- Interkultur im Rahmen des Bundeskon- Berücksichtigung des gewünschten Ergebnisses bestimmen, Normativ der Prävention inkludiert alle BürgerInnen. Für den kunstpädagogisches Handeln zu ent- schulen der Schweiz6. gresses BuKo12 in Nürnberg 2012. wie die Daten verarbeitet werden sollen. Allerdings mit dem bundesrepublikanischen resp. westeuropäischen Kontext wickeln“1 aufbauend auf Leitlinien und Sabine Amstad, 3 Deutschschweizer Erziehungsdirek- Unterschied, dass die KünstlerInnen ihre unmittelbare Ein- sowie für den angloamerikanischen Raum gilt seitens Staat, Handlungsempfehlungen für eine trans- Dozentin Bildnerische Gestaltung toren-Konferenz (D-EDK) (Hg.): Lehrplan flussnahme und Kontrolle zugunsten einer Flexibilität, die die Geheimdiensten und Polizei die Berufung auf die Ängste in kulturelle Kunstpädagogik2. Pädagogische Hochschule FHNW, Co- 21: „Bildungsziele“; „Bildnerisches Mensch-Maschine-Interaktion verlangt, abgaben und somit der Bevölkerung. Dermaßen wird der Ausbau entsprechen- Auch in der Schweiz wurden im Projektleiterin Partnerschaftsprojekt Gestalten: Bedeutungen und Zielset- die Struktur nur in Ansätzen bewirkten. Schließlich ging es der Apparate, der Bedarf von Funkzellenabfragen, der Einsatz Sinne einer Bildung für nachhaltige Nord-Süd mit der Universität Luigj zungen“. Luzern 2014. www.lehrplan. eben auch um das Sichtbarmachen des Alles ist möglich. vom Bundestrojaner und somit das Sammeln von privaten Entwicklung Grundlagen für die Aus- Gurakuqi in Shkodra, Albanien. sabine. ch [20.03.2015] Das Interessante an dieser Arbeit ist nicht per se der Daten zur Erstellung von sozialen Profilen legitimiert. Im Film einandersetzung der Lernenden mit [email protected] 4 http://www.artlink.ch/ [20.03.2015]; Adressat dieses Postpaketes sondern vielmehr das Aus- von Laura Poitras „CitizenFour“ kommentiert Edward Snow- der Komplexität der Welt und deren http://www.schrift-bilder.ch/de/ leuchten und Sichtbarmachen eines scheinbar normal gege- den diesen Umstand wie folgt: Entwicklungen erarbeitet. Die Schüle- 1 Lutz-Sterzenbach, Barbara; Schnurr, [20.03.2015] 4 http://www.amnesty. benen Raumes, der nunmehr im doppelten Sinne Sichtbarkeit „Every border you cross, every purchase you make, eve- rinnen und Schüler sollen Vernetzun- Ansgar; Wagner, Ernst: Abstract zum 5 http://schulorganisation.educa.ch/de/ org.uk/blogs/ether/ und somit Möglichkeit zur Reflexion erfährt. Der Kern der ry call you dial, every cell phone tower you pass, friend you gen und Zusammenhänge erfassen und Workshop am Symposium „Blinde mobilitaet-austausch-lehrpersonen five-reasons- Arbeit verweist nicht nur auf die durchaus strittige Situation keep, article you write, site you visit […] is in the hands of a verstehen. Sie sollen befähigt werden, Flecken“, Salzburg 2015. [20.03.2015] care-about-mass- des Herrn Assange, sondern zeigt auf, dass er als WikiLeaks- system whose reach is unlimited but whose safeguards are sich an der nachhaltigen Gestaltung 2 „Nürnberg-Paper 2013. Interkultur- 6 http://www.education21.ch/de/leh- surveillance-edward- gründer eine Person des öffentlichen Diskurses um Informati- not.“ (Edward Snowden, CitizenFour)4 der Zukunft zu beteiligen.3 Globalität - Diversity: Leitlinien und rerbildung/netzwerke/partnerschaften- snowden-gchq-nsa- onsfreiheiten, aber zugleich einer von mehreren ist. Demnach Ich habe versucht zu zeigen, dass dieses Kunstwerk den Einen Beitrag dazu leisten auch Handlungs-empfehlungen für eine nord-sued [20.03.2015] citizenfour (Stand ist dieses Kunstwerk auch nicht temporär auf dieses Ur- Versuch unternimmt, die Alternativlosigkeit des Systems Projekte, die Begegnungen und Zu- transkulturelle Kunstpädagogik“, in: 09.04.2015). sprungsmoment begrenzt. Es verweist vielmehr auf das oben auszuloten und auf performative, regelgeleitete Weise den

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Katrin Dropczynski, Marcus Nümann, Lars Zumbansen

Didaktische Modellierung der Abb.1: Planungsprozess einer Unterrichtsplanung im Fach Kunst Unterrichtsreihe zum Ein blinder Fleck Thema „Partnersuche im Gestern und Heute“

Bei der Sondierung curricularer Leitlinien für den Kunstun- durch die mehrjährigen Praxiserfahrungen und Kooperatio- terricht fällt gegenwärtig eine Fokussierung auf Operatio- nen der Autoren im Umgang mit diesen „blinden Flecken“ nalisierungsverfahren von Aufgabenstellungen und Kriterien den Versuch einer induktiven Theoriebildung von Planungs- der Leistungsmessung auf. Eine logische Ursache hat diese prozessen im Kunstunterricht. Er fußt auf den konkreten Schwerpunktsetzung in der Kompetenz- und Standardori- Schwerpunktthemen der Abiturobligatorik des Landes NRW entierung im Fach, gilt es doch diagnostische Instrumenta- seit 2010, den darin formulierten kunsthistorischen, -epocha- rien für den Kompetenzerwerb am Ende eines bestimmten len Themenkontexten, ihren durch das Ministerium hervor- Bildungsganges (in der Regel nach ein oder zwei Jahren) zu gehobenen Künstlern, wie z. B. Hans Holbein und Albrecht entwickeln. Daneben weist ein Großteil der Bundesländer Dürer sowie den dadurch entwickelten und durchgeführten in Deutschland in bestimmten Zyklen kunstgeschichtliche Unterrichtsplanungen. Die Schülerinnen und Schüler sollten Schwerpunktthemen aus, die – gestaffelt nach Grund- und laut Richtlinien in den bildnerischen Gestaltungen beider Leistungskurs – von allen Oberstufenschülern eines Bundes- Künstler das neue Selbstbewusstsein der Menschen in der landes vor dem Abitur behandelt worden sein sollen. Über Renaissance erkennen und so zu Einsichten in die damaligen eine lose Bezugnahme auf Inhaltsfelder der Kernlehrpläne hi- gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen über das Men- naus erfolgt hier insbesondere in Nordrheinwestfalen (NRW) schenbild und die Selbstsicht des Individuums gelangen. etwa das Portrait des Kaufmanns Georg Gisze von 1532 so funden habe in den auf kognitive Prozesse eingeschränkten gewöhnlich keine weitere Konkretisierung oder Vernetzung. ein Schlüsselwerk, dokumentiert Holbein doch hier durch (vgl. Krautz 2013: 15) und „auf vereinfachte Überprüfbarkeit Diese ist auch nicht gewollt, folgt man etwa Axel Sohnius Exemplarität der Werkauswahl im Kontext flankierende Attribute das neue Selbstbewusstsein einer hin reduzierten Kompetenzbegriff“ (Bering/ Niehoff 2013: von der Qualitäts- und Unterstützungsagentur des Landesin- der Reihenplanung: z.B. Holbein aufstrebenden kaufmännischen Erwerbselite? Laut Busse 33f.) der Kernlehrpläne. stituts für Schule in NRW: „Kompetenzorientierte Lehrpläne Diese Schwerpunktthemen wurden aber noch aus den alten vermag die Kunstgeschichte hier keine spezifische Antwort Doch muss an diesem zentralen pädagogischen Prinzip der sind entdidaktisiert. […] Aussagen zu methodischen oder lernzielorientierten Lehrplänen in NRW abgeleitet. Bemüht zu liefern, habe doch weder dort eine systematische Diskus- Schülerorientierung festgehalten werden, das zugleich auch didaktischen Entscheidungen werden auf ein Minimum re- man sich hier um eine Reformulierung der Obligatorik ge- sion über „Schlüsselwerke“ stattgefunden, noch würden die die Inhaltsdimension der Reihenplanung berührt. Soll Unter- duziert.“ (Sohnius: BDK NRW Rundbrief Herbst 2014: 14). mäß den Grundprinzipien der bildungstheoretischen Didaktik „Festlegungen in den Themen des Zentralabiturs […] auf richt im Sinne Klafkis gegenwarts- und zukunftsrelevante Fra- Über die Leitlinien einer noch zu entwickelnden kompetenz- Wolfgang Klafkis, so müsste die Themenvorgabe nach dem einem wissenschaftlichen Konsens“ (ders. 78) beruhen. In gen für das Leben der Schüler bei ihnen selbst herausfordern orientierten Fachdidaktik ist lediglich zu erfahren, dass diese exemplarischen Prinzip sowohl Elementares als auch Funda- diesem Zusammenhang ist zudem die grundlegende Frage zu (vgl. auch Preuss 2014: 8), reicht eine lediglich methodisch dem „Prinzip des Exemplarischen“ (ders.: 15) folgen solle. Die mentales vereinen (vgl. Bovet/ Huwendiek 2008: 44). Das Er- stellen, ob ausgewählte Einzelwerke und damit Gegenstands- aktivierende Auseinandersetzung mit singulären historischen konkrete Exemplarität der Abiturobligatoriken wird in diesem kennen „bildnerische[r] Gestaltungen als Spiegel und Reflexi- bereiche der Kunstgeschichte überhaupt die exemplarischen Bildwerken im Kunstunterricht nicht aus. An dieser Bedin- Zusammenhang jedoch nicht ausgewiesen. Damit bleiben on gesellschaftlicher Normen und Vorstellungen“ wäre dem- Inhaltskerne von Unterrichtsprozessen markieren können. gung beschritt die Planung der jeweiligen Unterrichtsreihen sowohl die fachwissenschaftliche wie fachdidaktische Legiti- nach als grundlegende Einsicht der Schüler (Fundamentalia) Nach Ulrich Heinen muss diese Frage verneint werden, kön- zunächst gedanklich Umwege auf der Suche nach Exempeln, mation der Unterrichtsthemen wie auch deren systematische zu deuten, „das neue Selbstbewusstsein des Menschen“ in ne doch die „Fachlichkeit des Kunstunterrichts [nicht] aus identifizierte dann in der Forderung nach aktuellem und so Überführung in kumulativ aufgebaute Lernsequenzen – also der Renaissance demgegenüber als zu verallgemeinerndes der akademischen Kunstgeschichte abgeleitet werden“, motivierendem Bildpraxisbezug den katalysatorischen Grund- die Kernbereiche der Unterrichtsplanung – „produktive Leer- Merkmal der Sache (Elementaria), das im malerischen Werk solange sich diese nicht „kunstpädagogisch am Bildungsbe- gedanken für die Anlage der Unterrichtsreihe. Nicht aus ei- stellen“. Die Euphorie ob dieser neu gewonnen Selbstverant- Hans Holbeins d. J. nachzuweisen wäre. dürfnis und Bildungsvermögen von Kindern und Jugendlichen nem Werk, sondern aus seinen historischen Verwendungszu- wortung hält sich in Grenzen, lassen sich diese „Leerstellen“ Für die weitere Auswahl der konkreten Unterrichtsgegen- ausrichte[…]“ (Heinen 2015: 5f.). Interessanterweise fußt sammenhängen und der vergleichbaren aktuellen Bildpraxis aus der Perspektive schulisch arbeitender Kunstpädagogen stände müsste man sich nun im Anschluss etwa an Busse auch der Kompetenzbegriff in der originären Definition nach legitimierte sich eine sinnvolle Auswahl zu bearbeitender doch eher als „blinde Flecken“ und in ihrer Blindheit als Seh- auf die Suche nach entsprechenden „Schlüsselwerken“ im Weinert noch wesentlich auf dem Prinzip der „emotionalen Werke Holbeins. behinderung im Kunstunterricht und seiner Planung identifi- Œuvre Holbeins machen, die als „epistemologische Meta- Aktivierung“, Bering und Niehoff machen jedoch zu Recht Zumeist sind historische Bildpraxen und Umgehensweisen zieren. pher […] Zeitgeschichte, Kulturgeschichte und Kunstge- darauf aufmerksam, dass der Aspekt der „motivationalen, schwierig in den Horizont der Schülerinnen und Schüler zu Der folgende Beitrag unternimmt aus der Sensibilisierung schichte in einem Objekt vereinen.“ (Busse 2014: 78f.). Wäre volitionalen […] Bereitschaft[…]“ gerade nicht Eingang ge- bringen, da diese oft erst textuell erarbeitet und rekonstru-

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fotografie für Schülerinnen und Schüler im Kunstunterricht Über den Szenografie-Zirkel schen Szenografie von Unterricht herausmendeln. Die syste- im jeweiligen Funktionszusammenhang motivierend. Daraus zur generativen Exemplarität matische Entwicklung eines exemplarischen Curriculums des Abb. 2: ergab sich, neben der Analyse der historischen Dilemmata Die nachfolgend entfalteten Überlegungen zur didaktischen Kunstunterrichts müsste – als Bottom Up-Prozess – insofern Schaubild Didaktische einer bildbasierten Brautschau eines Herrschers der Renais- Modellierung von Planungsprozessen im Kunstunterricht ba- auf zahlreichen Konzeptionen und Evaluationen solcher „dich- Modellierung von sance, die Analyse von Kontaktanzeigen in Tageszeitungen sieren auf dem pädagogischen Selbstverständnis der Auto- ten Lernszenarien“ basieren. (Abb.2) Unterrichtsplanung im und Zeitschriften, wie z. B. dem Zeitmagazin oder der Neuen ren sowie den in unterschiedlichsten Kursen beobachteten Kunstunterricht Westfälischen. Gerade in der hier rein sprachlich vorliegen- Motivationen, Intensitäten und praktisch-rezeptiven Ergeb- Literatur den Präsentation einer Person bestand die weitere Motivati- nissen von Schülerinnen und Schülern. Insofern hat das hier 1. Bering, Kunibert u. Rolf Niehoff: Bildkompetenz. Eine kunstdidak- on für die Gestaltungspraxis im Kunstunterricht. Sich über die skizzierte Konzept vorrangig heuristischen Wert zur Selbstdi- tische Perspektive. Oberhausen 2013. visuelle Erscheinung dieser Person auf Grundlage des Anzei- agnostik als Arbeit an einer „persönlichen Theorie guten Un- 2. Bohn, Ralf u. Heiner Wilharm (Hg.): Beiträge zur Theorie und Pra- gentextes und lebensstilorientierter Codes klarzuwerden, um terrichts“ (Meyer 2007: 82f.). Darüber hinaus soll hiermit eine xis der Szenografie. Bielefeld 2009. dann in einer Selbstinszenierung eine visuelle Antwort – ein Differenzierung des Diskurses über „exemplarische Sachge- 3. Bovet, Gislinde u. Volker Huwendiek (Hg.): Leitfaden Schulpraxis. iert werden müssen. Dies kostet wertvolle Unterrichtszeit, ist Bewerbungsbild – zu entwerfen, war die daraus resultieren- genstände“ in der Kunstdidaktik angestoßen werden. Berlin 2008. begleitet aus Analysen werkexterner Quellen und somit ein de Gestaltungsaufgabe. (Abb.1) Unterrichtsplanung wird in diesem Zusammenhang als 4. Busse, Klaus-Peter: Kunst unterrichten. Die Vermittlung von wenig anregendes oder gar motivierendes Vorgehen. Die Kompetenzorientierung fordert eben diesen Perspek- „Szenografie-Zirkel“ ausgewiesen. „Szenografieren“ ist dabei Kunstgeschichte und künstlerischem Arbeiten. Oberhausen Die Konfrontation mit historischen Sachverhalten und den tivwechsel ein, denn Probleme werden hier nicht als nach- ein aus den Theaterwissenschaften entlehnter Begriff (vgl. 2014. in ihnen enthaltenden Objekten erfolgt für Schülerinnen und geschalteter Diskussionsanlass einer Bildinterpretation ver- Bohn/ Wilharm 2009), der hier die dramaturgisch-didaktische 5. Dropczynski, Katrin, Nümann, Marcus u. Zumbansen, Lars: Dü- Schüler immer stärker über deren visuelle mediale Darstel- standen. Kompetenzorientierter Kunstunterricht ist vielmehr Gesamtgestaltung eines Lernraumes beschreibt, in welchem rers Selfie-Kampagne. Historische und aktuelle Portraitpraxis lung in Form von Dokumentationen oder teildokumentari- genuin „auf Problemsituationen hin angelegt, in denen sich eine inhaltlich-problemorientierte Verknüpfung historischer Bil- zwischen Markt, privater Selbstvergewisserung und öffentlicher schen Unterhaltungsfilmen und Serien. Diese Medien nutzen Fachinhalte bündeln lassen“ (Seydel 2007: 10). Das Holbein- derkonstellationen mit schülerrelevanten Fragestellungen aktu- (Re-)Präsentation. In: K+U 387-388: Kulturelles Erbe. Seelze sie aktiv. Beispiel zeigt, dass Probleme selten den Bildern selbst imma- eller Bildkultur(en) und einer sinnhaft anzubahnenden Gestal- 2014, S. 12-25. Die britisch-irisch-kanadische Koproduktion „The Tudors“ nent sind, sondern z.T. überhaupt erst aus den historischen tungspraxis zu einem gemeinsamen Handlungsrahmen erfolgt. 6. Dropczynski, Katrin, Nümann, Marcus u. Zumbansen, Lars: Part- zeigt eine visuelle Gesamtdarstellung der Zeit. Sie bietet wie aktuellen Umgangspraxen mit Bildern erwachsen, die Erst die zirkuläre Verbindung dieser drei kunstdidaktischen nersuche im Gestern und Heute. Vergesellschaftungsprozesse zudem gerade den Produktions- und Verwendungszusam- als kunstdidaktisches Anregungspotential fungieren. So hat Inhaltsdimensionen spannt aus Sicht der Autoren den fach- visualisieren. In: K+U 376: Strukturbilder. Seelze 2013, S. 12-24. menhang zweier Werke Holbeins sowie die daran beteiligten zuletzt etwa auch die aktuelle Dürerforschung eindrucksvoll lichen Sachzusammenhang des Kunstunterrichtes auf. Vor 7. Eser, Thomas: Ein anderer »frühe Dürer«. Drei Vorschläge. In: Personen, wenn auch als Konstruktion der Vergangenheit. In nachweisen können, dass der Erfolg des Malers und Gra- diesem Hintergrund erscheint dann auch die Rede von „di- Hess, Daniel/Eser, Thomas (Hg.): Der frühe Dürer. Nürnberg diesem Zusammenhang thematisiert die Serie insbesonde- phikers Dürer, eines Zeitgenossen Holbeins, vollumfänglich daktischer Reduktion“ oder „fachlichen Kernen“ irreführend, 2012, S. 18-28. re die beiden Holbeinporträts Annas von Kleve und Christi- überhaupt erst aus seinem lokalen Netzwerk aus Förderern weil diese Konzepte noch dem Primat eines einzelnen (hier 8. Heinen, Ullrich: Einrichtung der BDK-Arbeitsgruppe „Kunstge- nas von Dänemark in ihren Entstehungszusammenhang der und Auftraggebern im Umkreis der Familie und des Patriziats vornehmlich kunstgeschichtlichen) Sachgegenstandes fol- schichte in der Kunstpädagogik“. In: BDK-Mitteilungen 1 (2014), Brautschau Heinrichs VIII. in der ersten Hälfte des 16. Jahr- Nürnbergs erklärbar wird (vgl. Eser 2012: 24). Wenn Kunst- gen. Schülerorientierung wird dabei eher als spezifische S. 4-6. hunderts. Die den beiden Werken innewohnende Thematik geschichte, wie in diesem Beispiel, im Anschluss an die lite- (Komplexität verhindernde) Ausgangsdisposition verstanden, 9. Krautz, Jochen: Kompetenzorientierung und ihre Folgen. In: BDK- der bildbasierten Brautschau lassen die Werke aus sich her- ratur- und philosophiegeschichtliche Konstellationsforschung nicht als Teil des Sachzusammenhangs selbst. So heißt es Mitteilungen 4 (2013), S. 13-18. aus nicht erkennen. Partnersuche ist immer aktuell. Selbst für dabei solche „dichte[n] Zusammen[hänge] wechselseitig polemisch überspitzt bei Hilbert Meyer: „Dort, wo fachliche 10. Meyer, Hilbert: Leitfaden Unterrichtsvorbereitung. Berlin 2007. Schülerinnen und Schüler, die in ihrer aktuellen Lebensrealität aufeinander wirkender Personen, Ideen, Theorien, Probleme Korrektheit anfängt, hört das Verständnis der Schüler oft 11. Meyer, Hilbert: Was ist guter Unterricht? Berlin 2004. in sozialen Netzwerken im Internet mit anderen kommunizie- und Dokumente“ (Mulsow/ Stamm 2005) entfaltet, kann sie schon auf“ (Meyer 2014: 65). Unterrichtsplanung im Kunst- 12. Mulsow, Martin u. Marcelo Stamm (Hg.): Konstellationsfor- ren, die ihnen zunächst als Person nur mit einem Bild aufge- durchaus für die Kunstdidaktik eine wesentliche Bezugsdiszi- unterricht erfordert demgegenüber vielmehr didaktische Ver- schung. Frankfurt a.M. 2005. fallen sind. Heinrichs VIII. Dilemma mit der Glaubwürdigkeit plin bleiben. Durch die Vernetzung aktueller wie historischer dichtungen. Gerade die Suche nach thematischen Brücken 13. Preuss, Rudolf: Das Erbe annehmen? Kunst- und Kulturgeschich- des Dargestellten bzw. mit der Wirklichkeitsreferenz der Bild(er)Konstellationen und die gestaltungspraktische (Ziel-) zwischen den verschiedenen Inhaltsfeldern im Planungspro- te im Kunstunterricht. In: K+U 387-388: Kulturelles Erbe. Seelze Porträts ist ein für die Schülerinnen und Schülern ebenfalls Dimension von Kunstunterricht wäre dieser ganz im Sinne der zess sensibilisiert für die exemplarische Qualität des Unter- 2014, S. 4-11. alltägliches Problem. Ebenso finden sich im Netz zahlreiche Kompetenzorientierung immer schon auf einen bildnerischen richtsvorhabens. Damit wäre jedoch auch Exemplarität nicht 14. Seydel, Fritz: Kompetenzfach Kunst. In: BDK-Mitteilungen 2 Partner- oder Friendshipvermittlungsangebote, die ebenfalls (Problem-)Transfer angelegt. Allerdings eröffnen insbesonde- mehr länger aus dem Gegenstandsbereich einer einzelnen (2007), S. 6-10. mit Porträtbildern der Suchenden arbeiten. Hier lokalisiert re solche diachronen thematischen Vernetzungen Räume für Bezugsdisziplin, wie der Kunstgeschichte, a priori abzuleiten, 15. Sohnius, Axel: Der weite Weg mit den Kernlehrplänen Kunst. In: sich die für die Unterrichtsplanung entscheidende Verknüp- Alteritäts- bzw. historische Differenzerfahrungen. Die Analy- sondern würde sich eher generativ im Kontext der didakti- BDK NRW Rundbrief Herbst 2014, S. 11-15. fung des „Damals und Heute“, und es findet ein Perspektiv- sen und Visualisierungen der Beziehungsnetzwerke am Hofe wechsel statt: Die Betrachtung vergleichbarer Bildpraxen und Heinrich VIII. verhelfen nicht direkt zu einem Verständnis für ihrer Probleme für die Nutzer. Fähigkeiten im Umgang mit den die lebensstilorientierten Vergesellschaftungsprozesse von Darstellungsmöglichkeiten des jeweiligen Bildmediums zur Partnersuchenden der Gegenwart, sie sensibilisieren aber Porträterstellung und Bewertung sind damals wie heute aktu- für die Relevanz jeweils zeitgebundener Kontextualisierungen ell und für die Gestaltungspraxis z. B. der inszenierten Porträt- von Bildinszenierungen und Bildumgangspraxen.

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Birgit Eiglsperger, Hans Gruber Konturen und Kanten werden durch eine bestimmte Länge Methoden des Cognitive Apprenticeship und Neigung charakterisiert. Sie können sich krümmen und in Kombination mit verschiedenen Winkelungen kreuzen. Die Differenziertes Wahrnehmen Oberfläche einer Form lässt sich in Flächenzonen einteilen, (1) Anforderungen an die Lernenden (durchgehend) Förderungsmöglichkeiten im die durch deutliche Veränderungen eines Merkmals klare Artikulation und Reflexion: Die Lernenden müssen wäh- Grenzen bilden oder durch „fließende“ Verläufe in andere rend des Lernens eigene Absichten und Probleme artiku- plastischen Gestalten Formzonen übergehen können. Weisen sie über eine be- lieren und reflektieren lernen, damit z. B. ein intensives stimmte Ausdehnung eine gleichmäßige Neigung, Wölbung und effektives Beratungsgespräch in Gang kommen und oder Kehlung auf, erzeugen sie ein einheitliches Licht- oder sich ein reflexives Verständnis entwickeln kann. Schattenfeld (Eiglsperger 2013b: 35) (Tab.). Exploration: Die Lernenden sollen komplexe Aufgabenstel- Die Wahrnehmung ästhetischer Qualitäten und die Bewer- „Lehramt Kunst“ sowie in den Bachelor- und Masterstudi- Elementare Merkmale stehen untereinander in vielfachen lungen explorieren, um tiefe Strukturen der Problemstel- tung gestalterischer Entscheidungen ist im bildnerischen enprogrammen „Bildende Kunst und Ästhetische Erziehung“ Beziehungen und ergeben ein komplexes Formengefüge. lung zu durchdringen und eigene Fragen zu entwickeln. Naturstudium eine Herausforderung. Die Fähigkeit zur diffe- im Fokus. Aktuell arbeitet das „tap“ am Projekt „Studien zur Deren analysierende Wahrnehmung ist nicht trivial, sondern renzierten Wahrnehmung – die Analyse elementarer Merk- Bildhauerei. Analyse expertisegradbedingter Unterschiede muss sich durch gezielte Arbeit am plastischen Modell her- (2) Anforderungen an die Lehrenden male einer Gestalt und die Durchdringung der Relationen in differenzierter Wahrnehmung und plastischer Gestaltung“ ausbilden. Die kunsterzieherische Anregung und Begleitung (geordnet in zeitlicher Abfolge) – ist grundlegende Voraussetzung für das Verstehen von als Teil des „Forschungsfonds Kulturelle Bildung. Studien zu spielt hierbei eine wichtige Rolle. Damit die Relationen nach Vormachen/Demonstrieren: Zu Beginn übernehmen die Ursachen und Wirkungen. Worin die Fähigkeit differenzierter den Wirkungen Kultureller Bildung“ – ein Projekt vom Rat für und nach durchdrungen werden können, müssen mehrere Lehrenden einen großen Teil der sichtbaren Aktivitäten. Wahrnehmung bei Künstlerinnen und Künstlern besteht, was Kulturelle Bildung e.V., gefördert durch die Stiftung Mercator. Perspektiven berücksichtigt und miteinander kombiniert wer- Sie demonstrieren anschaulich wesentliche Vorgänge, Studierende der Kunsterziehung tun müssen, um diese Fä- In diesem Textbeitrag wird die differenzierte Wahrneh- den. Maßverhältnisse von Höhen, Längen und Breiten sind kommentieren ihr Tun und verbalisieren die intern ablau- higkeit zu verbessern, und wie sie dabei unterstützt werden mung definiert, und es werden Förderungsmaßnahmen mit- abzuschätzen, Ausdehnungs-, Richtungs- und Volumenver- fenden kognitiven Prozesse. können, all dies ist Gegenstand der Arbeit der Regensburger hilfe des Cognitive-Aprenticeship-Ansatzes am Beispiel des hältnisse zu beurteilen. Dies gilt sowohl für die Gesamtform Betreuung: Die Lehrenden stehen während des Lernens den Forschergruppe „tap“ (the art project), die in der Kunsterzie- plastischen Gestaltens aufgezeigt. als auch bezogen auf Teilformen. Die synthetische und die Lernenden betreuend zur Seite, sie treten ihnen zunehmend hung und Erziehungswissenschaft kooperieren (Eiglsperger Differenziertes Wahrnehmen im plastischen Gestalten analytische Wahrnehmung beeinflussen sich dabei wechsel- die Zuständigkeit und Verantwortung für einzelne Schritte & Gruber 2012). Die Forschenden untersuchen Prozesse des zeichnet sich grundlegend durch das fortwährende inten- seitig. Erkenntnisse und Fähigkeiten systematisch auszubil- ab, sind aber noch eng an dem Geschehen beteiligt. Wahrnehmens und Gestaltens, um diese besser verstehen, tionale Umschalten des künstlerischen Blicks zwischen Ge- den, stellt Studierende vor erhebliche Schwierigkeiten. Dies Unterstützung/Scaffolding: Die Lehrenden ziehen sich peu beschreiben und erklären zu können. Die wissenschaftliche samtgestalt und elementaren Merkmalen in ihrer räumlichen rechtfertigt das Plädoyer für eine wissenschaftlich und künst- à peu zurück, fordern zu eigenen Entscheidungen auf und Analyse und empirische Überprüfung der besagten Prozesse Ausdehnung aus, also durch den systematischen Wechsel lerisch begründete Unterstützung durch die Lehrenden. stellen weiterhin ein „Gerüst“ (engl. „scaffold“) dar – zum sowohl in bildnerischer Gestaltung als auch bei der Rezeption zwischen synthetischer und analytischer Perspektive (Eigls- Vorrangige Absicht des Lehrens im plastischen Gestalten Beispiel durch das Bereitstellen spezieller Materialien und stellt einen „Blinden Fleck“ der Kunsterziehung dar, zu dessen perger 2000, 2001). Elementare Merkmale eines dreidimen- ist die Förderung der Eigenständigkeit beim künstlerisch- Werkzeuge, ohne deren konkrete Verwendung nahezule- Klärung „tap“ beiträgt. sionalen Objektes im plastischen Gestalten sind Konturen, praktischen Tun. Die Lernenden sollen durch die Lehrenden gen –, das den Lernenden Sicherheit bietet. Empirische Studien, zunächst mit dem Schwerpunkt im Kanten, Flächen und Schattierungen. Flächen treten als ebe- angeregt, unterstützt und befähigt werden, die Differenzie- Zurückziehen: Letztliche Absicht des Lehrenden ist es, plastischen Gestalten, sollen sowohl Aufschluss über pro- ne, als positiv gewölbte (konvexe) oder negativ gekrümmte rung der Wahrnehmung dreidimensionaler Faktoren mit der sich auszublenden, damit die Lernenden immer selbstän- duktive und rezeptive Prozesse als auch einen Beitrag zur (konkave) Flächenzonen in Erscheinung, die ein charakteri- Sensibilisierung für Raumphänomene zu koppeln (Eiglsperger diger agieren können. Konzeption forschungsbasierter Lehr- und Lernformate in der stisches Licht-Schatten-Spiel erzeugen (Eiglsperger 2013b: 2009, 2011, 2013a). In einer Reihe von Vorarbeiten zu „tap“ universitären Ausbildung geben. Dabei steht die Arbeit mit 34f). Kerben, Grate, Spalten oder Durchbrüche rhythmisieren zeigte sich, dass der „Cognitive-Apprenticeship-Ansatz“ (Col- Eiglsperger (2000, 2009) zeigte, dass der Cognitive App- Studierenden der Universität Regensburg im Studiengang und gliedern einen Formabschnitt oder das ganze Gebilde. lins, Brown & Duguid 1989) – sozusagen eine Art „kogniti- renticeship-Ansatz (siehe Kasten) für die Verbesserung des ver Handwerkslehre“ – eine geeignete Möglichkeit darstellt, differenzierten Wahrnehmens im Kunstunterricht frucht- Elementare Konturen und Kanten Flächenzonen und Schattierung dieses Anliegen umzusetzen. Untersuchungen zum Cognitive bar ist, weil sowohl grundlegende handwerkliche Techni- Merkmale Anfangs-/Endpunkt Kulminations-/Wendebereich Tabelle: Elementarmerk- Apprenticeship zeigten in verschiedenen Bereichen (von der ken und deren Anwendung gefördert werden als auch das Länge Zonenausdehnung male und Relationen Mathematik über Geographie, kaufmännisches Rechnen und Erfinderisch-Schöpferische in zunehmender Eigenständigkeit Neigung/Richtung Zonenneigung/-richtung differenzierter Raumwahr- Krümmung Wölbung, Kehlung, Ebene Sprachen bis hin zum plastischen Gestalten), dass damit zur Entfaltung gelangt. Das durch Cognitive Apprenticeship nehmung im plastischen Kreuzung, Winkelung Übergang, Verlauf Lernprozesse angeregt werden, die sowohl den Erwerb von geförderte Zusammenspiel von Elementar- und Gestaltwahr- Gestalten. Gerüst für Faktenwissen als auch von spezifischen Fertigkeiten, Denk- nehmung spielt hierfür eine wesentliche Rolle. Unterstützungsmaß- Relationen Komplexes Formengefüge mustern, Expertenkniffen und Überzeugungssystemen der Beim plastischen Gestalten ist die Beherrschung grundle- nahmen in der Lehre im Längenmaßverhältnisse entsprechenden Expertenkultur bewirken (Gruber & Mandl gender handwerklicher Techniken ein wichtiger Ausgangs- Ausdehnungen (Flächenzonen) plastischen Naturstudium 2015). Der Ansatz stellt ein Gerüst dar, das ein breites Re- punkt. Die benötigten Fähigkeiten umfassen die Auswahl Richtungen pertoire an Lehr- und Lernmethoden umfasst, aber auch Vor- und den werkstoffgemäßen Umgang mit dem Material. Volumina Formübergänge stellungen über deren Abfolge, Gewichtung und Kombination Zum Beispiel kann der formbare Ton sowohl abgetragen enthält. als auch hinzugefügt und durch den Druck der Finger oder

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Ein Beispiel des Lernens und Ein einführendes Thema, das den gezielten Einsatz von Abb. 2a, b Werktechnik, zugleich aber auch bereits Aspekte der Form- Bettina Wirth: 2a Lehrens einer Studierenden bildung und der differenzierten Wahrnehmung fördern kann, Arbeitsprozess zu einer Die Studentin M. Mayer arbeitete in ihrem Studium vertieft ist das Naturstudium und dabei zum Beispiel das „Porträt“ Aktstudie, 2b Streber, im Bereich der figürlichen Plastik und absolvierte Veran- eines Apfels, einer vermeintlich bekannten Form. Damit sich Betonguss, 2013 staltungen mit kunsttheoretischen und kunstdidaktischen die Lernenden auf elementare Merkmale, etwa die Krüm- Abb. 3a, b Schwerpunkten, dabei auch Seminare zur Konzeption fach- mung der Umrisskontur, konzentrieren können, müssen Katharina Eberhard: 3a spezifischer Lehr- und Lernformate unter Einbezug des die Farben, Schattierung und die damit verbundene Volu- Grafische Studien; 3b „Cognitive-Apprenticeship“-Ansatzes. Sie wandte sich im menbildung zunächst ausgeblendet werden. Die Lernenden The course of motion, Rahmen ihrer Zulassungsarbeit zum ersten Staatsexamen fokussieren sich auf ein bestimmtes Element, etwa die Gipsplastik, 2011 für ein Lehramt an Realschulen in Bayern mit ihren Fähig- spezifische Krümmung oder Krümmungsfolgen über eine keiten Schülerinnen und Schülern einer 5. Jahrgangsstufe bestimmte Länge. Dazu können sie sich vorstellen, inwie- zu und entwickelte auf Basis ihrer gereiften Erfahrungen weit der organische Spannungsbogen von einem Regelmaß Abb. 4a, b in der künstlerischen Praxis, ihrer kunsttheoretischen – wie der geometrisch regelmäßigen Kreislinie – abweicht, Sarah Rohrer: 4a Aktstu- Recherche und kunstdidaktischen Kenntnisse ein Unter- wo ein gekrümmter Bereich einen Kulminationspunkt hat die, Betonguss, 2015; 4b richtskonzept zur Gestaltung einer sitzenden, lesenden oder wo und wie lange eine Linie gerade erscheint. Da der „Planstelle“, Wachsob- Figur im Material Ton. Apfel dreidimensional ist und gestaltet wird, muss die Um- jekt, 2015 Sie bietet den Lernenden zu Beginn eine Vielfalt an De- risskontur von vielen weiteren Perspektiven in demselben Abb. 5a, b monstration und Unterstützung: Die Kinder tasten eine Vorgehen betrachtet, analysiert, fixiert und in vorausgehen- Magdalena Mayer, Plastik der Lehrerin ab, zeichnen sich gegenseitig und er- de Erkenntnisse und die Darstellung integriert werden (Eigl- Aktstudien: 5a Katharina, arbeiten sich grundlegende Kenntnisse zur menschlichen sperger 2013b: 36) (Abb.1). Betonguss 2014; 5b Anatomie, vor allem zu den Gelenken, die beim Anwinkeln Agneta, Betonguss 2013 der Extremitäten in Sitzpositionen als zentrale Fixpunkte Abb.1 fungieren und bei der Setzung wie Bewertung von Längen, Plastisches Naturstudium Breiten und Richtungsänderungen Orientierung geben. ihren Studien im plastischen Naturstudium. Sie werden bei am Beispiel „Apfel“: Sie spielt mit den Kindern: „Stell dir vor, du liest eine be- komplexen bildnerischen Prozessen begleitet, durch vielfäl- Elementarmerkmale und sonders witzige Seite deines Comics, du liest eine Horror- tige Aspekte, wie der Werkanalyse kunsthistorischer und Relationen geschichte, eine Liebesgeschichte, dein Buch ist gerade zeitgenössischer Kunstwerke, unterstützt und gleichzeitig zum Platzen spannend.“ angeregt, ihre Erfahrungen in Lehr- und Lernformate zu trans- Die Kinder erlernen Techniken des Modellierens mit dem formieren. Dies entspricht dem Regensburger Profil, das die Material Ton, erwerben Kenntnisse über den Aufbau des Durchdringung der Bereiche künstlerische Praxis, Kunsttheo- menschlichen Körpers und übertragen die Kenntnisse, Die Lehr- und Lerninhalte im plastischen Naturstudium rie und Kunstdidaktik leistet, was sich in allen Studiengängen indem sie diese in plastischen Formen einer eigenen Ton- spannen ein weites Feld auf. Dieses beinhaltet das figürliche niederschlägt. Ein weiteres Beispiel (siehe Kasten) soll auch figur umsetzen. Sie haben die Freiheit, zunehmend eigene Gestalten und Aktstudium eines menschlichen Modells, das dazu einen Einblick geben. (Abb. 5 a, b; 6) Gestaltungsideen zu entwickeln und zu visualisieren. Für sowohl die Nähe zur anatomischen Vorgabe als auch die den Unterrichtsverlauf plant die Lehrerin, wann sie einen Suche nach persönlichem Ausdruck erfordert. Während für Literatur technischen Vorgang demonstrieren soll, bereitet vielfäl- Studierende in Einführungsveranstaltungen die Annäherung Collins, A., Brown, J., S., Newman, S., E. (1989). Cognitive Appren- tige Unterstützungsmaßnahmen vor, wie kunsthistorische an anatomische Vorgaben meist eine große Herausforderung ticeship: Teaching the Crafts of Reading, Writing, and Mathe- Abbildungen, Zeichnungen von Kindern etc., sie reserviert darstellt, versuchen Fortgeschrittene auf der Basis ihrer ent- matics. In L. B. Resnick (Hrsg.), Knowing, Learning, and Instruc- viel Zeit für Gruppen- oder Individualgespräche und sie wickelten Fähigkeit in differenzierter Wahrnehmung Freihei- tion (S. 453–494). Hillsdale: Erlbaum. überlegt sich Situationen, wann sie sich als Lehrende zu- ten im Thema auszuloten, z. B. durch gezielte Steigerung der Eiglsperger, B. (2000). Differenziertes Raumwahrnehmen im plasti- rückziehen kann, um Raum zur Exploration zu lassen. Spannungsverhältnisse in der Volumenbildung oder im Ein- schen Gestaltungsprozess. Eine Untersuchung zur Anwendung Abb. 6 satz von Richtungskontrasten in Hinblick auf den intendierten des „Cognitive-Apprenticeship-Ansatzes“ beim Modellieren ei- Lesende, figürliches Werkzeuge verformt, geschnitten oder geknetet werden. Ausdruck. nes Selbstporträts. München: Utz. plastisches Gestalten mit Der Instrumentenkasten „Werkzeug“ umfasst Hammer, Arbeiten von Regensburger Studierenden geben einen bei- Eiglsperger B. (2001). Differenziertes Raumwahrnehmen beim plas- Ton, Schülerarbeiten einer Holzblöcke, Holzstäbchen, Tonschneider, Spachtel, Messer spielhaften Einblick in mögliche Entwicklungen im plastischen tischen Gestalten. Eine Untersuchung über Probleme und Mög- 5. Klasse; Lehrende M. glatt oder mit Rillen. Faust, Handfläche, Finger und Finger- Gestalten. (Abb. 2 a,b; 3 a,b; 4 a,b) lichkeiten des Lehrens und Lernens. In S. Krauss, et al. (Hrsg.), Mayer nägel sind direkte und die sensuell wirksamsten „Geräte“ Den Einsatz der Methoden des Cognitive Apprenticeship Raumdeutungen – ein interdisziplinärer Blick auf das Phänomen bei weichen Stoffen. erfahren die Studierenden der Universität Regensburg in Raum (S. 83–98). Hamburg: Lit.

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Barbara Lutz-Sterzenbach, Ansgar Schnurr, Ernst Wagner

Abb. 6 Lesende, figürliches Dritte Räume plastisches Gestalten mit Kunstpädagogik auf dem Weg zu Transkultur, Ton, Schülerarbeiten einer 5. Klasse; Lehrende M. Globalität, Diversity Mayer Alle Abbildungen: Archiv Birgit Eiglsperger Şermin Langhoff, Intendantin des Maxim Gorki Theaters in handelt werden. Dieser Aushandlungsprozess als Denkraum Berlin, grenzt in einem Interview die allgemeine Alltagskultur beinhaltet, dass Subjekte sich mit den umgebenden Rollen, klar von einer Situation ab, „in der zwei oder mehr voneinan- Bildkulturen und Selbstverständnissen auseinandersetzen, der völlig getrennte und innerlich homogene ‚Kulturen‘ einan- sich partiell oder temporär auch damit identifizieren.2 Jedoch 1 http://www.bpb. Eiglsperger, B. (2009). Lernumgebungen für Gestalten im Raum. In Kunst (S. 4–7). Braunschweig: Westermann. der gegenüberstehen – sagen wir eine abendländische und werden letztlich keine festen, eindeutigen Identitäten mehr de/gesellschaft/ B. Eiglsperger et al. (Hrsg.), Stufen des Gestaltens. Zeichnung. Eiglsperger, B. (2013b). Wahrnehmens- und Schaffensprozesse: eine orientalische – und mühsam Beziehungen knüpfen“. Das eingenommen, da sie im Dazwischen der vielen Einflüsse und kultur/kulturelle- Malerei. Plastik (S. 75–128). Regensburg: Universitätsverlag Entwicklung und Lehre. Differenziertes Raumwahrnehmen im habe nichts mit der Realität Europas und der Bundesrepu- Selbstverständnisse permanent entgleiten („slipperage“). bildung/60135/ Regensburg. plastischen Gestaltungsprozess. In B. Eiglsperger et al. (Hrsg.), blik im 21. Jahrhundert zu tun: „Kein Mensch, den ich kenne, Zudem werden sie vom jeweils Anderen in Frage gestellt interview-mit-sher- Eiglsperger, B. (2011). Formprinzipien in der Plastik – Analyse von Spaces – Perspektiven aus Kunst und Wissenschaft (S. 29–39). gehört einem einzigen, geschlossenen Kulturraum an. Unser oder ergänzt. So entgleitet z.B. die Rolle (bzw. das Stereotyp) min-langhoff?p=all Formentwicklungen bei C. Brancusi und A. Giacometti. In B. Regensburg: Universitätsverlag Regensburg. wirkliches Leben ist schon längst transkulturell und translo- als muslimische Migrantin, wenn diese bei Facebook Selbst- (30.05.2015) Eiglsperger et al. (Hrsg.), Werkanalyse. betrachten. erschließen. Gruber, H. & Mandl, H. (2015). Apprenticeship and school learning: kal, und zwar jenseits von Herkunft.“1 Die hier formulierte porträts hochlädt. Sie nimmt eine Rolle als künstlerisch aktive 2 Bhabha, Homi K.: The deuten (S. 55–73). Regensburg: Universitätsverlag Regensburg. General considerations. In J. D. Wright (Hrsg.), International en- Vorstellung, dass wir alle zunehmend unterschiedslos in einer Fotografin, die diese Facebookfotos erstellt hat, ein, während Third Space. Interview Eiglsperger, B. & Gruber, H. (2012). Das Auge des Meisters. Blick cyclopedia of the social & behavioral sciences (2. Aufl., Bd. 1, S. globalen Transkultur lebten und in selber Weise daran teilhät- ihr diese Rolle wiederum entgleitet, wenn diese Bilder etwa with Homi Bhabha. In: in die Wissenschaft. Forschungsmagazin der Universität Re- 870–873). Oxford: Elsevier. ten, trügt aber. Differenzen bestehen, Ungleichheit ebenso. im eigenen Jugendzimmer nicht aufgehängt werden dürfen, Rutherfort, Jonathan gensburg. Heft 25 (S. 34-–40). Regensburg: Universitätsverlag Mayer, M. (2014). Figürliche Plastik. Schriftliche Hausarbeit für die Interessant ist die Frage, wie damit umgegangen wird und da hier andere familiäre Regeln gelten.3 (Hg.): Identity. Regensburg. Zulassung zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Real- was daraus entsteht. Das Resultat solcher Kontraste sind laut den Beobach- Community, Culture, Eiglsperger, B. (2013a). Dreidimensionales Gestalten im Kunstunter- schulen in Bayern nach der LPO I. Die Theorie der Dritten Räume, an die wir in diesem tungen Bhabhas keine zerrissenen Identitäten, sondern Difference. London richt. In P. Brünger (Hrsg.), Praxis Grundschule. Dreidimensionale Beitrag anknüpfen, folgt der von Langhoff gemachten Beo- komplexe Selbstverständnisse des In-Between. Diese Zwi- 1990, S. 211 bachtung, dass es im alltäglichen Leben, also in der bestim- schenräume sind aber keine luftleeren Zonen, kein kulturloses 3 vgl. Schnurr, Ansgar: menden Normalität der Kultur, längst nur noch verschiedene Niemandsland, sondern Lebenswelten, die durch eine hoch ‚Dritte Räume‘. Zwi- Mixturen gibt. Doch zwischen diesen gibt es kulturelle Diffe- aktive kulturelle Praxis gekennzeichnet sind und originäre schen Bilderskepsis renzen, auch in pädagogischen Zusammenhängen. Sie liegen Ausdrucksformen hervorbringen. Bhabha beschreibt die hier und Facebookalbum. – bei näherer Betrachtung – z.B. nicht trennscharf entlang entstehenden ambiguen Selbstverständnisse und Aushand- In: Schulz, Frank / Se- der Grenzen, die durch die Herkunft und migrantische Ver- lungsprozesse metaphorisch durch das Pendeln in einem umel, Ines (Hg.): U20 gangenheit markiert sind, sie werden flexibel gestaltet und Treppenhaus: – Kindheit, Jugend, ausgehandelt. Auch wenn sich die Grenzen in den Lebens- „Das Treppenhaus als Schwellenraum zwischen den Identi- Bildsprache. München läufen und kulturellen Zusammenhängen verflüssigen, spielen tätsbestimmungen wird zum Prozess symbolischer Interaktion, 2013, S. 613-62 Abgrenzung und Othering dabei – gerade auch bei der For- zum Verbindungsgefüge, das den Unterschied zwischen Oben 4 Bhabha, Homi K.: Die mung neuer scheinbarer Selbstverständlichkeiten des Alltags und Unten, Schwarz und Weiß konstituiert. Das Hin und Her Verortung der Kultur. – zentrale Rollen. Mit den neuen Mixturen entstehen damit des Treppenhauses, die Bewegung und der Übergang in der Tübingen 2000, S. 5 neue Differenzen. Zeit, die es gestattet, verhindern, dass sich Identitäten an sei- Nun stellt Homi K. Bhabha, ein Vordenker der postko- nem oberen und unteren Ende zu ursprünglichen Polaritäten lonialen Theorie, fest, dass sich zwischen den kulturellen festsetzen. Dieser zwischenräumliche Übergang zwischen Differenzen wiederum etwas Neues bildet. Metaphorisch festen Identifikationen eröffnet die Möglichkeit einer kulturel- beschreibt er diesen Prozess der Neubildungen als einen len Hybridität, in der es einen Platz für Differenz ohne eine Zwischenraum, in dem die Einflüsse und kulturellen Zuge- übernommene Hierarchie gibt“4 hörigkeiten, die uns alle in verschiedenen Lebenssituationen Wesentlich für die postkoloniale Theorie ist genau dieser in unterschiedlicher Weise einbinden, miteinander ausge- letztgenannte Aspekt, nämlich, dass es in Dritten Räumen

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kaum kulturelle Festlegungen gibt, da es sich um extrem tiver und rezeptiver Praxis zu begleiten, der hier fruchtbar Joachim Kettel ausdifferenzierte und individualisierte Konstruktionen han- werden kann. delt. Der Dritte Raum ist durch weitaus geringere Strukturen Es ist vor allem das Medium „Bild“ (verstanden als Contai- von Macht, Festlegung oder fremdbestimmter Einflussnah- nerbegriff vorrangig visueller Sachverhalte in Alltag und Kunst Exploration_Vertiefung_Transfer – me geprägt und bietet erheblich ausgedehnte Handlungs- sowie in allen Medien), das, wenn man es richtig einsetzt, Komplettset mit Gelinggarantie? freiheiten. Hier wird es möglich, durch das individuelle wie „geringere Strukturen von Macht, Festlegung oder fremdbe- gemeinschaftliche Aushandeln von Zugehörigkeiten und stimmter Einflussnahme“ (s.o.) aufweist. Das Bild, gerade Bedeutungen, Subjektivität herauszubilden und – durchaus das von Kindern und Jugendlichen selbst geschaffene Bild, widerständig – zu individuellen Aussagen, Blickwinkeln und weist (im Gegensatz zur Sprache) eine geringere diskursive Die von mir an der Salzburger Polytechnischen Schule initiier- fähigen Prozessstruktur zu gelangen, indem aus wesentlichen 5 Vgl. Castro Varela, Selbstbestimmungen zu finden.5 Bestimmtheit auf und kann in einer unscharfen, fluiden, pen- te Auseinandersetzung mit dem werkstattartigen Ausgangs- künstlerischen Einsichten in gewählte und explorierte Gegen- Mario do Mar/ Kunstpädagogik, die als Bildungsziel die Subjektbildung, delnden Kommunikation je neu verstanden werden. Und die setting sollte die künstlerische Beweglichkeit der Beteiligten stände didaktisch-methodische Konsequenzen zu ziehen und Dhawan, Nikita: Post- das Fördern von Potenzialen wie auch das Erproben von In- Bilder der Welt, von der Kunst über die angewandten Künste und ihr didaktisches Denken und Handeln1 stimulieren helfen. eine unterrichtsdidaktische Modellbildung zu entwerfen war. 1 Joachim Kettel: koloniale Theorie. Eine dividualität und Selbstausdruck hochhält, findet sich hier bis zum Alltag, sind geradezu Paradebeispiele der Hybridität Tische wurden zu Gruppentischen geblockt. Auf jeder Tisch- Künstlerische Erfahrung sollte so ihre didaktischen Potenzi- Warum künstlerisches kritische Einführung. wieder. Kunst bietet einen alternativen Raum zur Sprache, und des In-Between.6 fläche begrüßte eine überschaubare Auswahl unterschied- ale sichtbar machen. Ohne Frage eine recht anspruchsvolle Denken lernen? In: Bielefeld 2005, S. 83ff um Dinge zu verhandeln, Bedeutungen zu generieren und zu Zwei Beispiele können dies ggf. deutlich machen: Schü- lichster Gegenstände, Stoffe und Materialien die Anwesen- Aufgabenstellung (siehe Kasten), die ein Hineintauchen bzw. Carl-Peter Buschkühle 6 Vgl. Wagner, Ernst: überprüfen. Wie die Sprache gehört wohl jedes bildnerische lerinnen und Schüler einer Rosenheimer Schule bauen mit den. Auf Seitentischen wurden Mal- und Zeichenmedien, Pa- eine Verwicklung in die bereitgestellte Versuchsanordnung (Hg.): Künstlerische Kunstunterricht Tun zum Ausdrucks- und Kommunikationsrepertoire und da- Flüchtlingen, die kein Wort Deutsch können, gemeinsam ei- piere unterschiedlicher Größe, Scheren, Klebstoff, Draht etc. und den Willen voraussetzte, sich gemeinsam auf eine span- Kunstpädagogik. Ein im Zeitalter der mit zu den anthropologischen und ontologischen Grundbe- nen Pavillon. Oder: Eine Tänzerin tanzt vor und mit Kindern ausgelegt, Mobiltelefone und Fotoapparate konnten ebenfalls nende Reise zu begeben. Diskurs zur künst- Globalisierung. In: dingungen des Menschen. Auch im künstlerischen Handeln unterschiedlichster Herkunft die Bilder des Museums Reina hinzugezogen werden. „Workshop Kettel; Polytechnische Schule Salzburg; Raum lerischen Bildung. Bering, Kunibert/ finden Übersetzungen statt – Übersetzungen von Beobach- Sofia.7 Diese Prozesse beinhalten, dass sich die beteiligten Die anvisierte Übung für die kommenden drei Zeitstunden 15; 10:00-13:00 Uhr; 3-4 Personen pro Tischgruppe; 3 Briefe; Oberhausen 2012. S. Hölscher,Stefan/ tungen, Wahrnehmungen und Empfindungen und Denken in Subjekte mit den umgebenden und eigenen Rollen, Bildkul- bestand darin, in einem Dreischritt aus Exploration, künstleri- Brief 3 bitte erst öffnen nach ca. 2 Stunden; 7 Tische zu je 4 447-467. Pauls, Karina (Hg.). Linien, Zeichen, Gestaltformen. Diese Setzungen erlauben turen und Selbstverständnissen auseinandersetzten, sich scher Vertiefung und didaktischem Transfer zu einer aussage- Personen (28). Globalität – Transkul- über Sprachbarrieren hinaus einen Kommunikationsprozess, auch damit identifizierten, zumindest partiell oder temporär. turalität – Partizipa- ein Aushandeln von unterschiedlichen individuellen Konstruk- Bei der Sektion in Salzburg haben die Teilnehmerinnen und 1.Brief mit 2 Impulsen gen Sie gemeinsam, wie Sie ‚den Ball Wahrnehmung, eine Untersuchungs- tionen Kunstpädago- tionen und ihren Bedeutungen in einem offenen Raum, der Teilnehmer des Workshops „Kunstpädagogik auf dem Weg zu 1. Impuls: Gemeinsam einen am Laufen‘ halten, also einen langen frage, bzw. das Untersuchungspro- gische Perspektiven. Ambivalenz und Vagheit, der fluide Denkansätze bereithält. Transkultur, Globalität, Diversity“ noch weitere mögliche Bei- Gedankenraum erzeugen künstlerischen Explorationsprozess blem, -gegenstand oder -motiv. Eini- 2015. S. 11 ff Gerade der ganz traditionelle Anspruch des Kunstunter- spiele für solche In-Between-Räume genannt und beschrie- Auslegung von Gegenständen und Ma- entwickeln können! Fertigen Sie auf gen Sie sich auf eines/einen. Gehen 7 http://www. richts seit der Reformpädagogik vor über 100 Jahren, den ben: Musik; unbekannte und unvertraute Erfahrungen, die für terial auf Tisch; Auslegen/Ordnen des der Basis Ihrer Ideenfindungen zu Ihrem Sie vor wie eingangs schon beschrie- museoreinasofia.es/ „unverfälschten Ausdruck des Kindes“ zu fördern, feiert hier alle Beteiligten (auch für die Lehrerinnen und Lehrer) gleich Materials, intensives Wahrnehmen, künstlerischen Prozess gemeinsam ben! actividades/si-fuera- eine überraschende Renaissance – auch wenn er natürlich neu sind; Konsumkultur; Freundschaft. Die Beispiele machen Körperkontakt, Erproben, Sondieren; eine Karte an. Sollten Sie sich nicht ei- movimiento-8 nicht mehr so naiv gedacht werden kann wie damals. Aber deutlich, dass diese Räume zum einen Räume mit hohem Po- Aufgabe an die gesamte Gruppe: Wo- nigen können, so kann auch jeder mit 3. Brief mit 3. Impuls es ist nicht nur dieser traditionelle Bildungsanspruch, der tenzial, zum andern natürlich nicht frei von neuen (und alten) mit wollen wir arbeiten, warum? Der einem eigenen Gegenstand/Material (erst zu öffnen nach aus der Romantik stammende Anspruch, den Prozess der Macht-Beziehungen sind. Der verantwortliche Umgang mit auszuwählende Gegenstand, das Ma- weiterarbeiten (siehe 2. Impuls): ca. 2 Stunden): Didaktischer (Selbst-)Entfaltung des Individuums in bildnerisch-produk- ihnen ist Teil der angesprochenen Aushandlungsprozesse. terial, die Gegenstandsgruppe dient Imaginationsraum als Auslöser für Ihre experimentellen 2.Impuls: Individueller Entwickeln Sie nun (für sich allein!) vor künstlerischen Explorationen; führen Möglichkeitsraum – dem Hintergrund Ihrer selbst gemach- Sie ein gemeinsames (auch kontro- Alleine weiterforschen ten Erfahrungen mit dem Gegenstand verses) Gespräch über denkbare künst- „Arbeite aus Deinem eigenen Werk ein Vermittlungskonzept für die Ziel- lerische Anschlüsse bzw. Anschluss- heraus – nicht aus dem eines anderen“ gruppe Ihrer Wahl (Schule bzw. außer- handlungen, über einen künstlerischen (Richard Serra). Suchen Sie nun einen schulisch); entwerfen Sie eine Vermitt- Forschungs- bzw. Entwicklungspro- eigenen ästhetisch-künstlerischen Zu- lungspartitur/grafische Notation für ein zess, (der gegebenenfalls auch in eine gang zum Gegenstand! Hierzu können Unterrichtsprojekt von der Dauer eines Gestaltung einmündet bzw. einmünden Sie sich an der Material- und Werk- halben Schuljahres; begründen Sie kann). Falls Sie sich nicht auf einen kon- zeugtheke bedienen! hierbei Ihr Vorgehen knapp; bedenken kreten Gegenstand/ Gegenstandsgrup- Sie Ihre Zielsetzung und legitimieren pe, auf ein konkretes Material einigen 2. Brief mit Joker Sie das kunstdidaktische Konzept Ihrer können, so öffnen Sie den Briefum- Das ? soll Sie zu einem erneuten Ge- Wahl; geben Sie Hinweise zu Ihrem schlag mit dem Joker darauf: Überle- spräch anregen über eine spezielle Kunstbegriff (alles schriftlich)!“

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Ulrichs „Ich kann keine Kunst mehr sehen!“ (1975/2002) „Katzenschwanz – Soweit ich mich erinne- Schüler/innen auslösen würde – schließ- falls wir im Nachhinein noch etwas verän- hergestellt. re, war es der Gruppe von Anfang an ein lich befanden wir uns in einem Workshop, dern wollten, aber auch, um den Prozess Ausgewählt wird ein Gummihandschuh, auf den ein Anliegen, zu einem gemeinsamen Ergebnis in dem es um künstlerische Didaktik ge- festzuhalten. Schneckenhaus als Schmuck appliziert wird. Offenbar reizt zu kommen. D. h., wir wollten uns an die hen sollte. Was nach der Kategorisierung Nachdem alle Nummern vergeben wa- die Teilnehmerin der Materialkontrast von Gummi und Mu- Aufgabenstellung halten und ein gemeinsa- passieren würde, war noch völlig unklar. ren, studierten wir das Bild. Nun spielte für mes Werk schaffen. Dazu war es notwen- Die Gegenstände wurden schließlich in uns alle die Berücksichtigung formaler As- schelkalk, weich und hart, künstlich und natürlich, dunkel und dig, sich zunächst über die individuellen Themen-Gruppen sortiert und anschlie- pekte eine Rolle, denn das Katzenbild sollte hell. Hinzu kommen mit Gummiringen versehene Glieder einer – teils auch (berufs) biografischen – Po- ßend aufgereiht: von ‚natürlich-wertvoll‘ bis statt mit den Farben mit den nummerierten künstlichen Hand, die die ganze Zeit über von der Teilnehmerin sitionen, Ideen, Vorstellungen, Vorlieben, ‚künstlich-weniger wertvoll‘. Es war dabei Gegenständen nachgestaltet werden. Das getragen und performiert wird, und mit der Körperkontakt zu Widerstände usw. auszutauschen, was klar, dass die Kategorisierung natürlich nie vorgezeichnete Katzenbild sollte also zur anderen Gegenständen und Personen hergestellt wird,.Dabei wir eingangs etwas systematischer und ganz ‚richtig‘ bzw. ganz ‚falsch‘, d.h. eindeu- Karte werden, nach der wir ein andersarti- werden die Kontrastbildungen von natürlichem und künstli- mittendrin auch immer wieder mal taten. tig sein konnte und dass es Schnittmengen ges Katzen-Bild legen wollten. Wir wählten chem Fleisch bzw. der Haut, eigenem Körper und Fremdkörper Nachdem wir uns zuerst einander vorge- geben würde. Es ging bei den Zuordnungen daher das Ende des Katzenschwanzes aus, stellt hatten, unterhielten wir uns über die und der Reihung vor allem darum, einen um damit die Legearbeit zu beginnen, weil Abb. 1: deutlich. Die anderen beiden weiblichen Gruppenmitglieder auf dem Tisch ausgelegten Gegenstände, ersten Zugriff zum Umgang mit dem reich- dieser aus kleinen Flächen bestand. Der Tandem, Blindenführung haben sich zwischenzeitlich je eigenen Gegenständen zu- die wir schon eine Weile betrachtet und haltigen Sortiment zu finden und zu prak- Zipfel des Katzenschwanzes wurde nun gewandt, die sie nun mit jeweils anderen in Kombinationen gemustert hatten und versuchten dabei, tizieren. also nicht mit den Farben auf den Malkar- auf ihren Wirkungs- und Bedeutungsgehalt hin weiter unter- sie grob in Kategorien einzuteilen: Kitsch, Die Diskussion während des Sortierens ton gemalt, sondern als Bild aus Gegen- suchen, wobei sie schließlich zu aussagfähigen Gestaltungen Kindergeburtstag, Natur, Kunst, … usw. kristallisierte sich am Spiel ‚Malen nach ständen gelegt. Dabei kamen uns immer gelangen. Ihre Mikro-Welten zeigen Modellbau-Figuren und Dass wir zu unserem ,Katzenschwanz‘- Zahlen‘ (Abb.4). Schnell waren wir uns ei- neue Ideen. Ich hätte gern auch noch die Gegenstände in unterschiedlichen Zusammenfügungen. Eine Ergebnis kamen, lag vor allem daran, dass nig, dass für ein solches Spiel, das sicher Fläche verlassen und den Katzenschwanz andere Teilnehmerin beschäftigt sich mit einem Apfel, der ihr in wir einerseits immer bereit waren, Kom- von vielen Kunstpädagog/innen eher als an Fäden in den Raum gehängt. Damit ihrer Gestaltung einerseits zum Symbol für Wachstum bzw. ein promisse einzugehen, und andererseits No Go für den Einsatz im Unterricht ver- wäre auch die Gruppe einverstanden ge- bald eine erste Idee fanden, an deren Um- wendet werden würde, dennoch künstle- wesen. Mangels Zeit und Möglichkeit Abb. 2 menschliches Gehirn wird, worin sie eine Kanüle mit Trichter setzung wir alle gemeinsam Spaß hatten. rische Umgangsweisen entwickelt werden mussten wir darauf allerdings verzichten. Eine männliche Figur und einen Kompetenzstreifen steckt. In anderen Gestaltungen .... Wie in Gruppenprozessen üblich, gab es könnten. Außerdem stellten wir infrage, Am Ende waren wir alle sehr mit unserem gedankenversunken auf wandelt eine männliche Figur gedankenversunken auf einem natürlich dominantere und zurückhaltende- ob denn ‚Malen nach Zahlen‘ grundsätzlich Ergebnis zufrieden. Es war uns gelungen, einem Apfel, eine weib- Apfel umher, wird eine weibliche Figur an einem Mast auf- re Verhaltensweisen. A. wollte gern zuerst ‚schlecht‘ sein könnte: Für wen oder was? innerhalb der vorgegebenen Zeit mit dem liche Figur an einem Mast gehängt, dessen Sockel mit Papier umwickelt ist, auf das ein die Gegenstände sortieren und setzte sich Wie? Warum? Mit wem? Es reizte dann zur Verfügung gestellten Material eine aufgehängt Zahlencode und japanische Schriftzeichen aufgedruckt sind. dafür ein. I. und J. gingen auch recht schnell alle gleichermaßen, den Schachtelinhalt gemeinsam entwickelte, künstlerische (Abb.2) Eine männliche und weibliche Spielzeug-Figur, platziert darauf ein. Ich hatte eigentlich kein Inter- anders zu verwenden. ... Die Karten-Idee Idee zu realisieren. Ich vermute, dass wir esse daran, denn ich hätte sehr gern den entstand auch aus der Diskussion darum, diese vor allem deshalb lustig, spannend, am Rande eines Apfel-Kraters, erinnern den Betrachter an schon etwas weichen Apfel zermatscht dass es darauf ankommt, nach ‚welchen interessant und realisierungswürdig emp- Nachdem sich zwei gemischtgeschlechtliche Gruppenbil- den ‚Spaziergang auf dem Vulkan‘, sie links er rechts, nehmen und daraus etwas gemacht. Aber da mir Karten‘ man handeln kann – hier im Um- fanden, weil es sich letztendlich um das dungen an zwei Tischblöcken ergeben hatten, konnte die beide Personen doch keinen Kontakt auf. Wieder ein anderes wichtiger war, dass wir ein gemeinsames gang mit den Gegenständen bzw. dem Spiel mit und das Brechen von Klischees in Arbeit aufgenommen werden. Jede Gruppe ging mit der Objekt zeigt eine Blindenbinde als Raketenabschussrampe, Ergebnis entwickeln und ich außerdem ge- Spiel: Je nachdem, wohin man hin und Bezug auf Kunst und Pädagogik handelte. Aufgabenstellung anders um. Die erste Gruppe diskutierte ein weiteres eine gespannte Mausefalle unter Zellophan. Alle spannt war, wie sich der Gruppenprozess welchen Weg man einschlagen möchte, Das Spiel bestand im Aushandeln und im wenig über die Aufgabenstellung. Alle Gruppenmitglieder entstandenen Objekte muten wie Asservate der kriminaltech- weiter gestalten würde, stimmte ich dem mit Ziel oder ohne. Das Spiel wurde also Neu-Ordnen, aber auch in der Transfor- explorieren zunächst die Gegenstände und Materialien auf nischen Spurensicherung an. Die Zeit reichte bei dieser Gruppe zu, machte aber nicht sehr aktiv mit. ... So erst einmal ausgepackt. Die Farbtöpfchen mation der Ausgangsobjekte in eine neue ihrem Tisch. Hierbei entwickeln sich rasch Dynamiken, die jedoch nicht aus für einen Transfer der gesammelten Erfahrun- übernahm ich teilweise stärker die Rolle der waren logischerweise mit Nummern ver- Gestalt (Abb.5). Beobachterin, als der aktiven Mitgestalte- sehen. Schnell waren wir uns einig, dass Ich erinnerte mich während der Work- dazu führen, den Platz zu verlassen und zu zweit durch den gen in die didaktische Ebene. Auch konnte ein modellhaftes rin. Die anderen Gruppenmitglieder erlebte wir ausgehend von den Nummern der shop-Zeit sofort an Beuys, an seine Auf- Klassenraum zu wandern, um hierbei weitere Erfahrungen Vermittlungskonzept nicht mehr entwickelt werden. ich als relativ gleichberechtigt agierend. Farbtöpfchen den Haufen mit den Ge- forderung zur permanenten Konferenz und zu sammeln, wobei sich eine der beiden Teilnehmerinnen Die zweite Gruppe ließ sich im Hinblick auf den Erkun- Während der Sortier-Phase sprachen wir genständen die Farbnummern zuordnen Mitarbeit an der sozialen Plastik. So erleb- als Führerin der ‚blinden‘ anderen anbietet und dieser je- dungs- und Kommunikationsauftrag wesentlich mehr Zeit. teilweise darüber, was einzelne Gegen- wollten. Jeder Haufen bekam also eine te und empfand ich den Workshop-Pro- weils unterschiedliche Gegenstände zum Fühlen und Tasten Dies führte offenbar auch zu einer konzentrierteren Rezeption stände bei uns auslösten, welcher Ver- Nummer: Statt der Farben wurden den Ge- zess gleichzeitig sowohl aktiv im Mit-Tun in die Hände gibt. Später formt sich ein anderes Tandem, bei des Arbeitsauftrags. Sehr viel später als die andere Gruppe wendungszweck mit ihnen üblicherweise genständen Nummern zugeordnet. Nach als auch passiv aus der Beobachterinnen- dem das männliche Gruppenmitglied nun blind durch Flur kam man überein, mit einem gemeinsamen Gegenstand wei- verbunden ist, welcher ein künstlerischer welchem Prinzip wir dabei genau verfahren Rolle heraus: Als eine permanente Konfe- und Treppenhaus der Polytechnischen Schule geleitet wird ter zu arbeiten. Es handelt sich hierbei um einen mit Mal- sein könnte, welche Art von künstlerischer sind, weiß ich nicht mehr, aber es gab ei- renz und Arbeit an einer sozialen, künstle- Verwendung häufig stattfindet bzw. von nes. Es könnte sein, dass wir die höchsten rischen und, im übertragenen Sinn, auch (Abb.1). Anschließend wird die Tafel beschrieben und mit palette, Farben und Ausmalbögen gefüllten Karton mit der unterschiedlichen Personen erwartet wird Nummern den vermeintlich ‚wertvollsten‘ als eine Art kunst-pädagogische Plastik. Applikationen versehen. Während dieser teilweise dadais- werbewirksamen Aufschrift „Malen nach Zahlen“, der als ein oder werden könnte. Thematisiert wurde in Gegenständen zugeordnet haben. Die ver- Die Katzenschwanz-Installation verste- tisch anmutenden Performance werden Räume sondiert, „Komplettset mit Gelinggarantie“ das „Malen wie ein kleiner Ansätzen auch, was ein solcher Fundus und schiedenen Stationen unseres Arbeitspro- he ich damit als Spur dieses Prozesses.“ Materialien und Gegenstände ertastet, Texte blind auf der Künstler“ ab dem neunten Lebensjahr annonciert. Länger die Aufgabenstellung bei unterschiedlichen zesses dokumentierten wir fotografisch, (Jeanette Obst) Tafel notiert und ein direkter Bezug zu einer Arbeit von Timm halten sich die TeilnehmerInnen mit der Malanleitung zur Er-

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den am Boden ausgelegten Gegenständen jeweils Ziffern zugeordnet und so ein alternatives Bezeichnungssystem ent- wickelt wird, das den abstrakten Zahlenfeldern im linearen Vordruck konkrete, greifbare Gegenstände zuordnet (Abb.3). Ein Gruppenmitglied verfasst aus der Erinnerung einen Be- richt (siehe Kasten). Bei einem später hinzugestoßenen Teilnehmer zeigten sich sowohl große Explorationsfreude als auch andauernde Neu- Abb. 3 gier im Kombinationsspiel unterschiedlichster Gegenstände, Zahlen und Gegegnstände die sich dieser auch an anderen Tischen beschaffte. Die von ihm kreierten Motivwelten sind im Gegensatz zur zweiten, eher konzeptionell vorgegangenen, Gruppe wesentlich er- zählerischer ausgeprägt und erscheinen dem Betrachter in Positionierung und Auswahl gleichsam wie Maquetten von Monumentalskulpturen, die in ihrer Zusammenfügung an Denkmals-, bzw. Andachts-Inszenierungen erinnern. Die symmetrisch angelegte Inszenierung von Spielzeughirsch (Feuerzeug), Modell-Figuren (Mann und Frau), abstrahierten Pflanzen-Stelen und davor platziertem Windlicht schafft ei- nen Bedeutungsraum, in dem die Mann und Frau repräsen- tierenden Figuren die vitalen Kräfte des Hirschen ebenso empfangen wie an den pflanzlichen Wachstumskräften der Abb. 6 stilisierten symbolhaft in Erscheinung tretenden Natur teilhaf- Andachts-Inszenierung tig werden, und durch die Hinzufügung einer brennenden Ker- mit brennender Kerze ze eine feierlich-religiöse, eingedenkende Stimmung erzeugt wird (Abb.6). gebende didaktisch-methodische Dimension künstlerischen Ästhetische und künstlerische Erfahrungsprozesse benö- Wie man an den hier beschriebenen Handlungen ablesen Handelns, ohne diese aber, wohl auch aus zeitlichen Grün- tigen Zeit, die hier nur sehr beschränkt zur Verfügung stand. kann, kamen die mitspielenden Workshop-Teilnehmer/innen den, weiter- und tiefergehend explorieren zu können. Sie benötigen aber auch mutige Mitspieler/innen, die sich auf Abb. 4 der Erfüllung meiner Aufgabenstellung nur in Teilen nach, in Didaktische Überlegungen sind nicht etwa Disziplinierun- diesen Prozess (im Rahmen dieses Kongresses) einlassen. Malspiel Katze einem Dreischritt aus Exploration, künstlerischer Vertiefung gen oder Deduzierungen des freien künstlerischen Spiels Das kunstpädagogische Trauerspiel zeigt sich in der Zahl und didaktischem Transfer zu einer aussagefähigen Pro- bzw. zweckfreier Erkundungen und Sondierungen, sondern der an diesem Workshop Mitwirkenden im Verhältnis zur zessstruktur zu gelangen. Bereits der einen Gruppe gelang die Fortsetzungen der Kunst mit den ihr eigenen Mitteln Gesamtzahl aller Kongressteilnehmer/innen (9:500)! Hierin kaum der tiefergehende Diskussionsprozess um die gemein- – unter einer lediglich leicht verschobenen Fragestellung. dokumentiert sich die noch immer grassierende Angst der 2 Siehe hierzu auch der same Auswahl (dann weiter einzeln) zu untersuchender Gerade die künstlerische Bildung2 wendet sich mit aller Kunstpädagog/innen vor der Kunst, zumal vor der eigenen Beitrag von Lucile Gegenstände, indem man schnell in isolierte, mal dialogisch Entschiedenheit gegen Funktionalisierungen und Instrumen- Kunstpraxis, der offenbar überhaupt nichts zugetraut wird, Schwörer-Merz in mal monologisch kommunizierte Handlungsprozesse verfiel, talisierungen umfassender künstlerischer Forschungs- und und last but not least, die Notwendigkeit einer drängenden diesem Band! wobei ihren Mitgliedern schließlich Aufmerksamkeit, Kraft Gestaltungsprozesse, die in schulischen und außerschuli- Intensivierung künstlerischer – und damit kunstdidaktischer und Zeit fehlten, die nächste anstehende Aufgabe im Hinblick schen Vermittlungsprozessen noch immer reduktionistisch- – Denk- und Handlungsprozesse im (inter)nationalen kunst- auf die Entwicklung eines didaktischen Imaginationsraums, analytisch erfolgen. pädagogischen Gegenwartsdiskurs! nebst einer Vermittlungspartitur bzw. grafischen Notation für ein längerfristiges Unterrichtsprojekt anzugehen. Abb. 5 Ähnlich zeigen sich die Beobachtungen bei dem später hin- Neue Gestalt zugekommenen Teilnehmer, der die Aufgabenstellung offen- bar gar nicht zur Kenntnis genommen hatte, dafür aber umso stellung des Katzenmotivs auf, ehe man sich den auf dem lustvoller und unbekümmerter zu experimentieren schien. Tisch ausgelegten Gegenständen zuwendet, diese vom Tisch Lediglich die zweite Gruppe zeigte in der Tendenz, auch be- herunter nimmt und auf dem Boden in einer Linie auslegt. stätigt durch den hier miterfassten Erfahrungsbericht eines Offensichtlich stellt die Gruppe einen Bezug zur durchnum- Gruppenmitglieds, eine sich aus dem intensiven Austausch merierten Katzenzeichnung aus der Schachtel her, indem nun und der dann folgenden künstlerischen Explorationsarbeit er-

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Jörg Grütjen Die folgenden Aspekte für fachspezifische Lernschwierig- Praktische Gestaltungsaufgaben allgemein keiten basieren auf Beobachtungen und Äußerungen von u Die Aufgabenstellung wird verbal nicht verstanden; Kunstpädagogik-Studierenden. Die Auflistung ist heuristisch, u fehlende Geduld und Ausdauer; Fachspezifische Lernschwierigkeiten skizzenhaft und vorläufig. Wesentlich ergänzt und im Ansatz u Jungen- oder Mädchenthemen; bestätigt wurde die Liste durch die Teilnehmenden des Work- u permanenter Vergleich mit Bildern/Produkten der Mit- von Schülerinnen und shops beim Kongress in Salzburg. Kunstpädagogik-Studie- schüler_innen wirkt demotivierend; Schülern im Kunstunterricht rende lernen eine Fachsprache und können so das Erlebte u manche werden mit ihren Bildern nicht fertig; und Gesehene angemessen, distanziert und fair beschreiben; u Aufgabenmonokultur: „immer nur malen“ (schimpfen die außerdem sind sie durch ihr Studium für das Thema sensibi- Schüler_innen); lisiert. Gleichzeitig stehen sie erst am Beginn all der habitu- u ... ellen Prägungen einer Kunstpädagogikbiografie, so dass die Das Wissen um fachspezifische Lernschwierigkeiten fachdidaktischen Forschung noch in der universitären Lehrer- „blinden Flecken“ noch nicht allzu ausgeprägt sind. Bildfindungsprozesse von Schüler_innen begreift man in naturwissen- ausbildung oder in der berufsbegleitenden Lehrerfortbildung u Fehlendes Vertrauen in die eigene Kreativität, stattdessen schaftlichen Fächern als eine zentrale fachdidak- eine nennenswerte Rolle.“ (Haß/Kieweg 2012, S. 12) Fachspezifische Lernschwierigkeiten werden schematische Lösungen gewählt (etwa Manga- tische Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern Was hier für das Fach Englisch formuliert wird, gilt sicher im Fach Kunst, primär aus Schüler_innen- Comics); (Wodzinski 2006): Im Fach Physik haben Lernende ähnlich für das Fach Kunst. Sicht u fehlender Freiraum: enge Aufgabenstellungen (z.B. ein Lernschwierigkeiten etwa bei den Themen Impuls- Medium, ein Material) verhindern persönliche Lösungen sätze oder der Konzeptualisierung von Aggregat- Wozu ist ein Wissen um fachtypische Grundschule und demotivieren; zuständen (gefrorenes, flüssiges, siedendes, ko- Lernschwierigkeiten gut? u Nasse Bilder zerreißen, Farbe spritzt auf das Bild des u der persönliche bildnerische Ansatz passt nicht zur Aufga- chendes, verdampftes Wasser). In Mathematik gibt Hier soll nicht anhand von normativ vorgefassten kunstpä- Sitznachbarn, Kinder malen anderen ins Bild, Farben von be oder zur ästhetischen Orientierung der oder des Unter- es Schwierigkeiten bei der Multiplikation von Brü- dagogischen Konzepten der Alltag von Kunstunterricht be- feuchten Wasserfarbenbildern zerlaufen beim Transport; richtenden; chen, in Musik kommen Lernende, die kein Instru- schimpft werden; vielmehr wird der gewöhnliche, täglich u Grundschüler_innen malen zuerst den eigenen Namen u „Problem des leeren weißen Blattes“; ment spielen, mit dem Quintenzirkel nicht zurecht. erlebte Kunstunterricht ernst genommen. vorne mitten aufs Bild; u bei Anfangsschwierigkeiten wird manchmal das Bild weg- Im Fokus stehen von den Lernenden wahrgenommene u Ekelgefühle vor Tapetenkleister; geworfen; „Tom ist in der 6. Klasse eines Gymnasiums. Aufgabe in die- Schwierigkeiten und Probleme und somit im Ansatz Hinweise u … u Schwierigkeit, spezifisch eigene Ideen zu entwickeln; ser Kunstunterrichtsstunde war es ein Fachwerkhaus mit Pa- für Bewältigungsmöglichkeiten. Das Wissen um fachtypische u „Aufgabenerledigungskultur“ verhindert Problemlösungs- stell-, Acryl-, oder Wasserfarbe zu malen. Die Farben sollten Lernschwierigkeiten von Schüler_innen im Kunstunterricht ist fachspezifischer Umgang mit Material verhalten: Schüler_innen zweifeln am Sinn einer Aufgabe. mit Deckweiß gemischt werden, damit sie besser decken, hinsichtlich folgender Aspekte hilfreich: u Gefährdungsquellen: Scheren, Cutter, Druckpresse; Stattdessen versuchen sie die Lehrervorstellungen zu er- da die Bleistiftskizze des Hauses nicht mehr sichtbar sein u Stärkung der Problemsensibilität der Unterrichtenden; u Verunreinigung von Kleidung: Ton, Tusche oder Farben als gründen, um die Erwartungen zu erfüllen; sollte. Tom mischte also seine Wasserfarben mit Deckweiß u Erleichterung eines Wechsels der Perspektive hin zu der Schmutzquelle; u andererseits haben eher leistungsschwache Lernende oft und Wasser und übermalte seine Zeichnung. Nach einiger der Schüler_innen, je nach typischen Situationen mit u „hygienische Überwindung“, etwa Kontakt mit nicht gän- Schwierigkeiten mit freien und offenen Themen; Zeit kam der Kunstlehrer zu Tom, schlug die Hände über dem fachspezifischen Lernschwierigkeiten; gigen, „ekligen/dreckigen“ Materialien; u Skizzen werden immer nur als Zeichnung angelegt, an- Kopf zusammen und sagte: ‚Du hast alles falsch gemacht, u Sensibilisierung für unvorhergesehene Situationen, die u schlechtes oder fehlendes Material; statt mit Material und Medium zu experimentieren; was man falsch machen kann!‘. Tom entgegnete daraufhin durch fachtypische Lernschwierigkeiten ausgelöst wer- u wie viel „Sauerei“ ist erlaubt?; u eine Geschichte in Bilder übersetzen; dem Lehrer, dass er nicht verstünde, was falsch sei. Der Leh- den; u die Hand macht nicht das, was der Kopf will: das Wollen u Entscheidung für EINE Möglichkeit der Umsetzung; rer nahm Pinsel und Farben und malte in Toms Bild herum, u exemplarische Entwicklung eines Repertoires an fachdi- entspricht nicht dem Können; u bildnerische Auseinandersetzung wird primär im Modus um Fehler auszubessern. Nach kurzer Zeit ging der Lehrer daktischen, unterrichtsmethodischen Perspektiven hin- u fehlende Arbeitstechniken: nicht angemessen eingeführt, des Inhaltes und des Themas geführt, Verständnis für die ohne ‚weitere‘ Erklärung wieder weg. Tom war froh, dass der sichtlich fachspezifischer Lernschwierigkeiten; zu wenig Übung; Relevanz der Gestaltungsweise fehlt (etwa Komposition, Lehrer in sein Bild gemalt hatte, da er dadurch glaubte, auf u exemplarische Konzeption eines Repertoires an individu- u technische Hilflosigkeit bei Umsetzung der Idee; Farb- und Formenwahl); eine bessere Note hoffen zu können. Er war zufrieden, wenn- ellen Fördermöglichkeiten für Lernende hinsichtlich fach- u Schwierigkeiten mit Werkzeug und Material; u ... gleich er nicht wusste, was genau er falsch gemacht hatte.“ spezifischer Lernschwierigkeiten; u Material oder Arbeitsmittel: das Material spielt nicht mit, (aus einem Erinnerungsprotokoll einer Studierenden zu einer u Perspektiventwicklung für einen Umgang mit der Hetero- ist schwer bis nicht zu bearbeiten; Erzählung eines Kommilitonen) genität der Lernenden und ihrer Lernprozesse; u fehlende technisch/gestalterische Fähigkeiten (z.B. Maß- Umgang mit Farben „Eine der wesentlichen Aufgaben des Lehrers, unabhängig u Verbesserung der Aus- und Fortbildung für Kunstunter- stab in Plänen); u Motivation: manche Lernende ziehen Zeichnung und Gra- von Schulform und angestrebtem Bildungsniveau der Schü- richtende hinsichtlich fachtypischer Lernschwierigkeiten, u Komposition (Format ausnutzen, Umgang mit Vorder-, fik der Farbe vor; ler, sollte darin bestehen, Lernschwierigkeiten der Schüler etwa bei didaktischen Planungen; Mittel- und Hintergrund); u sie verwenden schwarze Konturlinien, weil sie diese von zu erkennen, sie in seiner Unterrichtsgestaltung zu berück- u Analyse der Probleme der Lernenden auf der sachlich- u ... Zeichnungen und Malbüchern gewohnt sind; sichtigen und – falls möglich – zu beheben. Genau diese fachlichen Ebene, um so unhinterfragtes Wissen aus der u Fähigkeit, einen Pinsel zu halten und mit diesem sauber zu professionelle Subkompetenz spielt aber bisher weder in der Perspektive schulischer Praxis zu hinterfragen. arbeiten (5. Klasse);

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u das genaue Abmalen von Farbnuancen fällt schwer (ge- Umgang mit „unkonventionellen“ Ausdrucksweisen (Kunst- u Was ist Kunst? Was ist gute Kunst? – Kunstbegriff; u Konkurrenz mit Mitschüler_innen von Lehrer_innen unnö- zieltes Farbmischen); verständnis) u ... tig angeregt; u Farben in Kombinationen mischen; u Performative Gestaltungen: auch Handlungen als „Bild“ u Aufräumen vs. kreatives Chaos? Ordnung im Kunstraum; u junge Schüler_innen nehmen bei Deckfarben oft zu viel verstehen, fällt schwer; Motivation u ... Wasser; u Kunstbegriff - Kunstverständnis: Was meint der Künstler? u Angst vor Fehlern oder Nicht-Können; u technische Ausführung von Lasuren; „Ich erkenne nichts ...“ – „Das soll Kunst sein?“ – „Kunst u Motivation ist nicht gleich „Spaß“; (mangelndes) Gefühl von Relevanz und u Farben lassen sich nicht so, wie in der Farbenlehre be- = sinnlos“ – „Das kann ich auch“; u thematisch zu wenig Abwechslung; Sinnhaftigkeit des Faches hauptet, mit dem Schulfarbkasten mischen; u ... u schülerferne Themen; u Relevanz des Faches wird nicht akzeptiert („bloß ein Ne- u Farbsysteme, Farbverwandtschaften, Farbkreis-Theorie u Langeweile aufgrund von Themen (z.B. Stillleben); benfach“); sind schwierig nachzuvollziehen; Kunstrezeption u mangelndes Interesse an „Unzeitgemäßem“; u Kunstunterricht als Freizeitgestaltung; u ... u Kein Interesse an „Theoriestunden“, nur an gestalterischer u enge Rahmenbedingungen: Abarbeiten des Lehrplans, u Lernende erleben fehlende Bedeutsamkeit: bloßer „Ba- Praxis; individuelle Schülerinteressen werden negiert; stelunterricht“ oder „infantile Muster“, keine Leistungser- Naturalistische Darstellungsweisen allgemein u Dilemma zwischen „Theorie“ und „Praxis“: Gefühl, eine u eingebrannte Vorstellungen blockieren; wartung durch die Lehrkraft (Langeweile); u Räumliche Darstellung: etwa die Übersetzung aus Dreidi- Seite kommt immer zu kurz; u unklare Lernziele; u fehlende Wertschätzung für die eigenen Gestaltungser- mensionalität in Fläche; u Werkanalysen und Klausurvorbereitungen gelten als pro- u schlechtes Arbeitsklima – Klassensituation – Stimmung gebnisse; u räumliche Wahrnehmung: Verkürzungen werden nicht blematisch: Lernende fühlen sich hier oft schlecht vorbe- in der Klasse – Unruhe; u „Ich kann das nicht!“: Lernende nehmen dieses Fach „per- wahrgenommen; reitet; u Konzentration auf die Arbeit im Fach Kunst nach anderem sönlicher“ als andere Fächer; u Lernende bezweifeln oft, dass die Augen in der Mitte des u Bildanalyse: keine Vorkenntnisse, geringes Hintergrund- Unterricht fällt schwer; u Lernende glauben nicht an die Erlernbarkeit von Fä- Kopfes sitzen; wissen, unterschiedliche Voraussetzungen; u innere Beteiligung fehlt; higkeiten im Fach Kunst, sondern an Begabung (unge- u räumliches Vorstellungsvermögen (Wie etwas ohne Vorla- u Unterrichtende sind wenig tolerant gegenüber individu- u Akzeptanz des Faches; recht); ge, nur mit Einbildungskraft darstellen?); ellen Sichtweisen; u ... u fehlender persönlicher Bezug: fehlendes Interesse an In- u zu hohe Ansprüche an die Genauigkeit bei naturalistischen u Beschreiben, bildnerisches Analysieren und Interpretieren halten/Aufgaben, die nicht ernst genommen werden; Darstellungsweisen demotivieren; sind schwer auseinander zu halten; Selbstkonzepte (situativ wechselnde Eigen- u Wertekonflikt: „eigener Ausdruck“ vs. „Kompetenzorien- u eigene Fähigkeiten werden im Vergleich zu Medienbildern u Sprache, um Kunst zu beschreiben, fehlt; und Fremderwartungen) tierung“ oder „Metadiskurs“ (im Selbstanspruch des oder als defizitär erlebt; u Trennung von subjektiver und gegenstandsbezogener u Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremderwartungen; der Unterrichtenden) vs. „Banalität“ (im Unterricht); u Rastervergrößerungen gelingen nicht; Wahrnehmung; u Hemmungen durch den schulischen Kontext hinsichtlich u ... u ... u Lernende stöhnen über zu viele Fachbegriffe; kreativer Ideen; u Lernende haben kein Gefühl für Komposition (Statik vs. u „Ich kann das nicht, ich weiß nicht, was ich machen soll“ Professionalität der Unterrichtenden Naturalistische Darstellungsweisen: Zeichnen Dynamik), Abstraktion ist nicht gleich „weglassen“; (erlernte Hilflosigkeit?); u Schlechte Aufgabenstellung, fehlende oder unzurei- u Fehlende Fähigkeiten, etwas naturalistisch zu zeichnen u kunstgeschichtliche Einordnung fällt Lernenden schwer: u fehlender Mut, fehlendes Vertrauen in das eigene Kön- chende Anleitung und Arbeitsanweisungen („Ich kann das (jede Figur sieht wie ein Manga aus); Zusammenhänge in der Kunstgeschichte bzw. im Kunst- nen/Experimentierfreude; nicht, wie geht das denn mit dem Stift da?“); u technische Ausführung von Schummertechniken; markt erkennen und klar darstellen können; u Wie mit Freiraum umgehen?; u zu wenig Feedback/ fehlende Hilfestellungen und Verbes- u Problem, Schraffuren/Verläufe auf größeren Flächen gleich- u Bild-Begriff: Bild als Abbild – Gebilde – Sinnbild in vielfäl- u fehlender Raum für die Frage: Was ist eigentlich „meines“? serungsvorschläge; mäßig zu verteilen; tigen Facetten verstehen und akzeptieren; (Individualität und Identität); u mangelnde Beratungskompetenz; u Schattierungen nicht als „Flecken“, sondern als Übergän- u Kunstrezeption ist geprägt durch Vorlieben / Verweigerung; u Gefühl der Phantasielosigkeit, Kreativitätsdruck; u keine Unterscheidung zwischen Begabung und Bemühen ge anlegen; u mangelnde Ausdauer; u Problem, einem unerreichbaren Ideal nachzustreben: man („Ich bin toll/schlecht, weil ich bin talentiert/nicht talen- u Plastizität darstellen können; u ... findet andere Schülerarbeiten immer besser; tiert.“); u räumliche Überdeckungen bei Zeichnungen; u „Ich will aber mein eigenes Ding machen!“ – Kein Interes- u Unterrichtende malen in Schülerbild; u Ellipsen zeichnen; Kunstgemäßheit se an der vorgegebenen Aufgabe; u ... u das Erlernen und die Umsetzung (in eigene Bildfindungen) u Das Lernen mit der Kunst wird häufig nicht wahrgenom- u Wunsch nach freierer Arbeit, die Kreativität der Lernenden der perspektivischen Darstellung; men; kann sich nicht ausdrücken; (oft beklagt, im strengen Sinne aber keine u die Zeichnung sieht anders aus als das Gesehene; u Kunst vs. Basteln; u ästhetische Vorstellungen der Lehrenden scheinen ge- Lernschwierigkeit:) Bewertung u Proportionen richtig anordnen; u „Talent“-Vorstellungen: mangelnde Förderung vs. Gefühl schlechtsspezifisch zu sein (Themen, Schönheit); u Bewertung undurchschaubar; u Porträtieren: Umsetzung vom „Original“ (Modell/Vorlage) der Talentlosigkeit; u Gefühl permanenter Kontrolle; u Idee, Kunst käme von „Können“ – Gefühl der generellen über das Sehen und Wahrnehmung zur Zeichnung ist u konservative Kunstvorstellungen der Lernenden; u Erleben von Rollenkonflikten: in experimentellen Situati- Ungleichheit; schwierig; u Kunstbegriff: normative Vorgaben der Unterrichtenden, onen verlässt Lehrer_in seine/ihre Rolle, was Lernende u die Bewertung von Gestaltungen ist den Lernenden nicht u ... was und wie Kunst ist; irritieren kann; nachvollziehbar (Transparenz der Notengebung); u Warum so und nicht anders?; u sich widersprechende Wertorientierungen („Ich mag u Wertung: Vergleich mit anderen; u Kreativlosigkeit der Lernenden; Kunst nicht, aber eigentlich dann doch.“); u ...

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Fazit – fachdidaktische Konsequenzen Literatur Nach der Bilderflut. Ästhetisches Handeln von Jugendlichen. Be- Zaborowski, Katrin Ulrike; Meier, Michael; Breidenstein, Georg: Leis- Wenige Untersuchungen, die im Ansatz mit der Thematik Bazzigher-Weder, Monica: Begleitung der Schülerinnen und Schü- ring, Kunibert; Hölscher, Stefan; Niehoff, Rolf; Pauls, Karina (Hg.): tungsbewertung und Unterricht: Ethnographische Studien zur „fachspezifische Lernschwierigkeiten“ von Schüler_innen ler in ihrem gestalterischen Prozess – ein Verhaltensrepertoire Oberhausen (Athena) 2012, S. 97 – 116 Bewertungspraxis in Gymnasium und Sekundarschule. Wiesba- im Fach Kunst korrespondieren, liegen bereits vor: Andreas für Lehrpersonen. In: Impulse.Kunstdidaktik 14/2013, S. 13-24 Wodzinski, Rita: Lernschwierigkeiten erkennen – verständnisvolles den (VS Verlag für Sozialwissenschaften) 2011 Schwarz hat wiederholt auf Probleme mit Farbtheorien und (http://www.phzh.ch/dotnetscripts/MAPortrait_Data/53517/4/ Lernen fördern. Kiel 2006 (http://www.sinus-an-grundschulen. mit dem Umgang mit Farben im Kunstunterricht hingewie- Bazzigher-Weder_M_2013_Begleitung%20von%20SuS%20 de/fileadmin/uploads/Material_aus_STG/NaWi-Module/N4.pdf) sen (Schwarz 2003, 2011a, 2011b und 2012). Oft beklagen im%20gestalterischen%20Prozess_Athena-Verlag.pdf) Schüler_innen defizitäre Beratungskompetenzen von Lehr- Billmayer, Franz (Hg.): Schwierige SchülerInnen im Kunstunterricht kräften während der Gestaltungsaktivitäten; hier hat Monica – Erfahrungen Analysen Empfehlungen. Flensburg (University Bazzigher-Weder eine wegweisende Studie vorgelegt (Baz- Press) 2013 Mit Bildern Probleme lösen und erklären – zigher-Weder 2013). Franz Billmayer hat ein Buch herausge- Glas, Alexander: Bild- und Sprachkompetenz im Kunstunterricht – Transferleistungen des Kunstunterrichtes für die übrigen Schulfächer geben, in dem „Schwierige SchülerInnen im Kunstunterricht“ eine Pilotstudie zum Bildrezeptionsverhalten in der Hauptschule. Workshopleitender: Penzel Joachim thematisiert werden, hier wird auch ein fachspezifisches, In: Bering, Kunibert; Höxter, Clemens; Niehoff, Rolf (Hg.): Orien- schülerorientiertes Nachdenken über Probleme beim Lernen tierung Kunstpädagogik. Oberhausen (Athena) 2010, S. 111-120 im Kunstunterricht angeregt (Billmayer 2013). In einer Studie Grütjen, Jörg: Habitualisierte Rezeptionsprägungen im Umgang mit von Zaborowski/Meier/Breidenstein aus dem Jahr 2011 ge- Kunstwerken: Vier Plakate mit Gruppen-Perzepten zur „Bronze- Schulbücher sind mit vielen Bildern, Ta- Durch diese Schaubilder, auch Ico- das Entziffern der Visualisierungsange- rät eine immer wieder beklagte Benotungspraxis im Kunstun- frau Nr. 6“ von Thomas Schütte. In: Bering, Kunibert; Hölscher, bellen und Illustrationen bestückt und nic Concept Maps genannt, werden bote von Schulbüchern zu vermitteln. terricht empirisch in den Blick. Einige Untersuchungen über Stefan; Niehoff, Rolf; Pauls, Karina (Hg.): Nach der Bilderflut. sollten den Wissensbereich attraktiv komplexe Sachverhalte in Symbole Die Poesie der Schaubilder wurde das oft als schwierig erlebte Verhältnis von Sprache und Bil- Ästhetisches Handeln von Jugendlichen. Oberhausen (Athena) machen, sowie die Verständlichkeit übersetzt und als Bildergeschichten eindrücklich durch den Input am Kon- dern bzw. Kunst, besonders in Rezeptionssituationen, liegen 2012, S. 287-306 des Themas unterstützen. oder Prozessgrafiken dargestellt. Im gress beleuchtet und das darin verbor- vor (Sturm 1996, Heinrich 2005, Glas 2010, Grütjen 2012, Grütjen, Jörg: Kunstkommunikation mit der „Bronzefrau Nr. 6“. Qua- Sind diese Bilder auch immer von Vorfeld wird immer der zu untersuchen- gene Potential wieder in den Vorder- 2013 und 2015). litativ empirische Unterrichtsforschung zum Sprechen über zeit- den Kindern interpretierbar? de Fokus durch eine Frage benannt. grund gerückt. Der vorliegende Beitrag ist als Anregung zu verstehen, genössische Kunst am Beispiel einer Plastik von Thomas Schüt- Wie viel Übersetzungsarbeit wird Wie Joachim Penzel in seinem Re- Wandtafelbilder erarbeiten, Rechen- Fachdidaktik nicht allein abstrakt aus der Struktur der fachli- te. München (kopaed) 2013 von der Lehrerin oder dem Lehrer er- ferat betonte, sind nicht die künstle- aufgaben zeichnen, eigene „Eselsbrük- chen Gegenstände, der fachhistorischen Entwicklung und den Grütjen, Jörg: Das Gespräch über Kunstwerke im Unterricht am Bei- wartet, die Darstellung des abgedruck- rischen Qualitäten der Zeichnungen ken zeichnerisch erfinden“ heisst: sich daraus ableitenden Ansprüchen und Begriffsdeduktionen spiel eines Warhol-Richter-Vergleichs: heterogene Aufmerksam- ten Wasserkreislaufes im Schulbuch ausschlaggebend, sondern die Fähig- Denkprozesse sichtbar machen, durch zu entwickeln. Ergänzend könnte man induktiv an den Beob- keitsrichtungen, Ablauf-Spezifika, sprachliche Besonderheiten. den Kindern zu erklären? keit die Problemstellung zu benennen, zeichnen. achtungen, kleinen Nöten und Themen des Unterrichtsalltags In: BDK Info (des Landesverbandes Bayern), Heft 23/2015, S. Ist die Wandtafelzeichnung, die Analogien im jeweilige Weltverständ- März 2015: Sylvia König, ansetzen, um tendenziell aus der Perspektive der Lernenden 48-56 schrittweise und während der Diskus- nis der Altersgruppe zu bilden und in Dozentin Bildnerisches Gestalten das Schulfach Kunst weiterzuentwickeln. Haß, Frank; Kieweg, Werner: I can make it! Englischunterricht für sion in der Klasse gezeichnet wurde, eine eigene Symbolik zu übersetzen Primarstufe der PH Zürich Zentral wichtig ist es, die Akteurs-Perspektive der Schü- Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten. Seelze (Klett verständlicher? und vereinfacht darzustellen. ler_innen in den Blick zu bekommen: Nicht was die Leh- Kallmeyer) 2012 Im Workshop „Mit Bildern Probleme Die Fähigkeit und die Selbstver- rerschaft, sondern was die Lernenden als fachspezifische Heinrich, Martin (Hg.): Schriftdidaktik versus Bilddidaktik? Bild und lösen und erklären – Transferleistun- ständlichkeit, Sachverhalte darzustel- Lernschwierigkeit empfinden, ist im Alltag des Unterrichts Wort im Unterricht. Münster (Verlagshaus Monsenstein und gen des Kunstunterrichtes für die üb- len, muss geübt werden und kann nicht relevant. Darin liegt auch das Innovationspotenzial des hier Vannerdat) 2005 rigen Schulfächer“ wurde im Impulsre- mit dem Satz: „Mach halt mal eine skizzierten Ansatzes für die spezifisch kunstpädagogische Sturm, Eva: Im Engpass der Worte. Sprechen über moderne und ferat dargelegt, wie Schülerinnen und Zeichnung, eingeleitet sein.“ (Unterrichts-)Forschung: Der Blick der Schüler_innen eröffnet zeitgenössische Kunst. Berlin (Reimer) 1996 Schüler sich mit selbst entwickelten Joachim Penzel ermuntert Lehre- Unterrichtenden Perspektiven, an die sie bisher nicht gedacht Schwarz, Andreas: Die Farbkontraste und der Kunstunterricht. In: Bildern den Lehrstoff erarbeiten, da- rinnen und Lehrer, sowie die Kinder haben. So nimmt man die Schüler_innen als Akteure ernst. Immer wieder Itten ...? Themenheft 1 des BDK-NRW, 2003, S. durch begreifen und Vernetzungen zu zur anschaulichen Erklärung mit Stift Es wird künftig verstärkt darum gehen müssen, gezielt 7 - 14 ihrem Wissen schaffen. und Papier und wünscht sich, dass die Lernprozesse in den Blick zu nehmen und zu analysieren. Wie Schwarz, Andreas: Manifeste Farb-Missverständnisse - Beobach- Die gezeigten Bilder von Zeichnun- Schlüsselqualifikation der Bildlese- gehen Schüler_innen mit bestimmten Inhalten/Gegenstän- tungen und Hinweise zum Umgang mit Farbe, Farbmaterial und gen der „kleinen“ Problemstellungen in kompetenz, und somit auch das Zeich- den um? Das Wissen um charakteristische Lernverläufe im Farbentheorie. In: Impulse.Kunstdidaktik 9/2011a, S. 51 – 65 einer Rechenaufgabe, die Darstellung nen von Schaubildern, ein zentraler Umgang mit typischen Fachinhalten ist eine zentrale fachdi- Schwarz, Andreas: Farbenlehre im Kunstunterricht der Sekundarstu- der Photosynthese oder das Aufzeigen Kern aller Fachdidaktiken sei. daktische Kompetenz. Auch die Erforschung bzw. Kenntnis fen I und II - Das Problem der „Grundfarben“. In: Orientierung der komplexen Verstrickungen der Dem Anspruch des visual learnings von typischen Schülervorstellungen bzw. sogenannten naiven Kunstpädagogik. Bering, Kunibert; Höxter, Clemens; Niehoff, Rolf Personen in einem Drama durch die und visual literacy gerecht zu werden, Alltagstheorien, die oft einer fachsystematisch begrifflichen (Hg.): Oberhausen (Athena) 2011b, S. 121 – 135 Schülerinnen und Schüler waren ein- heisst, das Entwickeln von Schaubil- Stringenz entgegenstehen, könnte hier eine wichtige Rolle Schwarz, Andreas: Grün sehen statt Grün lernen - Exemplarische drücklich. dern mit den Kindern zu trainieren und spielen. Betrachtungen zum Umgang mit Farbe im Kunstunterricht. In:

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Klaus Küchmeister Filmbildung in der Kunstpädagogik Potenziale von Handy, Smartphone und Tablet PC Abb. 1 Handykamera am Bein befestigt

Abb. 2 Handykamera am Skate- Filme zählen seit weit über 100 Jahren zu den wich- Mit dieser veränderten Wahrnehmung von (bewegten) Bil- board befestigt tigsten kulturellen Gütern und sind bei Jugendlichen dern und ihrer Produktion wachsen jetzt Schülergenerationen heute das audiovisuelle Leitmedium. wie selbstverständlich auf. Daraus ergeben sich neue Aufga- Hier eröffnet sich eine Chance für die Kunstpädagogik, ihnen unter den Bedingungen einer vernetzten Kommunika- Durch die Verbreitung digitaler Endgeräte und ihre ben und Fragestellungen besonders für eine Filmbildung im die aus ihrem Fachverständnis heraus diese Lücke schließen tion vollzogen. Das Handy ist ein ständiger Begleiter und hat nahtlose Anbindung ans Internet sind die Zugänge Kunstunterricht. kann. Wenn das Ziel eine qualitative Erweiterung der filmi- als meist verbreitetes Medium eine zentrale Bedeutung bei 1 vgl. JIM-Studie 2014, zum Medium Film jetzt vielfältiger als bis vor kurzem, Obwohl die digitalen Möglichkeiten im Unterricht heute, im schen Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Gestaltungsfähigkeit der Steuerung dieser Aktivitäten. Das reicht von spontanen www.mpfs.de. wo der Zugang nur über die Kanäle Kino und Fernse- Vergleich z. B. zu Super 8 oder VHS, sehr viel vereinfachen, sein soll, lohnt aber auch ein Blick in die Geschichte der Fo- Ortswechseln und Verabredungen mit Freunden bis zu instru- 2 Im Folgenden kurz hen möglich war. Es bleibt nicht nur beim Anschauen obwohl das bewegte Bild zentraler Fachinhalt ist, ist Film- tografie, des Films und auf die eigenen Säulen des Fachs wie ierten „Flashmobs“ auf öffentlichen Plätzen, bei denen sich „Handyfilm“ genannt. und Analysieren. Ein entscheidender Vorteil eröffnet bildung in der Kunstpädagogik ein „blinder Fleck“ und wird Experimentierfreude, Erlebnisfähigkeit, Grenzüberschreitung, die Teilnehmer persönlich nicht kennen und trotzdem gleich- 3 Im Folgenden kurz sich jetzt in der unkomplizierten Möglichkeit zum lieber anderen Fächern überlassen. Eine künstlerische Film- Spiel und Provokation. geschaltet irritierende oder provozierende Dinge tun. „Handy“ genannt. aktiven Produzieren und Verbreiten von Filmen. arbeit2 mit den digitalen Endgeräten der Schülerinnen und Schüler3, die einen niedrigschwelligen Einstieg bietet, findet Didaktische und methodische Ansätze Im Unterricht Jugendliche sind heute fast flächendeckend mit digitalen kaum statt. Die in der klassischen Filmpädagogik oft genann- Ein Ansatz kann die Auseinandersetzung mit „Bewegung und Seit 2008 arbeite ich am Gymnasium Meiendorf in Hamburg Endgeräten wie Handy, Smartphone oder Tablet PC ausge- ten technischen und organisatorischen Hürden im Unterricht Mobilität“ sein. Das sind Motive, die sich seit der Erfindung künstlerische und didaktische Möglichkeiten des Handyfilms stattet, die als ständige Begleiter immer verfügbar sind.1 können heute nicht mehr bestimmend sein. Denn fast jeder des Films immer wieder mit unterschiedlichen Ausrichtungen heraus und mache ihn zum Unterrichtsgegenstand im Fach Diese Apparate weisen eine Tendenz zur Medienkonvergenz Jugendliche führt ein eigenes, medienkonvergentes Aufnah- durch seine eigene Geschichte hindurchziehen. Bei Handyfil- Bildende Kunst. Denn die Handykamera bietet Möglich- auf und verfügen über digitale Kameras, mit denen man nicht megerät in der Hosentasche mit sich und besitzt am heimi- men, im Englischen auch „MobileMovie“ genannt, besteht keiten, die über Steuerung und Kommunikation hinausgehen, nur Bilder fotografieren und bearbeiten, sondern auch Kurzfil- schen Computer ein digitales Schnittprogramm. eine besondere gerätespezifische Verknüpfung zur Mobilität, die auch Raum- und Bewegungswahrnehmung mit neuen me drehen, schneiden und veröffentlichen kann. Vielleicht liegt es daran, dass Handyfilme in der öffentli- sowohl bei der Aufnahme als auch bei der Präsentation. Der ästhetischen Filmerfahrungen verbinden. Dieses kleine Ge- Durch die zunehmend visuelle Nutzung der digitalen End- chen Diskussion einen eher zweifelhaften Ruf haben. Der Vor- Clip wird freihändig ohne Stativ gedreht, manchmal schon rät „Handy“ ist kein starres und ungelenkes „Kameraauge“ geräte haben sich aber auch das Bildverständnis und die Bild- gang des Filmens ist nicht mehr offensichtlich. So kommt es unterwegs geschnitten und über Bluetooth weitergegeben mehr und eröffnet dadurch ein vielfältiges und kreatives funktion gehörig verändert: auch zu Verletzungen von Persönlichkeitsrechten (z.B. durch oder auf Videoportale hochgeladen und ortsunabhängig an- Bildpotenzial. Mit seiner geringen Größe und spontanen u Jugendliche nutzen in hohem Maße den „Live-Charakter“ nicht autorisierte Aufnahmen und deren zur Schaustellung geschaut. Verfügbarkeit eignet sich die Handykamera bestens, um für der Geräte. bei YouTube, durch „happy slapping“ u.a.), die den Tatbestand Und auch das Gerät selbst wird zur Organisation bei Be- das Filmen z.B. am eigenen Körper, an Fahrzeugen oder an u Ereignisse oder Stimmungen werden mit dem Apparat von Straftaten erfüllen und Gerichte bemühen. wegungen von Jugendlichen im urbanen Raum genutzt. Mo- den verschiedensten Orten als Aufnahmegerät befestigt zu festhalten und mit räumlich abwesenden Personen visuell Mit einem Ruf nach einer umfassenden Medienkompe- bilität, die Fähigkeit zum schnellen Raumwechsel, wird bei werden. (Abb. 1 und 2) geteilt. tenzförderung, gekoppelt an eine positive Nutzung des Ge- u Für den Empfänger ist nicht allein das Motiv interessant. rätes, soll diesen möglichen Gefahren aufklärend begegnet Fast ohne Zeitverzögerung kann er über das Bild emotional werden. Abb. 3 am Geschehen teilhaben. Deshalb wurden im medienpädagogischen Bereich ver- Extreme Untersicht - u Die Bildproduktion lebt von der unmittelbaren Aktualität. schiedene Modelle der aktiven Filmarbeit mit dem Handy Begegnung Sie stellt keine hohen Ansprüche an die klassische Bild- entwickelt. Meistens ist damit aber gemeint, dass Didaktik komposition oder Originalität einer Aufnahme. und Methodik einer konventionellen Videopädagogik einfach Abb. 4 u Fehler wie Unschärfen, störende Bildanschnitte, beißende auf das Filmen mit der Handykamera übertragen werden und Aus der Sicht einer Gegenlichter usw. erhalten ihren eigenen Wert, weil sie das Gerät als eine Art „Sparkamera“, mit der mal schnell ein Wasserflasche beim Schnelligkeit und Aktualität bezeugen, mit der der andere Film gedreht werden kann, eingesetzt wird. Eine Auseinan- Ausgießen einbezogen werden soll. dersetzung mit den filmästhetischen Besonderheiten, die u Nicht das Bild an sich ist bedeutend, sondern es zählt, sich mit dem digitalen Endgerät als Kamera verbinden, findet wer es wann und wo und mit wem sehen darf. kaum statt.

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Abb. 5 Extreme Untersicht - Abb. 9 Boden fegen Frühstück aus der Sicht eines Löffels Abb. 6 Extreme Untersicht - Abb. 10. Fahrrad fahren Auf dem Förderband beim Einkaufen

Abb. 7. Extreme Untersicht - Sprung

Abb. 8 Abb. 11 Fahrradfahrt aus der Sicht Aus der Sicht einer Milch- einer Pedale tüte beim Ausgießen

Abb. 12 Rotierendes Kameraauge

Erste Grundlagenübungen zum Experimentieren mit Gerä- Kamera war klein und handlich. Sie konnte einfach transpor- ten und Perspektiven habe ich in vier, durchaus erweiterbare tiert werden und erlaubte spontane Aufnahmen. Boden oder stieg auf Dächer oder hielt die Kamera ab- pation des Mediums Film im Kino mit Interesse verfolgt, Kategorien eingeteilt: sichtlich schief. als er sich mit 63 Jahren eine Filmkamera in Paris kauft. u Handykamera am Körper befestigen (z.B. Schuh, Kniege- Alexander Rodtschenko (1891 - 1956) begann 1924 zu foto- Walther Ruttmann (1878 - 1941) drehte 1927 mit einer Film- Dabei handelt es sich um die handliche aufziehbare lenk) grafieren und streifte in den folgenden Jahren durch Mos- kamera auf einem Stativ im urbanen Raum seiner Groß- Schmalfilmkamera „Pathé Baby“ für Amateure. In der An- u Handykamera vom Körper entfernt befestigen (z.B. Re- kau. Er hatte dabei die Vorteile der neu entwickelten, mo- stadt Berlin und montierte die Bilder zu einer filmischen leitung rät man den Käufern, das Gerät möglichst ruhig genschirm, Tragetasche) bilen Kleinbildkamera sofort erkannt und konsequent zum Sinfonie. zu halten, um scharfe und nicht verwackelte Aufnahmen u Handykamera am beweglichen Objekt befestigen (z.B. Experimentieren mit einer andersartigen Bildästhetik ver- Dziga Vertov (1896 - 1954) filmte 1929 den „Mann mit der zu erzielen. Fahrrad, Skateboard) bunden. Seine Bilder zeigen sehr oft kühne Perspektiven, Kamera“, der sich bereits experimenteller Gestaltungs- Munch ignoriert diese Ratschläge und filmt 1927 Straßensze- u Handykamera am starren Objekt befestigen (z.B Türrah- ungewöhnliche Bildausschnitte, perspektivische Verkür- mittel bediente. Dieser Kinostreifen thematisiert das ur- nen in Oslo und Dresden. Es entstehen aber keine Bilder men, Treppenstufe) zungen und dynamische Unter- und Aufsichten. Mit neu- bane Leben in einer sowjetischen Großstadt, gleichzeitig eines unbeteiligten Beobachters, sondern seine Kamera- Bei der Präsentation der Videoclips zeigen sich überra- en, ungewohnten Sichtweisen und Bildwirkungen, die aus aber auch den eigenen Entstehungsprozess von der Ka- führung entspricht den Blickrichtungen und dem Tempo schende Bewegungsabläufe, inspirierende Raumperspekti- seinem fotografischen Forschen mit dem kleinen Apparat meraaufnahme bis zur Filmmontage. seiner neugierigen Augen.5 Die Aufnahmen sind somit 4 http://fokussiert. ven und Bildkompositionen, die die Schüler ohne den „Blick resultierten, provozierte er die Wahrnehmung beim dama- Die Wahrnehmung und Darstellung von öffentlichem Raum selbst Teil eines lebendigen Großstadtlebens, das sie aber com/2008/07/05/ des Handys“ so nicht wahrgenommen hätten. (Abb. 3 – 7) ligen Betrachter. 1928 äußerte Alexander Rodtschenko4: als Bewegungsraum und Mobilität entwickelt sich in bei- zugleich auch einfangen. Es reicht also nicht mehr, nur die alexander-rodtschen- Zur Einordnung und bei der Auswertung und Betrachtung der „Wir müssen unser optisches Erkennen revolutionieren. den Filmen allein aus der Bewegung in den Bildern selbst Bewegungen vor dem kleinen Apparat abzulichten, son- kovom-neuen-sehen/ Schülerfilme hilft auch ein Blick in die Kunst- und Medienge- Wir müssen den Schleier von unseren Augen reißen [...] und vor allen Dingen durch das Experimentieren mit Ein- dern das Interesse zielt auch auf die Bewegungen im Film, (Zugriff 27:08:2015) schichte; denn es gibt in der Frühzeit der Fotografie und des Und die interessantesten Blickwinkel der Gegenwart sind stellungslängen beim Filmschnitt. Die Kamera als beob- die durch die Kameraführung selbst entstehen. Films sowohl gerätespezifische als auch bildästhetische Paral- die von oben nach unten und von unten nach oben und achtendes Auge bleibt dagegen bei der Aufnahme starr. Das Sehen, das Wahrnehmen wird also selbst zum Thema lelen zur heutigen Entwicklung von der Video- zur Handykamera. ihre Diagonalen.“ – oder: „Wir, die gewohnt sind, das Noch nicht ausgereift war der Einsatz einer subjektiven und bestimmt den Filminhalt. Gewohnte und das Anerzogene zu sehen, müssen die Kamera, die das Sehen einer Person selbst thematisieren Gerade für die Arbeit mit dem Handyfilm im Kunstunterricht Exkurs: Kunst- und Mediengeschichte Welt des Sichtbaren eröffnen [...] Wir sind verpflichtet, zu könnte. ist eine Experimentierfreudigkeit mit den filmästhetischen 1925 fand die Markteinführung des Leica Fotoapparates statt experimentieren.“ Um seinen experimentellen Anspruch Edvard Munch (1863 - 1944) hat zuvor schon mit dem Foto- und spezifischen Gestaltungsmöglichkeiten dieser Geräte, und legte damit den Grundstein für die Kleinbildfotografie. Die umzusetzen, legte er sich beim Fotografieren z.B. auf den apparat experimentiert und den Aufstieg und die Emanzi- im Sinne Rodtschenkos, Ruttmanns, Vertovs und Munch, nö-

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Abb. 13 Auf der Rolltreppe Abb. 15 Abb. 14. MobileMovie - Filmpremi- Auf der Rolltreppe mit ere auf dem Bahnsteig Deckenspiegelung Abb. 16 MobileMovie - Filmpre- miere in der Hamburger Innenstadt

2-3 Schülern gedreht und geschnitten. Das kann unpro- Literatur tig, wenn es um eine qualitative Erweiterung der Wahrneh- Blickwinkel, Kamera- und Wahrnehmungsperspektiven. duktive Wartezeiten bei Einzelnen vermeiden. Die Folge ist Anfang, Demmler, Ertelt, Schmidt (Hg.): Handy-Eine Herausforde- mungs-, Ausdrucks- und Gestaltungsfähigkeit bei Schülern u Die Handyfilmästhetik ist ein Instrument zur Wahrneh- eine intensivere Teilnahme am ganzen Entstehungs- und rung für die Pädagogik, München (Kopaed Verlag) 2006 gehen soll. mungsschulung. Gestaltungsprozess, und dies wiederum führt zu einer Friedrich, Bachmair, Risch (Hg.): Mobiles Lernen mit dem Handy, u Das Aufheben der Achse „Auge-Sucher-Motiv“ bringt größeren Identifikation mit dem Prozess der Filmarbeit Weinheim und Basel (Beltz Verlag) 2011 Weiterführung im Unterricht überraschende, nicht planbare Filmsequenzen. und seinem Produkt. Küchmeister, Klaus: Handyfilme - neue Perspektiven aus der Hosen- Den ersten experimentierfreudigen Übungen folgten kom- u Die (noch) schlechte Audioqualität und kurze Aufnahme- tasche. In: Bering, Kunibert/Höxter, Clemens/Niehoff, Rolf (Hg): plexere Filmaufnahmen, die als Hausaufgabe durchgeführt zeit legen den Schwerpunkt auf das Wesentliche in der Weiterführung im Projekt MobileMovie Orientierung Kunstpädagogik. Oberhausen (Athena Verlag) 2010, wurden. Sowohl im Unterricht als auch am heimischen PC Bildsprache. Mit diesem Hintergrund habe ich in Hamburg das Projekt S. 277–280 konnten die einzelnen Clips zu ein- bis zweiminütigen Film- u Der Handyfilm bürstet unsere konditionierte Bildwahrneh- „MobileMovie – urbane Mobilität im künstlerischen Han- Küchmeister, Klaus: KUNST - Arbeitsbuch 2. In: Sowa, Hubert/Glas, 6 www.mobilemovie- stücken, manchmal auch in Alternativversionen, geschnit- mung gegen den Strich, bezieht immer auch den Zufall dyfilm“6 entwickelt. Drei Jahre hintereinander wurde es Alexander/ Seydel, Fritz (Hg.): Kunst. Arbeitsbuch 2. Stuttgart hamburg.de ten werden. Sie zeigen beispielsweise eine Fahrradfahrt mit ein und fördert die Lust am bewegten Bild. durchgeführt und unterstützt in einer Kooperation mit außer- (Klett Verlag) 2010, S. 52–55, S. 164–167, S.192–193 aus Sicht von Dynamo und Pedale (Abb. 8), ein Frühstück u Bildwackler und Unschärfen greifen die Ästhetik der schulischen Partnern, dem Verein für medienpädagogische Küchmeister, Klaus: MobileMovie. In: Schüler. Wissen für Lehrer. aus Sicht des Bestecks (Abb. 9), der Teller und der Gläser, Trashfilme auf und unterscheiden sich damit bewusst von Praxis (jaf e.V.), der HVV-Schulberatung, der MA HSH und Jahrespublikation: „Virtuelle Welten“. Seelze (Friedrich Verlag) oder einen Besuch im Supermarkt aus der Blickrichtung ei- den aufpolierten HD-Filmformaten. dem Verein „a wall is a screen“. In jedem Durchgang hatten 2011, S. 68–70 ner Dose im Einkaufswagen und auf dem Förderband der u Sowohl bei der Aufnahme als auch beim Betrachten der 300 Schüler der Jahrgänge 9 bis 13 an zehn kooperierenden Küchmeister, Klaus: Urbane Räume und Mobilität im künstlerischen Kasse. (Abb. 10) Filme wird die Wahrnehmung / das Sehen selbst themati- Schulen ihr Handy für Filmaufnahmen am Körper befestigt Handyfilm. In: Blohm, Manfred (Hg.): Als sie den Raum betra- In einer Auswertungsrunde wurden die Sequenzen siert. oder in andere ungewöhnliche Positionen gebracht. Begleitet ten..., kunst & pädagogik, eBook edition, 2012, o. S. (Abb. 11 – 14) ständig erweiterbaren filmgestalterischen Ka- u Es erfolgt ein Perspektivwechsel sowohl auf die Bilder, als von Medienpädagogen entstanden im Kunstunterricht Clips Küchmeister, Klaus: Die Handykamera im Kunstunterricht - neue tegorien zugeordnet, zum Beispiel: auch auf das Medium. mit je einer Länge von 30 Sekunden. Sie zeigen urbane Mobi- Wege einer kreativen Filmarbeit. In: Impulse Kunstdidaktik. 12. u Interessante, ungewöhnliche Perspektiven Im Vergleich mit der gängigen Filmarbeit in der Schule lität und öffentliche Räume aus neuen inspirierenden Kame- Oberhausen (Athena Verlag) 2012, S. 22–28 u Interessante, ungewöhnliche Kamerafahrten möchte ich noch auf drei Vorteile beim Einsatz des Handys raperspektiven. Ausgewählte Videoclips liefen zwei Wochen Küchmeister, Klaus: . KUNST 5–10, Heft 29: Minutenfilme. Seelze 5 Videopodcast, Daniel u Aus der Sicht eines Gegenstandes hinweisen: lang auf den Infoscreens von U- und S-Bahnhöfen oder wur- (Friedrich Verlag) 2012, Heftkonzeption und -moderation Kothenschulte, http:// u Subjektive Kamera u Für fast jeden Schüler besteht ein spontaner und unab- den in einem nächtlichen Filmrundgang mobil und ortsbezo- www.schirn-magazin. u Experimentalfilm hängiger Zugriff auf eine Kamera und zu Hause auf einen gen auf verschiedene Fassaden in der Hamburger Innenstadt de/Und_Action_Ed- u Filmrhythmus PC mit einem digitalen Schnittprogramm. Es wird mit gebeamt. (Abb.15 und 16) vard_Munch_und_ u Bildbewegung der Ausstattung der Schüler gearbeitet, daher sind keine die_Geschichte_des_ teuren Geräteanschaffungen nötig. Films.html (Zugriff Handykamera als Instrument zur Filmbildung u Die Filme entstehen in einem Prozess aus spielerisch- 27.08.2015) Abschließend fasse ich die Vorteile und Eignung der Handy- experimentellen Handlungen mit der Handykamera, aus kamera zur besonderen Förderung einer visuell geprägten sofortigem Überprüfen der Filmaufnahmen im Display und Filmbildung im Unterricht zusammen: dem anschließenden Bewerten und Korrigieren durch Nach- u Der Handyfilm ist eine eigenständige Gattung mit einer drehen. Die sonst übliche Planung mit Exposé oder Story- gerätespezifischen Filmästhetik. board ist hier nicht gewünscht und würde die Spontanität u Das einfache, aber unübliche Platzieren des Handys am und Handlungsorientierung ausbremsen. Das Handy bietet eigenen Körper, an Gegenständen oder in der unmittel- dadurch einen unmittelbaren Einstieg in die Filmarbeit. baren Umgebung provoziert interessante, ungewöhnliche u Die Filme werden in verhältnismäßig kleinen Gruppen von

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Peter Truniger, Andrea Zimmermann möglich, eine Fragestellung zu formulieren. Lernende können vorstellbar? Was hindert am raschen Entscheid? Welche unterstützt werden bei der Klärung der Ausgangslage (Was Informationen fehlen dir? Woran würde erkennbar, dass der ist gegeben? Worauf basiert die Aufgabenstellung?), bei der Entscheid richtig war? Fragegeleitetes Mentorat im Präzisierung der Suchrichtung (Wo liegt das persönliche Inte- gestalterisch-künstlerischen resse?), später bei der Eingrenzung, Strukturierung und Prä- Zielsetzungen klären zisierung von Teilfragen (Welches ist das zentrale Anliegen? Manchmal verselbständigen sich Arbeiten. Der Lernende ver- Prozess Was lenkt vom Kern der Sache ab?). Es geht darum zu erken- liert das Ziel aus den Augen und verschiebt unbeabsichtigt nen, wo ein echtes Interesse liegt, und darum, entsprechend die Gewichtungen. Der Lehrperson obliegt es, zu prüfen, ob Wichtiges von Nebensächlichem zu unterscheiden. Es gilt das gewollt ist, welche Konsequenzen sich daraus ergeben auch abzuschätzen, ob die Fragestellung kohärent ist mit den und was nötig ist, um zur ursprünglichen Zielsetzung zu- „Ich bin sehr zufrieden mit dem Resultat, vor allem, weil ich teristisch sind eine wertschätzende Beziehung, die Nutzung gestalterischen Fähigkeiten der betreffenden Person. rückzukehren bzw. diese zu revidieren. Im fortgeschrittenen das Gefühl habe, dass ich das alles selber überlegt und ge- unterstützender Ressourcen und der Einbezug des sozialen Stadium der Arbeit ist es angezeigt, die Zielsetzung zu prä- macht habe. Frau x mit ihren vielen – manchmal echt ko- Umfelds sowie die Förderung metakognitiver Reflexion. Als Kontextualisierung klären zisieren und zu prüfen, inwieweit die aktuellen Ziele mit der mischen – Fragen hat mir sehr geholfen, so weit zu gehen. besondere Herausforderung erweist sich dabei die Abgren- Bei der theoretischen und der künstlerischen Verortung der Fragestellung übereinstimmen. Hilfreich ist die „Suche“ nach Mehrmals haben mich die Fragen im ersten Moment durch- zung und auch die Unterscheidung beraterischer Tätigkeiten Arbeit ist das Expertenwissen der Lehrperson prinzipiell dem roten Faden: Wohin führt die Reise? Gibt es eine Vorstel- einander gebracht. Weil sie aber auf den Antworten beharrt von instruierendem Anleiten. Im ersten Fall, wenn es um wertvoll. Trotzdem ist es für den Lernenden nützlich, wenn lung von der fertigen Arbeit? Können wichtige Stationen der hat, bin ich auf spannende Ideen gekommen.“ Lucia, die dies gestalterische Frage- und Problemstellungen geht, reagiert er angeregt wird, den Kontext zu recherchieren. Welche Be- Entwicklung in Form einer Geschichte berichtet werden? Was berichtet, resümiert ein fragegeleitetes Mentorat. Dieser die Lehrperson zurückhaltend. Sie unterstützt den Denkpro- züge kann er herstellen? In welcher Tradition steht die Arbeit, soll die Arbeit bestimmt nicht sein? beratungsorientierte Ansatz zur Begleitung Lernender im ge- zess durch fokussierende Fragen und überlässt die Entschei- wie ist sie vernetzt? Hilfreich sind Hinweise auf grundlegende stalterischen Prozess stellt hohe Anforderungen an die Kunst- dungen den Lernenden. Im zweiten Fall sind Fachwissen, Orientierungen und Abgrenzungen. Es geht auch darum, Ideen ausformulieren und präzisieren lehrperson. Sie muss die Balance finden zwischen fördernder Expertise und Erfahrung der Lehrperson gefragt. Sie oder er Wissenslücken aufzudecken. Letztlich dient dieser Schritt Aufgrund von Beobachtungen von Studierenden und Ler- Einmischung und Spielraum gewährender Zurückhaltung und führt ein, erläutert, korrigiert, gibt Tipps und verrät Tricks und der Erkenntnis, dass sich das Projekt nicht in einem Vakuum nenden besteht die Annahme, dass sich Erkenntnisse oft im unterscheiden zwischen Expertise-geleitetem Ratschlag (Er- hilft dort weiter, wo Lernende die gestalterische Lösung opti- entwickelt. Moment des Aussprechens formen und präzisieren. Gestützt läuterung von Verfahren, technische Hinweise etc.) und be- mieren möchten oder mit ihrem technischen Latein am Ende darauf erweist sich die Aufforderung, laut zu denken oder ratender Begleitung (Zuhören, Fragen stellen, Strukturierung sind. Anzumerken ist: Verfahren-bezogene Hinweise können Aussichtsreiche Ideen und den aktuellen Stand der Arbeit in wenigen Worten zu um- unterstützen) (vgl. Truniger 2011). gleichzeitig gestalterische Interventionen sein, jedoch wer- Strukturen erkennen schreiben, als hilfreich. Bei jeder Wiederholung wesentlicher Ambitionierte Lernende profitieren von Lehrpersonen, die den sensibilisierte Lehrpersonen auch hier mit Zurückhaltung Ein häufig zu beobachtendes Phänomen bei wenig Erfahrung Anliegen und Absichten werden diese stimmiger. Durch die neben künstlerischen Kompetenzen über eine differenzierte reagieren und sich zuerst erkundigen, in welche Richtung die mit künstlerischen Arbeiten ist die Breite des Interesses: Al- spezifische Formulierung, eine bestimmte Gewichtung der Beratungsmethodik verfügen und entsprechend Begleitung Überlegungen der Lernenden gehen. les am Projekt ist interessant. Bei der Eingrenzung der Ideen- Inhalte, das Reagieren auf Stirnrunzeln und Nachfragen wird anbieten können. Frage-geleitete, Denkraum-erweiternde Orientiert am Ansatz der nicht-direktiven Beratung (Rogers vielfalt auf aussichtsreiche Aspekte unterstützt die Lehrper- die Beschreibung von Widersprüchen befreit und es können und Verantwortung-delegierende Vorgehensweisen werden 2010) geht die Lehrperson im Dialog davon aus, dass der son den Sortier- und Prüfprozess. Sie regt z.B. an, die Einfälle unmittelbar neue Einsichten auftreten. Die Lehrperson unter- dieser Anforderung gerecht. Lernende eine Vorstellung davon hat, was er will, was das nach „Bekanntes/ Übliches/ Typisches und Neuartiges/ Unty- stützt durch Zuhören und Nachfragen die Schärfung der Kon- Systemische und lösungsorientierte Beratungsansätze Ziel seiner Arbeit ist und wie er dieses erreichen möchte. Sie pisches“ zu strukturieren. Hilfreich ist es auch, eine getrof- turen und das Klären von Sachverhalten. Fragen, die bei der bieten ein breites Repertoire an Methoden und Frageformen, versteht sich demnach als Facilitator (Rogers 1988:116ff), fene Wahl zu verifizieren: Bist du dir sicher? Welches sind die Präzisierung einer Idee unterstützen: Kannst du die Absicht um Lernende in der Zielformulierung, der Ideenstrukturierung der Lernende mit Respekt in den Denkprozessen und Hand- entscheidenden Kriterien? Sind Ordnungsmuster erkennbar? deines Handelns in wenigen Sätzen zusammenfassen? Was oder der Entscheidungsfindung zu unterstützen (vgl. u.a. von lungen begleitet, stützt, hinterfragt und stärkt, ohne sich di- willst du beim Betrachter auslösen? Wo siehst du die grösste Schlippe/Schweitzer 1997; de Shazer 1998). Die zugrun- rektiv in die Entscheidungen einzumischen. Im Verlauf eines Entscheidungen treffen Brisanz? Wo bist du besonders berührt? de liegenden Haltungen sind charakterisiert durch Respekt, gestalterisch-künstlerischen Prozesses gibt es Phasen und Um, wie Hechler (2010) betont, die Entwicklung der Urteils- Wertschätzung, Einfühlungsvermögen und Vertrauen, sowie Situationen, die sich besonders für den Wechsel in den bera- fähigkeit zu unterstützen, muss der Lernende Entscheidungen (Zwischen-) Ergebnisse evaluieren durch die Annahme, dass tragfähige Lösungen und Strate- terischen Modus eignen (vgl. Truniger 2011). hinsichtlich des Projektfortschritts möglichst oft selber tref- Wesentlich ist schliesslich die Unterstützung bei der Selbst- gien dann funktional sind, wenn sie von der lernenden Per- fen. Seitens der Lehrperson braucht es Feingefühl und Zu- evaluation. Lernende sollen zu Selbstkritik ermutigt werden, son stammen. Das beratungs- und frageorientierte Mentorat Fragestellung und Suchrichtung klären rückhaltung. Grundsätzlich liegt die Verantwortung für wich- die der Weiterarbeit dient ohne selbstzerstörerisch zu wirken. ermöglicht es der Lehrperson, gestalterische Verantwortung Zu Beginn eines Auftrags gilt es eine vorerst vage Idee bzw. tige Setzungen beim Lernenden. Aufgabe der Lehrperson ist Das gelingt, wenn die Lehrperson den Lernenden ermöglicht, an die Lernenden zu übertragen und fordert von diesen eine ein Interesse in die Form einer bearbeitbaren Fragestellung die Unterstützung bei der Auswahl und der Bewertung der eigene Stärken zu erkennen und selbstbewusst zu formu- differenzierte Reflexion und Evaluation des eigenen Handelns. zu bringen. Hinsichtlich des Prozesses gibt es eine Reihe Ideen, der Strukturierung des vorhandenen Materials, bei der lieren. Das richtige Vorgehen erlaubt einen Blick hinter die Merkmale eines respektvollen Mentorats sind die Domi- typischer Schritte, von der unstrukturiert-divergenten Ideen- Klärung der Ressourcenlage sowie bei der Antizipation der Kulissen der Tätigkeit des Studierenden. Hilfreich sind Fragen nanz des Fragens gegenüber dem Referieren, der weitgehen- produktion über das Sortieren der verschiedenen Einfälle zu Folgen des Entscheids. Mögliche Fragen gehen in Richtung: wie: Was am Stand der Arbeit macht dich zufrieden? Welche de Verzicht auf direktive gestalterische Hinweise und auf das Materialexperimenten und dem Anlegen eines Archivs bis Wenn du gefühlsmässig entscheiden müsstest, welches Vor- Art von Kritik würde dich enttäuschen? Wo siehst du Ansatz- Einbringen eigener Hypothesen zu Lösungswegen. Charak- zur Auswahl der aussichtsreichsten Idee. Schliesslich wird es gehen würdest du dann wählen? Welche Alternativen sind punkte für die Weiterarbeit?

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Unaussprechliches ansprechen tet haben ... sorgfältig und zurückhaltend unterstützt durch Diese auf den ersten Blick triviale Erwartung ist grundle- Der Untersuchungsbericht ist auf der Website des Bachelors Das spezifisch Künstlerische am eigenen Handeln ist schwie- die kompetente Fachperson (vgl. Truniger undat). gend für die konkrete Mentoratsbeziehung. Dem Frage- Art Education einsehbar: http://www.zhdk.ch/kommunikati- rig in Worte zu fassen. Oft fehlt es an Nachdruck, die Be- Zwischen 2011 und 2014 wurden am Bachelor Art Educa- stellen kommen, im Sinne der pzGF, zwei entscheidende on_gestaltungsprozess schreibung zu präzisieren, und an einer explorativen Haltung, tion Beobachtungen, Bestandsaufnahmen und Befragungen Funktionen zu: Einerseits die sorgfältige Überprüfung des welche es erlaubt, das In-Worte-Fassen des Geschehens und durchgeführt, um die Mentoratsgestaltung und deren Wir- Nachvollzugs der Überlegungen und Absichten des Stu- Literatur des Entstehenden als Teil des künstlerischen Prozesses zu er- kung zu untersuchen. dierenden und andererseits die Anregung zur Lösungsfin- De Shazer, Steve (1998). Der Dreh: Überraschende Wendungen und kennen. Wenn die Lehrperson zum unbequemen Gegenüber dung. Die Dozierenden haben Fragen gestellt, angesichts Lösungen in der Kurzzeittherapie. Heidelberg: Carl-Auer. wird und im Sinne einer Verstörung hartnäckig Fragen stellt, Ergebnisse der Beobachtungen, der oben dargestellten Möglichkeiten wären Fragen je- Gordon, Thomas (1981). Lehrer-Schüler-Konferenz. Wie man Konflik- trägt sie zur Ausarbeitung des Werks bei: Woran erkennst Bestandsaufnahmen und Befragungen doch insgesamt ausgiebiger einsetzbar. Die Tendenz vieler te in der Schule löst. Reinbek: rowohlt. du, dass dein Handeln wirkungsvoll wird? Wie zeigt sich in zwischen 2011 und 2014 Experten, auf eine studentische Frage mit einer Auswahl Hechler, Oliver (2010). Pädagogische Beratung. Stuttgart: Kohlham- einer gestalterischen Entscheidungssituation die „richtige“ Im ersten Untersuchungsteil interessierte die Frage, ob die an Problemlösungsvarianten zu reagieren, führt dazu, dass mer. Lösung? Was an deiner Arbeit empfindest du als spezifisch Dozierenden die oben dargestellten Methoden der person- die Entscheidungsfindung einerseits bereits beeinflusst Palmowski, Winfried (2011). Systemische Beratung. Stuttgart: Kohl- künstlerisch? Was würden kompetente Betrachter an deiner zentrierten Gesprächsführung (pzGF) in ihren Mentoraten wird, und andererseits, dass die Studierenden den weiter- hammer. Arbeit als künstlerisch deuten? Welche Begriffe beschäftigen anwenden (vgl. Zimmermann 2014). Die qualitative Unter- führenden Überlegungsprozess nicht eigenverantwortlich Rogers, Carl R. (1988). Lernen in Freiheit: Zur inneren Reform von dich besonders, weil sie sperrig sind, nicht passen, zu sehr suchung der fünf Mentoratsgespräche hat gezeigt, dass die bewältigen. Schule und Universität. Frankfurt a.M.: Fischer TB. reiben? Dozierenden Elemente der pzGF benutzen und als Mentoren 2. Studierende möchten ihre Arbeiten eigenständig entwi- Rogers, Carl R. (2010). Die nicht-direktive Beratung. Frankfurt a.M.: Im fragegeleiteten Mentorat gilt es eine Reihe von Bedin- erprobte und sichere Gesprächsführer sind. Bemerkenswert ckeln können und sich für die entscheidenden Entwick- Fischer TB. gungen zu beachten. So genügt es nicht, kluge, anregende war jedoch, dass sie den Studierenden mit relativ wenigen lungen verantwortlich fühlen. Gleichzeitig erwarten sie Truniger, Peter (undat.). Kommunikation in Gestaltungsprozessen: Fragen zu stellen. Man muss auch aufmerksam auf die Ant- Fragen begegneten. In diesem Punkt zeigten sich erhebliche konkrete Hinweise und Lösungen in Situationen, wo sie Anregungen für die Begleitung zu gestalterisch-künstlerischer worten eingehen. Aktives Zuhören, wie es unter anderem Unterschiede zwischen den Mentoren. Häufig erlagen diese nicht vorankommen. Hier besteht für die Dozierenden die Autorschaft. Publikation in Vorbereitung. Gordon (1981) und Rogers (1988) empfohlen und erläutert der Versuchung, Vorgehensweise und Lösungen zu präsen- Herausforderung, die Lernenden zur Formulierung von Truniger, Peter (2011). Das Mentorat im gestalterischen Kontext haben, ist ein erprobtes Verfahren, um möglichst viel über tieren, ohne zuvor die Studierenden gezielt mittels Fragen Optionen und Möglichkeiten anzuhalten, ohne die gefor- – ein Balanceakt zwischen Zurückhaltung und Einmischung, Sichtweisen und Überlegungen des Gesprächspartners zu in ihrer eigenen Lösungsentwicklung herausgefordert zu ha- derten Entscheidungsleistungen zu übernehmen. Referat anlässlich der Tagung „Die Künste in der Bildung“. ht- erfahren. Insbesondere bei gestalterischen Tätigkeiten sind ben. Insbesondere die Frageformen der Systemischen und 3. Der tendenziell hohe Gesprächsanteil der Mentorierenden tps://www.zhdk.ch/kommunikation_gestaltungsprozess (Zugriff offene Fragen geschlossenen vorzuziehen. Geschlossene Fra- der Lösungs-orientierten Beratung wurden wenig benutzt weist darauf hin, dass die Dozierenden nicht primär eine 01.10.15). gen können mit ja, nein, vielleicht, weiss nicht beantwortet (Ressourcen- und Klassifikationsfragen, Aufforderung zum Haltung des Fragen-Wollens einnehmen. Das Selbstver- von Schlippe, Arist; Schweitzer, Jochen (1997). Lehrbuch der sys- werden (Wirst du diese Fläche polieren?). Offene Fragen hin- Perspektivenwechsel und zu mentalem Probehandeln, Rezipi- ständnis scheint zentral zu sein: Der Experte als derjenige, temischen Therapie und Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & gegen regen zum (Nach-)Denken an (Wie stellst du dir die entenerwartungsfragen, Wunderfrage, Reframing, Paradoxe der vieles weiss und den Studierenden an seinem reich- Ruprecht. Beschaffenheit der Oberfläche vor?). Zu vermeiden sind sug- Intervention). haltigen Erfahrungs- und Wissensschatz teilhaben lässt. Zimmermann, Andrea (2014). Kommunikation in Gestaltungsprozes- gestive Fragen, etwa Fragen mit Auswahlantworten. Sie ver- Im zweiten Teil stand die Frage im Zentrum, wie die Ler- Der Experte, der die Überlegungen der Studierenden beur- sen. Ergebnisse der Beobachtungen, Bestandsaufnahmen und raten mehr über die Hypothesen des Fragenden als über die nenden die Mentorate erleben und welchen Nutzen sie aus teilt. Oder eben der Experte als jener, der aufgrund seines Befragungen zwischen 2011 und 2014. https://www.zhdk.ch/ Ideen des Antwortenden. Laut Palmowski (2011) besteht die den Besprechungen ziehen (ebda.). Über mehrere Wochen Wissens und seiner Erfahrung herausfordernd zu fragen kommunikation_gestaltungsprozess (Zugriff 01.10.15). zentrale Aufgabe des Beratenden darin, „relevantes Wissen wurden die Gespräche von sechs Studierenden und ihren versteht. Dem Mentorenverhalten liegt in jedem Fall ein der Klienten (durch ‚angemessen ungewöhnliche Fragen‘) zu Mentorierenden aufgezeichnet. Vor Beginn der Mentorats- implizites Selbstbild zugrunde, das es zu reflektieren gilt. explizitem Wissen zu machen, weil es nur hierdurch freige- phase wurden die Erwartungen und Befürchtungen der Stu- geben werden kann für seine Bearbeitung und Veränderung“ dierenden erhoben. Nach den Gesprächen fanden jeweils (23ff). Besprechungen mit den Lernenden statt. Fragen, die Denkräume öffnen, die auffordern, den Blick Übereinstimmend betonten die Studierenden vorgängig in die Zukunft zu richten oder die Perspektive zu wechseln, die Wichtigkeit des ihnen entgegengebrachten Interessens, helfen den Lernenden, ihre eigenen Intentionen zu verfolgen. der fachlichen Expertise des Mentorierenden sowie des Re- Fragen, welche anregen die emotionale Betroffenheit zu er- spekts vor der gestalterischen Eigenheit und Autorschaft. kunden und Hindernisse zu erkennen oder einfach den Kern Gesprächsaspekte gemäss der pzGF wurden von den Studie- des Interesses zu entdecken, unterstützen die Vertiefung in renden in den Nachbesprechungen häufig explizit als hilfreich die künstlerische Auseinandersetzung. Das frageorientierte erinnert. Gleichzeitig liessen sich die Lernenden auch gerne Mentorat dient insgesamt dazu, die Lernenden zum Reflek- von konkreten Vorgehensoptionen leiten. Drei Schlussfolge- tieren anzuregen und ihre eigenen Intentionen gestalterisch rungen sollen kurz dargestellt werden: angemessen auszudrücken. Letztlich erlebt die Lehrperson – 1. Die Studierenden erachten es einstimmig als wichtig, so meine Erfahrung – spürbare Zufriedenheit, wenn sie fest- dass die Dozierenden verstehen, worum es ihnen in der stellt, dass die Lernenden wichtige Einsichten selber erarbei- Arbeit geht, und dass sie dieser mit Interesse begegnen.

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Iwan Pasuchin 1.2. Nachfolgeprojekt widersprüchliche künstlerische Stile (und damit ästhetische Die Weiterentwicklung der beschriebenen Arbeitsweisen Zugänge bzw. „Geschmäcker“) eine zwar höchst eklektische fand in zahlreichen vom Autor geleiteten Unterrichtsprojekten aber dennoch in sich „stimmige“ Einheit zu bilden vermögen Gemeinsam sind wir (ausdrucks-) stark! mit höchst divergierenden Zielgruppen statt. Das bisher auf- . Vom Ineinandergreifen der Theorie und Praxis wändigste davon unter dem Titel „Kaleidoskop der Vielfalt“ 2. Theorie wurde im Zuge einer Kooperation zwischen dem Musischen 2.1. Bezüge zu kunstpädagogischen der Intermedialen Künstlerischen Bildung Gymnasium Salzburg und dem MediaLab der Universität Mo- Diskursen zarteum im Juni 2013 durchgeführt sowie durch eine Förde- Die besprochenen Ansätze lassen sich allen drei Hauptlinien rung des Bundesministeriums für Unterricht Kunst und Kultur des aktuelleren kunstpädagogischen Diskurses im deutsch- im Rahmen des Programms „culture connected“ ermöglicht. sprachigen Raum in der Einteilung von Georg Peez (siehe z.B. Mit Hilfe der am MediaLab zur Verfügung stehenden Technik 2007) zuordnen bzw. als eine Bemühung um ihre Verknüp- Nach dem Symposium „Intermediale künstlerische bild siehe Abb., Kurzfassung siehe www.youtube.com/ konnte mit Video gearbeitet werden, was die Chance bot, die fung interpretieren: Bildung – Kunst-, Musik- und Medienpädagogik im watch?v=RqfrlmeKu8k, Langfassung siehe www.youtube. bisher statischen Figuren nicht nur als Gesamteinheiten son- u Man kann die Produktionen deswegen als Ergebnisse äs- Dialog“ an der Universität Mozarteum Salzburg im com/watch?v=gmYw6WXO_98). dern gleichfalls in sich in Bewegung zu bringen. Der Video- thetischer Forschung betrachten, weil die teilnehmenden Jahre 2006 sowie der Publikation des darauf ba- Entstanden ist dieses „Kaleidoskop der Kulturen“ Anfang einsatz war auch insofern wichtig, als es in diesem Vorhaben Kinder und Jugendlichen diese größtenteils selbständig sierenden Tagungsbandes (Pasuchin 2007) konzen- 2012 im Rahmen eines längeren Projektes mit einer ersten darum ging, die Herausforderung eines konsequent interdis- auf Basis eigener Recherchen, Experimente und Erfah- trierte sich der Initiator und Autor des vorliegenden Klasse (5. Schulstufe) einer Neuen Mittelschule (Sekundar- ziplinären bzw. intermedialen Kunstunterrichts anzunehmen. rungen entwickelten. Artikels vorrangig auf die praktische Umsetzung stufe I) in der Stadt Salzburg, das im Fach „Soziales Lernen“ Denn es fand in einem Fach statt, in dem auf der ästhetischen u Es ist möglich, derartige Projekte als solche der Künstle- dabei gewonnener Erkenntnisse. Aus einer Vielzahl durchgeführt wurde. Die Vorgabe seitens der verantwortli- Ebene nicht nur (wie im Vorgängerprojekt) visuelle, sondern – rischen Bildung zu sehen, da in ihrem Rahmen die beteilig- im Zuge dessen durchgeführter Unterrichtsprojekte chen Lehrerin war, die Konflikte, die sich in der Gemeinschaft den Schwerpunkten der Schule entsprechend – ebenso mu- ten Mädchen und Jungen nicht lediglich „kunstanaloge“ wurden zwei zur Vorstellung ausgewählt, um davon aufgrund der ethnischen und religiösen Diversität ergaben, sikalische, tänzerische und schauspielerische Kompetenzen sondern tatsächlich künstlerische Handlungsweisen prak- ausgehend aufzuzeigen, wie eine solche Arbeit die möglichst positiv und kreativ aufzuarbeiten. Der Projektleiter der Kinder gemeinsam gefördert werden sollten. tizierten und dabei Neues erschufen sowie erlebten. Theorie der Intermedialen Künstlerischen Bildung (Autor des vorliegenden Artikels) gab sie in Form des folgen- Um das zu erreichen, wurden die SchülerInnen der teil- u Schließlich wird auch die Bildorientierung insofern berück- widerspiegelt, sowie zu ihrer Weiterentwicklung den Mottos an die SchülerInnen weiter: „Gemeinsam sind nehmenden zweiten Klasse (6. Schulstufe) aufgefordert, sich sichtigt, als (abgesehen vom Stellenwert aussagekräfti- beiträgt. wir schön“. Als Einstieg bat er die Kinder darum, im Internet gemäß ihrer jeweils präferierten Musikrichtung in vier Grup- ger Zeichen bei der Vorbereitung auf und bei der Arbeit nach Figuren in der Natur zu suchen, bei denen die Kombi- pen einzuteilen, wobei folgende entstanden: Klassik, Jazz, an den Projekten) Endprodukte Bilder von großem sym- 1. Praxis nation schöner Einzelteile ein besonders eindrucksvolles Ge- Hip-Hop und Disco. Nach einer Vorführung verschiedener bolischen Gehalt entstanden, die in der Nachbesprechung 1.1. Ursprungsprojekt samtbild ergibt. Sie fanden u.a. Bilder von Bäumen, Blättern (auch in der Popmusik zahlreich vorhandener) Variationen des Anstöße für vielfältige Reflexionsprozesse gaben. Zu einer pulsierenden Musik schießen vier sich drehende und Schneeflocken, wobei sie letztere besonders faszinier- berühmten D-Dur Kanons des Barockkomponisten Johann Daraus ist ersichtlich, dass die Intermediale Künstlerische bunte Figuren in der Art eines Feuerwerks aus der Mitte ten, woraufhin sie beschlossen, selbst welche darzustellen. Pachelbel improvisierten sie selbst zu seiner Harmoniereihen- Bildung (IKB) keineswegs in einem Konkurrenzverhältnis zu zu den Rändern hervor. Die auf den ersten Blick als unter- In den nächsten Stunden probierten sie unterschiedlich ge- folge zu den von ihnen gewählten Musikrichtungen passende anderen kunstpädagogischen Konzepten steht, sondern als schiedlich eingefärbte Schneeflocken erscheinenden Kon- kleidet mannigfaltige Konstellationen am Boden liegend aus, Sequenzen, woraus das Playback für das Video entstand, das eine Ergänzung dazu betrachtet werden kann. stellationen erweisen sich bei näherer Betrachtung als Ge- von denen die besten ausgewählt und in einem Turnsaal von die Mädchen und Jungen danach zum Teil selbst einspielten bilde, die aus jeweils sechs blaue Jeans und gleichfarbige der Decke aus fotografiert wurden. Die Idee dafür, wie die bzw. sangen. Gleichzeitig entwickelten sie pro Gruppe eine 2.2. Bezüge zu Kunstdiskursen T-Shirts tragenden Kindern bestehen, wobei pro Einheit Gebilde zusammengeführt sowie in Bewegung gebracht kurze performative Einleitungssequenz, in der sie vor einem Entsprechende Erweiterungsansätze ergeben sich durch das bei der Oberbekleidung immer ein anderer Ton vorherrscht werden könnten, kam von einem der Jungen, der zufällig ein von ihnen ausgewählten zu „ihrem“ Stil passenden Hinter- Anknüpfen des IKB-Zuganges an zeitgenössische Kunst- und die Gesamtform abweicht. Dazu werden hintereinan- Kaleidoskop dabei hatte und vorschlug, etwas in dieser Art grund und entsprechend gekleidet damit korrespondierende diskurse, von denen in der Folge drei für eine solche Arbeit der folgende Schriftzüge eingeblendet: „24 Kinder“, „8 mit den Bildern zu machen. Der Projektleiter bereitete einige (zumeist mit der Interpretation der Musik verbundene) Ge- besonders relevante Strömungen hervorgehoben werden. Nationalitäten“, „4 Religionsbekenntnisse“. Die Gestalten entsprechende Übungen mit Power Point vor, von denen aus- sten und Handlungen ausführten. Zusätzlich erarbeiteten, Davor ist festzustellen, dass das Motto „gemeinsam sind wir drehen und bewegen sich weiter, wobei Überlappungen, gehend die SchülerInnen einzeln am Computer individuelle probten und filmten die SchülerInnen auf den jeweiligen Stil schön“ zwar Kinder im Alter von 10-12 Jahren zur Entwick- Überblendungen, Verkleinerungen sowie Vergrößerungen Abläufe erstellten. Ihrer Vorstellung in der Klasse folgte die abgestimmte Kaleidoskopfiguren sowie dazu gehörende kur- lung persönlicher Herangehensweisen inspirieren kann, seine stattfinden. Am Schluss beruhigt sich die Musik, während gemeinsame Auswahl der gelungensten Umsetzungsideen, ze Bewegungen, die beim anschließend von ihnen durchge- Platzierung im Kunstkontext aber insofern kontraproduktiv sich die Figuren zu einem Punkt in der Mitte zusammen- welche schließlich vom Projektleiter in das Endprodukt in- führten Videoschnitt vor- und zurückgespult sowie in Schleife wäre, als innerhalb dessen „Schönheit“ spätestens seit Be- ziehen. Aus diesem kommt langsam eine neue aus sechs tegriert wurden. Nach der letzten für die Präsentation und abgespielt werden konnten. ginn des 20. Jahrhunderts höchst kontrovers diskutiert wird. Mädchen und Jungen bestehende Kombination hervor, Reflexion des Gesamtprojektes reservierten Einheit betonte Abgesehen davon, dass das dem Endprodukt (siehe www. Die einzelnen Begriffe des aus diesem Grund auf „Gemein- die nach und nach so lange um weitere sechs Kinder er- die Klassenlehrerin, dass es – im Gegensatz zu ihren früheren youtube.com/watch?v=GhpNHEwG1WU) eine größere Dy- sam sind wir (ausdrucks-) stark“ abgeänderten Titels des vor- weitert wird, bis alle 24 gemeinsam in einer komplexen Erfahrungen mit der Klasse – viel besser möglich war, mit den namik verleiht, besteht der bedeutendste Unterschied zum liegenden Artikels bringen bereits einige zentrale Gedanken ineinander verschlungenen Konstellation zu sehen sind. SchülerInnen über ihre nationalen und religiösen Differenzen Ausgangsprojekt darin, dass hier auf mehreren Ausdrucks- der theoretischen Fundierung der zuvor dargelegten Praxis Dazu erscheint der Schriftzug „Eine Klasse“ (Schluss- im Sinne einer positiven Vielfalt zu sprechen. ebenen deutlich wird, wie völlig divergierende bzw. sogar auf den Punkt:

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„Gemeinsam“ steht für die Idee von Intermedia. Jürgen E. korreliert in Hinblick auf den Partizipationsgedanken mit ak- Müller (vgl. 1996:16) definiert diesen Terminus als konzeptio- tuellen Konzepten des „Do-it-Yourself-Citizenship“, als deren nelles Miteinander unterschiedlicher medialer Strukturen, de- zentrale Vorläufer avantgardistische Kunstbewegungen zu ren ästhetische Brechungen, Verwerfungen und Fältelungen Beginn des 20. Jahrhunderts gelten (vgl. Ratto; Boler 2014: den RezipientInnen neue Dimensionen des Erlebens und Er- 10). Denn im Rahmen derartiger Theorien werden im Nor- fahrens eröffnen. Realisierungsmöglichkeiten solcher Postu- malfall als unpolitisch betrachtete Handlungsweisen dann als late können v.a. an der zweiten dargestellten Produktion be- politische Aktionen angesehen, wenn sie das Potenzial auf- obachtet werden, in der die durch Videoeffekte unterstützte weisen, vorherrschende Autoritätssysteme – zu denen jenes Kombination visueller, musikalischer und performativer Aus- der Kunst gehört – herauszufordern (ebd.: 5). drucksformen zu oft überraschenden Sinneseindrücken führt. Schließlich steht in der Artikelüberschrift der Begriff „Aus- Eine weitere Facette des Intermedia-Begriffs besteht darin, druck“ für die sowohl die Kunst- als auch die Medientheorie dass mit ihm von Anfang des entsprechenden Diskurses in immer stärker prägende Idee der Kunst als Medium – im Sin- den 1960er Jahren an die Forderung einherging, der Trennung ne eines Mittlers bzw. Vermittlers von Botschaften. Manche zwischen den Künsten genauso entgegenzuwirken, wie jener KunsttheoretikerInnen gehen sogar so weit, zu behaupten, zwischen sozialen Klassen. Er basiert auf dem Bestreben, die dass es „keinen ontologischen Gegensatz zwischen Kunst Künste von ihrer Funktion des Amüsements der Oberschicht und technischen Medien“ gäbe (Reck 2003: 23) und bezeich- sowie der Abgrenzung ihr zugehörender von anderen Bevöl- nen Letztere als „Fortsetzung der Kunst mit anderen Mitteln“ kerungsgruppen zu befreien und sie für alle Menschen zu- (Daniels 2002: 49). Im Einklang damit stehen medienwissen- gänglich zu gestalten (vgl. Higgins 1966). Von dem Gedanken schaftliche Betrachtungen von rituellen Tänzen der Steinzeit ist im ersten Projekt die niederschwellige sowohl technische als erste mediale Äußerungen und davon ausgehend des als auch ästhetische Herangehensweise inspiriert, da man Menschen selbst als „Primärmedium“ (vgl. Faulstich 2004: für seine Realisierung auf beiden Ebenen kaum Vorkenntnisse 24f). Beide eingangs beschriebenen Projekte können insofern benötigt. Die zweite Produktion ist zwar diesbezüglich bedeu- als praktische Umsetzungen bzw. Untermauerungen solcher tend anspruchsvoller, knüpft aber insofern an der Idee an, als Thesen angesehen werden, als in ihrem Rahmen die Unter- dabei die Grenzen zwischen der Hoch- und der Popularkultur stützung der teilnehmenden Kinder dabei erfolgt, um unter massiv (und damit bewusst überzeichnet) in Frage gestellt Zuhilfenahme sowohl technischer Werkzeuge als auch künst- werden. lerischer Mittel ihren Identitäten, Gefühlen, Meinungen und Das korrespondiert unmittelbar mit dem zweiten Aspekt, Visionen Ausdruck zu verleihen. Nicht weniger wichtig in Be- der im Kontext des zeitgenössischen Kunstdiskurses an zug auf diesen Punkt ist, dass bei den Produktionen die betei- solchen Projekten von besonderer Relevanz ist. Denn das ligten Mädchen und Jungen immer selbst als künstlerisches „Stark“ im Titel des Beitrags steht für Empowerment – ein „Material“ im Vordergrund stehen und demnach als (Primär-) Terminus, der gemeinsam mit jenem der Partizipation in den Medien fungieren. letzten Jahren in der Kunstdiskussion zunehmend an Bedeu- Damit wird ebenso jenem der zentralen Postulate des ak- tung gewinnt. Suzana Milevska (2006:19f) spricht von einem tuellen kunstpädagogischen Diskurses Rechnung getragen, „participatory turn“ sowohl bezüglich aktueller künstlerisch- demzufolge jeder Mensch ein/e KünstlerIn sei und dabei Milevska, Suzana (2006): Partizipatorische Kunst. Überlegungen zum Peez, Georg (2007): Kunstunterricht heute - und morgen auch. Argu- praktischer Zugänge als auch hinsichtlich ihrer theoretischen zu fördern ist, ihr/sein Leben künstlerisch zu gestalten (vgl. Paradigmenwechsel vom Objekt zum Subjekt. In: Springerin, mente und Konzepte im Überblick. In: Schulmagazin 5-10. Impul- Reflexion, der sich in einer „Verschiebung des künstlerischen Buschkühle 2003: 34f in Berufung auf Beuys). Gleichzeitig Heft 2, Frühjahr 2006, S.19-23 se für kreativen Unterricht, Heft 7-8 2007, S. 5-8 Fokus von einer Beschäftigung mit Objekten und Installa- findet die Erweiterung dieser Prämisse statt. Denn (erst) ge- Müller, Jürgen E. (1996): Intermedialität – Formen moderner kultu- Ratto, Matt; Boler, Megan (2014): Introduction. In: Ratto, Matt; tionen hin zu einer Beschäftigung mit Subjekten und der meinsam sind wir (ausdrucks-)stark! reller Kommunikation. Münster: Nodus Publikationen Boler, Magan (Hg.): DIY Citizenship. Critical Making and Social Ermöglichung ihrer Teilnahme an Kunstaktivitäten“ äußert. Pasuchin, Iwan (Hg.) (2007): Intermediale künstlerische Bildung. Media. Cambridge: MIT-Press, S. 2-22 Dass sich dieser Ansatz in beiden dargestellten Schulpro- Literatur Kunst-, Musik und Medienpädagogik im Dialog. München: ko- Reck, Hans U. (2003): Kunst als Medientheorie. Vom Zeichen zur jekten widerspiegelt, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Buschkühle, Carl-Peter (2003): Konturen künstlerischer Bildung. paed-Verlag Handlung. München: Wilhelm Fink Verlag Beim ersten kommt jedoch im Kontext von Empowerment In: Buschkühle, Carl-Peter (Hg.): Perspektiven Künstlerischer hinzu, dass in ihm Lebenslagen einer marginalisierten Gesell- Bildung. Texte zum Symposium Künstlerische Bildung und die schaftsgruppe (Kinder mit Migrationshintergrund) auf eine Schule der Zukunft. Köln: Salon-Verlag, S.19-45 Weise bearbeitet werden, die den Beteiligten ermöglicht, Daniels, Dieter (2002): Kunst als Sendung – von der Telegrafie zum den zumeist defizitorientierten und damit oft stigmatisieren- Internet. München: Beck den Sichtweisen auf die Thematik eigene spielerisch-kreative Faulstrich, Werner (2004): Medienwissenschaft. Paderborn: Fink Positionierungen entgegenzusetzen. Die zweite Produktion Higgins, Dick (1966): Intermedia. In: Something Else Newsletter 1/1

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Jochen Krautz struktion oder innerer Ausdruck, sondern immer schon eine Antwort auf das, was an Natur, Mitmenschen und Bildkultur vorgängig da ist. Somit ist dieses Lernen immer kulturell und Lernen in der Kunstpädagogik historisch dimensioniert. (Abb. 2) Thesen zu einem theoretischen Lernen bedeutet die Modifikation von Formeln Das Lernmodell hierzu hat Alexander Glas in seinen grund- und praktischen Desiderat legenden Studien mit Bezug auf die Kognitionspsychologie und die Arbeiten von Piaget als „Modifikation von Formeln“ Abb. 2 beschrieben: Neues wird gelernt durch die Adaption an Be- stehendes, durch Erweitern, Differenzieren und Umbilden bestehender Formeln der Wahrnehmung, Vorstellung und Der Text fasst hierzu grund- auf welche Dimensionen sich Darstellung. (Abb. 3) legende Überlegungen the- Lernen in der Kunstpädagogik Lernprozesse müssen demnach anknüpfen an bestehende Abb. 1 senartig zusammen. Eine bezieht: Formeln und diese durch passende Impulse zur Neu-, Um- ausführliche Darstellung fin- und Weiterbildung anregen. Dies gilt für das Proprium des det sich in Heft 1/2015 von Lernen bezieht sich auf Faches, also das praktisch-gestalterisches Lernen, wie auch „IMAGO. Zeitschrift für Kunst- die „Domänen“ der für das Lernen in rezeptiven Prozessen der Bildbetrachtung. pädagogik“. Kunstpädagogik Kunstpädagogisches Lernen Ein Lernbegriff der Kunstpädagogik Blinder Fleck „Lernen“ bezieht sich auf das anschau- So kann ein der Kunstpädagogik angemessener Lernbegriff „Lernen“ kann in der Kunstpä- liche Wahrnehmungsvermö- formuliert werden: dagogik als „blinder Fleck“ gelten. Nicht dass im Kunstunter- gen, die bildhafte Vorstellungkraft sowie die bildnerische Kunstpädagogik versteht Lernen als ein ganzheitliches, Abb. 3 richt nicht immer schon irgendwie und irgendetwas gelernt Darstellungs- und Mitteilungsfähigkeit. Man kann diese leiblich-geistiges Sich-Verhalten zur Welt, das sich im Zwi- würde; vielmehr ist die fachdidaktische und unterrichtsprak- anthropologisch bedingten Fähigkeitsbereiche, auf die sich schenraum von Selbst, Mitmensch und Mitwelt vollzieht. dem man es entweder unmittelbar tut oder auf irgendeine tische Aufmerksamkeit auf Lernprozesse wenig ausgebildet. kunstpädagogische Lern- und Bildungsprozesse beziehen als Lernen meint v.a. produktiv-gestalterisches Lernen, ist also Weise pantomimisch darstellt.“ (Tomasello 2014: 96) Zeigen Dabei ist es doch zentrale Aufgabe einer Fachdidaktik, fach- „Domänen“ der Kunstpädagogik bezeichnen. (Abb.1) auf das Gestalten von Werken als kommunikativer und kul- ist „sozusagen das didaktische Minimum“ der Pädagogik. spezifische Lehr-Lernprozesse einerseits zu erforschen, ande- Allerdings unterscheidet sich die Art und Weise, wie die tureller Akt gerichtet. Im Lernen werden Wahrnehmung, (Prange 2012: 78) rerseits entsprechend fachadäquate didaktische Formen zur Domänen angesprochen und gebildet werden, je nach bildne- Vorstellung sowie Darstellungs- und Mitteilungsfähigkeit Zeigen richtet die gemeinsame Aufmerksamkeit auf etwas Anleitung solcher Prozesse zur Verfügung zu stellen. rischem Medium gravierend: Plastisch-räumliche Wahrneh- aus-, um- und neugebildet. Kunstdidaktik leitet Lernen als Drittes, ist also ein Akt mit untrennbar gleichzeitigem Sozial- Dieses systematische Defizit hat historische Gründe, die mung, Vorstellung und Darstellung ist etwas anderes als far- je gattungsspezifischer methodischer Prozess praktischer Er- und Sachbezug. Es nutzt die Grundbedingung menschlichen als implizite Theorien und halbbewusste Meinungen nach wie bige oder zeichnerische, doch auch als bildhauerische; eine kenntnisgewinnung an. Denn Lernen in der Kunstpädagogik Lernens, die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit gemeinsam auf vor in der Praxis wirkmächtig sind. Hierzu gehört: Druckgrafik verlangt eine andere Vorstellungsform als eine ist an den leiblichen Vollzug gebunden. Nur im Tun ist im einen Gegenstand zu richten, dabei voneinander zu wissen, u das ungeklärte Verhältnis von Genie, Begabung und Ler- Fotografie, eine Performance andere als ein Puppenspiel usw. Fach Kunst praktisches Wissen, also Können zu erwerben. dass man dies tut, und dies zu nutzen, um mit dem anderen nen; Können beruht dabei auf implizitem (know-how) und expli- zu kooperieren. (Tomasello 2006) u die Auffassung von der Nichtlehrbarkeit von Kunst als Ge- Lernen ist eingebettet in das Verhältnis zitem Wissen (know-that). Es ermöglicht den Schülern, die Kunstlehrer können und müssen also zeigen, wie etwas gensatz zum Lernen; von Ich, Wir und Welt Teilhabe an der gemeinsamen visuellen Kultur und das per- geht, worauf sich die Aufmerksamkeit richten kann, was man u die Verwechslung von Entwicklung und Lernen; Entgegen vieler psychologischer Lerntheorien (Behavioris- sönliche Wollen zu realisieren. sich vorstellen und wie etwas aussehen kann. Und Schüler u das Primat ästhetischer Erfahrung statt Lernen; mus, Kognitivismus, Konstruktivismus etc.) ist Lernen gerade zeigen einander und dem Lehrer, was sie sehen, verstehen, u die Reduktion von Lernen auf technoide Steuerung. in der Kunstpädagogik nicht als solipsistischer Akt subjektiver Kunstdidaktische Folgerungen sich vorstellen, was sie gestalten und darstellen. Der relatio- Alle Problemlagen behindern die Entwicklung eines dem Fach Selbstverwirklichung oder innerer Entwicklung zu verstehen, Zunächst können aus dem damit gewonnenen relationalen, nale Wechsel von Zeigen und Verstehen macht das schöpfe- Kunst angemessenen Lernbegriffs und einer entsprechenden sondern vollzieht sich im Bezug des Ich als Mit-Selbst, im gestaltungs- und werkbezogenen Lernbegriff zwei übergrei- rische Potenzial kunstpädagogischer Lernprozesse aus. (Uhlig Fachdidaktik als Kunst der Inszenierung solcher Lehr-Lernpro- Kontext des Wir als Mit-Menschen und der Welt als Mit- fende kunstdidaktische Grundprinzipien abgeleitet werden: 2015) zesse. Welt. Lernen ist somit relational verfasst. (Künkler 2011; Krautz 2013) Kunstdidaktische Grundprinzipien Mimesis als kulturelles Lernen Dimensionen des Lernens Der Lernende ist eingebettet in das Sicht- und Darstellba- Deixis als natürliche Pädagogik Der Deixis kommt die Mimesis entgegen: Nur wenn das, in der Kunstpädagogik re und setzt sich sehend, vorstellend und gestaltend in ein Kunstunterricht ist eine geradezu prototypische Situation für was gezeigt wird, auch im Verstehen mitvollzogen oder im Die im Forschungsverbund IMAGO entwickelte Grundlagen- Verhältnis hierzu. Sehen, Vorstellen und Gestalten sind Wei- das, was Michael Tomasello aus evolutionsbiologischer Sicht praktischen Tun mit- und nachgeahmt wird, wird es gelernt. forschung zu solchen fachspezifischen Lehr-Lernprozessen sen des Weltverstehens und des Selbstverstehens. Daher ist als „natürliche Pädagogik“ bezeichnet, nämlich die Demons- Insofern ist alles Lernen mimetisch. Die tradierte Kunstlehre (Glas/Heinen/Krautz/Miller/Uhlig/Sowa 2015) klärt zunächst, dieses Verstehen und Gestalten nicht allein subjektive Kon- tration: „Man zeigt jemanden, wie etwas gemacht wird, in- unterscheidet dabei die „imitatio auctorum“, die Nachah-

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mung von anderen (Bild-) Autoren, und die „imitatio naturae“, Wahrnehmungs-, Vorstellungs-, Darstellungshilfen einerseits lernend in die konventionelle Bildsprache ein und be daran an, führt darüber hinaus? Und welche Hilfen werden das Nachahmen der Natur. (Heinen 2014) Beides ist für den Entsprechend müssen für das Lernen Hilfen zur Verfügung eröffnen andererseits den Raum zur verantworteten Um- und dabei nötig sein? Dazu sind einerseits die bisherigen Arbeiten Kunstunterricht von Bedeutung: In Bezug auf schon Gemach- gestellt werden, die den Aufbau sachgemäßer Vorstellungen Neugestaltung dieser Konventionen. (Sowa 2015a) der Schüler zu berücksichtigen; anderseits sind auch Formen tes wie durch die genaue Beobachtung von Natur können ermöglichen. Dazu ist der jeweils gegenstandbezogene von – durchaus spielerischen – „Pre-Tests“ denkbar, mit de- neue Formeln angeeignet, umgelernt, variiert und neu gefun- Lernvorgang zu analysieren: Wie sind die Proportionen des Spiralcurriculum von Inhalt, Handwerk, Gestaltung nen man zum Beginn einer Unterrichtsreihe das bisherige den werden. Nachahmung zeigt sich als eigentlich kreativer Gesichts? Wie lernt man Malen in der Relation der Farben Lernen im Kunstunterricht bezieht sich auf die drei Gegen- Können erhebt. Lern-Diagnose und Förderhinweise beglei- Akt der „Welterzeugung“. (Uhlig 2015: 253) zueinander? Woraus besteht und wie baut sich die Fähigkeit standbereiche des Kunstunterrichts: handwerkliches Können ten darüber hinaus den ganzen Arbeitsprozess in Einzelbe- Die Abwertung von Mimesis als reines „Nachmachen“ ist zum perspektivischen Zeichnen auf? Usw. Hierzu ist neben und Wissen, gestalterisches Können und Wissen und das ratungen wie Klassenbesprechungen. Hierzu ist der genaue begrifflich falsch (Petersen 2000) und rührt aus den Origina- praktischer und theoretischer Fachkenntnis didaktische Phan- Können und Wissen im Bereich inhaltlicher Sinndeutung Blick auf die Schülerarbeiten von großer Bedeutung. (Krautz/ litätsforderungen der Avantgarde und der Mythologie des tasie vonnöten, um entsprechende Settings und Materialen und Sinngebung. Insofern müssen Aufgaben in einer spiral- Sowa 2013) Genies und des „kreativen Kindes“. Schon Kant unterschied zu ersinnen. Hieran arbeitet zudem die kunstdidaktische For- curricularen Progression angelegt sein, die die Bereiche von zwischen „Nachahmung“ und „Nachmachung“. (Koch 1991: schung. Auch liegen Ansätze in der historischen Kunstlehre Inhaltlichkeit, Gestaltung und Technik in einer gestuften Kom- Metakognition, „Visible Learning“ 48) Auch die Erziehungswissenschaft hat längst einen diffe- und Kunstpädagogik vor sowie in der sogenannten „grauen plexität aufbaut. (Sowa 2015a) Was in der Allgemeinen Didaktik als Metakognition bezeich- renzierten Mimesisbegriff entwickelt: „Mimetisches Lernen Literatur“ (Anleitungs- und Handbücher aus Hobbykunst und net wird, erweist sich auch für den Kunstunterricht als lern- bezeichnet nicht bloßes Imitieren oder Kopieren, sondern ei- angewandter Gestaltung). Zone der nächsten Entwicklung förderlich, nämlich das gemeinsame Nachdenken über das nen Prozess, in dem in der mimetischen Bezugnahme auf an- Für die Einschätzung einer angemessenen Progression kann Lernen und das Gelernte: Was haben wir nun eigentlich dere Menschen und Welten eine Erweiterung der Weltsicht, Vormachen, Nachmachen, Mitmachen das Konzept der „Zone der nächsten Entwicklung“ Orientie- gemacht? Was haben wir gelernt? Was hast du warum in des Handelns und Verhaltens erfolgt. Mimetisches Lernen ist Entgegen hergebrachter Meinungen dürfen Kunstlehrer nicht rung bieten, das Lew Wygotski formuliert hat. Es verbindet deiner Plastik wie gelöst? Wie unterscheidet sich dies von produktiv; es ist körperbezogen und verbindet den Einzelnen nur, sie müssen Dinge zeigen und vormachen, um der prak- den Scheinwiderspruch von Entwicklung und Lernen durch den anderen? Welche Vorteile hat welches Vorgehen? Usw. mit der Welt und anderen Menschen; es schafft praktisches tischen Lernform gerecht zu werden. Es geht um Können, Unterricht systematisch in einem kulturell-sozialen, damit Lernen sichtbar und damit für Lehrer wie Schüler bewusst Wissen und ist daher für soziales, künstlerisches und prakti- das nicht allein aus Wissen und Erkenntnis entstehen kann, relationalen Lernverständnis. Das Kind wächst durch die und verhandelbar zu machen, ist eine der zentralen Forde- sches Handeln konstitutiv. Mimetisches Lernen ist kulturelles sondern leiblich eingeübt werden muss, das man sehen und Kooperation mit Erwachsenen lernend in die Kultur hinein. rungen, die auch John Hattie aus seiner umfangreichen Me- Lernen und als solches von zentraler Bedeutung für Erziehung nachahmen kann. Wie der Sportlehrer die Erklärung beglei- Entscheidend ist daher nicht die statische Diagnose eines tastudie zieht. (Hattie 2013) Kaum ein anderes Fach kann und Bildung.“ (Wulf 2014: 191) Somit kann man folgern: Ler- tend ganz selbstverständlich den Aufschlag im Volleyball vor- Entwicklungsstandes, sondern die der „Zone der nächsten dieser Forderung nach einem „visible learning“ wörtlicher und nen in der Kunstpädagogik ist mimetisches Lernen – oder es macht, kann dies für das Auftragen einer Aquarellfarbe oder Entwicklung“ (ZNE), also jener Fähigkeiten, die ein Kind durch unmittelbarer nachkommen als der Kunstunterricht. ist eben kein Lernen (sondern „Ausdruck“, „Kreativität“, „äs- die suchend-korrigierende Linienfindung bei einer Sachzeich- die Anleitung von und die Kooperation mit Erwachsenen und thetische Erfahrung“ etc.). nung sein. Die leibliche Handlung ist so nicht in Sprache über- anderen Kindern erreichen kann: „It is the distance between Ausblick: Kunstpädagogische Lernforschung setzbar. Sie muss innerlich und dann äußerlich nachgeahmt the actual developmental level as determined by independent Kunstpädagogische Lernforschung kann demgemäß weder Kunstdidaktische Grundfiguren werden. Und warum soll der Kunstlehrer nicht ebenso mitma- problem solving and the level of potential development as verkürzte Lernbegriffe importieren, noch ohne weiteres auf Die nachfolgenden Thesen ziehen nun didaktische Folge- chen bei einer praktischen Arbeit wie der Musiklehrer selbst- determined through problem solving under adult guidance or Methoden quantitativer oder qualitativer empirischer For- rungen aus den genannten Grundprinzipien. Sie konturieren verständlich im Chor mitsingt, den er dirigiert? Es entstünde in collaboration with more capable peers.“ (Vygotsky 1978: schung zugreifen. Vielmehr muss sie unter Zugrundelegung Lernprozesse in der Kunstpädagogik als anleitungsfähig und eine natürliche kulturelle Lernsituation, in der der Kunstlehrer 86, Hervh. i. O.) Somit beruht Unterricht auf der Möglichkeit, eines nicht-reduktionistischen, relationalen Lernbegriffs eben -bedürftig und konkretisieren Deixis und Mimesis in didak- beiläufig etwas zeigen kann, Schüler ihm über die Schulter durch Kooperation einen höheren Grad an Fähigkeiten zu er- die Dimensionen des Praktischen, der Kontexte und des Sozi- tischen Formen: schauen können, um dann angeregt und ermutigt ans eigene werben. Und daher gilt: „Nur der Unterricht ist gut, der der alen notwendig einbeziehen. (Faulstich 2013) Kunstpädago- Werk zu gehen. Insofern kann das Dogma, Schüler müssten Entwicklung vorauseilt.“ (Wygotski 1987: 302, Hervh. i. O.) gische Lernforschung erforscht demnach praktische Gestal- Kooperative Vorstellungsbildung alles selbst experimentierend erfahren, als lerntheoretisches Dies bedeutet didaktisch gesehen, dass Kunstunterricht in tungsarbeit und rezeptive Verstehensprozesse; sie bezieht Lernen im Kunstunterricht muss didaktisch von der Bildung Missverständnis getrost verabschiedet werden. Aufgaben Anforderungen zu stellen hat, deren Niveau über die unterrichtlichen Kontexte der Entstehung ein; und sie der Imagination her gedacht werden. Die Vorstellung ist der dem derzeitigen Können und Wissen der Schüler liegt, und schaut auf die soziale Einbettung dieser Lernprozesse. Sie ist Schnittpunkt von Wahrnehmung und Darstellung in ihren Be- Aufgabenstruktur zu deren Bewältigung methodische und personale Hilfen zur somit Unterrichtsforschung mit einem didaktischen Erkennt- zügen auf Selbst, Andere und Welt. Kunstdidaktik ist dem- Das relationale Lernverständnis begründet kunstpädago- Verfügung zu stellen sind. Kaum ein anderes Schulfach hat nisinteresse: Es geht um die Erforschung hermeneutisch nach eine „Didaktik der kooperativen Vorstellungsbildung“. gische Aufgaben in unserem aufgabenhaften Weltbezug: eine so klar gegliederte fachspezifische Entwicklungspsycho- und anthropologisch begründeter didaktischer Settings, die (Sowa 2015b) Es ist nicht „kunstwidrig“, Aufgaben zu stellen, sondern logie aufzuweisen wie das Fach Kunst mit der Entwicklung ein bildungswirksames Lernen ermöglichen sollen. So kann Didaktisch ist also zu fragen, welche Vorstellungsformen entspricht der Notwendigkeit, in eine Kultur lernend hinein- des bildnerischen Gestaltens. Sie bietet besondere Möglich- der „Dreischritt von Erleben, Auslegen und Verstehen […] mit welchen Inhalten, Techniken und Gestaltungsweisen ver- zuwachsen, die eben als Aufgegebenes immer schon vor keiten, Lernanforderungen richtig abzustimmen. als Grundmuster des Lernens aufgefasst werden“ (Faulstich bunden sind: Welche Vorstellungsform fordert und fördert ein uns da ist. Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung erwächst aus 2013: 68) und zugleich als Grundmuster einer Forschung, die Hochdruck, welche ein Tiefdruck? Welche eine modellierende erworbenem Können, nicht aus Verweigerung gegenüber Diagnose und Förderung damit methodisch nah an ihrem Gegenstand ist: dem Bild und Plastik? Welche ein narrativer Comic, welche eine inszenierte den bildnerischen und gestalterischen Konventionen dieser Hierzu ist die Diagnose des Lernstandes von Schülern not- der Bildenden Kunst. Fotografie? Wie baut sich diese Vorstellungsform jeweils auf? Kultur. Kunstpädagogisch richtige Aufgabenstellungen bewe- wendig: Was können sie in Bezug auf bestimmte Domänen Und wie kann sie angeleitet werden? gen sich im Spielraum von Vorgabe und Offenheit: Sie führen und Gegenstandbereiche schon? Wie setzt eine neue Aufga-

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Literatur Künkler, Tobias (2011): Lernen in Beziehung. Zum Verhältnis von Julia Gerber, Nadja Nafe Faulstich, Peter (2013): Menschliches Lernen. Eine kritisch-pragma- Subjektivität und Relationalität in Lernprozessen. Bielefeld. tistische Lerntheorie. Bielefeld. Petersen, Jürgen H. (2000): Mimesis – Imitatio – Nachahmung. Eine Glas, Alexander (2015): Anthropogene Voraussetzungen – die Ge- Geschichte der europäischen Poetik. München Partizipation: sinnvoll – beliebig – überbewertet nese der Kinder- und Jugendzeichnung. In: Glas/Heinen/Krautz/ Prange, Klaus (2012): Die Zeigestruktur der Erziehung. Grundriss der Miller/Sowa/Uhlig (a.a.O.), S. 199-219. operativen Pädagogik. 2. Aufl. Paderborn. Glas, Alexander/Heinen, Ulrich/Krautz, Jochen/Miller, Monika/Sowa, Sowa, Hubert (2015a): Grundlagen der Kunstpädagogik – anthropo- Hubert/Uhlig, Bettina (2015): Kunstunterricht verstehen. Schrit- logisch und hermeneutisch. In: Glas/Heinen/Krautz/Miller/Sowa/ te zu einer systematischen Theorie und Didaktik der Kunstpäd- Uhlig (a.a.O.), S. 481-517. agogik. Kunst.Pädagogik.Didaktik. Schriftenreihe IMAGO – For- Sowa, Hubert (2015b): Imagination und Gemeinsinn. Theorie und Unsere Sektion ging von der Überlegung aus, Formen Mit diesen Entwicklungen einhergehend, lassen sich auch schungsverbund Kunstpädagogik. Bd 1. München. Didaktik der kooperativen Vorstellungsbildung. (in. Vorber.) der Partizipation an konkreten Bildbeispielen aus in der bildenden Kunst Auseinandersetzungen mit Formen Hattie, John (2013): Lernen sichtbar machen. Überarbeitete Tomasello, Michael (2006): Die kulturelle Entwicklung des menschli- den Medien und der bildenden Kunst zu differenzie- der Partizipation finden. Als wegweisend können Künstler deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning“ besorgt von chen Denkens. Zur Evolution der Kognition. Frankfurt a. M. ren und zu besprechen, um sich auf diese Weise wie George Brecht, oder Robert Rauschenberg Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Hohengehren. Tomasello, Michael (2014): Eine Naturgeschichte des menschlichen der Vielfältigkeit, die vom Partizipationsbegriff ab- genannt werden, die die Institutionalisierung von Kunst sowie Heinen, Ulrich (2014): Malen mit verschränkten Armen. Die Bildung Denkens. Frankfurt a. M. gedeckt wird, zu nähern und diese kritisch zu hin- den zu der Zeit vorherrschenden Kunstbegriff hinterfragten der produktiven Imagination in der tradierten Kunstlehre (zu- Uhlig, Bettina: Zur Rolle von Anschauung und Nachahmung bei der terfragen. Die differenzierte Vermittlung von und der und den Rezipienten partizipative Möglichkeiten eröffneten. gleich ein kunsthistorischer Beitrag zur Grundlegung des Faches Entwicklung der kindlichen Bildsprache. In: Glas/Heinen/Krautz/ Umgang mit partizipativen Strukturen, insbesondere Hier sei auf Rauschenbergs Black Market (1961) verwiesen. Kunst). In: Sowa, Hubert/Glas, Alexander/Miller, Monika (Hrsg.): Miller/Sowa/Uhlig (a.a.O.), S. 251-259. in Bildern und Kunstwerken, erschien uns vor dem Die Rezipienten waren eingeladen, einen Gegenstand aus Bildung der Imagination. Bd.2: Bildlichkeit und Vorstellungsbil- Vygotsky, Lev S. (1978): Mind in society: The development of higher Hintergrund der breitgeführten Debatte um den Parti- einem mit Gegenständen gefüllten Koffer gegen etwas Mit- dung in Lernprozessen. Oberhausen: Athena, S.169–232. psychological processes Cambridge, Mass. (Original ca. 1930- zipationsbegriff als blinder Fleck. gebrachtes auszutauschen und diesen Austausch zu doku- Koch, Lutz (1991): Logik des Lernens. Weinheim. 1934) Im Folgenden werden wir uns auf einige Arbeiten mentieren. (Blunck 2003: 88ff). Da es bereits bei der ersten Krautz, Jochen (2013): Relationalität gestalten. Persönlichkeit und Wulf, Christoph (2014): Bilder des Menschen. Imaginäre und perfor- aus dem Bereich der bildenden Kunst beschränken. Ausstellung zu Diebstählen und Vandalismus kam, wurde die Beziehung in der Kunstpädagogik. In: Krautz, Jochen/Schieren, mative Grundlagen der Kultur. Bielefeld. Am Ende des Beitrags sind Internetlinks angegeben, Teilnahme am Black Market fortan untersagt und das Werk Jost (Hrsg.): Persönlichkeit und Beziehung als Grundlage der Pä- Wygotski, Lew (1987): Ausgewählte Schriften. Arbeiten zur psychi- unter denen die Werke zu finden sind. seines partizipativen Charakters beraubt. dagogik. Beiträge zur Pädagogik der Person. Weinheim/Basel, S. schen Entwicklung der Persönlichkeit. Bd. 2. Berlin. Bereits an dieser Stelle deuten sich Fragen und Probleme 143–169. Sucht man nach Synonymen für Partizipation, stößt man auf rund um die Steuerung von partizipativen Prozessen und die Krautz, Jochen/Sowa, Hubert (Hrsg.) (2013): Kunst+Unterricht: Begriffe wie Teilnahme, Teilhabe, Mitmachen, ... . Sie zielen Handlungsfreiheit des Rezipienten an. Lars Blunck macht „Lernen, Üben, Können“. H. 369/370. in eine ähnliche Richtung, weisen jedoch bei genauerer Be- darauf aufmerksam, dass die Konstellation im Koffer zwar trachtung unterschiedliche Schwerpunktsetzungen auf. So verändert werden konnte, jedoch in die durch den Künstler gab es auch in unserer Sektion ganz verschiedene, teils ge- festgelegte Ursprungsidee nicht eingegriffen werden durfte gensätzliche Ansichten davon, was Partizipation bezeichnet (Blunck 2003: 91). Somit wurde zwar eine Aktivität durch den oder meint: Diese reichten von Fragen der Schüleraktivie- Betrachter vorausgesetzt, diese war jedoch in einem hohen rung bis hin zur Einbeziehung von Künstlern in den Kunst- Maß geregelt und ließ dem Rezipienten wenig Spielraum. unterricht. Konträr hierzu lud Marina Abramović 1974 zur Perfor- Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der Begriff der Parti- mance Rhythm 0 ein, in deren Rahmen sie ihren Körper und zipation soziale Handlungen umreißt und damit ein äußerst verschiedene Gegenstände (u.a. Spiegel, Farbe, Peitsche, Es- weites Feld abdeckt, in das verschiedenste Ausprägungen sen, Pistole) zur Verfügung stellte. Sie erteilte die Erlaubnis, und Vorstellungen von Individuum und Gemeinschaft, glo- alle Gegenstände zu benutzen und sprach die Besucher für balen und lokalen Strukturen, ökonomischen, ökologischen, die Dauer der Aktion von jeglicher Verantwortung frei. Auch sozialen, politischen und kulturellen Interessen fallen können. wenn es verschiedene Berichte über den Ausgang der Per- Wichtige Impulse erhielt der Partizipationsdiskurs in den 60er formance gibt, stimmen diese darin überein, dass sich das und 70er Jahren im Rahmen der sozialen Bewegungen und Publikum in Aggressoren und Beschützer aufteilte und die den angestrebten Demokratisierungsprozessen (Fahrenwald, Performance in dem Moment für beendet erklärt wurde, als u.a. 2013: 10), die nicht zuletzt zu seinem heutigen positiven ein Teilnehmer die geladene Pistole auf die Künstlerin rich- Image beigetragen haben. Der Begriff schwankt zwischen tete (vgl. z.B. Fischer-Lichte 2012: 89ff). AbramovićsKon- der Beschreibung eines Ist-Zustandes, der Verbesserung der zept zielte auf eine Partizipation, die dem Rezipienten mehr aktuellen Situation im Sinne demokratischer Überzeugungen Handlungsspielraum und Entscheidungsmöglichkeiten bot und der Utopie eines gemeinsamen, gleichberechtigten Mit- als Rauschenbergs Black Market. Gleichzeitig nahm sie mit einanders. dieser forcierten Regellosigkeit in Kauf, ihre eigene Freiheit

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und Unversehrtheit zu gefährden, indem sie sich selbst zum von Partizipation in Form einer angestrebten Gleichberechti- ren. Bei Erwin Wurm wird man Betrachter, Handelnder und zu diskriminieren. Gleichzeitig kommt Othering eine wichtige Objekt der Aktion erklärte. gung hier nicht überbewertet wird. Die Teilnehmer wurden Kunstwerk und beobachtet sich selbst sowie die anderen Be- Rolle in der Ich-Konstruktion zu, die sich ganz grundlegend auf Zusammengenommen zeigen diese beiden Arbeiten eine aufgrund ihrer Anzahl und Positionierung anonymisiert und auf sucher, von denen man als Skulptur rezipiert wird. Mit Blunck Prozesse der Abgrenzung und Zugehörigkeit stützt (Wagner Auseinandersetzung mit der Rolle des Künstlers und der Rolle ihre Körper reduziert. Hiermit ging eine Entdemokratisierung ließe sich sagen, dass „[d]ie Aktivierung und Beteiligung des 2015: 13). des Publikums auf. Sie stellen Fragen nach der Funktion von einher, die nicht zuletzt durch den historischen Kontext for- Publikums [...] die Transformation des Verhältnisses zwischen Durch Begriffe wie Diversity und Othering wird ersichtlich, Regeln, Verantwortlichkeit und Mitbestimmung und führten ciert wurde. Es wird deutlich, dass partizipative Handlungen Produzenten und Rezipienten in dessen traditioneller Variante dass unter den Partizipationsbegriff nicht nur positiv zu be- den Rezipienten im besten Fall zur Reflexion über die Art sei- nicht immer die mit dem Begriff verbundenen Vorstellungen der Werk-Betrachter-Beziehung [bezweckt].“ (Blunck 2005: wertende Handlungsprozesse fallen, sondern dass mit Par- nes Verhaltens im jeweiligen Kontext, in diesem Fall seine von Freiheit und Demokratie einlösen. Im Grunde treten hier 89) tizipation auch Formen von Andersartigkeit, Ausgrenzung, Partizipation am Werk. die Ansprüche des Begriffs und die Wirklichkeit der Handlung In allen genannten Beispielen werden das Verhältnis von Fragen des Zugangs zu Gruppen, Institutionen etc. verbunden Dieser Kontext war hier bestimmt durch die Vorgaben der auseinander. Rezipient und Künstler und deren jeweilige Einwirkung auf sind. Künstler. Zwar war es dem Rezipienten überlassen, ob er Eine andere Vorstellung von Partizipation und dem Verhält- das Werk unterschiedlich stark gewichtet. Dennoch kommt Diese Überlegungen gehen einher mit einer Erweiterung sich aktiv oder passiv zur jeweiligen Situation verhielt, doch nis von Individuum und Gemeinschaft vermittelt Jaume Plen- es in keiner der hier vorgestellten Arbeiten zu einer vollkom- des Multikulturalitätsbegriffs, an dessen Seite Begriffe wie gerade bei Rhythm 0 wird deutlich, dass sich die Teilnehmer sa mit seinem Projekt Crown Fountain im Chicagoer Millen- menen Ablösung des Künstlers durch den Rezipienten. Viel- Interkulturalität und Transkulturalität treten, anhand derer par- der Partizipation nicht entziehen konnten, da auch eine Hand- nium Park. Die Arbeit ist an die Idee des Springbrunnens als mehr verschiebt sich das Bild des autonomen Künstlers hin tizipative Praktiken, die in einer zunehmend globalisierten und lungsverweigerung oder das Verlassen der Räumlichkeiten ästhetischer Platz des Austauschs angelehnt. Diese Intention zum Moderator, der das Publikum zum partizipativen Handeln medialisierten Welt an Bedeutung gewinnen, hervorgehoben Auswirkungen auf den Ablauf der Performance hatte. wird durch den Aufbau des Kunstwerks verstärkt: auf zwei auffordert. Vor diesem Hintergrund könnte Partizipation als werden (Glossar Inter- und Transkultur 2013: 147ff). „[...] Beide Kunstwerke zeigen soziale Handlungszusammen- knapp 16m hohen gegenüber stehenden Türmen werden situationales Ineinandergreifen von top-down- und bottom- Diversität bestimmt die Lebenswelten von Menschen – mit hänge auf, wie sie auch den Alltag bestimmen können. Akti- Videosequenzen, die nacheinander Portraits von ca. tausend up-Prozessen beschrieben werden, in dem Individuum und oder ohne Migrationshintergrund“ (Nürnberg-Paper 2012: vität und Passivität stehen in einem direkten Zusammenhang Chicagoern zeigen, abgespielt. Vertreten sind Menschen Gemeinschaft und deren Verhältnis zueinander im Rahmen 226). Hiermit verbunden sind Vorstellungen von einer sich zu implizit oder explizit formulierten Regeln, die Verantwor- unterschiedlichen Alters, die 75 verschiedenen ethnischen, kultureller und gesellschaftlicher Gegebenheiten immer neu dynamisierenden Welt und dynamischen Individuen, denen tung übertragen und auf vorhandene Wahlmöglichkeiten religiösen und sozialen Gruppen angehören. Plensa begreift entworfen werden. kontextabhängig eine Pluralität von sich verändernden Identi- hindeuten. Es geht nicht nur darum, dass Partizipation statt- die gezeigten Portraits als Repräsentation einer heterogenen In den oben genannten Beispielen werden Menschen zur täten zur Verfügung steht. Also nicht nur in dem Sinne, dass findet, sondern um ihre Struktur und Ausformulierung. Hieran Gesellschaft. Von Zeit zu Zeit fließt aus den sich öffnenden Teilhabe an gemeinschaftlichen Prozessen aufgefordert, in sich Menschen ständig weiterentwickeln, sondern auch, zeigt sich, dass ein allgemeiner Verweis auf Partizipation ein Mündern der Portraitierten Wasser in ein von den Türmen denen ihre Individualität aber zweitrangig bleibt. Fast konträr dass sie sich je nach Kontext anders verhalten. Identität wird überbewerteter Gemeinplatz ist. Regeln und Partizipations- flankiertes Granitbecken, das als Spielplatz für Jung und Alt zu diesen Entwürfen erscheint Mischa Kuballs Arbeit New nicht mehr länger als etwas Statisches oder Abgeschlos- möglichkeiten sind nicht statisch. Ein Partizipationsbegriff, dienen soll. Zudem laden rund um die Türme zahlreiche Bänke Pott, bei der der Künstler zwar als Moderator auftritt, selbi- senes, sondern als etwas sich kontinuierlich Veränderndes der situativen Handlungen gerecht werden möchte, sollte der zum Verweilen ein. Wasser, Bilder und Licht stehen für per- ge grundsätzlich aber von den individuellen Geschichten der verstanden. Diese Aspekte werden gleichermaßen auf inter- Situation entsprechend überprüft werden. In dieser situati- manenten Wandel und Transformation. (Plensa 2007: 285f) Partizipierenden lebt. Im Sinne von Kunibert Bering und Rolf nationaler Ebene diskutiert. (Bering, u.a. 2013, Gerber/Nafe onsbezogenen Ausrichtung ließe sich der potentiellen Über- In diesem Sinne setzt sich die Arbeit auf zwei unterschied- Niehoff kann davon gesprochen werden, dass mit dem Ver- 2015) Vor dem Hintergrund von Prozessualität und Mehrdi- bewertung bzw. Beliebigkeit des Begriffs entgegensteuern lichen Ebenen mit Partizipation auseinander: Zum einen durch schwimmen der „Differenz zwischen Künstler und Betrachter, mensionalität wird der differenzierte und reflektierte „Um- und gleichzeitig könnten Probleme etwa in Bezug auf Selbst- die Einbeziehung der Chicagoer Bürger in Form der Slow Mo- zwischen Akteur und Zuschauer zunehmend [...] an die Stelle gang mit dem Fremden und vermeintlich Vertrauten“, der von verantwortung und Eigeninitiative sichtbar gemacht werden tion Porträtaufnahmen, die auf den Türmen gezeigt werden hierarchischer Verhältnisse kommunikative Strukturen [...]“ „voreingenommenen stereotypisierenden Zuschreibungen (vgl. hierzu u.a. Ahrens/Wimmer 2012: 19ff). und stellvertretend für die Diversität und Pluralität der Gesell- (Bering/Niehoff 2014: 359f) treten. Für New Pott interview- und Bewertungen“ (Lang 2012: 106f) abrückt, entscheidend. Dies berücksichtigend sei auf eine Arbeit von Spencer schaft stehen sollen. Zum anderen wird mit dem Kunstwerk te Kuball innerhalb von 18 Monaten 100 verschiedene Per- Hierzu gehört auch, partizipative Strukturen des alltäglichen Tunick im Düsseldorfer Ehrenhof (2006) verwiesen. Bei dem ein öffentlicher Platz zur Verfügung gestellt, an dem die Men- sonen und deren Familien, die im Verlauf ihres Lebens nach Lebens und in der Auseinandersetzung mit Kunst zu reflektie- Projekt schaltete Tunick einen öffentlichen Aufruf, aufgrund schen aus verschiedenen Gründen zusammenkommen, etwa Deutschland eingewandert waren und jetzt im Ruhrgebiet le- ren, bzw. zu hinterfragen, da letztere von sich aus eine Aus- dessen sich ca. 850 Menschen zu einem Fotoshooting im Hof um das Werk zu betrachten, in der Hoffnung, das eigene Ge- ben. Die Interviews zeigen ganz verschiedene Lebenswege, einandersetzung mit Partizipationsvorgängen auf inhaltlicher des Museum Kunstpalast einfanden, die vom Künstler auf ei- sicht zu sehen, oder um sich dort zu treffen und zu spielen. Erfahrungen und Empfindungen bezüglich des persönlichen und/oder formaler Ebene aufweisen. nem pyramidenförmigen Aufbau nackt als „Menschenberg“ Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit einem Kunst- Migrationshintergrundes und der eigenen kulturellen Identität Im Kunstunterricht können die aufgezeigten Spannungs- arrangiert und fotografiert wurden. Tunick sieht den „fremden werk und das Verhältnis von ‚Sehen und Gesehen werden‘ auf, unterstützt durch die individuell abgestimmten Fragen verhältnisse anhand von Bildern exemplarisch thematisiert, Körper“ als Medium, das er formen kann; gleichzeitig adres- thematisiert auch Erwin Wurm in seinen One Minute Sculp- des Künstlers. Auffällig ist, dass die meisten Interviews von analysiert und praktisch umgesetzt und erfahren werden. siert er die Teilnehmer auch als mitwirkende Künstler (Institut tures: Wurm stellt verschiedene Gegenstände (Stühle, Eimer, einem Gefühl der Differenz bzw. des Andersseins geprägt für Kunstdokumentation 2006). Mit Blick auf die während Bälle, ...) zur Verfügung und gibt durch teils schriftlich erläu- sind. Hier ließe sich an die aktuelle Fachdebatte anschließen, Literatur der Aktion entstandenen Aufnahmen, ist es jedoch fraglich, terte Zeichnungen eine Anweisung, wie man sich mit den etwa an die Begriffe Diversity, im Sinne von „Vielfalt“ und Sönke Ahrens, Michael Wimmer: Partizipation. Versprechen, Pro- ob oder inwieweit die Skulptur Arno Brekers, auf dem Dach Gegenständen für die Dauer von 60 Sekunden zu inszenieren „Vielfältigkeit“, und Othering, das zumeist als Abgrenzungs- bleme, Paradoxien, in: Andreas Brenne, Andrea Sabisch, Ans- des Museums, integraler Bestandteil der Arbeit war. Tunick hat. Zwar weist die Arbeit aufgrund der Handlungsanweisun- strategie verstanden wird. Othering kann – gegenläufig zu gar Schnurr (Hgg.): revisit. Kunstpädagogische Handlungsfelder, betonte, dass er die Breker-Skulptur versöhnend einbeziehen gen eine stark gelenkte Partizipation auf, gleichzeitig gibt sie Diversity – als Handlungsweise beschrieben werden, die Un- #teilhaben #kooperieren #transformieren, München 2012, S. wollte. Es ließe sich aber fragen, ob diese auch die Intention aber dem Rezipienten die Möglichkeit, sich bewusst im Span- terschiede hervorhebt, stereotypisiert und bewertet und die 19-42 der Partizipierenden unterstreicht und inwiefern die Wirkkraft nungsverhältnis von Aktivität und Passivität selbst zu erfah- leicht Gefahr läuft, das Andere und Fremde abzuwerten und Kunibert Bering, Rolf Niehoff: Bildkompetenz, Oberhausen 2014

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Kunibert Bering, Stefan Hölscher, Rolf Niehoff, Karina Pauls (Hgg.): #aktuelle Kunst (Kunst Pädagogik Partizipation, Buch 1) Mün- Mareike Buchmann, Susanne Schittler, Anna Stern Visual Learning. Positionen im internationalen Vergleich, Ober- chen 2012, S. 106/107 hausen 2013 Nürnberg-Paper, Interkultur – Globalität – Diversity. Leitlinien und Lars Blunck: „Luft anhalten und an Spinoza denken“, in: Lars Blunck: Handlungsempfehlungen zur Kunstpädagogik/ Kunstvermittlung Performancekunst im Kunstunterricht Werke im Wandel? Zeitgenössische Kunst zwischen Werk und remixed, in: Andreas Brenne, Andrea Sabisch Chancen einer kollaborativen, körperorientierten, Wirkung, München 2005, S. 87-106 Jaume Plensa im Gespräch mit Michael Stoeber: Transforming En- Lars Blunck: between object & event. Partizipationskunst zwischen ergy, in: Glenn Harper, Twylene Moyer (Hgg.): Conversations on ergebnisoffenen und mehrperspektivischen Mythos und Teilhabe, Weimar 2003 Sculpture (Perspectives in Contemporary Sculpture), Hamilton, Vermittlungs- und Handlungspraxis Claudia Fahrenwald, Michael Göhlich, Hildegard Macha, Andreas N.J. 2007, S. 280-289 Schröer, Susanne Maria Weber: Organisation und Partizipation Ansgar Schnurr (Hgg.): revisit. Kunstpädagogische Handlungsfelder, – interdisziplinäre Verhältnisbestimmungen und organisations- #teilhaben #kooperieren #transformieren (Kunst Pädagogik pädagogische Perspektiven, in: Susanne Maria Weber, Michael Partizipation, Buch 2), München 2012, S. 225-230 In seinem autobiographisch motivierten Buch „Teenie-Leaks“, miteinander verschränkt zu gestalten, mit dem eindeutigen Göhlich, Andreas Schröer, Claudia Fahrenwald, Hildegard Macha Ernst Wagner: Kunstunterricht im Zeitalter der Globalisierung, in: Ku- das im Januar 2015 erschien, beschreibt der 15-jährige Paul Schwerpunkt auf Präsentation. Grundiert wird dieser Diskurs (Hgg.): Organisation und Partizipation, Wiesbaden 2013, S. 10- nibert Bering, Stefan Hölscher, Karina Pauls (Hgg.): Globalität – Bühre seinen Alltag als pubertierender Mittelschichtler und um die individuelle Performanz mit der Zuschreibung von 28 Transkulturalität – Partizipationen. Kunstpädagogische Perspekti- gibt Einblicke in die Welt seiner Peers, die in einem engen Selbstverantwortung. Dass dies wenig mit Selbstbestim- Institut für Kunstdokumentation: Spencer Tunick – Installation Düs- ven, Oberhausen 2015, S. 11-23 Korsett von unhinterfragten Normen, Codes und Überzeu- mung zu tun hat und viel mit (An-)Passungsbereitschaft, wird seldorf 2006, https://vimeo.com/6196162 (15.04.2015) gungen leben. Alkoholexzesse, Gamegrufties, Dauerporno- inzwischen schon durch Ergebnisse der Kindheitsforschung Erika Fischer-Lichte: Performativität. Eine Einführung, Bielefeld 2012 Links zu den genannten Kunstwerken konsum? Fehlanzeige. Hier präsentiere sich ein „vernünftiger, belegt (vgl. Kelle/Mierendorff 2013). Performance findet in Julia Gerber, Nadja Nafe: Formen der Partizipation im ästhetischen Robert Rauschenberg: http://www.museum-ludwig.de/de/media- sympathischer Junge“, so die Rezensentin Melanie Mühl in der Schule und außerhalb also sowieso schon statt – im Handeln. Positionen im internationalen Vergleich, in: Kunibert thek/robert_rauschenberg (15.04.2015) der FAZ und findet, um diesen „Bilderbuchjugendlichen ohne Sinne selbst auferlegter Performanz. Bering, Stefan Hölscher, Karina Pauls (Hgg.): Globalität – Trans- Spencer Tunick: http://www.rp-online.de/nrw/staedte/ Rebellionspotenzial“ müsse man sich keine Sorgen machen. Performancekunst dagegen ist seit den 60er Jahren des kulturalität – Partizipationen. Kunstpädagogische Perspektiven, duesseldorf/850-menschen-zogen-sich-in-duesseldorf-fuer- Wirklich nicht? In seinem Alltag ist die gelungene Selbstdar- letzten Jahrhunderts als ein wesentliches Ausdrucksmittel Oberhausen 2015, S. 89-102 tunick-aus-bid-1.829084 (15.04.2015) stellung, die perfekte Performance die Währung, mit der An- zeitgenössischer Künste etabliert, als kulturelles Phänomen Glossar Inter- und Transkultur, in: Sara Burkhardt, Torsten Meyer, Ma- Jaume Plensa: http://en.wikipedia.org/wiki/Crown_Fountain erkennung innerhalb der Peer Group erkauft wird. „Erkaufen“ im öffentlichen Raum präsent und inzwischen sogar in offi- rio Urlaß (Hgg.): convention. Ergebnisse und Anregungen, #Tra- (15.04.2015) ist durchaus wörtlich zu nehmen: Bühre beschreibt unter an- zielle Schulcurricula aufgenommen. Im Kunstunterricht sind dition #Aktion #Vision (Kunst Pädagogik Partizipation, Buch 3), Erwin Wurm: https://www.youtube.com/watch?v=aDL5NVXwBFI derem akribisch, welche Outfits bis hin zur Unterhosenmarke, Theorie und Praxis von Performancekunst dagegen immer München 2013, S. 147-151 (15.04.2015) welches Smartphone-Modell angesagt sind. Die, die in der noch unterrepräsentiert. Es fehlt hier an Erfahrung, Verbrei- Christoph Lang: Diversitiy/Vielfältigkeit, in: Christine Heil, Gila Kolb, Mischa Kuball: http://www.mischakuball.com/works/8-works-work- Konsumschlacht nicht mithalten können, müssen eben drau- tung und Erforschung als ästhetische Praxis, auch wenn Per- Torsten Meyer (Hgg.): shift, #Globalisierung # Medienkulturen s/288-new-pott-new.html (15.04.2015) ßen bleiben. Im besten Fall werden sie ignoriert, im schlech- formativität im kunst- und sozialwissenschaftlichen Diskurs testen gedisst und (cyber-)gemobbt, Aspekte, die Bühre nur zu einem zentralen Theorem aktueller Bildungsforschung am Rande erwähnt. avanciert ist und zahlreiche neue Forschungsfelder eröff- Buko: Eindrücke einer Schweizerin Schon 2001 führt Jon McKenzie in „Perform or else“ die net hat. McKenzie bescheinigt Performance als Praxis aber These in den performativitätstheoretischen Diskurs ein, dass gerade deshalb ein transformatives Potenzial, weil sie sich ‚Performance‘ für das 20. und 21. Jahrhundert als Metabe- am Kreuzungspunkt zwischen den beiden „Performance“- 1 Die hier beschriebene griff ‚Disziplin‘ ablöse, in seiner gesellschaftspolitischen und Verständnissen (künstlerisch: Performance und soziokultu- Performanz innerhalb damit auch das Bildungssystem prägenden Dimension. Im rell: Performanz) befindet. In eben dieser Differenz könne der künstlerischen Zum ersten Mal nehme ich an einem in- aus Deutschland. Dieser Meisterkampf ler. Ich frage, ob Deutschlehrer auch Anschluss an Jean-Francois Lyotard konstatiert er ein an- das transformative Potenzial des Performativen liegen (Mk- Performance lässt ternationalen Kongress teil und befinde interessiert mich nicht. Er ist nicht Schriftsteller sein sollten – ich kriege deres Verständnis von Wissen: Wissen beruhe nicht mehr Kenzie 2013: 155). Wir bewegen uns also innerhalb eines sich am ehesten mich unter 480 Gleichgesinnten. Doch konstruktiv und schadet dem Fach, keine Antwort. auf „wahren Aussagen“, sondern auf einer „erfolgreichen Per- Paradoxons mit Potenzialcharakter, sobald Performance- einem radikalen die Heterogenität könnte nicht grösser welches unterdessen an den Rand ge- In einem Workshop kritisiert einer die formance“, aus der wiederum ökonomischer Wert geschöpft kunst sich in einem institutionellen Kontext verortet. Was Performanzkonzept sein. Die unterschiedlichen Fachver- drängt wird. Übungsfraktion, obwohl es nicht Inhalt werden kann (vgl. McKenzie 2013). Die Verpflichtung zur Per- kann dann das „Versprechen“ von Performances im Kontext zuordnen, das die ständnisse sind sehr bereichernd. Was Da gibt es deutsche Kollegen, wel- des Gesprächs ist und die Betroffenen formanz, im Alltagsgebrauch als gelungene Selbstdarstellung Schule sein? Möglichkeit der dem Fach jedoch nicht zugute kommt, che das Üben neu entdecken und sich nicht anwesend sind – das ärgert mich. verstanden1, zieht sich durch alle gesellschaftlichen Ebenen, Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Vermittlungs- Überschreitung dicho- sind alte Grabenkämpfe à la Otto/Sel- gegen den Kompetenzbegriff äussern. Trotz allem habe ich gute Gespräche im Bildungsbereich gut ersichtlich an der Maßgabe der Profi- erfahrungen mit Performances in Schule, Universität und tomischer Klassifizie- le. Diese stelle ich nicht unter den Wozu, was und mit welchem Ziel geübt erlebt und freue mich auf den nächsten lierung und Ökonomisierung auf institutioneller wie individu- außerschulischer kultureller Bildung haben sich unsere Vor- rungen als inhärenten zahlreichen, mehrheitlich weiblichen werden soll, bleibt offen. Im Gegensatz Kongress, wobei ich mir wünsche, eller Ebene (vgl. Radtke 2013). Vom Entwicklungsportfolio im stellungen entwickelt, einen Zugang zum Potenzial von Per- Widerstreit in diesem Studierenden fest, sondern hauptsäch- dazu sieht ein deutscher Kollege alle mehr Stimmen aus Österreich und der Kindergarten über Vergleichsarbeiten in der Grundschule bis formancekunst zu ermöglichen. „Das Abenteuer braucht eine selbst verankert sieht lich bei den männlichen Professoren Kunstpädagogen zwingend als Künst- Schweiz zu hören. hin zur Frage nach Präsenz in sozialen Netzwerken sind In- gute Vorbereitung, damit das Zufällige umso stärker wirksam (Krämer/Stahlhut dividuen damit konfrontiert, Präsentation, Präsenz und Inhalt werden kann.“ Dieser aus der Abenteuerforschung entliehe- 2001: 55).

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ne Satz stand zu Beginn unserer Buko-Workshop-Planung als Zentral war dabei die Art der Performance-Erfahrung, die zu tun, nur wahrzunehmen, was wahrzunehmen ist. Plötzlich sich die Diversität der gesamten Gruppe in den unterschied- impulsgebender Gedanke „on top“ (vgl. Nerlich 1997). Also einstimmig einen intervenierenden Charakter besitzen sollte. wenden sich die vier Frauen von der Mauer ab und laufen lichen Details, die wahrgenommen wurden, und in den daran war von Anbeginn an klar, dass die Teilnehmer_innen sich Intervention bedeutet einmischen, einfunkelnd dazwischen die Rampe hinunter. Ihre Schritte durchbrechen die Geräusch- anschließenden divergierenden Sinnkonstruktionen. unmittelbar mit einer Performance-Situation konfrontieren, treten: in den Raum oder Ort, das eigene Verhalten, Konven- landschaft, Menschen wenden sich erstaunt um, halten inne. In der Dramaturgie der Performance erfolgte ein erneu- selbst etwas machen und in etwas hinein geraten sollten. Ein tionen, Handlungen oder Haltungen. In den Ort eingreifend Die Frauen machen eine scharfe Kurve und rasen in den In- ter Bruch, der wiederum mit einem Perspektivwechsel ein- konkret körperlicher Zugang erschien uns daher notwendig, stellt sich eine Situation her, in der alle Beteiligten Teil sind. nenhof hinein, die Vorderste rennt bis an die Mauer, an deren herging: Aus einem Zustand der Ruhe, des vermeintlichen um über das Spezifische innerhalb einer Performance-Erfah- Ob sie sehen oder gesehen werden. Krone wir stehen, hält an, die Hände gegen die Wand ge- Nichts-Tuns heraus explodierte eine Aktion, das Rennen auf rung zu sprechen und eine Voraussetzung, um Performance- Rahmen und Material: 20 Teilnehmer_innen, Orte in und au- presst, und schaut zu uns hoch. Auch die anderen drei bleiben der Rampe. Rennen ist im Stadtraum keine alltägliche Fort- kunst zu vermitteln. ßerhalb der Universität Mozarteum, Hefte, Zettel, Stifte, 180 abrupt stehen, in verschiedenen Positionen und Abständen bewegungsart, sie impliziert eine dringliche Situation, das Nach einem Warm-up zur Sensibilisierung der Körper- und min. zur ersten, sich am Baum festhaltend, halb kniend, stehend. Erreichen eines Ziels unter Zeitdruck oder die Flucht vor einer Raumwahrnehmung war beabsichtigt, ortsspezifische Perfor- Im Folgenden lädt die Beschreibung einer der entstande- Alle vier schauen jetzt nach oben, begegnen unseren Blicken, Bedrohung. Diese Bewegung wurde jedoch „ins Leere“ ge- mances in und außerhalb der Universität Mozarteum zu ent- nen Performances dazu ein, sie lesend nachzuvollziehen: und wir, die nun auf einmal eindeutig die Rolle der Zuschauer führt, der Innenhof bot keinen Ausweg außer den Rückweg. wickeln. An Praxiserfahrung und gemeinsame Reflexion mit Eine Gruppe von vier Frauen führt uns aus dem Hauptein- spielen, schauen auf sie, die Akteurinnen, hinab. Das Bild hat Auch wenn die Akteurinnen ihre Bewegung sofort wieder allen Teilnehmenden sollte sich eine Begriffsfeldforschung gang des Mozarteums heraus, über den kleinen Vorplatz und sich völlig gewandelt. Jetzt ist der Hof gefüllt von der starken einfroren und statuengleich verharrten, veränderte sich der anschließen, um zu erproben, wie sich in einem Workshop- nach links, auf einem gepflasterten breiten Weg an der Au- Präsenz dieser vier reglosen Gestalten, die uns mit ihren Blik- konkrete Ort durch die Qualität ihrer körperlichen Präsenz Format eine Verbindung und Impulssetzung zwischen theore- ßenwand des Solitärs entlang. Dort, wo das Gebäude endet, ken festhalten. Nach dem kurzen und heftigen Ausbruch von radikal. Was vorher ein menschenleerer Steingarten zu sein tischem Diskurs und Praxis ziehen lässt. wird der Weg jetzt linker Hand von einer brusthohen Mauer Energie und Geschwindigkeit ist auch dies wieder ein Augen- schien, ein Raum der meditativen Stille, ließ nun eher einen Das führte uns im Vorfeld zu mehreren Fragen, dazu ein begrenzt, macht dann eine scharfe Linkskurve und führt auf blick, in dem es keine äußere Handlung gibt, die zu betrachten Gefängnisinnenhof assoziieren, einen Raum der Spannung, kleiner Auszug aus unserem virtuellen Dialog: einer stetig abfallenden, mit dunkelgrauen Steinplatten ge- und zu entschlüsseln wäre. Stattdessen schaue ich mir beim Ausweglosigkeit und Konfrontation. Und auch die bisher un- S. Sch.: Welche Art von Performance-Erfahrungen möch- pflasterten Rampe bis auf das Niveau des Gartens, zu dem Wahrnehmen und Denken zu. Ich möchte nicht auf die Frauen scharfe Trennlinie zwischen Akteurinnen und Zuschauenden ten wir denn ermöglichen? Was lässt sich daran vermitteln? sich dort ein schmaler Durchgang öffnet. Die Frauen bleiben hinuntersehen, nicht jemand sein, der auf andere hinabsieht. wurde durch diesen Bruch scharf gestellt und deutlich ge- M. B.: Das ist die Kernfrage! Ich wäre für ein Performance- jedoch oben an der Mauer stehen und schauen nach unten. Ich fühle mich in eine Rolle gezwungen, die mir nicht passt, zogen. Das Auf-Andere-Hinabschauen als neue Perspektive Erlebnis, welches sich schwer, wenn überhaupt gar nicht Wir bleiben also auch alle stehen, verteilen uns entlang der und versuche, einen Umgang damit zu finden. Ich schaue die implizierte dabei gleichzeitig eine Trennung in oben/unten und „vermitteln“ ließe. Wenn also greifbar wird, dass eben das Mauer, nehmen ihren Impuls auf und blicken nach unten in Frauen an, eine nach der anderen, versuche, in ihre Augen ließ Konstellationen von Macht/Ohnmacht assoziieren. Kör- die Herausforderung, aber auch das Performance-Spezifische einen kleinen, von drei Seiten begrenzten rechteckigen Innen- zu sehen, ihnen im Blick zu begegnen. Nach gefühlt langer perpositionen und Kleidungsfarbe der Akteurinnen schärften ist. Wenn es um das Suchen von Worten geht und nicht das hof. Der Hof ist menschenleer. Die Gruppe – insgesamt fast Zeit löst die Frau an der Mauer ihre Haltung langsam auf, die die Wahrnehmung ein weiteres Mal. Zuvor Gesehenes rück- bereits Bekannte leicht angewendet werden kann. Wenn am 25 Menschen – ist trotz ihrer Größe still, erwartungsvoll. Aus anderen folgen, sie drehen sich um und gehen aus dem In- te in den Hintergrund, in den Fokus oder bekam eine völlig Ende mehr Fragen bleiben, aber doch eine ganz konkrete Ah- meiner Position heraus kann ich nicht alle Akteurinnen sehen. nenhof heraus, kommen wieder die Rampe hoch. Als sie bei neue Bedeutung. Andere Teilnehmende fühlten sich durch nung bei den Teilnehmer_innen entstanden ist. Mein Kopf arbeitet. Wann passiert etwas? Ist das schon die uns angekommen sind, empfangen wir sie mit Applaus (A.S.). den fixierenden Blick der Performerinnen „gehalten“, in einen S. Sch.: Ich finde den Anspruch nachvollziehbar – aber be- Aktion der Gruppe? Warum soll ich da runter gucken? Doch Aus der Erfahrung heraus, das beschriebene Ereignis mit- direkten, einander intensiv wahrnehmenden Blickkontakt zu schreibt er nicht ein Charakteristikum der Erfahrung in einer es vergehen Minuten, ohne dass „etwas passiert“. Irgend- erlebt zu haben, stehen zwei Phänomene im Vordergrund: gehen, der auf einem Tagungssetting eine Ausnahmesituati- Performance und ist daher eher eine theoretische Haltung als wann ist es, als ob in mir etwas umschlägt. Ich beginne, alle Brüche und Perspektivwechsel. Die Erwartungshaltung der on darstellt, beinahe eine Art „Wahrnehmungsluxus“, der das eine mögliche praktische Impulssetzung? Details dieses Augenblicks wahrzunehmen. An der Mauer Zuschauenden, etwas Bestimmtes gezeigt zu bekommen, Ineinandergehen von ‚Sehen und Gesehen werden‘ auf einen M. B.: Ja, aber das geht ja ineinander. Es geht uns doch hinunterblickend entdecke ich interessante Risse und selt- wurde von den Akteurinnen gleich zu Beginn der Performance verdichteten Moment zuspitzt. darum, eine Aufmerksamkeit auf „Sich-Zeigendes“, auf The- sam geformte Moosinseln. Der kleine Baum zwischen den gebrochen und damit unterlaufen. Beim gemeinsamen Halt Alle Relationen in dieser Performance erlebten eine Verän- men, die sich in der Performance ergeben, in die Reflexion der Steinplatten dort unten, noch ohne Blätter, erinnert mich in oben an der Mauer hatten sich die Frauen unter die Gruppe derung, die Beziehung zwischen Akteurinnen und Zuschauen- Gruppe zu bringen. Also auf das, was ich an mir selbst nicht seiner herausgehobenen Einsamkeit an Kompositionen in ja- gemischt, ihr Verhalten unterschied sich nicht von den ande- den, zwischen den Akteurinnen untereinander, die Beziehung sehe, was aber durch etwas, mit jemandem sichtbar wird. panischen Steingärten. Ich höre Vogelstimmen, die Stimmen ren Gruppenmitgliedern. So konnten sich nun alle als Akteure aller Anwesenden zu Ort und Zeit und zu sich selbst. Die an- Wie lässt sich also über Performance-Erfahrungen spre- von anderen Menschen, die die Rampe hinab und hinauf begreifen, oder alle als Zuschauende, die klassische Dicho- schließende Reflexion richtete den Fokus zudem auf weitere chen und wie wollen wir darüber sprechen? Welche Begriffe gehen, entfernter die Geräusche der Stadt, Automotoren, ein tomie verschwamm. Stattdessen wurden die Zuschauenden Begriffe und Begriffspaare wie Aufmerksamkeit, Improvisati- sind für uns wichtig und wie können sie mit der Erfahrung Flugzeug am Himmel. Die Wintersonne scheint auf mein Ge- – ähnlich wie im legendären Stück 4’33’’ von Cage – auf ihre on, Körper, Schwellensituation, Prozess-Produkt und Ereignis- ‚ins Spiel‘ kommen? Diese Fragen konturierten unseren Pla- sicht und wärmt sogar schon ein bisschen. Der Moment ist eigene Wahrnehmung zurückgeworfen. Gleichzeitig ermög- Intention. Performance kann – strukturell betrachtet – als ein nungsprozess. wie ein kleiner Riss in der Zeit, ein Geschenk von Gegenwart. lichten die Rahmung der Situation und die damit verbunde- relationales, prozessuales Gefüge gesehen werden, das neue Virtuell, analog, mehrstimmig, unstimmig und einstimmig Ich blicke zu den anderen in der Gruppe, zu den Passanten ne Steigerung der Aufmerksamkeit, über das Aufgeben der Perspektiven der Beteiligten generiert und dessen Verbindun- fanden wir schließlich einen Rahmen, der einerseits einen auf der Rampe. Der kollektive Fokus unserer Gruppe wirkt Suche, nach einem vorgegebenen Sinn hinaus in eine offene gen nicht stabil, sondern fluide und somit veränderbar sind. kleinen, aber direkten Einblick in das Spezifische von Perfor- ansteckend. Immer wieder bleiben Menschen stehen und Suchbewegung hineinzufinden. Visuelle, akustische und so- Möglicherweise liegt darin das Versprechen von körperori- mancekunst gab, andererseits über Möglichkeiten und Un- schauen auch nach unten, mit fragendem Blick, der fragend ziale Details einer scheinbar alltäglichen Umgebung konnten entierten, ortsspezifischen Performances im Kontext Schule. möglichkeiten ihrer Vermittlung im schulischen und universi- bleibt, wenn sie sich entscheiden, weiterzugehen. Ich freunde im Hier und Jetzt in einer neuen Schärfe und Differenziertheit Sie sind (ästhetischen) Alltagspraxen von Kindern und tären Kontext sprechen ließ. mich an mit dieser Situation, hier einfach nur zu stehen, nichts ins Bewusstsein kommen. In der Nachbesprechung spiegelte Jugendlichen nahe, wenn bspw. im Freien Spiel oder auch

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in Raumpraxen wie ‚Parcours‘ Perspektivverschiebungen Literatur Rolf Laven vorgenommen werden, die körperlich-leibliche Erfahrungen Bühre, Paul (2015): Teenie-Leaks: Was wir wirklich denken (wenn zugrunde legen. Die Suche nach anderen Perspektiven, so wir nichts sagen). Berlin: Ullstein. unterstellen wir an dieser Stelle, ist anthropologisch grun- Kelle, H./Mierendorff, J. (Hg.) (2013): Normierung und Normalisie- „Selbstausdruck und Bildungsrelevanz diert und trifft in der Performance als Kunstform auf eine rung in der Kindheit. Weinheim und Basel: Beltz Juventa. subversive, irritierende und möglicherweise emanzipierende McKenzie, Jon (2013): Performativitäten, Gegen-Performativitäten in Elementar/Primarpädagogik“ – Dimension dieser Suche. Habitualisierte Codes, Hierarchien und Meta-Performativitäten. In: Fischer-Lichte/Hasselmann als Hoffnungsfeld im und Sinnkonstruktionen der Institution Schule ebenso wie der (Hg.): Performing the future. Die Zukunft der Perfornativitätsfor- eigenen Peer Group können in Performances sichtbar wer- schung. München. S. 145 ff. kunstpädagogischen Diskurs den, damit fragwürdig und im besten Fall verhandelbar. Die Nerlich, Michael (1997): Abenteuer oder Das verlorene Selbstver- bildende Dimension tritt dann zutage, wenn dabei sichtbar ständnis der Moderne - Von der Unaufhebbarkeit experimentalen Planung einer qualitativ-empirischen Studie im wird, wie divergierende Wirklichkeits-Konstruktionen ausge- Handelns. München: Gerling Akademie-Verlag Kunstunterricht an der Schnittstelle von Elementar- halten werden können, ohne einem (An)Passungsdruck re- Radtke, Frank-Olaf (2013): Die Regierungskunst der Betriebswirte. und Primarpädagogik flexartig nachzugeben. Weder die Selbst-Optimierung noch Eine Zwischenbilanz der ‚neuen Steuerung‘ des Bildungssy- das perfekte Produkt sind Ziel solcher Praxen, sondern das stems. In: Der pädagogische Blick. Zeitschrift für Wissenschaft Initiieren und Erleben eines Prozesses, der Neugier weckt und und Praxis in pädagogischen Berufen. Heft 2/2013, S. 112-132 Die Idee zum Forschungsprojekt entstand aus der In der hier vorgestellten Untersuchung ruht der Fokus den Blick auf sich selbst und die Welt verschiebt. Das Zeigen Motivation, in der bedeutenden, allerdings noch auf den empirischen Erfahrungen; das Material wird in der ist zugleich ein Neu-Sehen. wenig beleuchteten Frühpädagogik die Bildungsre- Kindergarten- und Volksschulpraxis gesammelt werden, bei levanz der gestalterischen Praxis in den Mittelpunkt Kindern im Alter von sechs bis acht Jahren. Beim Sammeln, zu stellen. Ziel der geplanten und sich in der Beginn- Aufbereiten und Interpretieren kommen Methoden qualita- phase befindenden Forschungsarbeit (als 4-jähriges tiver Forschung (teilnehmende Beobachtung, problemzen- Projekt anberaumt) ist es, die Bedeutung von ge- triertes Interview, phänomenologische Analyse, Fallanalyse, stalterischem Tun und der Begegnung mit Kunst für sowie Foto- und Videografie) zum Einsatz. Aktuell finden die das Leben von Kindergarten- und Volksschulkindern Erhebungen in Volksschulen (erstes Schuljahr – Auswahl aus deren Sicht zu erfahren. Das gestalterische nach sozioökonomischen und soziokulturellen Faktoren) statt. Tun selber, die Realisierung von bildhaften Darstel- Weiteres Interesse liegt auf geschlechtsspezifisch relevanten lungen in der Kunstpädagogik sowie die Umsetzung Aspekten in Form und Inhalt (siehe weiter unten). Der the- künstlerisch-kreativer Methoden als spezifische oretische Hintergrund beruht auch darauf, dass Kreativität, Bildungsaktivitäten, als Aneignungsformen, stellen Flexibilität, Organisations- und Teamfähigkeit, Lernwille, Mo- das Lernfeld dar. Im Fokus des Forschungsinte- tivation, vernetztes Denken und Verantwortungsbereitschaft resses steht die spezifische Rolle künstlerischer / Grundtugenden und Fähigkeiten sind, die bei Kindern im bildsprachlicher Ausdrucksformen und Prozesse, die Kindergarten- und Volksschulalter in ihrer Grundlage bereits Leistung kreativer, ästhetisch-künstlerischer Prak- vorhanden sind. tiken bezüglich Bildungswirksamkeit im fachlichen Darunter versteht Reinhard K. Sprenger in seinem rich- und überfachlichen Kontext. tungweisenden Standardwerk Mythos Motivation „die Be- weggründe (...), die als Antwort auf das ‚Warum‘ des Ver- Forschungen bezüglich der Effekte fachwissenschaftlicher haltens gemeint werden.“ (Spenger, 2002). Nach Sprengers Disziplinen – speziell der Kunstpädagogik – existieren ge- Motivationstheorie werden zukünftig im Wirtschaftsbereich genwärtig kaum; der gestalterische Selbstausdruck und nur jene Unternehmen erfolgreich sein, die MitarbeiterInnen seine unmittelbare Bildungsbedeutsamkeit, der Transfer in als Individuum und Vertrauensperson schätzen. Motivation Bildungsverläufe, wurde bisher wenig behandelt, gilt doch habe demnach nicht als Fremdsteuerung durch Anreize zu er- die gestalterische Tätigkeit in der Lehr-Lern-Forschung als folgen, sondern aus eigenem Antrieb der Person heraus. Das schwer bestimmbar. Doch wie sollte das Lernen einfach be- 21. Jahrhundert werde seinen Aussagen zufolge das Zeitalter stimmbar sein? „Der Geist ist, was sich bildet, und nur was des Individuums. sich bildet, kann Geist genannt werden.“ (Liessmann, 2011). Vorliegendes Forschungsvorhaben setzt hier an und Der Vorgang des Lernens ist ein sinnlicher, aber gerade das, geht von der Annahme aus, dass Kreativität eine zentrale was man zu sehen glaubt, bleibt unsichtbar, „etwa der Be- Position im Bereich der Motivation und des Wissenser- ginn des Lernens, sein Verlauf, seine Dramaturgie.“ (Meyer- werbs einnehmen kann und demzufolge ebensolche He- Drawe, 2008). rangehensweisen zentrale Momente im Unterricht und

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überhaupt im fortwährenden Bildungsprozess sein kön- Wolfgang Zacharias hebt verstärkt den künstlerisch-kultu- len der teilnehmenden Beobachtung zu achten; denn: „In Kunst nen. Nach Klaus Prange ließe sich das Lernen drei Lern- rellen Bildungsaspekt hervor. Für die Kunsterziehung sieht Za- als Erfahrung sind Wirklichkeit und Möglichkeit oder Idealität, formen zuordnen: charias „die Frage nach den Erkenntnis- und Bildungswerten das Neue und das Alte, objektives Material und persönliche Das elementare Lernen, das eine Einverleibung von Inhal- ästhetischer Erfahrung in rezeptiven wie produktiven Formen Antwort, das Individuelle und das Universelle, Oberfläche und Wildes Basteln mit ten ist, fast [als] das begründende Zentralmotiv“ an, insbesondere Tiefe, Sinn und Bedeutung in einer Erfahrung integriert, in der Dekor – Gestalten von u das dezentristisch-objektbezogene Lernen, das auf der „Sinnliche, emotionale Erkenntnis, Intelligenz und Kreativität sie alle von der Bedeutung umgestaltet sind.“ (Dewey, 1980). Hutobjekten in der semantisch-kognitiven Ebene stattfindet und schließlich als Vermögen des Ästhetischen (sei) zu ermöglichen und als Das Forschungsprojekt bewegt sich zudem an der Schnitt- 1. Klasse Grundschule. u das bewegliche, reflexive und stellungnehmende Lernen, Kompetenz zu vermitteln“ (Zacharias, 2001). stelle von Lehr-Lernprozessen. Von Interesse sind daher auch das eine moralische Dimension im Verhalten darstellt. angewendete Didaktiken im Kunstunterricht und insbesondere (Prange, 1995). Handlungsorientierung und Partizipation, die schon John De- die Frage, ob und wie ästhetische Bildungsprozesse fächer- Kommt es zur Erfahrung der eigenen Kompetenz durch Her- wey Werkzeuge der Welterschließung nannte, prägen das integrierend und genderspezifisch wirksam werden. stellen und Hervorbringen beispielsweise beim Malen, Bauen pädagogische Setting in den vorliegenden Situationen. Ein interessanter Aspekt könnte demnach die Beantwor- und Gestalten, aber auch im Einbringen von fächerintegrie- Individuell erlebtes „Weltentdecken“ bei Angeboten zum tung der Frage sein, ob und wie im Bereich der Ästhetischen renden Kompetenzen wie Schreiben, Erzählen, Bewegungs- Selbstausdruck fördern die Entwicklung der Persönlichkeit. Bildung gendersensibel gearbeitet wird, ob und wie gender- ausdruck, Tanzen oder Musizieren? Wie und wodurch drückt Sie sollen erfasst und dokumentiert werden. Im hier beschrie- relevante Haltungen im Angebot (Technik, Material, Vermitt- sich die Selbst- und Weltaneignung aus? benen, exemplarisch begleiteten und beforschten Kunstun- lung) Ausdruck finden. Kommt es tatsächlich zum Impuls des Suchens (Dewey, terricht wird mit interpretativen Verfahren gearbeitet, wobei Werden geschlechtstypische Unterschiede wahrgenom- 1980) als einer Grundvoraussetzung der ästhetischen Erfah- die Daten zunächst durch direkte Beobachtung von Prozessen men und die Akzeptanz der Unterschiede gezielt gefördert? Buschkühle, Carl-Peter (Hrsg.) (2013): Künstlerische Kunstpäda- rung, aus dem sich neu entstehende, unvorhersehbare Ord- erhoben werden. Werden Ästhetik, Diversity und Gender in Raumkonzepten gogik: Ein Diskurs zur künstlerischen Bildung. Oberhausen, nungen ergeben? Wichtigstes Verfahren hierfür ist die teilnehmende Be- umgesetzt, wird different gestaltet in Hinblick auf die Erfor- ATHENA-Verlag Durch reflektierte Kunstproduktion und kreatives Gestalten obachtung, die das Aufspüren von kunstpädagogisch-spe- dernisse von Mädchen und Jungen, wird Vielfalt realisiert? Buschkühle, Carl-Peter (2004): Kunstpädagogen müssen Künstler sein. könnte zifischen Phänomenen im Feld (z.B. Kunstunterricht / Bild- in Kunstpädagogische Positionen 5, hrsg. Karl-Josef Pazzini, Eva u das Selbstvertrauen, das Zutrauen zu sich selbst und die nerische Erziehung) ermöglichen soll (vgl. Altrichter, 1998). Ausblick Sturm, Wolfgang Legler, Torsten Meyer; Hamburg University Press Verlässlichkeit in Gruppen wachsen; Durch das unmittelbare Erfahren einzelner Prozesse werden Übergeordnetes Ziel meines weiteren Vorgehens wird es Chaib, Christina (1996): Ungdomsteater och personlig utveckling. u sich Vorstellungskraft, Fantasie und persönlicher Gestal- Erkenntnisse offengelegt, da die an den Prozessen beteiligten demzufolge sein, die Bedeutung von gestalterischem Tun, En pedagogisk analys av ungdomars teaterskapande, ´Ju- tungsspielraum, insbesondere das eigenständige Erfas- Individuen direkt einbezogen werden. Neben dieser beo- also des Selbstausdrucks, und der Begegnung mit Kunst gendtheater und persönliche Entwicklung - Eine Analyse der sen neuer Aufgaben, erweitern; bachtenden Erhebungstechnik wird ein weiteres Verfahren aus Sicht der SchülerInnen selbst zu erfahren. Erste Rück- pädagogischen Theaterarbeit mit Jugendlichen`, Pedagogiske u die Bereitwilligkeit zur Übernahme von Verantwortung und zur Datengewinnung angewendet, das in erster Linie auf die meldungen der Kinder weisen aktuell darauf dahin, dass eine institutionen, Lunds Universiteit https://lup.lub.lu.se/search/pu- zur Akzeptanz von Anforderungen gesteigert werden; Erhebung von internal ablaufenden Prozessen abzielt, das Vertiefung und individuelles Erleben oftmals gegeben sind. blication/17779 01.05.2015 u kommunikative und gestalterische Kompetenz erhöht problemzentrierte Interview. Es wird dabei von der Annahme Die oben erwähnte schwere Bestimmbarkeit der Bildungs- Dewey, John (1980): Kunst als Erfahrung. Frankfurt a.M. Suhrkamp werden; ausgegangen, dass Kinder im Sinne einer „kindzentrierten erfahrung bleibt eine Herausforderung und wird durch die Verlag (1934), 346 u. 709 u Sinngebung für das alltägliche Dasein angeboten werden Perspektive“ (Kränzl-Nalg, Wilk, 2000) als vollwertige Mit- phänomenologische Akzentuierung nicht aufgehoben werden Edelmann, Walter (2000): Lernpsychologie. 5. überarbeite Auflage. (Chaib, 1996). glieder der Gesellschaft selbst über ihre spezifischen Interes- können. Resümierend werde ich versuchen, aus den ge- Weinheim: Beltz/Psychologie Verlags Union In der Findung von Gestaltungs- und Ausdruckswegen kön- sen, Bedürfnisse und Erfahrungen Auskunft geben können. wonnenen Erkenntnissen theoretische und praktische Emp- Friebertshäuser, Barbara (Hrsg.) (1997): Handbuch: Qualitative For- nen Eindrücke geordnet und strukturiert und so Imagination Dementsprechend werden sie als zentrale InformantInnen fehlungen für die Förderung der Motivation von Kindern ab- schungsmethoden. Weinheim u. München: Juventa und Denkfähigkeit erweitert werden (Kirchner, 2006). über ihre Erfahrungen, ihre Lebenswelten, ihre Lebenslagen zuleiten. Persönlichkeitsdeterminaten wie Fantasie, Humor, Gansen, Peter (2009): Chancenungleichheit von Anfang an Hetero- Die Erfahrung, etwas bewegen zu können, bedeutet und ihre Lebensqualität begriffen. Kreativität und überfachliche soziale Kompetenz sind nicht genität in der frühen Kindheit als bildungspolitische und pädago- Selbstwirksamkeit. „Insbesondere kindzentrierte Kommunikation (...) wirk(t) nur wichtig, sondern auch nachvollziehbar förderbar, wie es gische Herausforderung in ´Bildung zwischen Wenn Welt- und Selbstaneignung bei den Heranwachsen- sich auf die kognitive Entwicklung und andere bildungs- bzw. in der von mir skizzierten theoretischen Verortung ansatzwei- Standardisierung und Heterogenität – ein interdisziplinärer Diskurs`, den stattfindet, verändert sich das, was von Montessori Nor- schulrelevante Eigenschaften der Kinder aus.“ (Gansen, se sichtbar wird. Ein Statement von Jan Uwe Rogge kann auf Carl-Peter Buschkühle, Ludwig Duncker, Vadim Oswalt (Hrsg.), malisierung genannt wird. Nach dem von ihr notierten Leitbild 2009) dieser Suche begleiten: „Bildung ist mehr als reines Wissen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, 197 möchten Kinder erwachsen werden und streben, angespornt Als Interpretationsmethode scheint das phänomenolo- Sie formt (...) den inneren Menschen.“ (Rogge, 2015). Hackl, Bernd / Egger, Rudolf (Hrsg.) (2010): Sinnliche Bildung? Pä- von ihren inneren Bedürfnissen, danach, dieses Ziel unabhän- gische Verfahren dem zur Verfügung stehenden Material aus dagogische Prozesse zwischen vorprädikativer Situierung und gig zu erreichen. teilnehmender Beobachtung, problemzentrierten Interviews Literatur reflexivem Anspruch. Wiesbaden: VS Verlag Zu diesen und vielen weiteren differenzierten Welterfah- und dem erhobenen Filmmaterial sowie der Ausrichtung der Altrichter, Herbert (1998): Lehrer erforschen ihren Unterricht. Bad Heinzel, Friederike (Hrsg.) (2000): Methoden der Kindheitsforschung rungen haben also die künstlerischen/bildsprachlichen Aus- Forschungsfragen adäquat zu sein. Im Mittelpunkt liegen die Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt - Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspekti- drucksformen in ihrer Vielfalt und Variabilität, in ihrer Unmit- Analyse einzelner Phänomene und deren Interpretationen. Das Bitterli-Poelstra, Mathilde (2012): Bachelorarbeit Nr. 1085268 oder ve. Weinheim-München: Juventa telbarkeit und den anderen innewohnenden Eigenschaften, Vorgehen mit der phänomenologischen Analyse ermöglicht es ´Ich stehe in einer Schulklasse und staune, als hätte ich noch nie Kastner, Jens (2009): Die ästhetische Disposition. Eine Einführung in Wesentliches beizutragen. demnach explizit, auf ästhetische Erfahrungen in den Protokol- Sonne und Wolken gesehen.`, Pädagogische Hochschule Wien die Kunsttheorie Pierre Bourdieus. Wien. Turia + Kant

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Kirchner, Constanze (1999): Kinder und Kunst der Gegenwart. Zur (eds), The new unconscious. Oxford: Oxford University Press, Nicole Berner Erfahrung mit zeitgenössischer Kunst in der Grundschule. Seelze: 61 - 76 Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung Peez, Georg (Hrsg.)( 2007): Handbuch Fallforschung in der ästhe- Kirchner, Constanze/ Schiefer Ferrari, Markus/ Spinner, Kaspar tischen Bildung/Kunstpädagogik: Qualitative Empirie für Studi- Tiefenräumliche Darstellungskonzepte H.: Ästhetische Bildung und Identität. In: Kirchner, Constanze/ um, Praktikum, Referendariat und Unterricht. Baltmannsweiler: Schiefer Ferrari, Markus/ Spinner, Kaspar H. (Hg.) (2006): Ästhe- Schneider-Verlag Hohengehren im fünften Schuljahr tische Bildung und Identität. Fächerverbindende Vorschläge für Peez, Georg (2012): Einführung in die Kunstpädagogik. 4. Aufl. Verlag Ergebnisse und kunstdidaktische Folgerungen die Sekundarstufe I und II. München, 11f W. Kohlhammer, Stuttgart, 156 Kirchner, Constanze/ Peez, Georg (2006): Der Test zum schöpferi- Prange, Klaus (1995): Die Zeit der Schule. Bad Heilbrunn: Julius schen Denken - zeichnerisch. Kreativitätstest anhand von Zeich- Klinkhardt Verlag, 151f nungen. In: Kunst+Unterricht, Themenheft, ´Fördern`; Heft Rogge, Jan-Uwe (2015): Pisa statt Fantasie. Interview der Redak- 307/308, hierin: Heft ´Exkurs Diagnostizieren`. Seelze: Friedrich teurin Petra Hollweg im FOCUS Magazin Nr. 5, Rubrik Politik und Innerhalb der Kinder- und Jugendzeichnungsfor- Mädchen) aus zwei fünften Schulklassen durchgeführt. Die Verlag, 22 - 23. Gesellschaft schung ist das tiefenräumliche Darstellen eine Schüler sollten eigene Zugänge tiefenräumlicher Darstellung Kirchner, Constanze/ Peez, Georg (2009): Kreativität in der Grund- Schuster, Martin (1990): Die Psychologie der Kinderzeichnung. besondere Entwicklungsaufgabe. Die Entwicklung entwickeln. Die hier durchgeführte Praxisforschung hatte schule erfolgreich fördern. Arbeitsblätter, Übungen, Unterrichts- Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hongkong: räumlicher Darstellungskonzepte geht vom Streubild zum Ziel, anhand eines wissenschaftlich-reflexiven Zugangs einheiten und empirische Untersuchungsergebnisse. Braun- Springer Verlag bis hin zu einer den Tiefenraum suggerierenden den eigenen Unterricht zu optimieren, sowie den Zusam- schweig. Westermann Verlag Selle, Gerd (1988): Gebrauch der Sinne. Eine kunstpädagogische Darstellung und stellt in ihrer höchsten Ausprägung menhang von Darstellungs- und damit verbunden Vermitt- Kränzl-Nagl, Renate und Wilk, Liselotte (2000): Möglichkeiten und Praxis. Reinbek: Rowohlt. eine freie perspektivische Wiedergabe dreidimen- lungsproblemen nachzugehen. Mittels qualitativ-empirischer Grenzen standardisierter Befragungen unter besonderer Berück- Schulz, Nina (2007): Das zeichnerische Talent am Ende der Kind- sionaler Wirklichkeit auf der Bildfläche dar. Bereits Praxisforschung erfolgte von der Autorin in der Rolle der sichtigung der Faktoren soziale und personale Wünschbarkeit. In: heit - Ein empirischer Vergleich zwischen dem Selbstbild und den am Ende der Grundschulzeit spielt für die Schul- Lehrerin sowohl die Durchführung des Unterrichts als auch Friederike Heinzl (Hrsg.) Methoden der Kindheitsforschung – Ein Fremdbildern von Peers, Eltern, Lehrern und Künstlern. Internati- kinder der Realismus in der Darstellung eine immer die Dokumentation des Unterrichtsverlaufs anhand aktiver Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. onale Hochschulschriften, Münster: Waxmann wichtigere Rolle (u. a. Richter, 2000). Dabei ist die teilnehmender Beobachtung (Koshinka, 2010; Krappmann & Weinheim-München: Juventa, 59 Sprenger, Reinhard (2002): Mythos Motivation, Frankfurt: Campus Beachtung des Tiefenraums nach und nach für die Oswald, 1995). So wurde nach jeder Unterrichtsstunde re- Liessmann, Konrad Paul (2011): Theorie der Unbildung. Wien, Szol- Verlag, 21 Schüler ein wichtiges Anliegen, aber auch eine trospektiv ein ausführliches Beobachtungsprotokoll angelegt, nay Verlag, 59 Spitzer, Manfred (2002): Lernen Gehirnforschung und die Schule des große Herausforderung. Da Kinder und Jugendliche in dem der Unterrichtsverlauf sowie besondere, für die Fra- Mayring, Philipp (2002): Einführung in die qualitative Sozialfor- Lebens. Heidelberg: Spektrum, Akademischer Verlag verstärkt mit medialen und virtuellen Bildräumen gestellungen wichtig erscheinende Situationen festgehalten schung. Weinheim: Beltz Uhlig, Bettina (2006): Kindliche Zugänge zu Bildern. in Georg Peez, konfrontiert sind, ist anzunehmen, dass sich die wurden. Diese Beobachtungsprotokolle sind meist basierend Meyer-Drawe, Käte (2008): Diskurse des Lernens. Wilhelm Fink Hrsg., Handbuch Fallforschung in der ästhetischen Bildung/ bildnerische Entwicklung zugunsten einer immer auf Notizen angefertigt worden, die während des Unterrichts Verlag, 77 Kunstpädagogik: Qualitative Empirie für Studium, Praktikum, Re- früheren Orientierung an einer wirklichkeitsnahen entstanden und als Gedankenstütze dienten. Die Auswertung Phelps, Elisabeth A. (2005): The interaction of emotion and co- ferendariat und Unterricht, 118 – 130 tiefenräumlichen Darstellung verändert und hier- erfolgte mittels eines kontrastierenden Fallvergleichs einzel- gnition: The relation between the human Amygdala cogniti- Zacharias, Wolfgang (2001): Kulturpädagogik. Kulturelle Jugendbil- durch beeinflusst wird. ner Schülerarbeiten (Kelle & Kluge, 2010). Im Folgenden wird ve awareness. In: R. R. Hassin, J. S. Uleman, & J. A. Bargh dung. Eine Einführung. Opladen: Leske + Budrich 53 nun näher auf das Unterrichtssetting eingegangen, um daran Während frühere Untersuchungen unterschiedliche Phasen anschließend im Ergebnis näher auf die Konzepte tiefenräum- der räumlichen Darstellung nachzuweisen versuchten, zeigt licher Darstellung der Schüler einzugehen. sich mit Blick auf den aktuellen Forschungsstand, dass in der Anwendung durchaus unterschiedliche räumliche Darstel- Das Unterrichtssetting lungskonzepte bei den Schülern vorliegen (vgl. Glaser-Henzer, Die Unterrichtssequenz mit dem Thema „Mein Zimmer – Diehl, Diehl & Peez, 2012). Demnach ist vielmehr danach zu im Chaos und aufgeräumt“ ging über drei Doppelstunden fragen, wie genau und warum Schüler im Zeichnen ihre ei- und war die Einführung einer Reihe zur Vermittlung erster genen Zugänge, ausgehend von ihren Präkonzepten tiefen- Tiefenräumlichkeit suggerierender bildnerischer Mittel. Die räumlicher Darstellung, entwickeln. In Anlehnung an eine bildnerische Aufgabe beinhaltete das Zeichnen des eigenen konstruktivistisch orientierte Didaktik wären hieraus Unter- Zimmers, und zwar eine Hälfte „im Chaos und unordentlich“, richtskonzepte zu entwickeln, die an den Vorstellungen und die andere Hälfte „ordentlich und aufgeräumt“. Die Schüler individuellen Darstellungskonzepten der Schüler anknüpfen sollten grundlegende bildnerische Mittel zur tiefenräumlichen und weiterarbeiten (vgl. Siebert, 2005). Darstellung auf der Fläche kennenlernen und darstellen. Eine besondere Herausforderung war, dass die Probleme bei der Forschungsdesign Darstellung des Innenraums selbstständig zu lösen waren. Die hier vorgestellte Unterrichtssequenz wurde an einem Da davon auszugehen ist, dass medial beeinflusste innere Gymnasium mit insgesamt 52 Schülern (30 Jungen und 22 Vorstellungsbilder vorliegen, wurden in einem ersten Schritt

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Abb.1 gene Zimmer war den Schülern die Situation bekannt und im tigen Darstellung. Damit ist anzunehmen, dass der Blick von Abb. 4 In dieser Zeichnung Bild konnte auf die Staffelung, Ballung, Häufung und Verklei- oben eine Darstellungsstrategie darstellt, auf die die Schü- Diese Zeichnung hat das Mädchen (5. nerung nach hinten als raumschaffende Mittel eingegangen lerin zurückgreift, um in der zeichnerischen Repräsentation zeigt deutlich, welche Schuljahr) verschiedene werden. Die raumschaffenden bildnerischen Mittel wurden dem Raumerlebnis besonders nahe zu kommen. Sogenannte Schwierigkeiten bei der Darstellungskonzepte an der Tafel notiert. Grundrisszeichnungen sind bereits aus der früheren zeichne- räumlichen Darstellung miteinander kombiniert. Danach war der OHP ausgeschaltet. Durch die Bespre- rischen Entwicklung bekannt (u. a. Bareis, 2005). zu meistern sind. Ist der Neben der Grundanlage chung der Fotografie hatten die Schüler alle ein ähnliches In der Zeichnung (Abb. 2) hat die Schülerin die Bodenflä- Schülerin (5. Schuljahr) als Schrägbild werden Vorstellungsbild des Innenraumes, an dem sie sich orientie- che auf der unteren Bildhälfte platziert, um bestmöglich dar- hier die Innenraumdarstel- verschiedene Möbel und ren konnten. Der Anspruch der Schüler an die Darstellung stellen zu können, was sich auf dem Boden befindet. Ähnlich lung gelungen, so werden Gegenstände aus unter- von Räumlichkeit zeigte sich im weiteren Verlauf der Se- dem Flächen-/Schrägbild gibt es bereits eine Horizontlinie. die Möbel und Objekte schiedlichen Perspektiven quenz ganz unterschiedlich. Im Folgenden werden nun ver- Der Raum wird mittels Vorder-, Mittel- und Hintergrund sowie zweidimensional einge- dargestellt. schiedene Umsetzungen der Schüler vorgestellt, die anhand oben und unten dargestellt. Diese Art der räumlichen Dar- zeichnet und dadurch von kontrastierender Fallvergleiche herausgearbeitet werden stellung verwendeten nur wenige Schüler, um das Zimmer der Bodenfläche abge- konnten. räumlich zu zeichnen. Auffällig ist hier, dass das Mädchen schnitten. Ein räumlicher Abb. 2 teilweise die Gegenstände umklappt und die Objekte aus un- Bezug zwischen den In dieser Grundriss- Tiefenräumliche Darstellungskonzepte im terschiedlichen Perspektiven darstellt, um diese bestmöglich Objekten und dem Raum zeichnung zeichnete das fünften Schuljahr – Ergebnisse aus dem darzustellen. Dies ist aus Kinderzeichnungen bereits bekannt fehlt hier noch weitest- Mädchen (5. Schuljahr) Kunstunterricht und ein häufig beobachtetes Phänomen (vgl. Bareis, 2005). gehend. das Zimmer von oben. Insgesamt wird deutlich, dass sehr unterschiedliche Bildkon- In der nächsten Zeichnung (Abb. 3) sind mehrere unter- Das eigene Raumerlebnis zepte vorliegen und in vielen Zeichnungen auch miteinander schiedliche Darstellungskonzepte kombiniert. Der Blick fällt Abb. 5 des Kinderzimmers könnte kombiniert werden. Über alle 52 Zeichnungen betrachtet wei- von oben auf den Zimmerboden, auf dem Gegenstände und In dieser Zeichnung hier ausschlaggebend sen nur wenige Schülerarbeiten eine am Flächen-/Schrägbild Objekte umgeklappt oder von oben dargestellt sind. Die zum hat sich das räumliche gewesen sein, dass das orientierte Komposition von Räumlichkeit auf (Abb. 1). Annä- Betrachter parallel verlaufende Wand ist frontal dargestellt. Darstellungskonzept Mädchen auf frühere hernd gleich verteilt sind sogenannte grundrissartige Darstel- Rechts im Bild ist ein Schrank von oben gezeichnet. Dieser weiterentwickelt. So hat Darstellungskonzepte in lungen (Abb. 2) sowie Darstellungen mit einem dreidimensi- ist parallel zur Zimmerwand, die in einem 90°-Winkel zur der Schüler (5. Schuljahr) der zeichnerischen Dar- onalen Einblick in den Innenraum (Abb. 3 – 6). anderen Wand steht. Dies bedeutet, dass hier das Erleben das Zimmer zunächst von stellung von Räumlichkeit Dieses Ergebnis lässt sich gut in die aktuelle Kinder- und des rechten Winkels der Zimmerecke direkt im Bild prägnant oben mit vier ausgeklapp- zurückgreift Jugendzeichnungsforschung einordnen und überrascht nicht wiedergegeben wurde. Die Zeichnung gibt damit das wie- ten Wänden gezeichnet. sonderlich. In den Auswertungen zeigte sich deutlich, dass der, was wahrgenommen und erlebt wird. Weiter wollte die Im weiteren Verlauf in einer Zeichnung dann verschiedene Darstellungskonzepte Schülerin die Dachschräge ihres Zimmers darstellen. Nach veränderte der Schüler Abb. 3 miteinander kombiniert sind, wenn sich die Schüler zuvor mehreren Versuchen und Überlegungen hat sie sich dann eine Wand in den Boden Auch in dieser Zeichnung selbstständig intensiv mit der tiefenräumlichen Darstellung für die Darstellung als Diagonale im Bild entschieden. Ins- des Zimmers und plat- hat das eigene Raumer- auseinander gesetzt haben. Dabei zeigte sich auch, dass im gesamt stellt das Bild damit eine sehr prägnante Darstellung zierte das für ihn wichtige leben der Schülerin (5. Zeichnen die Schüler eigene Lösungen für die tiefenräumliche dar, indem einzelne für die Schülerin wichtige Raumgege- Schlagzeug darauf. Schuljahr) eine wichtige Darstellung auf der Fläche erarbeiteten und diese am spe- benheiten (z. B. die Dachschräge) additiv zusammengefügt Bedeutung für die ähnliche Bedingungen geschaffen und mittels einer Bildre- zifischen Fall entsprechend ihrem individuellen Erleben der sind. Größenrelationen werden dabei bereits in Ansätzen genstände in Beziehung zum Raum zu setzen. Abbildung 4 Abb. 6 zeichnerische Darstellung. zeption einer Fotografie Räumlichkeit suggerierende bild- Räumlichkeit ausrichteten. Insofern können diese Transfor- berücksichtigt. zeigt, worin hier Schwierigkeiten liegen: hier wurden die Mö- Mit sicheren Strichen Besonders deutlich wird nerische Mittel besprochen. Zunächst wurde den Schülern mationsprozesse auch als kreative Lösungsprozesse verstan- In einigen Zeichnungen sind erste Ansätze einer zentral- bel an den Seitenwänden zwar eingezeichnet, werden aber ist hier der Schülerin (5. dies an der rechten, am Overheadprojektor (OHP) die Fotografie „I wanted Chri- den werden, da sie als eine für die Schüler eigenständige, perspektivischen Darstellung erkennbar, jedoch ist diese nicht zur Bodenfläche in einen räumlichen Bezug gesetzt. Hier Schuljahr) eine freie per- orthogonalen Zimmerecke stina to learn some responsibility for cleaning her room, but neu erarbeitete bildnerische Lösung einer selbst erkannten teilweise verzerrt (Parallel- und umgekehrte Perspektive). ist anzunehmen, dass das räumliche Vorstellungsvermögen spektivische Zeichnung sowie der Darstellung it didn‘t work“ des Fotografen Bill Owens von 1972 aus der Darstellungsproblematik angesehen werden können (vgl. Darüber hinaus werden in einigen Zeichnungen die Objekte entsprechend einer dreidimensionalen Anordnung der Objek- gelungen. Detailreich und der Dachschräge des Serie „Suburbia“ gezeigt. Bill Owens (*1938) ist ein kaliforni- Berner, 2013). Im Folgenden werden hierfür einige Beispiele im Raum an der Bodenfläche (Flächen- bis Schrägbild) aus- te im Raum noch nicht so weit ausgeprägt ist, dass das Vo- mit Humor stellt sie ihr Zimmers. scher Fotograf, der gewöhnliche Situationen aus dem Leben gegeben. gerichtet. Dabei werden Objekte, die sich im Raum befinden, lumen der Objekte auf der Bodenfläche abgetragen werden eigenes Kinderzimmer aus fotografiert, um alltägliche Probleme anzusprechen (Owens, In der grundrissartigen Zeichnung (Abb. 2) ist auffällig, häufig von oben dargestellt oder nach außen hin aufgeklappt. kann. Dies zeigt sich auch häufig in Zeichnungen, in denen ihrer Vorstellung heraus 1973). Mehrere Äußerungen der Schüler zeigten, dass ihnen dass der Raum nicht dem Rechteck des Blattes folgt, sondern Auch ist eine weitere Orientierung an der Bodenlinie in den die Objekte zweidimensional, aber im Raum angeordnet dar- dar. die Situation des unaufgeräumten Zimmers durchaus be- dem Grundriss des Zimmers. So ist links oben die Türe zu Raumdarstellungen festzustellen, in denen die Bodenfläche gestellt werden. Die Objekte scheinen so kein eigenes Vo- kannt ist. Ausgehend von den eigenen Erfahrungen wurde erkennen, die ins Zimmer führt. Zudem geht der Raum über als Rechteck oder sich nach unten öffnendes Trapez gezeich- lumen zu haben. Diese Reduktion der Volumina scheint auf besprochen, wie im Bild Unordentlichkeit entsteht. Aufgrund das Blatt hinaus weiter. Das Erleben des Raumes – eben net ist und von der die Seitenwände aufgeklappt sind. Eine dem Weg zu einer tiefenräumlichen Darstellung ein wichtiger des starken Lebensweltbezugs und der Erinnerung an das ei- nicht als Rechteck – zeigt sich hier direkt in der grundrissar- besondere Herausforderung ist dann, das Volumen der Ge- Schritt zu sein.

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Darstellungskonzepte können sich auch im Zeichenprozess ralcurricularen Fortführung des Lernens, das sich so in Wis- Literatur Krappmann, L. & Oswald, H. (1995). Unsichtbar durch Sichtbarkeit. verändern. In der Zeichnung in Abbildung 5 werden alle vier sen und Können weiter ausbilden kann (vgl. Krautz & Sowa, Bareis, A. (2005). Vom Kritzeln zum Zeichnen und Malen. Donau- Der teilnehmende Beobachter im Klassenzimmer. In I. Behnken Wände gezeichnet und nach außen geklappt. Die Gegen- 2015). wörth: Auer. (Hrsg.), Kindheit und Schule: Kinderleben im Blick von Grund- stände werden dabei ausgehend von der Bodenfläche ange- Daher sind die durchaus heterogenen Schülervorausset- Berner, N. E. (2013). Bildnerische Kreativität im Grundschulalter. schulpädagogik und Kindheitsforschung (S. 39–50). Weinheim: ordnet. Räumliche Bezüge können so direkt wiedergegeben zungen zu erkennen und aufzunehmen und entsprechend Plastische Schülerarbeiten empirisch betrachtet (KREAplus). Beltz. werden. Eine Besonderheit zeigt sich in der Darstellung des didaktische Modelle für den Kunstunterricht zu entwickeln. München: Kopaed. Krautz, J. & Sowa, H. (2013). Lernen, Üben, Können und Wissen im Schlagzeugs. Dieses entstand im Gegensatz zu der Anlage Folgende Aspekte könnten dabei hilfreich sein: Glaser-Henzer, E., Diehl, L., Diehl, Luitgard & Peez, G. (2012). Zeich- Kunstunterricht. Kunst + Unterricht (369/370), 4–9. des Raumes in einer anderen Stunde. Hier scheint sich das u Erleben, Beobachten und Wahrnehmen führt zu einem nen: Wahrnehmen, Verarbeiten, Darstellen. Empirische Unter- Owens, B. (1973). Suburbia. San Francisco: Straight Arrow Books. gefundene Raumsystem aufzulösen, und die Seitenwand vertieften Verstehen: Den Schülern sollte daher die Mög- suchungen zur Ermittlung räumlich-visueller Kompetenzen im Peez, G. (2003). Praxisforschung in der Kunstpädagogik. In K.-P. wird zur Verlängerung des in braun gezeichneten Bodens, lichkeit gegeben werden, Raum und Räumlichkeit zu erle- Kunstunterricht. München: Kopaed. Busse (Hrsg.), Kunstdidaktisches Handeln (S. 142–156). Norder- an den die Tür anschließt. Hier entsteht im Zeichenprozess ben und konstruktiv nachvollziehen zu können. Daher sind Kelle, U. & Kluge, S. (2010). Vom Einzelfall zum Typus. Fallvergleich stedt: Books on Demand. ein Umdenken des Raumsystems. Die Zeichnung wird ent- Unterrichtsmodelle gefragt, die an der Lebenswelt der und Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialforschung. Wies- Richter, H.-G. (2000). Die Kinderzeichnung. Entwicklung, Interpretati- sprechend verändert, um eine stimmigere Darstellung des Schüler orientiert sind und den Schüler aktiv – kognitiv baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. on, Ästhetik. Berlin: Cornelsen. Zimmers zu erreichen. Dies ist bemerkenswert, da sich da- sowie handlungsorientiert – einbeziehen. Kochinka, A. (2010). Beobachtung. In G. Mey & K. Mruck (Hrsg.), Siebert, H. (2005). Pädagogischer Konstruktivismus. Lernzentrierte durch in den Zeichnungen eine direkte Auseinandersetzung u Dies bedarf Zeit und Raum für eigenes Ausprobieren und Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: Pädagogik in Schule und Erwachsenenbildung. Weinheim: Beltz. mit verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten und damit ein Explorieren: Erst durch die intensive bildnerische Ausei- VS Verlag für Sozialwissenschaften. Verstehensprozess zeigt. nandersetzung mit der Problematik der Tiefenräumlichkeit Abbildung 6 zeigt eine freie perspektivische Zeichnung. können die Schüler eigenständige Lösungen entwickeln. Räumliche Bezüge der Möbel und Gegenstände untereinan- Dabei ist es entscheidend, dass auch gefundene Zugän- der werden beachtet, und es wird durch Staffelung, Über- ge verworfen und überdacht werden können, um letztlich schneidung und Verkleinerung nach hinten sowie einer per- eine für den Schüler selbst angemessene zeichnerische spektivischen Gesamtanlage des Bildes Tiefenräumlichkeit Repräsentation von Räumlichkeit zu erreichen. Entschei- erzeugt. Dieses Beispiel ist die Zeichnung eines bildnerisch dend ist, diese Verstehensprozesse aufzunehmen und begabten Mädchens, das seine Vorstellungen mit sicheren daran perspektivische Regeln weiterzuentwickeln, damit Strichen schnell und entschieden aufs Blatt setzt. So meistert die Schüler nachhaltig zur tiefenräumlichen Darstellung die Schülerin schwierige Ansichten und schafft es auch, sich befähigt werden können. dabei selbst im Raum über die Augenhöhe und den gewähl- u Ein intensiver Austausch mit und zwischen den Schülern ten Bildausschnitt zu verorten. ist dabei notwendig. Individuelle Lernprozesse erfordern Rückmeldungen und Feedback, das an den Schülervo- Ableitung kunstdidaktischer Folgerungen raussetzungen orientiert ist und den Lernprozess beglei- Wie sich zeigt, liegen in den untersuchten fünften Schulklas- tet. Wie ist dies aber in einem Unterricht mit einer Schul- sen unterschiedliche räumliche Darstellungskonzepte bei klasse mit vielen Schülern umzusetzen? den Schülern vor, die auch miteinander kombiniert im Bild u Zum einen durch kooperative Methoden, durch die sich erscheinen. Dieser Befund ist mit der Kinder- und Jugend- die Schüler gemeinsam austauschen und gegenseitig zeichnungsforschung konform. In diesem Beitrag wurde beurteilen können. Das Gespräch über das eigene Gestal- darüber hinausgehend dargestellt, wie wichtig es ist, den ten sowie auch das voneinander Lernen ist daher für den Schülern zu ermöglichen, von ihrer eigenen Erfahrungswelt Kunstunterricht eine notwendige Basis. Reflexionspha- auszugehen. Nur so kann die Vorstellung und die Transfor- sen, die in die Gestaltungsprozesse integriert sind und mation auf das Zeichenblatt durch das eigene Erleben der zum Nachdenken über das eigene Gestalten anregen, un- dreidimensionalen Welt moderiert werden und zu ganz in- terstützen darüber hinaus den gegenseitigen Austausch dividuellen Lernprozessen führen. Gerade diese Präkonzepte und dienen als eine wichtige Sicherung gemachter Ver- der Schüler aufzunehmen und an diesen didaktisch geleitet stehens- und Lernprozesse. weiterzuarbeiten, macht den individuellen Lernprozess erst u Zum anderen ist es von enormer Bedeutung, dass die nachhaltig. Insofern stellt die hier vorgestellte Kunststunde Lehrperson die Schüler mit ihren Voraussetzungen und lediglich einen Einstieg in die Vermittlung tiefenräumlicher Begabungen kennt und im Sinne diagnostischer Kom- Darstellung dar. Erst das Weiterarbeiten an den sich ent- petenzen den Schülern ihren Voraussetzungen adäquat wickelnden Vorstellungen und Wissensinhalten der Schüler differenzierte Aufgaben bietet, die die Schüler in ihrem führt im weiteren Verlauf der Sequenz, bzw. im Weitblick Lernen voll unterstützen, d. h. dabei nicht über-, aber auch während der Sekundarstufe zu einer kontinuierlichen, spi- nicht unterfordern.

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Timo Bautz wichtig ist. Beide Male ist das Bewusstsein nicht auf die Schraffieren, Pinselführung, plastisches Formen, Falten, Bewegungskontrolle fokussiert, weil die Motorik bereits eine Schnitzen lassen sich nur so lernen. Fortschritte sind genau- gewisse Routine erreicht hat – durch wiederholte Übung. so wahrscheinlich wie beim Gitarrenspiel oder beim Skifah- Üben – blinder Fleck oder Den flow ohne sie und direkt ansteuern, das geht gar nicht.1 ren. Das Ergebnis wird flüssiger, genauer und besser. Auch 1 Zum Begriff „flow“ in Vormachen kann eine Hilfe sein, positive Effekte sind wahr- der Musikpädagogik verlorenes Terrain Wenn der Körper mit üben muss scheinlich. Sehen wir den Bewegungsabläufen anderer ge- vgl. „Synapsen-Disko“ Aber es gibt Entwicklungssprünge beim Lernen einer Sport- nau zu, werden auch bei uns die Hirnareale stimuliert, die bei am 28.11.2014 in: BR art oder eines Instruments, sie entstehen häufig nach einer der Handlung aktiv sind. Die vielzitierten Spiegelneuronen be- II – Radio. Übungspause. Daraus würde aber niemand den Schluss zie- legen, dass die Nachahmung bei Mensch und Tier eine phy- 2 vgl. dazu T.Bautz / Der Sinn jeder Übung besteht darin, dass durch sie erwartbar werden soll. Die Wiederholung verfestigt, schema- hen, dass die Etüden vorher überflüssig waren. Auch beim siologische Grundlage hat. Filme auf “You tube” nutzen das B.Stöger: „Verstehen ein Verhalten verbessert wird oder leichter fällt, tisiert und routiniert Verhalten. Doch was Schritt für Schritt Zeichnen können Pausen förderlich sein. Die Verbesserung aus, sparsam geschnitten und kommentiert, zeigen sie, wie wir, wenn Kinder sei es motorisch, kognitiv oder sozial. Dass Übung sicherer wird und im Ergebnis planbar, das erscheint uns we- tritt dann unerwartet, aber nicht unvorbereitet ein. Auch ein ein bestimmter Gitarrengriff geht, die Ausführung einer be- zeichnen?“ München sogar Meister macht, wussten alle handwerklich niger kreativ. Ein Unterricht, der sich an Kreativität orientiert, kreativer Einfall ist nur so erklärbar: Neu und überraschend sonderen Schlagtechnik beim Badminton, oder wie man ein 2013, S 63 ff: geprägten Kulturen. In vielen Sprachen gibt es muss seine Ergebnisse an ihrer unkonventionellen Erschei- ist er, weil wir Gedanken so erstmals auf etwas beziehen, Motiv zeichnet. Die Kamera fährt nahe an die Ausführungsor- 3 Die ungewöhnliche diesen Ausdruck immer noch, denn er bezeichnet nung messen und nicht an einer Fertigkeit, die sich durch was wir davor nur in anderen Kontexten gedacht haben. Beim gane heran, und der Beamer importiert es in den Kunstsaal, Welt- und Selbstver- darüberhinaus eine elementare Erfahrung. Schon das Training verbessert hat. plötzlichen Einfall wird diese Vorbereitung aber nicht erinnert, oder die Videos werden gleich hier gedreht. gessenheit bei der Kleinkind orientiert sich beim Übungsspiel daran, Sollen Kreationen andere überzeugen, müssen sie bekann- deshalb wirkt er kreativ oder wie ein Bote aus dem Unbe- Beobachtung von dass ein Bewegungsablauf durch seine Wieder- te Lösungsmuster durchbrechen. Aber müssen diese Muster wussten.2 Jedes Sehen erzeugt blinde Flecken Kunstwerken verdankt holung flüssiger wird. Später lernen wir komplexe vorher wirklich verfügbar sein? Die Frage, warum soll ich Wie in den anderen musischen Fächern werden beim Ge- Auch Sehen wird durch Üben gelernt, und indem wir darü- sich nach Luhmann Bewegungen nur so. Die Dauer der Übungsphasen etwas üben, was ich dann so gar nicht verwende, sondern stalten motorische und bewusste Prozesse koordiniert. Beide ber kommunizieren. Dafür brauchen wir die Sprache oder seinen aufeinander hängt von Funktionslust und Frustrationstoleranzen aufgebe und ändere, weckt Zweifel, ob der Aufwand lohnt. werden aber nicht von einer dritten übergeordneten Zentrale visuelle Übertragungsmedien. Jedes Bild wirkt für sich und abgestimmten ab, die individuell und altersabhängig variieren. Mit Jedenfalls liegt die Abkürzung nahe und sie bahnt einen Zirkel aus synchronisiert oder gesteuert. Vielmehr koppeln sich bei- verweist auf andere. Bildzusammenhänge werden täglich Formen, die bereits der Zeit werden soziale Aspekte wichtig: das Nach- an, der sich negativ verstärkt. Im Vertrauen auf kreative Lö- de mit ihren jeweils eigenen Mitteln aneinander. Genetisch erinnert, erahnt, verstanden – oder nicht. Die Bildgram- jedes Ornament ahmen und das Nacheifern, die Anerkennung. Jeder sungen verzichtet man aufs Üben, die fehlende Übung zwingt nicht vorprogrammierte Bewegungsabläufe werden erst matik erlernen wir implizit durch die Teilnahme an visueller aufweist. Vgl. dazu: N. will etwas können, dazugehören oder andere über- einen, auf Kreativität zu setzten usw. Übersprungen und durch Wiederholung so flüssig, dass sie dann in Abstimmung Kommunikation. Ähnlich wie bei der gesprochenen Sprache Luhmann: „Die Kunst treffen. Erst die Schule macht das Üben zur Pflicht, vergessen wird bei diesem Kurzschluss, dass eine Leistung mit bewussten Absichten zielgerichtet einsetzbar werden. müssen wir zunächst einzelne Bilder verstehen und können der Gesellschaft“. unabhängig von den eigenen Interessen, und kon- für andere nur dann erkennbar kreativ ist, wenn Bekanntes Wir nennen diese Übereinstimmung gerne „ganzheitlich“, dann Beziehungen knüpfen, Bildtypen und Bildbezüge sor- Frankfurt 1995; S.112 trolliert die Erfolge dann mit einer Notenskala. Nicht explizit überschritten wird, also mit im Blick ist. Zudem kann aber der Ausdruck verdeckt mehr als er erklärt. Denn nicht tieren. Die dabei verwendeten Strukturen bleiben meistens ff. jedes Üben hat Struktur- und Lerneffekte. Aber die die Erfahrung: irgendetwas Eigenes bringe ich schon zustan- jedes Lernen hier bedeutet eine Verbesserung. Die Hand- unbewusst. Und je mehr Bilder wir pragmatisch rezipieren, allermeisten verdanken wir ihm, zunächst in Spiel de, nicht zu einer genauen Selbsteinschätzung führen oder zu motorik läuft manchmal viel zu grob über wahrgenommene umso weniger Wirkungsmechanismen können wir nebenbei und Nachahmung, dann in der Schule und später im einer transparenten Beurteilung von außen. Differenzierungsmöglichkeiten am Motiv hinweg. Oder die reflektieren. Das erhöht den Bedarf an einer Metaanschauung Beruf. Ein Schulfach, das auf Übungsphasen verzich- Natürlich können auch beim Üben Ergebnisse überraschen, Vorstellung orientiert sich an Vorbildern, die motorische Mög- im Kunstunterricht. Wirkungsaspekte bewusst machen, ohne tet, weil es diese unangemessen oder unproduktiv nämlich dann, wenn etwas besonders gut, besonders schnell lichkeiten unterfordern. Anwendungsbezug, ist mühsam. Wenn wir zeigen wollen, findet, muss das Ziel des Lernfortschrittes aufgeben. oder schlechter gelingt, als erwartet. 100% planen kann man Gelungene Koordination lässt uns vergessen, dass separat wie etwas wirkt, dann am besten in praktischen Situationen, Das ist die knappe Ausgangsthese, von der aus ich auch Übungserfolge nicht. Die motorische und psychische geübte Prozesse zugrunde liegen. Ihre Koppelung können wir z.B. wenn wir es in andere Medien übertragen, kalkulieren die Übungswiderstände markieren möchte, die hier Seite spielen mit ihren eigenen Strukturen, Widerständen von der bewussten Seite aus intendieren und veranlassen, und dann prüfen: etwa beim Drucken, Rastern, Vergrößern wirksam sind. und Sensibilitäten mit. So stellen sich Erfolge durch übendes aber die Ausführungssignale müssen doch vom Nervensys- oder bei der Fotobearbeitung, beim Herstellen eines Plakats, Wiederholen oft nicht sofort ein, sondern erst mit der Zeit, tem an die Muskulatur gesendet werden. Das Bewusstsein einer Verpackung oder beim Layout. Üben oder kreativ sein vielleicht nach einer kurzen Übungspause, wenn man weni- kann da nicht direkt eingreifen. Es kann nur den Entschluss Die Bilderflut reduziert aber die Homogenität der Wahr- Eine erste Antwort hat mit den Zielvorstellungen des Faches ger fixiert an die Sache herangeht. Auf diesen Punkt komme fassen und einen Impuls geben und dann das Resultat be- nehmungslagen, und die verschiedenen Bildsozialisationen selbst zu tun. Das ursprünglich negative Bedeutungsfeld für ich gleich noch einmal zurück. obachten und beurteilen. Keinesfalls kann die Absicht, den erschweren das Freilegen von Wirkungsaspekten an einem in- den Übungsmangel hat sich allmählich ins Positive gewen- SportlerInnen sprechen von „flow”, wenn sie alle Instruk- eigenen Körper (oder den der Schüler) zu motivieren sich struktiven Beispiel. Während musikalische Erfahrungen näher det. In der musischen und später der ästhetischen Erziehung tionen vergessen und ihre Bewegungen nicht kausal-kritisch in einer neuen Weise zu bewegen, eine Instruktion im Sinn beieinander liegen und leichter kommuniziert werden können, eröffnet sich im Ungeübten ein Raum für Originalität, Kreativi- beobachten, sondern der Tiefensensorik aufmerksam folgen. einer Steuerung sein. Soll eine neue Bewegung erstmals ist die Vielfalt des Gesehenen stärker von der individuellen tät und Experiment. Neue Wege gehen und etwas ausprobie- Der flow kann im Sport also nicht bei neuen Bewegungser- ausgeführt werden, muss sie der Körper selbst finden bzw. Selektivität bestimmt. Die Bildende Kunst hat gelernt, mit ren, das lässt sich auch gar nicht üben. Kreative Ergebnisse fahrungen entstehen und auch nicht bei alten, die zu genau erfinden. Das Bewusstsein reagiert dann darauf, mehr oder einer heterogenen und dynamisierten visuellen Aufmerksam- erkennen wir immer nur rückblickend und sind überrascht. kontrolliert werden. Die Musikpädagogik spricht von flow, weniger kritisch, oder mit positiver Verstärkung. Häufiges keit umzugehen. Sie setzt auf Sensation, Größe, Ironie, Skan- So gesehen steht das Ideal der Kreativität quer zum Üben, wenn selbst Tonleitern am Instrument so geübt werden, dass Probieren führt irgendwann dazu, dass sich Schemata bilden dal, und verzichtet auf Gattungsgrenzen und Stilbildung. Die- bei dem eine Fertigkeit durch Wiederholung verfügbar und neben der Geläufigkeit immer auch der Ausdruck der Töne und die Hand den Weg zum Ziel wie von alleine findet. se Strategie steht der Kunstpädagogik nicht zur Verfügung.

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Sie muss versuchen, die Formwirkung vor dem Hintergrund auf einmal wahrnehmen können, obwohl bei jeder Unter- Gerne beruft sich die Kunstpädagogik auf Schiller. Der hat wie sich Pflicht und Neigung, Freiheit und Sinnlichkeit wie der eingesetzten Mittel verständlich zu machen. Das sind scheidung Zeit vergeht. Aber während Kunstwerke in sich bekanntlich das Spiel als Idealzustand der Menschheit gefei- von selbst, quasi natürlich und spielerisch verbinden. So ist die verwendeten Materialien, Oberflächen, Farben und alle geschlossene Wahrnehmungsprozesse veranlassen, hat die ert und es in der ästhetischen Erziehung dauerhaft in Aus- der edle Charakter im Schauspiel einer, der seine Pflicht aus Elemente, aus deren Verdichtung sich die Formen erst bil- Kunstpädagogik eine andere Aufgabe: Sie muss die Wirkung sicht gestellt. Von der Realität und der Notwendigkeit des Neigung und ohne Anstrengung erfüllt. Dass diese schöne den – und es sind die Medien der Kommunikation, mit denen eines Werkes verdeutlichen, nicht sich ihr einfach nur aus- Übens ist da nirgends die Rede. Als Zögling einer strengen Haltung auf der Bühne im wahren Leben viel Selbstdisziplin die Kunst typisierte Darstellungsweisen nutzt bzw. historisch setzten. Sie muss Wahrnehmungsprozesse in Gang bringen, Schule wird er diesen Aspekt der Erziehung kaum vergessen erfordert, klingt prosaisch, aber realistisch. Für unser Fach durchbricht. Die völlige Auflösung der Stile erschwert den aber auch unterbrechen, die Beziehungen der Formen ausein- haben. Aber für die ästhetische klammert er ihn aus, um die und gegen Schiller müssen wir feststellen: verliert es das pädagogischen Zugang zur aktuellen Kunst, weil individuel- ander reißen und ihre Verschränkungen rekonstruieren, damit moralische Wirkung der Kunst, speziell des Theaters, für die Üben aus dem Blick, dann bleibt das Lernen auf der Strecke le Empfänglichkeiten, Empfindlichkeiten und Erwartungen sie erkennbar werden. Dabei vergeht Zeit spürbar langsamer Gesellschaft hervorzuheben. Die Kunst soll uns vorführen, – und wohl auch die Kunst. immer weiter auseinander liegen. Darum ist es heute wohl – und das kann zum Problem werden. Das Sprechen über sinnvoller, die verbleibenden Gemeinsamkeiten an bekannten Bilder ist zeitempfindlicher als ihr ästhetischer Genuss und und raffinierten Beispielen auszuloten, als ausgefallene Arte- ihre implizite Kommunikation. fakte in Kassel aufzusuchen. Wir erkennen Bilder in einem Augenblick, während die Sektion «European Network Visual Literacy» (ENVIL) Sprache an eine sequenzielle Rezeptionsweise gebun- Wie langsam darf das Üben sein? den bleibt. Wenn das Bild die Sprache als Leitmedium der Formen können wir immer nur momentan wahrnehmen und Kommunikation allmählich ablöst, bedeutet das auch, dass BUKO15 _ ein persönlicher Eindruck unterscheiden. Die aktuelle Identifizierung einer Form lässt es mehr Widerstände dagegen gibt, sich über Bilder im für den Moment alles andere in den Hintergrund treten, Sprachtempo zu verständigen. Wie ein Strich oder ein Licht- speziell das zugrunde liegende Substrat von Elementen, reflex im Verhältnis zu anderen wirkt und wie in Bezug auf aus denen die Form besteht. Wo Punkte konzentriert verteilt die Gesamtform, kann mit Bildausschnitten oft gut gezeigt sind, konzentrierter als im jeweiligen Umfeld, verschmelzen werden. Je schneller wir im Alltag Bilder verstehen müssen In zwei Teilen wird der Stand der Ent- In der anschliessenden Diskussion gen – bspw. Kriterien und Möglichkei- wir sie optisch zu einer Form. Fixieren wir die Punkte, geht und je häufiger wir sie ästhetisch und zeitvergessen rezipie- wicklung eines europäischen Referenz- fordern Teilnehmende, ‚Worthülsen’ zu ten zur Beschreibung/Konstruktion von die Form verloren. In der zweckorientierten Alltagswahrneh- ren können, umso leichter werden sprachliche Erklärungen rahmens für das Fach Kunst präsentiert vermeiden zugunsten von konkreteren, „Progression“ – wird veranschaulicht, mung driften und switchen wir von einer Formbildung zur als Bremse empfunden. Deshalb muss wenigstens die Rela- und zur Diskussion gestellt. Dieser aussagekräftigen Beschreibungen. Be- wie das Strukturmodell umgesetzt wer- nächsten. Wir fokussieren auf der Straße das Auto, das auf tion von zeitlichem Aufwand und Organisationsniveau eines ist in Anlehnung an den europäischen steht dadurch nicht die Gefahr, eine für den könnte. Kriterien für eine „gute Auf- uns zu kommt, unterscheiden sein Tempo, evtl. seine Farbe, Bildes stimmen: Bei Picasso kann man mehr entdecken als Referenzrahmen für Sprachen erarbei- alle Teilbereiche des Faches gültige gabe“ werden an einem leider eher un- den Abstand zu uns, die Breite der Fahrbahn und auf der an- bei Warhol, bei Maria Lassnig mehr als bei Keith Haring. tet worden und soll die Realisierung Basis (Struktur) zu verlieren? Führten zu geeigneten Aufgabenbeispiel erörtert. deren Seite den Laden, in dem wir einkaufen wollen. Diese Zweitrangig ist, ob es sich um Kunstwerke oder Werbegra- folgender Anliegen unterstützen: den starke Konkretisierungen (Korsett) nicht Deshalb drängt sich mir die Frage auf, gewöhnlichen Sequenzen der Wahrnehmung haben auf der phik handelt. Schüler/die Schülerin stärker in den zu einem Verlust an Offenheit, was der ob Kompetenzorientierung nicht besser Ebene der Formen und Reize keinen inneren Zusammenhang. Blick nehmen; die Qualität von Unter- Motivation nicht förderlich wäre? Aus im Zusammenhang mit einer Aufgaben- Ihre Abfolge wird nicht von Formeigenschaften, sondern von Spiel ohne Üben – eine Schillernde Lösung richt steigern; die Position des Faches der Runde wird postuliert, auf die Ver- reihe überprüft werden sollte, anstatt Verhaltensabsichten bestimmt. Deshalb lassen wir jede Wer sich an eigene Erfolge beim Üben erinnern kann, wird es verbessern. bindung der Bereiche „Bildsprache als alle Kriterien auf eine aus dem Kontext Form gleich wieder fallen und ersetzten sie durch eine neue. als Lernweg weiter empfehlen. Das gilt für alle Unterrichts- Im 1.Teil weist Frau Constanze Kirch- Norm“ und „künstlerische Kompeten- herausgelöste Einzelaufgabe zu bezie- Im Alltag macht es wenig Sinn zu fragen, hat die Farbe des fächer. Sicher ist auch, dass solche Erfolge von manchen ner auf die Auswertung einer Experten- zen“ zu achten, indem bspw. die über- hen? Innerhalb einer Reihe könnten Autos etwas mit seinem Tempo zu tun? Oder korrespondiert schneller erreicht und bemerkt werden, so dass sie rascher befragung hin, die zeigt, dass zwischen fachlichen Kompetenzen ins Fach Kunst mit einzelnen Aufgaben Teilkompeten- seine Entfernung mit seinem Design? Im Unterschied dazu auf einer höheren Stufe weiterüben können. Unterschiede den europäischen Ländern mehr Ge- zurückgeholt werden. Gewünscht wird zen herausgefordert werden, während ermuntern uns zwecklose Kunstwerke, auf solche Formbe- verstärken sich aber nicht nur positiv. Die Ausführung von meinsamkeiten als Unterschiede in ferner, dass vermehrt das Widerständige das komplexe sogenannte „Set von ziehungen zu achten. Die Formübergänge sind so kalkuliert, Geübtem und Gekonntem wirkt oft spielerisch und leicht. Ein Bezug auf das Bildungsverständnis, ästhetischer Bildung, auch Leerstellen, ausgewählten Kompetenzdimensionen dass sie auf einander verweisen, oft schließt sich ein Kreis Eindruck, den die Kunst gerne absichtlich herauskehrt. Die die Lehrpläne, die Fachkonzepte und ebenso entwicklungspsychologische /-subdimensionen“ erst in der Bearbei- über mehrere Unterscheidungen und wir kommen zur Aus- Ergebnisse sehen dann besonders leicht und elegant aus. -anliegen etc. bestehen. Die Rednerin Aspekte im Modell integriert werden. tung der ganzen Reihe sichtbar würde. gangsform zurück. Dass wir dafür auch Zeit benötigen, fällt Die Mühen des Lernens sind unsichtbar, sie verschwinden in präsentiert ein Kompetenzstrukturmo- Kritisiert wird, dass das vorgestellte Könnten damit nicht Möglichkeiten kaum auf, weil die Anhaltspunkte für die Aufmerksamkeit der Geläufigkeit, in der Materialbeherrschung, in der lockeren dell, das in arbeitsintensiven Aushand- Modell vor allem auf das Produkt fokus- erweitert werden, fachliche mit über- eng verzahnt sind. Formen, die unsere Wahrnehmung äs- Ordnung der Teile, in einem scheinbar lässigen Gelingen, das lungsprozessen entstanden und mehr- siert sei und der Prozess zu wenig be- fachlichen Kompetenzaspekten zu ver- 4 Den Hinweis auf thetisch engführen und die wir nicht teleologisch sortieren, uns verblüfft. Für die Übungstoleranz im Kunstunterricht ist fach überarbeitet worden ist. Manche rücksichtigt würde. binden und gleichzeitig intensiver auf diesen Übungswi- lassen uns das Drumherum vergessen, auch uns selbst und das eher hinderlich. Was nicht bald so aussieht, wie man Zuhörerin mag sich dabei an eigene, Im 2.Teil dieser Sektion stellt Ernst Prozesse sowie das Wechselspiel von derstand und andere die Zeit.3 möchte, wird der mangelnden Begabung angelastet, nicht ähnliche Erfahrungen bspw. im Zusam- Wagner Kriterien für eine „gute Aufga- Rezeption und Produktion einzugehen? Anregungen zum Diese Wirkung der Formkomposition, ohne die wir Kunst- dem fehlenden Training. Das erscheint unzweckmäßig, oder menhang mit der Entwicklung von Lehr- be“ im Rahmen der Kompetenzorientie- 20.Februar 2015 Thema verdanke ich werke im Kontrast zum Alltag gar nicht genießen könnten, wird gar nicht erwogen, weil es so augenscheinlich mit den plänen erinnert haben. rung vor. Mit interessanten Vorschlä- Edith Glaser-Henzer U. Schuster. verschafft uns den Eindruck, dass wir sie als Ganzes und anvisierten Zielen konstrastiert.4

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Ernst Wagner mung von Kunstwerken oder von Karikaturen in Zeitungen, u Klarheit (für die SchülerInnen) in Bezug auf die Aufgaben- die Gestaltung von Bildern, Architekturplänen oder Visualisie- typologie: Ist es eine Übungsaufgabe? Eine Entwicklungs- rungen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen). Mit der aufgabe? Etc. Was bringt die Kompetenzorientierung Unterstützung durch die Europäische Union wurde es mög- u Klarheit in Bezug auf die Ziele der Aufgabe: Welche Lern- lich, auf dieser Basis einen Schritt weiter zu gehen und an ergebnisse, Lernfortschritte sind intendiert? für die Praxis? einem „Gemeinsamen Referenzrahmen der Visual Literacy” u Einbettung in einen größeren Lernprozess: Was war vor Bericht aus dem Comeniusprojekt „Gemeinsamer zu arbeiten. (eins unserer Vorbilder ist dabei der Gemeinsame der Aufgabe? Was folgt ihr? Referenzrahmen Sprachen [CEF 2001].) u Die Inhalte (Themen) sind vom Anspruch her angemes- Referenzrahmen Visual Literacy“ Grundlage für einen solchen Referenzrahmen ist die struk- sen, sie haben einen Lebenswelt- oder Domänenbezug. turelle Entwicklung eines inklusiven, gemeinsamen Kompe- u Die Aufgabe nutzt verschiedene Sozialformen. tenzmodells. Dieses muss zum einen die verschiedenen na- u Für den Aspekt der Kompetenzorientierung werden nun ENViL und der „Gemeinsame Referenzrahmens, von der Europäischen Union (Life Long tionalen Ansätze abbilden, zum andern dem aktuellen Stand zwei weitere Aspekte bedeutsam: Referenzrahmen Visual Literacy“ Learning Program – COMENIUS) mitfinanziert. www.envil.eu der pädagogischen wie fachdidaktischen Forschung gerecht Klarer Bezug zu dem jeweiligen (nationalen, regionalen) Seit 2010 arbeitet eine Gruppe europäischer Kunst- und De- Mit ENViL haben wir – auf der Basis einer Untersuchung werden und damit überzeugend sein. Kompetenzmodell: Fachliche Kompetenzen werden eindeutig signpädagogen / Bildnerischer Erzieher in einem Netzwerk der verschiedenen nationalen oder regionalen Konzepte in Die Illustration (Abb. 1) zeigt im mittleren, hellgrauen Ring und in einem ausgewogenen bzw. bewusst profilierten Sinn (European Network of Visual Literacy – ENViL) zusammen. Es Europa – die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der For- die fachspezifischen Teilkompetenzen, bezogen auf einen adressiert. Der Erwerb von Sozial-, Selbst- und Methoden- sind Kollegen und Kolleginnen, die an Instituten für Lehrpla- mulierung von Kompetenzdimensionen in Lehrplänen unter- erweiterten Bildbegriff. Die Zuordnung zu den übergeord- kompetenzen ist systematisch mitgedacht, ebenso wie die nentwicklung oder in der Lehrerausbildung tätig sind, und die sucht (Haanstra, Kirchner. 2013). Dabei fokussierten wir uns neten Dimensionen bzw. Basiskonzepten „produzieren“ und Metakognition im Hinblick auf nachhaltiges Lernen. sich zunächst nur über die jeweiligen nationalen, aber auch auf visuelle Kompetenzen, die Lernende im „Kunstunterricht“ „rezipieren“ ist dabei allen vertraut. Die jeweiligen Teilkom- Eindeutige Adressierung von (verschiedenen) Kompetenz- internationalen Entwicklungen im Feld der Curriculumsent- (der Begriff soll im Folgenden stellvertretend für alle anderen petenzen wie „gestalten“, „imaginieren“, „entwerfen“ usw. niveaus, z.B. als Diagnoseinstrument, ebenso wie im Hinblick wicklung austauschen wollten. Mittlerweile hat das Netz- Namen stehen) erlangen können. Wir definieren diese Kom- sind dabei zweifach fundiert, durch die europäische Erhebung auf Inklusion. Eine Lösung ist auf verschiedenen Niveaus sinn- werk mehr als 50 Mitglieder aus zehn europäischen Staaten. petenzen als ein Zusammenspiel aus Wissen, Können und sowie durch die nahezu 1½-jährige, intensive Diskussion über voll und möglich. Seit 2011 kooperiert ENViL mit InSEA Europa, seit 2013 in Einstellungen, die dazu befähigen, domänenspezifische Auf- die Systematik im Netzwerk. Die Gesamtheit dieser Teilkom- offizieller Partnerschaft, und seit 2014 wird das zentrale Vor- gaben sowie Herausforderungen in der Lebenswelt – im Feld petenzen bildet den Rahmen, mit dem „Visual Literacy“ als Ein Beispiel haben des Netzwerks, die Entwicklung eines gemeinsamen der visuellen Kommunikation – zu lösen (z.B. die Wahrneh- Kompetenz beschrieben werden kann. Welchen Mehrwert nun die Kompetenzorientierung haben Von echter Kompetenz kann aber erst dann gesprochen kann, soll am Beispiel einer authentischen, im Unterricht werden, wenn eine metakognitive Begleitung dazu kommt. tatsächlich gestellten Aufgabe untersucht werden. Diese hat Darüber hinaus müssen alle Fachkompetenzen im Kontext ein erfahrener Kollege dankenswerterweise zur Verfügung von Sozial-, Methoden- und Selbstkompetenz gesehen wer- gestellt. Sie wurde vom Verfasser, ganz bewusst, nicht aus- den (inneres Oval). Der äußere Ring wiederum betont noch- gewählt. Der Kollege wurde einfach um eine typische, all- mals den Grundansatz, dass es bei Kompetenzen immer um tägliche, „normale“ Aufgabe, die von ihm unlängst gestellt die Durchdringung von Wissen, Fähigkeiten/Fertigkeiten und worden war, gebeten; eine Aufgabe, wie sie – in seiner Haltungen geht. Einschätzung – vielfach im Kunstunterricht auch anderer Kol- Abb. 1. Der Konsens über dieses Modell war hart errungen, was legInnen gestellt wird. Sie soll hier den (deutschen) Alltag Europäisches Kom- man sich bei den verschiedenen Denkschulen und fachdi- präsentieren – und nicht etwa als beispielhaft im Sinne einer petenzstrukturmodell daktischen Ausrichtungen, die im Netzwerk vertreten sind nachzuahmenden Praxis vorgestellt werden. D.h. sie wird an (Stand 1.6.2015 – an der (und dabei die aktuelle Situation gut abbilden), gut vorstel- dieser Stelle ausschließlich dazu genutzt, den möglichen Er- Visualisierung wird noch len kann. Aktuell wird das Modell in ein Niveaumodell und kenntniszugewinn durch Kompetenzorientierung zu untersu- gearbeitet) ein Entwicklungsmodell ausdifferenziert. (Über den aktuellen chen. Diese Aufgabe lautete: Stand informiert die Website www.envil.eu). Der in die Arbeit u „Disco - Tanzende Figuren im Raum“ (DIN A 2) investierte Aufwand war – und ist – hoch und damit stellt u Zeichne mehrere tanzende Figuren in einem Raum. sich schnell die Frage nach dem Nutzen des ganzen Vorha- u ‚Beleuchte‘ die Szene mit drei Scheinwerfern. bens für die Praxis. Dies soll im Folgenden am Beispiel des u Gestalte nun dein Bild farbig. (Deckfarben)“ Aufgabenstellens kurz dargestellt werden. Eines der Schülerergebnisse (7. Jahrgangsstufe) soll zur Klä- rung hier abgebildet werden. (Abb.2) Kompetenzorientierte Aufgaben Im Laufe der Einführung der Aufgabe sowie der Beratung Natürlich gab und gibt es – noch vor jeder Kompetenzorien- im Gestaltungsprozess gab die Lehrkraft mündlich eine Rei- tierung – einen breiten Konsens darüber, was eine gute Auf- he von Tipps, wie z.B.: „Schwierige Figuren zunächst als gabe ausmacht. Zu den wesentlichen Kriterien gehören z.B.: Strichmännchen andeuten und dann den Körper dazu zeich-

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komponieren‘. D.h. es sind wenige und diese liegen nur im Haanstra, F. und Constanze Kirchner. 2013. Lehrpläne und Kompe- Wagner, E. 2014. Wo entsteht die Bildung beim Bild? - Metakog- Bereich des „Bilder Produzierens“. tenzmodelle im Vergleich – Ergebnisse der Expertenbefragung nition und Kunstunterricht. In: Barbara Lutz-Sterzenbach, Maria Abb. 2 Sozialkompetenz spielt weder beim Thema der Aufgabe im Rahmen von ENViL. www.envil.eu [16 April 2015]. Peters, Frank Schulz (Hrsg.). Bild und Bildung. Praxis, Reflexion, Schülerarbeit, eine Rolle (es wäre denkbar gewesen, eine soziale Interaktion Wagner, E. 2013. How to form competency-based assignments in Wissen im Kontext von Kunst und Medien. 803 ff. München: 7. Jahrgangsstufe der darzustellenden Personen beim Thema zu berücksichti- the fine arts. In: From Child Art To Visual Language of Youth, edi- Kopaed (ca. 13-jährige Schülerin) gen), noch bei der Lösung (z.B. durch Lösung als Gruppenar- ted by Andrea Kárpáti and Emil Gaul, 199 ff. Bristol and Chicago: beit). Am ehesten wird durch die komplexe Realisierung, die Intellect eine sorgfältige Planung erfordert, die Methodenkompetenz gefördert und gefordert. Für Metakognition wiederum gibt es keinen Raum: Metakognition bezeichnet das Denken über die „So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt“: nen. Proportionen beachten. Gelenke hervorheben. Die Fi- Prozesse „Produzieren“ und „Rezipieren“ (mit den jeweiligen guren vorne größer als das Format. Zeichne die Lichtkegel Teilkompetenzen) während und nach dem jeweiligen Arbeits- Zur Spannung zwischen Kunst und Pädagogik der Scheinwerfer ein. Zeichne diese auch über die Figuren prozess. Es handelt sich also um die Beobachtung von und um Persönliche Gedanken zum Referat von Roland Reichenbach, Professor und Gegenstände. Die Punkte markieren, an denen sich alle die Auseinandersetzung mit den eigenen ‚bildnerischen‘ Pro- für allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich. Scheinwerfer kreuzen. Dort helle, leuchtende Farben nützen, zessen, Produkten, Wahrnehmungen und Deutungen sowie oder auch mit Weiß mischen. Bei allen Gegenständen, auf die um die Selbstregulation der Lernprozesse (vgl. Wagner 2014). kein Licht fällt, die Farben mit Schwarz mischen.“ Etc. In der Aufgabenformulierung wird dies nicht adressiert, meta- Eine genauere Analyse dieser Aufgabe (unter Berücksich- kognitive Prozesse laufen deshalb unbewusst ab und können „Wer da nicht lachen konnte, hat einen -flüge. Bis wir dank unbeabsichtigter tigung der Tipps) – betrachtet durch die „Kompetenzbrille“ – deshalb nicht in den Lernprozess direkt einbezogen werden. blinden Fleck“. Mit dieser Schluss- technischer Intermezzi wieder Boden ergibt die begründbare Vermutung, dass der Erwerb bzw. die Mit dieser hier gegebenen Einschätzung und Einordnung bemerkung trifft Martin Klinkner die unter den Füssen finden. Überprüfung folgender Fachkompetenzen intendiert ist. Im habe ich das spezifische Profil der Aufgabe (mit Hilfe des Stimmung des spannungsvollen und Aus der Spannung heraus, nicht ersten Teil ist gefordert, dass die Schüler Proportionen und Kompetenzmodells und bezogen auf das Kompetenzmodell) amüsanten Referats von Roland Rei- zu wissen, was zu tun ist, sollen wir Haltungen von menschlichen Figuren naturgetreu wiederge- markiert. Damit wird deutlich, was diese Aufgabe ermöglicht chenbach. Mit Humor und Ironie nahm uns aktiv eine eigene Meinung bilden. ben können, bzw. Figuren zeichnerisch so anordnen können, und – vor allem auch – was sie nicht ermöglicht. In einem sol- Reichenbach das Publikum auf eine Reichenbach holt aus, gestisch mit tenzen und dem Lehrplan 21 angelangt, dass eine räumliche Wirkung für den Betrachter entsteht. chen Reflexionsprozess, dem Abgleichen einer realen Aufga- Reise mit unbekanntem Ziel mit. Mal Händen und gedanklich mit Proust „ein provoziert Reichenbach: „Haben Sie Das bedeutet, dass die Schüler etwas (die Tanzenden) aus be mit einem Kompetenzmodell, bzw. – abstrakter formuliert flogen wir mit Kant – „Ohne Gefühle Hund in der Bibliothek ist sinnlos, ein ein Wort, haben Sie eine Kompetenz.“ der Vorstellung möglichst naturgetreu darstellen. Und dafür – dem Abgleichen einer bestimmten Praxis mit einem Refe- ist der Mensch sittlich tot“ – mal lan- Nichtlesender okay“ und bemerkt dann Er stellt fest, dass pädagogische Panik verfügen sie über die in den Tipps angesprochenen Schemata renzrahmen, kann so bestimmt werden, welche Position die deten wir mit klaren Statements wie nebenbei, dass er das gar nicht sagen ausbricht und dieser Katalog von Kom- und Konstruktionsverfahren, die sie anwenden. Im zweiten jeweilige Aufgabe/Praxis im beschriebenen Feld einnimmt. Es „Pädagogik ist Arbeit am Ausdruck, die wollte. Ein Bild bleibt hängen. Die Fra- petenzen Monotonie auslöst. „Können, und dritten Teil der Aufgabe zeigen die Schüler dann, dass sie ist jedoch nicht möglich und es geht auch nicht darum – und nicht beendet werden kann“. ge des Verhältnisses vom Selbst zum können, können, können, wahrnehmen, eine farbige Komposition nach ausgewählten, formalen Prin- das sei hier mit aller Deutlichkeit betont – ein Urteil über das „Die Bildung ist kein Arsenal, son- Raum ist an dieses Bild gekoppelt. – wahrnehmen: Zu viele Kompetenzen, 1 Unter dem Sammel- zipien (geometrische – organische Formen, farbig – schwarz/ Beobachtete zu fällen. Weder das Kompetenzmodell noch ein dern ein Horizont“ (Hans Blumenberg). Bildkompetenzen sind gefragt! keine Identität!“ Wie Reichenbachs begriff >Bilder< wird weiß, hell – dunkel, Fläche – Raum) unter Anleitung gestal- umfassender, d.h. auch Niveaus formulierender Referenzrah- Reichenbach zitiert und meint damit „Bildkompetenz ist nur interessant, lebendiges Referat beweist, gibt es verstanden: Werke / ten können. Dies sind die fachlichen Teilkompetenzen, die die men gibt dafür ein Argument. Es ist also mit dem Verfahren den weiten (Bildungs-)Horizont und wenn es nicht ums Abbild geht. Bild- im Leben noch mehr als Kompetenzen. Objekte / Phänomene Schüler z.B. bei einer Prüfungsaufgabe zeigen oder bei einer nicht zu klären, ob die Entscheidung für ein bestimmtes Auf- zieht mit seinen Händen anschaulich kompetenz hat mit Kultur zu tun und Der Mensch als hybrides Wesen muss aus Natur, Kunst und Lernaufgabe erwerben: aus der Vorstellung und mit Hilfe von gabenprofil richtig oder falsch, gut oder schlecht ist. Diese eine weite, waagrechte Linie in die Kultur und Natur können nicht in Über- immer in der Spannung von Autonomie angewandter Kunst Schemata etwas naturgetreu darstellen, sowie ein Bild nach Entscheidung liegt ausschließlich in der pädagogischen Ver- Luft. Die Vertikale streicht er auch in einstimmung gebracht werden.“ Unter- und Bildung einen Weg finden, zur Sa- (Design, Architektur, formalen Gesichtspunkten komponieren. antwortung der Lehrkraft. (Deren Entscheidungen müssen in die Höhe, weniger weit und überlässt schiedliche Bedeutungen der Bildkom- che und zu sich zu kommen und sich Umweltgestaltung, Das oben vorgestellte, von ENViL entwickelte Kompetenz- einem anderen Kontext legitimiert werden.) Vielmehr bietet diese Richtung der sakralen Heiligkeit. petenzen sind die Folge. Die Radiolo- ins Verhältnis zu seinen Wünschen zu Film), der Vorstellung strukturmodell benennt folgende Teilkompetenzen: Bilder1 der Referenzrahmen ein äußerst sinnvolles und hilfreiches Immer wieder grenzt er ein, definiert gin, der Modedesigner, die Kuratorin setzen! und dem Alltag - vor- imaginieren, entwerfen, gestalten, transformieren, realisieren, (Selbst-)Erkenntnisinstrument: Welche Aufgaben stelle ich die feinen Unterschiede und lässt Raum benötigen unterschiedliche visuelle Carin Studer rangig in der visuellen Bilder verwenden, mit Bildern kommunizieren, Bilder präsen- eigentlich? Welche Kompetenzen adressiere ich – und wel- für philosophische Gedankenräume und Bildkompetenzen. Mitten in den Kompe- PH Luzern Wahrnehmung. Der tieren sowie wahrnehmen, untersuchen, deuten, beurteilen, che nicht? Auf was läuft mein Unterricht hinaus? Begriff >Bild< meint wertschätzen, ästhetisch erfahren sowie schließlich sich also vor allem visuelle in Bilder einfühlen. Die Analyse der Aufgabe hat ergeben, Literatur Zeichen zwei-, drei- dass von all diesen vor allem vier angesprochen werden: CEF 2001. Common European Framework of Reference for Langua- und vierdimensionaler Imaginieren, Entwerfen, Gestalten und Realisieren: ‚aus der ges: Learning, Teaching, Assessment. Council of Europe. Stras- Art, sowie innere Vorstellung und mit Hilfe von Schemata etwas naturgetreu bourg: Cambridge University Press; or available from www.coe. Bilder. darstellen, sowie ein Bild nach formalen Gesichtspunkten int/t/dg4/linguistic/Cadre1_en.asp [16 April 2015].

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Gerrit Höfferer Existenz nur als Erzählung zum Ausdruck zu bringen. Zu erzäh- len oder einer Geschichte zu folgen bedeutet, das Sukzessive als bedeutungsvolle Ganzheit zu erfassen. Die Zeitlichkeit ist Zeichen-, Bild- und Performancespiele narrativer Natur. Narrative bergen Muster, die das gesamte menschliche Leben ordnen, strukturieren und miteinander aus Kunst und Pop verbinden. „Und ein Muster ist im Teppich mit vielen anderen Mustern verwoben“ (Wittgenstein: § 569; 1984: 407).

Spiel Kultur als „Raum geteilter Bedeutungen“ (wie ihn die Cultural „Ästhetik ist die Aufmerksamkeit für das Muster, das vermag Kitsch große Faszination auszuüben. Kitsch ermöglicht Studies verstehen) kann auch als Spiel aufgefasst werden, als Abb. 1 verbindet.“ (Bateson1982:15). nach Vilém Flusser ein neues Zeiterleben, eine Vergegenwär- Spiel der Kommunikation, deren Spielregeln als Codes bezeich- tigung des Vergangenen, eine Sehnsucht, sich auf bequeme net werden können. Die Strukturen dieser Codes sind gleich- heidnischen König verheiratet werden. Sie widersetzte sich. Muster Kitsch Kreislauf Aufmerksamkeit Zeit Art aufzulösen (Flusser 2007: 296f). Flussers pessimistische zusetzen mit den Spielregeln der Kultur. Flusser unterscheidet Von ihrem Vater ins Gefängnis geworfen, wandte sie sich an Das Postulat, dass die Postmoderne von einer aktiven Visu- Prognose könnte so gesehen – als Verschiebung semiotischer „geschlossene Spiele“, bei denen die Einführung eines neuen Gott und bat ihn um Verwandlung ihres Äußeren. Ihr Flehen alisierung „der Dinge“ und Semiotisierung der Wirklichkeit Prozesse betrachtet – unter neuen technischen, sozialen und Elements eine Änderung der Struktur erfordert, von „offenen wurde erhört: Der Heiligen wuchs ein Bart. Der erzürnte Va- gekennzeichnet ist, wurde schon oft erhoben. Die Expansion kommunikativen Bedingungen durchaus wieder innovatives Spielen“, die es ermöglichen, neue Elemente ohne Strukturän- ter, der sie nun dem heidnischen König nicht mehr zur Frau von Prinzipien des Ästhetischen und des Ökonomischen über- Potenzial entfalten. Ich möchte im Anschluss an den Beispielen derung einzuführen. Elemente, die nicht einem gegebenen Spiel geben konnte, ließ sie kreuzigen. Die Hagiografien derartiger lagern die gesamte Lebenspraxis und verstärken sich gegen- der ästhetischen Muster angehören, bezeichnet er als „Geräusch“. (Flusser 2007: 330f). MärtyererInnen lassen sich wie Vorläufer von „Snuff-Videos“ seitig. Subjekte kultivieren zunehmend eine ästhetische Hal- u Frau mit Bart lesen, da sie das lustvolle Quälen detailreich schildern, ana- tung und sind in ihren Einstellungen geprägt von einem Kon- u Fluxus, happening, flash mob, Kunst des Protests Frau mit Bart log zu pornografischen Scripts (Sorgo 1997). Nachdem die tingenzbewusstsein und der Variabilität der Bedeutungen, die u Pornofeminismus Die Kunstfigur Chonchita Wurst fand 2011 zu ihrem „Bild“ als „Frau mit Bart“ zuerst im religiösen Kontext aufgehoben blieb, sie im ludischen Umgang praktizieren. exemplarisch (stark verknappt) darstellen, wie die Kunst- „Drag“/Frau mit Bart. In dieser visuellen Inszenierung zirku- wanderte sie in der Spektakelkultur der 19. Jahrhunderts vom Das Produktiv-Machen von ästhetischen Mustern für Bil- pädagogik das Modell des kulturellen Kreislaufs nutzen kann. lierte ihr Bild als Siegerin des Eurovision Song Contests 2014 „Jahrmarkt- und Zirkuswunder“ in den Wissenschaftsdiskurs dungsprozesse im Kontext der Kunstpädagogik stellt eine Es geht mir darum, Narrative für das Gegenwärtige, das weltweit und bescherte ihr Kultstatus. (Abb. 1) Der Philosoph als „biologische Errata und krankhafte Abweichung“ (Oester- Möglichkeit dar, die Anschlussfähigkeit der Disziplin im „Neue“, aufzuspannen, entlang dessen sich Partikuläres, Si- Ferdinand Fellmann entdeckte in Conchitas Performance und reich/Rüthermann 2013: 31). Im 20. und 21. Jahrhundert Spannungsfeld von Kunst und visueller Kultur herzustellen. tuiertes, Gegenläufiges, Marginalisiertes und Ausgespartes Song „Rise like a Phoenix“ die popmediale Inszenierung des findet sie sich vermehrt im Kontext queerer und queerfemi- Kunstpädagogik als Hybridfach par exzellence verstehe ich thematisieren lässt. Die Paradoxie dessen, was Aufmerk- Naven-Rituals, einer Travestiezeremonie von Naturvölkern nistischer Kunst (z. B. in fotografischen Inszenierungen von als Metadisziplin, als die Vermittlerin zwischen Sprache und samkeit erregt, liegt darin, dass es „neu“ und radikal und aus Neuguinea, bei der ein Mann als Frau verkleidet auftritt. Jennifer Miller, im Werk von Zoe Leonhard und Annie Leibo- Bild. In wissenschaftlichen, künstlerischen und popkulturellen gleichzeitig „schon da“ und konventionell sein muss (Berger Der Rollentausch wird performativ als Akt der Rache im vitz). In dem Moment, wo Conchita Wurst im Mainstream an- Bildern überlagern und überkreuzen sich epistemische und ex- 2014: 179), um seine diskursive Macht entfalten zu können. Kampf der Geschlechter dargestellt: Rache wird in Vergel- gekommen ist, ist sie erneut zu „etwas Größerem“ geworden pressive Dimensionen subkutan. Mittels rezeptiver, erlebnis-, Als wichtige Weiterentwicklung des „circuit of culture“ ist tung umgewandelt, die Beteiligten transformieren sich und und bringt als „Störgeräusch“ die Scharniere gesellschaft- erfahrungs-, handlungs- und gestaltungsorientierter Formate die Artikulationstheorie von Paul du Gay (et al.) in Anlehnung nehmen eine neue soziale Identität an. Das Naven-Ritual, licher Rollenbilder zum Quietschen. sollen transformatorische Selbst- und Weltaneignungspro- an Ernesto Laclau und Chantal Mouffe zu nennen. Artikula- vom Ethnologen Gregory Bateson 1936 in seinem Buch „Na- zesse initiiert werden, die Wahrnehmungs-, Denk- und Hand- tion versteht sich hier als Metapher, mit deren Hilfe ist das ven“ beschrieben, stellt eine soziale Praxis dar, die für die Fluxus, Happening, Flash mob, lungsdispositionen zum Wanken bringen und zur „Persönlich- Verhältnis von sozialen Kräften und ihrer diskursiven Mani- Humanisierung der entfesselten Leidenschaften steht. Die Kunst des Protests keitsbildung“ beitragen. Generische Ansätze ermöglichen es, festation zu verstehen. Anders gesagt, einzelne Elemente bei einer Kränkung durch Trennung oder Verletzung frei wer- Auf der Homepage des LIVE ART FESTIVAL ist zu lesen: „Das Ähnlichkeiten, Verschiebungen, Verdichtungen, semantische, verändern durch ihr diskursives In-Beziehung-Setzen ihre dende grenzenlose zerstörerische Rache wird „gezähmt“ und LIVE ART FESTIVAL#7 verhandelt das Zusammenspiel von visuelle, kontextuelle und signifizierende Prozesse innerhalb Bedeutung und können zu „etwas Größerem“ werden (Hepp in Vergeltung verwandelt. Davon handelt auch der Songtext. Choreografie und Protest. Sowohl auf dem Feld der zeitgenös- eines als heuristisch verstandenen kulturellen Kreislaufmodells 2009: 253). Am Beispiel der Kunstfigur Conchita Wurst lässt Für Fellmann repräsentiert Chonchita derzeit als einzige Figur sischen Choreografie als auch in den globalen Bewegungen des sichtbar und artikulierbar zu machen. Vieles, was in aktuellen sich demonstrieren, wie das ästhetische Muster der „Frau überzeugend das kreative und subversive Element der ritu- politischen Widerstandes werden aktuell immer neue Formen massenmedialen und populären Kontexten auftaucht und Auf- mit Bart“ mittels massenmedialer Zirkulation und Aufmerk- ellen Homosexualität (Fellmann 2014). resistenter Körper und kollektiver Organisation produziert: Ak- merksamkeitshypes hervorrufen kann, war schon lange vorher samkeitssteuerung gesellschaftliche Identitäts- und Rollen- Kunstgeschichtlich betrachtet finden sich Darstellungen tivisten nutzen vermehrt künstlerische Strategien, um ihren da. Es trat zum Beispiel im Bereich des Religiösen erstmals in konstrukte in Bewegung bringen und Genderthematiken, die der „Frau mit Bart“ seit der Mitte des 14. Jahrhunderts in Protest effektiver und kreativer zu gestalten; im Gegenzug wird Erscheinung und tauchte viel später mit innovativem Potenzial schon lange im Feld der Kunst und subkultureller Szenen zir- Legenden um die Heilige „Kümmernis/Wilgefortis“. Der Kult Choreografie als Form eines spezifischen sozialen Diskurses ver- im Feld der Kunst wieder auf, wurde epigonal und sickerte in kulieren, pushen kann. um diese mythische Volksheilige fand Verbreitung von den standen. In der Untersuchung der Wechselwirkung beider geht den Mainstream ab, wo es zum Kitsch verkam und als „Abfall Aktuelles und Vergangenes begegnen einander in einer Niederlanden bis nach Bayern und Österreich. Der Legende es explizit nicht um die tänzerische Darstellung von Protest, der Kultur“ (Flusser) seines Innovationsprozesses beraubt – zyklisch gedachten „Zeit“. Paul Riceur (Zeit und Erzählung) nach sollte eine portugiesische Prinzessin, die sich zum Chris- sondern vielmehr um das grundsätzliche Potential für Protest in „zerredet“ wurde. Als „Kreislaufstörung des Kulturprozesses“ plädiert dafür, Geschichtlichkeit/Zeitlichkeit der menschlichen tentum bekannte, nach dem Willen ihres Vaters mit einem choreografischen Strategien....“ (online) (Abb. 2).

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Forderungen seien zu wenig konkret. Dichtev interpretiert die Interessant für die Kunstpädagogik wäre es, der Frage Demonstrationen als paradoxen Ausdruck von Akzeptanz, als nachzugehen, ob die oft behauptete These einer unterschied- eine Art Trauerritual, das schmerzliche Änderungen, den Ver- lichen Rezeptionswirkung von Bildern der Kunst und solchen lust besserer Zeiten begleite (Dichtev 2015). aus populärkulturellem Kontext (mit pornografischen Sujets) tatsächlich empirisch zu halten ist. Oder stellt der von der Pornofeminismus Kunst so oft in Rechnung gestellte „Reflexionsraum“ lediglich Abb. 2 Parallel zu den hegemonialen Setzungen von „Gender“ in bi- eine Schutzbehauptung dar? Charlotte Klonk liefert hierzu ei- Abb. 3 nären Oppositionen, beleben AkteurInnen aus popkulturellen nen interessanten Artikel, der um die Debatte der Darstellung und künstlerischen Szenen mittels transgressiver Inszenie- von Gewalt, Terror und Pornografie kreist und sich mit der Fra- rungen die Bildfläche. In teils irritierenden und spielerischen ge beschäftigt, ob Kunst von Nicht-Kunst in diesem Kontext Bild- und Aufführungspraxen exerzieren sie die dekonstruk- unterschieden werden kann. (Klonk 2014). Im Falle von Lady Die Ähnlichkeiten urbaner Protest- und Eventkulturen, wie tive Auffassung von Gender als performatives Konstrukt. Bitch Ray ist wieder eine semiotische Wanderung zu konsta- sie sich in choreografischen Praxen im Rahmen des LIVE ART Dass Bildern immer schon eine große Wirkmächtigkeit zuge- tieren – in diesem Fall migrierte das „Baubo-Motiv“ aus dem FESTIVALs erleben lassen, sowie das ästhetische Muster schrieben wurde bzw. wird, zeigt sich in religiös motivierten Sakralen in den profanen, popkulturellen Kontext. Daraus ist der Flash mobs, die seit Beginn der 2000er Jahre die globa- Bilderverboten. Bilder können Abscheu und Verehrung aus- im Unterschied zu den beiden oben erwähnten Beispielen bis len Metropolen überziehen, weisen starke Anklänge zu den lösen und sind vor allem affektiv besetzt. In seiner „Theorie jetzt noch nichts „Größeres“ geworden. Handelt es sich bei künstlerischen Avantgarden im Kontext von Fluxus und Hap- einer visuellen Kultur“ fragt W. T. Mitchell auch danach, was Lady Bitch Rays „Selbstpornofizierung“ um eine Strategie der pening der späten 1950er und der 1960er Jahre auf. die Bilder von uns wollen, was wir an ihnen begehren (Mit- Selbstermächtigung oder um „postfeministiche Maskerade“? Als Flash mob wird eine sich blitzartig (flash) im urbanen chell, 2008: 53). Oder sind ihre Spielarten maskuliner Feminität (Abb. 4) ein- Raum zusammenfindende Gruppe (mob) verstanden, die Während die Pop-Ikone Madonna noch konstatierte, sie fach noch nicht anschlussfähig für den Mainstream? inmitten anderer Passanten eine performative Aktion (für sei keine Feministin, aber ihre Kunst sei feministisch, und die anderen oft unverständlicher Art) durchführt, sich dann permanent ihr Image durch das Zitieren anderer Images zu Literatur ebenso schnell wieder auflöst und verstreut. Ermöglicht verändern suchte, schreibt 2012 die Rapperin, Aktivistin, Bateson, Gregory (1982): Geist und Natur – Eine notwendige Einheit. wurde dieses Format durch mobile Kommunikationsformen. Künstlerin und Wissenschaftlerin Lady Bitch Ray in ihrem Frankfurt am Main. Nachdem die Protestbewegungen des sogenannten „arabi- Manifest Bitchism: „Man kann auch Schwänze lutschend für Berger, Wilhelm (2014): Was ist Philosophieren? Wien. schen Frühlings“ mit Aktionen begannen, die dem Flash mob Frauenrechte kämpfen“ (2012: 77). Da Frauen sich im Pop, Boll, Katharina (2011): Die Legende von der Frau am Kreuz. Theologi- ähneln, wurde sichtbar, dass den scheinbar zweckfreien und vor allem im Hip Hop, in einem Sexualisierungsrahmen, der sche Überlegungen zur oberdeutschen Texttradition. In: Kathari- lustigen Aktionen konsumaffiner Jugendlicher das Potenzial bisher hauptsächlich von einer männlichen Ordnung geprägt na Boll (Hrg.): Kunst und saelde. Würzburg. S. 161 - 177. gesellschaftlicher Veränderung inhärent war und nur zur war, behaupten müssen, inszeniert sie sich unter anderem Dichtev, Ivaylo: Rituale des Trauerns um bessere Zeiten. In: Der Stan- Anwendung gebracht werden musste (Hofer 2012). Der So- als handlungsmächtiges Subjekt, als „phallische Frau“, als dard vom 10./11. 01. 2015, S. 8. ziologe Howard Rheingold verfasste 2003 sein Buch „Smart „Baubo“ (Abb. 3). Sie greift damit ein Motiv auf, das ur- Diedrichsen, Diedrich/Rottmann, Andrè/Thomann, Mirjam: (2006.): Mob“ und meinte in einem Interview: „Ich habe bewusst sprünglich im mythologischen Kontext verortet war. „Das Vorwort. In: Texte zur Kunst Nr. 64. Berlin. den Begriff ‚Mob‘ gewählt, weil da etwas Bedrohliches mit- Medusenhaupt ist ein Bild für das Phantasma des weiblichen Fellmann, Ferdindand: In der Travestie liegt die Provokation. Was schwingt: Nicht alle Gruppen, die sich auf diese neue Art or- Genitals mit Penis, es symbolisiert die furchterregenden, Conchita Wursts Performance mit den Zeremonien der Natur- ganisieren, haben das Gemeinwohl im Sinn. Kriminelle, Terro- gefährlichen Aspekte der Weiblichkeit, die meist der mütter- völker in Neuguinea zu tun hat. In: Der Standard vom 19. 07. risten, totalitäre Regime – sie alle bekommen mehr Macht.“ lichen Vulva zugeschrieben werden. 2014. Album A9. (Rheingold 2003) Wieder zeigt sich, dass ehemals im elitären Das Gegenstück dazu ist das Bild der lachenden Baubo. Flusser, Vilém (2007): Gespräch, Gerede, Kitsch. Zum Problem des System beheimatete Kunstformen (Fluxus, Happening) nach Es zeigt eine personifizierte Vulva, aus der der Kopf und die unvollkommenen Informationskonsums. In: Dettmar, Ute/Küpper, Abb. 4 einiger Zeit, modifiziert und mit neuer ästhetischer Referenz Arme eines Kindes herausragen, was wie ein weiblicher Thomas. (Hrg.): Kitsch. Texte und Theorien. Stuttgart. S. 288 – 297. im Mainstream als Unterhaltungs- und Spektakelformate Phallus wirkt. „In der griechischen Mythologie war Baubo, ihr Flusser, Vilém: (20074): Spiele. In: Bollmann, Stefan/Flusser, Edith wieder auftauchen und dank globaler smarter Technologien Name bedeutet Vulva, eine Wirtin, die Demeter in ihrer Trauer (Hrg.): Kommunikologie. Frankfurt am Main. S. 330 – 336. Klonk, Charlotte (2014): Jenseits von Schwarz und Weiss. Rezeptions- zu etwas Neuem und „Größerem“ werden können. um den Tod der Tochter tröstete, indem sie den Rock hob, Hepp, Andreas (2009): Richard Johnson: Kreislauf der Kultur. In: ästhetische Überlegungen zur Unterscheidung von Bild und Kunst. Angesprochen auf die Frage, warum neue Protestformen ihre Vulva zeigte und sie so an ihre Gebärfähigkeit erinnerte“ Hepp, Andreas/ Krotz, Friedrich/ Thomas, Tanja (Hrg.): Schlüssel- In: Texte zur Kunst. Art vs. Image. Nr. 95. Berlin. S. 141 – 156. nicht so erfolgreich wie erwartet sind, meint der Kulturan- (Zeug o. J. : 163). Zeitgenössische TheoretikerInnen sowie werke der Cultural Studies. Wiesbaden, S. 247-256. Lady Bitch Ray (2012): Bitchism. Emanzipation - Intergration - Ma- thropologe Ivalyo Dichtev, dass der globale Markt der Bilder AkteurInnen der „Postporn“-Bewegung konstatieren, dass Hofer, Karin M.: Fluxus, Event, Flasmob und res publica: Beispiel strubation. Bremen. Schuld sei am geringen nachhaltigen Erfolg. Ein Ort imitiere es unter den derzeitigen technologischen und ökonomischen eines Kulturellen Kreislaufs. In: kunsttexte.de, Nr. 4/2012,18 LIVE ART FESTIVAL#7: http://www.kampnagel.de/live-art-festival den anderen in Gesten und Ritualen, ohne jedoch die Inhal- Bedingungen „kein Außerhalb der Pornografie“ mehr geben Seiten: (15.06.2015) te mitzudenken. Diese Proteste seien zu stark an der Form kann. (Diedrichsen/Rottmann/Thomann 2006). Das Pornogra- http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/2012-4/hofer-karin-m.-6/PDF/ Oesterreich, Miriam/Rüthermann, Julia: Körper-Ästhetiken. Alle- orientiert. Es fehle an Führungsfiguren und Programmen, die fische hat sich in den Mainstream eingeschrieben. hofer.pdf(11.01.2015) gorische Verkörperung als ästhetisches Prinzip. Eine Einleitung,

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In: Logemann, Cornelia/Oesterreich, Miriam/Rüthemann, Julia Bildquellen (Hrg.) (2013): Körper-Ästhetiken. Allegorische Verkörperung als Abb. 1 http://www.theomag.de/89/grafik89/am469a.jpg (05.07. ästhetisches Prinzip. Bielefeld. S. 13 – 58. 2015) Rheingold, Howard: Wenn der Mob smart wird. In: Stern 23/2003. Abb. 2 http://www.deutschlandradiokultur.de/media/thumbs/5/5af- Sorgo, Gabriele (1997): Martyrium und Pornographie. Berlin. 614cd68de0c761f0ed4a8c332bf94v1_max_635x357_b3535d- Wittgenstein, Ludwig: Werkausgabe [in 8 Bänden] (1984): Über Ge- b83dc50e27c1bb1392364c95a2.jpg (05.07.2015) wißheit. Werkausgabe Band 8. Bemerkungen über die Farben. Abb. 3 http://www.lady-bitch-ray.com/tx-bl/wp-content/gallery/la- Über Gewißheit. Zettel. Vermischte Bemerkungen. Frankfurt am dy-bitch-ray-mode/lbr-pink_0.jpg (07.01. 2015) Main. Abb. 4 aus: Lady Bitch Ray (2012): Bitchism: S. 245 Zeug, Marietta (o. J. .): Die „phallische“ Frau. In: Rick, Karin (Hrg.): Das Sexuelle, die Frauen und die Kunst. konkursbuch 20. C. Gehrke. S. 159 – 169.

Blinder Fleck und Fiktion: Transdisziplinäre kunstpädagogische Zugänge – Visuelle Bildung, Film, Fiktion, künstlerische Forschung

May, Evelyn; Pazzini, Karl-Josef; Sabisch, Andrea; Zahn, Manuel

Zu Beginn wurde während 16 Minuten schließen. Beim unterlegten Film han- phane. In Aristoteles‘ Wahrnehmungs- eine Videoarbeit gezeigt: über die Lein- delte es sich um einen Ausschnitt, lehre verweist das Diaphane, als das wand flimmerte ein Film, der jedoch zu den Leidensweg Christi, aus Jesus durchsichtig-durchscheinende Medium 90 Prozent durch ein schwarzes Recht- von Nazareth von Franco Zeffirelli (UK/ der sinnlichen Welt, auf Medialität als eck (ein blinder Fleck) abgedeckt war, Italien 1977). Bei längerem Betrach- elementare Fähigkeit, die Form von so, dass lediglich auf einem schmalen ten schiebt sich dann aber auch das etwas annehmen zu können, ohne es Rahmen Teile des Filmgeschehens schwarze Rechteck in den Vordergrund zu sein.“ [http://www.worldcat.org/ sichtbar wurden. und wird zur Projektionsfläche. title/durchscheinende-bild-konturen- Es handelte sich um die Arbeit „Via In anschließenden Kurzvorträgen einer-medialen-phanomenologie/ Dolorosa“ (2002) von Mark Wallinger. wurden die Videoarbeit und die damit oclc/768699772]. Einigen Teilnehmern wurde es zu gemachten visuellen Erfahrungen des Auch die folgenden Referate mach- viel, den „Leidensweg“ zu ertragen, Rezipienten von verschiedenen ande- ten vieles bewusst, was die 16-minüti- und sie verließen den Saal oder gaben ren Bezugswissenschaften beleuchtet ge Erfahrung ausgelöst hat. Der Bezug ihrem Unmut verbal Ausdruck. und diskutiert. zur visuellen Bildung erfolgte laufend, Diejenigen, welche bereit waren, „Behind the frame is ... well, all the an der eigenen Person. sich auf das Artefakt einzulassen, rest“ wird Pierre Alechinsky zitiert im Wenn Sehgewohnheiten außer Kraft tauschten anschließend in Zweierge- Zusammenhang mit der phänomenolo- gesetzt oder umgekehrt werden, kann sprächen ihre Erfahrungen aus. Die gischen Annäherung. Erwähnenswert Neues, Unerwartetes entdeckt werden, Spannung, die durch die Reduktion ist auch auch das Werk von Emmanu- wie heißt es doch so treffend in den des sichtbaren Filmfeldes erzeugt wur- el Alloa, Das durchscheinende Bild. surrealistischen Manifesten: „Il fallut de, war groß. Man versuchte aus den Konturen einer medialen Phänome- que Colomb partît avec des fous pour Bruchstücken zu rekonstruieren, um nologie (Diaphanes, Zürich, 2011). découvrir L’Amerique. Et voyez comme welchen Film es sich handeln könn- „Das Buch zeichnet die Archäologie cette folie a pris corps et duré.“ te, welche Geschichte erzählt wurde: dieses Doppelparadigmas nach, das (André Breton, manifestes du sur- ein Sandalenfilm? Teile eines Kreuzes sich vor den Begriff schiebt, den es réalisme, St. Amand , Cher, 1963) ließen auf eine Passionsgeschichte zu übersetzen beansprucht: das Dia- Hanna Schmid

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Ruth Mateus-Berr, Julia Poscharnig Der blinde Fleck in der (Aus-) Bildung. Biografie, Kunst- und Designpädagogik, Identität, Ausbildung

In diesem Beitrag werden die Ergebnisse des For- Die narrativen Interviews mit AbsolventInnen der Univer- schungsprojektes „Kunst – Leben“ präsentiert, das sität für künstlerische und industrielle Gestaltung, der Uni- anhand von 40 biographischen Interviews – durch- versität Mozarteum Salzburg, der Akademie der bildenden geführt mit Lehrenden an österreichischen höheren Künste Wien und der Universität für angewandte Kunst Wien Schulen – Einflussfaktoren und Lebensereignisse gingen von jeweils einer Impulsfrage aus: „Wie steht Ihr Le- untersucht, die das pädagogische und didaktische benslauf bzw. Ihre Biografie mit Ihrer Berufswahl und Ihrer berufliche Selbstverständnis von Lehrenden in krea- Berufsausübung in Verbindung?“, und wurden durch die Stu- tiven Fächern prägen. dierenden nach Schütze (1987) ausgewertet. Die Publikation fokussiert auf Berufsbiographien als Auf der Ebene der LehrerInnenbildung sollten Studierende bisher wenig beachteter Faktor in der Aus-, Fort- durch die Arbeit mit und an den Interviews möglichst früh und Weiterbildung,wobei ein in dreifacher Hinsicht mit ihrem späteren Arbeitsumfeld vertraut gemacht werden, existierender „blinder Fleck“ in der Analyse der auch um ihren Fokus auf „blinde Flecken” in der eigenen Aus- Interviews aufgearbeitet wird: Die Bedeutung des bildungsbiografie zu lenken und einen Einblick in Lebensläufe Lebenslaufs für die Studienwahl, die Wichtigkeit von Kunst- und DesignpädagogInnen zu erhalten. Eine Selbst- der Reflexion der eigenen (Berufs-)Biographie und reflexion – hier in empirischer Forschung erfahren – lotet eige- der Einfluss von Lebensläufen der Lehrenden auf ne Zugänge und Positionierungen aus, die für eine zukünftige SchülerInnen und Studierende. Da die aktuelle Aus-, LehrerInnenbildung im Bereich der künstlerischen Fächer Fort- und Weiterbildung die Bedeutsamkeit von Leh- unabdingbar sind. So können LehramtsstudentInnen dazu be- rendenbiographien nicht widerspiegelt, soll dieses fähigt werden, die für ihre Professionalität maßgebliche Refle- Werk einen neuen, reflexiven Zugang für zukünftige xivität vor und nach der Handlung als „reflective practioners“ Aus- und Weiterbildungsmodelle aufzeigen und zu erwerben (Schön 1983). Dies scheint umso wichtiger, als bewusstseinsbildende Prozesse bei Lehramtsstudie- Ergebnisse des berufsbiografischen Professionalisierungsan- renden und Lehrenden initiieren. satzes eine vermittelnde Funktion haben: die Entwicklung von Reflexionskompetenzen stellt eine Schlüsselkompetenz von Einleitung entwicklungstheoretisch begründeter LehrerInnenbildung dar. Das Buch Kunst – Leben (Mateus-Berr, Poscharnig 2014) ist Vor allem aber sollten im Zuge des Forschungsprojekts eine Auswahl von 40 aus mehr als 90 narrativen Interviews, Studierende als Co-Autorinnen und -Autoren für Forschung die in den Jahren 2011–2013 von Studierenden der Lehr- interessiert, eingebunden und in ihrer wissenschaftlichen amtsklassen (Bildnerische Erziehung, Technisches Werken, Arbeit motiviert werden, um sie in ihrer Identität als Wissen- Textiles Gestalten) an der Universität für Angewandte Kunst schafterInnen (vgl. dazu Ergebnisse) zu stärken. Wien mit Lehrenden an allgemeinbildenden und berufsbilden- Die vorliegende Studie und die daraus resultierende Pu- den höheren Schulen in Österreich durchgeführt wurden. Die blikation präsentieren ein Konzept für lebenslanges Lernen endgültige Auswahl der zu publizierenden Arbeiten erfolgte und beschreiben die daraus folgenden Bedeutungen für nach Berücksichtigung der Einhaltung der wissenschaftlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung. „Die aktive Unterstützung der Vorgaben und nach Vielfalt der InterviewpartnerInnen (diese Entfaltung einer berufsbiografischen ‚Passung‘ (Reim 1997: mussten, um eine vergleichbare Ausgangssituation zu schaf- 179) erweist sich als zentrale Aufgabe von Kunstdidaktik als fen, ein akademisches Lehramtsstudium absolviert haben), Professionswissenschaft der im kunstpädagogischen Bereich und ist daher exemplarisch zu verstehen. Tätigen“ (Dreyer 2005: 105).

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Forschungen zu LehrerInnenidentitäten zwischen Kunst/ Begriff Didaktische Grafik u.a. für jene sich mit den Themen Design, Wissenschaft und Vermittlung und den daraus resul- der Fachdidaktik beschäftigenden Illustrationen von den He- tierenden Konflikten, und Untersuchungen zu Berufsbiogra- rausgeberinnen eingeführt worden ist und wie folgt definiert fien als Grundlage für Überlegungen zur KunstpädagogInnen- wird: „Mit didaktischer Grafik bezeichnen die Autorinnen die ausbildung gibt es seit Mitte der 1980er Jahren im deutsch- Bedeutung des Verschriftlichens graphein und deren didak- sprachigen Raum (vgl. Mateus-Berr, Poscharnig 2014: 12ff.; tischer Wirkung.“ (Mateus-Berr, Poscharnig 2014: 8f., 18) genannt werden u.a.: Schiementz 1985; Angleitner 1992; Diese Methode kann auch als A/R/T/ographie bezeichnet Krebs 1992; Neumann 1997; Peters 2004;). werden, was eine künstlerisch forschende Methode bezeich- Von besonderer Relevanz für die vorliegende Studie er- net, die sich im Bereich der Kunst und Kunstpädagogik ent- wiesen sich jedoch die im Zeitraum zwischen 1994 bis 1996 wickelt hat (Sullivan 2004), und die sich mit kritischen Frage- durch die kunstpädagogische Zeitschrift Kunst + Unterricht stellungen über Kunst und Schreiben auseinandersetzt (Irwin, durchgeführte Umfrage unter deutschen Kunstlehrenden und de Cosson 2004; Springgay, Irwin & Wilson Kind 2005). -studierenden aller Ausbildungsinstitutionen, die sich auf die Die drei auch bei Thornton (2013) beschriebenen Identitä- Frage der Ausbildung konzentrierte, sowie Publikationen aus ten (artist, researcher, and teacher – a/r/t) finden in rhizomar- neuerer Zeit: Inspiriert wurde das Buch Kunst – Leben durch tigen Grafiken ihre Manifestierung (Irwin et al. 2006). die Arbeit Kunstpädagogische Professionalität und Kunstdi- Für Schütze gibt es Prozessstrukturen, die in allen Le- daktik von Andrea Dreyer (2005) und den Band Kunstpädago- bensläufen anzutreffen sind: In fortschreitender Lebenszeit gik und Biographie von Georg Peez (2009), in welchem 52 kommt es oft zum Wechsel der jeweiligen Gesamtdeutung Kunstlehrerinnen und Kunstlehrer aus ihrem Leben erzählen. der Lebensgeschichte (Schütze 1987: 284). In den bio- Abb.1: ©Dora Bengasi Fritz Seydel (2004) sieht es als essenziell, die Phase der graphischen Interviews und vor allem den anschließenden universitären Ausbildung mit jener der unterrichtlichen Si- Interpretationen geht es darum, die Sinnkonstruktion und tuation zu verbinden, um Lehrende „in ihrem Leben“ (Seydel Handlungen aus der Perspektive der betreffenden Person zu 2004: 373) auszubilden – das heißt, auch an der Reflexion erfassen und wie folgt zu analysieren (Klobuczinski 1999: des Selbstbildes zu arbeiten und diese im Sinne eines le- 8): Fühlte sich die interviewte Person in bestimmten Phasen Ergebnisse falsche Erwartungen an das Studium vorzubeugen und um benslangen Lernens zu begleiten. 2012 schließlich erscheint ihres Lebens als individuelle Mitgestalterin ihres Handelns Wie werden Kunst- und Designidentitäten in der Kunst- und die Zufriedenheit im späteren Lehrberuf zu steigern. Sinnge- ein Artikel von Charlotte Heinritz und Jochen Krautz, der (Handlungsschemata von biografischer Relevanz)? Stellt Designpädagogik gelebt und was sollte in Zukunft im Bereich mäß bedeutet dies aber auch, dass Studierende durch die eine 2010 an vier akademischen Instituten in Deutschland die interviewte Person bestimmte Phasen ihres Lebens als der LehrerInnenbildung_Neu optimiert werden? Wo sind Reflexion von Berufsbiografien erkennen können, dass sie durchgeführte Studie zur Langzeitzufriedenheit von Kunst- gesellschaftlich erwartbaren Lebenslauf dar (institutionelle „blinde Flecken“ in der (Aus-)Bildung festzumachen, allem sich nicht auf ein Identitätskonstrukt einengen müssen – pädagogInnen mit der Frage What Makes Art Teachers Still Ablauf- und Erwartungsmuster)? Fühlte sich die interviewte voran in Hinblick auf eine hybride Identität (Thornton 2013) hier jedoch gilt hauptsächlich die Prioritätensetzung für eine Enjoy Teaching Art? (Heinritz/Krautz 2012) erneut reflektiert. Person in bestimmten Lebensphasen als jemand, der nur auf und ein bewusstes Rollenverständnis? Identität während eines Lebenszeitabschnitts: Für eine an- 2013 schließlich beschäftigt sich Alan Thornton in Artist, Re- ihm fremde und übermächtig erscheinende Rahmenbedin- Durch die vorliegende Publikation konnte festgestellt wer- haltende Zufriedenheit im Lehrberuf ist es wichtig, eine be- searcher, Teacher mit den Identitätskonflikten Kunst versus gungen mühsam reagieren konnte (hier geht es um Brüche den, dass die Interviews, aber auch die darauf aufbauenden wusste Entscheidung für das Lehramtsstudium zu einer Iden- Schule und dem professionellen Verständnis von Identitäten. sowie um das Erlebnis des Scheiterns)? Und schließlich: Didaktischen Grafiken (Abb. 1 und 2) zu einem Überdenken tität als Kunst-/ DesignpädagogIn zu treffen und sich nicht Die vorliegende Publikation soll einen Beitrag leisten, eine Stellt die interviewte Person bestimmte Lebensphasen dar, eigener – oft auf tradierten Stereotypen und nicht reflektier- als gescheiterte KünstlerInnenexistenz zu sehen, zumal das vergleichbare Basis für den österreichischen Raum zu schaf- in denen sie von Veränderungen der Erlebnis- und Hand- ten Hypothesen beruhenden – Konstruktionen des Lehre- Studium an österreichischen Kunstuniversitäten „von Kunst/ fen, um so eine Diskussion über die eingangs erwähnte Rele- lungsmöglichkeiten selbst überrascht war (biografische rInnenbildes führten. Das Interview und die zeichnerischen Design aus“ geleitet und gedacht wird. Ein Festlegen allein vanz von Biografie für die Aus- und Weiterbildung zu eröffnen. Wandlungsprozesse)? Auseinandersetzungen dienten den Studierenden als Kataly- auf die künstlerische Identität bedeutet eine Verweigerung Die kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit sich und an- sator, um zu erkennen, dass je nach Kontext und Situation gegenüber fachdidaktischen und pädagogischen Inhalten, Methode deren bezüglich der professionellen Identifikation erweist sich eine oder mehrere Identitäten (Artist/Researcher/Teacher) die den Studierenden in der späteren Schulpraxis selbst feh- Die Studierenden, die die Interviews für das Buch Kunst- im kunstpädagogischen Diskurs als für die Entwicklung eines im Vordergrund stehen oder schwächer ausgeprägt sein kön- len. Umgekehrt ist es jedoch ebenso grundlegend, sich „von Leben durchführten, befanden sich zwischen dem 1. und 7. „beruflichen Selbstverständnisses“ förderlich (Dreyer 2008: nen, d. h. Rollenbilder, verstanden als oberflächliche soziale Kunst/Design aus“ mit Gestaltungsprozessen zu beschäfti- Semester ihres künstlerischen Lehramtsstudiums. Studen- 11) und führt in der Folge etwa zu einer Langzeitzufrieden- Identifikationen, abhängig von den gesellschaftlichen Erwar- gen, weil sonst wiederum die eigene künstlerische Praxis in tInnen derselben (verpflichtenden) Lehrveranstaltung des heit von Lehrerinnen und Lehrern (Heinritz/Krautz 2012: 37 tungen bestimmter Bezugsgruppen (vgl. Thornton 2013, 21- der Vermittlung fehlt. Das Durchleben aller Identitäten – auch Folgejahres erhielten 40 ausgewählte Interviews mit der Auf- ff.; Dreyer 2005; Seydel 2005). Bildung wird – im Sinne ei- 33) wurde als ein variables, ständig wechselndes Konstrukt einer wissenschaftlichen, was eine kontinuierliche Weiterbil- gabe, diese zu reflektieren und zu illustrieren. So sollte eine nes lebenslangen Lernens (vgl. Einleitung) – als zunehmende mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung erkannt, die jedes dung von bereits Unterrichtenden unterstützen würde, da so auf einer zusätzlichen Metaebene stattfindende Reflexion der Entfaltung von Selbst-, Welt- und Wertereflexion im Prozess Individuum entsprechend persönlicher Prioritätensetzung be- die Beschäftigung mit der jeweiligen state of the art angesto- Biografien initiiert werden. In der Publikation werden diese einer kritischen Anstrengung verstanden (Heinzlmaier 2013: stimmt. Dementsprechend sinnvoll wäre es, zukünftig Refle- ßen wird – scheint von großer Bedeutung. Arbeiten als visuell fortgesetzte Didaktische Grafiken den In- 40; Adorno 1999: 88 ff.) und blinde Flecken werden in der xionsprozesse zur eigenen Berufsidentität an den Beginn der In Österreich selbst muss in den nächsten Jahren ein Be- terviews und Interpretationen gegenüber gestellt, wobei der eigenen (Aus-)bildung identifiziert. Ausbildung zu stellen, auch um Missverständnissen durch wusstsein für kunstvermittelnde, designvermittelnde, fachdi-

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ISSN 1891-6511 (online). Hosted by the Rudolf Steiner Univer- Peters, M. (2004). „Mediale Selbsterfindung. Ästhetisch-biographi- sity College, Norway and by the Alanus University of Arts and sche Arbeit in der Kunstpädagogik“. In: Ästhetik & Kommuni- Social Sciences, Germany. http://www.rosejourn.com/index. kation. Ästhetische Erziehung im Medienzeitalter. Jahrgang 35 php/rose/article/view/94/120 (125), 93–102 Heinzlmaier, B. (2013). Performer, Styler, Egoisten. Über eine Ju- Schiementz, W. (1985). KunstpädagogInnen als künstlerisch Täti- gend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben. Berlin: Archiv ge in ihrer Selbsteinschätzung. Ein Beitrag zur Theorie, Empirie der Jugendkulturen Verlag. KG und Systematik der außerberuflichen künstlerischen Praxis von Irwin, R., L.; Beer, R., Springgay, S.; Grauer, K.; Xiong, G.; Bickel, B. Lehrenden im Fach Kunst an Grund-, Haupt- und Realschulen. (2006). The Rhizomatic Relations of A/r/tography. Studies in Art Frankfurt am Main/Wien (u.a.): Univ., Diss. Education National Art Education Association A Journal of Issues Schön, D.A. (1983). The Reflective Practitioner: How Professionals and Research 2006, 48(1), 70-88 Think in Action. Aldershot: Basic Books Irwin, R. L., & de Cosson, A. (Eds.) (2004). A/r/tography: Rendering Schütze, F. (1983). „Biographieforschung und narratives Interview“. self through arts based living inquiry. Vancouver, BC: Pacific In: Neue Praxis für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik, Educational Press. Heft 3 (3). Neuwied Klobuczinski, C. B. von (1999). Sozialwissenschaftliche Forschungs- Schütze, F. (1987). Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudi- methoden – Das narrative Interview nach Fritz Schütze. Universi- en I. Studienbrief der Fernuniversität Hagen, Fachbereich Erzie- tät/Gesamthochschule Kassel. Norderstedt: GRIN hungs- und Sozialwissenschaften. Krebs, W. (1992). Künstler/innen und Lehrer/innen in einer Person. Sennet, R. (2008). Handwerk. Berlin: Berlin Verlag GmbH Abb.2: ©Julia Poscharnig Eine Bestandsaufnahme. Wien: Univ., Dipl. Seydel, F. (2005). „Biografische Entwürfe. Ästhetische Verfahren in Mateus-Berr, R. & Poscharnig, J. (2014). Kunst – Leben. 40 Biogra- der LehrerInnenbildung“. In: Blohm, Manfred (Hrsg.). Diskussi- phien zu Beruf und Bildung. Wien: nap onsbeiträge zur ästhetischen Bildung, Bd. 6. Köln: Salon Verlag Müller, D. (1999). Kunst in der Schule. Darstellung der aktuellen Situ- Springgay, S., Irwin, R. L., & Wilson Kind, S. (2005). A/r/tography daktische und schulfeldbezogene Praxisforschung entwickelt Aufbauend auf diese Studie sollten Forschungsergebnis- ation der Kunstvermittlung in Österreich am Beispiel Vorarlberger as living inquiry through art and text. Qualitative Inquiry, 11(6), werden, die hier erst am Anfang steht. Es gilt, die Identität se in universitären Fortbildungen und Symposien reflektiert Schulen. Innsbruck: Univ., Dipl. 897-912 der Forscherin, des Forschers bereits früh im Studium zu ent- werden und in Curricula einfließen. So wurde an der Uni- Neumann, I. (1997). Vergleich des Unterrichts von Lehrern und Sullivan, G. (2004). Art practice as research: Inquiry in the visual wickeln. Nicht nur aufgrund der oben bereits angesprochenen versität für angewandte Kunst Wien 2014 ein Bachelor- Künstlern. Wien: Univ., Dipl. arts. Thousand Oaks, CA: Sage Problematik der fehlenden Beschäftigung von bereits Unter- Curriculum verabschiedet, das durch ineinander verschränkte Peez, G. (Hrsg.) (2007). Handbuch Fallforschung in der ästhetischen Taylor, S. & Littleton, K. (2006). ”Biographies in talk: a narrative-dis- richtenden mit aktuellen Tendenzen der Kunst- und Design- Lehrveranstaltungen das Erleben unterschiedlicher Identi- Bildung/Kunstpädagogik: Qualitative Empirie für Studium, Prak- cursive research approach”. In: Qualitative Sociology Review, 2 pädagogik, bzw. der Kunst und des Design im Allgemeinen, täten ermöglicht. Die künstlerische Praxis ist integrativ mit tikum, Referendariat und Unterricht. Baltmannsweiler: Schnei- (1), 22–38. sondern auch, da erlernte Forschungspraxen gut in künstle- der Wissenschaft und der fachdidaktischen Vermittlung im der-Verlag Hohengehren Thornton, A. (2013). Artist, Researcher, Teacher. A Study of Professi- rischen Disziplinen der Artistic Research oder im Design Re- Lehramtscurriculum verbunden, „da die Geschichte Bruch- Peez, G. (2009). Kunstpädagogik und Biographie. 52 Kunstlehrerin- onal Identity in Art And Education. Bristol, Chicago: Intellect Ltd. search eingebracht werden können. Zudem erhält die Her- linien geschaffen [hat], die Praxis und Theorie, Technik und nen und Kunstlehrer erzählen aus ihrem Leben – Professions- ausbildung einer forschenden Identität bei Lehrenden (bzw. Ausdruck, Handwerker und Künstler, Hersteller und Benutzer forschung mittels autobiographisch-narrativer Interviews. Mün- noch Studierenden) durch die Einführung der verpflichtenden voneinander trennen“ (Sennet 2008, 22). chen: kopaed Vorwissenschaftliche Arbeit, betreut von Unterrichtenden des jeweiligen Faches, als Voraussetzung für das Erlangen Literatur des gymnasialen Abschlusses eine neue Dringlichkeit, da ein Adorno, T. W. (1999). Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Ge- eigener forschender Habitus der LehrerInnen gewährleistet, spräche mit Helmut Becker 1959–1969. Frankfurt am Main: junge Menschen kompetent begleiten zu können. Suhrkamp Forschung im kunstvermittelnden Feld ist ein international Angleitner, G. (1992). Tiroler Pädagoginnen und Pädagogen als bil- stark ausgeprägtes Gebiet, das auf eine lange Geschichte dende Künstlerinnen und Künstler. Zur innerpersonalen Span- zurückgreifen kann, und in dem Österreich sich erst verorten nung zwischen Künstlertum und Kunsterziehung als Beruf. Inns- muss. So müssen auch neue Anforderungen an Lehrende von bruck: Univ., Dipl.-Arbeit Kunstuniversitäten gestellt werden; auch KünstlerInnen müs- Dreyer, A. (2005). Kunstpädagogische Professionalität und Kunstdi- sen beschreiben können, was sie tun, und verstehen, dass daktik. Eine qualitativ-empirische Studie im kunstpädagogischen sie durch einen forschenden Zugang, über eine kritische Re- Kontext. München: kopaed flexion ihrer eigenen Arbeit und durch das Nachdenken über Heinritz, C. & Krautz, J. (2012). What makes Art Teachers Still Enjoy Forschungsergebnisse anderer ihre Arbeit mit internationalen Teaching Art? Summary of results from an empirical action re- Forschungsergebnissen zu kontextualisieren vermögen. search training project. Research on Steiner Education (RoSE).

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Peter Angerer, Franziska Pirstinger, Mario Urlass Ein offensichtlich blinder Fleck manifestiert sich darin, dass favorisierte künstlerische Projektarbeit ist dabei mehr als eine Kinder im schneemanndidaktischen Kunstunterricht zu An- Unterrichts- und Lernmethode. Sie ist als ein Bildungsprozess passung genötigt werden, sich am Ende kaum Bildungschan- zu verstehen, der die zunehmend eigenständige Aneignung Der blinde Fleck: Das ist das Kind. cen ergeben, die in Beziehung gesetzt werden können zu Fra- von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, sozialen Kompetenzen gen nach dem Individuum, das in der Auseinandersetzung mit und Handlungsfähigkeit beinhaltet. Es gilt, künstlerisches einer Sache eigene Wege der Gestaltung verfolgt. Besonders Denken und Handeln zu üben in einer Weise, der es nicht um bedenklich stimmt, dass dieser Umstand keineswegs neu ist: den Erwerb handwerklich-technischer Fähigkeiten, formale „In einer Zeit wie der heutigen, wo der ‚Herdentrieb‘, die Mas- Einübung bildnerischer Probleme oder um die bloße Vermitt- Seit mehreren Jahren ver- KunstpädagogInnen sitzen senzüchtung, jede Originalität im Keime zu ersticken droht, lung von Sachwissen geht, sondern die darauf angelegt ist, bindet die Autoren fach- auf den Bänken und neh- muß jedes Mittel erfreuen, das die Eigenart der Persönlichkeit Zustände des persönlichen Ausdrucks, des Transformierens licher Austausch, eine men die informativen, be- zu wahren verspricht.“ (Weber 1907: 222) Aus der Perspekti- von Wissen und Erfahrungen auszuloten. Zusammenarbeit im Rah- rührenden Rückmeldungen ve der Reformpädagogik, ebenso wie aus gegenwärtigen Bil- In der Schule muss Identitätsarbeit geleistet werden, men von Europaprojekten auf – oder auch nicht! dungsansprüchen, sollte sich Kunstunterricht an den Eigenar- die Authentizität und Selbstwirksamkeit der Schülerinnen und eine Freundschaft, die „Ich hab ein kleines Pro- ten, Ressourcen und Bedürfnissen der Lernenden orientieren. und Schüler herausfordert, um sich selbst als produktiv zu Auslöser für das Ausrichten blem“, sagt das Kind. „Darf Dies geschieht vor dem Hintergrund von Subjektorientierung, erleben, um zu Mitgestaltern von Kultur und Gesellschaft zu einer gemeinsamen „Platt- ich kurz…“ Da fehlt nur einem Verständnis von Bildung primär als Selbstbildung, ba- werden. Kunst lehrt wie keine andere Disziplin die Fähigkeit, form“ im Rahmen des Buko noch der passende „ … sierend auf einer Anerkennung der eigenständigen Bildungs- sich in ein persönliches Verhältnis zur Sache zu setzen und 15 war. Ich hab da etwas – wie für wege der Schüler. Diese Bildung ist darauf angelegt, Zustän- dafür Eigenverantwortung zu tragen. Ein Kunstunterricht in dich gemacht!“ „Ich hab ein de der Selbstbestimmtheit, des persönlichen Ausdrucks, des diesem Sinne könnte zugleich zum Ort der Anerkennung und Ein Klassenzimmer der Po- kleines Problem“, sagt das Transformierens von Wissen und Erfahrungen auszuloten. Förderung von und der Teilhabe an Vielfalt werden. (Brenne/ lytechnischen Schule Salzburg ist gänzlich in schwarzes Licht Kind. „Darf ich … ?“ (Janisch 2007) Doch niemand nimmt sich All dies baut auf dem Vermögen zur Selbstorganisation, auf Griebel/Urlaß 2013) Im Zentrum stehen dabei zuallererst die getaucht. Die SchülerInnen sind nicht anwesend, jedoch Zeit, keiner hört zu. Dafür scheint jeder zu wissen, was das dem Vermögen, etwas Eigenes schaffen zu können. Kinder Lernenden, deren „Blindfleckdasein“ sich damit aufhebt. So übermitteln zerknüllte Zettel und schriftliche Statements Kind braucht: Der blinde Fleck der Pädagogik bleibt das Kind. sollen lernen, eigene Entscheidungen treffen zu können, sich wird eine künstlerische Bildung Einübung in Selbsterkenntnis, Botschaften der Kinder an ihre KunstpädagogInnen. (Abb.1) Die Rauminstallation mit Open-Space-Charakter (Abb.2) zu positionieren. Das Können bezieht sich darauf, dass Kinder Selbsterfahrung, Selbstgestaltung. Das Künstlerische wird Betritt man den „blinden Fleck“ begegnet man stereotypen, bietet Anreiz, sich einzumischen, sich auszutauschen, zu dis- im Prozess der Auseinandersetzung mit einer Sache lernen, zum Persönlichen. immer gleichen „Schneemännern“, die als aktuelles Win- kutieren und etwas weiterzuentwickeln. (Was auch fulminant Möglichkeiten zu erschließen, Möglichkeiten zu verwirkli- Für Peter Angerer ist es inzwischen mehr als 25 Jahre her, terthema in deutschen und österreichischen Schulen aller in Anspruch genommen wurde.) chen. Dabei wird zugleich deutlich, dass künstlerische Gestal- als SchülerInnen seiner Kunstgruppen (10 –14 jährige) mit ih- Schultypen und Altersklassen aufgespürt und am Kongress Eine riesige aufgeblasene Schneemannfigur steht in der tung eben nicht nur vordergründig subjektiv ist, sondern das ren unterschiedlichen Vorstellungen, Ideen und Wünschen an präsentiert wurden. Installation symptomatisch für einen Kunstunterricht, wel- Subjekt zwingt, auf die Bedürfnisse der Sache, des Werkes ihn herantraten und nach Realisierungsmöglichkeiten fragten Auf Monitoren laufen Endlosschleifen kunstpädagogischer cher vorrangig dem Zweck formalästhetischer Einübung einzugehen. Gerade dadurch findet die Bildung des Subjekts, und suchten. Für ihn bietet individuelle, künstlerische Projekt- Ergebnisse aus gelungenen oder misslungenen Praxen. Pola- dient, Lebenswelt auf dekorative Teilmomente reduziert und die Bildung des Eigenen im Sinne von Selbstveränderung arbeit die Möglichkeit einer Erweiterung und Vertiefung bereits risierende Beispiele uniformer Schülerarbeiten und individuel- auf stereotype Weise Nivellierung und Gleichmaß befördert. statt. „Schneemanndidaktik“ verhindert das. „Nicht die stets bestehender Interessensfelder durch ästhetisch-künstlerische le Arbeitsergebnisse künstlerischer Projekte aus der Schule. Was bleibt, sind entindividualisierte Bilder als Ergebnis ei- schon bequeme Bestätigung des immer schon Bekannten Zugriffsweisen. „Kinder sind Experten im Weltenmachen und Stille Beobachter bleiben riesige SchülerInnnenselbstpor- nes instrumentalisierten Verständnisses von Bildung, sind ist das Ziel: ‚Ein Schneemann ist ein Schneemann.‘ Sondern dies ist ein kreativer bzw. künstlerischer Akt“ (Brenne 2013: traits (Peter Angerer) an der Rückenwand der Klasseninstal- ihrer Vielfalt beraubte und entmündigte Kinder. Mario Ur- der Bruch, die Irritation des Bekannten, ist der Beginn eines 16) meint Andreas Brenne und verweist damit auf ein ent- lation. laß nennt das Ganze pointiert „Schneemanndidaktik“. Dass selbstreflexiven Lernprozesses in Bezug auf das historisch- scheidendes und zu häufig außer Acht gelassenes Potential. Aus einem Nebenraum ertönt Schülerlärm – Tonspuren Kinder diese Form der Zurichtung durchaus kritisch reflek- gesellschaftliche Ausgangsklischee.“ (Stielow 2009: 195 ff) Angerer schafft für seine SchülerInnen Ateliersituationen aus dem BE-Unterricht. Be- tieren, soll ein Zitat einer Eine künstlerische Bildung, wie sie insbesondere Urlaß mit Laborcharakter und offene Handlungsräume, die künstle- tritt man diesen Raum, be- Drittklässlerin belegen. Sie als fachdidaktisches Paradigma favorisiert, kann in dieser rische Werkstattarbeit ermöglichen. Erfolgreiches Lernen und kommen die SchülerInnen schrieb, gefragt danach, Hinsicht als besonderes Lernprinzip verstanden werden, persönliches Interesse am Lerngegenstand stehen in unmit- ein Gesicht und eine Stim- was sie im Kunstunterricht welches inhaltliche Auseinandersetzung mit einer Persönlich- telbarem Zusammenhang. Der erweiterte Lernbegriff betrifft me. 300 SchülerInneninter- gerne selbst entscheiden keitsbildung verbindet, die Freiheit und Selbstbestimmung die ganze Person und bleibt nicht beim Erwerb abzuhakender views (Franziska Pirstinger) würde: „Es ist doch doof, als demokratische und basale Fähigkeiten für die Gestaltung Fertigkeiten stehen. Gegen ein verkürztes Verständnis von sind ausschnittweise auf wenn alle Kinder immer des eigenen Lebens hält, die Teilhabe als grundlegende Fä- Lernen als Wissenserwerb bzw. den Erwerb irgendwelcher der Großleinwand zu lesen. das Gleiche machen. Ich higkeiten für die eigene Lebensgestaltung begreift. Die- Fertigkeiten wenden sich zahlreiche Autoren und machen da- Hier werden die Rollen um- möchte gern, dass alle se Persönlichkeitsbildung geht einher mit der Suche nach mit auf die Dimension der nachhaltigen Verhaltensänderung gedreht. Die SchülerInnen Kinder mal nicht immer das der Konstruktion der Identität und der Freiheit individuellen durch Erfahrungsprozesse aufmerksam. haben vorne am Lehrerses- Gleiche malen.“ (Melisa, Denkens, Fühlens und Wollens. Die im Gegensatz zu einer „Personen sind empirische Subjekte, mit unterschiedli- sel Platz genommen, die 10 Jahre) standardisierten, schneemanndidaktischen Werkuniformität chen und je unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeiten und

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Kapazitäten ausgestattet, voller physischer, emotionaler, in- In Angerers Konzeption wird von Kompetenzen im Sinne einer Es wird immer wichtiger, was Lehrende im Unterricht bie- Goehler,A., (2006): Verflüssigungen, Wege und Umwege vom Sozi- tellektueller und moralischer Bedürfnisse, zu einem Leben in Einübung in die künstlerischen Sprachen gesprochen. Ohne ten. Aber zudem dürfte speziell im künstlerischen Bereich alstaat zur Kulturgesellschaft, Frankfurt/Main: Campus vielfältigen praktischen Selbstverhältnissen, zur Selbstbean- die Aneignung von Umgangsweisen mit bildkünstlerischen der Persönlichkeitsstruktur des Lehrenden eine herausra- Hüther,G., (2011): Was wir sind und was wir sein könnten, Frankfurt/ spruchung und Selbstverantwortung, zur Selbstbestimmung, Verfahren und ohne Vermittlung und Aneignung von allgemei- gende Rolle zukommen. Obwohl sich mehr als die Hälfte der Main: S. Fischer Selbstverwirklichung und Selbsterweiterung fähig“. (Kersting nem, auch über die Kunst hinausgehendem Bildwissen, blei- SchülerInnen sehr zufrieden mit den Lehrenden und auch mit Janisch, H., Leffler, S.(2007): Ich hab ein kleines Problem, sagte der 2009: 22) Wann Individualismus entsteht, beschreibt Peter ben die eigenen Handlungsoptionen in individuellen Projek- den gestellten Themen äußern, mindern Zeitdruck, Chaos, Bär, Berlin: Betz Sloterdijk im Gespräch mit Carlos Oliveira: „Individualismus ten beschränkt. Künstlerische Bildung ohne eine allgemeine schwierige Aufgabenstellungen, langweilige Anregungen und Kersting,W., (2009): Verteidigung des Liberalismus, Hamburg: Murmann entsteht, wenn Menschen ihre Selbstbeschreibungen selbst Bildkompetenz greift ebenso zu kurz, wie Bildkompetenz ohne Themen, die am Kind vorbeigehen, die Lust am Gestalten. Maset,P., (2012) in Buschkühle,C.P., Hg.: Künstlerische Kunstpäd- verfassen, also wenn sie anfangen, die Autorenrechte an künstlerische Erfahrung. Kreativitätshemmende Faktoren – dazu gehört maßgeblich agogik, Oberhausen: Athena ihren eigenen Geschichten und Meinungen zu reklamieren.“ Wir brauchen einen wesentlich erhöhten Anspruch an den der Faktor, dass Kinder schon sehr bald wissen, wer in der Peschel,F., (2009): Offener Unterricht, Baltmannsweiler: Schneider (Sloterdijk 1996: 12) Gerald Hüther meint schlicht, „statt uns Unterricht, der alle Beteiligten ernst nimmt und sich nicht in Klasse zeichnen kann – blockieren junge Erwachsene häufig, Pirstinger, F.,(2009): Intervention durch Kunstunterricht. Kunstpäd- vom Leben formen zu lassen, könnten wir auch zu Gestaltern irgendwelchen (vom didaktischen Markt bedienten) Beschäf- ihr Potential auszuschöpfen. „Man wächst mit dem Gefühl agogische Möglichkeiten und Strategien für eine Schule der unseres Lebens werden“ ( Hüther 2011: 119). tigungen mit formalen Spielchen erschöpft. Viele Lehrende auf, untalentiert zu sein, weil man nie ein positives Feedback Vielfalt, Graz Der Unterricht als „Raum für die eigenaktive Auseinander- und Studierende spüren das auch und suchen nach Alterna- bekommt“, bringt es eine Studierende auf den Punkt. Wir Pirstinger, F., (2014): Das Steirische Kunstpädagogische Generatio- setzung mit selbstgewählten Inhalten“ (Peschel 2009: 65f) tiven. Diese Suche wird nicht leichter in einer Gesellschaft, KunsterzieherInnen müssen uns tatsächlich die Frage stellen, nengespräch, Graz: Leykam zu verstehen, setzt ein Neu-Denken sowohl für Lernende als die ihren Aggregatzustand von fest auf flüchtig wechselt, wie ob sich unser Unterricht bis dato vornehmlich an den „Talen- Safranski,R., (2003): Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?, auch für Lehrende voraus. Natürlich entwickelt sich solches Gabor Steingart das beschreibt. ‚Das Ende der Normalität‘ ist tierten“ orientiert hat. München, Wien: Hanser Neu-Denken nicht von heute auf morgen. Es braucht Zeit und demnach von einer Inflation der Wirklichkeiten, dem Neben- Kaum ein anderer Lernbereich schwankt in seiner Fachaus- Steingart,G., (2011): Das Ende der Normalität, Nachruf auf unser Geduld. Es erfordert eine veränderte, offene Planungsstruk- einander von falsch und richtig, von der friedlichen Koexistenz richtung, Fachdiskussion und Zielsetzung so sehr zwischen Leben, wie es bisher war, München, Zürich: Piper tur, die dennoch mit großer Genauigkeit und antizipierendem von Widersprüchen gekennzeichnet, in der sich alte Normie- Unsicherheit und Abgehobenheit wie die Kunstpädagogik. Stielow, Reimar (2009): Alle künstlerische Bildung ist Selbstbildung. Denken auf die Gruppensituation abgestimmt ist. Seit vielen rungen der Gesellschaft auflösen (Steingart 2011: 21). Was Ideologische fachdidaktische Diskurse und vielfach als Heils- In: Buschkühle / Kettel / Urlaß: Horizonte. Internationale Kunst- Jahren gibt es in den Kunstgruppen der NMS Frohnleiten Kunstunterricht in diesem Kontext leisten kann, diese Frage versprechen formulierte didaktische Modelle vernachlässi- pädagogik. Oberhausen die Möglichkeit, an selbstgewählten Themen zu arbeiten. ist wohl immer wieder neu zu stellen. „Gewiss, das Indivi- gen das eigentliche Bezugsfeld: Kinder und Jugendliche, die Weber, Ernst (1907): Ästhetik als pädagogische Grundwissenschaft. Eigene Interessen zu erkunden und die Bereitschaft, sie duum ist nichts ohne das Ganze, zu dem es gehört. Aber es Sichtweisen, Meinungen und Erfahrungen der Betroffenen. Leipzig 1907 im Bereich von Schule auch zu thematisieren, verlangt ein gilt auch das Umgekehrte: dieses Ganze gäbe es gar nicht, SchülerInnen sollten im Kunstunterricht zu einem wichtigen hohes Maß an Eigenreflexion einerseits, sowie eine solide wenn es sich nicht in unseren Köpfen, in jedermanns Kopf Korrektiv und erdenden Faktor in der fachdidaktischen For- Kontaktadressen Vertrauensbasis andererseits. In der Selbstbefragung wird spiegelte. Die Welt wird bedeutungsreich oder öde sein, je schung und Entwicklung kunstpädagogischer Praxis werden. Pirstinger Franziska, Kirchliche Pädagogische Hochschule Graz, Lan- manches klarer und die Verbindung zur Arbeit intensiver. nachdem ob das Individuum hell oder stumpf ist. Globalisie- ge Gasse 2, A 8010 Graz. [email protected]; Dieser Findungsprozess kann unterschiedlich lange dauern, rung gestalten, bleibt deshalb eine Aufgabe, die sich nur be- Literatur Peter Angerer, NMS Frohnleiten, KPH Graz. [email protected] er ist aber besonders wichtig, nicht weniger wichtig als wältigen lässt, wenn darüber nicht die andere große Aufgabe Brenne,A., Griebel,C., Urlaß,M., Hg., (2013): Miteinander – Zur Pra- Prof. Mario Urlaß, Fach Kunst, Institut für Kunst, Musik und Medi- die eigentlichen Setzungen, die Sichtbares zeitigen. Offen versäumt wird: das Individuum, sich selbst, zu gestalten“ xis einer partizipatorischen Kunstpädagogik in der Grundschule, en, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Im Neuenheimer Feld meint auch die Möglichkeit, über Zeit frei zu verfügen. Auch (Safranski 2003: Umschlag). München: kopaed 561, D-69120 Heidelberg. www.mario-urlass.de die Methoden bzw. die Wahl der künstlerischen Sprachen/ Der Beitrag Pirstingers basiert auf dem Hintergrund einer Strategien sind frei, wenngleich sie Gegenstand intensiver quantitativen Fragebogenuntersuchung, an der 2.000 Schüle- Gespräche in der Gruppe sind. Als ästhetische Strategien rInnen aller Schultypen in Österreich beteiligt waren. (Pirstin- kommen traditionelle künstlerische Arbeitsweisen genauso ger 2009: 78ff.) Das Fach BE rangiert in der Beliebtheitsskala ins Spiel wie ästhetisch forschende, vorwissenschaftliche recht weit oben. Nur etwa 10% der SchülerInnen können sich und experimentelle. Ein zentraler Teil von Lernen wird jeden- gar nicht für das Bildnerische begeistern. Festzustellen ist je- falls vom Lehrenden (der ja immer auch Lernender ist) an die weils eine große emotionale Beteiligung. Während die Volks- Lernenden weitergegeben. schüler zum überwiegenden Teil sich sehr zufrieden zeigen, Im Sinne einer Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten überwiegt im Maturaalter eine eher ablehnende Haltung. ist es unabdingbar, die Beteiligten mit entsprechenden Kom- Ersichtlich wird, dass die Beliebtheit des Faches mit zuneh- petenzen auszustatten. Ob ästhetisch-künstlerische Bildung mendem Alter stark abnimmt. Der anfängliche Spaß mündet sich allein über normative Kompetenzmodelle, die einer um oft in unüberbrückbaren Frust. sich greifenden Kultur der Kontrolle und Messbarkeit geschul- Die Erkenntnis, dass 10% der Kinder, die zu Hause gerne det sind, beschreiben lässt, sei allerdings bezweifelt. „Das zeichnen und malen, in der Schule im Fach keine Entspre- Ästhetische im künstlerischen Sinn ist aber das genaue Ge- chung finden, veranlasste die Autorin, persönliche Einzelin- genteil von Kontrolle, nämlich die Produktion von Differenz und terviews (siehe Kasten) zu führen. 300 davon wurden bereits die Perforation normierter Einstellungen“ (Maset 2012: 472). ausgewertet.

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Cornelia Wetzel Misserfolg auf fehlende Begabung (internal) zurückführt, weil u erste Erinnerungen an das eigene kunstpraktische Ar- er im Fach Kunst generell nicht gut ist (global) und man daran beiten, Haltung gegenüber dem Kunstlehrer, Funktion/ nichts ändern kann (stabil). Dabei spielt der von Dweck und Bedeutung des Kunstunterrichts für die SchülerInnen, Erlernte Hilflosigkeit im Kunstunterricht Diener in ihrem Motivations-Prozess-Modell berücksichtigte Ausprägung/ Grad der Eigenmotivation, kunstpraktisch zu Qualitative Ursachenforschung zur Entstehung Faktor, ob Schüler ein eigenes Lernziel („Ich möchte Porträt- arbeiten, Umgang mit Kritik an eigenen Arbeiten, zeichnen können.“) oder ein Leistungsziel („Ich möchte eine u Erklärungen und Bedeutung von schlechten und guten von Hilflosigkeit und Entwicklung eines positiven 2 in Kunst.“) verfolgen, eine entscheidende Rolle. Motivierter Leistungen, Kompetenzgefühls in der Kunstpraxis sind Schüler, wenn sie eigene Lernziele statt extern festge- u demotivierende Schlüsselerlebnisse, legte Leistungsziele verfolgen. Dies erfordert jedoch ein dyna- u Diskrepanz von eigenen und fremden Lernzielen sowie Er- (Stand August 2015) misches Selbstkonzept des Schülers, der daran glaubt, durch wartungen an den Unterricht, seine Bemühungen seine Fähigkeiten zu erweitern (Zuwachs- u Umgang mit und Wertschätzung der eigenen Arbeiten. theoretiker). (vgl. Elliot & Dweck 2007: 15ff) Ein Schüler, der Meist stellen SchülerInnen im Alter von 10-13 Jahren ihr Trotz der hohen Relevanz im kunstpädagogischen Bereich der Lageorientierung, Interessen, Haltung zum Kunstun- seine eigene Begabung für nicht erweiterbar hält (Entitäts- Interesse am kunstpraktischen Arbeiten ein. Es zeigt sich, gibt es sowohl in der kunstdidaktischen als auch in der terricht und zu den Kunstlehrern theoretiker), wird keinerlei Anstrengung zeigen, an seiner Lei- dass diese Phase des visuellen Realismus (Widlöcher 1995: psychologischen Forschung keine empirischen Studien zum Die 22 Einzelfälle wurden aufgrund ihres beobachtbaren stung etwas zu verbessern, weil er davon ausgeht, dass dies 55-56) mit der Entstehung erlernter Hilflosigkeit im Zusam- Auftreten von hilflosem Verhalten im Kunstunterricht und Un- Verhaltens im Unterricht und aufgrund der Auswertung der nicht möglich ist. (Stiensmeier-Pelster 1987: 120 ff). menhang steht. In dieser Zeit erlebt sich das Kind zum er- terricht im Allgemeinen (vgl. Broome 1998: 66). Die Frage, Fragebögen aus fünf Parallelklassen so ausgesucht, dass so- Das Begabungskonzept ist eng mit dem Kompetenzemp- sten Mal bewusst hilflos, wenn es durch mangelnde Übung warum Kinder oder Jugendliche zu der Auffassung gelangen, wohl sich auffällig kompetent erlebende als auch sich hilflos finden des Individuums verknüpft und relevant für die Aus- den eigenen Erwartungen nicht entsprechen kann, visuell keine künstlerische Begabung zu besitzen, und so deren erlebende sowie unauffällige SchülerInnen betrachtet werden prägung der Hilflosigkeit (vgl. Broome 1998: 46 ff). Verfügen realistisch zu zeichnen. Der Bildungsplan begünstigt diese kunstpraktische Leistungen im Kunstunterricht oft in Diskre- können. Sie stellen somit eine repräsentative Menge von Fäl- die SchülerInnen über ein flexibles Begabungskonzept und Entwicklung, da perspektivisches und realistisches Zeichnen panz zu den eigenen tatsächlichen kunstpraktischen Fähig- len mit unterschiedlichen kunstpraktischen Erfahrungen bei glauben an die Steigerung und Existenz ihrer Fähigkeiten, ab Klasse 7 gefordert wird. Des Weiteren wird das Bedürfnis keiten stehen, blieb bisher unerörtert. Franz Billmayer zeigt in vier verschiedenen Lehrern der Untersuchungseinheit im Un- empfinden sie sich auch als kompetent, erfolgreich tätig zu nach visuellem Realismus auch durch die leistungsbeurteilen- seinem Aufsatz und der gleichnamigen Schriftensammlung tersuchungszeitraum von fünf Jahren an einem allgemeinbil- werden (vgl. Dweck 1996: 69). In der Praxis zeigt sich, dass de Notengebung begünstigt. Schüler erleben sich als kompe- „schwierige SchülerInnen im Kunstunterricht“ Problemfelder denden Gymnasium dar, die aufgrund der systematischen Vor- der Mythos der künstlerischen Begabung maßgeblich für die tent, wenn sie realistisch zeichnen können. Hilflose Schüler und ansatzweise Erklärungen aus kunstpädagogischer Sicht gehensweise der Inhaltsanalyse von Mayring (2010) und einer Herausbildung hilfloser SchülerInnen verantwortlich ist und hingegen vermeiden dies. Ebenso stellt der visuelle Realis- auf (Billmayer 2013). sorgsamen Kategorienbildung analysiert und in das 8-Felder- fehlendes Interesse und Erfolg mit einem Mangel an Bega- mus eine Insel der Kontrollierbarkeit im sonst so subjektiven Die qualitative empirische domänspezifische Studie leistet Modell eingeordnet wurden. Acht Einzelfälle, die zentrale Cha- bung erklärt werden (Dweck 2009: 205ff). Dweck und Selig- Raum des Kunstunterrichts dar (Wetzel 2015). Die Einstellun- einen Beitrag zur Erforschung der erlernten Hilflosigkeit im raktereigenschaften im höchst möglichen Kontrast zueinander man weisen darauf hin, dass Begabung überbewertet wird gen der Lehrer zum Begabungskonzept, ihre Unterrichtsme- Kunstunterricht und zielt in erster Linie auf deren mögliche aufweisen und folglich für die meisten anderen SchülerInnen und Kinder mit dynamischem Selbstbild erfolgreich sind (Se- thoden, die Art und Weise von Korrektur und Benotung und Entstehungsursachen im Kunstunterricht und in den Schüler- stellvertretend stehen können, wurden wiederum ausgewählt ligman 2008: 221 ff). Diese wissen, dass Leistungen durch die Einstufung von SchülerInnen als begabt bzw. hilflos von biographien ab. Neben der Ursachenforschung zur erlernten und hinsichtlich der Ursachen analysiert. Das zuvor aus der Bemühungen erzielt werden, während Kinder, deren Talent Seiten der Lehrer beeinflussen das Kompetenzerleben der Hilflosigkeit im Kunstunterricht versucht die Studie zu erör- Theorie abgeleitete 8-Felder-Modell konnte mit den inhaltsa- gelobt wird, bald ihre Leistungen einstellen (Dweck 2009: 87 SchülerInnen (Elliot & Dweck 2007: 307 ff). tern, wie Kunstunterricht gestaltet werden kann, damit Schü- nalytischen Ergebnissen bestätigt und ergänzt werden. ff). Internale Begabungsattribution bewirkt ein Absinken des SchülerInnen, die Misserfolg im Kunstunterricht mit feh- ler im Fach Kunst ein Kompetenzgefühl, welches Grundvor- Das ursprünglich von Seligman (1975) entdeckte psycho- Selbstwertes sowie der Motivation. Externale Attributionen lendem künstlerischem Talent attribuieren, leiden unter einer aussetzung für intrinsisch motiviertes Lernen ist, entwickeln logische Phänomen der erlernten Hilflosigkeit und dessen in Bezug auf die Begabung steigern hingegen das Selbstwert- globalen oder spezifischen Hilflosigkeit und weisen schlechte können. Erweiterung durch ihn und andere (Abramson 1978, Kuhl gefühl (vgl. Broome 1998: 36). Leistungen und fehlendes Interesse am Kunstunterricht auf. Die qualitative Studie basiert auf den folgenden Methoden 1984, Dweck & Legget 1988) bieten Erklärungsansätze für Als Kunstpädagogen sind wir tagtäglich mit verschiedenen Sie haben kein Vertrauen in ihre kunstpraktischen Fähigkeiten der Datenerhebung: das begabungsdiskrepante Verhalten von SchülerInnen im Auswirkungen und Schweregraden erlernter Hilflosigkeit kon- und ein mangelndes Kompetenzgefühl. u Leitfaden gestützte themenzentrierte Interviews mit 22 Kunstunterricht. „Hilflosigkeit ist der psychologische Zustand, frontiert. SchülerInnen, die in Naturwissenschaften begabt Spezifische externale Hilflosigkeit wird am häufigsten mit SchülerInnen aus fünf Klassen eines Jahrgangs eines der häufig hervorgerufen wird, wenn Ereignisse unkontrollier- sein können, handeln im Kunstunterricht wie verhaltensauf- dem Geschmack und den Vorlieben der Lehrer begründet und Gymnasiums in Baden Württemberg bar sind. ... ein Ereignis ist unkontrollierbar, wenn wir nichts fällige Kinder. Sie schwatzen, arbeiten langsam oder gar nicht ist variabel und damit weniger leistungsbeeinträchtigend. u Kurzporträts und Leitfaden gestützte themenzentrierte In- daran ändern können, wenn nichts von dem, was wir tun, und liefern Ergebnisse ab, die weit unter dem Niveau ihrer Jungen und Mädchen zeigen auch im Kunstunterricht leicht terviews mit den einzelnen Kunstlehrern zu Aspekten des etwas bewirkt.“ (Seligman 1999: 8) Die Erwartung von Un- Altersstufe liegen. unterschiedliche Ausprägungen von hilflosem Verhalten (vgl. Unterrichts und zum Umgang mit SchülerInnen kontrollierbarkeit hat wiederum Reaktionen wie Passivität In den Interviews zeigen sich einige Faktoren, die für die Broome 1998: 104 ff): Jungen zeigen eher totales Desinter- u Unterrichtsbeobachtungen und Protokolle zu Unterrichts- und Schwierigkeiten zu lernen zur Folge. (vgl. Meyer 2000: Ausbildung von kompetentem (bewältigungsorientiertem) esse und erledigen die gestellten Aufgaben kaum oder gar methoden der Lehrer sowie Lehrer- und Schüler-Verhalten 30) Bis heute gibt es keine allgemein anerkannte Theorie zur bzw. hilflosem Verhalten von Relevanz scheinen. Dazu gehören: nicht. Sie werten das Fach Kunst als wenig sinnvoll ab, spie- hinsichtlich der Fragestellung erlernten Hilflosigkeit. (vgl. Meyer 2000: 30) Entscheidend u Frühförderung im Kindergarten und der Grundschule, För- len sich als Klassenclown auf und diskutieren mit dem Lehrer. u qualitative Fragebögen von 139 SchülerInnen zu zwei ver- für die Herausbildung von einem Gefühl der Hilflosigkeit ist derung durch die Eltern, eigenes Begabungskonzept und Mädchen zeigen eher Hoffnungslosigkeit, bemühen sich aber schiedenen Untersuchungszeitpunkten zur Feststellung beispielsweise, wenn ein Schüler im Kunstunterricht seinen dessen Abhängigkeit von Noten, dennoch, eine Leistung zu erbringen. Mädchen, die gar kein

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Interesse am Kunstunterricht zeigen oder ihn als Unsinn ab- wollte und dann hatte ich keine Lust mehr.“ Dieser Schülerty- Schüler für hoffnungslos und untalentiert, dann internalisiert tenzorientierung erfolgreich sein wird, denn ein erfolgreicher werten, sind seltener. SchülerInnen (Zuwachstheoretiker) mit pus sprüht scheinbar vor Ideen, verhält sich geschäftig, doch der Schüler die Haltung des Experten, wodurch sie zum Teil Kompetenzerwerb beginnt mit einem positiven Kompetenz- einem Kompetenzgefühl glauben an ihren Erfolg und besitzen kann seine Ideen nie befriedigend umsetzen und hört bei der seines Selbstkonzepts wird (Pygmalion-Effekt). Die Art und gefühl. Das neue Unterrichtskonzept muss die Entstehung auch den Mut, Neues auszuprobieren. SchülerInnen, die sich ersten Herausforderung demotiviert auf. Das widersprüchli- Weise von Lob oder Kritik hat ebenfalls Einfluss auf die Lei- eines Kompetenzgefühls fördern und könnte ideentheoretisch hilflos fühlen und Entitätstheoretiker sind, zweifeln an der Er- che Verhalten beruht auf einer Vermeidung von Hilflosigkeit stungen, ebenso fehlende Wertschätzung von Bemühen und auf der kritisch konstruktiven Didaktik beruhen (Reich 2003). weiterbarkeit ihrer Fähigkeiten, an sich und an ihrem Können. und hat zahlreiche Ursachen. Anstrengung „In der Kunst zählt eben nicht, wie sehr man sich Sie haben Angst, Aufgaben zu lösen oder Neues auszupro- 6. Der erfolgreiche Musterschüler – ist unbegabt, moti- bemüht hat, das Ergebnis muss halt auch stimmen.“ demoti- Literatur bieren, und beginnen nur zögerlich (Dweck & Legget 1988). viert und verhält und fühlt sich kompetent. „Wenn ich mich viert SchülerInnen und so wird ihnen die Möglichkeit genom- Abramson, L. Y., Seligman, M. E. P. &Teasdale, j. D. (1978). Learned Aufgrund des Zusammenhangs von Hilflosigkeits- und Kom- anstrenge, kommt meistens etwas sehr Gutes dabei heraus.“ men, durch weitere Bemühungen irgendwann auch das „bes- Helplessness in humans: Critique and reformulation. Journal of petenzgefühl sowie Begabung und Leistungsmotivation las- Dieser Schülertypus entspricht dem Ideal der pädagogischen sere“ Ergebnis zu erzielen. Zu eng angelegte Aufgaben de- Abnormal Psychology. sen sich im Kunstunterricht acht SchülerInnentypen ableiten Förderung. Er entfaltet sein Potential und ist in der Lage durch motivieren begabte Schüler („Ich wollte den Hintergrund halt Billmayer, F. (2013). Schwierige SchülerInnen im Kunstunterricht. und in Interviews bestätigen. Es gibt vier „hilflose“ und vier Anstrengung und Befolgen von Hinweisen auch ohne Talent mit Seesternen bemalen und nicht einfach nur tupfen, durfte Erfahrungen, Analysen, Empfehlungen. Flensburg „kompetente“ Typen (Arbeitsfassung Stand August 2015): relativ gute Ergebnisse hervorzubringen, so dass es am Ende aber nicht.“) (Wetzel, 2015) Für sich hilflos fühlende Schüler Broome, P. (1997). Implizite Begabungstheorien und erlernte Hilflo- 1. Der resignierte Hilflose – ist unbegabt, unmotiviert und keine Rolle mehr spielt, ob dieses tatsächlich vorhanden ist. sind enge Anleitungen und viele Bildbeispiele jedoch wichtige sigkeit: Frankfurt. verhält und fühlt sich hilflos. „Es bringt doch eh nichts, Kunst Wie dieses erfolgsorientierte Verhalten, gepaart mit einem Hilfen, um Erfolge erleben und das Kompetenzgefühl steigern Dweck, C. S. & Legget, E. L. (1988). A social-cognitive approach to ist reine Zeitverschwendung, wenigstens kann man schwatzen Kompetenzgefühl, gefördert werden kann, ist eines der Ziele zu können. („Ich finde Aufgaben, wo man machen kann, was motivation and personality. Psychological Review und Kaugummi kauen.“ Dieser Typus ist der Extremfall der Hilf- der Untersuchung. man will, doof. Da bekomm ich nie was hin.“) (Wetzel, 2015) Dweck, C. S. (1996). Implicit theories as organizers of goals and losigkeit, er hat resigniert und glaubt weder an Erfolg, noch ver- 7. Der faule Künstler – ist unmotiviert, begabt und verhält Der Geniestatus von Künstlern wird aufrecht erhalten: Schü- behaviour. In P. M. Gollwitzer & J. A. Bargh (Eds.), The psycholo- sucht er, Misserfolg zu vermeiden. Dieser Typ ist einer der we- sich kompetent, wenn er kunstpraktisch arbeitet, hat nur aus ler erhalten nie Einblicke in die Anfänge von Künstlerkarrieren. gy of action: Linking cogintion and motivation to behaviour (pp. nigen, der Kunstunterricht nicht mag, den Unterricht stört, sich verschiedenen Gründen keine Lust. „Wenn mich die Aufgabe Die handlungspädagogische Frage, welche Form von 69-90) New York verweigert und meist auch schlecht gelaunt oder apathisch ist. interessiert, bin ich voll motiviert, ansonsten gibt es gerade Unterricht und Lehrerverhalten das Kompetenzgefühl der Dweck, C. S. (2009). Selbstbild. Wie unser Denken Erfolge und Nie- Er wird oft als „schwieriger“ Schüler bezeichnet. Wichtigeres in meinem Leben.“ Dieser Schüler hört aus ver- SchülerInnen fördert und das Entstehen von Hilflosigkeit ver- derlagen bewirkt. München 2. Der unsichere Beständige – ist unbegabt, dennoch mo- schiedenen Gründen auf, kunstpraktisch zu arbeiten und sein hindert, kann durch richtungsweisende Parameter und ein Elliot, A. J., Dweck, C. S. (2007). Handbook of competence and mo- tiviert und verhält und fühlt sich hilflos. „Ich frag ganz viel Potential zu fördern. Er versagt auch oft in Prüfungssituatio- verstärktes Bewusstsein für Probleme des Kunstunterrichts tivation. New York, London und lass mir alles zeigen, damit ich keine 4 bekomme.“ Dieser nen. Dies sind die talentierten Schüler, die irgendwann sogar beantwortet werden. Exemplarisch wird hier das Problemfeld Fauser, P., Heller, F., Waldenburger , U. (2015). Verständnisintensi- Schüler bemüht sich trotz gefühlter Hilflosigkeit, die z.B. auf vom Musterschüler ohne echte Begabung eingeholt werden. Bewertung und Benotung aufgezeigt. Die SchülerInnen fühlen ves Lernen: Theorie, Erfahrungen, Training. Seelze fehlenden Fertigkeiten/ Wissen beruhen. Er versucht oft, Mis- 8. Der fleißige Künstler – ist motiviert, begabt und verhält sich zwar meist fair benotet, unterstellen dem Lehrer jedoch Kuhl, J. (1984). Volitional aspects of achievement and learned help- serfolge zu vermeiden und nicht negativ aufzufallen. Aus dem und fühlt sich kompetent. „Ich kann es auf jeden Fall noch eine gewisse Subjektivität in der Bewertung von kunstprakti- lessness: Toward a comprehensive theory of action control. In Schüler kann sich mit genügenden Erfolgserlebnissen aber besser. Ich mache gerade einen Kurs/ bring mir gerade das schen Arbeiten. Dadurch kann ein positives Kompetenzgefühl B. A. Maehr (Ed.), Progress in the experimental personality re- Typ 6 in schwächerer Ausprägung entwickeln. Porträtzeichnen bei.“ Diese Schüler haben Talent, fördern und bei SchülerInnen zerstört werden, allein weil Erfolg unkon- search (Vol.13). New York 3. Das blockierte Talent – ist begabt, unmotiviert und fühlt fordern sich selbst, setzen sich selbst Lernziele und arbeiten trollierbar scheint. Aus Forschung und Praxis ergeben sich Mayring, P. (2010). Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Tech- und verhält sich hilflos. „Am Ende versaue ich es doch eh wie- auch unter widrigen Umständen weiter. Sie lassen sich auch folgende Richtlinien für den wertenden Umgang mit Schüle- niken, Weinheim und Basel der und es sieht blöd aus. Nein ich kann das nicht!“ Obwohl von negativer Kritik nicht beeindrucken. Das sind die Selbst- rInnenarbeiten (Broome 1998: 157 ff): Meyer, Wulf-Uwe (2000). Gelernte Hilflosigkeit: Grundlagen und An- der Schüler Talent hätte, ist er so davon überzeugt, keine Fä- läufer im Unterricht, die sich allerdings langweilen, wenn es u individuelle Lernzielorientierung statt globaler Leistungs- wendungen in Schule und Unterricht. Hans Huber higkeiten zu besitzen, dass er unmotiviert arbeitet, so Erfolge zu einfach ist und zu wenig Freiheit gibt. orientierung Reich, K. ( 2003). Muss ein Kunstdidaktiker Künstler sein? Konstruk- sabotiert und sein negatives Selbstkonzept bestätigt. Insgesamt kann festgestellt werden, dass SchülerInnen, u Selbstbewertung und Evaluation anstatt alleiniger Fremd- tivistische Überlegungen zur Kunstdidaktik. In: Buschkühle, C.-P. 4. Der unsichere Künstler – ist begabt, motiviert, verhält die sich für künstlerisch unbegabt halten, tendenziell eher bewertung (Hg.): Perspektiven künstlerischer Bildung. Köln sich wechselnd hilflos/ kompetent, fühlt sich aber eher un- hilfloses Verhalten und schlechte Leistungen im Kunstunter- u künstlerisches Tagebuch zum Erlernen von Planen und Be- Seligman, M. E. P. (1975). Helplessness. On depression, develop- sicher oder sogar hilflos. „Ja ich weiß nicht, ob es gut ist, richt zeigen (Dweck & Legget 1988). Die Ursachen für diese werten ment, and death. San Fransico den anderen gefällt es glaub ich. Ja, doch mir hat es Spaß Überzeugung führen SchülerInnen auf Noten oder Erlebnisse u Fremdbewertung als qualitatives Gruppenfeedback und Seligman, M. E. P. (2006). Learned Optimism. New York: Knopf. gemacht, doch ich hätte dies und jenes noch besser machen mit anderen Lehrern oder Eltern zurück: „Meine Mama kann verbale Wertschätzung von Unterschieden und Beson- Seligman, M. E. P. (2008). Der Glücksfaktor. Warum Optimisten län- können.“ Der Schüler schöpft kein Selbstwertgefühl aus auch nicht malen“ oder „meine Lehrerin sagte, ich habe kein derheiten der Schülerarbeiten statt Kritik anhand von ger leben. Bergisch Gladbach seinen Leistungen, weil mangelndes Selbstbewusstsein ihn Talent“ oder „ich konnte machen, was ich wollte, ich habe Kriterien, die Konformität der Arbeiten erfordern, um eine Seligman, M. E. P. (1999) (3.Auflage). Erlernte Hilflosigkeit. Wein- daran hindert, sich als kompetent zu erleben. Er zeigt eher ein immer nur eine 4 bekommen“. Spezifische internale Hilflo- Benotung zu rechtfertigen heim und Basel unsicheres, hilfloses Verhalten oder verhält sich unauffällig. sigkeit wird durch fehlendes Talent oder Expertenmeinungen u Bewertung von erreichten Lernzielen statt kurzfristigen Wetzel, C. (2015) Erlernte Hilflosigkeit im Kunstunterricht. Qualitati- 5. Der hilflose Pseudokompetente – ist unbegabt, eher un- begründet und ist damit eher stabil. Lehrerhaltungen können Leistungszielen sowie Maßstäbe von Lehrern und Schü- ve Ursachenforschung zur Entstehung von Hilflosigkeit und eines motiviert und verhält sich kompetent, fühlt sich aber im Grun- erlernte Hilflosigkeit provozieren (Elliot & Dweck 2007: 308 lern relativieren und transparent machen. positiven Kompetenzgefühls in der Kunstpraxis (in Arbeit). de hilflos. „Eigentlich kann ich das gut und ich hatte auch eine ff). Es spielt beispielsweise eine Rolle, ob der Kunstlehrer Studien zeigen (Dweck 2009: 70 ff), dass die Schule erlernte Widlöcher, D. (1984). Was eine Kinderzeichnung verrät. Methode super Idee, aber irgendwie hat es nicht so geklappt, wie ich selbst Zuwachs- oder Entitätstheoretiker ist. Hält er seinen Hilflosigkeit selbst erzeugt, und es fraglich ist, ob die Kompe- und Beispiele psychoanalytischer Deutung. Frankfurt am Main

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Ruth Kunz Diese ersten auf die Gesprächswirklichkeit und auf die Abb. 1 bildnerische Performanz sich beziehenden Erkenntnisse neh- 1 In der Sektion men wir zum Anlass, aus fachdidaktischer Perspektive zu „Fachdidaktische Ent- Forschen und Lernen in der Berufspraxis fragen, ob – und wenn ja wie – das Gesprochen-Gehörte wicklungsforschung“ (Hausendorf 2007: 223) in fortgesetzter Arbeit weiterwirkt. stellte Maria Peters, Dazu müssen wir Dialog und Zeichenprozess aufeinander 4 Helena Schmidt: Das Universität Bremen, beziehen. Triangulation, wie das im Jargon der qualitativen Wort Miniatur kommt dem hier verhan- Forschung heisst, ist ein Verfahren, das aus der Landvermes- aus dem Italienischen. delten Modell einen Wie kann es in der Ausbildung von Kunstpädago- teraktionsgeschehen: Wie antworten die Gesprächspartner/ sung kommt: um einen Ort in der Landschaft zu bestimmen, Miniatura ist die Kunst, Beitrag an die Seite, ginnen und Kunstpädagogen gelingen, nicht nur innen auf den je anderen, fremden Anspruch: die Lehrerin auf wird er von mindestens zwei Punkten aus betrachtet und mit Zinnober zu malen der eine Vorstellung über Kunst, zu Kunst und durch Kunst zu forschen, das, was sich in der Arbeit der Schülerin zeigt oder zu zeigen anvisiert. Forschend entwerfen wir uns jedoch weniger auf Es geht darum, ein davon entwarf, wie sondern eine Aufmerksamkeit dafür zu entwickeln, beginnt? Und die Schülerin – als Bildautorin – auf das, was zu Orte, denn Momente hin: nämlich auf jenen kontingenten Au- welcher Weise es den gestalterischenProzess beeinflusst, kleines Bild zu zeich- der methodologische was sich im Kontext von bildnerischen Lehr-Lernpro- ihrer Zeichnung verbal geäussert wird? genblick, wo sich im Zeichenprozess eine Idee transformiert, fördert oder hemmt –, schaffen sie eine Dichte Beschreibung nen, welches einen 1 Ansatz Design-Based zessen ereignet? Mit Audiogerät und Kamera ausgestattet zeichnen die Stu- eine Intention verändert und sichtbar wird. Indem die Studie- – ein Gewebe aus Beschreiben, Verstehen, Deuten6. Anhand grösseren Zusammen- Research (van den dierenden auf, wie Lehrende und Lernende sich über Perzepte renden in unterschiedlichen dialogischen Situationen fragen, ausgewählter Gesprächssequenzen geben zwei Studierende hang unterstreicht Akker 2006) in der Verknüpfung von Lehre und Forschung (Otto 1987) und Bildideen verständigen. Gelingt es der Lehr- wie das Gesprochene sich im Gezeichnetenmanifestiert – in Einblick in diesen Prozess des Verdichtens. – wie zum Beispiel in letzten Phase des Das an der Hochschule der Künste Bern/der Pädagogischen person, das Zusammenspiel von Linien und Formen seman- der Buchmalerei. Wir Masterstudiums zu Hochschule Bern2 entwickelte Modell zeigt, wie Studierende tisch zu deuten und im Vorhandenen den Entstehungsprozess haben es in dieser Ar- einer Verschränkung im Rahmen des bestehenden Curriculums in den fachdidak- zu imaginieren? Fallstudie 1 sich am bereits fragmentarisch Ge- leere Stelle entsteht. Sie bildet ein beit mit einer Miniatur von Forschung und tischen Forschungskontext eingebunden werden3 und wie sie Aus Erfahrung wissen wir, dass Verstehen sich nicht in der Eliane Hürlimann zeichneten: Die Modellfigur verkörpert Medaillon, das zur einen Hälfte durch zu tun – mit akribisch Unterrichtsentwick- lernen, das Vermittlungsgeschehen mit der gleichen Erfah- Rezeption des visuell Vorhandenen erschöpft; Einbildungs- Was für Szenen entwerfen die Ju- die Realität – den Traum dagegen den Torbogen und zur anderen durch kleinen Strichen wird lung führen kann. rungsoffenheit und Intensität zu befragen, wie dies in der ei- kraft und Erinnerungsvermögen, Gesehenes und Ausstehen- gendlichen einer Abschlussklasse sieht die Lehrperson in den vagen ein gespiegeltes Äquivalent geformt versucht, eine zierliche 2 Im Kanton Bern wird genen künstlerischen Arbeit geschieht. Dabei ermöglicht die des wirken als in der Sprache sich Vergegenwärtigendes am Gymnasium zur Aufgabe «xxx Andeutungen auf der linken Seite. In- wird. Die Lehrperson sieht die archi- Malerei zu erstellen. die Lehrbefähigung angestrebte Durchlässigkeit eine Form der Praxisforschung, ineinander. Auf welche «Bilder» – materialisierte oder mental träumt...»? Um den Schülerinnen und dem sie eine mögliche Lesart entwirft, tekturhistorische Diskrepanz: 5 Referenz für die mit auf Gymnasialstufe die theoretische und pädagogische Perspektiven miteinander präsente – rekurrieren die Lehrerinnen im Gespräch? Und: Schülern den Einstieg zu erleichtern – bestätigt sie zwar das Vorhandene – #00:06:07-7# L: Jetzt git das da den Studierenden in einer Kooperation verknüpft: Forschung wird „zum Ort der Synthese von oft als Wie nimmt der/die Schüler/in das Gesagte auf? ihnen nicht zu nahe zu treten mit dem gleichzeitig blitzt in ihrer Interpretation so wie ne historische (--) Ungerschied, bearbeitete Fragestel- zwischen HKB und isoliert und voneinander getrennt wahrgenommenen Lernbe- verfänglichen «ich träume» – stellt die eine bestimmte Bildvorstellung auf. ds isch doch e e (--) e Burg. lung ist die im Projekt PHBern erlangt. Nähe- reichen“ (Erni/Schürch 2013). Auswertungsmethoden Lehrerin ihnen eine Modellfigur als Die Abfolge von Arbeitszuständen Sie versucht zu verstehen, welche Zeichnen – Reden res zu diesem Modell Die Verbindung von fachdidaktischen Fragen und beruf- Um diesen Fragen angemessen zu begegnen, orientieren wir Imaginationsimpuls zur Verfügung. Sie zeigt, wie die Schülerin die symbo- Bedeutung den beiden Gebäudetypen unberücksichtigt siehe: http://www. spraktischen Beobachtungen – die Gleichzeitigkeit von For- uns an sozialwissenschaftlichen und bildwissenschaftlichen soll die Fantasie beflügeln und zugleich lische Deutung des Bildaufbaus als – Hochhaus und Burg – im Bild zu- gebliebene Frage nach hkb.bfh.ch/de/studi- schen lernen und forschend Lernen – bedeutet für Studieren- Methoden. Bezogen auf das sprachliche Datenmaterial prak- Anhalt für einen möglichen figürlichen Spannung zwischen einer farbigen, kommt: dem sprachlichen um/master/maartedu/; de eine Herausforderung. Um den doppelten Anspruch zu be- tizieren wir eine Verschränkung von Inhaltsanalyse (Mayring Bezug sein. dem Traum zugedachten Seite und #00:07:16-6# L: Me chönts iz ou, Austausch im Kontext https://www.phbern. wältigen, gehen wir von einer gemeinsamen Forschungsfra- 2005) und Interaktionsanalyse (Krummheuer 1999), denn im Welche Bedeutung bekommt dieser einer hell-dunkel dargestellten Realität wemer iz so uf (-) ghöre was der ver- imaginativer oder ch/studiengaenge/ ge und einem geteilten Methodenrepertoire aus. Konzipiert Blick auf das, was die Redenden eint (die Zeichnung), sind kleine methodische Entscheid in der übernimmt. Aus dem anfänglichen Ra- zeued chönt mer vilech när ou inter- fiktionaler Zeichenpro- s2.html als Ausschnitte eines komplexeren Gefüges – der Begleitung Was und Wie untrennbar verbunden. Um aber die jeweilige Arbeit der beobachteten Schülerin? stergebilde entwickelt sie ein nächt- pretiere das er so chli z Konservative, zesse. 3 Den Rahmen für künstlerisch-gestalterischer Prozesse – fokussieren die For- Akzentuierung des Gesprochenen und die unterschiedlichen Mit Bleistift setzt sie zu Beginn die lich erleuchtetes Hochhaus, worin die oder, wüu das isch z Moderne. 6 Dichte Beschreibung, die Forschungsmi- schungsminiaturen4 auf ein bisher kaum beachtetes Moment: Gesprächspraktiken deutlicher herauszuarbeiten, entmischen Umrisslinien der Figur präzise aufs Figuren als Schatten und Schemen #00:07:18-3# S: Aha. Ja. wie sie die Ethnografie niaturen bildet die das Zusammenspiel von Sprachgeschehen und visueller Vor- wir das Was und Wie vorübergehend. Mit Hilfe des inhalts- Blatt. Auf der linken Seite deutet sie erscheinen. Anschliessend zeichnet #00:07:23-2# L: Weiss nid ob ds versteht, ist «keine Hospitationsphase stellungsbildung5. analytischen Zugangs arbeiten wir die zentralen Themen eine Rastereinteilung an. Die kurze sie in der oberen Bildhälfte über der de Teil isch vo eurer Idee. experimentelle Wissen- im Fachpraktikum. Welche Bedeutung kommt dem Arbeitsgespräch zwischen im Gespräch heraus, mit Hilfe der interaktionsanalytischen Zeit später hinzutretende Lehrperson Figur eine Mauer mit einem Tor und #00:07:30-7# S: Eigentlich nicht, schaft, die nach Ge- Die vorliegenden Lehrperson und Schüler/in zu? Methodik die in der wechselseitigen Bezugnahme zwischen spricht Mundart, die Schülerin Hoch- einem angrenzenden Turm. Das Dach aber passt eigentlich relativ gut, find setzen sucht, sondern Arbeiten fungieren als Wie wird über noch Ausstehendes, Nicht-Materialisiertes Lehrperson und Schüler/in erkennbaren Turns – die Wende- deutsch: des Turmes ist rot, der Rest der Anla- ich. eine interpretierende, Leistungsnachweis gesprochen? Welchen Raum des Hörens und Verstehens er- punkte im Gespräch. Ergänzt wird die Erhebung und Auswer- #00:04:14-6# L: Ah, denn heit dir ge grau. Ein flächiger, wässriger Ver- Mit dem Gegensatz von konservativ die nach Bedeutungen Fachdidaktik 1 der öffnet der Dialog? tung der Dialoge mit einer kontinuierlichen Dokumentation wie ne Gägesatz zwüschem Troum lauf – ein Streifen von blau-grau, der und modern beruft sich die Lehrerin sucht. Mir geht es um PHBern. des zeichnerischen Prozesses. Darin werden nicht nur die und är wo mit Bleistift isch. sich langsam von links nach rechts auf ihr schon bekannte Bilder oder Erläuterungen, um das Forschungssetting Entscheidungen des Schülers/der Schülerin kenntlich – an- Offensichtlich wird, dass die Lehr- zieht – verbindet die ungleichen archi- Motive. Sie versucht, daraus eine Deuten von Ausdrucks- Basierend auf einer von der Praxislehrperson konzipierten Auf- hand der getakteten Aufnahmen lässt sich mitvollziehen, wie person in Gegensätzen von Traum und tektonischen Elemente. Auffällig ist, mögliche Erzählung zu gewinnen. Die- formen, die zunächst gabe, die imaginative oder fiktive Elemente ins Spiel bringt, bildinhaltliche und bildstrukturale Lösungen sich allmählich Realität denkt. Ihr Sprechen orientiert dass um die Modellfigur herum eine se Kontrastierung ist uns bekannt aus rätselhaft erscheinen» entwickeln die Studierenden eine Aufmerksamkeit für das In- entwickeln (Abb.1). (Geertz 1987:9).

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Abb. 2 Abb. 3 – 5 ein Vorlagenblatt, in dem die Panels bis staltung auswirkt und wie ausschlag- auf die Sprechblasen leer sind (Abb.2). gebend das frühe Eingreifen hier ist. Es Welche Szenarien lassen die Texte vor ermöglicht dem Schüler, die Frage der dem „innern Auge“ entstehen? Leserichtung neu zu denken und den Der von mir beobachtete Schüler Comic richtig anzulegen. zeichnet zunächst nicht am Vorlagen- Unvermittelt ruft der Schüler zu Be- blatt, sondern auf einem karierten Pa- ginn der zweiten Lektion die Lehrper- pier aus einem Notizenblock (Abb.3). son zu sich und fragt, ob er die fertig Die Lehrerin fordert ihn auf, doch direkt gezeichneten Panels schon auf dem im blinden Comic weiterzuarbeiten. Sie Lichtpult auf ein neues, leeres Comic- begründet dies damit, dass ihm so das blatt übertragen könnte7. exakte Panel-Format als Rahmen zur #00:00:16-0#S: Je nach dem. Verfügung stehen würde. Der Schüler Wenn i des scho fascht fascht quasi guet 7 In der ersten Stunde hat zunächst Einwände und argumen- isch, chann is ner o (-) durch[pause?] sollen Skizzen entste- tiert, dass er die Panels ja ohnehin ((Auf ein neues Vorlagenblatt)) hen und bis zum Ende übertragen hätte, entscheidet sich aber #00:00:16-0# L: [Grad uf dem?] der Doppellektion soll doch dafür, dem Vorschlag der Lehrper- #00:00:18-1#Oder grad uf dem la. die definitive Version son zu folgen. In fortgesetzter Arbeit #00:00:18-1#S: Uf dem la? der Zeichnung mit verwendet er ein neues Zeichenmedi- #00:00:34-2#L: Ja. Chönnt dir‘s Fineliner umgesetzt um – den schwarzen Fineliner, der von grad uf dem ((Blatt)) mache jetzt. werden. der Lehrperson als Arbeitswerkzeug für Auch im zweiten Arbeitsgespräch die Comic-Outlines vorgesehen ist. Das kommt es zur Wendung. Die Lehrper- Vorlagenblatt wird nun zum zweiten son findet die Fineliner-Zeichnung im Skizzenblatt. Aus einer Figur sind zwei Vorlagenblatt schon sehr gut ausgear- Protagonisten geworden — ausserdem beitet und schlägt vor, das Blatt direkt ist ein Auto dazugekommen. als definitive Version zu betrachten. Stilistisch ist die zweite Zeichnung Der Schüler stutzt zunächst — für ihn schon viel elaborierter (Abb.4), die war klar, dass er sich bis jetzt bloss Darstellung detailreicher ausgear- auf einem Skizzenblatt bewegte. Nach beitet als die erste, die dynamische kurzem Bedenken nimmt er aber das dem ersten Dialog, wo die Lehrperson und Schülerin den Prozess der Zeich- Strichführung verschwindet. Man positive Feedback an und entscheidet von Traum und Realität gesprochen nung in eine bestimmte Richtung hat das Gefühl, es schon mit einer sich, die begonnene Fineliner-Zeich- hat. Auch hier sucht sie nach sym- lenken kann. Allein die Tatsache, wo- Reinzeichnung zu tun zu haben. Turn nung als definitive Version auszuarbei- bolischem Sinn. Auffällig ist, wie die rüber gesprochen wird, die Wahl des im Arbeitsprozess – als Resultat der ten. Anders aber als nun zu erwarten Schülerin mit ihrer Antwort, dass das ersten Satzes, kann das Gespräch und Intervention – ist der Wechsel der wäre, nimmt er ein zweites Vorlagen- relativ gut passt, anzeigt, dass die somit auch den weiteren Prozess der Blickrichtung, welcher sich mit dem blatt zur Hand und skizziert darin sei- Deutung der Lehrperson ihren eigenen Bildentstehung beeinflussen. Lenkung Übergang zum neuen Skizzenblatt voll- ne nächsten Ideen. Auf diesem Blatt Darstellungsintentionen nur ungefähr ist eine Macht, mit welcher vorsichtig zieht. Die Einzelfigur am karierten Blatt zeichnet er mit Bleistift — dem insge- entspricht. umzugehen ist. (Abb.3) ist zunächst nach links, in die samt dritten Zeichenmedium während Mich beschäftigt fortgesetzt: Wie Richtung des daneben liegenden blin- der Beobachtung. Er arbeitet sich von können Fragen zum Sichtbaren in der Fallstudie 2 den Comics und dessen Sprechblasen Skizze zu Skizze, von Versuch zu Ver- Zeichnung gestellt werden, so dass Helena Schmidt gerichtet – wohl, weil die Blätter so such weiter (Abb.5). Offensichtlich die Schülerin von sich aus den Inhalt Die Aufgabe in der beobachteten Dop- liegen! Im Vorlagenblatt dagegen hat er das Bedürfnis, auf dem Papier des Gesprächs wählt und von ihren pellektion an einer Fachmittelschule wechselt der Schüler die Blickrich- zu sehen, was er sich denkt. Ideen erzählt? Durch die Forschungs- trägt den Titel „Blinder Comic“. Die tung der Figur in die Leserichtung. Das Sprechen über die Arbeit, so arbeit ist mir bewusst geworden, dass Schüler und Schülerinnen – sie sind zwi- Darin wird deutlich, wie stark sich der ephemer es sein mag, stellt einen der das Gespräch zwischen Lehrperson schen 17 und 21 Jahre alt – bekommen Impuls der Lehrperson auf die Bildge- wichtigsten Faktoren im künstlerischen

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krummheuer_interaktionsanalyse_1.php [April 2014] Mayring, Philipp & Gläser-Zikuda, Michaela (2005). Die Praxis der Arbeitsprozess im Klassenraum dar. Die Was ich während der Beobachtung ins Geschehen involviert ist, bekommt Kunz, Ruth / Bader Nadia / Haug Simone / Hostettler Sarah: Zeich- Qualitativen Inhaltsanalyse. Weinheim: Beltz-UTB. hier vorgestellten Wendungen im Pro- der Unterrichtssequenz mittels Audi- man nie alles mit, was im Arbeitspro- nen – Reden. Eine qualitativ-empirische Studie zu den Formen Otto, Gunter & Maria (1987): Auslegen. Velber: Friedrich Verlag. zess – der Wechsel in der Stil- und der oaufnahme, Fotodokumentation und zess geschieht. Erst beim genaueren sprachlicher Artikulation im Kontext individueller, künstlerischer Schürch Anna/Erni Danja (2013): Forschendes Lernen und Forschen Blickrichtung der gezeichneten Szenen Notizen wirklich alles gesehen habe, Betrachten und regelgeleiteten Ana- Prozessbegleitung: http://www.hkb.bfh.ch/de/forschung/for- lernen in der Fachdidaktik (und darüber hinaus). Das Modell For- und auch die Entwicklung vom Skiz- wurde mir erst im Nachhinein, in der lysieren der Zeichnungen und Dialo- schungsschwerpunkte/fspintermedialitaet/zeichnenreden/ schungspraktikum an der Zürcher Hochschule der Künste: http:// zenblatt zur definitiven Version – sind Auseinandersetzung mit den einzelnen ge wird klar, wie sehr die Arbeit des Kunz, Ruth (2015): Blicke, Zeichen, Worte. In: Zeichnen als Erkennt- zkmb.de/index.php?id=162 allesamt Produkte des Dialogs zwischen Materialien und deren Zusammenfüh- Schülers auch Produkt einer Inter- nis. München: Kopäd, 2015. Schüler und Lehrerin. Sie zeigen, wie rung, so richtig klar. Ein Gespräch ist aktion ist. bedeutsam Intervention und Rückfrage immer flüchtig. Wenn man als Lehr- für das Gelingen der Arbeit sind. person eine Klasse beobachtet und BuKo15 Salzburg – Beitrag zur Sektion: Welche Erfahrungen und Erkenntnisse Anforderungen: den Umgang mit den Panels, mit Text und gewinnen die Studierenden aus ihren Bild. Die dadurch „erzwungene“ aktive Rezeption lässt nicht Welche Kunstgeschichte brauchen wir? – Zum Beispiel historische Kunstlehre Forschungsminiaturen? Was tragen sie zur nur eine Aufmerksamkeit für die Bedeutsamkeit der Leserich- Kunstgeschichte in der Kunstpädagogik, historische Kunstlehre als Didaktik Professionalisierung bei? tung entstehen, sondern auch für die filmischen Elemente: der künstlerisch-gestalterischen Praxis Im mikroskopischen Blick auf das Sprachgeschehen erkennen Totale, Halbtotale und Nahaufnahme. Kommunikation ergibt wir, wie sich die beiden Gesprächspartner aneinander orien- sich aus der Notwendigkeit, bildnerisch-formale Fragen zu tieren – wie die unterschiedlich akzentuierten Aufgaben, der klären. Über den Inhalt der kleinen Szenen jedoch wird nicht Was für ein vielversprechender Titel! ich es nachgeschlagen habe, ist «Al- ten, wurde ein Diskurs geführt, der die je andere Habitus der Akteure: der Lehrpersonen, der Schü- gesprochen. Verkappt nur manifestiert sich in den sachlichen Komme ich doch eben aus einer Sek- teritätserfahrung: Fremdverstehen, Er- Erschaffung und die Beurteilung des ler/innen, den Prozess massgeblich bestimmen. Hinweisen der Lehrperson eine ästhetische Wertschätzung. tion, welche Transkultur und Globalität fahrung von Andersartigkeit» ein Wort, Kunstwerks systematisch miteinander Die Aufgabe «xxx träumt» (Fall1) eröffnet surreale Räume In unterschiedlichen Settings und unter unterschiedlichen zum Thema hatte. Noch habe ich die das ich gerne seiner präzisen Kürze verglich. Frau Koch legt wie in einer und fiktive Bilderzählungen. Die Modellfigur lässt – ohne dass Bedingungen konkretisiert sich, wie diskursives und bildhaf- Frage offen, ob ich weiterhin meine wegen in künftigen Debatten verwen- mathematischen Beweisführung dar, direkt auf die Intimität der eigenen Träume angespielt wird – tes Denken in ein Wechselspiel treten. nackten Evas im Schulzimmer aufhän- den würde.) dass aufgrund der Gegenüberstellung eine Identifikation zwischen Träumendem und Zeichnendem „Die Miniatur“, schreibt die Studentin Lisa Kirschenbühler, gen darf. Dass meine pragmatische Mit seinen einleitenden Gedanken der «Produktionsstufen» von Rede- zu. Als Mittler ermöglicht sie unterschiedliche Formen von „ermöglicht es, die Rollen zu wechseln und die Prozessbeglei- Fragestellung ein falscher Ansatz ist, setzt Herr Heinen eine zeitgenössische kunst und bildnerischer Kunst eine Bildfindung: die Darstellung des Traums oder den Blick auf tung aus der Forschungsperspektive zu erleben: einmal die wird mir sogleich klar. Klammer um das Referat von Frau Dr. Verschränkung der beiden bestand, eine Szene, die den Träumenden zeigt. In dem von Eliane Hür- Position des Schülers oder die der Lehrperson einzunehmen. In dieser Sektion geht es um die Bezü- Nadia Koch (PD Altertumswissenschaf- welche «selbsttheoretisierend mit der limann analysierten Gespräch fokussiert die Lehrperson stark Und während man sich zwischen diesen Positionen hin und ge von Kunstpraxis, -wissenschaft, -ge- terin und Kunstgeschichte; Tübingen, Lehrbarkeit zugleich die Unlehrbarkeit auf das Inhaltliche. Denn die offene Aufgabe zwingt sie – her bewegt, wird einem plötzlich bewusst: Beide, Schüler schichte und -logik und um die Relevanz Salzburg, Berlin). Sie erzählt, dass es der Kunst behauptete» (Zitat Heinen). weit mehr als jede andere Lehrform – sich des Motivs zu ver- und Lehrperson, steuern Gesprächseinheiten, beeinflussen dieser Bezüge im Fach Kunstpädagogik. bereits in der Antike einen allgemein- Um diese frühe Erkenntnis in die heu- gewissern: Was ist dargestellt? Wie ist es dargestellt? Der den Blick des anderen. Es ist ein Akt der ständigen Wech- Prof. Dr. Ulrich Heinen (Gestaltungs- bildenden Kunstunterricht gab, wel- tige Debatte, welche einer solchen Forscherin gleich durchläuft sie einen hermeneutischen Pro- selwirkung, die meist so subtil geschieht, dass wir es kaum technik und Kunstgeschichte, Wupper- cher zwölf Jahre dauerte. Bildhaft zeigt Systematik entbehrt, zurückzuführen, zess: sie sieht, sie beschreibt, sie deutet und entwirft Bilder wahrnehmen“. tal) verdeutlicht die Fragestellung nach sie, dass ein antiker Künstler sich für war der zeitliche Rahmen dieser Sek- eines möglichen Zustandes – nicht anders als im Gegenüber Was in den Forschungsminiaturen kenntlich wird, fordert diesen Bezügen mit Bildbeispielen aus seine Darstellungen aus einem Reper- tion leider zu knapp. eines abgeschlossenen Werkes. Was aber passiert, wenn ich uns auf, über bislang unhinterfragte Aspekte individueller Be- traditionellen Lehrgängen vor 1930, toire von vorgegebenen Figurentypen Das mit der nackten Eva muss ich als Lehrperson meinen Erkenntnisprozess angesichts einer gleitung kritisch nachzudenken – zu fragen: Welche Vorstel- welche wir leicht nach handwerkli- (siemata) bedienen konnte und dass wohl selber entscheiden: ich lasse erst leise sich andeutenden Bildidee öffentlich mache – die lungen leiten uns, wenn wir in bildnerische Prozesse eingrei- chen, künstlerischen oder technischen Kreativität bedeutete, diese Vorlagen sie vorläufig im Schrank. Dafür schaue Schülerinnen und Schüler in mein Denken einbinde? Gewin- fen? Auf welche Vorbilder, welche Anforderungen rekurrieren Ansprüchen ordnen können und stellt an stehenden, liegenden, sitzenden ich viel gelassener zu, wenn die Schü- 8 Sie korrespondieren nen sie daraus neue Impulse oder laufe ich Gefahr, sie auf wir – bewusst oder unbewusst?8. Was lehren wir und wie diese der Beuys’schen Maxime «Jeder oder fliegenden Figuren erfinderisch lerinnen und Schüler bei einer freien mit der in der Sektion Nicht-Gemeintes festzulegen? Lenke ich, um Sinnstiftung lehren wir, wenn wir lehren? Mensch ist ein Künstler» gegenüber. zusammenzustellen und durch leichte Aufgabe ihre Mangafiguren gemäss von T. Wetzel, S. Lenk, bemüht, einen Bildfindungsprozess in bestimmte Bahnen? Ist Kunst lehrbar oder ist sie Selbstver- Veränderungen dem jeweiligen Dar- den Tutorials im Internet entwickeln. S. Kaulfers, R. Mügel, Im vorliegenden Fall zeigt sich, wie Offenheit mit einem Be- Literatur wirklichung? Wer vermittelt zwischen stellungsanspruch anzupassen. Um Schliesslich haben auch die Griechen W. Reuter, I. Wirth gehren nach Übereinkunft kollidiert: Ungewissheit wird mit Geertz, Clifford (1987): Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verste- Kunstwerk und Betrachter? Welche diese Tätigkeit vom dumpfen Handwerk ihre Figurentypen auswendig gelernt. erörterten Fragen. sprachlicher Bestimmtheit – dem Topos kontrastierender hen kultureller Systeme. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Potenziale setzt Kunst frei, indem sie abzugrenzen und zu höherem Tun von Annelies Diggelmann Bildwelten – kompensiert. Hausendorf, H. (2007): Gespräch als Prozess. Linguistische Aspekte Alteritätserfahrung einfordert? (Seit Inspiration und Genialität aufzuwer- Kantonsschule Zürich Nord Ganz anderes zeigt der von Helena Schmidt (Fall 2) unter- der Zeitlichkeit verbaler Interaktion. Tübingen. suchte sprachliche Austausch. Mit ihrer Intervention bindet Krummheuer, Götz (1999). Die Interaktionsanalyse. [On-line]. Ver- die Lehrperson den Schüler an die der Aufgabe inhärenten fügbar unter: http://www.fallarchiv.uni-kassel.de/start- seiten/

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Andreas Brenne, Nanna Lüth Judith, um 1620), stehen für explizite Zeichen körperlicher menzutragen. Da zwei Versionen von Geschlecht immer Gewalt. In der Gruppe wird davon ausgegangen, dass Kinder noch selbstverständlich oder jedenfalls bevorzugt adressiert schon früh Kontakt mit Formen von (medialer) Gewalt haben werden, braucht es weiterhin grundsätzliche Problematisie- Gender Trouble in der Kunstpädagogik der Primarstufe und die Zeichen auf diesen Bildern für sie lesbar sind. rungen. Auf implizite bzw. komplexe Darstellungen von Gewalt reagiert 2 Vgl. für die Theorie- die Gruppe mit starkem Vorbehalt. So wurde z.B. das Gemälde Literatur bildung im deutsch- von Domenico Ghirlandaio, das einen alten Mann und seinen En- Judith Butler, Folter und die Ethik der Fotografie, in: Linda Hentschel sprachigen Raum: kel in einander zugewandter Haltung zeigt, mit Missbrauch und (Hg.), Bilderpolitik in Zeiten von Krieg und Terror. Medien, Macht Nanna Lüth; Carmen Wie könnte eine geschlechtergerechte Kunstpä- performative Struktur zeitgenössischer Kunst. Aus dieser Per- sexuellen Übergriffen im kirchlichen Kontext assoziiert. und Geschlechterverhältnisse, Berlin 2008, S. 205-227. Mörsch, Queering dagogik heute aussehen? Braucht es eine Jungen- spektive – so die Gruppe – braucht es keine Dramatisierung Die dritte Gruppe beschäftigte sich mit Kunst und Stereoty- Stuart Hall, Das Spektakel der Anderen, in: Ders. (hg. von Juha Koi- (next) Art Education, oder Mädchenförderung? Oder die Berücksichtigung der Geschlechterverhältnisse im Kunstunterricht, sondern penbildung1. Ein Foto von Niki de St. Phalles Skulptur Hon/Sie visto und Andreas Merkens): Ausgewählte Schriften 4 – Ideolo- in: Gila Kolb; Torsten von geschlechtlicher Varianz unter den Schüler_in- eine offene Form, in deren Zentrum die produktive Ausein- (1966), einer raumfüllenden Plastik, in die die Ausstellungs- gie, Identität, Repräsentation, Hamburg 2004, S. 108-166. Meyer (Hg.): Next Art nen? Ist eine verstärkte Vermittlung von technischen andersetzung mit dem Vorgefundenen besteht. Insofern ist besucher_innen durch eine Öffnung zwischen den Beinen Nanna Lüth; Carmen Mörsch, Queering (next) Art Education, in: Gila Education 2, München Medien oder handwerklichen Techniken zielführend? die gestalterische Dimension menschlichen Handelns das hineingehen konnten, wird als klischeehafte Identifizierung Kolb; Torsten Meyer (Hg.): Next Art Education 2, München 2015, 2015, S. 188-190; Wie beschränken bestimmte Geschlechtermodelle zentrale Motiv der heutigen Kunstpädagogik, wobei dies sich von Frauen mit Sex und Reproduktion diskutiert. S. 188-190. Bernadett Settele den Aktionsradius von Kunstpädagog_innen? Die- nicht einfach einstellt, sondern in hegemoniale Strukturen Anhand der Fotografie Venus Hottentot (2000) von Lyle Sandra Ortmann, »Das hätten Sie uns doch gleich sagen können, (Hg.), Queer und DIY sen in den letzten zehn Jahren wenig entwickelten eingezogen werden muss. Dies kann ohne Widerständigkeit Ashton Harris und Renee Cox diskutiert die Gruppe die Ver- dass der Künstler schwul ist«. Queere Aspekte der Kunstvermitt- im Kunstunterricht, Aspekten des Faches wurde in einer Sektion des nicht erreicht werden. schränkung von Sexismus und Rassismus. Daraus folgert sie, lung auf der documenta 12, in: Carmen Mörsch (Hg.): KUNST- in: Carmen Mörsch kunstpädagogischen Bundeskongresses BuKo 15 dass es unverzichtbar ist, die eigenen privilegierten Perspek- VERMITTLUNG 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung (Hg.): Art Education 1 „Stereotype partizipativ nachgegangen. Zu zweien wurde gearbei- Kunst als Impuls für die Bearbeitung tiven als weiße Pädagog_innen zu reflektieren. auf der documenta 12, Zürich 2009, S. 257-277. Research °3, Juli erfassen die tet: Gibt es eine gestalterische Praxis die so offen kultureller Differenzen wie Geschlecht Genauso wie den Akteur_innen der FrauenKunstPädagogik Bernadett Settele, Queer und DIY im Kunstunterricht, in: Carmen 2011, [http://iae- wenigen ‚einfachen, angelegt ist, dass sie gängige Stereotypen unter- Reproduktionen von 80 künstlerischen Arbeiten liegen auf in den 1990er Jahren oder auch Vertreter_innen einer quee- Mörsch (Hg.): Art Education Research No. 3/2011, [http:// journal.zhdk.ch/no-3/]; anschaulichen, leicht läuft? Und: Welche künstlerischen Arbeiten sind als dem Tisch. Jede_r Teilnehmer_in wählt eine Arbeit aus, die ren Theorie der Kunst/Vermittlung2 ging es uns bei unserem iae-journal.zhdk.ch/no-3/] Sandra Ortmann, einprägsamen, leicht Impulse geeignet, um sich mit Geschlechterfragen in die Grenze dessen, was sie_er in der Schule vermitteln wür- Workshop darum, mehr als praktische Anregungen zusam- Teresa Sansour, Susanne Bauernschmitt, Sabine Essig-Dehner „Das hätten Sie uns zu erfassenden und der Grundschule konstruktiv auseinanderzusetzen? de, darstellt. Nach Vorstellung dieser Barrieren werden drei doch gleich sagen weithin anerkannten‘ Themenfelder identifiziert und in Gruppen weiterbearbeitet. können, dass der Eigenschaften einer Berichte aus den Arbeitsgruppen Die Gruppe Kunst und Weltpolitik befasst sich mit fotogra- Künstler schwul ist“. Person, reproduzieren Gestaltung und Gender – Freies Kneten oder fischen Arbeiten von und von Jonathan Hobin. Queere Aspekte der die gesamte Person strukturiertes Basteln? Auffallend an diesen Motiven ist, dass die Bilder sich auf be- Kunstvermittlung auf auf diese Eigen- Um einen Tisch haben sich sechs Personen versammelt. Auf kannte Vorbilder aus den Medien beziehen. Angesichts der der documenta 12, in: schaften, übertreiben der Arbeitsplatte befinden sich unterschiedliche Materialien, Farsi-Schriftzeichen in Neshats Fotografien stellt sich die Fra- Carmen Mörsch (Hg.): und vereinfachen wie sie in kunstpädagogischen Lernarrangements verwendet ge nach dem Umgang von Lehrer_innen mit eigenem Nicht- KUNSTVERMITTLUNG sie, und schreiben werden. Die Teilnehmer_innen der Arbeitsgruppe haben nun Wissen. Am Beispiel von Hobins Zitat einer Fotografie, die 2. Zwischen kritischer sie ohne Wechsel den Auftrag, sich mit dem Material ihrer Wahl experimentell die Erniedrigung von Kriegsgefangenen in Abu Ghraib zeigt, Praxis und Dienstlei- oder Entwicklung für auseinanderzusetzen. Dabei soll dialogisch über die Frage geraten außerdem vergeschlechtlichte Wahrnehmungs- und stung auf der docu- die Ewigkeit fest.“ nachgedacht werden, ob es genderspezifische Materialprä- Handlungsmuster in den Blick: Wer darf was? Welche Hand- menta 12. Ergebnisse (Hervorheb.i.O.), Hall ferenzen und gestalterische Formate gibt. In dem sich nun lungsoptionen sind für weibliche/männliche Akteur_innen eines Forschungspro- 2004, S. 143f. entspinnenden Gespräch werden unterschiedliche gestalte- vorgesehen? (vgl. Butler 2008). Abweichungen von Rollen- jekts, Zürich 2009, S. rische Techniken diskutiert und für ein offenes Materialange- mustern gelten als abnorm. Im Fall von Lynndie England z.B. 257-277. bot ohne formale Festlegungen plädiert. Die Auffassungen be- wurde eine aktiv an Folterungen beteiligte Soldatin als beson- züglich einer genderadäquaten Gestaltungspraxis changieren ders grausam wahrgenommen. Solche asymmetrischen Be- zwischen einer Jungenförderung durch materialorientierte wertungen müssten im Unterricht hinterfragt werden. Neben Angebote und eine werkstattbezogene Unterrichtskultur. diesen Überlegungen entwickelt diese Gruppe die Idee, dass Derweil hat sich eine Zweiergruppe mit dem gläsernen das Mittel der Fotoinszenierung eine praktische Intervention Vorraum des Tagungsgebäudes befasst. Mittels farbigem in transkulturelle Bildrepertoires darstellen könnte. Klebeband werden architektonische Formen hervorgehoben, Die zweite Gruppe setzt sich mit ausdrücklichen Gewalt- es wird eine dialogische Installation mittig platziert. Die Ge- darstellungen auseinander. Ein Selbstportrait von Nan Goldin samtgruppe wendet sich diesem Szenario zu, und es entwik- mit zerschlagenem Gesicht (1984) und ein Gemälde von Ar- kelt sich ein Gespräch über lebensweltliche Bezüge und die temisia Gentileschi (Die Enthauptung des Holofernes durch

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Andreas Brenne Literatur Kämpf-Jansen, Helga / Bee, Georg S. (2002): Jungen im Kunstun- Bischoff, Cordula (Hg.) (1984): FrauenKunstGeschichte. Zur Korrek- terricht benachteiligt – von der Notwendigkeit einer erneut zu tur des herrschenden Blicks. Wetzlar. führenden Geschlechterdiskussion anlässlich eines Projektes Gender Trouble Cohen, Michèle (2004): Knowledge and the gendered curriculum; „Stadt“ im 4. Schuljahr. In: BDK-Mitteilungen 2/2002. Möglichkeiten einer geschlechter- the problemisation of girls’ achievment, History and Policy. Kämpf-Jansen, Helga / Hartwig, Helmut / Puritz, Ulrich (Hg.) (1983): Hammer-Tugendhat, Daniela (1987): Zur Bedeutung der Kunstge- Mädchenästhetik Kunst und Unterricht Heft 80, 1983. gerechten Kunstpädagogik schichte für eine feministische Geschichtsschreibung. In: Calließ, Latsch, Martin / Hannover, Bettina (2014): Smart girls, dumb boys!? Jörg (Hg.): Frauen und Geschichte. Loccumer Protokolle 11/86. How the discourse on „failing boys“ impacts performances and Loccum. motivational goal orientation in German school students. Social Hofmann, Werner (Hg.) (1986):Eva und die Zukunft. Das Bild der Frau Psychology, 45, 112–126. seit der Französischen Revolution. München. Neugebauer, Martin / Helbig, Marcel / Landmann, Andreas (2011): Seit den großen Bildungsstudien ist die Etablierung kale Erweiterung gestalterischer Handlungsräume (Kämpf- Hotz-Davies, Ingrid / Schahadat, Schamma (2007) (Hg.): Ins Wort Unmasking the Myth oft the Same-Sex Teacher Advantage. In: von Chancengleichheit das Gebot zukunftsorien- Jansen 1991). Diese Fokussierung hatte ihre Wurzeln gesetzt, ins Bild gesetzt – Gender in Wissenschaft, Kunst und European Socilogical Review. 27. Jg. Heft 5. S. 669–689. tierter Schul- und Unterrichtsentwicklung. Dazu ge- sowohl in der „Visuellen Kommunikation“ als auch in einer Literatur. Bielefeld. Peez, Georg / Richter, Heidi (Hg.) (2003): Kind – Kunst – Kunstpäd- hört auch der Genderdiskurs, der seit geraumer Zeit feministischen Bewegung, die auch im Kunstkontext Diskri- Hurrelmann, Klaus / Schultz, Tanjev (2012): Jungen als Bildungsver- agogik. Norderstedt. thematisiert wird und in der gegenwärtigen Diskus- minierungen aufzuheben suchte. Dies vollzog sich zum einen lierer. In: Hurrelmann, Klaus / Schultz, Tanjev (2012): Jungen als Sievert, Adelheid (2004): Kunstpädagogik – immer noch ein „Frau- sion über „Jungen als Bildungsverlierer“ kulminiert auf der Ebene der Kunstgeschichte (vgl. Hammer-Tugendhat Bildungsverlierer. Brauchen wir eine Männerquote in Kitas und enfach“ und eine „Männerwissenschaft“? In: Kirschenmann, (vgl. Latsch/Hannover 2014). 1987), die marginalisierte Künstlerinnen wissenschaftlich Schulen? Weinheim/Basel. S. 11–18. Johannes / Wenrich, Rainer / Zacharias, Wolfgang (Hg.) (2004): untersuchte. Zum anderen entwickelten Künstlerinnen ge- Kämpf-Jansen, Helga (1991): Männlicher Blick und weibliche Ästhe- Kunstpädagogisches Generationengespräch. Zukunft braucht Benachteiligte Jungen – schützte Räume, in denen spezifische Kunstauffassungen tik In: Staudte, Adelheid / Vogt, Barbara: Frauen. Kunst. Pädago- Herkunft. München. S. 276–283. angepasste Mädchen? dem öffentlichen Diskurs überantwortet wurden. In pro- gik. Frankfurt a.M.. Es ist nicht zu leugnen, aktuelle Studien belegen, dass Mäd- grammatischen Ausstellungen wie „Eva und die Zukunft“ chen das Bildungssystem erfolgreicher für sich zu nutzen wis- (vgl. Hofmann, 1986) und in den neu gegründeten Frauen- sen als Jungen (auch wenn sich diese Erfolge im Berufsleben museen wie das „National Museum of Women in the Arts“ «Visual Literacy»: Bilder lesen – Bilder schreiben?! nicht adäquat abbilden), und es stellt sich die Frage, woran (Washington http://nmwa.org/) oder das Frauenmuseum das liegt (vgl. Hurrelmann/Schultz 2012). Doch wird meist (Bonn http://www.frauenmuseum.de/) entstanden Räume, unterschlagen, dass Jungen schon seit den 1950er Jahren die den „weiblichen Blick“ in ein männlich kontrolliertes im schulischen Leistungsvergleich schlechter abschneiden Kunstsystem implementierten. als Mädchen (vgl. Cohen 2004). Im kunstpädagogischen Kontext wurden diese Entwicklun- Ich hatte bereits vor dem BUKO15 eine derflut» von grosser Bedeutung für die zieren, ist also genau so relevant, wie Ein weiteres Problem der Identifizierung geschlechtsspe- gen adäquat transferiert und brachen sich Bahn in einschlä- plastische Vorstellung davon, was man Orientierung in der heutigen Welt. das Entschlüsseln bestehender Bilder. zifischer Diskursfelder besteht in der Typisierung gefährdeter gigen Publikationen und einer Serie von frauenspezifischen sich unter «Visual Literacy» vorstellen Als ERNST WAGNER am BUKO15 Mehr noch: Souveränes Bildergestalten Schülergruppen, die den männlichen Schulverweigerer der Fachtagungen zur FrauenKunstPädagogik (Erfurt, Frankfurt, könnte: Wenn Bilder durch die Wahl anhand konkreter Arbeiten aus dem ist Voraussetzung für differenziertes angepasst-ehrgeizigen Schülerin gegenüberstellt. Doch was Siegen, Paderborn) (vgl. Peez/Richter 2003). Es ging vor al- des Ausschnitts und der Perspektive, Kunst- respektive BG-Unterricht vorge- Bilderwahrnehmen. ein Junge oder ein Mädchen ist und ob diese Eigenschaften lem darum, neue Fragen zu stellen. Anna-Marie Kassay-Fried- durch zeigen und verbergen, durch die führt hat, wie komplexe Aufgabestel- Zwei Fragen bleiben. Erstens: Wenn sich bildungsförderlich oder nachteilig auswirken, muss jen- länder: „(...) ich musste mir endlich zugestehen, ganz andere Inszenierung des Lichts und der Blick- lungen nach bildnerischen Kriterien sich Bild-Produktions-Kompetenz und seits der Genderstereotypen ausgehandelt werden. Fragen zu haben.“ (vgl. Bischoff 1984) verhältnisse Machtverhältnisse aus- wie räumliche Inszenierung, Hell-Dun- Bild-Rezeptions-Kompetenz wechsel- In diesem Sinne ist auch die kunstpädagogische Forderung So notwendig die Einführung einer feministischen Per- drücken und konditionierte Sehweisen kel, Farbgebung etc. zergliedert und seitig bedingen, weshalb war dann einer expliziten Jungenförderung (vgl. Bee/Kämpf-Jansen spektive bei gleichzeitiger Sensibilisierung für den Abbau veranschaulichen können, dann könnte in Kompetenzrastern verortet werden das Herstellen von Bildern nicht ganz 2002) falsch positioniert: Es kann nicht darum gehen, ob und von Chancengleichheit für das Fach war, so problematisch mit «Visual Literacy» die Fähigkeit ge- können, ist mir allerdings aufgegan- selbstverständlich Teil meines bild- wie man benachteiligte Jungen fördert, sondern wie man war letztlich die Fortschreibung der Erzählung vom männlich- meint sein, all diese Bildkomponenten gen, dass «Visual Literacy» nicht nur und kunstwissenschaftlichen Studi- antidiskriminierende Unterrichtsszenarien entwickelt, in de- weiblichen Dualismus. Der dezentrale Abbau hegemonialer zu entschlüsseln respektive zu «lesen» das «Lesen von Bildern», sondern auch ums? Zweitens: Werde ich in meiner nen genderstereotype Rollenmodelle produktiv unterlaufen Strukturen wurde nicht erprobt (vgl. Hotz-Davies/ Schahadat und auf ihre Wirkung hin zu befragen. das «Schreiben von Bildern» meint. Die Ausbildung zur BG-Lehrerin ausrei- werden. 2007). Und diese Fähigkeit ist – das betonen Fähigkeit, eigene Gedanken in Form von chend darauf vorbereitet, Jugendlichen Gender ist zwar ein Thema der Kunstpädagogik, bleibt die Vertreter_innen unseres Fachs im- Bildern zu artikulieren, sie im geeigne- Bilddarstellungskompetenzen zu ver- Die Kunst und die Genderfrage – aber praktisch und theoretisch unterbestimmt (Sievert 2004: mer wieder – angesichts des «Iconic ten Medium umzusetzen und auf diese mitteln? Traditionslinien 280f.). In der Theorie lassen sich zwei zentrale Desiderate Turns» und der massenmedialen «Bil- Weise anhand von Bildern zu kommuni- Mélanie Laurence Tanner 1980 bemühte sich Helga Kämpf-Jansen als Vertreterin ei- identifizieren: Der gendergerechte Unterricht und die explizite ner feministischen Kunstpädagogik um die Aufwertung einer Thematisierung der Genderdiskussion im Unterricht im Hin- „Mädchenästhetik“ (Kämpf-Jansen 1980) und um die radi- blick auf das künstlerische Feld.

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Nanna Lüth angegriffen wurde. (Selbstlaut 2012) In der Verlautbarung ista/fachstelle%20kinderwelten/kiwe%20pdf/Derman-Sparks_ 3 Auch im vorschu- wird deutlich, dass die besondere Berücksichtigung von Anti-Bias-Arbeit%20%20in%20den%20USA.pdf] lischen Bereich habe minoritären Positionen bei der präventiven Arbeit unverzicht- Nanna Lüth, Big Sister is watching you. Über die Notwendigkeit ich angesichts des Geschlecht und andere Töne. bar ist. Das liegt daran, dass „Missbrauchstäter_innen […] queer-feministischer Perspektiven in der Kulturvermittlung. häufig angstbesetzten Gute Gründe, die Palette der besonders die Situation bedürftiger Kinder ausnutzen und www.kultur-vermittlung.ch, 2012 (online nicht mehr auffindbar, Klimas um Darstel- solcher, die sich diskriminiert fühlen […].“ (ebd.) Außerdem auf Anfrage sende ich ihn gerne zu: kritischekunstvermittlung@ lungen von Kindern Kunstpädagogik zu erweitern hebt der Verein hervor, dass Kindern heute Pornografie eben- email.de) „für den verantwor- so wie sexualisierter Sprache begegnen und dass es unver- Glenda MacNaughton: Silences and subtexts of immigrant and no- tungsvollen Umgang antwortlich sei, „Kinder hiermit alleine zu lassen“. Zusam- nimmigrant children, 2001 mit Bildern ebenso menfassend seien „Kinder, die aufgeklärt sind, […] besser [http://www.cdrcp.com/pdf/AntiBias-Silences%20and%20sub- wie für die Freiheit der vor sexuellen Übergriffen geschützt als Kinder, die erst in der texts%20of%20immigrant%20and%20nonimmigrant%20child- Darstellung“ plädiert: Wenn Schule beansprucht, Lernort für alle Kinder zu Verhalten Differenz, evaluative Urteile und komplementäre Pubertät Sexualerziehung bekommen.“ (ebd.) ren.pdf] „Eine mehr oder sein, müssen sich Lehrer_innen und andere Verant- hierarchische Positionierungen hervor.“ (Eggers 2012) Hierfür sind die meisten Kunstpädagog_innen nicht hinrei- Jo B. Paoletti: The Gendering of Infants’ and Toddler’s Clothing in weniger reflektierte wortliche um geschlechtersensibles Verhalten, die Kinder nehmen also wahr, dass verschiedene Positionierun- chend ausgebildet. Trotzdem will ich – neben der Empfehlung America. In: Martinez, Katharine und Kenneth L. Ames (Hg.): Nutzung von Medien Verhinderung von Diskriminierung und die Förderung gen mit mehr oder weniger Macht und Prestige ausgestattet von Zusatzqualifikationen – dafür plädieren, die Verhandlung The Material Culture of Gender, the Gender of Material Culture, in der Vermittlungs- von Diversität bemühen. sind. Eggers schildert den Fall eines weißen, australischen von Kunst nicht auf blumige Fantasien zu begrenzen, sondern Winterthur 1997, S. 27-35. und Dokumentations- 1 Derman-Sparks zitiert Jungen, der im Rahmen einer Studie gefragt wurde „Was heißt in der kunstpädagogischen Arbeit auch negativen Affekten Heidi Richter: Kunstpädagogik und Gender - damit auch im Kunstun- tätigkeit wird Einfluss hier Glenda MacN- Vorschulische Zwei-Farben-Lehre es, Australier_in zu sein?” (Derman-Sparks 2001: 7)1 Seine Ant- und existenziellen Belangen Raum zu geben.3 terricht „die Kategorie Geschlecht möglichst selten eine blinde darauf haben, in aughton (2001). Die kulturelle Unterscheidung in zwei Geschlechter beginnt wort lautet: „weiße Haut haben” (ebd.). Diese Antwort igno- Wirksamkeit entfaltet...“ (Carol Hagemann-White) In: Gesine welcher Form Kinder 2 Vgl.den Text „Gender früh. Schon vor der Geburt werden Namen für Jungen oder riert, dass indigene Australier_innen schon mehr als 50.000 Literatur Spieß, Cillie Rentmeister (Hg.): Gender in Lehre und Didaktik. und Jugendliche sich Trouble in der Mädchen ersonnen, im Kinderwagen werden die Neugebo- Jahre in Australien lebten, bevor weiße Siedler_innen einwan- Mauren Maisha Eggers, Gleichheit und Differenz in der frühkindlichen Eine europäische Konferenz in Erfurt. Frankfurt a.M. u.a. 2003, dargestellt sehen und Kunstpädagogik der renen binär zurechtgemacht; ihre rosarote oder hellblaue derten. Der Junge erläutert zudem, dass die vietnamesisch- Bildung - Was kann Diversität leisten?, 2012 [https://heimatkun- S. 61-79. wie weit sie selbst Primarstufe“ von An- Aufmachung dient dazu, die Aufmerksamkeit auf das zuge- australische Puppe und die Aboriginal-australische Puppe keine de.boell.de/2012/08/01/gleichheit-und-differenz-der-fruehkindli- Selbstlaut e.V.: Stellungnahme […] zur aktuellen Diskussion um die eigenständige, nicht- dreas Brenne und mir wiesene Geschlecht zu lenken. Ohne diese Codierung näm- Australier seien, weil ihre „Gesichter anders aussehen” (ebd.). chen-bildung-was-kann-diversitaet-leisten] Unterrichtsmaterialien „Ganz schön intim“ [http://www.selbst- normative Modi der in dieser Publikation. lich fällt die Sortierung von bekleideten Kleinkindern schwer, Hieran zeigt sich, dass auch frühkindliche Wahrnehmung nicht Louise Derman-Sparks, Anti-Bias-Arbeit mit jungen Kindern in den laut.org/_TCgi_Images/selbstlaut/20121208161945_stellung- (Selbst-) Darstellung was Eltern dazu führt, das Geschlecht des Kindes deutlich unabhängig von sozialen Strukturen gedacht werden kann, dass USA, 2001: [http://www.situationsansatz.de/files/texte%20 nahme_ganz%20schoen%20intim_verein_selbstlaut.pdf] erproben können.“ nach außen zu kommunizieren (vgl. Paoletti 1997: 34). Die solche Normen, solange sie nicht aktiv bezweifelt und bearbei- (Lüth 2012) geschlechtsspezifische Ausstattung von Kindern – so deuten tet werden, fortbestehen. Eggers plädiert deshalb dafür, „diese Studien an – dient dazu, „angemessene, soziale Reaktionen unentrinnbaren Auseinandersetzungen mit der sozialen Welt im auf das Baby“ hervorzurufen (ebd., eig. Übers.). frühen Kindesalter in persönlich-bedeutsame Lerngegenstände Das Problem sind nicht die Farben alleine, denn zusätzlich zu verwandeln.“ (Eggers 2012)2 Die Erziehung zu Differenzhan- wird die Zuordnung mit Bedeutung aufgeladen. Auch 2015 deln hingegen wird von ihr als „ein Prozess der Vereinseitigung wird „Spielzeug für Jungen [..] mit Attributen wie aktiv, wild verstanden. Kindliche Subjekte werden gezwungen, auf hoch und mutig verbunden, Mädchensachen hingegen mit niedlich, geschätzte Fähigkeiten und Eigenschaften zu verzichten, weil süß und dekorativ. Während Jungs im Weltraum Abenteuer diese auf der anderen Seite der Geschlechtergrenze gedacht bestehen und als Ritter oder Detektiv für das Gute kämpfen, werden.“ (ebd.) bekommen Mädchen Beautysalons, Shoppingcenter und Konkret heißt das: „Jungen werden dazu erzogen, Trauer und Ponyhöfe als Spielumgebung angeboten.“ (Richter 2015, eig. Verletztheit zu überspielen und emotionale Schockerlebnisse ab- Hervorheb.) zuschütteln und zuzudecken.“ (ebd.) „Mädchen hingegen wer- den in ihrem Drang zur Eigenständigkeit subtil gebremst (das be- Frühkindliche Vereinseitigung und trifft vor allem den Ausdruck einer auf sich selbst ausgerichteten mögliche Gegenmaßnahmen sexuellen Energie).“ (ebd.) Hieran ist zu sehen, dass Geschlech- Aber es geht um mehr als Geschlecht. Studien belegen, dass terfragen auch für Kinder eng mit Sexualität zusammenhängen. Kinder sehr früh kategorische Zugehörigkeiten unterscheiden können. Mauren Maisha Eggers, Professorin für Kindheit und Begründung für sexuelle Bildung Differenz an der Hochschule Magdeburg-Stendal, schreibt und eine gerechtere Kunstpädagogik dazu: „Soziale Ungleichheit ist ein Lernprodukt. Kinder brin- im Grundschulalter gen bereits mit ca. vier Jahren in ihren eigenen Spielkon- 2012 hat der Wiener Verein Selbstlaut eine Stellungnahme struktionen, narrativen Inhalten und in ihrem interaktiven veröffentlicht, nachdem er für Unterrichtsmaterialien massiv

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Myriam Gallo, Virginie Halter, Muriel Schwaerzler als Impuls zu verstehen, welcher im Verlauf der Anlässe oder schen Inhaltsübersicht, dem Mapping der Bezugsfelder, vi- Öffnungen des Raumes eine jeweils spezifische Eigendyna- sualisiert haben. Das Mapping der Bezugsfelder galt unserer mik bekam. Orientierung und ist deshalb als intuitiv zu verstehen. Es ist Ideeller Forschungsraum zur Andererseits begannen wir, CO-Labor als gemeinsamen aus dem Material und zeigt die Themen, welche von den ideellen und auch virtuellen Forschungsraum und potentiellen interviewten Raumbetreiber_innen angesprochen wurden. Selbstreflexion und Positionierung Handlungsraum zu verstehen und auch zu nutzen. CO-Labor Die einzelnen Bezugsfelder sind non-linear, ähnlich einer Zell- im (OFF-)Kulturfeld wurde zu einem Denk- und Austauschraum, welcher keine struktur, angeordnet. Diese Art von Inhaltsübersicht erlaubte geographische Verortung benötigte. Der Gedanke, dass wir uns das gleichzeitige Arbeiten an unterschiedlichen, jedoch an CO-Labor als Raum keinen Besitzanspruch stellen, damit hierarchisch gleichberechtigten Themen. Das Mapping zeigt sich der Raum entwickeln kann, wurde für uns wichtig. Damit auch die Notwendigkeit, dass die einzelnen Bezugsfelder nur bekam CO-Labor als Raum ein eigenes Innenleben, welches kontextgebunden verstanden werden können. Um die Be- Die Forschungsarbeit Eine Raumrecherche Bern durchgeführt. Wir gestalteten ein vielseitiges, dichtes nicht durch einzelne Individuen gesteuert werden kann. zugsfelder des Mappings auszuarbeiten, haben wir einzelne (CO-Labor, z.Z. physisch am Platanenweg 4) Programm, wofür wir verschiedene Formate entwickelten, In der Zeit intensiver Zusammenarbeit bedienten wir uns Textstellen der transkribierten Interviews mit einem Code entstand im Rahmen unserer Masterthesis in Art die auf die Räumlichkeiten und die Verortung im Quartier verschiedener Werkzeuge, wie z.B. eines für alle Teilneh- gekennzeichnet und folgend gezielt nach anderen Textstellen Education an der Hochschule der Künste Bern. Im Bezug nahmen. An dieser Stelle soll nicht detaillierter auf menden offenen Wiki, welches wir für praktische Planungen gesucht, die ähnliche oder kontrastierende Phänomene auf- folgenden Text geben wir Einblicke in Prozesse un- die einzelnen realisierten Formate eingegangen werden. brauchten oder des Google-Kalenders, wo jede_r ihre_seine weisen. Die Erkenntnisse daraus wurden zusammengefasst seres Schaffens. Vielmehr fokussieren wir auf die Entwicklung, die dazu jeweiligen Zeitressourcen eintragen konnte. und flossen nach Möglichkeit in das Verständnis und unsere führte, uns mit übergeordneten Fragen von Räumen aus- Auch die Webseite www.CO-Labor.ch wurde für uns zum Praxis innerhalb unseres Raumes, CO-Labor, ein. Dadurch Entstehung/ Kontext von CO-Labor einanderzusetzen. Werkzeug. Sie zeigt unsere bisherigen Projekte und Formate, bekamen wir wiederum einen neuen Blick auf die Ursprungs- Immer noch fällt es schwer zu beschreiben, wer oder was Ausgehend von der ersten Zwischennutzung haben sich beinhaltet einen Kalender, welcher CO-Laborationen mit an- daten. CO-Labor ist. Mittlerweile bezeichnen wir CO-Labor als dy- für uns verschiedene Fragestellungen herauskristallisiert, deren Menschen oder Kollektiven ermöglicht und sie eröffnet Auch der gesamte Schreibprozess verlief zirkulär. Das Ar- namisches Kollektiv und auch als einen Raum, welcher wie- welche CO-Labor und dessen Verortung betreffen. erste Teile unserer Forschungsarbeit. beiten im Kollektiv ermöglichte uns das ständige Überarbei- derum ganz vieles ist und sein kann. Manchmal nur ideell Welche Art von Raum wollen wir betreiben? Welche Ziele unserer Masterthesis waren Selbstreflexion und Po- ten der Textstellen der anderen, somit kann der Text unserer vorhanden und manchmal temporär physisch betretbar. Rollen nehmen wir dabei ein und wovon möchten wir uns sitionierung im (OFF-) Kulturfeld. Dafür haben wir zwanzig bis Masterthesis in seinem jetzigen Zustand keiner einzelnen Einerseits entsprang die Motivation zur Gründung von abgrenzen? Durch das Bedürfnis diesen Fragen, der Art des dreißig Räume in der Schweiz, Deutschland und Österreich Person mehr zugewiesen werden. Das Layout der gedruckten CO-Labor aus dem Interesse, neue Vermittlungsansätze au- Raumes oder seiner inhaltlichen Ausrichtung auf den Grund angeschrieben, um einen Besuch zu vereinbaren. Wir wähl- Form unserer Thesis entspricht unserer vernetzenden und ßerhalb des schulischen und musealen Kontextes zu testen, gehen zu können und unsere Rollen zu klären, ist das Konzept ten Räume aus, welche uns strukturell, formal oder inhaltlich non-linearen Arbeitsart. Die Thesis kann somit im horizonta- andererseits reizte es uns, im freien Kulturbereich tätig zu für unsere Forschungsarbeit zu selbstorganisierten Räumen interessierten. Bei der Auswahl der Räume rückte das Attri- len Zickzack oder auch vertikal gelesen werden. werden und ein Projekt auf die Beine zu stellen, welches auch entstanden. but ‚künstlerisch’ in den Hintergrund. So besuchten wir bei- Exemplarisch wird hier ein Ausschnitt der Untersuchung nach Abschluss unseres Studiums weiterlaufen sollte. Wir spielsweise den Autonomen Beautysalon, eine großräumige zur ROLLE des_r Einzelnen aufgeführt: wollten ein Gefäß herstellen, wo Experimente und Austausch Eine Raumrecherche (CO-Labor, Besetzung in Zürich, den OLM SPACE, einen EIN-MENSCH In den Interviews wurde klar, dass der_die Einzelne inner- auch außerhalb eines Ausbildungsalltags möglich sind. Die z.Z. physisch am Platanenweg 4) Kunstraum unter einer Autobahnbrücke in Neuenburg, oder halb der Raumorganisation verschiedene Rollen einnimmt. Selbstorganisation und Unabhängigkeit von institutionellen Im Rahmen unserer Masterthesis entwickelten wir CO-La- Bildwechsel, ein feministisches Künstlerinnen*archiv in Ham- Die Art und Weise des Eigenverständnisses ist wiederum Rahmenbedingungen war von Beginn an ein zentrales Be- bor weiter. Einerseits manifestierte sich CO-Labor in einem burg. Wir führten zehn qualitative Interviews in Deutschland ausschlaggebend für das Verständnis, wie Menschen sich dürfnis. physischen Raum, einer Zwischennutzung am Platanenweg und der Schweiz durch, bei welchen wir Fragen zu Wesen, sozial organisieren. Aus diesen Überlegungen heraus wurde CO-Labor Anfang 4. Der Platanenweg 4, eine ehemalige Garage im Lorraine- Wert und Wirkung dieser Räume stellten. Zusätzlich inter- Aus den Interviews gehen folgende exemplarische Aussa- 2013 gegründet. Der Name sollte als Platzhalter dafür die- quartier in Bern, wurde zur temporären Bar mit regelmäßigen viewten wir Philip Cabane, Experte für urbane Strategien & gen der Raumbetreiber_innen hervor: nen, dass die Kollaboration untereinander und mit anderen Anlässen. Entwicklung und Dozent am Hyperwerk Schweiz, und Carla Renaud Loda, welcher einen Ein-Mensch-Kunstraum be- ein zentraler Aspekt unserer Praxis ist, und er soll gleichzeitig Die Anlässe hatten keinerlei künstlerischen Anspruch, Orthen, welche zum Thema „Räume künstlerischer Selbstor- treibt, beschreibt seine Rolle folgendermaßen: dem Laborartigen, Experimentellen einen Platz einräumen. vielmehr spiegelten sie eine Art unbeschwerte Selbstorgani- ganisation in Deutschland und ihre Positionierung im Kunst- „[...] oft passiert es mir, dass ich Kurator bin und Assistent, Von Anfang an stand die Entscheidung fest, dass sich CO- sation, die sich beispielsweise in Live-Filmvertonungen oder feld“ dissertiert. um mit dem Künstler, der da ist, zu sein. Und wir sind die Labor nomadisch in Form von Zwischennutzungen manife- Tauschmärkten äußerte, welche von allen Menschen besucht Unsere filmisch aufgezeichneten jeweils ca. einstündigen Einzigen, es gibt keine Besucher, keine Zuschauer. Der Zu- stiert. werden konnten. Mit diesen Anlässen wollten wir Fragen zum Interviews wurden transkribiert und mittels der Grounded schauer, das bin ich.“1 1 Renaud Loda (OLM Mittlerweile hat CO-Labor zwei Zwischennutzungen reali- Publikum, dessen Zusammensetzung und der Zugänglichkeit Theory gemäß Mey& Mruck ausgewertet: Ebenso divers beschreibt auch Chris Regen ihre Rolle. SPACE), 2014. siert, die etwas weniger als ein Jahr auseinander liegen. Die von einem Raum adressieren; weg von einem geschlossenen Durch das Sammeln und Ordnen von Schlagworten, wel- „Ich bin eigentlich der Garant, ich muss den Kopf hinhalten, 2 Chris Regen (Kas- Raumbetreiberinnen von CO-Labor sind parallel dazu auch als Format, das nur für Eingeweihte sicht- und betretbar war, hin che in den Interviews genannt wurden, ist ein analoges Mind- Flaschen wegräumen und so, also... Ich bin Raumpflegerin, kadenkondensator), Künstler_innengruppe aktiv. zu einem offenen Raum. Durch diese Form der Anlässe konn- map mit einem vernetzten Grundgerüst entstanden. Aus die- aber auch Chef [...].“2 2014. Die erste Zwischennutzung haben wir im Juni 2013 ten wir direkt Einfluss auf die Zugänglichkeit unseres Raumes sem Mindmap ergaben sich die zentralen Themen für unsere Carla Orthen erklärt die multiplen Anforderungen im Kul- während eines Monats in einer ehemaligen Metzgerei in nehmen. In diesem Kontext begannen wir, Selbstorganisation theoretische Untersuchung, welche wir in einer kartographi- turbereich als Anforderungen einer bestimmten Zeit und er-

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weitert den Anforderungsbegriff mit jenem einer bestimmten Kunstvermittlung und CO-Labor Lucile Schwörer-Merz Vorstellung von Individualität. CO-Labor bewegt sich zwischen künstlerischem, politischem „Es gibt immer mehr Tätigkeiten, die nicht mehr einer be- und sozialem Handeln. CO-Labor strebt mit den ortsspezi- stimmten Ausbildung zuzuordnen sind. Es gibt immer mehr fischen Konzepten immer wieder neue Kooperationen an und Künstlerische Erfahrungs- und Anforderungen, dass ich eben als Künstler genauso Projekt- sieht in der Kompliz_innenschaft eine Möglichkeit zur Ver- manager bin, genauso möglicher Kurator, möglicherweise mittlung. Menschen erproben hierbei innerhalb unterschied- Gestaltungsprozesse als zentraler Galerist und es geht ja über den Kulturbereich hinaus. Also licher Formate neue Handlungsmöglichkeiten. Einflussfaktor auf den die Schlagworte Kreativität und Flexibilität haben sich in den Das ständige Involviertsein von Gesellschaft und Instituti- letzten Jahren als Anforderungen an viele Arbeitstätige ent- on, wie auch das eigene Involviertsein in Gentrifizierungspro- Professionalisierungsprozess wickelt und insofern ist der Kulturbereich mittlerweile auch zessen ist CO-Labor klar geworden. CO-Labor bewegt sich stark hybride in dem Sinne [...]. Es hat natürlich auch mit deshalb nicht mehr im ON oder OFF, im INNEN oder AUSSEN. von Kunstlehrenden einer Vorstellung von Individualität zu tun [...]. Das ist eine Vielmehr sehen wir Potential in selbst geschaffenen Räumen, Mischung aus Anforderung aber eben auch Vorstellung, wie selbst initiierten Reflexionsprozessen und im damit einherge- 3 Carla Orthen, 2014. ich arbeiten und leben möchte.“3 henden Erkennen und Sichtbarmachen von Strukturen und Solche und weitere Aussagen haben wir aus den Inter- auch Grenzen. Fragestellung Forschungsdesign views herausgefiltert und mit theoretischen Ansätzen vergli- CO-Labor hat keine abgeschlossene Forschungsarbeit an- Künstlerische Erfahrungs- und Gestaltungsprozesse sind Si- Die Zielgruppe der vorliegenden Untersuchung bilden Stu- chen, ergänzt oder kontrastiert. gestrebt, vielmehr wurden während des Arbeitens Kontexte tuationen, in denen ein anderer, neuer Blick auf künstlerische dierende der Kunstpädagogik mit dem Schwerpunkt Grund-, Für unser Rollenverständnis bei CO-Labor haben wir dar- und Verbindungen sichtbar. CO-Labor ist Forschungsraum, Lehr- und Lernsituationen, die Kunst und den Kunstunterricht Haupt- und Realschullehramt. aus folgenden Schluss gezogen: Reflexionsraum, potentieller Handlungsraum und ideeller ermöglicht wird – sie werden somit zu Schlüsselereignissen Um den Professionalisierungsprozess untersuchen zu Jede der Akteur_innen kann verschiedene Rollen auste- Denkraum. Diese selbst erschaffenen Räume haben jeweils im Zusammenhang mit der Entwicklung einer professionellen können, war eine Langzeituntersuchung notwendig, mit sten. Wir empfinden den Umgang mit Rollen als Teil von Lern- spezifische Realitäten inhärent und referieren in unterschied- kunstpädagogischen Haltung. Das ist eines der Ergebnisse der die Studierenden von Beginn ihres Studiums bis in prozessen. Rollen sind nicht da, um ein Selbstverständnis zu licher Weise miteinander, bzw. bedingen sich gegenseitig. einer bis vor kurzem an der Pädagogischen Hochschule den Schuldienst hinein beobachtet und begleitet werden stärken oder sich darin auszuruhen. Karlsruhe von mir durchgeführten Langzeitstudie, in der zehn konnten. Das Forschungsdesign sieht eine Vielzahl an For- Studierende während ihres gesamten Lehramtsstudiums und schungstechniken und -methoden vor, die miteinander tri- darüber hinaus bis in den Schuldienst begleitet wurden. anguliert werden. Das Hauptanliegen dieses Forschungsprojekts ist die Un- Die so entstandenen Fallstudien fußen auf einer Fülle an tersuchung der kunstpädagogischen Selbstkonzeptentwick- Forschungsmaterial: Es handelt sich um Beobachtungen des lung von Studierenden, im Sinne einer sich entwickelnden künstlerischen Denkens und Handelns, narrative Interviews kunstpädagogischen Professionalität im Hinblick auf die Po- und leitfadenorientierte Interviews, Portfolios, Rechenschafts- tenziale des schul- und hochschuldidaktischen Konzepts der berichte und Kunstwerke der Studierenden selbst. künstlerischen Bildung. Mit anderen Worten: Welche Einflussmöglichkeiten haben Professionalität Angebote künstlerischer Bildung, insbesondere künstlerische Bevor man die Frage beantworten kann, wie das Konzept der Erfahrungs- und Gestaltungsprozesse, auf den Professionalisie- künstlerischen Bildung auf den Professionalisierungsprozess rungsprozess von Kunstpädagoginnen und Kunstpädagogen? von Kunstlehrenden wirkt, ist es wichtig, zunächst danach zu schauen, was ist kunstpädagogische Professionalität? Was 1 Weitere Informationen Künstlerische Bildung sind ihre Kennzeichen? zur künstlerischen Das Lehr- und Lernkonzept der künstlerischen Bildung1 ori- Zunächst ist pädagogische Professionalität immer schwer Bildung u. a. in entiert sich mit seinen Inhalten, Methoden und Zielen an der zu bestimmen. Je nach Blickwinkel und theoretischem Stand- folgenden Publikati- Kunst. Es bezieht sich auf den von Joseph Beuys formulierten punkt ergibt sich ein anderes Bild von Professionalität. So ist onen: Kettel, Joachim: „erweiterten Kunstbegriff“ und begreift kunstpädagogische Professionalität auch für jede Fachdidaktik aufs Neue zu be- Künstlerische Bildung Prozesse selbst als künstlerische Prozesse. stimmen. nach Pisa. Neue Das übergeordnete Ziel der künstlerischen Bildung ist die Im vorliegenden Fall stellen sich also folgende Fragen: Wege zwischen Übung des künstlerischen Denkens; dies gliedert sich in die Was erwartet die Gesellschaft von Kunstpädagoginnen und Kunst und Bildung. drei eng miteinander in Beziehung stehenden Teilbereiche: Kunstpädagogen? Wie wirkt sich die künstlerische Bildung, Oberhausen 2004 sensible Wahrnehmung, kritische Reflexion und eigenständi- insbesondere künstlerische Erfahrungs- und Gestaltungspro- und Buschkühle, ge Imagination. zesse, auf deren Professionalisierung aus? Und was gehört Carl-Peter: Perspek- Diese sind wichtige Bausteine für die Bildung eines selbst- im Hinblick auf das Konzept der künstlerischen Bildung für die tiven Künstlerischer bestimmten und selbstorganisierten Individuums. Lehrenden zum professionellen Arbeiten? Bildung. Köln 2003.

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Abb.1 Haltung und Persönlichkeit lehrbar und erlernbar und in die gehalten, ihr persönliches Thema, ihren Ort in den Kühlräu- 6 Die Methode der nar- Simone zeichnet während Lehrerbildung insbesondere an Hochschulen integrierbar und, men sowie die Medien und das Material ihrer Bearbeitung rativen Landkarte un- des Interviews eine wenn ja, wie? Und: welche Rolle spielen dabei künstlerische selbst zu bestimmen. terstützt die Analyse narrative Landkarte. Erfahrungs- und Gestaltungsprozesse? Anhand des folgenden Das Seminar begann mit dem Lesen von Texten zu den narrativer Interviews. Fallbeispiels soll exemplarisch der Frage nachgegangen wer- Merkmalen zeitgenössischer Kunst, insbesondere zur Be- Unterschiedliche Abb.2 den, wie Angebote künstlerischer Bildung auf den Professio- deutung des Ortes und des Rezipienten für die Kunst. Diese Qualitäten der ge- „Immer wieder faszinieren nalisierungsprozess von Kunstlehrenden wirken. Theorie, gepaart mit der eigenen künstlerischen Erfahrung/ zeichneten Elemente mich grafische Anord- Praxis, veränderte Simones Kunstbegriff, der geprägt war werden untersucht. nungen von Formen, Eckfall Simone durch ihre Ausbildung zur Grafikdesignerin, und somit auch Die Analyse fragt Flächen und Farben …“ Vor dem Studium5 hat Simone eine Ausbildung zur Grafikde- ihre künstlerische Arbeit. Sie schreibt in ihrer Hausarbeit: danach, wie diese (Abb. Portfolio) signerin gemacht und ist nun nach dem Referendariat seit ei- „Einen gangbaren Weg zwischen handwerklicher Präzision, Elemente dargestellt, nem Jahr als Lehrerin an einer Karlsruher Realschule tätig. Sie Grafik, Design und Kunst zu finden, wurde zu meiner persön- gezeichnet worden wurde bereits im 4. Semester zum ersten Mal interviewt, um lichen Herausforderung.“ (Hausarbeit Simone, Seite 1) Alle sind, beispielsweise herauszufinden, wie sie Angebote der künstlerischen Bildung in dieser Untersuchung interviewten Studierenden betonen wie groß die Elemente aufnimmt und versteht. Während des sehr offenen, narrativen immer wieder das Potenzial künstlerischer Projekte an hete- ausfallen, wie detail- Interviews hat Simone eine narrative Landkarte gezeichnet.6 rotopen Orten. „Also im Rahmen des Studiums war die Kon- liert sie gezeichnet (Abb.1) Die künstlerische Bildung zeichnet Simone zentral in frontation mit dem Ort für mich ganz zentral ...“ (Interview II sind; ist die Lage der 2 Thole, Werner: ihre Landkarte. Flankiert wird die künstlerische Bildung von Simone, Zeile 143-146) Elemente eher zentral http://www.gew.de/ der Persönlichkeitsbildung und der Fähigkeit, eine eigene Po- Simones Erfahrungen und Wahrnehmungen am Ort oder peripher, sind gute_paedagogische_ sition zu finden. Diese Fähigkeit, die notwendig ist, um über- Schlachthof sind ihr Start in einen andauernden Gestaltungs- die Elemente einander Professionalitaet. haupt an Gesellschaft mitwirken zu können, wird besonders prozess. (Abb.3) Simones Kunstbegriff wandelt und verän- zugeordnet, und vieles html (letzter Aufruf: 9. innerhalb von Gestaltungsprozessen geübt. Auch kann man dert sich. Sie verlässt die zweidimensionale Fläche und beob- mehr. Januar 2014). der Landkarte entnehmen, dass Simone bereits zu diesem achtet Linien und Formen im Raum. Sie sucht Linien und Flä- 3 Vgl. Kuhl, Julius; Mül- Zeitpunkt die Möglichkeit sieht, ihre im Studium gemachten chen in der Architektur, im Mauerwerk der Gebäude. (Abb.4) ler-Using, Susanne; Grundsätzlich misst sich die Qualität pädagogischer Pro- Erfahrungen auf ihre zukünftige Lehrtätigkeit zu übertragen. „Linien und daraus resultierende Räume faszinieren mich. Abb.3 Solzbacher, Claudia; fessionalität letztendlich immer daran, „wie es gelingt, Kin- Das ist ihr wichtig, das betont sie auch im Interview. Auch im Schlachthof.“ (Simone, Portfolio) Mit ihrer Installati- „Also im Rahmen des Warnecke, Wiebke der, Jugendliche und Erwachsene dabei zu unterstützen, um Neben dem Interviewtext, der narrativen Landkarte und on am Ende des Semesters erzeugt sie einen Raum im Raum. Studiums war die (Hrsg.):Bildung selbstbestimmt durchs Leben zu gehen“.2 den protokollierten Beobachtungen liegt zur Untersuchung Vom Zweidimensionalen zu raumgreifenden Installationen, Konfrontation mit dem Ort braucht Beziehung. Für eine selbstbestimmte Lebensführung bedarf es gewis- ein Portfolio vor, welches Simone das gesamte Studium über die den Betrachter und den Ort integrieren. (Abb.5) In ihrem für mich ganz zentral ...“ Selbstkompetenz ser Fähigkeiten, die insbesondere in der künstlerischen Arbeit begleitet hat. Dieses Portfolio bietet einen Einblick in einen Portfolio dokumentiert sie ihren ganzen Arbeitsprozess. Auch (Abb. Portfolio) stärken - Begabungen geübt werden können. Das sind beispielsweise die Positio- Ausschnitt ihrer Biografie – ihres Studiums. Eine Vielzahl ge- gescheiterte, nicht umgesetzte Ideen. Sie selbst beschreibt entfalten. Freiburg/B. nierungsfähigkeit, die differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit, sammelter, beobachteter, recherchierter Spuren und Ergeb- diese Krisen künstlerischer Arbeit und das Überwinden dieser Abb.4 2011. die Fähigkeit zu selbständigen Bedeutungskonstruktionen und nisse ist hier in Form von Skizzen, Zeichnungen, Fotos, Texten Krisen als „Entwicklungsprozess“. „Linien und daraus 4 Hattie, J.: Lernen zu visionärem, imaginativem Denken. Diese Fähigkeiten sind etc. zusammengetragen. Interessant ist, dass Simones Portfolio die Verknüpfung, resultierende Räume sichtbar machen. über die künstlerische Arbeit hinaus, als eine Befähigung des Zu Beginn ihres Studiums zeigt ihr Portfolio, geprägt durch Vernetzung und den Anschluss der einzelnen Seminare und faszinieren mich. Auch im Überarbeitete Einzelnen, in einer komplexen, sich fortwährend wandelnden ihre Ausbildung zur Grafikdesignerin, sehr technische, zwei- Übungen, das Weiterarbeiten zwischen den Lehrveranstal- Schlachthof.“ deutschsprachige Gesellschaft, Perspektiven für das eigene Leben zu gewin- dimensionale, grafische Gestaltungsarbeiten mit den Ge- tungen, deutlich zeigt. Im weiteren Verlauf dokumentiert (Abb. Portfolio) Ausgabe von „Visible nen, von Bedeutung. staltungselementen Fläche, Linie und geometrische Formen. Simone Experimente, die sie in den Semesterferien mit Learning“ besorgt Angesichts dieser Anforderungen an den Lehrenden wun- (Abb.2) „Immer wieder faszinieren mich grafische Anordnun- einem alten Bundeswehrfallschirm durchgeführt hat. Auch Abb.5 von Wolfgang Beywl dert es nicht, dass zunehmend, von der (bildungs-)wissen- gen von Formen, Flächen und Farben …“ (Simone, Portfo- hier begeistert sie sich für die Linien, die durch die Falten Simone nimmt mit dieser und Klaus Zierer. Balt- schaftlichen Forschung unterstützt, die Zusammenhänge lio) Im weiteren Verlauf dokumentiert sie in ihrem Portfolio im Material und durch die Schnüre entstehen. (Abb.6) Der Arbeit Bezug auf die mannsweiler 2013. betont werden, die es zwischen Lehrerpersönlichkeiten und Recherchen und Überlegungen im Zusammenhang mit einer mit Schnüren an Stahlstützen befestigte Fallschirm bläht bekannte Anekdote des 5 Simone studierte an deren Haltungen und Unterrichtsqualität gibt. Mit dem Slo- künstlerischen Lehrveranstaltung, die im ehemaligen Karls- sich auf und bildet, durch die Luftströmung der durch ein Damoklesschwerts. der Pädagogischen gan „Bildung braucht Beziehung“3 kehrt nach Jahren eines ruher Schlachthof stattfand. Hier sollten die Studierenden brennendes Feuer erwärmten Luft in der Mitte, eine Kuppel. (Abb. Portfolio) Hochschule Karlsruhe eher technokratischen Berufsverständnisses das Interesse auf den vorgefundenen Ort künstlerisch reagieren. Die indi- Auch hier: Linien durch die Stahlstützen, die Schnüre, die die Fächer Kunst, an der Lehrerhaltung nach und nach erneut in den Blick. Die viduell wahrgenommenen, recherchierten und gesammelten Falten im Material und ein Raum, der unterhalb der Kup- Abb.6 Deutsch und evange- Annahme, dass die Lehrerhaltung entscheidend für gelingen- Spuren, Beobachtungen und Erkenntnisse sollten in einen pel durch den Fallschirm entsteht. Abschließend entwickelt Experimente mit einem lische Theologie auf des Lernen ist, wurde u. a. durch die Hattie-Studie4 hervor- künstlerischen Gestaltungsprozess überführt werden und und dokumentiert sie in ihrem Portfolio ihre künstlerische alten Bundeswehrfall- Realschullehramt. gehoben. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Ist abschließend in ein Werk münden. Die Studierenden waren Abschlussprüfung. schirm. (Abb. Portfolio)

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Abb.7 perimente mit dem Fallschirm, aber auch noch immer Linien aus dem praktischen künstlerischen und pädagogischen Es stellt sich demnach nicht die Frage, ob Angebote out“ by school Simones erste Überle- und Flächen. Handeln verbinden sich hierbei zu einem individuellen kunst- künstlerischer Bildung Einfluss haben auf den Professiona- experiences? Journal gungen den Fallschirm in Simones Portfolio zeigt eindrucksvoll ihren künstlerischen pädagogischen Konzept. Im Zentrum dieses Selbstkonzepts lisierungsprozess7, sondern es ist die Frage, wie Angebote of Teacher Education. einem Treppenaufgang Entwicklungsprozess, angefangen mit kleinteiligen, zweidi- steht das persönliche Leitbild (Utopien, Visionen, Ideale) – in künstlerischer Bildung auf die Entwicklung der kunstpädago- 1981, Seite 7–11. der PH ins Werk zu mensionalen Zeichnungen und Malereien zum Thema Linie einem ständigen Widerstreit von Anspruch und Wirklichkeit, gischen Professionalität wirken. http://myteachered- setzen. und Fläche zu Beginn ihres Studiums bis hin zu raumgreifen- von persönlichen Wertvorstellungen und gesellschaftlichen Einige Jahre später, bereits im Schuldienst, zeigt Simone ucation.wikispaces. (Abb. Portfolio) den Installationen mit Ortsbezug. Besonders die künstlerische Herausforderungen. eine tragfähige kunstpädagogische Professionalität. Aus den com/file/view/Are+t Erfahrung/Praxis ist Schlüsselereignis im Zusammenhang mit Für den Professionalisierungsprozess sind nicht nur das eigenen Erfahrungen ihres Studiums heraus möchte Simone he+Effects+of+Un Abb.8 ihrem Professionalisierungsprozess. Sie selbst schreibt rück- Studium, sondern auch das Referendariat, eine kontinuierli- ihre Schülerinnen und Schüler ermutigen, sie möchte, dass iversity+Teacher+E Künstlerische Ab- blickend in ihrem Rechenschaftsbericht: „Ich denke, durch che eigene künstlerische Praxis, die Nutzung von Lern- und sie aktiv werden, sich ganz und leidenschaftlich einer Sache ducation+Washed+ schlussprüfung Simone: solche Gestaltungsprozesse kann Persönlichkeitsbildung Fortbildungsmöglichkeiten in den Bereichen Kunst und Päd- zuwenden können, einen Willen entwickeln und „nicht gleich Out+by+School+Ex Durch die Raum-Faden- stattfinden. Wahrnehmung, Gestaltung, neue Standpunkte agogik, die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen so- jedes Scheitern mit Aufgeben verbinden“. „Meine Schüle- perience.PDF (letzter Verhältnisse entstanden entwickeln, aber auch das Scheitern sind Bausteine, die letzt- wie die Selbstreflexion von besonderer Bedeutung. Eine we- rinnen und Schüler sollen selbst aktiv werden, einen Willen Aufruf 07.04.2015). „imaginäre“ Flächen und endlich zur Persönlichkeitsbildung beitragen … Das Studium sentliche, alles durchdringende Voraussetzung ist die gene- und eine Position entwickeln und nicht gleich jedes Scheitern Auch Andrea Dreyer ein Raum im Raum. trug zu meiner allgemeinen Persönlichkeitsbildung bei.“ relle Entwicklungsbereitschaft des Einzelnen. Die Entfaltung mit Aufgeben verbinden. Ich möchte sie dabei unterstützen, meint in ihrer Studie (Abb. Portfolio) eines professionellen kunstpädagogischen Selbstkonzepts selbstbestimmt durchs Leben gehen zu können. Künstle- herausgefunden zu Künstlerische Bildung wirkt auf die vollzieht sich im gesamten Verlauf der beruflichen Entwick- risch-praktische Arbeit kann bei Schülerinnen und Schülern haben, dass sich kunstpädagogische Professionalität lung. Im Idealfall führt diese Entwicklung dazu, dass man sich die Fähigkeiten entwickeln, die sie für eine selbstbestimmte kunstpädagogische Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse zeigen, dass ge- selbst als Experte und als „selbstwirksam“ im beruflichen Lebensgestaltung benötigen, das braucht jedoch Menschen, Professionalität „fast rade Angebote künstlerischer Bildung, insbesondere künst- Handeln wahrnimmt und als authentische Lehrerpersönlich- die dies fördern (also uns Lehrer).“ ausschließlich erst in lerische Erfahrungs- und Gestaltungsprozesse, das Potenzial keit von den Schülern wahrgenommen wird. (Rechenschaftsbericht Simone, Zeile 67-75) der zweiten Phase der haben, ein ganzes Konglomerat an Einstellungen und Hal- Lehrerbildung bzw. tungen beim Einzelnen zu entwickeln. Diese sind als Basis vor allem innerhalb für das kunstpädagogische Selbstkonzept im Sinne einer der anschließenden tragfähigen kunstpädagogischen Professionalität lebenslang Berufsjahre generiert 7 Ganz im Gegensatz entwickelbar und somit, da sie in ihrer Entwicklung gefördert und sich demzufol- zu einigen Untersu- werden können, auch lehrbar. Dieses Konglomerat an Haltun- ge weitestgehend chungen, in denen das gen beeinflusst ohne Zweifel, so die vorliegenden Untersu- unabhängig vom Studium generell als chungsergebnisse, das Denken und die kunstpädagogische kunstdidaktischen wenig einflussreich Praxis der Lehrenden. Wie z. B. Kunstpädagoginnen und Diskurs entwickelt“ für die professionelle Kunstpädagogen Kunstunterricht verstehen, hängt insbeson- (vgl. Dreyer, Andrea: Entwicklung gesehen Zunächst verfolgte sie das Ziel, den Fallschirm mit an die dere von deren Kunst- und Bildungsbegriff sowie von deren Kunstpädagogische wird. Kenneth M. Hochschule zu nehmen und dort neu zu inszenieren. Deshalb Welt- und Menschenbild ab. Professionalität und Zeichner and B. machte sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Ort. Auch wenn es sich beim kunstpädagogischen Selbstkon- Kunstdidaktik. Eine Robert Tabachnick Simone dokumentiert ihre intensive Ortssuche und Raum- zept um eine ganz subjektiv gewichtete Mischung verschie- qualitative empirische beziehen sich bereits recherche mit zahlreichen Fotografien und Skizzen. Sie ent- dener Einstellungen und Haltungen handelt, hängt seine Trag- Studie im kunstpäda- 1981 auf Dan C. Lortie scheidet sich, den Fallschirm in einem Treppenaufgang ins fähigkeit vom Zusammenwirken der Haltungen ab. Das heißt, gogischen Kontext. und kennzeichnen Werk zu setzen. (Abb.7) Aus brandschutztechnischen Grün- alle Teilhaltungen müssen gleichermaßen ausgebildet sein München 2005, S die Lehrerbildung den durfte sie im Gebäude nicht mit dem Fallschirm arbeiten und dann nutzbar gemacht werden, wenn es die Situation er- 231.). als „low impact – ein „Plan B“ musste her. Simone überlegte, was sie am fordert: die künstlerische Haltung, die pädagogische Haltung, enterprise“, was man Fallschirm faszinierte – es waren die Gestaltungselemen- verbunden mit dem dazugehörigen Welt- und Menschenbild, übersetzen könnte als te der Linien in Beziehung zum Raum. Die Linien realisierte und die Bereitschaft, persönliche und damit gesellschaftliche „Unternehmen mit sie folglich, indem sie rote Wolle von einem zentralen Punkt Verantwortung zu übernehmen. Von besonderer Bedeutung generell schwacher ganz oben im Treppenhausschacht, an dem sie sonst den sind zudem eine reflexive Haltung und eine gewisse Leiden- Wirkung“ (Zeichner, Fallschirm befestigt hätte, fächerartig mit einer Vielzahl von schaft für die Sache. Die Summe dieser Einstellungen und K. M., & Tabachnick, Punkten des Treppengeländers straff verspannte. Durch die Haltungen macht die Lehrerpersönlichkeit, das kunstpädago- B. R.: Are the effects Raum-Faden-Verhältnisse entstanden „imaginäre“ Flächen gische Selbstkonzept aus Theorieansätze, subjektive (Hand- of university teacher und ein Raum im Raum des Treppenaufgangs. (Abb.8) Im- lungs-)Theorien, d. h. Einstellungen und Haltungen, die sich education „washed pulse für diese künstlerische Arbeit waren einerseits ihre Ex- im Laufe des Studiums entwickelt haben, und Erfahrungen

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Swantje Kaulfers, Sabine Lenk, Rainer Mügel, experimentieren beginnt, bedeutet für einige Schüler bereits Portfolios durch verbindliche Vorgaben)? Hier schließt sich Wilfried Reuter, Tanja Wetzel, Ingo Wirth ein hohes Risiko. die Frage an, ob z.B. Skizzen als vollwertige Arbeit ge- Um diese Prozesse ästhetischer Praxis zu fördern, bedarf wertet werden oder ob in jedem Fall eine in der Aufgabe 1 Spontaner Kommentar 1 es auf Seiten der Lehrer nicht nur einer Reihe an qualifizieren- verlangte ‚Übersetzung‘ erfolgen muss. Damit ist auch die einer Teilnehmerin am „Symmetrie geht für mich gar nicht ...!“ den Einzel-Kompetenzen. Insbesondere aufgrund der Einsicht Frage verbunden, inwiefern man auf die Aufgabenstellung Workshop in Salzburg. in die Personalität solcher Prozesse müssten fachliche Kom- pochen sollte/muss oder ist denkbar, sich davon zu lösen, 2 Der Lesbarkeit halber Welche Vorstellungen leiten uns, wenn wir petenzen vor allem um den Aspekt der Subjektivität erweitert um einzelnen Schülern abweichende Wege zuzugeste- verwenden wir bei 2 werden, durch die auch solche Fragen in den Horizont einer hen? „Lehrer“ und „Schü- beratend in ästhetische Prozesse von Schülern im professionellen Auseinandersetzung rücken wie: Wie wird u Was ist das ‚Eigene‘ unserer Schüler? Warum irritiert es ler“ nur die männliche Kunstunterricht eingreifen? das „Eigene“ der Schüler wahrgenommen und konzeptuali- uns, wenn wir mit (alterstypischen) Klischees, Stereoty- Form der Bezeich- siert? Worin sehen wir die Ziele kunstpädagogischer Instruk- pen oder sehr einfachen gestalterischen Lösungen (z.B. nung. tionen? Was machen wir als Problem der Schüler aus, worin „Symmetrie“, s.o.) konfrontiert werden? Welche Rolle 3 „Wir“, das ist eine Ar- sehen wir eine Lösung? Wie definieren wir unsere Beziehung spielt also der entwicklungspsychologische Stand der beitsgruppe, die sich Ansatz Mit unserer Fragestellung knüpften wir an unsere be- zu ihnen? Eine solche auf personelle Reziprozität gerichtete Schüler bei der Beratung? eigeninitiativ mit Blick Wir betrachteten diesen Workshop als eine Art Versuchsan- reits länger verfolgte theoretische Beschäftigung mit dem Performanz (von Kompetenz) sehen wir besonders gut im an- u Welche Auswirkungen haben bereits die Formulierung auf den Salzburger ordnung und wollten wissen, ob sich die uns im Vorfeld ge- personellen Verhältnis und dem Anteil der Beziehung zwi- tiquiert anmutenden Begriff der „Haltung“ gefasst. und Erläuterung der Aufgabenstellung auf die sich an- Kongress gebildet hat stellte offene Frage auch im erweiterten kunstpädagogischen schen Lehrern und Schülern in ästhetischen Lernprozessen Mit der Art und Weise, wie sich ein Lehrer in einer be- schließenden individuellen Prozesse der Schüler? und personell entspre- Diskurs als ein frag-würdiger „blinder Fleck“ der Kunstpäd- an.4 Eine solche Beziehung, so die These, gestaltet sich im stimmten Situation einem Schüler gegenüber verhält, verkör- u Soll in einer Beratung das vorliegende Skizzenmaterial chend der vielfältigen agogik herausstellt3: Welche Vorstellungen leiten unsere Kunstunterricht in besonderer Weise. Das ist vor allem dem pert er eine Haltung. Bei einer genuin kunstpädagogischen eher (nur) beschrieben (sofern das überhaupt gelingen Blickachsen auf das Beratungen in Arbeitsbesprechungen zu offen angelegten Eigenwert des künstlerischen Handelns geschuldet und dem Haltung spielen sowohl pädagogische als auch künstlerische kann) oder bereits interpretiert werden? kunstpädagogische künstlerischen Aufgabenstellungen? Daran schlossen sich von ihm ausgehenden Angebot einer Auseinandersetzung, Vorstellungen eine wichtige Rolle (z.B.: Was schätzen wir sel- u Was folgt daraus für die Beratung, wenn am Entwurfspro- Feld die Bereiche weitere Fragen an: Haben wir ein (unausgesprochenes, im- die sich über das Einüben technisch-handwerklicher oder ber an der Kunst, womit haben wir Erfahrungen gesammelt, zess deutlich wird (oder bereits vorher bekannt ist), dass Hochschule, Schule plizites) Arbeitskonzept, an dem wir uns orientieren? Welche gestalterischer Fertigkeiten hinaus auch auf die Subjektivität wie gestaltet sich unser aktuelles Verhältnis zur Kunst?). Die ein Schüler eher am Prozess interessiert ist als an der Er- und Studienseminar künstlerischen sowie pädagogischen Vorstellungen fließen der Schüler richtet. Auf diese Weise können sich Möglichkei- damit verbundenen Annahmen und Vorstellungen bleiben oft arbeitung eines Ergebnisses? Oder umgekehrt: Wenn ein abbildet. Im Unter- darin ein – und in welchem Verhältnis? Welche persönlichen ten eröffnen, „etwas“ oder gar „sich selbst“ auszudrücken Teil eines mehr implizit als explizit gehandhabten Wissens, Schüler vorschnell zu Ergebnissen kommen will, ohne sich schied zu der in der Präferenzen spielen dabei eine Rolle? und sich dadurch vielleicht ein wenig (mehr) auf die Spur das aber unser kunstpädagogisches Handeln maßgeblich mit überhaupt auf den Prozess einzulassen...? Community immer Unser Gesprächsangebot im Workshop bezog sich auf kon- zu kommen bzw. eine solche überhaupt erst zu entwickeln. beeinflusst und deshalb in die Reflexion einbezogen werden wieder postulierten kretes Fallmaterial von Schülern. Dabei handelte es sich um Dafür braucht es natürlich Formen, ein Sich-Üben im Über- sollte. So wollten wir im Rahmen des Workshops ein Format Ergebnisse der Arbeitsgruppen in Salzburg Trennmarke zwischen Skizzenmaterial aus ihrer ästhetischen Praxis, ausgehend von setzen von Vorstellungen und Ideen ins Bildnerische sowie der Auseinandersetzung anbieten, mit dem genau das zur und unseres „Testlaufs“ in Kassel „Theorie“ und „Praxis“ zwei unterschiedlich ausgerichteten Aufgabenstellungen aus die Erfahrung, dass formale Entscheidungen Vorstellungen Sprache gebracht werden kann. Den Arbeitsgruppen (je 4–5 Personen) wurde folgendes Fall- entwickelte sich Kursen der gymnasialen Oberstufe (Hessen, Niedersachsen). und Ideen mitgestalten. In diesem Spannungsfeld zwischen Anknüpfend an konkretes Fallmaterial kristallisierten sich material praktischer Schülerarbeiten mit Skizzen zu zwei ver- unsere gemeinsame Uns interessierte das Gespräch zwischen professionellen einem persönlichen Wollen und Wünschen und den formalen bereits in unseren Vorgesprächen in Kassel und später dann schiedenen Aufgabenstellungen vorgelegt. Damit waren die Arbeit überraschend Kunstpädagogen über ihre persönlichen Sichten und Ein- Ansprüchen visueller Darstellung, in dem sich nicht nur allge- in den Arbeitsgruppen in Salzburg eine ganze Bandbreite beiden Impulsfragen verbunden: Was fällt mir spontan auf? einträchtig und schätzungen dieser Zwischenzustände und über ihre Ideen zu mein ein künstlerisches Tun, sondern im Besonderen auch die an pädagogischen und künstlerischen Aspekten heraus, die Wie würde ich beraten? äußerst inspirierend. einer individuellen Förderung der Schüler. Dabei sollte der As- ästhetische Praxis im Kunstunterricht ausrichtet, können die zwar in ihrer jeweiligen Begründung durchaus stimmig, aber Jede Gruppe konnte sich auf die Entwürfe von zwei Schü- 4 Vgl. Sabine Lenk, Tan- pekt der „Bewertung“ bewusst außen vor gelassen werden, Lehrenden zu einem bedeutenden Gegenüber werden, das untereinander zum Teil recht heterogen bis divergent waren. lern bzw. Schülerinnen zu einer Aufgabenstellung beziehen; ja Wetzel: Kunstpäda- da dieser ja in den letzten Jahren in der kunstpädagogischen die Schüler begleitet und berät, an dem sie sich aber auch Dabei ergaben sich einige Fragen, die wir für weitere Diskus- die meisten wählten dann aber nur ein Beispiel aus. gogische Kompetenz Diskussion recht intensiv verhandelt wurde. Demgegenüber reiben und abarbeiten können. sionen besonders bedenkenswert finden: a) Farb-Forschung, 12. Klasse (Leistungskurs). Die Schü- braucht eine Haltung. richtete sich unser Interesse v.a. auf die impliziten (und des- Ästhetische Prozesse gehen also über eine technische u Welcher Stellenwert wird innerhalb der ästhetischen ler sollten zu Hause über Recherchen ein eigenes „Farb-For- Was macht eine halb oft schwer zugänglichen) Vorstellungen, die seitens der bzw. methodische „Anwendung“ von Kompetenzen hinaus Praxis der Gestaltung, also den formalen Anteilen des schungs-Frage-Feld“ eröffnen und daraus erste Ideen für eine „gute“ Kunstlehrerin, Lehrer eine Beratung bildnerischer Prozesse motivieren und und sind deshalb nicht einfach lehr- und lernbar. Ästheti- Bildnerischen zugesprochen? (Eine Frage, die sich aktu- weitere bildnerische Auseinandersetzung ableiten. Uns lagen einen „guten“ Kunst- ausrichten, und die unserer Vermutung nach den Blick auf sches Lernen ist an innere Erfahrungen gebunden und unter- ell vor allem im Bezug auf das kunstdidaktische Konzept die ersten Ideenskizzen der Schülerin Marlene und des Schü- lehrer aus? 2014, die Schülerarbeiten stärker mitformen als allgemein ange- liegt damit einem dynamischen Prozess, in dem Momente Ästhetische Forschung stellt). In welchem Verhältnis ste- lers Simon5 vor sowie stark gekürzte Transkripte von Unter- 5 Namen von den http://zkmb.de/index. nommen. Es schien uns aus diesem Grund sogar förderlich des Gelingens und Glücks ebenso Anteil haben können wie hen Inhalt und Form? Traue ich dem Material zu, dass sich richtsgesprächen, in denen sie ihre ersten Ideen erläuterten. Autoren geändert. php?id=182 für eine möglichst unvoreingenommene Umgangsweise mit erlebte Engpässe und daraus resultierende Verzweiflung. durch einen experimentellen Umgang damit eine Idee ent- Das Material von Marlene bestand aus mehreren Bögen mit dem Material, dass die Kollegen gerade nicht mit näheren Diese vielfältigen emotionalen Anteile sind nicht immer wickeln kann oder gehe ich davon aus, dass sich zunächst Kontaktabzügen von Fotos, die sie von Hausfassaden gemacht persönlichen Informationen und Einschätzungen zu den je- leicht auszuhalten. Allein der Übergang von einer ersten, va- eine Idee/Fragestellung bilden muss? hatte. Intensiver hatte sie sich unterschiedlich farbig getünch- weiligen Schülern und ihren bisherigen Entwicklungen aus- gen Idee zu einer Phase, in der man sich wirklich auf einen u Welcher Stellenwert wird dem Skizzenmaterial zuerkannt ten Siedlungshäusern gewidmet. Marlene sagte im Gespräch, gestattet wurden. Prozess einlässt und mit dem Thema oder dem Material zu (und welche Gefahr liegt z.B. in einem Formalisieren von dass sie als nächstes mit einer „besseren“ Kamera „bessere“

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Abb. 1 -4 Fotos machen wolle. Simon hingegen legte einige betont un- dem Kontext Ästhetische Forschung von den Schülern ei- Sprungs‘ vom Tisch im Raum zum Auto, das schließlich Schülerin Jule. Skizzen ausgearbeitete Blätter mit schnell skizzierten Ideen zum Ver- nen sehr großen Schritt verlangt, um aus dem ‚unendlich‘ aus dem Raum ins Freie fährt sowie die gestalterisch gute, zum Motiv „Caravan“ hältnis von Zeichen/Symbol und Farbe vor (z.B. ein Baum mit weit erscheinenden Feld der Möglichkeiten einen eige- interessante Collage-Lösung akzentuiert. Demgegenüber Jule entwirft eine Skizzen- grüner Krone und braunem Stamm und umgekehrt, ein Mund nen, persönlich als interessant und lohnend angesehenen stand eine kritische Bewertung der dargestellten Klischees reihe und beginnt mit der mit Zunge in Rosa und in Violett, der „Firefox“-Fuchs in Orange Zugang zu finden. Das betrifft sowohl die Entwicklung von Urlaub (u.a. aufgrund des verwendeten Bildmaterials Idee, sich und die Mitglie- und in Blau). Im Gespräch erläuterte er seine Überlegungen, einer eigenen Fragestellung, einer experimentierenden aus Urlaubskatalogen), von Heimat und Zukunft. der ihrer Familie an einem äußerte aber nicht, wie es für ihn weitergehen könnte. Einstellung als auch einer geeigneten bildnerisch-gestal- u Daraus ergab sich die Frage, ob man eher anknüpfend an Tisch im häuslichen b) Aufbruch aus der Heimat, 12. Klasse (Kunst Schwer- terischen Vorstellung und Umgangsweise mit dem zu- die als gut angesehenen gestalterischen Ansätze beraten Kontext zu positionieren. punktkurs), umfangreiches Entwurfsmaterial mit Skizzen sammengetragenen Material. sollte oder ob nicht eher eine gezielte Irritation hilfreicher Dann macht sie einen von sechs verschiedenen Schülern. Thematisch ging es um wäre, um die Schülerin ‚aus der Bahn‘ zu bringen und zu Sprung, verlegt das den Aufbruch und Ausblick auf das, was (nach dem Abitur) Diskussion zum Fallmaterial Farb-Forschung differenzierteren Bildkonzepten anzuregen. Gruppenszenario in und kommt, formal entwickelt u.a. mit den Möglichkeiten der u Insgesamt kam es in den Gesprächen zu wenig grund- u Auch die Bildkomposition wurde unterschiedlich gewer- um einen Caravan, durch Collage. Die Schüler sollten vorbereitend zunächst eine per- sätzlichen Differenzen. Dieses Material regte v.a. zu einer tet. Die kompositorische Tiefenräumlichkeit und Geschlos- dessen offene Heckklappe sönliche Bildsammlung von Personen, Orten, Dingen aus der Vielzahl an konkreten Vorschlägen an, wie die Schüler nun senheit wurde von den meisten als gestalterische Qualität man hineinschauen kann, eigenen Umgebung und aus der ‚Ferne‘ anlegen, die ‚positiv‘ am besten weiter machen könnten. Gewisse Unterschie- gesehen. Einige sahen aber gerade darin den Ausdruck verändert und öffnet gesehen werden. In der Aufgabenstellung wurde als mögli- de gab es in der Beurteilung der Qualität der entwickelten einer sehr konventionellen, ‚geschlossenen‘ Bildvorstel- schließlich in einigen cher Bezugspunkt der Bearbeitung auf die bekannte Collage Ansätze: ob in den ‚hingeworfenen‘ Skizzen von Simon ein lung. Diejenigen, die die (hier abgebildete) Collage bereits weiteren Schritten den von Richard Hamilton „Just what is it that makes today‘s ho- eigenständiger Ansatz zu einer Idee und Thematik ange- als eigenständige, weitgehend gelungene Bildlösung an- Innenraum, so dass man mes so different, so appealing?“ (1956) verwiesen. legt sei bzw. ob im umfangreicheren Material von Marlene sahen, sahen eher das Problem, wie dieser Entwurf in ei- am Horizont auf ein Ur- bereits eine ‚wirkliche Idee‘ enthalten sei oder nicht. ner anschließenden ‚Ausführung‘ noch gesteigert werden laubsidyll schaut (Insel als Diskussion der Aufgabenstellungen u Interessant war die unterschiedliche Einschätzung des me- könne und welche Auswirkungen dies für die Beratung Aussicht auf gemeinsame u In den Gesprächen ging es um die Fragen, was eine spe- thodischen Vorgehens, um zu einer eigenen Fragestellung habe. Ferien mit Freund). zifische Aufgabenstellung/-formulierung/-präsentation bzw. dann zu einer eigenen visuellen Lösung zu kommen. Das Gespräch zwischen auslösen kann und welche Rolle die Bezugnahme auf So hoben einige z.B. bei Marlene ein inhaltliches Recher- Schülerin Inga (Abb.5 und 6) den Workshopteilnehmern die Aufgabenstellung im Beratungsgespräch spielt oder chieren (Befragung der sozialen Kontexte, der Bewohner, u Auch bei diesem Entwurfsmaterial wurde von einigen Ge- entwickelte sich vor spielen sollte. Gerade bzgl. der letzten Frage gab es zwei des Gebrauchs der Farben in der Werbung, Bezug Farbe sprächsteilnehmern vehement vertreten, dass die Selbstin- allem zu der Frage, ob der verschiedene Positionen. Die einen Teilnehmer suchten – Symbol etc.) hervor; andere setzten eher auf die explo- szenierung der Schülerin sehr konventionell sei und derart Schwerpunkt der Bera- immer wieder den Rückbezug zur Aufgabenstellung, an- rative Kraft eines experimentellen Umgangs mit dem Ma- „defizitär“ unmöglich akzeptiert werden könne („kill your tung eher in einer positi- dere berieten eher unabhängig von der Aufgabenstellung, terial (das Material wirklich als Material zu nehmen, es zu darling“). Die Schülerin sollte daher unbedingt mit dem Kli- ven Resonanz in Hinblick interpretierten sie relativ frei in Bezug auf die jeweiligen zerschneiden, umzusortieren etc. und dies als ‚Methode‘ scheehaften ihrer Vorstellungen konfrontiert werden, damit auf den gestalterischen Prozesse. Für sie war ein (partielles) Abweichen durch die zu nutzen, um Fragestellungen zu entdecken, zu entwerfen dann mit ihr z.B. alternative Rollenbilder verhandelt wer- Prozesses liegen soll Schüler durchaus vorstellbar. In einem Fall wurde sogar oder hervortreten zu lassen und es zu weiteren inhaltlichen den könnten (hierzu vorgeschlagen wurden z.B. Arbeiten (spielerischer Umgang überlegt, ob der betreffende Schüler nicht sogar besser und/oder gestalterischen Vertiefungen zu nutzen). von Cindy Sherman). Demgegenüber wurde eingewandt, mit dem Material, witzige daran getan hätte, bewusst von der Aufgabe abzuwei- dass gewisse Klischees und Stereotype entwicklungspsy- Idee, Bereitschaft, bereits chen; also ob man ihn mit dieser Möglichkeit hätte kon- Diskussion zum Fallmaterial Aufbruch aus der Heimat chologisch erklärbar und daher ‚normal‘ seien. Es müsse gefundene Konzepte frontieren sollen, damit er zu einer eigenwilligeren, muti- u Hier verliefen die Gespräche weitaus divergenter und den Schülern durchaus erlaubt sein, auch solche Ideen zu wieder zu verwerfen) oder geren Bildlösung kommt. emotionaler. Im Fokus standen stärker die eigenen künst- entwickeln (von denen sie dann später vielleicht von selbst eher in einer kritischen u Besonders intensiv wurde an der Aufgabe Aufbruch lerischen bzw. pädagogischen Vorstellungen, aufgrund wieder abkämen). Interessant war, dass männliche Teilneh- Intervention, was die als aus der Heimat diskutiert, inwieweit durch die Aufga- derer die inhaltlichen und/oder gestalterischen Bildlösun- mer in der Regel anders mit mädchentypischen Klischees klischeehaft eingeschätz- benstellung bereits bestimmte Klischeebildungen bei gen der Schüler zum Teil recht kritisch gesehen wurden. umgingen als weibliche Teilnehmerinnen: Männer waren te inhaltliche Bildlösung den Schülern motiviert werden (u.a. durch einen wenig u Vor allem zu den Arbeiten der Schülerinnen Jule und Inga eher geneigt, diesen Vorstellungswelten Raum zu geben als betrifft. problematisierten Heimat-Begriff, die angeregte Recher- kristallisierten sich sehr unterschiedliche Positionen her- Frauen, die sich mehr aufgerufen sahen, solche als puber- che ‚positiv‘ besetzter Bilder sowie den Verweis auf die aus, die deshalb kurz vorgestellt werden sollen. täre Vorstellungswelten bewusst zu machen und zu helfen, Hamilton-Collage). Andere Teilnehmer sahen gerade in diese zu überwinden. dieser vorgeschalteten Bildrecherche und in der Setzung Schülerin Jule (Abb. 1 – 4) u Der vorliegende Entwurfsprozess erschien einerseits als eines Bezugs- und Anregungspunktes durch die Hamilton- u Von einigen Teilnehmern wurden in der Bestimmung der ‚perfekte‘ Lösung der Aufgabenstellung (schrittweise, Collage die besonderen Qualitäten der Aufgabenstellung. Ausgangslage zunächst v.a. die ‚positiven‘, die Aufga- vielseitige und zugleich ‚zielstrebige‘ Experimente mit u In Bezug auf die Farb-Forschung wurde deutlich, dass eine be eigenständig erfüllenden Aspekte der schrittweisen, dem Ausgangsmaterial, um eine eigene, ‚geschlossene‘, solche anregungsreiche und offene Aufgabenstellung aus nachvollziehbaren Erarbeitung und des gefundenen ‚Motiv- ‚schlüssige‘ Komposition zu entwickeln). Andererseits

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Abb. 5 – 6 Dieser Austausch über Qualitätsvorstellungen außerhalb Kunibert Bering, Carl-Peter Buschkühle, Rolf Niehoff Schülerin Inga. Skizzen des schulisch üblichen ‚Verwertungszusammenhangs‘ (im zum Motiv: Hängematte Schülergespräch, im Gespräch über die Bewertung von Ab- Inga legt sich rasch iturarbeiten oder zur Festlegung von ‚einheitlichen‘ Bewer- Vielfalt üben – Zur Qualifikation auf ein Hauptmotiv als tungskriterien o.ä.) entwickelte zum Teil geradezu spieleri- zentrales Bildelement sche Züge. Wobei ein besonderer Reiz gerade darin lag, sich von Kunstpädagogen fest (sich selbst in einer die eigenen Qualitätsvorstellungen zu vergegenwärtigen und Hängematte baumelnd). diese in einen Kon- bzw. Dissens zu stellen. Sie experimentiert dann Alle Gespräche führten unmittelbar zu einer sehr konkre- In den folgenden drei Beiträgen werden wesentliche Anfor- noch durch Kunsthistoriker als Lehrer ersetzt werden kann. mit Collageelementen und ten, auf das vorgelegte Bildmaterial bezogenen Auseinander- derungen an die Qualifikation von Kunstpädagogen aus drei Produktion und Rezeption werden als zwei Säulen des Faches Fluchten, Vorder- und Hin- setzung um zentrale Fragen von ‚alltäglichem‘ Kunstunterricht Blickwinkeln heraus betrachtet und dargestellt. Dabei ste- angesehen, wobei es eine Aufgabe der Kunstpädagoginnen tergrund, offensichtlich und seiner Theorie(n). Erkennbar wurde, welche Rolle die ei- hen die Autoren für fachliche Konzeptionen, die unter den und Kunstpädagogen ist, zwischen beiden Bereichen bilden- um eine geschlossene gene kunstpädagogische Haltung für das Herangehen an und Begriffen der Bildkompetenz und der künstlerischen Bildung de Beziehungen herzustellen. Nicht zuletzt dazu müssen sie Gesamtkomposition zu das Umgehen mit dem vorliegenden Bildmaterial sowie für diskutiert werden. Nicht selten geschieht diese Diskussion mehrdimensional ausgebildet sein. Rolf Niehoff umreißt in erhalten. Vorschläge zur weiteren Beratung der Schüler spielt. in der Form der Betonung von Gegensätzen. Nüchtern be- seinem Beitrag ein komplexes Gefüge fachlicher und über- Diskutiert wurde u.a., Es hat sich gezeigt, dass besonders jene Schülerarbeiten trachtet, handelt es sich jedoch um verschiedene Akzentuie- fachlicher Qualifikationen für die Kunstpädagogik. Carl-Peter ob die von der Schülerin eher einhellige, sich ergänzende Vorschläge hervorriefen, die rungen innerhalb komplexer fachlicher Zusammenhänge. Im Buschkühle hebt unter anderem die Philosophie als Basis- gewollte und von ihr erst Ansätze zeigen und noch wenig ausentwickelt sind, also Folgenden werden solche Akzentuierungen sichtbar. Es wird und als Querschnittswissenschaft für das interdisziplinäre schrittweise entwickelte noch ‚Start-Hilfe‘ brauchen. Zu ‚intensiveren‘ Diskussionen aber insbesondere erkennbar, dass die Autoren darin über- Fach hervor. Kunibert Bering öffnet den Blick auf historische ‚harmonische’ Bildlösung kam es bei Beispielen, bei denen ‚mehr‘ von den Schülern einstimmen, dass die Kunstpädagogik ein in sich vielfältiges Entwicklungen und Kontroversen zwischen rezeptiven und (unterstützend) zu ak- selbst und ihren jeweiligen Prozessen zu sehen war – ihre Fach ist, welches differenzierte Anforderungen an die Ausbil- produzierenden Akzentsetzungen in der Fachgeschichte, ein zeptieren ist und wie auf Auseinandersetzung also ‚eigener‘ und damit individueller dung stellt. Die Kunstpädagogik wird dabei als eine Disziplin Blick, der den sachlichen Umgang mit divergierenden Positio- ihr zentrales Motiv (v.a. wurde. Insbesondere, wenn in den Entwürfen der Schüler für sich verstanden, die weder durch Künstler in der Schule nen in der aktuellen Diskussion beflügeln kann. bzgl. des Frauenbildes) zu entstand bei einigen Teilnehmern der Impuls, diese „Per- als defizitär oder gar als völlig ungeeignet eingeschätzte ge- reagieren ist, ob hier also fektion“ stören zu wollen: z.B. das Foto mit der Schülerin stalterische oder inhaltliche ‚No-Go-Bereiche‘ betreten wur- bezogen auf Gestaltung in der Hängematte, das von ihr rasch als zentrales Bild- den, entstand auf Seiten der Lehrer der Wille zur deutlichen und/oder Inhalt eine deut- element festlegt wurde und mit dem sie offensichtlich ein ‚Reibung‘. Es stellte sich dann auch die grundsätzliche Frage, Rolf Niehoff liche Irritation/Interventi- wohliges Glücksgefühl transportiert, einfach mal rumzu- wann und vor allem wie lange versucht werden sollte, aus on seitens des Lehrenden drehen und zu sagen: „Schau mal, viel besser so!“ einer vom Schüler entwickelten Spur etwas ‚herauszuholen‘ geboten sei. u Wie also umgehen mit den als ‚zu schön‘, ‚zu glatt‘ ange- oder wie notwendig gerade auch die Irritation ist oder sein Zum Profil des schulischen sehenen Bildlösungen? Sie akzeptieren (und als Prozess müsste, die die Schüler auf eine neue Spur setzen könnte. Kunstpädagogen gewähren lassen) oder solche Lösungen / Prozesse be- Zusammenfassend war den Rückmeldungen zum Work- wusst stören und irritieren? Auch hier schließt sich wieder shop zu entnehmen, dass mit „unserer“ Fragestellung tat- die Frage nach dem Umgang mit der Aufgabenstellung an: sächlich ein „blinder Fleck“ der Kunstpädagogik getroffen Vorbemerkung Zum Bildungsauftrag des Kunstunterrichts Ist das Ziel die ‚perfekt‘ gelöste Aufgabe oder steht der wurde. Ausgehend von einer zunächst ganz absichtslosen Im kunstdidaktischen Diskurs wird bisher noch weitgehend Im Fach Kunst steht das inzwischen zum mächtigen kulturel- Schüler mit bestimmten Problemen im Fokus, anhand Sammlung vielfältiger Beobachtungen, Reaktionen und vernachlässigt, ein prägnantes und komplexes Profil für die len Gegenstand und Medium avancierte „Bild“ im Zentrum. derer der Lehrer erkennt, dass er dies oder gerade jenes Einschätzungen ließ sich fruchtbar über mögliche Voraus- Qualifikationen sowie eine damit verbundene professionelle Unsere Kultur wird aufgrund ihrer wesentlichen Prägung ‚braucht‘ (z.B. eine Irritation)? setzungen und Begründungen nachdenken, einschließlich Identität des schulischen Kunstpädagogen zu entwickeln. Bis durch Bilder schon seit Längerem als eine „Bildkultur“ be- der eigenen Scheuklappen. Deutlich wurde ebenfalls, dass jetzt existieren dazu nur geringe Ansätze. Dieses Manko be- zeichnet (Bering/Niehoff 2013: 35 f.). Das Herstellen von Bil- Resümee es grundsätzlich nicht um die Bestimmung und Festlegung wirkt eine Beliebigkeit, die u.a. auch spürbaren Einfluss auf dern durch die Schüler und die rezeptive Auseinandersetzung Die Gespräche in den kleinen Arbeitsgruppen wurden schnell von ‚richtigen‘ oder ‚guten‘ Vorstellungen gehen kann, die ein die prekäre schulische Situation des Kunstunterrichts nimmt. mit bildnerischen Prozessen und Produkten der Kultur be- sehr intensiv, obwohl, oder vielleicht auch gerade, weil weder professionelles kunstpädagogisches Handeln leiten. Solche Z.B. resultiert daraus nicht gerade selten, dass Kunstunter- stimmen traditionell die Lernprozesse im Kunstunterricht. Im der genauere Kontext der Aufgabenstellungen noch die jewei- Vorstellungen sind durchaus vielfältig oder können sich so- richt von fachfremden Lehrern erteilt wird und damit sein schulischen Fächerkanon ist Kunst das einzige Schulfach, das ligen Schüler bekannt waren. Auch die weitgehende Ausschal- gar widersprechen – je nach kunstpädagogischem Konzept notwendiges fachliches Niveau einbüßt. Um das Fach Kunst das „Bild“ zum zentralen fachcurricularen Gegenstand hat. tung der Fragen nach einer Benotung und nach Bewertungs- und/oder persönlicher Präferenz. Deshalb war es uns ein An- jedoch fachgerecht und anspruchsvoll unterrichten zu kön- Der Terminus ‚Bild‘ wird übergreifend verstanden, er umfasst kriterien führte zu einer Konzentration auf die zum Ausdruck liegen, solchen Vorstellungen überhaupt erst einmal Raum nen, müssen die zuständigen Fachlehrer über die dafür not- alles, was vorrangig für die visuelle Wahrnehmung gestaltet kommenden Bildvorstellungen der Schüler, die spezifischen zu geben, um sich ihrer bewusst zu werden, sie daraufhin wendigen spezifischen Qualifikationen sowie über eine damit wurde und noch wird (Bering/Niehoff 2013: 37). bildnerisch-gestalterischen Qualitäten der Entwürfe und die kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls neu auszurich- verknüpfte professionell-kunstpädagogische Einstellung ver- Auf der Inhaltsebene markiert das Spezifische des Faches Frage, wie jeder einzelne nun beraten bzw. ‚eingreifen‘ würde. ten. fügen. Kunst der genuine fachcurriculare Gegenstand „Bild“, auf der

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Handlungsebene das fachtypische Umgehen mit ihm. Die Lern- Zu den „fachspezifischen“ Qualifikationen des Kunstpäd- Carl-Peter Buschkühle prozesse im Fach Kunst werden durch drei – sich wechselseitig agogen zählen seine „fachlichen“ und „fachdidaktischen“ durchdringende – fachspezifische Handlungsfelder getragen – und sein kunstpädagogisches „Engagement“; „überfachlich“ in Stichworten: Produktion, Rezeption und Reflexion. Von den erfasst die „bildungstheoretischen“, „allgemeindidaktischen“ Kunstpädagogik ist eine Kunst Schülern werden Bilder hergestellt bzw. gestaltet, rezipiert, das und „pädagogischen“ Qualifikationen. meint wahrgenommen, analysiert und gedeutet, und bildbezo- Um niveauvoll entscheiden und handeln zu können, muss für sich und verlangt die Bildung gene Zusammenhänge und Prozesse reflektiert. der Kunstpädagoge in der Bildgestaltung, in der Rezeption von Generalisten Aus seiner Zuständigkeit für das „Bild“ leitet sich der spe- von Bildern sowie in der Reflexion über bildbezogene Zu- zifische schulische Bildungsauftrag des Kunstunterrichts und sammenhänge hochqualifiziert sein. Um „Bildkompetenz“ an damit auch die besondere Rolle und Bildungsaufgabe des die Schüler vermitteln zu können, muss er selbst in hohem Interdisziplinäres Fach 304 ff.). Die chaotischen Phasen der Suche nach Orientierung Kunstpädagogen ab. Maße bildkompetent sein und über ein entsprechendes fach- Die Kunstpädagogik ist ein interdisziplinäres Fach. Sie trägt und Lösungen sind auch im Unterricht fruchtbare Bedingung liches und fachdidaktisches Handlungswissen verfügen. Dazu diese Eigenschaft bereits in ihrem Begriff. Sie hat zu tun mit für die Erarbeitung individueller Darstellungsformen. Die ei- Zur Rolle und Bildungsaufgabe gehören fundierte Kenntnisse über die heutige „Bildkultur«“ der Kunst und mit der Pädagogik. Außerdem sind es ver- gene künstlerische Erfahrung in Werkprozessen ermöglicht des Kunstpädagogen und ihre historische Entwicklung, über die rezeptiven und schiedene weitere Wissenschaften, die in ihr Feld gehören. es den Kunstpädagogen, entsprechende Situationen bei ih- Aufgrund seiner spezifischen fachlichen Kompetenzen über- gestalterischen Prägungen, die heutige Schüler enkulturativ So z.B. die Kunstgeschichte, aber auch die philosophische ren Schülern einzuschätzen und fördernde Impulse geben zu nimmt der Kunstpädagoge in der Schule die Mittlerrolle zwi- erfahren, über die Auslegung von „Bildkompetenz“ sowie ein Ästhetik, die Medientheorie und die Kulturtheorie. Bei aller können. Künstlerische Erfahrung, Wissen über Form, Inhalte schen den historisch überlieferten und gegenwärtigen Gegen- differenziertes Verständnis vom „Bild“. Wissenschaftlichkeit kann die Kunstpädagogik nicht Theorie und Medien sowie pädagogische Einfühlung und Kenntnisse ständen der „Bildkultur“, den damit verbundenen gestalte- Der Kunstpädagoge muss Lernsituationen arrangieren kön- bleiben. Praktisch wird sie einerseits in der Gestaltungsarbeit. bilden ein beziehungsreiches Geflecht in Bildungsprozessen rischen und rezeptiven Prozessen und Zusammenhängen auf der nen, in denen sich die Schüler gestalterisch, rezeptiv und re- Auch hier tun sich verschiedene Teilbereiche auf: die ‚alten‘ im Kontext der künstlerischen Gestaltung. einen Seite und den Subjektivitäten bzw. Individualitäten seiner flexiv mit den Fachinhalten auseinandersetzen, um bildbezo- und die ‚neuen‘ Medien, das zweidimensionale, dreidimen- Zwar muss ein Kunstpädagoge in mehreren Medien ar- jeweiligen Schüler auf der anderen. Seine leitende Aufgabe ist gene Kompetenzen und eine individuell-orientierte Bildung zu sionale und digitale Gestalten. Praktisch wird die Kunstpä- beits- und lehrfähig sein, aber um die eigene künstlerische es, den Schülern produktive, rezeptive und reflexive Fähigkeiten erwerben. Das bezieht auch die notwendigen Fähigkeiten mit dagogik schließlich vor allem im Bildungsprozess als dem Erfahrung zu bilden, bedarf es auch kontinuierlicher künstleri- im Umgang mit Bildern zu vermitteln. Diese Fähigkeiten sowie ein, individuelle gestalterische, rezeptive und reflexive Pro- Zielgebiet ihrer Unternehmungen. Dieses teilt sich wiederum scher Arbeit im Studium. Dazu ist ein künstlerischer Schwer- damit verbundene Einstellungen bewirken, miteinander ver- zesse der Schüler beobachten, unterstützend beraten sowie auf: in Schulen verschiedener Stufen und in außerschulische punkt zu verfolgen, denn erst darin wird eine künstlerische knüpft, eine komplexe „Bildkompetenz“ (zur kunstdidaktischen daraus resultierende Ergebnisse einschätzen und beurteilen Lernorte. Kunstpädagogik ist mithin ein in jeder Hinsicht kom- Haltung erworben, die etwas anderes ist als der Erwerb Auslegung von „Bildkompetenz“ (Bering/Niehoff 2013: 35–60). zu können. Darüber hinaus muss der professionelle Kunst- plexes Fach, was dazu verführt, Verkleinerungsstrategien an- von formalästhetischen Kenntnissen und die Übung hand- Um ihre bzw. seine Bildungsaufgabe erfüllen zu können, muss pädagoge u.a. über ein Qualifikationsrepertoire verfügen, um zuwenden. Eine wäre z.B., Spezialisten der Kunst oder der werklich-medialer Fertigkeiten. Die künstlerische Haltung er- der Kunstpädagoge „fachspezifisch“ und auch darüber hinaus- u neben den fachbezogenen Lernvoraussetzungen der Kunstgeschichte in die Schulen zu schicken, um professio- wächst aus der Übung einfühlsamer Wahrnehmung und kri- gehend „überfachlich“ qualifiziert sein. Schüler auch deren „überfachliche“ für seinen Unterricht nell die Kunst oder ihre Geschichte zu lehren. Aber einseitig tischer Reflexion der Zusammenhänge von Form und Inhalt, zu berücksichtigen; gebildete Spezialisten können in einem Fach nur dilettieren, die sich im Werkprozess bilden, sowie in der Übernahme von Qualifikationen des Kunstpädagogen u fachliche Unterrichtsprozesse schülerorientiert zu konzi- dessen Eigenschaft gerade darin besteht, produktive, bilden- Verantwortung, der Schulung des Willens, diesen Prozess zu Die Abbildung stellt das Gefüge „fachspezifischer“ und „über- pieren und zu realisieren; de Zusammenhänge zwischen verschiedenen Disziplinen und einem Abschluss zu bringen, bei dem das Werk ‚mit sich zu- fachlicher“ Qualifikationen für den Kunstpädagogen modell- u Unterrichtsreihen im Fach Kunst sequenziell anzulegen und Handlungsweisen herzustellen. Dazu braucht es die Bildung frieden ist‘. Der künstlerisch erfahrene Kunstpädagoge weiß, so zu entwickeln und durchzuführen, dass sich die drei fach- von Generalisten, die sich Kompetenzen in den drei ‚Säulen‘ dass es das Werk ist, welches der Maßstab für den gelingen- spezifischen Handlungsfelder verbinden und durchdringen; des Faches erwerben: in der künstlerischen Gestaltung, in den künstlerischen Bildungsprozess ist, nicht die Subjektivität u Aufgabenstellungen für die gestalterische Arbeit zu formu- den Bild-Wissenschaften und den Erziehungswissenschaften. des Schülers oder die Vorlieben des Lehrers. lieren, die den Schülern Freiräume eröffnen und zugleich durch prägnante fachliche Anforderungen bestimmt sind; Künstlerische Erfahrung Bild-Wissenschaften u sein Fach bildungstheoretisch und bildungspolitisch enga- Kunstpädagogen müssen Künstler sein. Die künstlerische Ge- Verschiedene Bild-Wissenschaften gehören zum Studium der giert zu vertreten. staltung ist der Kernbereich des Künstlerischen. Um Gestal- Kunstpädagogik dazu. Von den einleitend genannten soll in Der professionelle schulische Kunstpädagoge versteht sei- tungsprozesse anzustoßen und fördernd begleiten zu können, der hier gebotenen Kürze schwerpunktmäßig auf die Kunst- ne per Studium und Ausbildung erworbenen Qualifikationen brauchen die Kunstpädagogen sowohl relevantes Wissen geschichte und die Philosophie eingegangen werden. nicht als statisch, sondern entwickelt sie auf der Basis eige- als auch künstlerische Erfahrung. Nur Wissen erwerben zu ner Unterrichtserfahrungen und z.B. auch durch Teilnahme an gestalterischen Techniken, reicht nicht aus. Künstlerische Er- Kunstgeschichte Fortbildungen weiter. fahrung meint Erfahrung im Werkprozess, in der Erarbeitung Kunstgeschichte drängt neuerdings wieder verstärkt in die haft dar. Die mit den Begriffen erfassten konkreten Inhalte einer ausdrucksvollen Form. Um diese muss der Künstler Aufmerksamkeit des kunstpädagogischen Diskurses. Dabei lassen sich nicht durchgehend trennscharf voneinander ab- Literatur ringen. Dabei durchläuft er mehrfach die Phasen „Chaos – schreibt Ulrich Heinen zu Recht, dass manche neuere For- grenzen, partiell überlagern und durchdringen sie sich, setzen Bering, Kunibert/Niehoff, Rolf: Bildkompetenz. Eine kunstdidaktische Bewegung – Form“, womit Beuys den plastischen Prozess schungsansätze der Disziplin nicht ohne weiteres anschluss- jedoch differierende Akzente. Perspektive. Oberhausen 2013 der Kreativität charakterisierte (vgl. Buschkühle 1997: 167 ff., fähig sind für schulische Bildung (Heinen 2015: 4). Kunstpä-

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dagogisch bedeutsam ist die Geschichte der Kunst vor allem ein Bild? Ähnlich stößt die Bildbetrachtung das Philosophie- Künstlerische Bildung gene Werk sowie die Ausbildung handwerklicher Fertigkeiten als bildsprachliche, existentiell bedeutsame Sinngeschichte, ren an. Auf der Bedeutungsebene werden Inhalte des Werkes Ziel der Kunstpädagogik ist eine künstlerische Bildung. Für die- im Gestaltungsprozess. Diese umfassende Geistesgegenwart die persönliche und kulturelle Identität stiften kann. In der reflektiert. In der Metareflexion der Bildrezeption können Ele- se ist sie Instrumentarium, eine Disziplin, die das künstlerische des Denkens in künstlerischen Kontexten schult Fähigkeiten, Betrachtung von Kunstwerken sind insbesondere die Ausprä- mente der Bildbetrachtung und des Erkenntnisgewinns durch Denken schult, welches über den engeren Bereich der Künste die wesentlich und wirksam sind für die eigentliche Kunst, um gung und der Wandel von Ideen zu beobachten. Ein Bild wie sie, sowie Bedeutungsebenen von Kunst und Medienbildern hinausweist und grundlegende allgemeinbildende Bedeutung die sich das Individuum in komplexen Gesellschaften in Zeiten Dürers „Selbstbildnis im Pelzrock“ setzt z.B. das neuzeitliche in den Blick rücken. Und wieder kann die Frage gestellt wer- hat. Die Elemente eines solchen Denkens sollen angehende der Globalisierung und der Transkulturalität kümmern muss: die Menschenbild der Renaissance in die Welt. Kunstgeschichte den nach der Bildung, die solche Aspekte der Bildrezeption Kunstlehrerinnen und Kunstlehrer schulen in ihrem Studium. selbst zu verantwortende Lebenskunst. beinhaltet wie ihr Gegenstand, die Kunst, Aspekte der An- ermöglichen bis hin zur Selbstreflexion, die unterschiedliche Einige Elemente wurden genannt: Eine einfühlsame Wahrneh- thropologie, der Metaphysik, der Ethik, der Erkenntnistheorie. Aktivitäten des Denkens in diesen Zusammenhängen offen- mung, eine produktive Imagination und eine kritische Reflexion Literatur Kunst erweist sich als Philosophie mit anderen Mitteln. Im bart: Einfühlung, Erinnerung, Wissen, Imagination, Reflexion relevanter Zusammenhänge, wobei im Künstlerischen Reflexion Buschkühle, Carl-Peter: Wärmezeit. Zur Kunst als Kunstpädagogik Gegensatz zu philosophischen Texten geben Bilder Kindern als relevante Faktoren. immer auch die Rückwendung, die Re-Flexion der Sachverhalte bei Joseph Beuys. Frankfurt am Main 1997 und Jugendlichen bereits in früherem Alter Anstoß für das Philosophische Theorien der Kunst, des Kunstwerks, des auf sich selbst als urteilender und handelnder Autor meint. Zu Heinen, Ulrich: Einrichtung der BDK-Arbeitsgruppe „Kunstgeschichte philosophische Gespräch. Kunstpädagogen sollten Kunst- künstlerischen Denkens formulieren solche Zusammenhänge ergänzen sind die Schulung des Willens beim Ringen ums ei- in der Kunstpädagogik“. In: BDK-Mitteilungen 1.2015, S. 4-6 geschichte mithin durchaus mit einem Schwerpunkt auf systematisch aus und liefern damit Grundlagenwissen für der geistesgeschichtlichen Bedeutungsebene studieren. In pädagogische und didaktische Perspektiven, die mit dem Bild Zeiten der Globalisierung öffnet die Auseinandersetzung mit und mit der Kunst verknüpft sind. Kunstpädagogische und Kunibert Bering Bildern jenseits der westlichen Kultur eine Ausweitung dieser kunstdidaktische Theorie soll sich, entsprechend der weiten Fragestellungen und vermag die Reflexion über kulturelle Be- Bezüge ihres Feldes, aus unterschiedlichen Quellen speisen. züge und Differenzen anzustoßen. Überdies bedienen sich die Neben der Theorie und der reflektierten Praxis der Kunst sind Wie kam die „Kunst“ in den neuen Medien aus dem Reservoir der Inhalte und Formen der es erziehungswissenschaftliche Aspekte, die relevant wer- Geschichte der Kunst. Hier Bezüge zu erhellen, trägt bei zur den. Entwicklungspsychologie, Kognitionsforschung, Lern- Zeichenunterricht und in die Schulung einer kritischen Bildkompetenz. theorien liefern bedeutsame Einsichten, die Studierende der Kunstpädagogik? Kunstpädagogik zur Weitung des pädagogischen und didak- Philosophie tischen Horizontes benötigen. Einen bedeutsamen Bereich Studierende der Kunstpädagogik sollen Philosophie studie- des Studiums bilden kunstpädagogische und kunstdidakti- Polarisierende Konzepte charakterisieren das Selbstverständ- in dem sich auch vermittelnde Positionen finden lassen. Zu- ren. Dies nicht nur im Kontext kunsthistorischer Bedeutungs- sche Konzeptionen, die eine Verbindung und Verdichtung der nis des Faches „Kunst“ wie in keinem anderen Fach des gespitzt könnte man fragen: Wie kam die „Kunst“ in den Zei- geschichte. Philosophie ist die Grundwissenschaft, die die vielfältigen Zusammenhänge des Faches leisten sollten. Eine schulischen Kanons. Auf der einen Seite orientieren sich Kon- chenunterricht und in die Kunstpädagogik? (ausführlich siehe: Frage nach dem Wesen der Dinge stellt. Mithin auch nach Vielfalt solcher fachlicher Ansätze sollte von den Studieren- zeptionen an künstlerischen Haltungen der Gegenwart und Bering 2014). dem Wesen der Kunst. Philosophische Ästhetik, aber auch den in den Blick genommen werden, um kunstpädagogisch ebenso an der Subjektivität der Heranwachsenden und ver- Um die Wende zum 20. Jahrhundert unterrichtete der Zei- Künstlertheorien zur Kunst sind wesentliche Grundlagen zur und -didaktisch urteilsfähig zu werden. stehen sich häufig als Kontrapunkt zu den wissenschaftsori- chenlehrer noch in der Tradition der von Pestalozzi und Froebel Selbstvergewisserung der Kunstpädagogik über ihren Gegen- Kunstpädagogik ist ein Fach der Bezüge, insbesondere der entierten Fächern. Zahlreiche Konzeptionen nehmen von der formulierten Ansätze aus der Zeit der Frühindustrialisierung. stand. Was ist Kunst? Was ist künstlerisches Denken? Und Bezüge zwischen Theorie und Praxis. Das betrifft nicht nur Lebenswelt der Schüler ihren Ausgang und problematisieren Vorlagen Stuhlmannscher Prägung galt es zu kopieren; die daran knüpft sich die für die Kunstpädagogik wesentliche die Beziehungen zwischen Theorie und Praxis der Kunst, son- die Orientierung in einer von Bildern fundamental geprägten Kunst der jeweiligen Gegenwart lehnte man kategorisch ab. Frage an: Was ist bildsam an der Kunst? Erst wenn man sich dern in der Zielperspektive des Faches vor allem die Verbin- Welt und deren Genese und Gestaltung (Bering/Heimann/ Die entscheidende Neuorientierung der Kunstpädagogik diesen Fragen stellt, kann man die Horizonte abstecken, in dung von pädagogischer und didaktischer Theorie und Praxis. Littke/ Niehoff/Rooch 2013: 100 ff.). Dabei zeichnen sich in vollzog sich erst nach dem Ersten Weltkrieg in der Zeit revo- denen sich das Fach bewegt und Bezüge einschätzen, die es Schulpraktika gehören zum Studium, inzwischen werden in den gegenwärtigen Entwürfen einige Konstanten ab, die wie lutionärer Umbrüche. Dies geschah durch die Rezeption ex- zu anderen Disziplinen und Wirklichkeiten unterhält. deutschen Bundesländern in der Lehrerausbildung Praxisse- Koordinaten die Debatten determinieren: Es geht um Produk- pressionistischer Lebens- und Kunstauffassungen im Verlauf mester eingeführt. Die Begegnung mit der pädagogischen tion, Reflexion und Rezeption, um Imagination und Kreativität der 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts sowie einer institu- Kunstdidaktik Alltagspraxis darf hier aber nicht zur Reduktion der Komplexi- oder um Gestaltungsprozesse Heranwachsender. Weitere tionalisierenden Verfestigung unter dem NS-Regime. Durch Philosophie ist für die Kunstpädagogik nicht nur eine Basis- tät des Faches in einer Hemdsärmeldidaktik führen, in der mit Konstanten zeichnen sich in der Forderung nach der Tätig- diese komplexen Entwicklungen bildeten sich jene Konstan- wissenschaft, sondern auch eine Querschnittswissenschaft. dem Gestus ‚bewährter Praxis‘ gezeigt wird, ‚wie es geht‘. keit von Künstlern in der Schule oder der Diskussion um die ten heraus, die das Fach bis heute prägen und zugleich Ge- Sie kann und sollte in allen drei Teilbereichen des Studiums Kritische Rückbindung insbesondere an kunstdidaktische Rolle der Werkanalyse und den Anteil von Kunstgeschichte genstand weitreichender Auseinandersetzungen sind (Reiss praktiziert werden. Im Bereich der künstlerischen Gestaltung Theorie ist hier vonnöten, um einerseits Probleme der Praxis und -betrachtung und deren Methoden ab (Hölscher/Niehoff/ 1981: 22 und 25). kann sie auf die Erfahrung der eigenen Praxis aufbauen und benennen und reflektieren zu können, um aber andererseits Pauls 2012). Der Elan der revolutionären Stimmung nach dem Ende des diese in weiteren Zusammenhängen reflektieren. Was ist ein auch blinde Flecken und Defizite der Konzepte und Theori- Dabei entsteht in der gegenwärtigen Debatte ein „blinder Ersten Weltkriegs führte zahlreiche expressionistisch posi- Kunstwerk? Welche Weisen des Denkens und Handelns wer- en ansprechen zu können. Auch dies gehört zur Übung der Fleck“: Der Blick auf die Ursprünge der sich gegenüberste- tionierte Künstler zu revolutionären Gruppen und in die Zu- den im Werkprozess aktiviert? Wie kommt Ausdruck zustan- didaktischen Urteilsfähigkeit der Studierenden, das kritische henden Konzeptionen und die Entfaltung der erwähnten Kon- sammenarbeit mit Arbeiter- und Soldatenräten. Im Juni 1920 de? Welche Bezüge müssen in der Arbeit an einem Thema Verhältnis von Theorie und Praxis in beiden Richtungen zu re- stanten wird häufig ausgeblendet. Doch kann die Darlegung forderte Herwarth Walden, einer der bedeutendsten Protago- geknüpft werden und wie verwandelt sich dieses Wissen in flektieren. der historischen Entwicklung einen Reflexionshorizont liefern, nisten und Förderer des Expressionismus, in der Zeitschrift

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„Schauen und Schaffen“ vehement eine „künstlerische Erzie- herausragende Rolle spielte dabei die Konzeption Reinhard hung“ (Schauen und Schaffen 1920: 2). Pfennigs (1914-1994, Mitte der 30er Jahre in Berlin zum 1920 sprach sich der „Verein akademisch gebildeter Zei- Kunstpädagogen ausgebildet), der Begriff des „Bildnerischen chenlehrer Deutschlands“ dafür aus, die „Gestaltungsfächer“ Denkens“ in der Nachfolge Paul Klees und den „Gestaltungs- als den übrigen Schulfächern gleichwertig anzuerkennen und vorgang“ – eine Rezeption Gustav Kolbs – in den Fokus seiner die Zeichenlehrer zukünftig an neu einzurichtenden „Kunst- Überlegungen stellte. Bei Pfennig treten an die Stelle der „al- hochschulen“ auszubilden und begleitende Fächer der Zei- ten Meister“ die Werke der Gegenwart (Pfennig 1959). chenlehrerausbildung wie Kunstgeschichte, Philosophie und Das Feld kunstdidaktischer Konzeptionen der Gegenwart Pädagogik an Universitäten und Technischen Hochschulen zu entfaltet sich in diesem komplexen Feld der kunstpädagogi- schaffen. Das Ziel bestehe in einem „gleichwertig wissen- schen Bemühungen seit dem Ende des 1. Weltkriegs – die schaftlich und künstlerisch vorgebildete(n) Lehrerstand“ (Her- rückblickende Reflexion der Positionen kann den Umgang vorhebung: K.B.) (Deutsche Blätter für Zeichen-, Kunst- und auch mit divergierenden aktuellen Haltungen erleichtern. Werkunterricht 1920: 2). In kunstorientierten Konzeptionen der gegenwärtigen Literatur Kunstpädagogik zeigt sich häufig eine deutliche Skepsis ge- Bering, Kunibert/Heimann, Ulrich/Littke, Joachim/Niehoff, Rolf/ genüber Ansätzen, die ein klarer Kompetenzbegriff grundiert Rooch, Alarich: Kunstdidaktik (artificium, Bd. 15), 3. überarb. u. (z.B. Krautz 2014). Die kunstorientierten Positionen mit ihrer erw. Auflage. Oberhausen 2013 oft damit verbundenen anti-intellektuellen Haltung weisen Bering, Kunibert. Wie kam die „Kunst“ in die Kunstpädagogik?. In: ebenfalls auf Ansätze der 20er Jahre des vorigen Jahr- Bering, Kunibert/Gerber, Julia/Nafe, Nadja/Niehoff, Rolf/Pauls, hunderts zurück. In diesem Rahmen ist auch die Forderung Karina: Bildbegriff und Kunstverständnis im kunstpädagogischen „Künstler an die Schulen!“ zu sehen, die zuerst die politische Kontext (artificium, Bd. 51). Oberhausen 2014, S. 175-202 Linke erhob, die sich von der Kunst eine „heilende“ Wirkung Böttcher, Robert: Kunst und Kunsterziehung im neuen Reich, Breslau nach dem 1. Weltkrieg versprach. 1933; In diesen Jahren kam es bei zahlreichen Kunstpädagogen Deutsche Blätter für Zeichen-, Kunst- und Werkunterricht 1920 zu einer engen Verbindung mit völkisch-nationalen Vorstel- Hölscher, Stefan/Niehoff, Rolf/Pauls, Karina (Hg.): BildGeschichte. lungen wie z.B. in der Denkschrift des Jahres 1924, die sich Facetten der Bildkompetenz (Festschrift für Kunibert Bering). auf Julius Langbehn und sein nationalistisches „Rembrandt“- Oberhausen 2012 Buch des Jahres 1890 berief. Derartige Haltungen gingen Kolb, Gustav: Etwas über Matthias Grünewald In: Kunst und Jugend, zumeist mit pseudo-religiösen Vorstellungen vom Kunst- 1. Jg., Heft 2/April 1921, S. 26–29 unterricht einher. Gustav Kolb schrieb 1924: „Kunst ist wie Kolb, Gustav: Kunstunterricht. In: Kunst und Jugend, 4. Jg., Heft 5/ Religion, eine Angelegenheit der Seele.“ (Kolb 1924: 263). September 1924, S. 262-263 Drei Jahre zuvor hatte Kolb bereits geäußert: „Jede Kunstbe- Krautz, Jochen: Den Pisa-Test sollte man abschaffen. Interview trachtungsstunde soll […] den Charakter einer Kunstandacht vom 10.07.2014. In: Neue Zürcher Zeitung, http://www.nzz. haben.“ (Kolb 1921: 29). ch/wissenschaft/bildung/den-pisa-test-sollte-man-abschaf- Aus diesen divergierenden Quellen formierte sich ein Profil fen-1.18342855 (12.11.2014) „des Kunstpädagogen“, das unter dem NS-Regime 1938 im Pfennig, Reinhard: Gegenwart der bildenden Kunst. Erziehung zum Lehrplan von Bernhard Rust eine Institutionalisierung u.a. auf bildnerischen Denken, 1.Auflage. Oldenburg 1959 der Grundlage der Arbeiten von Robert Böttcher erfuhr (Bött- Reiss, Wolfgang A.: Kunsterziehung in der Weimarer Republik. Ge- cher 1933; vgl. Richter 1981: S. 84 ff.). Böttcher betonte die schichte und Ideologie. Weinheim/Basel 1981 Doppelrolle des Kunsterziehers als Pädagoge und Künstler. Richter, Hans-Günther: Geschichte der Kunstdidaktik. Konzepte zur Rusts Lehrplan fordert die Ausstrahlung der Kunstpädagogik Verwirklichung von ästhetischer Erziehung seit 1880. Düsseldorf auf alle Fächer ebenso die Anleitung zur „Einbildungskraft“ 1981 und „Selbsttätigkeit“ der Schüler, sowie die Betrachtung „der Rust, Bernhard: Erziehung und Unterricht in der Höheren Schule Kunst“, mit der die traditionelle deutsche Kunst gemeint war (Lehrplan 1938). – der Lehrplan von 1938 speist sich eklektizistisch aus den In Bering, Cornelia/Bering Kunibert: Konzeptionen der Kunstdidaktik. Ansätzen der Weimarer Zeit (Rust 2011). Dokumente eines komplexen Gefüges (artificium, Bd. 12)., 3. Die Strukturen, die Rusts Lehrplan grundieren, wirken als überarb. u. erw. Auflage. Oberhausen 2011, S. 44-46 Modellvorstellung des Kunstpädagogen-Profils nach 1945 Schauen und Schaffen. Zeitschrift des Vereins deutscher Zeichen- weiter, wenn auch die Inhalte nicht mehr tragbar waren. Eine lehrer, Juni 1920

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Sara Burkhardt, Antje Dudek, Christine Heil, Sabine Sutter Freiräume für kollektive Diskurserweiterungen schaffen Einladung in einen Kommunikationsraum im Foyer.

Was geschieht, wenn eine Gruppe von Menschen Die Studierenden werden aktiv in die Themenfindung ein- zusammen kommt und in wechselnden Konstellatio- bezogen. Die Veranstaltungen finden öffentlich und einmal nen Fragen formuliert, diskutiert und anschließend monatlich im Semester statt. Sie finden dezidiert außerhalb zu weiteren Fragen gelangt? von Lehre statt und sollen Themen und Fragen behandeln, Diese Frage wird zurzeit häufiger gestellt – in parti- die in der Lehre nicht vorkommen oder in dieser Form dort zipativen Projekten, auf kunstpädagogischen Tagun- nicht verhandelt werden können. Es wird mit Methoden ex- gen, in aktuellen Publikationen mit vielen Autorinnen perimentiert und die Veranstaltungen enthalten interaktive und Autoren und bei verschiedenen Anlässen des Elemente. Es gibt Getränke. „Art of Hosting“. Am Anfang wie am Ende stehen Fragen. Was verstehen wir unter Studium? Befähigt mich mein Die Frage nach den „blinden Flecken“ in der Kunstpädago- Studium zum Lehrersein? Was braucht diese Universität? gik hat uns zunächst zum Verhältnis von Theorie und Praxis Beeinflusst Architektur das Denken? Braucht Bildung Schutz- geführt: Praxis könnte ein blinder Fleck von Theorie sein und räume? Hat Kunst eine erzieherische Funktion? Wie weit darf Theorie könnte ein blinder Fleck der Praxis sein. Deshalb Kunst gehen? Wie sieht der Kunstunterricht der Zukunft aus? wollten wir den Raum dazwischen aufsuchen und mit Hilfe Aus Fragen werden Inhalte generiert. besonderer Kommunikationsformen ausloten. Inzwischen Fragen Studierender werden in der Phase der Vorberei- würden wir allerdings schon wieder anders fragen – es han- tung über unterschiedliche Kanäle gesammelt. Neue Fragen delt sich bereits um eine Diskurserweiterung. entstehen im Team, passende Formate müssen erfunden Im Folgenden werden zunächst bestehende Kommunika- werden. Auf manche Fragen gibt es keine Antworten, aber tionsräume vorgestellt, die gewissermaßen als Ideengeber die Fragen bleiben interessant. Über Fragen werden Ver- fungierten. Infokästen geben praktische Anleitungen für die knüpfungen hergestellt, zwischen Hochschule und Schule, Schaffung eigener Kommunikationsräume. Zudem setzen zwischen Theorie und Praxis, zwischen formellen und infor- wir uns im Nachgang des Kongresses mit einigen Grundge- mellen Aspekten des Lernens. Es geht um die jeweils drän- danken dieser Formate auseinander, um diese theoretisch zu genden Fragen der Gegenwart, gerichtet in eine mögliche verankern und kritisch zu reflektieren. Zukunft. Der KUNSTPÄDAGOGISCHE SALON bildet eine Schnitt- Flurgespräche und stelle zwischen Theorie und Praxis, an der kunstpädagogische Kunstpädagogischer Salon Themen neu verknüpft und weiterentwickelt werden. Der Sa- Die FLURGESPRÄCHE zu Fragen der Kunstpädagogik finden lon ist ein sich wandelnder Kommunikationsraum außerhalb tatsächlich im Flur statt: In einem Durchgangsraum der Uni- von Lehrveranstaltungen oder Sprechstunden. Gegründet versität, zwischen Kaffeeautomaten und knarrenden Türen. wurde der Salon an der Kunsthochschule in Mainz und zog Die Veranstaltungsreihe entstand aus der Not heraus: später mit an die Universität Duisburg-Essen, zunächst mit Fehlende Kommunikation. Kein Raum für den Austausch zwi- der Idee, ehemalige Studierende wieder an die Hochschule schen den Lehrenden. Kein Aufenthaltsraum für Studierende. einzuladen, damit sie von ihrem Unterricht berichten und da- Kein Café. von, wie es zurzeit an Schulen zugeht. Für jetzige Studierende Es galt ein Format zu erfinden, um Kommunikation zu pro- soll es Kontakt zu Kunstlehrerinnen und Kunstlehrern geben vozieren und Verbindungen herzustellen. Das Gründungsteam können. Wir wollen außerdem gemeinsam über innovativen erfand Regeln: Unterricht nachdenken.

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der Interaktion zwischen beiden Feldern eine Transformation stattfindet: Theorie kann den Blick auf Praxis verändern und Wann macht Kompliziertes Spaß? neue Formen des Handelns hervorbringen. Und umgekehrt Wie erhalte ich Komplimente im Unterricht? kann Praxiserfahrung neue Theorieansätze provozieren oder Was hat Pragmatik mit Praxis zu tun? Abb. 1 zu Ergänzungen anregen. Entscheidend ist, ob auf beiden Sei- Wer ist die Gruppe und wo sind die Anderen? Abb. 2 Den Anfang machte eine ten zugleich Veränderungen zugelassen werden. Wie trickse ich Teilnehmende in den Open Space? Wer an einem offen Frage. Auf dem Kongress begannen wir mit einer Frage. (Abb.1) Gibt es Patente auf Rezepte für den Kunstunterricht? Kommunikationsraum Daraus entwickelten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ist Ihr Unterricht ein Experimentierfeld? teilnimmt, ist immer „on des Kongresses weitere Fragen (siehe Kasten). Wie bewerten Sie Gesprächsqualität? stage“. Warum sprechen Lehrerinnen und Lehrer so viel? Fragensammlung #theoprax Wovor haben Lehrerinnen und Lehrer Angst? Was haben Lehrer_innen von Forschung? Wovor haben Schülerinnen und Schüler Angst? Durch Kommunikationsformate wie PechaKucha und Open Gibt es Praxis ohne Theorie? Was ist eine gute Antwort? schaftler geworden sei, antwortete er, seine Mutter habe Space kommen die Beteiligten über Praxiserfahrungen, Schü- Schließen Fragen Lücken zwischen Theorie und Praxis? Wie komme ich an die Frage hinter der Frage ran? ihm diesen Weg geebnet. Während die anderen Mütter ihre lerarbeiten, Unterrichtswirklichkeiten und Theoriemodelle ins Ist Reflexivität das Zauberwort? Kinder am Nachmittag fragten, was sie denn heute in der Gespräch. Hier kristallisieren sich neue Themen heraus, für Reflexivität muss sich abzeichnen: Wie kann man aus #akteure Schule gelernt hätten, stellte Isidors Mutter ihm immer die die dann mitunter auch Unterrichtsexperimente geplant und einem wilden Netz etwas ziehen? „Die, die da sind, sind die Richtigen“, so lautet einer der Leit- folgende Frage: „Izzy, did you ask a good question today?“ durchgeführt werden – wie zu „Glitter“, „Was kann Skizze Wie sind didaktische Grundannahmen veränderbar? sätze für den Open Space (siehe beispielsweise unter: www. Das Fragen habe aus ihm einen Wissenschaftler gemacht, so sein?“ oder produktive Umgangsformen mit einem „Klassen- Was heißt Theorie-Praxis in den jeweiligen Kontexten? organisationsberatung.net/grossgruppenmoderation/), einer Rabi (vgl. Sheff 1988). satz“. Wie lassen sich Verbindungen schaffen zwischen Hoch- Methode zur Organisation von Konferenzen mit bis zu 2000 Sind Fragen der Schlüssel zu einer neuen nachhaltigen Unter dem Titel „Salon unterwegs“ werden auch andere schulen und Schulen? Teilnehmenden. Achtung: Ziel ist keinesfalls der Highscore. Lern- und Wissensgesellschaft? Mit dieser Frage im Hinter- Orte aufgesucht: das Ruhrmuseum Essen, Atelierräume einer Wie kann Raum zum Denken, wie können Kommunikati- Kommunikationsformen wie Open Space oder World-Café kopf entsteht im Folgenden ein Frage-Antwort-Spiel, um den künstlerischen Klasse, ein Ausstellungsprojekt der Kunstver- onsräume für Schulpraxis geschaffen werden? setzen auf Selbstverantwortung und Freiwilligkeit eines jeden Gegenstand und Wert des Fragenstellens fragmentarisch zu mittlung im Museum Wiesbaden. Wie sieht ein Modell aus? Einzelnen. Im Kommunikationsraum in Salzburg gab es nur beleuchten. Und es gibt Gäste: Der Anlass des Salons ermöglicht es, Von welcher Theorie oder Praxis sprechen wir? Protagonisten, jeder hatte die Hauptrolle in der Kommuni- F: Welchen Bildungswert hat das Fragen? interessierte Personen aus anderen Kontexten einzuladen. Kann man die Frage noch einmal anders formulieren? kation. Auftritt und Bühnenpräsenz konnten durchaus unter- A: Dem Fragen liegt immer ein Verlangen zu Grunde. Fra- Das verändert, informiert und bereichert die Gespräche. Im schiedlich sein. gen sind vom Bewusstsein des Nicht-Wissens angetrieben. Format „Kunstpädagogischer Salon trifft … ” stellen Men- Vier Gedanken zu Protagonisten in offenen Kommunikati- Sie sind Lichtstrahlen, die wir in die Finsternis senden. Sie schen aus der Kunstpädagogik und der Kunstvermittlung ihre Materialliste onsräumen: erhellen einen Ausschnitt in unserer Umgebung, auf den wir Projekte vor und kommen mit den Anwesenden ins Gespräch Postkarten/Zettel mit Aufforderung/Frage Status: Gäste. Die Protagonisten haben eine Einladung dann unseren Blick richten und in dem wir Greifbares – Ant- über Arbeitsbedingungen und Prozessverläufe. Jeder Salon Spielregeln angenommen. Sie waren sozusagen angefragt und sind ge- worten – zu finden hoffen. Dabei bedarf es Methoden, um ist anders und wechselt Ort und Gestalt je nach Anlass, Gä- Kreppband ladene Gäste einer Diskussion, deren Thema erst vor Ort und diese Antworten zu finden. Gefundene Antwortmöglichkeiten sten und Teilnehmenden http://kunstpaedagogischersalon. Wand zwischen ihnen entsteht. oder spontane Entdeckungen lenken den Lichtstrahl in immer net/. Für den Kongress haben beide Formate temporär fusi- Absperrband Aktionsradius und Aktivitätsgrad kann und muss jeder für neue Richtungen. Das Fragen geht weiter, der Blick wandert. oniert und wir haben ein gemeinsames Anliegen formuliert: Stehtische sich selbst bestimmen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer ei- F: Warum sind Fragen riskant? Das Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis näher zu Papierrollen nes offenen Kommunikationsraumes sind immer „on stage“ A: Weil sie der Ausdruck von Unsicherheit sind. Sie geben untersuchen. Filzstifte (Abb. 2). keinen Halt, sondern verweisen darauf, dass sich alles im Jedes kunstpädagogische Praxisbeispiel eröffnet unter- lautes akustisches Signal (Hupe, Zimbel,Trillerpfeife etc.) Stichwort: Rollen-Cocktail. Offene Kommunikationsräume Werden befindet, alles vorläufig ist und wir nur vorüberge- schiedliche Perspektiven. Es gibt Anlass zu theoretischen Klebepunkte bieten habituelle Spielräume. Die Protagonisten bringen ihre hende Illusionen von bestehendem Wissen haben. Überlegungen oder lässt sich mit bestehenden Theorien Rollen mit an den Tisch (des World-Cafés). Institutionelle An- F: Was sind gute Fragen? verknüpfen. Umgekehrt ist jede Theorie etwas anderes als bindung und Hierarchiestufe können aber offen bleiben. A: Scheuen wir uns womöglich, Fragen zu bewerten? Es ihre Anwendung in der Praxis. Beide Felder können aber GEDANKENSPRÜNGE: Wo wir nachsehen, Vorschlag: Kommunikationsraum unterwegs. Nach Salz- gibt so viele Kriterien für die Beurteilung von Antworten und miteinander zu tun bekommen, wenn beispielsweise in ei- wenn niemand eine Frage hat. burg wäre eine Fortsetzung andernorts möglich. Aus einem Aussagen. Brauchen wir mehr Kriterien für kluges Fragenstel- ner kunstpädagogischen Forschung der Transfer in die Praxis Weiß ich, was die Schülerin oder der Schüler denkt? Gast in Salzburg könnte so ein Gastgeber, eine Gastgeberin len? berücksichtigt wird oder sie aus der Praxis heraus entsteht. Wie viel Humor hält Schule aus? werden. Sind gute Fragen womöglich auch an eine bestimmte Hal- Zugleich können theoretische Überlegungen dazu verhelfen, Wie komme ich zu (m)einer Lehrerpersönlichkeit? tung des Fragenden geknüpft? Er geht im Dialog mit der Welt Abstand von der eigenen Praxis zu bekommen oder die eige- Wie ist eine gute Lehrerin, ein guter Lehrer? #fragen das oben skizzierte Risiko ein, auf immer neues Nicht-Wissen ne Involviertheit mitzudenken. Die Spannung zwischen Praxis Gibt es noch Tabus über den Lehrerberuf? Eine Anekdote über den Physiknobelpreisträger Isidor I. Rabi zu stoßen, das die Orientierung im Bezug auf die eigene und Theorie wird möglicherweise dann produktiv, wenn in lautet folgendermaßen: Auf die Frage, warum er Wissen- Position und die eigenen Werte erschwert. Eine ernsthaft

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fragende Haltung richtet sich auf eine gemeinsame Suche auch Widerstand und Abwehr. Aus Beobachtungen, Einwän- ist davon ausgegangen, die Frage hinter der Frage zu suchen, für alle spürbar werden zu lassen. Allzu viel Ambition ist da nach Antworten. Wenn wir als Lehrende plurale Weltan- den und Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven entsteht Absurditäten zu denken oder von außerhalb des Rahmens genauso schädlich wie zu wenig an Utopie. Wir bleiben dran, schauungen vertreten möchten und uns der Vorläufigkeit von eine thematische Verdichtung. Oft gibt es einen Aufhänger. zu fragen. Die Kunst offener Denkräume besteht darin, den neue Formate offener Kommunikationsräume zu erfinden und Antworten und der Unbegrenztheit unseres Nicht-Wissens Ein Beispiel: „Jede Knetanimation der Schülerinnen ist Rahmen richtig zu spannen – und das thematische Vakuum zu riskieren. Sie auch? bewusst sind, obliegt uns die pädagogische Verantwortung, eine Liebesgeschichte, wie kann das sein, obwohl das The- eine solche Haltung zu fördern und auch selbst anzunehmen. ma doch Metamorphose war?“, so kommentierte eine Kolle- Fragen sollten von ernstem dialogischen Interesse zeugen; gin ihr Unterrichtsmaterial. Anschlüsse und Schnittmengen Impressionen vom BuKo15 in Salzburg „Blinde Flecken“ ein gemeinsames Forschen und Ergründen möglich machen. fanden sich im Gespräch zur Herzkartensammlung eines Begleitung offener Prozesse F: Was können Fragen nicht leisten? Fachleiters (die er im Laufe der Jahre von Schülerinnen erhal- A: Fragen sind keine Antworten. Suchen Sie nach mögli- ten habe) und anderen Tabus im Kunstunterricht. Der Salon 1 Sheff, Donald: „Izzy, chen Antworten! Stellen Sie weitere Fragen.1 #5Mz widmete sich der gemeinsamen Lesart dieser Phäno- Did You Ask a Good mene: GLITTER. Question Today?“ In: #raum The New York Times, Wie kann in einer vorher unbekannten Situation ein Raum ge- #wissen Auf der Suche nach Impulsen und Erfah- so wenig wie nötig) entstehen aus in- Künstlerische Strategien werden vom 19.01.1988. schaffen werden, der Kommunikation regelrecht provoziert? Wissen, das kommunikativ errungen wird, unterscheidet sich rungsaustausch zur Begleitung offener haltlichen, prozeduralen und formalen für die Begleitung offener Prozesse Online unter: http:// Und wie verändert sich der Raum wiederum durch die in ihm von Schreibtischwissen. Bedingung für das denkende Zusam- Prozesse im kunstpädagogischen Feld Vorstellungen und bedingen einen per- didaktisch modifiziert und reduziert. www.nytimes. stattfindende Kommunikation? Wird aus einem offenen Raum mentreffen mehrerer Menschen im realen Raum ist eine Si- finde ich in Referaten und Workshops sönlichen Erfahrungsschatz der Leh- In rezeptiven und produktiven Ausein- com/1988/01/19/ ein geschlossener? Welche Rolle spielen die Initiatorinnen? tuation, in der neuer Sinn entstehen und verhandelt werden Fragen, Spuren von Antworten aber renden, hohe Fachkompetenz und eine andersetzungen mit künstlerischen opinion/l-izzy-did-you- Greifen sie ein? Leiten sie an? Verändern sie damit auch den kann. Es braucht Vorbereitung und Erfahrung, damit ein Dialog auch Irritationen, die mich als Dozen- künstlerische Haltung, was mit dem Denk- und Arbeitsweisen können Stu- ask-a-good-question- Raum zum Denken? mit mehreren möglich ist und um das blitzhaft entstehende tin für Kunst und Bild bewegen und in Aufbau eines künstlerischen Selbst- dierende, aber auch Schülerinnen und today-712388.html Die Gäste betreten ein vorbereitetes Setting und brin- Denken in sprachliche oder visuelle Zwischenprodukte zu erneute Offenheit entlassen. und Berufskonzepts verbunden ist. Schüler, sich dazu inspirieren lassen, [Stand: 24.04.2015]. gen all das mit, was vorher war, was sie wissen, was sie übersetzen. Echte Fragen oder ein spürbarer Wissensmangel, Lässt sich Offenheit initiieren? Studien belegen, dass künstlerische verschiedene Arten des Denkens aus- erfahren haben und bereits kennen oder zu kennen glauben. eine gleichzeitige Neugierde auf einen gemeinsamen Gegen- Lässt sich Offenheit moderieren? Was Erfahrungs- und Gestaltungsprozesse zuloten und ihren eigenen Denk- und Das Setting bestimmt ihre Handlungen. Gemeinsamkeiten stand, aber aus unterschiedlichen Erfahrungskontexten, sind sind Qualitäten in Begleitung offener Schlüsselereignisse bei der Entwick- bildnerischen Handlungshorizont zu er- werden sichtbar, Unterschiede deutlich. Ansichten und Po- ebenso wichtig wie die Bereitschaft, anderen zuzuhören. Der Prozesse? Wie viel Offenheit ist Schü- lung einer professionellen kunstpäd- weitern. Das schliesst sowohl lineares sitionen kollidieren. Der Raum gibt Sicherheit, eine gewisse Ernstfall der Kommunikation lässt Anteile impliziten Wissens lerinnen und Schülern zumutbar, wie agogischen Haltung sind. als auch divergentes Denken mit ein. Rahmung. Möglicherweise entsteht dadurch eine Atmosphä- oder „situiertes Wissen“ von Akteuren aus unterschied- viel Offenheit den Studierenden? Wie Wann wird ein bildnerischer Prozess Und abschliessend die grosse Irrita- re, die Kommunikation anregt. Im Foyer auf dem Kongress lichen Feldern hervortreten. Kommunikation fordert Evidenz. viel Offenheit muss eine Lehrperson, zu einem künstlerischen Prozess? Ist tion im Feld der Kompetenzdiskussion: entstand ein temporärer Kommunikationsraum, bei dem die Es bleibt nur Wissen übrig, was im Gespräch mit mehreren wie viel Offenheit ein Dozent oder eine ein künstlerischer Prozess mehr als Wo können offene Prozesse stattfin- Formen der Kommunikation durch den Raum bestimmt wur- wichtig werden konnte – vielleicht als Sonderfall. Dozentin aushalten? ein kreativer Prozess? Wird in einem den, wenn Standardisierung und Listen den und die Kommunikation im Nachgang wiederum Einfluss Widersprüche, Differenzen und Übersprungshumor ma- Offenheit in der Wahl der Inhalte und künstlerischen Projekt automatisch ein von Kompetenzanforderungen das Be- auf den Raum nahm. chen kommunikatives Wissen interessant – wenn die Teil- Offenheit in der Art der Vorgehensweise künstlerischer Prozess initiiert? Was rufsfeld zu ersticken drohen? Für Bildung in Schule und Hochschule birgt dies Chancen. nehmenden ein Bewusstsein für ihre produktive andere greifen ineinander, wobei in der Mode- unterscheidet künstlerisch Denken von Immerhin fordert der neue Lehrplan Wenn Lernräume als Möglichkeitsräume gedacht werden, Sichtweise haben und diese nicht gleich zugunsten von ration die Grade der Offenheit situativ künstlerischem Denken? in der Schweiz unter ‚Bedeutung und erweitert sich die Lerngemeinschaft. Sie lässt Gäste zu oder Harmoniebestrebungen oder hierarchischen Ordnungen auf- und individuell variiert werden können, Ein bildnerischer Prozess verbin- Zielsetzungen‘ im Bildnerischen Ge- lädt diese bewusst ein. Sie nutzt Methoden aus anderen Wis- geben und auch nicht um der Rechthaberei willen zu eng auf Zwischenformen und Übergänge bieten det sich mit den aus der Kreativi- stalten: „In Momenten der ungeteilten sensgebieten, um neue Formate zu erfinden und Kommunika- ihrer Meinung beharren. Es geht um die Möglichkeit, etwas Spielraum. tätsforschung bekannten Phasen des Aufmerksamkeit und einer neugieri- tionsräume zu schaffen. Oder sie verlässt die Institution, um gemeinsam in den Blick zu nehmen und es zu ertragen, wenn Das Eigene finden, was mich be- kreativen Prozesses, diese wiederum gen und forschenden Haltung machen den Lernraum in die Umgebung zu erweitern. sich der Blickpunkt im Gespräch verschiebt. wegt, was mich interessiert, was mir bilden die Basis für Modelle von Pro- Schülerinnen und Schüler ästhetische etwas bedeutet – offene Gestaltungs- jektkonzepten. Künstlerische Prozesse Erfahrungen. Diese fördern die Fähig- #themen Schluss – und weiter! vorhaben haben in Wechselwirkung nehmen Handlungsdimensionen von keit, eigene Fragestellungen und Lö- a. b. c. d. e. f. g. : das könnten Töne oder auch eine Abfolge Das Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis war das mit der Persönlichkeit der Lehrperson Projektarbeit auf, wenn auf der Folie sungswege zu entwickeln und den Mut, von Buchstaben sein. Beide Notationsformen realisieren sich falsche Thema für dieses Experiment. Während wir dachten, und deren Unterrichtsgestaltung einen von Offenheit Phasen von Staunen, sich auf Unbekanntes und Ungewohn- akustisch, wir transformieren sie im Raum bzw. im Kopf in dass diese im Diskurs der Kunstpädagogik allgegenwärtigen starken Einfluss auf die Bildung posi- Konzentrieren, Nichtwissen, Entschei- tes einzulassen“. Klang. Eine Behauptung in Form eines Bildes: Themen offener Pole thematisch diskutiert werden könnten, können sie gar tiver oder negativer Selbstkonzepte den, Planen, Verweilen, Geschehenlas- Susanne Junger, Dozentin Kunst und Kommunikationsräume liegen in der Luft. Sie sind in ihrer nicht diskutiert werden, weil es Symptome sind. Bei dem, bei den Schülerinnen und Schülern. sen, Wiederholen, Verwerfen, Zögern, Bild/Bildnerisches Gestalten, Konsistenz zunächst unbestimmt und flüchtig oder fluffig (von was wir angehen wollten, handelt es sich im Grunde um ein Impulse in Frageform in der Begleitung Wagen, Scheitern, Vergleichen und Pädagogische Hochschule Bern englisch fluffy= leicht, locker, luftig). Wie kann man sie zu institutionelles und bildungspolitisches Problem. Es hat die offener Prozesse (so viel wie möglich, Einschätzen erfahrbar werden. fassen kriegen? These: In potentiellen Themen kumuliert sich Fragen der Teilnehmenden vorab strukturiert: kaum jemand

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Zsófia Ruttkay, Judit Bényei, Gabriella Pataky nur danach zum Leben erweckt werden kann. Voraussetzung zeit schon in einigen Märchenbüchern fantasievolle Beispiele. kann außerdem die Erfüllung einer oder mehrerer früherer Gleichzeitig kann sich aber auf dem Bildschirm auch der Text Interaktion(en) sein. Manchmal können einige Veränderungen verändern. Die visuelle Darstellung des Textes kann dem Ni- Interaktives Märchenbuch für Kinder nur in beschränkter Anzahl – auch nur einmal – hervorgeru- veau des Lesers entsprechend gestaltet werden (silbenwei- Neue Wege im Kindergarten und in der Schule fen, andere beliebig oft wiederholt werden. se oder zusammengeschrieben, klein- oder großgeschrieben, in Schreib- oder Druckschrift), bzw. es kann jedes Wort mit am Beispiel des Märchens „Der kleine Hahn und Ergebnis der Interaktion einer Interaktion verknüpft werden: auf Berührung erklingt sein diamantener Halbkreuzer” Die durch den Leser hervorgerufenen Veränderungen können das Wort (Dr. Seuss 2010), das hilft in erster Linie, die Aus- gelegentlich (z.B.: der Vogel zwitschert, die Bäuerin schaukelt sprache zu üben, oder es erscheint eine lexikonmäßige und/ im Schaukelstuhl), oder mit andauernder Wirkung (z.B. die oder grafische Erklärung (Chocolapps 2012). Es kommt auch Intensität des Feuers nimmt ab) sein. eine umgekehrte Rollenverteilung vor: mit der Berührung von 1. Einleitung 2. Die Gestaltungsdimensionen des interak- einigen Elementen des Bildes erscheint die mündliche Benen- Heutzutage geraten die Vertreter der neuen Familie der klei- tiven Buches Die Funktion der Interaktionen nung des Elements (Dr. Seuss 2010). nen, durch Berührung steuerbaren, attraktiven Computer Schon bei einem herkömmlichen Kinderbuch ist festzustellen, In den auf dem internationalen Markt vertriebenen interak- wie die Tablets und Smartphones immer früher in die Hände dass das Verhältnis zwischen der Illustration und dem Text tiven Märchen spielen die interaktiv hervorgerufenen Ver- 3. Erkenntnisse aus dem von Kindern. Einige Eltern und Fachleute fürchten angesichts unterschiedlich sein kann: das Bild ist entweder eine dem änderungen oft keine narrative Rolle. Im schlimmsten Fall interaktiven Märchenbuch der Geräte den Tod des Lesens, während andere diese Ge- Text getreue Abbildung des Erzählten, oder es ergänzt die können sie sogar mit der Geschichte überhaupt nichts zu tun 3.1 Gestaltung des interaktiven Märchenbuches räte als neues, attraktives Medium des Wissenserwerbs be- im Text nicht erläuterten Details als Hilfe zum Erlebnis und haben, sie werden bloß wegen des interaktiven Erlebnisses „Der kleine Hahn und sein diamantener Halbkreuzer“ grüßen. Diese Frage kann aber wegen der Vielfältigkeit der zur Interpretation, oder es richtet sich überhaupt nicht nach (Erlebnis der Gerätbenutzung) verwendet, im besseren Fall Das interaktive Buch basiert auf dem (nicht nur) im unga- eben jetzt entstehenden Modelle und mangels Vergleichs- der inhaltlichen, „semantischen Illustration“, sondern stellt in verfügen sie über eine Atmosphäre schaffende und/oder in- rischem Sprachgebiet erhaltenen und bis heute beliebten maßstäben noch nicht (differenziert) beantwortet wer- abstrakter Weise eher Stimmungen oder Emotionen dar. Mit formierende Funktion. Volksmärchen „Der kleine Hahn und sein diamantener Halb- den (Cocozza 2014). Dadurch sind selbst die Entwickler in der „Entsprechungsstufe“, bzw. mit der den Text stärkenden, Im Gegensatz dazu gibt es solche Veränderungen, deren kreuzer“. Wir haben von den vielen Textversionen die Überar- Schwierigkeiten, wenn sie „guten Entwicklungssprinzipien“ oder mit der dem Text eben widersprechenden Wirkung des interaktive Auslösung mit einem narrativen Ereignis zusam- beitung von László Arany (Arany 1900-1901) gewählt. Diese folgen möchten. Die Vielfalt der interaktiven Möglichkeiten Bildes beschäftigt sich Emőke Varga (Varga 2012). Neben der menhängt. gut gegliederte Überarbeitung erzählt eine Geschichte, die ist verlockend. Es gibt tatsächlich mehrere Applikationen, visuellen Darstellung spielen auch die Zeitwahl der Bewe- Wiederholung und Symmetrie im Konflikt zwischen dem Gu- die mit der hohen Anzahl der interaktiven Elemente ihr Ziel gung und der Tonsignale, die Art, wie sie ausgelöst werden, Modalitäten des Animierens ten (der kleine Hahn) und dem Bösen (der türkische Pascha) – die Faszination in den Vordergrund zu stellen – erreichen Auslösung und ihre Wiederholbarkeit eine Rolle, sowohl auf Die Tablets werden hauptsächlich durch den Touchscreen, bis zum Ende durchhält. Sie stellt viele Bewegungen und Ton- und den Markt erobern wollen. Wir wissen in Wirklichkeit der Ebene der Interpretation des „Lesers“, als auch auf der mit Hilfe von Ein-Finger-, oder Mehr-Finger-Gesten – Simple- effekte dar, beinhaltet rhythmische Elemente, ist aber in einer aber nicht genau, wann und wie viele interaktive Elemente Ebene der interaktiven Benutzung. Demzufolge taucht eine Doppel-Berührung (touch), Ziehen (drag), Streichen (swipe) altertümlichen Sprache geschrieben. sinnvoll und gut verwendet werden können, wie man mit Reihe weiterer Planungsdimensionen und Fragen auf. Auf der – benutzt. Während der Planung haben wird die folgenden Prinzipien der multimedialen Überschneidung auf der Ebene des Inhalts Seite eines interaktiven Buches (d.h. auf dem Bildschirm in festgelegt: und des Signals umgehen soll, wie die Interaktionen zeitlich der Hand) kann man typischerweise mit einer Geste (mei- Tonsignale Die Illustration soll künstlerisch hochqualitativ sein und sich geplant werden sollen. stens mit einer Berührung) eine Veränderung hervorrufen. Wenn die auf dem Bild hervorgerufenen Veränderungen mit von der in der Welt der Applikationen und interaktiver Bücher Im vorliegenden Artikel berichten wir über die Erfahrungen Die „Interaktionselemente“ eines interaktiven Buches können natürlichen Tönen verknüpft sind, dann müssen sie auch von üblichen vektorgrafischen Darstellung abheben. Die Illustra- mit einem selbstentwickelten interaktiven Märchenbuch. Wir unter folgenden Aspekten analysiert und verglichen werden: den spezifischen, passenden Tönen begleitet werden. tionen sind mit Bleistift verfertigte detailreiche, monochrome, haben unter anderem untersucht, wie das Buch von 8-jäh- zur Atmosphäre des Märchens passend in altertümlichem rigen Kindern verwendet wird. In diesem Projekt haben wir Zeitwahl und Voraussetzung der Interaktion Hilfe Stil gezeichnete Zeichnungen. Wenn die Erscheinungen und die interaktive Version des Märchens auch mit Kindergarten- Die Animation der Illustration kann entweder automatisch Die interaktiven Bildschirme sind eben wegen der unmittel- Ereignisse auf dem Bild mit Ton verbunden sind, dann soll kindern getestet. Hier standen unsere auf Videoaufnahmen geschehen, etwa mit einer Filmeinspielung, oder interaktiv baren und selbsterklärenden Art der Benutzung beliebt, die auch das Bild bzw. die Illustration mit einem Tonsignal ergänzt festgehaltenen Erfahrungen im Fokus der Untersuchung. durch eine Intervention des Lesers. Obwohl wir bei den inter- Verwendung unbekannter visueller Inputmechanismen und werden. (Abb.1 und 2) Der größte Teil der interaktiv hervor- Im folgenden Kapitel werden die Dimensionen der Planung aktiven Büchern Beispiele für die erste Version finden, wo die -mittel ist nicht nötig. Wenn es aber auf einem Bild mehrere, rufbaren Veränderungen soll mit dem Narrativ (NI) verknüpft des interaktiven Märchenbuchs und die dabei auftauchenden Texterzählung des einen oder anderen Teiles des Märchens gegebenenfalls auch zeitlich veränderliche Interaktionsmög- sein. Es sollen auch einige mit dem Narrativ nicht verbundene Fragen zusammengefasst. Danach stellen wir unser interak- durch den „ins Buch eingebetteten Film“ sogar ersetzt wird, lichkeiten gibt, die nicht nur mit einer Methode zu aktivieren Interaktionen vorkommen, die eine Atmosphäre erzeugen tives Märchenbuch mit dem Titel „Der kleine Hahn und sein verzichten wir in unseren weiteren Untersuchungen auf die sind, dann ist es nicht selbstverständlich, wann und wie et- (A). Als Input sollen neben der bekannten Berührung auch diamantener Halbkreuzer“ und die Prinzipien der Vorgangs- automatischen Lösungen. was auf dem Bild belebt werden kann. eine kompliziertere Geste, sowie das seltener gebrauchte weise vor. Das Testen des Märchenbuchs und die Ergebnisse Die Animation kann entweder zu jeder Zeit bedingungslos Kippen vorkommen. Das Kind soll die Interaktion alleine, ohne werden detailliert erörtert. Zum Schluss werden unsere Er- oder an eine Voraussetzung geknüpft geschehen. Die Voraus- Typografie Hilfe herausfinden. fahrungen zusammengefasst, und wir stellen weitere nötige setzung kann (fiktiv) zeitlich sein, d.h. dass das Bild nur zu Für die Schriftgröße, für die Betonung mit Farben, bzw. für die Jeder Aspekt der Planung soll in erster Linie das Verstehen Forschungen dar. einem bestimmten Zeitpunkt des (erzählten) Narrativs oder (teilweise) simultane Bedienung von Text und Bild gibt es der- der gelesenen Geschichte unterstützen.

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3.2 Die Umstände der empirischen Untersuchung türkischen Pascha beinahe mit sadistischer Freude mit den Im Zusammenhang mit der Benutzung des interaktiven Mär- Bienen gestochen haben (N8). chenbuchs haben wir eine erste detaillierend-entdeckende Die Kinder haben mit in ausreichender Zahl wiederholten Forschung durchgeführt, die aus der Beobachtung des Lese- Interaktionen die in der Geschichte vorkommenden Ereignisse prozesses und einem Interview nach der Benutzung bestand. in den Fällen überwiegend „erfüllt“, in denen das Ziel eindeu- Das Experiment haben wir mit zwei Gruppen durchgeführt. tig war (N4.1, N6, N7, N9). Es ist interessant, dass das erste Die eine Gruppe (T) hat nur das interaktive Märchen kennen- Schlüsselereignis des Märchens N1 (Abb. 1) nur von weniger gelernt, die andere (P Gruppe, zugleich die Kontrollgruppe) als der Hälfte der Kinder erfüllt worden ist. Das kann mehre- hat zuerst die illustrierte, ausgedruckte Version des Mär- re Gründe haben: einerseits hat das Ereignis, das Finden des chens gelesen. Halbkreuzers, keinen Konflikt-Charakter, andererseits ist die Ak- tion selbst, das Scharren auf dem Misthaufen, nicht anreizend 3.3 Ergebnisse und bringt kein sichtbares Teilergebnis. Schließlich sind die fünf Die Leser haben die N (narrativen) Interaktionen viel öfter Wiederholungen möglicherweise zu monoton und erfordern (relativ) benutzt, als die A (Atmosphäre schaffenden) Inter- gleich am Anfang der Geschichte zu viel Zeit. aktionen. Wir können sagen, dass die Leser die Geschichte Kein einziges Kind hat die Interaktion A4 benutzt. Dazu hät- quasi „wiedergespielt“ haben. ten sie das Gerät kippen müssen, was eine ungewöhnliche Die Kinder haben mehrere solche Interaktionen durchge- Steuerungsmodalität ist. führt, mit denen sie den türkischen Pascha (bzw. seinen Die- Es kann aber auch sein, dass viele Kinder einen Schaukel- ner) bestraft, gefrotzelt haben, als solche, mit denen sie dem stuhl und seine Funktion nicht kannten. Außerdem ist das ein kleinen Hahn geholfen haben. Diese Beobachtung wurde vor abschließendes „happy end“-Ereignis. allem bei den Szenen, die symmetrische Paare beinhalten (2 Die kreisrunde Bewegung, die die Funktion des Brunnen- und 5) eindeutig. Es ist ebenfalls auffällig, dass die Kinder den rades imitiert, haben die Kinder nicht wirklich (gut) verwen-

Durch- Wirkung der Interaktion Code Wie oft? T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 schnitt H (Hahn) scharrt, schließlich erscheint der det. (Abb.2) Ein Grund dafür kann sein, dass das Ereignis 2. Viele, größtenteils Jungen, haben die Geschichte kindisch N1 5 4 3 3 5 1 5 2 3,29 Halbkreuzer in der Geschichte überhaupt nicht vorkommt, nur auf der gefunden, ihnen würden noch mehr „Aktionen“ gefallen. Die Tabelle 1: Verwendung beweglichen Abbildung. (Hier wird der kleine Hahn vom Mädchen hatten solche Einwände nicht. H springt während des Laufens N2.1 unbeschränkt 1 1 2 2 1 0 0 1,00 der interaktiven Elemente „Leser“ durch die Drehung des Rades heraufgezogen.) An- 3. Obwohl die Kinder gerne an einem weiteren derartigen T (Türkischer Pascha) plumpst auf den Bo- N2.2 unbeschränkt 0 0 3 3 0 6 0 1,71 dererseits stellte sich in den Interviews heraus, dass die Experiment teilgenommen hätten und mündlich das Erlebnis den während des Laufens meisten Kinder nicht wussten, wie ein Radbrunnen funkti- positiv bewertet haben, war ihr Verhalten eher „aufgabeno- H kräht N3 unbeschränkt 2 1 2 5 1 2 2 2,14 oniert. So war das Fehlen der eigenen Erfahrung aus dem rientiert“, angespannt, ihre Emotionen haben sie höchstens H saugt das Wasser auf N4.1 3 3 3 3 3 2 3 3 2,86 realen Leben der Grund dafür, dass in der Fiktion, auf der mündlich, ohne Mimik oder Gestik ausgedrückt. H wird aus dem Brunnen rausgezogen N4.2 1 0 2 1 2 0 2 2 1,29 interaktiven Fläche, die Kinder diese Funktion nicht „auspro- Vogel zwitschert E1 unbeschränkt 0 2 2 0 0 2 2 1,14 bieren“ konnten. Die wichtigsten Beobachtungen H springt vor dem Diener weg N5.1 unbeschränkt 2 1 2 6 1 0 0 1,71 1. Unsere Vermutung im Zusammenhang mit der Aneignung der Unsere Beobachtungen sind folgende neuen Begriffe „nach dem Ausprobieren“ hat sich nicht bestätigt. Diener springt nach H auf N5.2 unbeschränkt 0 0 0 5 4 7 3 2,71 1. Mit einer Ausnahme haben alle Kinder die Geschichte bis 2. Nach dem Lesen hat sich das Nacherzählen der Geschich- Wetterhahn dreht sich A2 unbeschränkt 0 1 1 0 0 0 2 0,57 zum Ende gelesen, sie haben sogar manchmal zurückgeblät- te verbessert. Im Vergleich zum vorläufigen Erzählen stieg die H löscht das Feuer (allmählich) N6 6 0 6 6 6 3 6 6 4,71 tert und sie nochmal gelesen. Benutzung der altertümlichen Wörter und der sprachlichen H saugt die Bienen auf (allmählich) N7 4 1 4 4 4 4 4 4 3,57 2. Die Mehrheit der Kinder beschäftigte sich zuerst mit dem Wendungen. Eine Wespe fliegt von der Blume (dann fliegt Text und begann erst nach dem Lesen, sich mit dem Bild ne- 3. Mehrere haben kritisch nach den kleinen abweichenden A3 unbeschränkt 0 1 3 3 5 0 2 2 sie zurück) ben dem Text zu beschäftigen. Details auf den Bildern gefragt, die mit dem im Text betonten, T leidet durch die Bienen N8 unbeschränkt 0 1 3 7 4 9 1 3,57 narrativen Element nicht zusammenpassen. Im Zusammenhang mit der ersten Fragestellung haben wir H saugt das Geld auf (allmählich) N9 3 3 3 3 3 3 3 3 3 mit Hilfe der Analyse der Fragen des Interviews folgendes 4. Konklusionen und weitere Aufgaben Schaukelstuhl wackelt A4 unbeschränkt 0 0 0 0 0 0 0 0 Bild gewonnen: Als Ergebnis unserer empirischen, aufdeckenden Untersuchung Das Kind hat den Tablet-PC in die Hand ge------Ja Ja Ja Ja Ja Nein Ja 6/7 1. Das interaktive Buch hat den Kindern ausnahmslos gefal- können wir schon einige konkrete Folgerungen ziehen, die als nommen len. Ausgangspunkte für weitere Forschungen dienen können:

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Barbara Bader Tacit knowing in doppeltem Sinn Emergenzbedingungen 1 kunst-pädagogischer Könnerschaft 1 Bericht aus dem Workshop von Barbara Bader (ABK Stuttgart), Beate Wir sehen nicht, weil wir nicht blind sind. Wir sehen, weil wir Nun gäbe es viel Einleitendes zu sagen z.B. über das Wis- Florenz (HGK Basel), für das meiste blind sind. … Stets handeln wir im Duktus sol- sen der Künste, ein Thema, das zurzeit einen wahrhaften Edith Glaser cher kultureller Grundbilder. Gerade als unbewusste [Bilder] Boom erlebt. Angesichts des zur Verfügung stehenden (PH FHNW) und sind sie wirksam. (Welsch 2003: 31 und 35) Raumes wird es nicht möglich sein, auf die Spezifika von Claudia Niederberger Kunst und Design als Wissensformen und epistemische (PH Luzern) Seit einigen Jahren findet das Konzept des impliziten Wis- Praktiken eingehen zu können; immerhin seien in diesem sens besondere Aufmerksamkeit in der Lehrer/innenbildung, Zusammenhang die jüngeren Arbeiten von Dieter Mersch wo das Theorie-Praxis-Verhältnis traditionell intensiv erörtert für den Bereich Kunst bzw. von Claudia Mareis für das De- wird. Die tacit knowing view hinterfragt eine einseitig intel- sign erwähnt und empfohlen. Hingegen scheint es sinnvoll, lektualistische Sichtweise menschlichen Handelns, in der anhand von Wolfgang Welsch Buch „Ästhetisches Denken“, künstlerisches, kreatives, intuitives oder improvisierendes welches in den 1990er Jahren erstmals publiziert wurde, kurz Handeln nur als Anomalie vorkommt. Unterrichtshandeln von den Fragen nachzugehen, wie sich dieses sogenannt implizite Lehrerinnen und Lehrern zeichnet sich jedoch gerade durch Wissen konstituiert und wo es herrührt. „die Merkmale von Komplexität, Vernetzung, Intransparenz, Basierend auf der Prämisse der abendländischen Bevorzu- 1. Diese Altersklasse ist (noch) für die von der üblichen Form Chocolapps. (2012) The Three Littlee Pigs, Interaktives Buch-App. Polytelie und Eigendynamik aus“ argumentiert Georg Hans gung des Sehens (das, was Foucault Visual primat nannte) der Illustration abweichende, künstlerische Darstellung offen. http://www.chocolapps.com/en/icemagproducts/the-three-litt- Neuweg in seinem Aufsatz „Emergenzbedingungen pädago- gegenüber anderen Sinnesfeldern unterscheidet Welsch zwi- Es funktionieren sogar altertümliche Darstellungen auf den le-pigs/ [Zugriff September 2013] gischer Könnerschaft“ (Neuweg 2005: 209). schen zwei visuellen Wahrnehmungsarten: der horizonthaften modernsten Geräten. Cocozza, Paula (2014) Are iPads and tablets bad for young children? Unser Workshop ging von der These aus, dass das, was Wahrnehmung, die für erste Erschließungsleistungen zustän- 2. Die Kinder haben auf die Unterschiede zwischen Bild und TheGuardian online, 2014.1.8 http://www.theguardian.com/so- Neuweg in seinem Aufsatz beschreibt, in der Ausbildung von dig ist, und den aktuellen Sinn des Wahrnehmens, der die Text, bzw. zwischen der Darstellung und dem „eigenen Be- ciety/2014/jan/08/are-tablet-computers-bad-young-children Lehrerinnen und Lehrern im Bereich Bild und Kunst im dop- spezifische, gerichtete Wahrnehmung verantwortet. (Welsch griffsbild“ kritisch reagiert, der Bildinhalt hat den Text und das Dr. Seuss. (2010) The Cat in the Hat, Oceanhouse Media. Interakti- pelten Sinne zutrifft: Implizites, also (noch) nicht begriffliches 2003: 34) Im Unterschied zum sogenannt aktuellen Wahrneh- eigene Präkonzept nicht überschrieben. ves Buch-App. Wissen stellt sowohl in pädagogischer als auch in gestalte- men, das objektbezogen, nach vorne gerichtet und dadurch 3. Das neue interaktive Medium bietet vielversprechende Goodbeans (2012) Nighty Night! Interaktives Buch-App. risch-künstlerischer Hinsicht eine konstitutive Dimension dar. effizient sei, tauche die horizonthafte Typik nicht auf, sondern Möglichkeiten auch im Kennenlernen der Buchstaben oder MOME TechLab weboldal http:// techlab.mome.hu/felkrajcar [Datum In beiden Ausbildungsbereichen – der fachlichen und der liege der aktuellen Wahrnehmung konstitutiv im Rücken: „Man im Lesen lernen. des Herunterladens: September 2013] fachdidaktisch-pädagogischen – scheinen wir oft „mehr zu sieht sichtbare Gegenstände, nicht das Sehen oder die Sicht- 4. Bei der Planung müssen die Beziehung zwischen Leser und Ruttkay, Zs., Bényei, J., Sárközi, Zs. (2013) Evaluation of Interactive wissen, als wir sagen können“, um auf Polnayis bekannten barkeit. [...] Seine eigene Spezifität – seine Schemata und dargestelltem Bild und die schon bestehenden mentalen Bil- Childrens Book Design, in Proceedings of EbuTel Workshop, 13 Satz zurück zu greifen. Die für das Fach Bildende Kunst bzw. Prägungen einschließlich der damit gesetzten Beschränkun- der des Lesers wichtige Aspekte sein, im Gegensatz zur in September 2013 Trento, Italy, Springer. (unter Veröffentlichung) Bildnerisches Gestalten oder Bildnerische Erziehung charak- gen – bleiben eigentümlich verborgen.“ (ibid.: 33). Die Eröff- erster Linie (oder ausschließlich) mit IT-Termini operierenden Varga, Emőke (2012). Az illusztrált könyvek mediális átfedési: de- teristische Verdoppelung impliziten Wissens wird jedoch in nungsleistung der Wahrnehmung sei einerseits eine notwen- Praxis. finíció és módszer.; Illusztrációtipológia [Mediale Überschneidun- den fachlichen und berufsbezogenen Teilen der Lehrer/innen- dige Bedingung der externen Effizienz des Wahrnehmens, an- Dennoch braucht der Gültigkeitsbereich unserer Eindrücke gen der illustrierten Bücher: Definition und Methode]– In.: Az bildung kaum zur Sprache gebracht. Zeichen eines solchen dererseits aber auch konstitutiv für unseren objektivistischen weitere Untersuchungen. illusztráció a teóriában, a kritikában, az oktatásban. [Illustration Verständnisses im Weitesten ist vielleicht Gert Selles „indi- Wahrnehmungsglauben. Unsere jeweiligen Grundbilder leiten in der Theorie, in der Kritik und im Unterricht] – Bp.: L’ Harmattan rekte Fachdidaktik“, wie er es im Anschluss an einen Vortrag nicht nur unseren Wirklichkeitszugang, sondern imprägnieren Literatur Kiadó, 2012. 35-41.; 49-63. p. 2001 an der Universität Hamburg formulierte und mithin das und bestimmen auch unser Verhalten. Welsch schreibt: „Stets Arany, László (1900-1901) Összes Műve [Gesamtwerk]. Közreboc- daran gekoppelte Diktum, alle Lehrpersonen sollen Künstler/ handeln wir im Duktus solcher kultureller Grundbilder. Gerade sátja Gyulai Pál. IV. köt.: Magyar népmesegyűjteménye. – Bp.: innen sein, oder aber die jüngsten Überlegungen von Brigit als unbewusste sind sie wirksam“ (ibid.: 35). Franklin Társ., 1900-1901. Engel und Katja Böhme zu den sogenannten „fachdidakti- Die Forschung zum Lehrberuf beschäftigt sich seit Anfang schen Logiken des Unbestimmten“ (Engel und Böhme 2014). der 1990er Jahre mit der Wirkungsmacht solcher Grundbilder,

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Lehrpersonen. Welschs Thesen werden größtenteils bestä- der Grundbilder, bei Lehramtsstudierenden nach 13-jähriger tigt. Allerdings ist hier nicht die Rede von „Grundbildern“, Schulzeit ähnlich differenziert ausfallen wie diejenigen berufs- sondern von tacit knowing, implizitem Wissen, subjektiven tätiger Lehrpersonen. Erstaunlich ist dabei nicht nur der Grad Theorien, berufsbezogenen Überzeugungen oder englisch: der Differenziertheit der Typen, sondern auch deren hohe Sta- teacher beliefs. Die Begrifflichkeiten sind hier nicht immer bilität, d.h. die überindividuelle Übereinstimmung über Labels ganz trennscharf; in der einschlägigen Literatur ist von einem (fleissige Schülerin) und Merkmale (gut organisiert, meldet messy concept die Rede (Reusser, Pauli, Elmer, 2011: 479). sich oft, etc.). Ebendiese stabile, überindividuelle Kongruenz In den vorliegenden Erläuterungen wird davon ausgegangen, von Labels und Merkmalen zeigte sich auch in den Ergeb- Abb.3 Zeichnungen von dass berufsbezogene Grundbilder eine spezifische Form von nissen der typologischen Analyse von Hörstermann, Krolak- Studierenden zu Schüler- handlungsleitendem impliziten Wissen bzw. einer Form von Schwerdt, Fischbach aus dem Jahr 2010 zu kognitiven Reprä- typen: cool. Foto: Barbara tacit knowing darstellen. Lassen Sie mich ein konkretes Bei- sentationen von Schülertypen unter angehenden Lehrkräften; Bader 2014. spiel eines solchen berufsspezifischen Grundbildes geben: die Studie zeigt, dass diese schon bei geringer praktischer Lehrerfahrung über ein differenziertes und strukturiertes Set Bilder von Schülerinnen und Schülern von Schülertypen – oder Grundbildern – verfügen. Exemplarisch sei hier ein Ausschnitt aus einer Lehrveranstal- Die positive Seite solcher Grundbilder, kognitiver Repräsen- tung „Bildungswissenschaften 1“ für Studierende im künst- tationen oder impliziter Wissensbestände ist, dass diese Un- lerischen Lehramt für Gymnasien an der Akademie der Bil- terrichtshandeln überhaupt erst ermöglichen. Lehrkräfte sind denden Künste Stuttgart präsentiert, welche im 5. Semester, in ihrer pädagogischen Tätigkeit darauf angewiesen, Wissen unmittelbar vor Beginn des Praxissemesters, besucht wird. über ihre Schüler zu erwerben und unterrichtsrelevante Infor- Ausgangspunkt ist der Bildungsroman „Der Hals der Giraffe“ mationen über ihre Schüler wahrzunehmen. Die Kategorisie- der deutschen Grafikdesignerin und Autorin Judith Schalans- rung strukturiert und organisiert das Wissen, hilft, neue Infor- Abb.1 Judith Schalansky. ky aus dem Jahre 2011 (Abb.1), den Felicitas von Lovenberg mationen mit bestehendem Wissen zu verbinden und erlaubt Abb.4 Zeichnungen von (2011). Der Hals der in der FAZ vom 9.9. 2011 folgendermaßen einführt: kategoriebasierte Schlussfolgerungen auf unbekannte und Studierenden zu Schü- Giraffe. Bildungsroman. Gerade zwölf Schüler hat die neunte Klasse, die, noch träge zukünftige Sachverhalte. Oder in Pendrys Worten „einfach lertypen: gut organisiert. Berlin: Suhrkamp von den Sommerferien, nun zu Beginn des neuen Schuljahrs ausgedrückt führt Kategorisierung zu einer Vereinfachung, Foto: Barbara Bader vor ihr sitzt, und wenn dieser schlappe Haufen in vier Jahren die die Welt in einen geordneten, vorhersagbareren und kon- 2014.formen mit Schüle- fertig ist, wird die Schule dichtgemacht. Bis dahin wird Inge trollierbaren Ort verwandelt“ (Pendry 2007: 116). Gerade für rinnen und Schülern der Lohmark diesem armseligen „Nachschub fürs Rentensystem“ Berufseinsteigerinnen sind solche handlungsentlastenden Bezirksschule (Sek I). aber schon noch beibringen, dass im Überlebenskampf nur Faktoren zentral und willkommen: weil sie sich bestimmten Foto: Evelyne Monney. eine Chance hat, wer sich an die Verhältnisse anpasst. So, Dingen nicht mehr aufmerksam zuwenden müssen, bleiben Carlos Granado. wie sie selbst es stets getan hat, ob nach der Wende oder Kapazitäten für Situatives und Unvorhergesehenes frei. Hierin noch zu DDR-Zeiten. [...] Und was sie selbst angeht, so hat stellt sich eine Brücke zum Eingangszitat von Welsch: „Wir Inge Lohmark über dreißig Jahre hinweg eine klare Vorstel- sehen nicht, weil wir nicht blind sind. Wir sehen, weil wir für keit und beeindruckende Stabilität und Resistenz gegenüber lung von effektivem Unterricht entwickelt: „Zu professionellem das meiste blind sind“ (Welsch 2003: 31). Modifikationen im Rahmen der Ausbildung (Reusser, Pauli Verständnis gehört keine Nähe, kein Verständnis“. Grundbilder bergen aber auch Problematiken. Die aktuelle & Elmer 2011). So folgert die Bildungsforscherin Virginia Gleich zu Beginn des schmalen Bandes findet sich ein Lehrerinnen- und Lehrerforschung zeigt eindrücklich: unse- Richardson (1996: 103): Klassenspiegel mit außerordentlich zynischen Kurzbeschrei- re Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern definiert Preservice teacher education seems a weak intervention. bungen der zwölf Jugendlichen (Abb.2). Basierend auf diesen deren schulische Performance maßgeblich mit. Hinter dem It is sandwiched between two powerful forces – previous life Charakterisierungen wurden die Studierenden aufgefordert Titel „Praktiken von Image und Erwartung“ verbirgt sich so- history, particularly that related to being a student, and class- Abb.2 Ausschnitt aus sich zu überlegen, ob bestimmte Schülertypen fehlen und dann das Moment, das in meiner Ausbildung vor 20 Jahren room experience as a student teacher, and teacher. Frau Lohmarks Klassen- falls ja, diese vor ihren Mitstudierenden zu performen; die als Self-fulfilling prophecy oder Pygmalioneffekt bezeichnet Trotzdem müsse sich die Lehrer/innenbildung der Heraus- spiegel (S. 10) übrigen Studierenden sollten ihrerseits diese Performances wurde. Oder mit Welsch gesprochen: unsere unbewussten, forderung stellen, wie Lehramtsstudierende an ihre Grund- zeichnerisch festhalten, den Typen ein Label zuschreiben so- verinnerlichten Grundbilder sind auch konstitutiv für unseren bilder heran und allenfalls aus ihnen heraus kommen. „Am wie deren typische Merkmale notieren. (Abb. 3 und 4) Glauben an die Objektivität unserer Wahrnehmung. ehesten wohl über Bilderfahrungen und Bildarbeit, die sich Die Präzision und Übereinstimmung der Ergebnisse mögen Grundbilder sind also typische blinde Flecken. Und zwar im daran macht, diese vorgängigen Prägungen zu exponieren auf den ersten Blick frappieren, auch wenn aus jüngeren wis- doppelten Sinn. So zeigt die Forschung zum Lehrberuf nicht und zu durchbrechen“, meint Welsch (Welsch 2003: 35). zum einen mit Blick auf die Lehrerinnen- und Lehrerbildung senschaftlichen Studien hinreichend bekannt ist, dass die so- nur die Wirkungsmacht von kognitiven Repräsentationen, Vor diesem Hintergrund stellte unser Workshop die The- und zum anderen hinsichtlich der Frage nach deren wahrneh- genannten „kognitiven Repräsentationen“ von Schülertypen, etwa mit Blick auf die eben genannten Praktiken von Image se in den Raum, dass der Anspruch nach Bilderfahrung und mungs- und handlungsleitenden Charakter bei berufstätigen das bildungswissenschaftliche Pendant zu Welschs Begriff und Erwartung, sondern auch deren schwierige Zugänglich- Bildarbeit in keinem Fach und mit keiner Studierendengrup-

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pe besser funktioniert als in der Gestaltung und Kunst bzw. lungsleitende Funktion übernehmen. Und schließlich führt im künstlerischen Lehramt. Und dass sich an genau diesem uns die Gesamtschau auch deren Limitierungen und Pro- Punkt Neuwegs Postulat aus unserer Ankündigung einlöst, blematik vor Augen: die Illusion unseres objektivistischen nämlich dass sich „das pädagogisch-didaktisch geformte Wahrnehmungsglaubens. Fachwissen und das fachlich konkret gewordene Pädago- Zusammengefasst haben wir mit unserem Workshop gisch-Didaktische im Kern gleichen“ (Neuweg 2005: 214). versucht aufzuzeigen, dass sich Grundbilder als spezifische Die in den Abbildungen 3 und 4 präsentierten Zeichnungen Form impliziten Wissens in der Lehrerprofession verstehen typischer Schülerinnen und Schüler könnten ein erster lassen. Zweitens war es uns ein Anliegen, den Umgang mit Schritt in Richtung „Nachher“ darstellen, wobei es mir da- Grundbildern in der Ausbildung für Lehrpersonen für das Fach bei nicht in erster Linie um die Sichtbarmachung konkreter Bildnerisches Gestalten, Bildnerische Erziehung oder Bilden- Schülerbilder ging, sondern vielmehr um die eigentliche de Kunst als wechselseitige Durchdringung, als „Amalgam“ Gewahrwerdung – oder „Exponierung“ – solcher mentaler fachlicher und berufsbezogener Wissensbereiche zu präsen- Repräsentationen bzw. impliziten Wissensbestände unter tieren (Neuweg 2011: 471). Und last but not least ging es den Studierenden. Die Gesamtschau der Zeichnungen er- uns darum, die kritische Befragung der eigenen leitenden möglicht sodann eine kritische Befragung leitender berufs- berufsbezogenen Bildlichkeit nicht als irgendeine Form der bezogener Bildlichkeiten. Die Mischung aus Überindividu- Reflexion, sondern als eine explizit fachspezifische darzustel- alität und Subjektgebundenheit, die sich hier manifestiert, len, kurz, als Bildkritik. Das fachliche Verständnis der Beson- Abb. 5 und 6: zeugt zum einen von der durchgängigen Existenz impliziter derheiten, der Funktionen, der Macht und der Wirkung von Studentische Präsentati- berufsbezogener Wissensbestände von künstlerischen Bildern wird – in der Konsequenz – zur Emergenzbedingung onen und Reflexion „Mein Lehramtsstudierenden. Zum anderen macht sie deutlich, pädagogischer Könnerschaft. ästhetischer Koffer“. Foto: wie unsere individuellen Grundbilder von Schule, Schülern, Im Folgenden werden drei Ausschnitte aus der Lehrer/ Claudia Niederberger Lehrpersonen oder dem Fachgegenstand unsere Wahrneh- innenbildung zusammengefasst, welche wir im Rahmen un- 2015. mung bestimmen und imprägnieren; und damit auch hand- seres Workshops präsentierten.

Claudia Niederberger Edith Glaser-Henzer Tacit knowing Wechselseitige Durchdringung Zur Bedeutung des impliziten Wissens fachlicher und berufsbezogener in der Studieneingangsphase Wissensbereiche in studentischen

Fall- und Interventionsstudien Mit welchen Fachvorstellungen, Überzeugungen und bio- Koffer“ ihre entstandenen Arbeiten aus den Bildprozessen grafischen Erfahrungen die Studierenden ins Lehramtsstu- wie auch ältere Arbeiten gemeinsam aus (Abb.5 und 6). dium für Bildnerische Gestaltung für die Sekundarstufe 1 an Sie stellen konvergierende und divergierende Bezüge her Der Umgang mit unterschiedlichen Wissensformen (vgl. Schülerin noch ihr eigenes Sehen. Sie fixierten sich auf die der pädagogischen Hochschule eintreten, und wie Erfah- und reflektieren diese in Bezug auf ihr persönliches Erfah- Neuweg 2005) wurde anhand von Datenmaterial aus einer Zentralperspektive und das Beobachten der Erscheinungs- rungen über die bildnerisch-künstlerische Praxis, im Sinne rungswissen und Können, sowie auf intuitive und implizi- Fall- und Interventionsstudie zweier Lehramtskandidaten für form, während die Schülerin parallelperspektivisch aus ihrer einer reflexiven Praxis-Theorie-Verknüpfung fachliche und te Prozesse und die daraus gewonnen Erkenntnisse, wie die Sekundarstufe 1 rekonstruiert: zwei Studenten führten Vorstellung zeichnen wollte. Indem sie der Schülerin im In- damit auch fachdidaktische Grundbilder verändern können, folgende Auszüge aus einem Lernjournal und Semesterbe- ihre Studie in Analogie zur Untersuchung räumlich-visueller terview zuhörten, wie diese ihre Bilderfahrung kommentierte, stand im Zentrum dieses Workshopteils. Im ersten Ausbil- richt einer Studentin zeigen. Kompetenzen (Glaser et al. 2012) durch. An ihrem Material wurden sie sich der eigenen „Schemata und Prägungen ein- dungssemester an der PH Luzern befragen und reflektieren „Ich durfte im Modul Experiment und Zufall viel Zeit, Raum kann die Wirksamkeit „kultureller Grundbilder“ (Welsch 2003: schließlich der damit gesetzten Beschränkungen“ (ibid.: 33) Studierende ihre biografischen Facherfahrungen. Mit Bild- Material nutzen. Eigenes Erleben, Ausprobieren und Erfahren 35, zitiert im Beitrag von Barbara Bader) herausgearbei- ihrer Wahrnehmung sowie der daraus folgenden fachdidak- sammlungen aus ihrer vorangehenden Schul- und Freizeit in vielen Zufallsverfahren haben mir ganz neue Ideen der ge- tet werden. Die beiden Studenten fokussierten über weite tischen Handlungsweise bewusst. Die kritische Befragung diskutieren sie mit Hilfe eines Fragebogens (reflexive Text- stalterischen Möglichkeiten aufgezeigt. Phasen ihrer Arbeit das Sichtbare – die räumlichen Darstel- ihrer Bildpraxis und berufsbezogenen Bildlichkeit führte die arbeiten) ihre ästhetischen und fachlichen Erfahrungen. Auf der Suche nach meinen Jugendzeichnungen ist mir lungsformen (Mischform zentral/parallel) in der Zeichnung Studenten am Schluss zu einem erweiterten fachlichen und Am Ende des Semesters stellen die Studierenden unter- wieder bewusst geworden, in wie engem Rahmen wir da- einer 13-jährigen Schülerin – also weder die Sehweise der fachdidaktisch-pädagogischen Verständnis. schiedliche Phasen unter dem Titel „Mein ästhetischer mals angeleitet wurden, gestalterisch tätig zu werden.“

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Beate Florenz Zeichnung – fachdidaktisch gegengelesen

Die Zeichnung ist in Schulkontexten ein allgegenwärtiges GLASER, E., DIEHL OTT, L., DIEHL, L., PEEZ, G. : Zeichnen: Wahrneh- Medium. Kognitive Repräsentationen dessen, was eine men, Verarbeiten, Darstellen. Empirische Untersuchungen zur Zeichnung ausmacht, sind damit ebenso allgegenwärtig. Die Kinderzeichnung und zur Ermittlung räumlich-visueller Kompe- Zeichnung fachdidaktisch gegenzulesen, bedeutete für den tenzen im Kunstunterricht. München (kopaed) 2012. Workshop, solche Repräsentationen zunächst aus einem HÖRSTERMANN, T., KROLAK-SCHWERT, S., FISCHBACH, A.: Die ko- kunsthistorischen Blick heraus aufzusuchen, um sie in einem gnitive Repräsentation von Schülertypen bei angehenden Lehr- weiteren Schritt für eine Bildarbeit im Sinne Welschs (Welsch kräften – eine typologische Analyse. Schweizerische Zeitschrift 2003: 35) zu öffnen. KunstPädagogik also im Anschluss an für Bildungswissenschaften 32 (2010) 1, S. 143-58. Pazzini mit grossem „P“ zu schreiben und Fach und Didak- NEUWEG, H. G.: Emergenzbedingungen pädagogischer Könner- tik sich auf der Basis der Erfahrung gegenseitig bedingen schaft. In: Heid, Hemut / Harteis, Christian (Hg.): Verwertbarkeit. zu lassen. Vorgängige, durch Bildungstraditionen fundierte Ein Qualitätskriterium (erziehungs-)wissenschaftlichen Wis- Implikationen des Verständnisses von Zeichnung und ihrer sens?. Wiesbaden (VS Verlag für Sozialwissenschaften) 2005, Funktion standen damit zur Diskussion. Beispielhaft für solche S. 205–228. Dispositionen wurde im Selbstversuch eine Aufzeichnungs- . __ Das Wissen der Wissensvermittler. Problemstellungen, Befun- form zum Raum erprobt, die nicht als wiedergebende, per- de und Perspektiven der Forschung zum Lehrerwissen. In: Ter- spektivisch ausgelegte Darstellung, sondern als Erfahrung der hart, Ewald (Hrsg.); Bennewitz, Hedda (Hrsg.); Rothland, Martin eigenen Gehbewegung im Raum die Zeichnung bildete. Ein (Hrsg.): Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf. Münster u.a.: Versuch also, Emergenzbedingungen zu schaffen, die einen Waxmann 2011, S. 451-477 Abb. 7 und 8: anderen Blick auf die Zeichnung im Bildungsgeschehen der PAZZINI, K.: Kann Didaktik Kunst und Pädagogik zu einem Herz und Arbeitsprobe und deren Entstehung – Die Zeichnungs- Schule ermöglichen. Der Workshopteil stand im Zusammen- einer Seele machen oder bleibt es bei ach zwei Seelen in der werkstatt erprobt im Rahmen des Projektes kunst/mobil hang mit dem am Institut Lehrberufe Gestaltung und Kunst Brust? Hamburg: University Press, 2005. 2014 ungewohnte Zeichnungsformen mit Schülerinnen der Hochschule für Gestaltung und Kunst | Fachhochschule FLORENZ, B.: Zeichnung – Gedankenstriche zu einer altbekannten und Schülern der Bezirksschule (Sek I). Foto: Evelyne Nordwestschweiz angesiedelten Projekt kunst/mobil (Abb. terra incognita. In: Meyer, T. & Kolb, G. (Hrsg.). What’s Next? Art Monney. 7-12). Weitere Informationen zum Projekt siehe unter www. Education - Ein Reader. München: kopaed 2014, S. 101 - 103 kunst-mobil.ch. siehe auch www.kunst-mobil.ch/ Abb. 9 und 12: PENDRY, L.: Soziale Kognition. In: K. Jonas, W. Stroebe & M. Hewstone Widerständiges Zeichnen – eine Schülerin der Literatur (Hrsg.). Sozial- psychologie (S. 111-145). Heidelberg: Springer 2007 Bezirksschule (Sek I) setzt zeichnerische Spuren gegen BADER, B.: Über die Widerständigkeit und Entfesselungskunst des RICHARDSON, V.: Preservice Teacher Beliefs. In: Raths, J. & die Schwerkraft. Die Aufnahme entstand 2014 zur Zeichnens. In B. Gysin (Hrsg.), Wozu Zeichnen? Qualität und Wir- McAninch, A.J. (Hrsg.). Teacher Beliefs and Classroom Perfor- Zeichnungswerkstatt im Rahmen des Projektes kunst/ kung der materialisierten Geste durch die Hand. Zürich (Niggli) mance. The Impact of Teacher Education. Charlotte: Information mobil. Foto: Evelyne Monney. 2010, S.179-184. Age Publishing 2003 ENGEL, B. & BÖHME, K.: Didaktische Logiken des Unbestimmten. SCHALANSKY, J.: Der Hals der Giraffe. Bildungsroman. Berlin: Suhr- Abb. 10 und 11: Professionalisierungsprozesse in der Lehrerbildung im Fokus Äs- kamp 2011 Perspektivwechsel – Räumliche Zeichnungen als thetischer und Künstlerischer Bildung. Tagung an der Kunstaka- WELSCH, W.: Ästhetisches Denken. Stuttgart: Reclam 2003 (6. Eingriff in den Raum. Eine Arbeitsprobe der Berufsfach- demie Münster, 16. – 17.Mai 2014. Auflage) schule Gesundheit (Sek II) zum Experiment Zeichnung im Raum (2015) im Rahmen des Projektes kunst/mobil. Fotos: Evelyne Monney, Carlos Granado.

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Sara Hornäk, Petra Kathke, Susanne Henning, Anna Heggemann den Sinngehalt von Werken. Beispielhaft steht dafür das Reiterdenkmal zum Aufblicken erhöht auf einem Podest. Mit dem Umbruch in die Moderne positioniert August Rodin sei- (Zwischen-) Raum, Körper, Klang ne Bürger von Calais (1884-1886) auf dem Boden und bie- Skulpturales Handeln von Kindern tet dem Betrachter durch eine Skulptur auf Augenhöhe ein hohes Identifikationspotential. Auf andere Weise verknüpft und Jugendlichen im erweiterten Feld Constantin Brancusi die Skulptur mit dem Raum. Indem er den Sockel selbst als bildhauerische Form auffasst und ihn in Abb. 1 das Werk integriert, löst sich seine Funktion als Podest auf. In Aristide Maillol, Die Luft, In ihrer unmittelbaren Präsenz und räumlichen Situierung heiten hin zu erweitern. Ziel war es, mit kurzen Vorträgen der „Unendlichen Säule“ (1937-38) wird die Skulptur eins mit Bronzeguss, 1938 stellt die Skulptur viele kunstpädagogisch bedeutsame Fra- und anschließenden Übungen den Erkenntnismöglichkeiten dem Sockel. Damit zeigt sich die Geschichte der modernen gen. Als raum-zeitlich erfahrbares Phänomen, das körper- skulpturalen Handelns in den Bereichen Raum, Objekt, Ar- Plastik als Geschichte der Befreiung vom Sockel (vgl. Trier horizontaler Ausrichtung, die sich in ihren Werken großflächig liche Bezugnahme ebenso herausfordert wie die Entwicklung chitektur und Klang nachzugehen. Dabei ging es darum, 1992: 164-171). und raumfordernd in die Weite der Landschaft ausdehnt. Carl plastischen Ausdrucksvermögens, erweist sie sich in der neue Wege zu diskutieren, die Objekt- und Raumwahrneh- Etwa zeitgleich stellt Aristide Maillol eine weibliche Figur Andre verwendet für die ein Territorium markierenden flachen aktuellen kunstpädagogischen Debatte häufig als blinder mung zu fördern und künstlerisch-gestalterische Prozesse liegend auf dem Boden dar. In seinem 1938 entstandenen Bodenskulpturen erstmals 1964 den Begriff des Feldes und Fleck. Dabei bieten die dreidimensionalen Künste durch ihre zu initiieren. Werk „Die Luft“ befragt er den Auflagepunkt einer Plastik. verweist mit seiner „sculpture as place“ auf die Bedeutung Zugänglichkeit viele Anknüpfungsmöglichkeiten an die Inte- Gemeinsam sind den vier Teilbereichen die folgenden Fra- Der Titel umschreibt den zum Ausdruck gebrachten Schwe- der Ausdehnung, die Volumen und Masse als bildhauerische ressen von Schülerinnen und Schülern. Ergänzt um das gat- gestellungen: bezustand: Die Figur liegt gleichzeitig auf und wirkt doch ganz Kategorien ablöst. Während sich Andre mit seinen Werken tungsübergreifende Potenzial installativer, prozessualer und u Was meint skulpturales Handeln im erweiterten Feld? leicht, ein Balanceakt zwischen Bodenhaftung und Schwere- nur noch minimal über dem Boden bewegt, entdeckt Mary partizipativer Aspekte verweist die Skulptur im erweiterten Welche elementaren Fragen zur körperlichen Situiertheit losigkeit. (Abb. 1) Miss für sich den Bereich unter dem Boden und konstruiert in Feld zudem auf raumbildende Künste wie die Architektur oder rückt es in den Blick? Die Ausrichtung der Skulptur gehört durch den ihr eigenen „Perimeters/Pavilions/Decoys“ (1978) eine begehbare Grube. auf Klangräume der Musik. u Welche Bedeutung kommt der Objekt- und Raumwahr- Raumbezug zu einem ihrer zentralen Probleme, das zunächst Miss regt den über Leitern ins Werk hinabsteigenden Betrach- Mit Blick auf kunstwissenschaftliche Diskurse haben wir nehmung im Kontext skulpturalen Handelns zu? zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Sockelfrage (vgl. ter an, über die Essenz einer Skulptur und deren spezifischen in unserer Sektion anhand von vier thematischen Schwer- u Wie lässt sich die Erweiterung des traditionellen Werkbe- Brunner 2009 oder Myssok/Reuter 2013), dann aber in den Raumbezug nachzudenken. Die Weite und Horizontalität des punkten Möglichkeiten vorgestellt und diskutiert, skulptu- griffs im Bereich der Skulptur für Gestaltungsprozesse im späten 1960er Jahren in der amerikanischen Minimal und Naturraumes verweist anders als die Vertikale weder auf rale und plastische Handlungsformen von Schülerinnen und Kunstunterricht produktiv machen? Land Art zu einem Thema künstlerischer und kunsttheoreti- etwas Transzendentes noch auf die menschliche Figur, son- Schülern herauszufordern und Wahrnehmungsweisen auf u Wie wirkt skulpturales Handeln im erweiterten Feld in le- scher Diskurse wird. Hier erscheint die Skulptur verstärkt in dern auf unsere unmittelbare Umgebung. Wie auch bei Bruce ein körperliches Gegenüber oder auf räumliche Gegeben- bensweltliche und gesellschaftliche Felder zurück?

Sara Hornäk Auf dem Boden Bezugsfelder von Mensch, Raum und Skulptur zwischen Horizontale und Vertikale

„Es liegt in unserer senkrechten Stellung zur Erde, anderer- Menschen im Raum kann von einer Skulptur oder einer In- seits in der horizontalen Lage unserer beiden Augen, dass die stallation zum Ausdruck gebracht, definiert oder hinterfragt senkrechte und waagerechte Richtung als Grundrichtungen werden. Für die Bildhauerei ist die Form der Ausrichtung aller anderen uns eingeboren sind. Wir verstehen alle ande- konstitutiv. Die Veränderung dieser Ausrichtung von der Ver- Abb. 2 ren, beurteilen und messen sie erst im Verhältnis zur Waage- tikalen zur Horizontalen und mit dieser von der Sockel- zur Leni Hofmann, Che, 48 kg rechten und Senkrechten.“ (v. Hildebrand 1969: 86) Bodenplastik prägt verschiedene Paradigmenwechsel in der Knetkugeln 2001 Mit diesem Zitat deutet der Bildhauer Adolf von Hilde- Geschichte der Skulptur und geht mit einer veränderten Sicht Abb. 3 brandt einen engen Zusammenhang von Körper und Skulptur auf den Bezug des Menschen zur Skulptur und die Stellung Thomas Rentmeister, o.T. an. Mit der Aufrichtung in die Vertikale beginnt der Blick des des Menschen in der Welt einher. Polyester, 1994 Menschen rundherum zu schweifen. Sie bestimmt unsere Über Jahrhunderte bestimmte die vertikale Ausrichtung Perspektive auf die Welt und den Anderen. Die Stellung des insbesondere in der figürlichen und repräsentativen Plastik

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Horizontale und Vertikale – Anregungen zur künstlerischen Praxis I. Körperzustand/Raumerfahrung - Fotografische Annäherung an den Körper im Raum Erproben Sie mit Ihrem Körper den Raum zwischen Horizon- tale und Vertikale. Abb. 5 Stellen, legen, positionieren Sie sich auf dem Boden, an Künstlerisches Projekt von der Wand, auf der Treppe … Setzen Sie Körper und Raum Tabea Sobbe, Studentin in Beziehung. Fotografieren Sie sich gegenseitig und achten dabei zugleich auf bildkompositorische Mittel, mit denen sich die Wirksamkeit von Vertikale und Horizontale im Bild verstär- ken lässt. (Abb.4) Abb. 4 Künstlerische Übung mit II. Auf dem Boden – Künstlerisches Projekt„Die Vertikalität ist Workshopteilnehmer/ eine Kernfrage der Bildhauerei. Wie kriegt man die Masse innen und Studierenden vom Boden los und in die Luft.“ (J. Shapiro in Trier 1992:167) 2013, 2015 Entwickeln Sie eine Plastik, die das Thema Schwerkraft zum Ausdruck bringt. Zusätzliche Anregung bieten folgende Nauman rückt damit der menschliche Erfahrungsraum ins Leni Hofmann in performativem Kontext. Das Werk entfaltet Begriffe: Zentrum. Betrachten geht in seiner partizipativ angelegten seinen Sinn erst, indem die Kugeln von Autos überfahren hochwölben, aufliegen, fließen, schmelzen, sich ausdehnen, Skulptur „Device to stand in“ (1966) – einer schrägen Rampe werden und dabei eine temporäre Malerei auf dem Straßen- legen, stellen, anlehnen, schweben, hängen, balancieren/ aus Metall – in Handeln über, und spezifische Wahrnehmungs- belag ergeben. (Abb.2) Ganz ähnlich wie Maillol, nur auf un- schlaff, träge, spannungslos, entspannt, spannungsvoll, an- situationen werden durch körperliche Aktivität erzeugt. gegenständliche Weise, setzt sich auch Thomas Rentmeister gespannt, energiegeladen/ Schwere, Leichtigkeit, Stabilität, „Körpererfahrung als Grundzug in der Plastik der 70er Jah- mit grundlegenden Phänomenen der Schwerkraft und des Labilität, Gewicht, Anziehungskraft, Schwerelosigkeit Gaus-Hegener, Elisabeth [Hg.]: Architektur von Kindern. Entwicklung re zielt jedoch nicht nur auf die elementaren Resonanzen des Bodenbezugs auseinander: Wie liegt eine Plastik auf dem Bo- Thematisieren Sie den Bezug zum Boden formal und in- der Raumvorstellung im dreidimensionalen funktionalen Gestal- Gleichgewichtsgefühls und seiner Irritation, sondern fordert, den auf? Ist die Skulptur horizontal oder vertikal ausgerichtet? haltlich. Denken Sie dazu gestalterisch über die Auflagefläche ten von vier- bis achtjährigen Kindern. Werkspuren 2/2005, S. 5 ganz konkret, den körperlichen Umgang mit der Plastik. Da- „Liegt“ sie oder „steht“ sie? Wie entfaltet sich die Form? Wie nach, über den Bezug zum Boden sowie zur Decke und zu Hildebrand, Adolf von: Gesammelte Schriften zur Kunst, bearb. von mit berührt sich der Trend der letzten Jahre zur ‚horizontalen‘ wirkt die Schwerkraft? Auf welche Weise findet die Physi- den Wänden. Welche Berührungspunkte gibt es? Wie stellt Hennig Bock. Köln und Opladen 1969 Plastik: gewiß keine neue Stilrichtung, aber eine Möglichkeit, kalität von Kräften Eingang in skulpturale Prozesse? (Abb.3) sich die Kontaktfläche dar? Welche Wirkung wird dadurch er- Myssok, Johannes/ Reuter, Guido [Hg]: Der Sockel in der Skulptur die konkrete Raumerfahrung beim Abgehen zu einem Teil der Im Kunstunterricht lassen sich durch die Betrachtung zeugt? In welcher Relation steht Ihre Plastik, Skulptur oder Ihr des 19. & 20. Jahrhunderts. Köln 2013 plastischen Wirkung zu machen.“ (Manfred Schneckenburger ausgewählter Skulpturen grundlegende Paradigmenwechsel Objekt durch die gewählte Ausrichtung zum Raum und zum Otto, Julia: Skulptur als Feld. Ostfildern-Ruit 2001 1977: 148) im Selbstverständnis der Kunst, der Rolle des Rezipienten Betrachter. (Abb.5) Salzmann, S./Kerber, B.: Bodenskulptur. Ausstellungskat. Kunsthalle Durch den neuartigen Bodenbezug ist die Skulptur nicht und dem Verhältnis beider verdeutlichen. An den Beispielen Mannheim 1986 mehr nur umschreitbar, sondern auch begehbar. Damit rückt können wir herausarbeiten, wie sich mit der Ausrichtung der Literatur Schneckenburger, Manfred: Kurze Thesen zur Plastik der 70er Jahre, das Thema der Partizipation ins Zentrum. Ein neuer Umgang Skulptur der Bezug zum Raum und zum betrachtenden Men- Brunner, Dieter [Hg.]: Das Fundament der Kunst. Die Skulptur und ihr Einführung. In: Documenta 6, Kassel 1977, S. 147-149 von Betrachter und Werk ergibt sich sowie auch ein verän- schen verändert und welche neuartigen Erfahrungen dadurch Sockel in der Moderne. Heidelberg 2009 Trier, Eduard: Bildhauertheorien im 20.Jahrhundert. Berlin 1992 derter Blick auf die Welt. ermöglicht werden. Zu fragen ist, inwiefern der historische „Die Senkrechte der Skulptur muß dort enden, wo ein Kör- Verweis auf den Übergang von vertikalem zu horizontalem perbezug nicht mehr einsehbar wird. In der Waagerechten Denken als Phänomen des Wandels von Transzendenz zu Im- kann sie sich, jedenfalls theoretisch, endlos fortsetzen; hier manenz zu deuten und für uns heute noch relevant ist. bleibt sie für den Menschen abschreitbar und damit körper- Wichtig ist vor allem auch, auf welche Weise Schülerinnen lich erfahrbar. Die senkrechte Ausdehnung wird immer nur mit und Schüler in raumbezogenen Gestaltungsvorgängen zum dem Auge faßbar, löst sich vom Boden, verweist auf etwas Verhältnis zwischen Horizontale und Vertikale ihr räumliches – Himmel, Gott, All – und wird dadurch zum Symbol, zur Idee. Denken ausbilden. Um sich in der Welt zurecht zu finden, ist Die Waagerechte löst sich von diesem Idee-Charakter. Sie die Förderung basaler Fähigkeiten der Raumwahrnehmung verweist nicht auf etwas, sondern macht den Bezug Mensch- und Orientierung von besonderer Bedeutung. Erde deutlich.“ (Prager, zitiert nach Trier 1992: 167) Wie Lernprozesse zur Ausbildung und Differenzierung der Als Beispiel für den Bodenbezug der Skulptur heute er- Raumvorstellung und zum skulpturalen Handeln initiiert wer- scheinen die auf einer Straße ausgelegten Knetkugeln von den können, zeigen folgende Arbeitsimpulse:

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Abb. 1: Zwischenräume Abb. 2: Zwischenräume aufspüren, markieren, wahrnehmen und an der sich hineinbegeben Schnittstelle von Bild und Raum erzeugen

Petra Kathke schenraum keine fixe Größe, sondern wird als physischer, vir- raum, denn erst nachdem sich Uranos (Himmel) und Gaia tueller oder mentaler Raum ständig neu geschaffen und ver- (Erde) voneinander gelöst hatten, entstand Raum zwischen ändert (Löw 2000). Damit umfasst ein Zwischenraum neben ihnen und machte das Sein auf dieser Welt möglich (Boehm Dazwischen nichts? der Leere zwischen hier und dort oder zwischen oben und un- 2012: 47-48). Die Aktivierung des ZwischenRaums ten auch lebensweltliche Beziehungen, die im menschlichen Bereits die monumentalen Steinsetzungen der Megalith- Handeln permanent neu ausgelotet und als Beziehungs-, Kulturen wie Stonehenge, bei denen es durch Aufrichten von im skulpturalen Prozess Entfaltungs- oder Schutzraum gestaltbar werden – ein situa- Steinblöcken um eine der horizontalen Ausbreitung des Grun- tionsabhängiges und von gesellschaftlichen Gepflogenheiten des entgegen gesetzte Vertikalität geht, zeigen Zwischen- mitbestimmtes Geschehen. (Abb.2) räume von sinn- und bedeutungshaltigen Verhältnissen. Wie Befragt man den objektabhängigen Zwischenraum als Zwischenräume materialisiert, installativ besetzt, spielerisch Kategorie der Erfahrung, so wäre hervorzuheben, dass er erzeugt oder provokant inszeniert wurden, machen diverse Zwischenraum ist da, wo nichts ist. Dennoch setzt er zwei ein Freiraum Zwischenraum wird. Dieser schafft kleinen wie zwei materielle Grenzen hat, die als Volumenaußenflächen künstlerische Positionen des letzten Jahrhunderts deutlich. Bezugspunkte voraus, ohne die er selbst nicht existiert. Kör- großen Dingen die Bühne ihres gemeinsamen Erscheinens in einem besonderen Verhältnis zueinander stehen. Wie man So ist es bei Alberto Giacometti der Raum zwischen Maler perhafte Dinge begrenzen den Raum des Dazwischen, der und regt an, GegenSeitigkeiten und Randphänomene zu er- selbst beobachten kann, nehmen wir Räume zwischen zwei und Modell wie zwischen Skulptur und Betrachter, der die das materielle Kontinuum unterbricht und beides, Distanz kunden. Bildhaft gedacht schafft er den Grund, vor dem Figur ähnlich proportionierten Körpern (Tassen) eher als Zwischen- Proportionen seiner Werke maßgeblich bestimmt. Arte Pove- und Bezug, impliziert. Jeder Zwischenraum ist folglich auch sich ereignet (Boehm 2012: 65-70). raum wahr als Räume zwischen unterschiedlich geformten ra-Künstler wie Giuseppe Penone und Michelangelo Pistoletto ein Beziehungsraum. Etymologisch befragt gibt sich der Zwischenraum als hy- Körpern (Tasse und Teller), d. h. Form und Maßstäblichkeit haben Räume zwischen Dingen verändert und materialisiert. Zwar denken wir Zwischenräume immer mit, fokussieren brider Begriff zu erkennen, der als universelles Prinzip Aus- der Objekte sowie die Relation zum Freiraum dazwischen Mit Marcel Duchamp, Rachel Whiteread, Cornelia Parker oder sie hingegen nur selten. Es handelt sich um jene übersehenen deutungen in unterschiedlichen Kontexten erfahren hat, so in spielen bei der Bestimmung von Zwischenräumen eine Rolle. Asta Gröting werden Zwischenräume körperhaft materialisiert Selbstverständlichkeiten, um blinde Flecken unserer Wahr- Architektur, Typografie, Choreografie, Musik, Philosophie und In der Regel sind sie zu zwei Seiten offen, so dass man nicht oder medial inszeniert. Die japanische Installationskünstlerin nehmung, deren Potenzial für kunstpädagogisches Handeln in den Sozialwissenschaften. Lücke, Spalt, Auslassung oder nur „hinein“, sondern auch „hindurch“ gelangen kann. Shiharu Chiota nutzte Fäden, um das Dazwischen zu verspan- zunächst erschlossen werden muss. Um ein Bewusstsein Passage betonen den räumlichen, ortsbezogenen Abstand; Um den Zwischenraum als Kategorie körperlicher Erfah- nen und atmosphärisch zu besetzen. Während für Zwischenräume im Kontext des erweiterten Skulpturen- Phase, Pause, Periode benennen zeitliche Intervalle. Als rung zu erleben, wird man ihn auf der Grundlage leiblicher mit verlängerten Fingerspitzen den Raum zwischen Wänden begriffs zu entwickeln, stellen sich zunächst zwei Fragen: Medium einer Umschlagbewegung trennt das Dazwischen Situiertheit und Orientierung im Raum wie im Verhältnis zu überbrückte, aktivierten Marina Abramovic und mit ihren Was macht den Zwischenraum zum Zwischenraum? Und: nicht nur, es kann durch seinen ambivalenten Charakter auch anderen Personen wahrnehmen. Leitend ist hier die Frage: Performances zwischenmenschliche Räume. Richard Serra, Wie lassen sich Zwischenräume durch skulpturales Handeln von einem Zustand in einen anderen vermitteln, Übergänge Von welcher Position, in welcher Situation und unter welchen Ulrich Rückriem oder Peter Eisenman gestalten begehbaren aktivieren, und zwar so, dass diese Aktivierung auch le- schaffen und damit zur Kontinuität von Raumverhältnissen proportionalen und relationalen Verhältnissen erscheint ein Raum zwischen unverrückbaren Massen. bensweltliche Perspektiven eröffnet, etwa indem Lücken als beitragen (Löhr/Walser 2008: 20). Raum als Zwischenraum? Alltägliche Beobachtungen eröff- Handlungsspielräume wahrgenommen und als Aktionsräume Hinter der alltagstauglichen Vorstellung von Zwischenräu- nen weitere Zusammenhänge. So gibt es Werkzeuge und Ge- Sich einlassen … genutzt werden? (Abb.1) men, nach der Körper Raum verdrängen und zwischen ihnen räte, um Zwischenräume zu überbrücken, aber auch typische Mit Blick auf die Kunst als Bezugsfeld skulpturalen Handelns Umgangssprachlich geht es beim Zwischenraum um den mehr oder weniger Leere übrig bleibt, steht das physikalisch Zwischenraumobjekte wie Leiter, Schneebesen, Lattenzaun lassen sich für künstlerische Lernprozesse im Unterricht zwei Raum zwischen zwei oder mehreren Personen, Objekten inzwischen obsolete Verständnis eines kontinuierlichen, für und Kamm. (Abb.3) Thesen formulieren: Jeder Zwischenraum fordert als Span- oder Gebäuden, aber auch um die Lücke in einem materi- sich existierenden Raumes, in den Dinge eingestellt werden. nungs- und Spielraum zur Besetzung, zur performativ han- ellen Kontinuum. Indem der Zwischenraum als notwendige Raum ist danach als Territorium unabhängig vom menschli- Zwischenraum in Kunst und Kultur delnden oder Gestalt gebenden Aktivität heraus, denn Zwi- Unterbrechung eins vom anderen trennt, bringt er das Ding- chen Handeln da. Folgt man hingegen einem relativistischen Dass Zwischenräume als Entfaltungsräume angesehen wer- schenräume sind unbesetzte (Handlungs-)Räume. Zweitens: hafte erst eigentlich zum Erscheinen. Der räumliche Abstand Raumverständnis, nach dem jede Art von Handeln und sozi- den, kommt nicht von ungefähr. Alten Schöpfungsmythen zu Wenn wir mit Schülerinnen und Schülern Zwischenräume in Relation zu Form und Größe von Körpern bestimmt, wann aler Praxis mit der Produktion von Raum einhergeht, ist Zwi- Folge besetzt die Spezies Mensch selbst einen Zwischen- durch gestalterische Arbeit zu Handlungsräumen erweitern,

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u Räume zwischen dem eigenen Körper und der Wand u Möbel und andere Gegenstände nutzen, um Zwischenräu- Gröting, Asta: Website der Künstlerin http://www.astagroeting.de/ (dem Boden, der Decke) sichtbar und erlebbar machen me fotografisch oder filmisch zu inszenieren (Stand 4.2.15) (z.B. mit Gummibändern, Zollstöcken, Magneten, Jojos, Löhr, Britta u. Walser, Joel: Zwischenraum. Zwischen hier und hier Fäden, Holzlatten ...) Literatur sollte eigentlich „Nichts“ stehen (unveröffentlichte BA-Arbeit u Im Innen- oder Außenraum nicht die Dinge, sondern die Badt, Kurt: Raumphantasien und Raumillusionen. Wesen der Plastik. an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Kon- Leere zwischen ihnen wahrnehmen Köln 1963 stanz, Studiengang Kommunikationsdesign 2008) http://www. Boehm, Gottfried: Der Grund. Über das ikonische Kontinuum. In: htwg-konstanz.de/Zwischenraum.1942.0.html (Stand 24.4.15) Abb. 3: Körper-Zwischen- 2. Zwischenräume markieren, sichtbar machen oder aufzeichnen Boehm, Gottfried u. Burioni, Matteo: Der Grund. Das Feld des Löw, Martina: Raumsoziologie. Frankfurt a. M. 2000 räume materialisieren u Zwischenräume mit Kreiden, Klebeband, Schnüren etc. Sichtbaren. München 2012 markieren u Zwischenräume fotografieren oder als Formen zeichnen u Zwischenräume materiell füllen oder (optisch) verschlie- Susanne Henning ßen (mit Folie, Papier, Fäden ...) u Räume durch Kartieren der Freiräume aufzeichnen Architektur, Skulptur und Gesellschaft 3. Zwischenräume isolieren, materialisieren und/oder trans- formieren Die soziale Dimension des architektonischen u Lücken mit Ton abformen, sodass Reliefs entstehen, in denen Masse zur Leere wird und umgekehrt Raumes skulptural erkunden u gezeichnete Zwischenräume (ggf. über Projektionen) in Flächenformen (Pappen, Holz, Folien …) überführen und mit ihnen neue Raumkonstruktionen gestalten u Zwischenräume am eigenen oder fremden Körper abformen Bildhauerischen Schaffensprozessen liegen häufig Fragen die die Anschlussfähigkeit der durch skulpturales Handeln ini- (zwischen Händen, Füßen, Armen, Beinen, Ohr und Kopf …) zu Grunde, die auch für die Architektur Relevanz besitzen. tiierten Erkenntnisprozesse gewährleisten. u Zwischenraum-Körper aus diversen Materialien (Ton, Pap- So werden im skulpturalen Arbeiten zum einen bildnerische Einer der anhand der Analyse des Verhältnisses von Archi- pe, Holz, Schnee …) herstellen Problemstellungen erkundet, die mit grundlegenden architek- tektur und Skulptur deutlich werdenden Aspekte, die für eine tonischen Inhalten korrespondieren, zum anderen entstehen Auseinandersetzung mit Architektur im Kunstunterricht zen- 4. Zwischenräume hervorbringen, erzeugen, manipulieren konzeptuelle Arbeiten, die sich auf einer unmittelbar inhalt- trale Bedeutung besitzen, ist die gesellschaftliche Relevanz u etwas brechen, spalten, teilen, auseinander ziehen, ent- lichen Ebene mit Architektur auseinandersetzen. Die künstle- der gebauten Umwelt. Im Folgenden wird daher überlegt, nehmen, herausschlagen oder es verdoppeln bzw. verviel- rischen Zugänge zeichnen sich dadurch aus, architektonische wie anhand skulpturaler Strategien Erfahrungen der Wech- fältigen und Abstand zwischen den Teilen schaffen Fragestellungen zu fokussieren, unter neuen Perspektiven selbeziehung zwischen Architektur und Gesellschaft initiiert u serielle Raumstrukturen mit vorhandenen Dingen erzeugen zu betrachten und ergebnisoffen zu erkunden. Wenn sich werden können. u Zwischenräume mit plastischen Massen gestalten und skulpturales Handeln im Kunstunterricht an diesen Zugängen Aus architektursoziologischer Sicht besteht die Reziprozi- schrittweise verändern, dabei Symmetrie bzw. Asymme- orientiert, bietet es die Chance, die Wahrnehmung und das tät zum einen darin, dass Architektur eines der Medien ist, trie der Rand bildenden Seiten beachten Verständnis von Architektur auf eine Weise zu fördern, die im in denen sich gesellschaftliche Entwicklungen anschaulich u Redewendungen als Gestaltungsimpulse nutzen (Wenn eigenen Handeln Körper- und Raumbezüge erkennbar werden manifestieren. Zum anderen nimmt die gebaute Umwelt dann erweitern wir zugleich ihre Seh-, Handlungs- und Denk- nichts dazwischen kommt ... / Zwischen zwei Stühlen sit- lässt und unmittelbare Erfahrungen ermöglicht. Im Gegenzug wiederum Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen, indem Gewohnheiten und sensibilisieren sie für dialogische (Form-) zen / Zwischen Baum und Borke / Da passt kein Blatt mehr eröffnet sich für den Bereich des plastischen und skulpturalen sie Techniken des Körpers formt, ihm jeweils bestimmte Beziehungen. dazwischen / Zwischen den Zeilen lesen / Zwischen Raum Arbeitens im Fach Kunst ein Themengebiet, das aufgrund sei- Sichtbarkeiten verschafft (Delitz 2009: 94) und so Formen Folgende Wahrnehmungsübungen, Gedankenexperimente und Zeit …) nes erkennbaren lebensweltlichen Bezugs für Schülerinnen und Entwicklungen gesellschaftlichen Zusammenlebens mit- und Probe-Handlungen können auf die Wirksamkeit des Zwi- und Schüler von Bedeutung und Interesse ist. Um dabei der bestimmt. schenraums im skulpturalen Prozess wie im Feld sozialen und 5. Zwischenräume besetzen, sie performativ oder medial in- Komplexität architektonischer Anwendungsbezüge gerecht Auf individueller Ebene erklärt die Architekturpsychologie gesellschaftlichen Handelns verweisen: szenieren werden zu können und auf diese Weise formalistischen Ten- diese Zusammenhänge mit dem Behaviour-Setting-Konzept. u Aktivitäten in Zwischenräume verlagern (Gänge, Foyer, denzen oder einer Verselbständigung von Originalität vorzubeu- Hierbei wird von einer wechselseitigen Abstimmung zwi- 1. Zwischenräume entdecken, wahrnehmen, erleben Treppenhäuser …) mit Scheinwerfern, Spiegeln und Pro- gen, setzt die Nutzung möglicher Synergieeffekte allerdings schen Umwelt-Milieu und Verhalten ausgegangen, die auf u Zwischenräume (auf)suchen, besetzen und mit dem Kör- jektoren optische Zwischenräume erzeugen eine kritische Reflexion des „unmögliche[n] Verhältniss[es] physischen Merkmalen, die Verhalten ermöglichen oder ver- per ausmessen u Elastische Körper (Schaumstoffwürfel, Kissen, Tesafilm- von Architektur und Kunst“ (Holert 1994) voraus. Auf ihrer hindern, aber auch auf sozialen Normen und Konformitäts- u sich so zueinander platzieren, dass ein Zwischenraum Figuren ...) in Zwischenräumen positionieren und ihre Basis können aus Gemeinsamkeiten und Differenzen sinnvolle druck basiert (Richter 2008: 42ff). Anschaulich wird eine sol- spürbar wird Formveränderung dokumentieren Erkundungsschwerpunkte und -strategien abgeleitet werden, che Abstimmung z. B. durch den Vergleich von Befindlichkei-

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ve Strategien. Indem sie lediglich den Rahmen einer aktiven Teilnahme der Betrachterinnen und Betrachter bilden, lassen sie besonders gut erkennbar werden, dass Architektur als für Abb. 1: Gordon Matta den Menschen gebaute Umwelt sich erst in der Nutzung in Abb. 3: Rirkrit Tiravanija, Clark, Conical Intersect, einer dynamischen Weise realisiert. (tomorrow is 1976 Ein frühes Beispiel einer partizipativen Arbeit im Kontext another fine day), 2005 architektonischer Fragestellungen ist die Installation „Body- spacemotionthings“ (1971) von Robert Morris. Verschiedene einfache, zumeist aus Sperrholz gefertigte Formen laden u. a. zum Wippen, Rutschen oder Balancieren ein und ermöglichen dem Ausstellungsbesucher so ungewohnte Erfahrungen des eigenen Körpers im architektonischen Raum. Eine ähnliche Zielsetzung verfolgt mit „Live/ Abb. 4: Künstlerische Taped Video Corridor“ (1969-70), der zum einen eine unmit- Übung mit Studierenden, telbare Erkundung räumlicher Enge ermöglicht, zum anderen 2015 die Reziprozität des Verhältnisses von Raum und Mensch er- fahrbar werden lässt, indem die Passage der Besucher durch einen engen Gang gefilmt und simultan auf einem an dessen Ende installierten Bildschirm gezeigt wird. In der zeitgenössischen Kunst gibt es eine Vielzahl parti- zipativer Arbeiten, die den Zusammenhang zwischen archi- ten und Verhaltensweisen, die zum einen in einer Kathedrale, Cuttings, zu denen das Biennale-Projekt „Conical Intersect“ tektonischer Struktur und sozialer Interaktion untersuchen. zum anderen in einem Lebensmitteldiscounter begünstigt (Paris 1976) zählt. Hier werden große kreisförmige Öffnungen werden. In beiden Fällen spielen formale architektonische in Wände und Decken eines aufgrund funktionaler Neustruk- Aspekte ebenso eine Rolle wie verinnerlichte Konventionen. turierungen des Stadtraums vor dem Abriss stehenden Das Bewusstsein für die soziale Relevanz gebauter Umwelt Wohngebäudes gesägt. Indem im Prozess das Innere des ist ein zentrales Element architektonischer Professionalität. Hauses und mit ihm die sich darin befindenden Menschen So schafft z. B. Rirkrit Tiravanija mit „Untitled (Tomorrow is Allerdings setzt die Verwirklichung architektonischer Entwür- zunehmend dem öffentlichen Blick preisgegeben werden, another fine day)“ (2005) einen Ort, der als mit Sitz- und fe in der Regel deren Kompatibilität mit marktwirtschaftlichen kann der Verlust der schützenden Funktion des Gebäudes er- Kochgelegenheiten ausgestatteter, separierter Raum im Rahmenbedingungen voraus, weshalb realisierte Architektur lebt werden. Gleichzeitig wird eine Reflexion der Kritik Matta (Ausstellungs-)Raum unterschiedliche Formen der sozialen häufig auf einer tendenziell affirmativen Haltung gegenüber Clarks an einer einseitigen ökonomischen Orientierung städ- Interaktion ermöglicht, in denen sich die Arbeit auf jeweils bestehenden gesellschaftlichen Strukturen basiert. Künst- tebaulicher Entscheidungen hinsichtlich ihrer Relevanz für verschiedene Weise erst realisiert. Durch diese Erweiterung lerische Auseinandersetzungen mit den Wechselwirkungen aktuelle Entwicklungen ermöglicht. (Abb.1) der Handlungsmöglichkeiten können verinnerlichte Verhal- zwischen gesellschaftlichen Strukturen und Architektur ha- Auch zeitgenössische Künstler wählen performative tensnormen des institutionellen Kontextes erkannt und über- ben dagegen mehr Freiheit und Spielraum, um sozialkritisch Zugänge zur Auseinandersetzung mit Wechselwirkungen wunden werden. (Abb.3) Stellung zu beziehen. Für eine Auseinandersetzung mit der zwischen Körper und Raum. So fragt Willi Dorner in seiner Um im Kunstunterricht eigene Zugänge zu der sozialen sozialen Relevanz der Architektur im Kunstunterricht lassen Arbeit „bodies in urban spaces“ (ab 2006) nach den implizi- Dimension der Architektur zu finden, bietet es sich an, das sich daher anhand skulpturaler Positionen geeignete Erkun- ten Bewegungs-Codes der gebauten Umwelt (Dorner 2014: Schulgebäude zunächst rezeptiv zu untersuchen. Dabei sind dungsstrategien ableiten. 119), wenn er die Akteure seiner Performances ungewohnte folgende Fragestellungen erkenntnisleitend: Neben im traditionellen Sinn skulpturalen sowie installa- Positionen in architektonischen Kontexten des öffentlichen u Durch welche architektonischen Gegebenheiten gibt das tiven Herangehensweisen eignen sich hierzu insbesondere Raumes einnehmen lässt. Indem sich menschliche Körper in Gebäude Nutzungs- und Verhaltensweisen vor? Abb. 2: Willi Dorner, performative und partizipative Strategien. Sie sind in der Zwischenräumen und Öffnungen stapeln oder Vor- und Rück- u Auf welche Weise wird die Architektur wahrgenommen? bodies in urban spaces, Lage, die Beziehungen zwischen physischem Kontext und sprünge, horizontale, vertikale und diagonale Linien betonen, Welche Rolle spielen dabei Bewegung und Zeit? ab 2006 den Wahrnehmungen, Bewegungsformen und Verhaltens- werden Beziehungen zwischen Gebäuden und Körper sinn- u Wie beeinflusst die Architektur Bewegungen, Verhalten weisen der Nutzerinnen und Nutzer ebenso erfahrbar werden fällig. Passanten bieten sich so neue Perspektiven auf den und Befindlichkeit? zu lassen wie umgekehrt die Formung des architektonischen urbanen Raum sowie seine Wahrnehmungs- und Nutzungs- u Welche Formen der Interaktionen und Kommunikation un- Raumes durch den Einzelnen als Teil der Gesellschaft. möglichkeiten. (Abb.2) terstützt die Architektur, welche nicht? Ein bekanntes Beispiel performativer Auseinandersetzun- Eine weitere Form der künstlerischen Auseinandersetzung u Welche Rolle spielen „Architekturnutzungskonventionen“? gen mit Architektur ist Gordon Matta Clarks Werkgruppe der mit den sozialen Bezügen von Architektur bilden partizipati- Anschließend erfolgt eine produktive Auseinandersetzung

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mit den Ergebnissen dieser Erkundung. Dabei können zu ihrer Literatur Stromleitungen etc. werden als Klangteppich wahrnehmbar. Akzentuierung, Modifizierung oder Außerkraftsetzung sowohl Delitz, Heike: Architektursoziologie. Bielefeld 2009 „Die Wahrnehmung des Alltäglichen verändert sich (…), das performative und partizipative Herangehensweisen als auch Diserens, Corinne (Hg.): Gordon Matta Clark. London 2007 Gewohnte erscheint in einem anderen Kontext. Nichts sieht so mögliche Mischformen genutzt werden. Als Material eignen Holert, Tom: Mit dem Rücken zur Wand: Das unmögliche Verhält- aus, wie es sich anhört. Nichts hört sich so an, wie es aussieht sich z. B. Klebeband, Papierbahnen, Kabelbinder, Bänder und nis von Architektur und Kunst. In: Texte zur Kunst 16/1994, Köln (...).“ (Kubisch in Meyer 2008: 683) Durch das Hörbarmachen Mobiliar. (Abb.4) 1994 der Strahlung wird ein neuer Blick auf unsere alltägliche Ding- Eine abschließende Reflexion der Auswirkungen, die die Morris, Robert: The mind/body problem. New York 1994 welt ermöglicht: Klänge können neue Kontexte schaffen, be- Interventionen auf Nutzerinnen und Nutzer des Gebäudes Richter, Peter G. (Hg.): Architekturpsychologie. Eine Einführung. Len- einflussen, verändern. haben, schließt den Kreis der zu erkundenden Wechselwir- gerich 2008 Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sinnesein- kungen, sodass die Reziprozität der Beziehung zwischen Titz, Susanne: Architektonische Intervention. In: Butin, Hubertus drücken hat insofern eine alltagsästhetische Relevanz, als Architektur, Mensch und Gesellschaft unmittelbar erfahren (Hg.), DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst. Köln wir im Alltag mit zahlreichen Medien und Mediengemischen werden kann. 2002 konfrontiert sind, welche synchrone sowie auch asynchrone Sinneswahrnehmungen hervorrufen können. Diese Medien- gemische werden kaum reflektiert und können neben einer rein passiven Nutzungsgewohnheit sogar permanente Über- Anna Heggemann forderung hervorrufen. Beispiele für solche Szenarien sind so- wohl die Inszenierung von Bild und Ton in den audio-visuellen Medien, aber auch die Tatsache, dass Konsum-Objekte und Skulptur als Klangraum Produkte mittlerweile nicht nur auf der visuellen Ebene ge- Klänge als Materialien staltet werden, sondern dass auch das Geräusch beim Ge- brauch „gemacht“ ist. Abb.1 Künstlerisches der Kunst entdecken „Klänge können Räume atmosphärisch erschaffen und er- Projekt von Ailine Meier, möglichen die Erfahrung eines anderen Raums als den durch Studentin In der zeitgenössischen Skulptur werden zunehmend Mate- „Der Bildhauer ordnet und belebt den Raum, gibt ihm Architektur oder Verkehrswesen bestimmten.“ (Georgen in rialien eingesetzt, die über unterschiedlichste Sinne wahr- Bedeutung.“ (Isamo Nogushi, zit. von Vogel 2014: 34) Die- Meyer 2008: 692) Es ergeben sich folgende Fragestellungen: nehmbar sind. In der Beschäftigung mit Skulptur als Klan- se Definition ist so offen, dass auch Phillipsz Beschäftigung Die Reflexion auf akustische Herangehensweisen eröffnet u Wie können Klänge atmosphärisch Räume erschaffen, graum geht es um Erweiterungen skulpturalen Handelns ins mit diesem speziellen Ort Eingang findet. Phillipsz selbst neue Perspektiven. Sie sensibilisiert für die Wahrnehmung Raumerfahrungen beeinflussen, die Raumwahrnehmung Akustische. Hierbei spielt die leib-sinnliche Erfahrbarkeit eine bezeichnet sich als Bildhauerin, ihre Arbeiten sind für sie unserer Umwelt und zeigt, dass diese ganzheitlich funktio- verändern? besondere Rolle: Welche Relevanz hat diese Erfahrbarkeit für ganz selbstverständlich skulpturale Werke. Woher nimmt niert und nicht allein auf den Sehsinn beschränkt ist. Sie u Wie wirken Akustisches, Visuelles und Haptisches zusam- Kinder und Jugendliche und wie lassen sich alle Sinne, hier sie dieses Selbstverständnis? Es geht ihr um den Raum in macht die subtile Veränderbarkeit von Räumen und ihren men? Wie beeinflusst das Hören das Sehen? Und wie das vor allem der akustische in kunstdidaktische Handlungsfelder seiner Räumlichkeit, seiner Zeitlichkeit und seiner Kontex- Atmosphären durch Eingriffe in die Geräuschkulisse deutlich Sehen das Hören? integrieren? tualisierung. Der Fokus ihrer Arbeiten liegt auf der unmittel- und verweist auf die soziale Funktion von Orten, die durch u Wie können Potentiale der ins Akustische erweiterten Die Besonderheiten skulpturaler Handlungen im akusti- baren Präsenz des Raumes in seiner Gegenwärtigkeit. Dabei die Installation von Klängen ebenfalls veränderbar oder ma- Skulptur im Kunstunterricht pädagogisch sinnvoll genutzt schen Raum lassen sich an vielen zeitgenössischen Kunst- wird unser Bewusstsein sowohl für den Raum, als auch den nipulierbar ist. Ebenfalls kann erfahren werden, dass auch werden? werken erleben: Susan Phillipsz beispielsweise nutzt in Augenblick geschärft. Der Skulpturbegriff wird erweitert. Kombinationen unterschiedlicher Sinneseindrücke wie z.B. Hierzu wurden in der Sektion einige Übungen durchgeführt. „Lowlands“ die Mehrdimensionalität des Klangs und seine Auf materieller Ebene wird das ephemere Klangmatrial zum von Bild, Ton, Raum oder Materialien und Medien nach Die Teilnehmer sind aufgefordert, zunächst ganz bewusst den räumliche Erfahrbarkeit unter der George fifth bridge, Glas- raumschaffenden und -gestaltenden Gebilde, die Zeitlichkeit gestalterischen Grundprinzipien und künstlerischen Strate- Klängen innerhalb und außerhalb des Schulzimmers, in dem gow (https://www.youtube.com/watch?v=UWeKzTDi-OA& der Skulptur wird durch die Augenblicklichkeit von dem ihr gien wie Kontrastierung, Zufallsverfahren, Rhythmus etc. wir uns befinden, zu lauschen, diese dann zu beschreiben und feature=youtube_gdata_player). Phillipsz installiert unter traditionell anhaftenden Charakter der Dauerhaftigkeit befreit. erfolgen. Eine Erweiterung in den Bereich des Akustischen zu versuchen, sie einzuordnen. Weiterhin kann herausgefun- der Brücke Megaphone, aus denen drei, von ihr selbst a- (vgl. Ströbele 2014: 16) ermöglicht die Ausbildung einer Reflexionsfähigkeit auf die den werden, welche Sinneswahrnehmungen und Materialien cappella eingesungene Versionen einer schottischen Ballade Die „Electrical Walks“ von Christina Kubisch sind inter- eigenen sinnlich-ästhetischen Wahrnehmungen. Damit kann für die spezifische Atmosphäre des Raums zuständig sind erklingen. Mit der speziellen Architektur, der Akustik unter aktive Stadtrundgänge auf der ganzen Welt, bei denen die zugleich eine Reflexionsfähigkeit auf eigene Seh-, Hör- und und wie sich diese gegenseitig beeinflussen. der Brücke, dem Fließen des Wassers, den Lichtreflexionen Teilnehmer mittels Kopfhörern die Strahlung elektromagne- Medien-Nutzungsgewohnheiten initiiert werden. Diese Im nächsten Schritt wird der Raum selbst akustisch er- und der speziellen Atmosphäre des Ortes wird dieser durch tischer Felder hören und erkunden können (http://vimeo. Möglichkeiten, die Schaffung eines Bewusstseins für eine forscht und die erzeugten Geräusche werden auf entstehen- den Klang verändert, transformiert, verzeitlicht. Der Inhalt com/54846163 2014). Hörbar und somit zum akustischen reale Präsenz im Raum und für den real erlebten Augenblick, de Assoziationen hin überprüft. Diese werden genutzt, um der Ballade änderte sich seit der Ursprungsversion aus dem Material wird alles, was mit elektrischem Strom funktioniert die gegenseitige Beeinflussung der Sinneswahrnehmungen im folgenden Schritt die Atmosphäre des Raumes zu beto- 16. Jahrhundert durch unterschiedliche Überlieferungen und und somit elektromagnetische Strahlung abgibt: jegliche und deren Reflexions- und Gestaltungsfähigkeit scheinen in nen, aber auch bewusst zu brechen. So wird erfahren, wie unterstreicht so den Charakter des „im Fluss seins“, der Ver- Technik, vor allem aber Kommunikationstechnologie, Han- unserer heutigen Zeit gerade für Heranwachsende von Be- beeinflussbar und auch veränderlich die Atmosphäre eines änderlichkeit. dystrahlung, Security-Gates, aber auch Straßenbahnnetze, deutung zu sein. Raumes ist und wie Materialien die akustische Atmosphäre

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Aufgabe Entwickeln Sie ein Konzept für ein Projekt, das Klänge in ein künstlerisches Medium überführt. Strategien für Ihre Arbeit könnten z.B. sein: Linie, Fläche, Raum in Klang transformieren / Klänge in ein Objekt transformieren / Klänge manuell, mit dem Körper, mit Instrumenten, technisch oder elektronisch erzeugen und räumlich installieren / Performen / Kombinieren von Bild und Ton mit visuellen, haptischen und akustischen Materialien / Materialien aus dem musikalischen Kontext Abb. 2 Künstlerisches gestalten, verwenden, zerstören / Beschäftigung mit physi- Projekt von Christine kalischen Gesetzmäßigkeiten von Klang / Körper und Klang Grosser, Studentin erforschen... Ailine Meier (Abb.1) thematisiert die zunehmende Schnell- lebigkeit und Unverbindlichkeit von Kommunikationstechno- logie, indem sie einen „Raum im Raum“ aus von der Decke hängenden, umfunktionierten Magnetbändern alter Videoka- setten installiert und diesen durch eine Tonspur mit sich über- lagernden Nachrichtensignalen, vorgelesenen SMS-Nachri- chen und Facebook-Kommentaren, ergänzt. Christine Grosser beschäftigt sich in „In Utero“ (Abb.2) mit Ambivalenzen der Schwangerschaft: Sie kontrastiert Herztöne von Mutter und Kind mit einem hängenden, schwarzen Objekt, in das die Klänge integriert sind. Iris Zwitzer baut unterschiedlich große, kubische „Klangboxen“ (Abb.3), die bei ihrer Benutzung durch Schütteln Fragen nach ihrem Inhalt aufwerfen: Unterschied- liche Klänge werden erzeugt, jede Box hat ein spezifisches Gewicht und ein ganz eigenes „Schüttelerlebnis“.

Literatur Abb. 3 Künstlerisches Georgen, Theresa: „Bild und Klanginstallationen. Passagen des Erin- Projekt von Iris Zwitzer, nerns und Vergessens.“ In: Meyer, Petra Maria (Hrsg): Acoustic Studentin turn, München 2008 Kubisch, Christina: „Electrical Walks. Elektromagnetische Spazier- gänge im Stadtraum“. In: Meyer, Petra Maria (Hrsg): Acoustic turn, München 2008 Kubisch, Christina: Christina Kubisch - Electrical Walks. An intro- duction to Christina Kubisch’s „Electrical Walks“ series of works 2012. http://vimeo.com/54846163 02.02.2015 Phillipsz, Susan: „Lowlands“ - Susan Philipsz Turner Art Prize Winner 2010 https://www.youtube.com/watch?v=UWeKzTDi-OA&fea- beeinflussen. Im letzten Schritt wird reflektiert, welche ge- ture=youtube_gdata_player 02.02.2015 stalterischen Mittel zur Unterstützung sowie auch zum Bre- Ströbele, Ursula: „Zeit-Skulpturen“. In: Kunstforum International chen der Raumatmosphäre verwendet wurden. 229/Grenzenlose Skulptur 2014 In schulischem Kontext ist dann eine künstlerische Pro- Vogel, Sabine B.: „Die Grenzenlosigkeit der Skulptur“. In: Kunstforum jektarbeit denkbar, welche die Übungen fort- und in künst- International 229/Grenzenlose Skulptur, 2014, S.28-85 lerische Handlungsstrategien überführen. An der Universität Paderborn entstanden studentische Arbeiten, welche einen Einblick in die Möglichkeiten geben:

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Werner Fütterer

Außerschulische Projekte Abb.1 Stadt unter der Lupe, das im Alltäglichen iPad regt zum Finden an 1 Stephen Willats, „Man ist drinnen, da sieht und hört man nichts“1 Stadtforscher, aus: Abb.2 Wie ich meine Flucht- Stadt als Museum, wege organisiere, Picasso und Duchamp 1979 entdeckt 2 Kirsten Winderlich, Ausgangslage oder „Warum sind wir Funktionen zugewiesen werden. Dafür muss in der Regel ein Der Raum als Lehrer überhaupt rausgegangen“? Ortswechsel aus dem Schulhaus vorgenommen werden, Abb. 3 – Zum Bildungspoten- Ein elementarer Bestandteil des Schulfaches Kunst ist die dieser kann im schulischen oder universitären Rahmen eine Wetter muss egal sein, tial Raum im Kontext praktische Arbeit. Für Schüler_innen ist es wichtig, eine wirksame Methode zur Anregung und Ideenfindung sein. Radiersafari im Außen- ästhetischer Bildung, konstruktive Rückmeldung dazu zu erhalten. Das fördert die Kirsten Winderlich2 spricht vom „Raum als Lehrer“ und regt raum in: Orientierung: Auseinandersetzung mit dem Arbeitsprozess und dem eige- an, über den Raum ästhetische Bildungsprozesse anzustoßen Kunstpädagogik, nen Werk. Werden die Ergebnisse der (Schul-)öffentlichkeit und diesen als Bildungsort zu platzieren. Dies bedeutet, auch Abb. 4 Oberhausen 2010 zugänglich gemacht, können sie im besten Fall Objekte zur an anderen Orten als dem Klassenraum zu lernen und da- Fundstück „Tasche“, 3 Manfred Blohm, Anregung, zum Austausch und zur Reflexion werden. Nicht durch Informationen aus erster Hand zu erhalten. Christine Anreiz für Kunstpraxis und Christine Heil, Was selten dienen sie jedoch der Dekoration von nicht genutzten Heil und Manfred Blohm merken für diesen Zusammenhang Unterricht ist ästhetische Flächen oder finden in Schulgalerien und temporären Ausstel- passend an, dass für Schülerinnen und Schüler, die ästhetisch Forschung, in: Selbst lungen nur marginale Beachtung. Gründe dafür gibt es viele, forschen, neben der Schule und den Kulturinstitutionen auch Fotos: W.Fütterer entdecken ist die unter anderem sind es Zeitmangel, atmosphärische Gege- der Stadtraum und das private Umfeld die entscheidenden (1,3,4,5,6) / Kunst, München 2012 benheiten, die Veränderung der strukturellen Bedingungen Bezugsräume sind3. Der Wechsel aus den gewohnten Räu- und individuelle Gestaltungsmuster: Ein Spaziergang durch Für hinreichend Sensibilisierte lassen sich vielfältige An- Svea Bischoff (2) 4 Helga Kämpf-Jansen, der Schule und auch der Stellenwert des Faches Kunst. men hinaus in die Praxis konkreter Projekte außerschulischer die Straße, durch den Ort, durch den Wald führt zu einer Viel- regungen für Seminarthemen, eigene künstlerische Arbeit Ästhetische For- Diese Ausgangslage bewog mich dazu, mit meinen Schü- Orte bietet mannigfaltige Anregungen. Hier lässt sich der zahl von Eindrücken. Die Sammlung von Motiven, beispiels- oder auch für Unterrichtsvorhaben finden. Dabei können schung – 15 Thesen ler_innen häufiger das Schulhaus zu verlassen und Projekte Blick schärfen auf Dinge, Zusammenhänge und Sachverhalte, weise zur Stadttypografie, die registrierend, kartierend, foto- Gullideckel, Müllhalden und Einkaufszentren, Haustüren und zur Diskussion, in: im außerschulischen Raum durchzuführen. Das bewirkte mo- die vielleicht so vorher gar nicht wahrgenommen wurden. grafierend oder filmend festgehalten werden, evozieren eine Vorgärten, rostige Schiffswracks, Raucherecken, Schaufens- Blohm, Heil, Peters, tivierende Abwechslung, gesteigertes Engagement, Öffent- erforschende Herangehensweise. (Abb. 1 und 2) ter, Bushaltestellen, öffentliche Bedürfnisanstalten, histori- Sabisch, Seydel, lichkeitswirksamkeit und Wertschätzung. Ein Ortswechsel Spielfeld Alltag – Inspiration, Die Arbeit in der Druckwerkstatt ermöglicht vielfältige sche Belege und vieles mehr zu „Kunstlernorten“ werden. Über ästhetische aus dem schulischen Inselleben heraus bietet die Möglichkeit Anregung und Blickschulung experimentelle Erfahrungen. Die Werkstatt nach draußen zu Auch im eigenen häuslichen Umfeld finden sich anregende Forschung, Lektüre neuer, auch ungewohnter Erfahrungen, die belebend und an- Im Kontext des außerschulischen Lernortes ist die Sensibili- verlagern, um mit flexiblen Kunststoffplatten aus dem Bau- Arrangements auf Fensterbänken, in Bücherregalen, an Pinn- zu Texten von Helga regend sein können, und schafft darüber hinaus Bezüge zum sierung der Wahrnehmung eine wichtige Voraussetzung. „In markt den Raum zu erkunden, schafft eine neue Erfahrungs- wänden oder gar auf dem gedeckten Frühstückstisch. Neben Kämpf-Jansen, Mün- Alltagsleben sowie zu gesellschaftlichen Gegebenheiten und Alltagserfahrungen sind bereits wesentliche Handlungs- und qualität. An Gebäudeteile gehalten, um Bäume gelegt, auf Zweckgestaltung und künstlerischem Anspruch kommt in der chen 2006 Wandlungen. Wir haben keine Probleme damit, in virtuellen Erkenntnisweisen vorgegeben – man muss sich ihrer nur be- Straßenpflaster platziert, bewirkt das direkte Radieren und „Topologie des ästhetischen Alltags“ eben auch die Lust am Räumen hin und her zu wechseln und so Dinge unseres Be- wusst werden“ schrieb schon Helga Kämpf-Jansen in ihren Abnehmen der Oberflächen an Ort und Stelle eine Aneignung, Schmücken und Dekorieren zu Tage. darfs zusammenzustellen. Warum sollten wir dies nicht auch Thesen zur Ästhetischen Forschung und verweist auf einen die überraschend sein kann. Nebenbei ist zu erfahren, wel- Konkret geht es um die „Erforschung“ und „Einbettung“ im realen Raum als Methode verwenden? neugierig fragenden, forschenden und entdeckenden Um- che Auswirkungen auch klimatische Bedingungen, Wind und von Lernorten, die aus einer (vielleicht) verengten Sicht auch gang mit Dingen und Phänomenen und auf einen handelnden Wetter auf das Ergebnis haben können. (Abb. 3) übersehen werden können. Sie erfordern die Auseinanderset- Kunstlernorte und Ortswechsel Umgang, der mit dem Sammeln, Ordnen, Arrangieren und Was passiert, wenn man in einer Waldlichtung eine kleine zung mit persönlichen Interessen und Sichtweisen, fördern die Der externe Lernort für Schülerinnen und Schüler ist aus Präsentieren zu tun hat.4 Kosmetiktasche aus Kunststoffmaterial entdeckt, pinkfarben, selbstständige Themenfindung und Autorenschaft. In den tie- wahrnehmungsschulenden, pädagogischen und kulturellen Woher kommen denn nun die Ideen, wo sind im Zusam- mit rissiger Außenhaut, mit rostigem, ehemals goldfarbenem fer liegenden Sedimenten des Alltags bieten sich so Ansätze Erwägungen heraus wichtig. Lern- und Lehrerfahrungen im menhang des Außerschulischen die Quellen der Inspiration Verschluss und einem nun blindem Innenspiegel? Wie kam für neue Sichtweisen und Denkanstöße – auch für die Schule. Außerschulischen sind in der Regel mit Orten wie Museen, für die eigene Bildwelt, die Motive, die zu einer künstleri- sie hierher, welche Geschichte kann sie erzählen? Wie lässt Ateliers, Werkstätten, Archiven oder auch Erlebniszentren schen Auseinandersetzung oder zu kunstpädagogisch inspi- sie sich präsentierten, wo, mit welchen Medien, lässt sich Schnittstellen im verknüpft, hier soll intentionales Lernen mit bestimmten Zie- rierten Ideen werden können? eine Möglichkeit für die Vermittlung oder eine Unterrichtsein- kulturell-gesellschaftlichen Feld len und Mitteln ermöglicht werden. Aber auch Ausschnitten Das Spielfeld des Alltags bietet dafür einen großen Fundus heit daraus entwickeln, und regt sie die weitere Spurensuche Eine „Säule“ der kunstpädagogischen Ausbildung an der der Lebenswirklichkeit können pädagogische und ästhetische von Arrangements, die Einblicke geben in gesellschaftliche an? (Abb.4) Europa-Universität Flensburg könnte umschrieben werden

204 | BÖKWE 4_2015 BÖKWE 4_2015 | 205 HETEROTOPIEN HETEROTOPIEN

te einfließen lassen. Die zuständigen Dozent_innen konzen- trieren sich überwiegend auf Projektgenerierungen und auf Abb. 5 Koordinations- und Beratungsaufgaben. Auch wenn gute Ide- Auftragsarbeit im en und Konzepte durch die finanziellen Beschränkungen der gesellschaftlichen Feld – Auftraggeber nicht immer zur Ausführung gelangen, muss Konzept muss stimmen, doch die reelle Chance darauf bestehen. Präsentation überzeugen; Die bewertbare Leistung einer solchen Projektarbeit ergibt sich im Regelfall aus der Präsentation, der Dokumentation und einem abschließenden Kolloquium. Hierin sollen, ausge- hend von den Ergebnissen, durch Einbeziehung von studenti- schem Feedback auch Möglichkeiten der Übertragbarkeit auf das schulische Fach Kunst reflektiert werden.

Fallbeispiel 1 Der Wartebereich eines Gemeindeamtes soll besucher- mit der „Entdeckung des Alltags“, umgesetzt in der Thema- freundlich umgestaltet werden. Dafür muss ein Licht-, Farb- tisierung „ästhetischer Alltagskulturen“ in außeruniversitären und Raumkonzept entwickelt werden, das neu ist, aber mit Projekten. Dies beinhaltet auch das Erkennen von Situationen dem Restgebäude korrespondiert. Vertreter des Gemeinde- Abb. 6 und Szenarien des Alltags, die künstlerisch bearbeitet wer- amtes wenden sich an die Universität. Es wird ein Vertrag Ungewöhnliche Ausstel- den und Gegenstand von Vermittlung sein können. Dieses zu über die Abläufe und den Umfang der Arbeiten festgelegt, die lungsorte können inspirie- fördern und Angebote hierfür zu entwickeln, ist eine Aufgabe finanziellen Mittel werden geklärt. ren und herausfordern universitärer Ausbildung. Das Studium ist so aufgebaut, dass Im Rahmen des Seminars „Schnittstellen/Kontexte“ über- die Bachelor-Studierenden ab dem 4. Semester zunehmend nehmen Lehramtsstudierende diese Arbeit, werden zu Raum- selbstorganisierter in den Projekten arbeiten. Anders als in designern und entwickeln in Gruppen verschiedene Konzep- den gewohnten, auf das Lehramt bezogenen Praktika, ist hier te. Durch eine Innenarchitektin erhalten sie Beratung und Ausstellungen. Sie fungieren als Kuratoren, müssen ihre Ar- „Ahoi spricht der Kapitän zum Steuermann – vorgesehen, möglichst viele Seminarangebote außerhalb des Unterstützung u.a. in Form von Kurzlehrgängen zu Themen beit öffentlichkeitswirksam kommunizieren und sich Vermitt- neues Land in Sicht, lass es uns entdecken.“6 6 Zitat des Autors, universitären Raumes und des gewohnten Studierrahmens zu wie Materialkunde und -recherche, Lichtwirkung, Raum- und lungskonzepte überlegen. Für die Ausstellungen suchen sie Um im Kontext von Schule überzeugend Inhalte zu vermit- aus der Seemnanns- bieten. So werden Bezüge zu außerschulischen Erfahrungs- Messebauarrangement sowie architektonische Skizziertech- sich neben der universitätseigenen Galerie „MODUL1“, die teln, Entdeckungen zu ermöglichen und mutige Haltungen sprache übernommen, feldern hergestellt. Neben der klassischen Vermittlungsarbeit nik. In einer Zwischenpräsentation wird mit Mitgliedern des im Zentrum der Stadt liegt, auch andere Präsentationsräume. und ungewohnte Herangehensweisen zu fördern, bedarf es häufig verwendet im in Museen, Galerien und Kunstvereinen machen die Studie- Gemeindeamtes der in Frage kommende Entwurf festgelegt, Die Studierenden stellen dabei nicht ihre eigenen Arbeiten eigener Erfahrung und Überzeugung für eine Sache. Das gilt Kontext des Außer- renden ästhetische Erfahrungen auch in anderen kulturellen dieser wird arbeitsteilig weiterentwickelt. aus, sondern arbeiten mit anderen Personen, Gruppen oder für den Unterricht im Klassenraum wie auch für das außer- schulischen Lernortes Einrichtungen wie Kulturzentren, Theatern, Jugendkunst- In einer Abschlusspräsentation wird das Konzept der Öf- auch themenbezogen. So kann beispielsweise eine Präsen- schulische Feld. Darauf sollten Lehramtsstudierende vorbe- schulen, Medienanstalten und Szene-Treffs. Sie arbeiten in fentlichkeit vorgestellt, wobei die Anwesenheit der Presse tation über einen Stadtteil, die Arbeit einer Kostümbildnerin reitet werden. sozialen Institutionen, im Bereich der Erwachsenenbildung, wünschenswert ist. Diese ist für die Information zukünftiger oder die bildnerischen Ergebnisse eines Kunstworkshops in Die universitären Projektvorhaben helfen, die Sensibili- an architektonischen und raumplanerischen Projekten oder möglicher Kooperationspartner ebenso wichtig wie für den der Seniorenresidenz entstehen. sierung für gesellschaftliche Felder stetig zu entwickeln, sie in diversen anderen gesellschaftlichen Feldern. Zur Un- Eindruck der Studierenden, an einer wichtigen Sache ent- Dazu müssen Anträge für einen Finanzierungszuschuss ermöglichen den Studierenden Erfahrungen im Alltäglichen terstützung des Konzeptes wurde begleitend die Initiative scheidend mitgewirkt zu haben. Das ausgearbeitete Konzept an das Kulturamt gestellt, Sponsoren gefunden, Werbema- zu machen, die durchaus überraschend und bereichernd sein „ARTgoing-Projects“5 gegründet, die Projekte mit dem Ziel ist mittlerweile baulich realisiert worden. (Abb. 5) terial entwickelt und die Materialien beschafft werden. Im können. Sie sollen ihnen helfen, „über den Tellerrand“ eines entwickelt, den künstlerischen und kulturellen Austausch in Im Rahmen eines eng getakteten BA-Studiums mit wö- Begleitseminar sind einführende Vorträge und Workshops schulischen Rahmens zu blicken, Kontakte zu knüpfen und für der Grenzregion Deutschland-Dänemark zu fördern. chentlich zwei Stunden Präsenzzeit war das Vorhaben nicht von Kulturamtsmitarbeitern, Galeristen oder Vertretern von ihre Schüler_innen Angebote ästhetisch-kultureller Teilhabe Wichtig bei diesen Projekten ist die Einbindung öffentlich- einfach zu realisieren. Seminarstunden mussten zusammenge- Kunstvereinen und Museen vorgesehen. Dazu erhalten die zu entwickeln, die aus der Schule heraus in den öffentlichen 5 Artgoing-Projekte keitswirksamer Maßnahmen, wie Projektpräsentationen oder legt werden, um sinnvolles Arbeiten zu ermöglichen. Es wurde Studierenden nach Bedarf und auf Anfrage Hilfestellung und Raum führen. Um dieses gegen alle Widrigkeiten des Schul- und Erkundungen des begleitende Pressearbeit zur Generierung von Kontakten und versucht, 14-tägige Veranstaltungstermine in den Randstun- Beratung von den Dozentinnen und Dozenten, beispielsweise alltags und den institutionellen Bedingungen durchzusetzen Außerschulischen neuen Projekten. Zu leisten ist dieses Konzept nicht ohne die den anzubieten, die ausgeweitet werden konnten. Zahlreiche auch im Bereich von Kuratierung, Layout und Ausstellungs- und zu initiieren, bedarf es Engagement und Durchhaltever- Lernortes finden Hilfe von Experten außerhalb der Universität, die über Lehr- Stunden, auch am Projektort verbracht, kamen hinzu. design. Die Zurückhaltung der Lehrenden in den Projekten mögen und Kooperationspartner. Vor allem braucht es ent- sich auf der Website aufträge oder projektbegleitend ihr berufliches Knowhow aus verhilft zu mehr Eigenständigkeit, Entscheidungsfähigkeit und sprechend ausgebildete Lehrkräfte – im Zuge der starken „KunstLernorte“ den verschiedensten Bereichen professioneller Kunst, Medi- Fallbeispiel 2 Selbstorganisation der Studierenden. (Abb. 6) Entwicklung kultureller Bildung um so mehr. www.kunstlernorte. en- und Umweltgestaltung, aus kultureller Vermittlungsarbeit Im Rahmen des Teilmoduls „Außerschulische Vermittlungs- net oder auch aus Verwaltung und Handwerk in Seminarangebo- orte“ konzipieren, organisieren und präsentieren Studierende

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Dozentinnen im Vorfeld: Wird man den unterschiedlichen Porträts, indem sie ihr Gesicht „frottierten“ (Abb. 1), zeichne- Bedürfnissen einer so heterogenen Gruppe in einem künst- ten ein „Droodle“ fort und gaben einem Zeichen neue Bedeu- lerischen Projekt gerecht? Ist es möglich, mit Menschen mit kognitiven Einschränkungen in offenen Projektstrukturen zu arbeiten? Ist es im Sinne einer Subjektorientierung möglich, dass im Rahmen dieses Projekts jeder seinen künstlerischen Weg findet? Im Aufbau unterteilte sich das Seminar in vier Phasen: in ein künstlerisches Begegnen, in ein Suchen und Finden von Spuren und Ideen, in die künstlerische Werkstattarbeit und in die Präsentation im Rahmen der Ausstellung sowie bei einer Reflexionsrunde zum Abschluss des Seminars. Für die erste Sitzung waren alle aufgefordert, ein künstle- risches Werk mitzubringen. In heterogenen Gruppen stellten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenseitig ihre Abb. 2 Droodle- Arbeiten vor, kamen ins Gespräch, begegneten sich und der Zeichnungen Kunst. Im weiteren Verlauf galt es, spielerisch ins Arbeiten zu kommen, künstlerische Techniken zu erproben, neue Per- tungen (Abb. 2), und beim zeichnerischen Wandern um die spektiven zu eröffnen, Hemmschwellen zu überwinden und Werktische in der Druckgrafik mussten sie mit jedem Platz- sich weiter kennenzulernen. Die Aufgaben waren so gewählt, wechsel auch einen Perspektivwechsel vollziehen und sich dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer problemlos parti- stets von Neuem in die Blicke und Bilder ihrer Vorzeichner Abb. 1 Gesichtsfrottagen zipieren konnten, künstlerische Fähigkeiten und Fertigkeiten einfinden (Abb. 3). waren ebenso wenig Voraussetzung wie komplexe kognitive Im Folgenden sollten die Räumlichkeiten der Hochschu- Verstehensprozesse: Die TeilnehmerInnen ließen unter ande- le sowie künstlerische Strategien kennengelernt und erste rem Kreiden zur Musik über die Blätter tanzen, zeichneten Ideen für eigene Projekte entwickelt werden. Ausgestattet

Teresa Sansour, Susanne Bauernschmitt, Sabine Essig-Dehner Inklusion – Kunst – Anerkennung

Einleitung möchten wir Möglichkeiten aufzeigen und diskutieren, wie Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonventi- inklusiver Kunstunterricht diesem Anspruch gerecht werden on (BRK) verpflichten sich Deutschland, Österreich und die kann. Dazu sollen zunächst der Rahmen des Seminars sowie Schweiz unter anderem dazu, Menschen mit Behinderung die methodische Gestaltung näher vorgestellt werden. Im An- den Besuch der allgemeinbildenden Schulen zu ermöglichen. schluss daran soll Axel Honneths Theorie der Anerkennung als Der Zugang zu einer allgemeinen Schule als Institution kenn- Reflexionsfolie dienen, auf der die Erfahrungen aus dem künst- zeichnet die rechtlich-organisatorische Seite, die mit der Un- lerischen Projekt dargestellt und eingeordnet werden sollen. Abb. 3 Perspektiv terzeichnung der BRK einhergeht. Die große Herausforderung wechsel in der Druck- besteht aber jetzt darin, Bildungsprozesse so zu gestalten, Mischen – ein inklusives grafikwerkstatt dass der Einzelne eine Relevanz für ein Interaktionssystem künstlerisches Projekt erfährt – nichts anderes meint der Begriff Inklusion (vgl. Im Sommersemester 2013 fand an der Pädagogischen Hoch- Fuchs 2002). Denn: „Inklusion aller ist leicht zu fordern, aber schule Heidelberg das künstlerische Projekt „Mischen“ statt. nur einzulösen, wenn man die Eigenheit von Menschen mit Dabei wurden Fächer – Sonderpädagogik und Kunst – und Behinderung schätzt und anerkennt.“ (Fornefeld 2008: 141) Menschen – Lehrende und Studierende beider Fächer und Ausgehend von einem künstlerischen Projekt, das in einem zehn Menschen mit geistiger Behinderung der Lebenshilfe inklusiven Seminar an der Hochschule durchgeführt wurde, Heidelberg – gemischt. Folgende Fragen beschäftigten uns

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Anerkennung lässt sich nach Honneth in drei Grundformen In diesem Zettel wird die Studentin Frau E. persönlich an- ausdifferenzieren, die negativ abgeleitet werden durch drei gesprochen. Durch die Bezugnahme auf vergangene Arbeiten Abb. 4 Sprücheinstallation Formen der Missachtung. Die erste Dimension nennt Hon- zeigt sich einerseits Zutrauen in die künstlerischen Fähigkei- von Herrn K. neth Liebe (Missachtung: physische Demütigung, welche die ten der Studentin, gleichzeitig wird die Studentin auch als Schicht der leiblichen Integrität eines Menschen berührt). Person mit eigenen Vorlieben und Vorerfahrungen ange- Anerkennung erfolgt hier in Form emotionaler Zuwendung sprochen. Es scheint eine Besonderheit des künstlerischen um der Person selbst willen. Die zweite Dimension nennt Arbeitens zu sein, dass hier eine Überlagerung der beiden er Recht (Missachtung: Entrechtung, Ausschluss) und be- Dimensionen Liebe und Solidarität zu erkennen ist, weil sich schreibt sie als Anerkennung in Form kognitiver Achtung. Werk und Künstler nicht trennen lassen und ein Interesse an Er versteht darunter eine universelle Gleichbehandlung aller der künstlerischen Arbeit fast immer mit einem Interesse am auf der Grundlage einer moralischen Zurechnungsfähigkeit. Künstler als Menschen verbunden ist. Schließlich benennt Honneth die dritte Dimension als Soli- Innerhalb der Anerkennungsform des Rechts kann für un- darität (Missachtung: Entwertung, Entwürdigung) (Honneth ser künstlerisches Projekt festgehalten werden, dass kein 1992). In späteren Publikationen benennt Honneth diese Teilnehmer bzw. keine Teilnehmerin von Aktivitäten ausge- Form um und wählt statt Solidarität den Begriff Leistung (vgl. schlossen wurde oder dass Mit- und Selbstbestimmungs- Fraser & Honneth 2003). Solidarität beschreibt Honneth als prozesse teilnehmerabhängig gewesen wären. Durch die symmetrische Anerkennung und führt weiter aus: „Symme- Individualisierung kann von einer universellen Gleichbehand- trisch muss vielmehr heißen, daß jedes Subjekt ohne kollek- lung kaum gesprochen werden, wohl aber von einer gleich- tive Abstufungen die Chance erhält, sich in seinen eigenen wertigen kognitiven Achtung. Diese drückt sich auch in dem Leistungen und Fähigkeiten als wertvoll für die Gesellschaft folgenden Zitat eines Seminarteilnehmers aus: zu erfahren.“ (Honneth 1992: 210) „Ja, das mit dem ‚Mischen‘ hat mir da echt Spaß gemacht, Anerkennung als menschliches Grundbedürfnis lässt sich weil das da irgendwie gar nicht mehr Lebenshilfe irgendwie mit Lageplan, Sammeltütchen, Diarähmchen, Zettel und Stift flexionen anzustoßen (Sansour & Bauernschmitt 2014). Wir dadurch begründen, dass Anerkennung eine positive Bezie- war, also Behinderte/Nicht-Behinderte. Das ist gar nicht mehr und Fotoapparat wurde auf einer künstlerischen Spurensu- bekamen tiefe Einblicke in Ideen und Überlegungen, die die hung zu sich selbst wachsen lässt und damit die subjektive so aufgefallen. Die Studenten waren in dem Moment auch che in Kleingruppen gesammelt, geschrieben, fotografiert, SeminarteilnehmerInnen beschäftigten und konnten darauf Autonomie des Einzelnen stärkt. Der Selbstbezug zu den drei keine Studenten mehr, weil die einfach so viel Spaß miteinan- gezeichnet, gemappt, gesucht und gefunden. Aufgaben reagieren. So erhielten einige Studierende Briefe von uns Formen kann formuliert werden als: Selbstvertrauen, Selbst- der hatten und alle ganz lustig drauf waren und das war jetzt hierzu lauteten z. B. „Sammeln Sie etwas Wunderschönes“ mit individuellen Impulsen, Hilfestellungen oder Bestärkun- achtung, Selbstwürdigung (vgl. Honneth 1992: 277 ff.). nicht groß irgendwas lernen oder so, sondern einfach nur so oder „Hinterlassen Sie gemeinsam eine Spur“. In der gemein- gen, die in der folgenden Werkstattarbeit große Bedeutung Die Anerkennungsform der Liebe lässt sich schwer ver- ein Miteinander, ein Rumspielen und Rumblödeln und Phan- samen Reflexionsrunde zeigte sich, dass aufgrund des aus- gewannen. Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin hatte allgemeinernd für unser Projekt betrachten, sondern nur für tasieren. Auch so für die Leute aus der Werkstatt, dass die in brechenden Frühlings der Natur eine große Aufmerksamkeit eine Idee, einen Anknüpfungspunkt zum künstlerischen Wei- den Einzelfall darstellen. Persönliche Beziehungen im Sinne dem Moment halt so sind wie jeder andere Mensch halt auch bei der Spurensuche geschenkt wurde, was die Dozentinnen terdenken und Weiterhandeln gefunden und machte sich an von Freundschaften, bei denen der Mensch um seiner selbst ist. Dass es nicht immer heißt: Behindert ist gleich Blödmann dazu veranlasste, die nächste Veranstaltung in den nahe die Arbeit – in der Druckwerkstatt, im Malatelier, im Projekti- willen im Vordergrund stand, entwickelten und zeigten sich oder Krüppel, wie manche sagen.“ gelegenen Ökogarten zu verlegen. Anschließend standen onsraum, drinnen, draußen, gemeinsam in Gruppenprojekten vereinzelt. Aber auch wenn das Wort Freundschaft oder Starre Kategorien wie behindert / nicht behindert werden verschiedene Stationen mit unterschiedlichen Impulsen und oder alleine, im Austausch mit anderen SeminarteilnehmerIn- persönliche Nahbeziehung in vielen Fällen nicht zutreffend im Prozess des künstlerischen Projekts aufgebrochen und Materialien zum künstlerischen Weiterdenken, Erleben und nen und natürlich auch mit unserer Unterstützung. Der Höhe- beschreiben kann, was sich zwischen den Beteiligten ab- verhindern defizitäre Zuschreibungen. Gerade im Kontext von Bearbeiten der Natur zur Wahl bereit. Es wurden Strategi- punkt des künstlerischen Projekts war eine große Ausstel- spielte, so kann doch festgehalten werden, dass der ein- Menschen mit Behinderung ist aber auch zu beobachten, en und Ideen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der lung mit über 100 Gästen. Eine abschließende konzentrierte zelne Mensch und ein Interesse an seiner Person in vielen dass die beiden Dimensionen Recht und Liebe in einer Wider- vergangenen Spurensuche aufgegriffen und durch weitere Reflexions- und Präsentationsrunde im Seminar rundete die Gesprächen im Vordergrund stand. Dies spiegelte sich auch spruchskonstellation stehen. Wenn aus einer fürsorglichen Impulse ergänzt, wie z.B. „Bauen Sie Natur aus Papier oder gemeinsame intensive Arbeit wertschätzend ab. im Gebrauch des Zettelkastens wider. Auf vielen Zetteln wur- Haltung heraus Mitbestimmungsprozesse nicht ermöglicht weiteren Materialien, die Sie finden können“, „Sammeln Sie den, ohne dass dies von uns im Vorfeld so geplant war, auch und Entscheidungen abgenommen werden, wenn Menschen Pflanzen und legen Sie Ordnungssysteme an!“, „Entwickeln Honneths Theorie der Anerkennung biographische Bezüge zu einzelnen künstlerischen Arbeiten mit schwerer Behinderung als nicht zurechnungsfähig einge- Sie Kleidungsstücke aus Natur oder entwickeln Sie Kleidung und das inklusive künstlerische Projekt auf einer von Vertrauen geprägten Beziehung offen reflektiert stuft werden oder ein temporärer Ausschluss von bestimm- für Natur!“, „Hinterlassen Sie Spuren in der Natur, die der Im Folgenden werden die drei Formen der Anerkennung nach und weitergegeben. Darüber hinaus ergaben sich über den ten Aktivitäten zum vermeintlichen Wohl des Betroffenen be- Natur nicht schaden“ oder „Fangen Sie Schatten der Natur Axel Honneth vorgestellt, um vor diesem Hintergrund die Zettelkasten Briefwechsel zwischen uns Dozentinnen und fürwortet wird: „Er kann diese kreativen Fächer einfach nicht ein!“ (Urlaß 2005: 3 ff.). Darüber hinaus stand ein Büchertisch konkreten Interaktionen und Strukturen des inklusiven künst- den Teilnehmerinnen und Teilnehmern: umsetzen!“, so der fürsorglich gemeinte Kommentar einer für weitere Recherchen immer bereit. lerischen Projekts daraufhin zu untersuchen, welche Chan- Liebe Frau E., knüpfen Sie an vergangenen Arbeiten, Ma- Mutter über ihren Sohn mit Prader-Willi-Syndrom bezüglich Bei der Planung des Projektes entstand die Überlegung, cen der Anerkennung sie eröffnen bzw. welche Qualität der terialien, Ideen an! Wie wär’s mit den Metallkleinteilen, oder dessen Mitarbeit im inklusiven Kunstunterricht. Dieses Span- einen Zettelkasten als ein gemeinschaftsstiftendes Moment Selbstbeziehung einer Person sie ermöglichen oder verletzen mit Zahnstocherminiaturen oder Ameisenmutanten oder In- nungsverhältnis wird auch von Katzenbach angesprochen, für die Seminargruppe zu nutzen und dadurch Ideen und Re- (Katzenbach 2004: 134). sektengewimmel?! Ich bin gespannt! Frohes Schaffen! der von einer „grundsätzlich paradoxalen Struktur pädago-

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Fazit Dies führt zu einer Steigerung der positiven Beziehungen „Die Anerkennung, dass der Andere berechtigt ist, an mich untereinander und einer positiven Beziehung – im Sinne von Forderungen zu stellen. Ich muss anerkennen, dass er berück- Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstwürdigung – zu sichtigt werden muss. Ich kann nicht einfach an ihm vorbei, sich selbst. über ihn hinweg tun, was ich will. Das ist die Kernbedeutung.“ (Honneth, 2010: 14) Literatur Mit Honneths Theorie der Anerkennung lassen sich inklu- Buschkühle, C.-P. (2007): Die Welt als Spiel. II. Kunstpädagogik. sive Prozesse auf den Prüfstand stellen; denn letztlich geht Theorie und Praxis künstlerischer Bildung. Oberhausen, Athena- es darum, dass der Einzelne eine Relevanz für ein soziales Verlag. System erfährt: er erhält Zugang zu einem System (Recht); Fornefeld, B. (2008): Pädagogische Leitgedanken als Ausschluss- er erfährt Relevanz für die Gemeinschaft durch sein Tun (Soli- prinzipien? In: ebd. (Hrsg.): Menschen mit Komplexer Behinde- darität) und für einzelne Mitglieder dieser Gemeinschaft auch rung. Selbstverständnis und Aufgaben der Behindertenpädago- durch sein ‚So-Sein‘ (Liebe). gik. München: Reinhardt Verlag, 108-147. Die Kunst fordert auf. Eine künstlerische Arbeit stellt For- Fraser, N. & Honneth, A. (2003): Umverteilung oder Anerkennung. derungen an mich als Betrachter: Wenn ich mich ernsthaft Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt am Main: mir ihr auseinandersetzen will, dann kann ich nicht am Künst- Suhrkamp. ler als Menschen vorbei schauen. Und genau das gilt es, in Fuchs, P. (2002): Behinderung und soziale Systeme. Anmerkungen Abb. 5 Elefant und Affe einem inklusiven Kunstunterricht zu vermitteln. zu einem schier unlösbaren Problem. Online in: http://www.ibs- von Frau C. networld.de/Ferkel/Archiv/fuchs-p-02-05_behinderungen.html Konsequenzen (27.04.2015) Inklusiver Kunstunterricht Honneth, A. (1992): Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Gram- u braucht anregende, herausfordernde, irritierende, spiele- matik sozialer Konflikte. Suhrkamp. rische, sinnreiche Settings, in denen Fragen aufgeworfen, Honneth, A. (2010): Ohne Liebe fehlt uns eine Dimension. Inter- gischen Handelns“ ausgeht (Katzenbach 2004: 142) und in (Abb. 5). Frau E. war fasziniert von Insekten und arbeitete mit neue Perspektiven ermöglicht und Räume eröffnet wer- view mit Axel Honneth. In: Frankfurter Rundschau, Ausgabe Nr. Honneths Anerkennungstheorie auch ein geeignetes begriff- tierischem Material (Abb. 6). Der Wert für die Gemeinschaft den. So können Kinder sinnstiftend Welt entdecken und 10/2010 vom 11.1.2010, 14. liches Inventar sieht, um das eigene Handeln zu reflektieren lag einmal darin begründet, dass die Produktivität und Krea- erforschen, so können Kinder eigene Ideen entwickeln, Katzenbach, D. (2004): Anerkennung, Missachtung und geistige (vgl. ebd.). individuelle Wege des Ausdrucks und der Gestaltung er- Behinderung. Sozialphilosophische und psychodynamische Die Dimension der Solidarität kam in unserem Projekt be- proben und lernen, sich zu positionieren (vgl. Buschkühle Perspektiven auf den sogenannten Paradigmenwechsel in der sonders zum Tragen. Das individuelle Arbeiten hatte den Vor- 2007: 221 ff.). Behindertenpädagogik. In: Ahrbeck, B. / Rauh, B. (Hrsg.): Be- teil, dass jeder seinen Stärken und Interessen entsprechend u braucht individuelle Formen der Prozessbegleitung, damit hinderung zwischen Autonomie und Angewiesensein. Stuttgart: Abb. 7 Zettel von Frau E. arbeiten konnte. Herr K. hatte einen Sinn für Sprüche und Kinder gesehen werden – und zwar als Menschen und, in Kohlhammer, 127-144. aus dem Zettelkasten baute auf diese Eigenschaft, um eine Sprüche-Installation zu ihren künstlerischen Prozessen und Aussagen, als ‚Künst- Sansour, T. & Bauernschmitt, S. (2014): Zettelkasten – didaktisches erstellen (Abb. 4). Frau F. hatte keine Scheu vor großen Lein- ler‘. Hierbei gilt es für die Lehrpersonen Dialoge zu fördern, Instrument und Kunstgriff in inklusiven künstlerischen Prozessen. wänden und füllte die je 3m² großen Flächen zielstrebig mit Ungewissheiten auszuhalten und Unvorhersehbarkeiten In: BDK-inform. Zeitschrift des BDK Baden-Württemberg. einem sicheren Gespür für die richtige Farb- und Motivwahl als Potential künstlerischer Prozesse anzuerkennen (vgl. Urlaß, M. (2005): Kunst + Unterricht Nr. 290, Pflanzen / Material Urlaß 2014: 1 ff.). Kompakt, Friedrich-Verlag u braucht Expertise von Lehrpersonen, die auf der Grund- Urlaß, M. (2014): Kunst des Anfangs. Einstiegsszenarien künstle- lage einer eigenen künstlerischen Praxis Projekte initiie- rischer Projektarbeit in Schule und Hochschule. In: Zeitschrift ren und begleiten, und Lehrpersonen, die Experten sind Ästhetische Bildung JG. 6, 2014, Nr. 2 (online) http://zaeb.net/ für Kinder mit unterschiedlichen Lernausgangslagen und index.php/zaeb. Förderbedarfen. u muss so gestaltet sein, dass keinem Kind Selbstbildungs- prozesse abgesprochen werden. Abb. 6 Bienenflügelblüte tivität des Einzelnen ansteckend war. Dies äußerte sich auch von Frau E. im Zettelkasten, der die kreativen Gedanken beherbergte und von einer Studentin als „kollektives Gehirn“ bezeichnet wurde (Abb. 7). Zum anderen arbeiteten die Teilnehmer und Teilneh- merinnen auf eine gemeinsame Ausstellung hin, zu der jeder einen Beitrag leistete.

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Manfred Safr Erfahrungsprozesse zur Entwicklung der subjektiven Iden- sich durch diese Situation die starke Sehnsucht nach Orien- tität ermöglichen. Die damit gekoppelte Überwindung und tierung, welche sich in der zunehmenden Kompetenzorientie- Toleranz von Bruchstellen, Konflikten und Fehlern kann eine rung ausdrückt, ein Stück weit erklären lässt. Transformationspotentiale der Übung für soziale Toleranz und Konfliktfähigkeit sowie für So fasst Karen Gloy in der Schlussbetrachtung ihres die Bereitschaft zum integrativen und kooperativen Denken Buches Komplexität – Ein Schlüsselbegriff der Moderne Bildnerischen Erziehung sein. Damit kann sich eine Verknüpfung zwischen persön- zusammen: „... je mehr unsere geistigen, manuellen und licher Biografie und öffentlicher, historischer Entwicklung technischen Fähigkeiten in die Komplexität der Natur ein- anbahnen. Darin kann die individuelle Offenheit für poten- dringen und sie bewältigen, desto mehr entzieht sie sich, tielle Veränderungs- bzw. Emanzipationsvorgänge angelegt indem sich immer neue und größere Felder von Komplexität sein. Dieses Erfahren von Individualität und die Tatsache, eröffnen. Die Komplexität wird mit wachsender Bewälti- dass dieses Selbstverständnis transformiert werden kann, gung nicht weniger, sondern mehr“ (Gloy 2014: 160). Gloy Wo liegt ein Potential? Welche Möglichkeiten liegen Diese Prozesse können Verhältnisse und Grenzen sowohl in stellt somit auch eine Basis für reflektierendes Denken dar. argumentiert, dass komplexe Phänomene keine begrenzten in seiner Veränderung und wie ist deren Bandbreite ihrem Bestehen als auch in ihrer Verschiebbarkeit als sinnvoll Im Kunstunterricht wird diese Form der direkten Erfahrung Phänomene seien, sondern dynamische Prozesse, die sich ausgelegt? Inwiefern können sich vom Gesamtsys- erscheinen lassen. Bewusstsein als unbewegliche Materie gekoppelt mit einer Erfahrungsqualität von Materialität und mit der Bewältigung steigern, so dass keine festen gene- tem – Bildungssystem, Schulsystem – entkoppelte ist schwer vorstellbar. Bewusstsein ist nicht direkt materi- Körperlichkeit. Sie bietet dadurch eine sensomotorische rellen Bewältigungsmodelle mehr greifen. Daher lasse sich Entwicklungen eines Faches etablieren? Oder reprä- ell erfassbar, sondern nur symbolisch, als Echo im Gedanken Lernerfahrungsform. Wie und wodurch öffnen wir andere Komplexität nur mit komplexen Modellen begegnen, nicht sentiert sich nicht in jedem Teil das Bild, die struk- bzw. der Materie. Diese Übertragungs- bzw. Übersetzungs- Territorien, wie werden diese sichtbar und durch praktische mit reduktionistischen Formaten (Gloy 2014: 8). Sie unter- turelle Identität vom Ganzen, und kann sich diesem prozesse implizieren, dass Bewusstsein auch das Potential Erfahrung erkennbar? Wodurch bleiben sie nicht reine Be- scheidet zwischen zwei Aspekten von Komplexität: dem nur begrenzt entziehen? seiner Adaptierung bzw. Veränderung beinhaltet. Somit ist grifflichkeit, sondern werden ein Moment innerhalb eines ontologischen Aspekt der Quantität an Daten, Informationen Bewusstsein als ein plastisches Element innerhalb eines Rah- sensomotorischen Erfahrungsprozesses für die Schüle- und Beziehungen, und dem qualitativen, epistemologischen Transformationen offenbaren prozessuale Verschiebungen mens, der verformt werden kann, vorstellbar. Diesen Rahmen rInnen? Das Üben im persönlichen Ausdruck, in der an die Aspekt der Vielgestaltigkeit, der Heterogenität der Bezie- und Veränderungen. Manchmal können diese Veränderungen sehe ich in polydimensionaler Bewegung. Räume innerhalb jeweilige Situation angepassten Differenzierungsfähigkeit: hungen, des Ausmaßes an Differenzierungen. Aus diesem auf einen Bereich verweisen, der noch unbekannt ist, der dieses Körpers werden nicht nur von außen durch den insti- Das Handwerk des Körpers kann dafür eine wesentliche Grund geht sie von der Annahme aus, dass die Vielfalt in unsichtbar ist und dadurch innerhalb der jeweiligen Struktur tutionellen Rahmen geschaffen, sondern können sich vermut- Grundlage darstellen. Somit können Argumente konkret ihrer Dichte und Interdependenz intransparent, unfassbar einen blinden Fleck verkörpert. Reizvoll wäre die Analyse, in- lich auch autonom und subjektiv generieren. erfahrbar werden, sie bilden sich sozusagen sinnlich und und unverständlich bleibt (Gloy 2014: 18). Als Konsequenz wiefern hierfür indirekte Instrumente nützlich sein könnten. Im Zur-Verfügung-Stellen der Werkzeuge bzw. in der all- eröffnen dadurch Handlungsfelder und Bewusstseinsbilder. und Möglichkeit zur Komplexitätsbewältigung beschreibt Kritische Spiegel und Rezeptoren, translokale Prozesse könn- täglichen Praxis und der jeweils spezifischen Übung sehe Innerhalb dieses ästhetischen Feldes kann sich dadurch, sie drei Varianten oder, wie sie es nennt, Ebenen: die sinn- ten auf Modalitäten und Potentiale hinweisen. Ergebnisse der ich die Relevanz eines angewandten Kompetenzbegriffes. optimistisch betrachtet, ein Zusammenhang von: Selbst- lich-affektive sensomotorische Ebene einer leiblichen, ins- politischen Debatte können demzufolge das Zugestehen, Ein- Sinnvoll kann der Kompetenzbegriff nur dann sein, wenn er entwicklung, Freiheitserweiterung, Gestaltungskompetenz tinktiven, intuitiven Form der Komplexitätsbewältigung, die räumen und in der Folge die ökonomische Fundamentierung nicht nur durch eine ökonomische Verwertbarkeit begründet sowie auch Sozialisationsfähigkeit bilden, womit grundsätz- praktisch-pragmatische und die durch sie zugeordneten Va- solcher Bereiche sein. werden kann. Das Differenzieren in Kompetenzen erachte ich liche Transformationspotentiale der Kunsterziehung definiert rianten des Trial-and-Error-Verfahrens, des Experimentierens Das Feld des aktuellen wissenschaftlich-politischen Diskur- als brauchbar, wenn es die Entwicklung einer Lernerfahrung sind. Wesentlich in der realen Umsetzung des Unterrichts bzw., wie sie es nennt, des Bastelns; und drittens die ratio- ses erscheint mir polydimensional. So lassen sich Punkte auf zu einer symbolischen Erfahrung fördert. Eine symbolische können exemplarische Themenkomplexe wie das Erfahren, nale Ebene, also die kognitiven Ordnungssysteme der Logik. diesem Feld bezeichnen, welche den Begriff Bildung tenden- Erfahrung ist für mich dann gegeben, wenn die Erfahrung ei- Reflektieren und Differenzieren, aber auch Darstellen, Ver- Oft mischen sich die Ebenen während der Bewältigung der ziell dem Schaffen eines Horizonts (geistig, seelisch, ethisch, ner Kompetenz, oder die faktische Zunahme an Wissen, eine mitteln und Dokumentieren von Sehnsüchten, Idealen, der Phänomene (Gloy 2014: 22). spirituell, politisch) zuordnen. Andere Punkte rechtfertigen gedanklich-seelische Erfahrung des Bewusstseins ermöglicht Freude, der Liebe, des Staunens, der Verzweiflung oder der Meiner Meinung nach kann der Kunstunterricht die struk- strukturelle Konzepte eher mit dem Ver- und Ermitteln von bzw. bestärkt. Somit bezeichne ich symbolische Erfahrung Trauer sein. Dies kann auf eine direkte oder symbolische turelle Basis für das Erlernen dieser Ebenen anbieten. Wieso Kompetenzen und ihrer Überprüfbarkeit (Evaluation) inner- als Ausdruck einer interstrukturellen Erfahrung zwischen Weise geschehen. Innerhalb der Gesamterfahrung im Lern- sind regulative Prinzipien – und die starke Kompetenzorien- halb einer Praxis. In der Kunstpädagogik verfolgen wir diesen Bewusstsein und Materie. Kompetenz in Teilstrukturen zu prozess können diese spezifischen Transformationsprozesse tierung der Lehrpläne ist ein Ausdruck dessen – so wichtig Diskurs zwischen den Polen von künstlerischer Kunstpädago- zerlegen, kann auch dort Sinn machen, wo es Bewusstsein der Kunsterziehung den SchülerInnen helfen, für sich selbst, geworden? Die Verankerung des Kompetenzbegriffes erneu- gik und ästhetischer Bildung auf der einen und Verfechtern für Zwischenschritte schafft. Dabei ist es wichtig, die gesetz- auch durch Phasen des Zweifels und der Unsicherheit, ihre ert den Umgang mit den im Lehrplan verankerten Inhalten. einer bildorientierten Kunstpädagogik auf der anderen Seite, liche Reglementierung nicht zum strukturellen Korsett in der existentielle Sicherheit zu ermitteln. Dadurch entsteht die Regulierung der unendlichen Möglich- wobei die Strömungen der Biografie-Orientierung und der praktischen Umsetzung werden zu lassen. In welcher kulturellen Situation befinden wir uns aktuell? keiten. Aber wieso greifen diese Regulationsmechanismen ästhetischen Forschung versuchen, eine Balance innerhalb Ein wesentliches Charakteristikum des Kunstunterrichts Ermöglicht eine solche Analyse auch einen anderen Blick auf in viele Bereiche des öffentlichen Lebens vermehrt ein und dieses instabilen Feldes zu halten (Peez 2012: 68-79). ist das Ermöglichen, die Entwicklung und das Gelingen sym- die Gestaltung der aktuellen fachdidaktischen Debatte? Wie- suggerieren damit ein intensives Maß an Verbindlichkeit, Ver- Grundsätzlich sehe ich die Möglichkeit, in der Kunsterzie- bolischer Erfahrungen der SchülerInnen. Symbolisch sind so wird dem Kompetenzbegriff in der aktuellen Lehrplan- und lässlichkeit und Orientierung? hung die Formgestaltung für SchülerInnen denkbar, umsetz- die Erfahrungen dann, wenn die Erfahrungen und Ereignisse Bildungsdiskussion eine solche Präsenz gegeben? Möglicherweise befinden sich die am Kompetenzbegriff bar und dadurch erlernbar zu machen. Formentwicklungspro- nicht nur direkt abgebildet wiedergegeben werden, sondern Ich will in der Folge drei Facetten der gegenwärtigen kul- orientierten Bildungsmodelle auch deswegen in einer Hoch- zesse zu erlernen, kann eine grundlegende Erfahrung sein. wenn sie diese Transformationsprozesse unterstützen und turell-gesellschaftlichen Situation skizzieren. Möglich, dass konjunktur, weil sie versuchen, die realen Erfahrungen von

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Komplexität, Unordnung und Chaos durch Modelle der Ord- erinnern daran, dass das Unbekannte ein konstitutiver Teil der u Selbstbestimmung, Kritikfähigkeit, gesellschaftspolitische Pragmatische Potentiale: nung und Reduktion in den Griff zu bekommen. Diese Realität Person ist. ... Die Depression ist das Geländer des führungs- Verantwortung des Individuums, Fähigkeit zur vertiefen- u Senkung der Themen für die mündliche Reifeprüfung von der Unordnung und Unbeherrschbarkeit kann Unsicherheit losen Menschen, sie ist nicht nur sein Elend, sondern das den Auseinandersetzung 18 auf 10 und Angst auslösen – Angst als einen Ausdruck und Reflex Gegenstück zur Entfaltung seiner Energie. Die Begriffe Pro- u Eigenständige Identitätsentwicklung fördern, Bildlesefä- u Verhindern einer Stundenreduktion, Fächerzusammenle- dieser Unordnung der komplexen Wirklichkeit. Heinz Bude jekt, Motivation und Kommunikation sind die beherrschenden higkeit entwickeln, Bewusstsein schaffen: Ich kann selbst gung oder eines Flächenfachs der Kunstfächer geht in seiner soziologischen Analyse Gesellschaft der Angst Werte unserer Kultur“ (Ehrenberg 2008: 306). Dieses Feld etwas gestalten und erfinden. Ich kann mein eigenes Le- u Verhindern eines Abdrängens der Kunstfächer in die davon aus, dass die Angst alle treffen könne. „Die Angst der Ambivalenzen: Psychische Befreiung, persönliche Initi- ben selbst gestalten, selbst Entscheidungen treffen Nachmittagsstunden bzw. den Freizeitbereich kennt keine sozialen Grenzen ... Auch von der Sache her sind ative, aber auch Unsicherheit der Identität, das unendliche u Handwerkliche Fähigkeiten bei den Schülerinnen und u Anrechnung von künstlerischen Projekten und Ausstel- die Ängste zahllos: Schulängste, Höhenängste, Verarmungs- Feld der Möglichkeiten kann auch die Unfähigkeit zu handeln Schülern entwickeln lungen als individuelle Weiterbildung in Form von zusätzli- ängste ... Abstiegsängste, Bindungsängste“ (Bude 2014: erzeugen und somit zu Blockaden bzw. zur Depression führen. u Feinfühlige präzise Wahrnehmung, Wissen um polyvalen- chen Werteinheiten bzw. Zusatzeinkommen 11). Bude beschreibt ein Ich, das sich durch vielfältige und Antidepressiva bzw. Abhängigkeit von einem Wirkstoff, einer te Realität/en und Lebensparadoxien, Wissen um unter- u Initiieren von Gesprächen zwischen SchülerInnen und ambivalente Ansprüche überfordert fühlt, dem es unendlich Aktivität oder einer Person (Ehrenberg 2008: 22) können als schiedliche Zugangsweisen zum künstlerischen Arbeiten LehrerInnen zur Weiterentwicklung des Faches schwer fällt, Grenzen zu setzen, und das hinsichtlich seiner Strategien bezeichnet werden, um die Differenz erträglich und dessen Ausdrucksmittel u Etablierung einer Kultur der Forschung an den Schulen Lebensfähigkeit Angst hat. Das persönliche Potential der Mit- zu machen. Betäubung als Lebensstrategie, Nervosität und u Lustvolles Experimentieren und Schaffen u Anrechnung der Forschungsprojekte in Form von zusätzli- arbeiter wird gefordert, engagiert und selbstverantwortlich Burn-Out sind die diagnostizierbaren Auswirkungen dieser chen Werteinheiten bzw. Zusatzeinkommen für flexible Projekte einsetzbar zu sein. Optimierungsdruck Situation. Mein Eindruck ist, dass die aktuell entwickelten Lehrpläne u Etablierung einer Datenbank von Forschungsprojekten an kann sich niederschlagen in der subjektiven Angst, dies nicht Kunstunterricht ist nicht Sport- oder Wirtschaftsunterricht: durch ihre zunehmende Kompetenzorientierung ästhetisches Schulen im Kunstbereich zu bewältigen, was schlussendlich wiederum zur Überforde- Es geht nicht darum, der Beste oder der Erste zu sein und Denken vermehrt ausklammern. Das ästhetische Denken wird Transformationspotentiale sind gegeben – ein Spurwechsel rung und zur Depression führen kann (Bude 2014: 92-96). auch nicht darum, etwas möglichst schnell und effizient um- zu einem blinden Fleck. Was ist ästhetisches Denken? Wolf- ist möglich, und der Philosoph Žižek erachtet es als wichtig, In dieser Situation erscheinen Probleme und Phänomene zusetzen. Ja, es geht zumeist nicht einmal darum zu gewin- gang Legler schreibt dazu in seinem Text Schillers Idee der „Die Grenzen des Möglichen und Unmöglichen neu zu denken wie das der Re-Theologisierung der Politik in einem anderen nen, außer vielleicht ein neues Bild der Wirklichkeit. Vielmehr ästhetischen Bildung „Während dem Logiker an Eindeutigkeit, und neu zu definieren“ (Žižek 2014: 144). Licht. Das Subjekt findet keinen Halt mehr bei sich, sondern geht es darum, etwas zur Sprache zu bringen, ein Bild – eine an intensiver Klarheit gelegen ist, geht es dem Ästhetiker um Wien, Mai 2015 definiert sich durch das Außen, das Andere. Angst kann die Ausdrucksform für gedankliche, emotionale, seelische oder extensive Klarheit, darum, die Wirklichkeit in ihrer Vielfalt und Literatur Selbstbestimmung gefährden und macht empfänglich für auch soziale Prozesse zu empfinden, zu sehen und in der Fol- ihrem lebendigen Zusammenhang zu erfassen“ (Legler 2011: Arendt, Hannah: Zwischen Vergangenheit und Zukunft: Übungen im Ordnungsmodelle wie die Religion. Doch genau in diesem ge eine Ausdrucksform dafür zu finden. Dies stellt eine Über- 82), bzw. „Nur im Durchgang durch eine an keinen Zweck ge- politischen Denken I – München/2013 Spannungsfeld lebt das moderne Individuum, wie Bude es setzungs- und Transformationsarbeit dar. Etwas also in eine bundene Bestimmungslosigkeit werden unsere Sinne und un- Bude, Heinz: Gesellschaft der Angst – Hamburg/2014 abschließend definiert: „Ohne die Anderen kein Selbst, ohne andere, nicht unbedingt neue Form zu übertragen bzw. zu ser Verstand also neu bestimmbar, d.h. offen für etwas Neu- Ehrenberg, Alain: Das erschöpfte Selbst – Frankfurt am Main/2008 Ambiguität keine Identität, ohne Verzweiflung keine Hoff- übersetzen und somit auch den blinden Fleck in einen Bereich es, kann aus einer leeren eine erfüllte Unendlichkeit werden“ Gloy, Karen: Komplexität – Paderborn/2014 nung, ohne Ende kein Anfang. Dazwischen ist die Angst“ der Sichtbarkeit und Bearbeitbarkeit zu überführen. (Legler 2011: 94). Diese Erfahrungsräume sollten geschaffen Legler, Wolfgang: Einführung in die Geschichte des Kunstunterrichts (Bude 2014: 157). Aktuell leite ich ein Seminar zum Thema Übersetzen an werden bzw. weiterhin vorhanden bleiben. Freiräume, exten- – Oberhausen/2011 Alain Ehrenberg beschrieb bereits 1998 die Ohnmacht, in der Abteilung Fachdidaktik – Bildnerische Erziehung – KKP sive Klarheit bzw. Bestimmungslosigkeit können die Basis für Peez, Georg: Einführung in die Kunstpädagogik – Stuttgart/2012 der sich dieses erschöpfte Selbst befindet. Die subjektive Re- der Universität für angewandte Kunst Wien. Bei einer kleinen das Verankern künftiger Kompetenzen bilden. Žižek, Slavoj: Fordern wir das Unmögliche – Hamburg/2014 alität des Menschen im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert informellen Befragung formulierten die StudentInnen die fol- leide daran, dass eine Differenz zwischen den unbegrenzten genden Ideale und Ziele für ihren zukünftigen Unterricht. Ich Möglichkeiten, dem Unbeherrschbaren und der verwirklich- denke, ein künftiger Lehrplan sollte den Lehrenden und den baren Realität bestehe. „Der Depressive ... ist erschöpft von SchülerInnen ermöglichen, diese Zielvorstellungen umzuset- der Anstrengung, er selbst werden zu müssen“ (Ehrenberg zen, womit ich auch diese Überlegungen als Transformations- Der Kongress in Zahlen 2008: 15). Der durch die Depression erzeugte Mangel an potentiale festhalten möchte. Empfindungen und die Leere stehen in einem Verhältnis zu u Dass die SchülerInnen ihre Lebensumwelt erforschen und Die 444 (!) TeilnehmerInnen kamen aus Tschechien (1), Ungarn dem durch die Sucht erzeugten Übermaß an Reizen – dem mit offenen Augen und einer differenzierten Wahrneh- Rausch. In der Analyse Ehrenbergs sind die Depression und mung den Klassenraum verlassen (1), Finnland (1), Dänemark (1), Italien (1), den Niederlanden (4), die Sucht wie die Vorder- und Rückseite des souveränen In- u Freiräume schaffen, Kunst vermitteln, Arbeitssituation der Schweiz (51), Österreich (117) und Deutschland (268). dividuums, das glaube, „der Autor seines eigenen Lebens zu ohne Leistungsdruck sein, während er doch Subjekt im doppelten Sinne ist, und u Unterricht in Bildnerischer Erziehung hat im Verhältnis zu Davon waren 318 Frauen und 126 Männer. dabei Souverän und Untertan ist und bleibt (Arendt 1961; Eh- vielen anderen Bildungsformaten ein großes Potential, 167 waren als Studierende registriert. renberg 2008: 304). „Depression und Sucht sind die Namen, Lehre unabhängig von gesellschafts- und bildungspoliti- Knapp die Hälfte (210 davon 49 Studierende) waren die dem Unbeherrschbaren gegeben werden, wenn es nicht schen Trends – wie Orientierung an ökonomischen Kri- mehr darum geht, seine Freiheit zu erkämpfen, sondern dar- terien, allgemeine Bedarfs- und Anlassorientierung und Mitglieder einer der drei Fachverbände (lbg, BDK, BÖKWE). um, man selbst zu werden und die Initiative zu ergreifen. Sie Verdinglichung – zu etablieren

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Věra Uhl Skřivanová Rahmen und Möglichkeiten der sei auch die Ethnopädagogik (eng. „Anthropology of Edu- gegenwärtigen vergleichenden Pädagogik cation“), die von der Autorin als interdisziplinäres Gebiet in Tschechien und Deutschland zwischen Ethnologie und Pädagogik verstanden wird (Adick Vergleichende Pädagogik als Eine klassische Definition der vergleichenden Pädagogik ist 2008: 36). Basis der internationalen Forschungen im Rahmen von theoretischen und empirischen Aktivitäten Die vergleichende Pädagogik erlebt derzeit eine Konjunk- mit der Zielsetzung, Charakteristiken und Funktion der Bil- tur. Das hat zu tun mit der Internationalisierung, dem gestei- und Dokumente dungssysteme verschiedener Länder, deren Deskription, gerten Interesse an internationalen Leistungsvergleichen und Komparation und Evaluation darzustellen, begrenzt (Průcha mit den Fragen, die sich vor dem Hintergrund der weltweiten 2012: 21). Die Dynamik soziopolitischer und kultureller Ent- Globalisierung von Bildung, den bestehenden (nationalen) Dif- wicklungen der Gesellschaft veranlasste die vergleichende ferenzen zwischen den Bildungssystemen und innerhalb von Pädagogik, ihre Grenzen zu erweitern und eine progressive Bildungssystemen ergeben. Relevant sind derzeit z. B. Fra- Einleitung terrichtsmedien3 finden wir im Rahmen der Didaktik des Disziplin – die interkulturelle Pädagogik – zu integrieren. Da- gen der Methodologie des Kulturvergleichs. Man fragt sich, Die Arbeitsstelle für Historische und Vergleichende Kunst- Faches Kunst, Kap. 8 International vergleichende Forschung mit sprechen wir derzeit über ein multidisziplinäres Gebiet der wie man Kulturen vergleichen kann, ohne sie zu verdinglichen pädagogik an der Universität der Künste in Berlin, wo u. a. und interkulturelle Forschung eine große Auswahl an Master- vergleichenden Pädagogik, die nicht nur auf der klassischen oder zu essenzialisieren, aber auch ohne den Kulturbegriff zu vergleichende Studien zur Ästhetischen Erziehung in Ungarn arbeiten, Dissertationen und internationalen Projekten. Die Pädagogik fußt, sondern sich auch an anderen Sozialwissen- beliebig werden zu lassen. Auch Fragen der kulturellen Un- (1992), Österreich (1992), Großbritannien (1992) und in der bekannteste internationale Organisation der Kunstpädagogen schaften orientiert. terschiede von Unterricht (also pädagogischen Interaktionen) Tschechischen Republik (2004) realisiert wurden, wurde im ist The International Society for Education through Art (In- Die deutsche vergleichende Pädagogik vereint Kompa- sind zunehmend wichtig. Jahr 2010 geschlossen. Bedeutet dies, dass die verglei- SEA), die bereits nach dem Zweiten Weltkrieg eine ganze ratistik und internationale (interkulturelle) Pädagogik, die 1 http://creativeconne- chende Kunstpädagogik ihre Stellung als Disziplin verloren Reihe von internationalen Tätigkeiten organisiert und ver- realisierte Bildungsprozesse in multikulturellen und mehr- Vergleich der Bildungsinhalte. xions.eu/ hat? Und dies in einem Europa der konvergierenden Staaten, einbart hat. Im Jahr 2010 wurde das Europäische Netzwerk sprachigen Umgebungen beschreibt. Der Akzent liegt auf Funktionsbasis der 2 http://www.image- der intensiven Kontakte im Bildungssektor. Wie ist der Stand für Visual Literacy (ENViL) gegründet4. Das Netzwerk unter- den theoretischen Grundlagen und der Entwicklung der in internationalen Kooperation – identity.eu/ der gegenwärtigen vergleichenden Kunstpädagogik? Wel- sucht verschiedene europäische Kompetenzkonzeptionen im diesem Sinne etablierten Disziplin. Eine Spaltung zwischen ein gegenseitiges Verständnis 3 http://kunst.zum. che Methodologie und Instrumente nützt sie zur Forschung? Bereich der Kunst- und Designpädagogik (Bildnerische Erzie- der Komparatistik und der internationalen (interkulturellen) Eine Internationale Zusammenarbeit benötigt eine gemein- de/8_9.htm#1 Welches Potenzial bietet sie als Basis des internationalen hung). Dabei fokussiert sich ENViL auf visuelle Kompetenzen, Pädagogik ist für die deutsche Konzeption der vergleichen- same Kenntnis von Fachkontext und Fachdiskurs in den je- 4 http://envil.eu/ Austausches? die Lernende im Kunstunterricht erlangen können. Auf dieser den Pädagogik typisch (Hornberg 2009). Die Vertreter der weiligen Ländern. Genauso kann man konstatieren, dass Gegenwärtig entstehen Publikationen, wie z. B. Bering, K.; Basis wird ein Entwurf des Referenzrahmens entwickelt, der engeren Definition der Disziplin, die sich auf die klassische etwas als Sprachdenken oder „Fachsprachkontext“ existiert, Niehoff, R. (Hgg.): Visual Learning. Positionen im internationa- die zentralen Kompetenzen beschreibt. Komparatistik begrenzen, werfen den Vertretern des breite- deshalb ist es so schwer, die komparatistische und interkultu- len Vergleich, 2013, oder Projekte, deren Ziel ein internatio- In Europa sind gemeinsame Bildungsziele definiert, die ren Rahmens vor, unwissenschaftliche Verfahren zu nutzen, relle Orientierung zu verbinden. Wie kann man die Bildungsin- naler Austausch im Sinne einer Beschreibung verschiedener Kontakte im Bildungssektor intensivieren sich. Auch Gym- nur zu beschreiben und nicht zu vergleichen, eine subjektive halte in einer empirischen Realität vergleichen? kunstpädagogischer Konzeptionen ist, curriculare Dokumente nasien, Grundschulen, sogar Kindergärten interessieren sich Herangehensweise und die Vertretung bestimmter eigener In den Jahren 2005 bis 2008 habe ich eine vergleichende oder die Konstitution eines internationalen Referenzrahmens. für einen internationalen Austausch. Benötigt man in diesem Interessen. Die Vertreter des breiteren Disziplinverständnis- kunstpädagogische tschechisch-deutsche Studie realisiert Bereits dies ist eine riesige Leistung. Zusammenhang die vergleichende Pädagogik? Es ist möglich, ses sind der Meinung, dass interkulturell orientierte Studien (Uhl Skřivanová 2013), dann die große Menge an Materi- Voraussetzung einer grenzüberschreitenden Zusammen- ein gemeinsames Projekt ohne komparatistische Vorstudien wertvolle Materialien und Ergebnisse bedeuten, die man als alien aus der empirischen Realität bis 2010 ausgewertet. arbeit ist allerdings eine funktionierende Kooperation. Eine zu realisieren. Es ist möglich, von scheinbaren Gemeinsam- Grundlage von Datensammlungen verstehen sollte, die zu 2013 und 2014 wurde diese Studie fortgesetzt und auch ein europäische Zusammenarbeit benötigt zuerst eine gemein- keiten auszugehen und sich mit gleichen Inhalten zu beschäf- einem späteren Zeitpunkt genutzt werden können (Adick Vergleich in Österreich realisiert. Es wurde versucht, die Kri- same Kenntnis des Fachkontextes in verschiedenen Ländern tigen. Aber, und das ist gerade das Problem, sind es wirklich 2008: 31). Hornberg treibt diesen Konflikt auf die Spitze und terien der vergleichenden Pädagogik (Komparatistik) und der (Schulsysteme, Curricula, Fachtheorie, Begrifflichkeit und Gemeinsamkeiten? Kommt es zu einem richtigen Austausch, nennt die Vertreter dieser beiden Konzeptionen „Kompara- Interkulturellen Pädagogik anzuwenden. Als Basis einer eth- Fachdenken), ebenso wie die Kenntnis von äquivalenten Ka- ohne vorab Informationen über einen Bildungskontext, Fach- tisten“ und „Internationalisten“. Darüber hinaus werden die nographischen vergleichenden Forschung wurden zuerst der tegorien des Austausches und Instrumenten des richtigen termini, Fachdenken und Sprachdenken auszutauschen? Komparatisten anhand ihres Interesses für Forschung und Bildungskontext, die Fachtradition, Fachdiskurs und Fachter- Vergleiches. Dieses versuche ich anhand von eigenen rea- Die in der Gegenwart entstehenden internationalen kunst- die Internationalisten anhand ihres Interesses für die Praxis mini in deutschsprachigen Ländern für einen tschechischen lisierten Beispielen im Rahmen eines tschechisch-deutsch- pädagogischen Projekte beziehen sich selten auf vergleichen- charakterisiert (Hornberg 2009: 14). Trotz dieser Spannung Adressaten illustriert. österreichischen Forschungsprojektes zu illustrieren. de Pädagogik. Die vergleichende Kunstpädagogik wird selten erinnert Hornberg (2009: 13) an die Ideen von Marc Antonie Als gemeinsames Instrument für den Vergleich wählte ich als wissenschaftliche Disziplin mit ihrem breiten Fokus wahr- Jullien de Paris, den Gründer der vergleichenden Pädagogik, die Fachkompetenzen und deren Dimensionen. Da allerdings Internationale Zusammenarbeit und genommen. Dies liegt sicher u. a. daran, dass deren Verfah- der in seinem Essay Esquisse et Vues préliminaires d´un in der Tschechischen Republik keine Begrifflichkeit der kunst- vergleichende Pädagogik ren, Methoden und Grundprinzipien noch mehr definiert und Ouvrage sur l´Education compareé (1817) die Kompositi- pädagogischen Fachkompetenzen vorhanden ist, und da zwei An nahezu jeder Universität werden derzeit mehrere inter- etabliert werden müssen. Es wurden auch keine Instrumente onselemente der vergleichenden Pädagogik als eine verglei- Länder die Bildungsziele und Inhalte immer unterschiedlich nationale Projekte realisiert, zum Beispiel die Projekte Crea- für einen Vergleich und Austausch der internationalen kunst- chende Analyse und internationale Pädagogik bezeichnet. definieren, musste ich zuerst die curricularen Inhalte und tive Connections (2012 – 2015)1, oder Images and Identity2 pädagogischen Bildungsinhalte und Bildungsziele entwickelt Christel Adick findet in der Einführung in die vergleichende Lernziele operationalisieren und in die Fachkompetenzen an- (Fulková 2014: 17). Auf der Webseite der Zentrale für Un- und etabliert. Pädagogik, ein legitimer Teil der vergleichenden Pädagogik hand semantischer Verfahren transformieren.

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Aus dem Vergleich der tschechischen und bayerischen Aus den Forschungsergebnissen ließ sich für die bayerischen im Umgang mit der Materialvielfalt wie auch verschiedener Literatur Curricula stammen folgende Ergebnisse: Gymnasien mit Blick auf die personalen Kompetenzen eine Arbeitsvorgänge. Die österreichischen Lehrer bezogen sich Adick, Christel: Vergleichende Erziehungswissenschaf. Eine Einfüh- u In den bayerischen Lehrplänen des Faches Kunst für das stärkere Orientierung an kognitiven Kompetenzen, an Konzen- immer auf Kunstgeschichte, auch im Hinblick auf die nun von rung. Kohlhammer, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-17-018858-7. achtjährige Gymnasium sind die Lernziele im Gegensatz zu tration, Ausdauer und der Fähigkeit zur Bewertung eigener den Lehrern selbst zu formulierenden Fragen in der Matura Fulková, Marie: Kvalitativní metody výzkumu vaktuálních výzkumných den tschechischen häufiger definiert, besonders hinsicht- und fremder Arbeiten feststellen. (Uhl Skřivanová 2013). projektech KVV PedF UK zlet 2011 a 2012/I (Vybrané metodolo- lich der künstlerischen Arbeit (technische, methodische, Hinsichtlich Gestaltungstechniken und konzeptuellem Vor- Digitale Medien wurden während des Unterrichts selten gie a metody). In Uhl Skřivanová (Hg.): Pedagogika umění – umě- mediale Kompetenz). gehen wurden an den tschechischen Gymnasien häufiger eingesetzt, obwohl der Lehrer seinen Unterricht oft mit Hilfe ní pedagogiky aneb inovativní, interkulturní a interdisciplinární u Im tschechischen Curriculum liegt der Akzent auf den per- kombinierte und experimentelle Techniken angewandt, im von Internetquellen vorbereitet hat. Dies konnte auch in přístupy kedukaci. Ústí nad Labem: UJEP, 2014. ISBN 978-80- sonalen Kompetenzen, d. h. der Identifikation, der Selbst- Gegensatz zu den bayerischen Gymnasien, wo oft klassische Tschechien beobachtet werden (Šobáňová 2012: 38). 7414-582-7. bestimmung, des Erlebnisses, des sinnlichen und differen- Techniken und Arbeitsstrategien genutzt wurden, um techni- Hornberg, Sabine: Anmerkungen zur Vergleichenden Erziehungswis- zierten Wahrnehmens sowie den sozialen Kompetenzen sche und methodische Kompetenzen zu erlangen. Fazit senschaft in der Bundesrepublik Deutschland und zu den folgen- usw. Die bildnerischen Arbeiten an den tschechischen Gymna- Es ist notwendig, die kunstpädagogischen Instrumente des den Beiträgen. In Hornberg/Dirim/Wojtasik-Lang/Mechril (Hg.): u Die bayerischen Lehrpläne unterstreichen im Vergleich zu sien hatten oft ihre Quelle in der Literatur, in fächerübergrei- Vergleiches, Austausches und Verständnisses und der Eva- Beschrieben-Verstehen-Interpretieren. Stand und Perspektiven den tschechischen die kognitiven Kompetenzen. fenden Projekten, Bezügen zu Kunstwerken oder Kunststilen luation der internationalen Bildungsinhalte zu suchen. Der International und Interkulturell Vergleichender Erziehungswissen- aus Geschichte, Alltag oder Natur. Weniger dagegen wurden vergleichenden Kunstpädagogik und Kunstdidaktik gehört die schaft in Deutschland, Waxmann Verlag, Münster 2009, ISBN In der nächsten Etappe der Forschung wurde die Einlösung künstlerische Recherchen in der gesellschaftlichen Realität Zukunft. 978-3-8309-2128-8. der Lernziele der tschechischen und bayerischen Curricula durchgeführt. Die bildnerischen Arbeiten an den bayerischen Mit dem akademischen Jahr 2014/2015 wurde an der Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Beltz Verlag. Weinheim während des Unterrichts in der gymnasialen Praxis aufge- Gymnasien gingen eher von Kunstwerken, der unmittelba- Karlsuniversität Prag das Fach Vergleichende Kunstpädago- und Basel 2007. ISBN 978-3-82-8229-5. zeichnet. Im Rahmen dieser Feldforschung wurden die Daten ren Naturanschauung, dem Porträt, der Architektur, der Ge- gik für die Doktoranden etabliert. Eine zunehmende Zahl an Průcha, Jan: Srovnávací pedagogika. Mezinárodní komparace im Kunstunterricht an sieben tschechischen und acht baye- brauchskunst oder Mode aus (Uhl Skřivanová 2012). internationalen Projekten und Forschungen machte dies not- vzdělávacích systémů. Portál, Praha 2012, ISBN 978-80-262- rischen Gymnasien erhoben. Die Dokumentation dazu enthält In Österreich wurden die Hospitationen an acht Gymnasien wendig, damit eine Basis des internationalen Austausches 0191-5. Hospitationsnotizen, Fotodokumentationen der Arbeiten von in Wien, Salzburg und Linz in den Jahren 2013-2014 durch- gefunden werden kann. Das Fach befasst sich mit den Mög- Šobáňová, Petra: Učitel výtvarné výchovy a internetové zdroje- in Schülern, Fragebögen für Lehrer mit dem Ziel, die konkreten geführt. Anhand gleicher Methodologie und Instrumente wur- lichkeiten und methodologischen Instrumenten der verglei- formací. In Myslivečková/Jurečková-Mališová (Hg): Výtvarná Unterrichtskonzepte des Lehrers zu erfassen. Die Hospitati- den die Forschungsbefunde ausgewertet. Es wurde deutlich, chenden Kunstpädagogik im Sinne einer wissenschaftlichen výchova ve světě současného umění a technologií I. Využití ITC onsnotizen aus dem Unterricht von sechs tschechischen und dass die österreichische Schulrealität mit der tschechischen Disziplin, mit ihrem Rahmen und Verfahren (im Zusammen- a dalších nových přístupů ve výtvarné výchově. KVV PF UP, Olo- sechs bayerischen Kunstlehrern wurden mit der Methode der durch die gemeinsame Historie mehrere Ähnlichkeiten zeigt. hang mit den Verfahren der Sozialwissenschaften: Soziolo- mouc 2012. ISBN 978-80-244-3089-8. Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2007) hinsichtlich Das zeigt sich bereits beim Namen des Faches, das in bei- gie, Psychologie, Ethnologie; empirischen, interkulturellen, Uhl Skřivanová, Věra: Kompetenzorientierung im tschechischen und realisierter Lerninhalte ausgewertet. Aufgrund einer Triangu- den Ländern Bildnerische Erziehung heißt. Spiel wird oft auch interdisziplinären Verfahren; qualitativer und quantitativer deutschen Kunstunterricht, Komparation der Bildungsinhalte. lation zwischen Unterrichtsbeobachtungen, Fragebögen und im Gymnasium als didaktische Methode angewandt und ein Forschung in der vergleichenden Pädagogik). Die besonde- BDK Mitteilungen 1. 2012, S. 27-30. ISSN 0005-2981. Fotodokumentation wurden folgende Ergebnisse gewonnen: bildnerisches Erlebnis kann man als eine didaktische Katego- re Aufmerksamkeit gilt der Orientierung der gegenwärtigen Uhl Skřivanová, Věra: Oborové kompetence výtvarné výchovy v dis- u An den tschechischen Gymnasien wurden die Visualisie- rie verstehen. europäischen Bildungsziele, der Visual Literacy und dem Ver- kurzu německy mluvících zemí. In: Kultura, umění a výchova. KVV rung der Imaginations- und Fantasietätigkeit des Schülers Die Fotodokumentation der Schülerarbeiten verschiedener gleich der tschechischen Fachbildung mit dem Ausland. Ab PF UP, Olomouc 2013. ISSN 2336-1824. http://www.kuv.upol.cz/ und die Interpretation der bildnerischen Resultate akzen- Jahrgangsstufen zeigt einen systematischen, strukturierten 2016/2017 soll den Studierenden zum ersten Mal auch das index.php?seo_url=aktualni-cislo&casopis=3 (abgerufen am tuiert. und bewussten Umgang mit dem Unterrichtsstoff während Fach vergleichende Kunstdidaktik angeboten werden. 16. 2. 2015). u Als Schlüsselwörter der kunstdidaktischen Schwerpunkte eines Schuljahres. Im Rahmen des Forschungsmusters wei- nannten die Lehrer: Kommunikation, Reflexion, Selbstaus- sen die Ergebnisse der Analyse darauf hin, dass die bayeri- druck, Fantasie und Kreativität. schen und österreichischen Lehrer bessere Systematiker sind u Die bayerischen Lehrer formulierten oft als Lernziele: als ihre tschechischen Kollegen. Möglicherweise liegt der Deskription, Komparation, Variation, Kombination und Orien- Grund bereits in den curricularen Vorgaben. In den tschechi- tierung in der bildnerischen Struktur. schen Lehrplänen sind die Bildungsinhalte sehr allgemein de- u Als Antworten auf die Frage nach den primären Fokussie- finiert und der Lehrer hat bei der Unterrichtsgestaltung eine rungen wurden an erster Stelle genannt: allgemein Kunst, große Freiheit. In den deutschsprachigen Ländern werden Gegenwartskunst und die eigene künstlerische Arbeit. konkrete Inhalte genannt, die vermittelt werden. Ein klarer Akzent wird an den österreichischen Gymnasien Die tschechischen Gymnasien strebten personale Kompe- auf das Material und seine Eigenschaften gelegt. Die Mög- tenzen stärker über fächerübergreifendes Arbeiten an. Die lichkeiten seiner Bearbeitung und Rezeption dienen oft als weiteren an tschechischen Gymnasien vermittelten und eine bildnerische Herausforderung. Der Unterricht unterstützt akzentuierten personalen Kompetenzen zielen auf Selbstbe- auf diese Art und Weise die Kompetenzen der Wahrneh- stimmung, Identifikation, Genussfähigkeit und Sensitivität. mung mit allen Sinnen, Variation, Kombination und Auswahl,

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Marc Fritzsche Viele Autor_innen fordern eine Beschäftigung mit zeitge- Bereich der Bildherstellung steht dem der Befund gegenüber, nössischer digitaler Kunst, einerseits um deren Möglichkei- dass bei Schülern die Wertschätzung für manuelle Fähigkei- ten kennenzulernen und selbst anzuwenden, andererseits um ten höher sei als für digitale11. Aspekte des internationalen ihre kritische Untersuchung von Gesellschaft für den Unter- Vielfach wird der Einsatz sozialer Medien für kunstpädago- richt nutzbar zu machen: „Through conceptual, social, politi- gische Aktivitäten verlangt und gelegentlich auch beschrie- 6 Tillander 2010: 59 kunstpädagogischen Fachdiskurses cal, and interactive experiences, new media artists critically ben. Mittels Fortsetzung und Ausweitung der Kommunikation 7 Sweeny 2009: 210 im Feld digitaler Medien expose the subtleties of the contour edge of digital visual außerhalb des Klassenraums könnten unbekannte Wege der 8 Delacruz 2008: 13 culture interfaces as they invisibly structure human activity.”6 Auseinandersetzung mit Künstlern und Öffentlichkeit be- 9 Mason/ Buschkühle schritten werden. Durch Facebook und andere soziale Platt- 2013 Global Citizenship formen ist Identität im digitalen Zeitalter zum kunstpädago- 10 Fritzsche 2013a Globalisierung wird generell als wesentliche Vorbedingung gischen Thema geworden. Zentrale Elemente seien visuelle 11 Marner/ Örtegren Der kunstpädagogische Fachdiskurs im deutschsprachi- des Buches formulierten Anspruch nicht gerecht: Weniger als des Einsatzes digitaler Medien angesehen. In diesem Zu- und textliche Kommunikation im Netz. Dabei seien Identitäts- 2014: 49 gen Raum hat nur wenige Verbindungen zu den meist auf zehn Prozent der verwendeten Quellen haben eine internatio- sammenhang wird häufig die Lehre eines kritischen Blicks erfindungen und -simulationen im Sinne eines ästhetischen 12 Buschkühle 2013 1 Fritzsche 2013b Englisch geführten internationalen Debatten im Fach.1 Dies nale Perspektive. Somit kann der sehr detaillierte Text ledig- auf deren visuelle Produkte gefordert, meist mit dem Ziel der Probehandelns möglich. Identitäten seien durch soziale Me- 13 Lu 2010: 280 2 Bresler 2007 betrifft sowohl die Rezeption der entsprechenden Texte als lich für den damaligen Stand der Diskussion in den USA als Förderung von demokratischer Partizipation und kultureller dien beweglich geworden, was auch eine Flexibilisierung der 3 Stokrocki 2007 auch die Veröffentlichung eigener Positionen in global orien- einschlägig angesehen werden. Eine genauere Untersuchung Emanzipation. Robert Sweeny betont, dass dies durch digita- Lehrerrolle erfordere. 4 Vgl. detailliert und mit tierten Publikationen und auf internationalen Kongressen. Die des internationalen Fachdiskurses4 im Feld digitaler Medien le Medien nicht zwangsläufig gefördert werde.7 In den USA Buschkühle betont die Notwendigkeit der inhaltlichen zahlreichen Quellenan- Kooperation von Fachleuten zumindest der Länder Deutsch- zeigt, dass weltweit manche Themen deutlich intensiver als werden verschiedene Projekte beschrieben, die auf Grun- Auseinandersetzung mit Lernenden über Identitätsfragen.12 gaben Fritzsche 2015 land, Österreich und Schweiz hat jedoch beim Salzburger im deutschsprachigen Raum diskutiert werden. dideen der Kritischen Theorie Bezug nehmen. Dort werden Dabei stünden die Entwicklung und Festigung von Haltun- 5 Marner/ Örtegren Kongress 2015 einen ermutigenden Aufschwung erfahren. auch über die Fachgrenzen hinausweisende Anforderungen gen im Vordergrund, wozu auf der Seite der künstlerischen 2014: 43 Dem war beim Bundeskongress 2012 in Dresden der bis Haltungen formuliert, beispielsweise von Elizabeth Delacruz: „Techno- Produktion ein gezielter, begrenzter Einsatz digitaler Medien dahin ungewöhnliche Einbezug internationaler Fachperspek- Einige Fachleute erwarten eine generell von der Technologie logy pedagogy is not only about technology, but also about erfolge. Andere Konzepte stellen digitale Medien deutlicher tiven vorausgegangen. getriebene Entwicklung der Kunstpädagogik, besonders in community building and public engagement”8. Sie hebt zu- ins Zentrum, bisweilen aus Gründen höherer Reichweite, In Deutschland und der Schweiz ist der Rahmen für bil- der neuen Generation von Lehrkräften. Deren Schwierigkeit gleich die Wichtigkeit von bedeutsamer Kommunikation her- insbesondere bezogen auf die außerschulische Arbeit mit dungspolitische Vorgaben meist auf die Bundesländer bzw. könnte jedoch angesichts ihrer eigenen Immersion im digi- vor und postuliert verantwortungsvolle Weltbürger_innen als benachteiligten Jugendlichen. Kantone, höchstens aber die Nation bezogen. Letzteres ist talen Medium besonders in der Distanznahme dazu liegen. ein Ziel von Kunstpädagogik. auch in Österreich die vorherrschende Perspektive. Dies trägt Dies wird auch als Problem für heutige Schüler angesehen. Eine umfassende Untersuchung zu einem EU-Projekt, das Virtuelle Realität, Computerspiele neben sprachlichen Barrieren dazu bei, den Blick tendenziell Anders Marner und Hans Örtegren haben bei schwedi- explizit politische und kunstpädagogische Lernziele verband, und E-Learning nach innen zu richten. Im Fall einer diesbezüglichen interna- schen Kunstpädagogen vier typische Haltungen gegenüber haben Rachel Mason und Carl-Peter Buschkühle herausge- Die Verwendung von Anwendungen virtueller Realität als tionalen Orientierung wird zumindest politisch und gesell- digitalen Medien ermittelt. Als ein Extrem sehen sie generel- geben.9 Darin wird sowohl der Transfer traditioneller Verfah- Lernumgebungen erscheint vielen Autor_innen attraktiv. Als schaftlich eher in Wettbewerbs- als in Kooperationskatego- len Widerstand beispielsweise unter Verweis auf begrenzte ren in digitale Medien als auch der Einbezug neu entstan- Bedingung für die Akzeptanz bei Lernenden wird ein hoher rien gedacht. Zudem können eventuelle fachbezogene sowie curriculare Ressourcen, als ein anderes die eher theoretische dener Möglichkeiten gefordert. Lernende seien zu einem Grad von Interaktivität gesehen. Allerdings könne der gene- kulturelle Spezifika, besonders aber die Reichhaltigkeit natio- Absicht der Integration einer vollständig digitalisierten Kunst- kritischen Standpunkt gegenüber Inhalten und Medien zu rell motivierende Aspekt des Einsatzes von digitalen Medien naler Debatten zu der Einschätzung führen, darüber hinaus pädagogik in ein „general subject managing all kinds of new be fähigen.10 dadurch konterkariert werden, dass die virtuelle Umgebung müsse kaum etwas berücksichtigt werden. Die Menge der media under one umbrella”5. Eine häufig auftretende Variante mehr Interesse von Lernenden auf sich ziehe als die darin an- Impulse, die dies beispielsweise in den Hochschulen ändern sei die gelegentliche Integration digitaler Verfahren. Seltener Orientierung an der Alltagswelt gebotenen Lerninhalte. wollen, ist derzeit noch sehr gut überschaubar. So wird eine sei eine tatsächliche konzeptionelle Einbettung zu beobach- der Jugendlichen Lilly Lu benennt drei Gründe für die Attraktivität von Virtu- Haltung reproduziert, die angesichts von Globalisierungs- ten. Viele Publikationen fordern, die Erwartungen, Interessen und eller Realität: die Nähe zu Spielen, die intensive Interaktion tendenzen in Alltag, Kunst und Wissenschaft unzeitgemäß Im Rahmen fachspezifischer Überlegungen wird häufig die Fertigkeiten der Jugendlichen für den kunstpädagogischen mit Objekten und Avataren von Besucher_innen sowie die erscheint und die mittelfristig zur Bedrohung für die Disziplin Möglichkeit betont, durch die Nutzung digitaler Medien Lern- Einsatz digitaler Medien zu nutzen. Sie experimentierten geringe Relevanz von Ort und Zeit13. Sie sieht als positive Kunstpädagogik werden kann. prozesse zu verändern und zu verbessern. Dabei werden die ohnehin regelmäßig mit digitalen Medien – allerdings meist Ergebnisse aktives Lernverhalten, freie Kommunikation und Dass es in einigen anderen Ländern ähnlich zugeht, hilft neuen Möglichkeiten in einem großen Teil der Veröffentlichun- außerhalb der Schule. Dort seien sie oft kreativeren und her- Selbstreflexion, während in ihrer Erprobung die Chat-Kommu- nicht weiter. Der US-amerikanische Fachdiskurs wird in- gen positiv und bisweilen unkritisch beschrieben. Die Forde- ausfordernderen Lernerfahrungen ausgesetzt als in der Schu- nikation mehrerer Anwesender zu Chaos geführt habe. Die ternational stärker als andere rezipiert und hat daher eine rung nach dem Einbezug aller Sinne wird nur gelegentlich als le. Eine generelle Ablehnung erscheine daher auch für den Anonymität durch das Verwenden von Avataren habe freie erhöhte Bedeutung für die globale Diskussion. Die Kehrsei- im Umgang mit digitalen Medien besonders wichtig betont. Kunstunterricht als nicht mehr akzeptabel. Diskussionen über Kunst befördert. Andere Autor_innen be- te dieses Sachverhalts zeigt sich beispielsweise im in den Generell als selbstverständlich wird inzwischen der Einsatz Gelinge es aber, digitale Medien kunstpädagogisch erfolg- tonen die Vielfalt der Lernmöglichkeiten, individuelle Zugän- USA publizierten „International Handbook of Research in Arts zu Zwecken von Dokumentation und Recherche angesehen. reich einzusetzen, so führe dies zu höherer Motivation und ge, die Zusammenarbeit von Lernenden unterschiedlicher Education“2. Der Abschnitt zum Forschungsstand bezüglich Forderungen nach einem Bezug auf medientheoretische oder Aktivität, beispielsweise in den Bereichen Kommunikation, Vorbildung und eine erhöhte gegenseitige Unterstützung, Computertechnologie und Kunstpädagogik3 wird dem in Titel technikphilosophische Grundlagen sind eher selten. Kooperation, Problemlösung, kritisches Denken etc. Für den wodurch die Motivation länger anhalte.

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Mary Stokrocki untersuchte auf der Plattform Second Life positive, bisweilen unkritische Grundhaltung der Publizieren- oder folgen. Erforderlich ist immer wieder die Distanznahme Fritzsche, Marc (2013b): Zur Internationalisierung des kunstpädago- einen Kunstkurs mit Mitteln einer „Digital Ethnography”. Ihre den gegenüber digitalen Medien festzustellen. Dies zeigt sich zum Gegenstand, beispielsweise durch die grundsätzliche gischen Fachdiskurses. In: Burkhardt, Sara/ Meyer, Torsten/ Ur- Bilanz ist positiv: „Teaching on Second Life offers will sup- oft im Ausprobieren des Möglichen, ohne dazu eine reflexive Untersuchung, welche fachspezifischen Inhalte sich über- laß, Mario: convention. Ergebnisse und Anregungen #Tradition port building technology skills, designing structures, peer Distanz aufzubauen. haupt sinnvoll in Anwendungen virtueller Realität bearbeiten #Aktion #Vision. München: kopaed, 188-190. teaching and collaborative learning, appraising performance Andererseits sind vor allem in einigen angelsächsischen lassen und welcher Art die Lernerfolge sein können. Kritisch Fritzsche, Marc (2015): Interfaces. Kunstpädagogik und digitale Me- and reflection.“14 Sie stellt jedoch fest, dass wöchentliche Publikationen klare theoretische Konzepte erkennbar, die bei- zu reflektieren wäre auch, welche Erweiterungen und Be- dien. Dissertation, Justus-Liebig-Universität Gießen (Publikation persönliche Treffen wichtig waren für den Erfolg des Kurses. spielsweise auf der Kritischen Theorie gründen und/oder den schränkungen des Denkens aus E-Learning-Konzepten er- i. V.). Eine weitere Transferwirkung identifizierte Robert Sweeny in mündigen Global Citizen als Ziel (auch) kunstpädagogischer wachsen und wie sich diese auf kunstpädagogisches Lernen Lu, Lilly (Li-Fen) (2010): Demystifying three-dimensional virtual der Rückwirkung von virtuellen Identitäten auf den sonstigen Lehre sehen. Hier sind Verbindungen zu klassischen Bildungs- und Arbeiten auswirken. Zu hinterfragen wäre, wie weit die worlds for art education. In: International Journal of Education Alltag15. Auffällig ist, dass einige Autoren die kunstpädagogi- theorien angelegt, aber selten ausformuliert. Orientierung an der Alltagswelt Jugendlicher gehen sollte through Art 6 (3): 279-292. schen Möglichkeiten in virtueller Realität ausschließlich posi- Zwischen diesen beiden Polen im Feld intensiverer Nut- und ob dadurch eventuell wichtige Fachaspekte aufgegeben Marner, Anders/ Örtegren, Hans (2014): Education through digital 14 Stokrocki 2011: 13 tiv darstellen. Interessanterweise propagieren sie weitgehen- zung sind unterschiedliche Positionen auszumachen, auf de- werden. Generell sind bildungstheoretische Aspekte stärker art about art. In: International Journal of Education through Art 15 Sweeny 2009: 209 de Übertragungen tradierter kunstpädagogischer Verfahren in ren Basis sich Lehrende aus persönlicher Motivation oder aus als bisher zu reflektieren. 10 (1): 41-54. 16 Flood/ Bamford 2007: Second Life, indem sie vor allem virtuelle Museumsbesuche gefühlter Notwendigkeit mit digitalen Medien befassen. Ten- Mason, Rachel/ Buschkühle, Carl-Peter (Hg., 2013): Images and 96 und gelegentlich auch das Konzipieren von virtuellen Ausstel- denziell scheinen technikaffine und unkritische Positionen bei Literatur Identity. Educating Citizenship through Visual Arts. Bristol, Chi- 17 Ibid. lungen initiieren. Als wesentlicher Vorteil erscheint dabei die jüngeren Autor_innen weiter verbreitet. Gleichwohl gehen Bresler, Liora (Hg., 2007): International Handbook of Research in Arts cago: Intellect. 18 Ibid.: 100 Unabhängigkeit von Raum und Zeit. Allerdings fehlen grund- Fachleute in allen Altersgruppen davon aus, dass die Kunst- Education. Dordrecht: Springer. Stokrocki, Mary (2007): Art Education Avatars in Cyberspaces: Re- sätzliche Überlegungen zur Bedeutung der originalen Begeg- pädagogik den grundlegenden kulturellen Wandel zum digi- Buschkühle, Carl-Peter (2013): Freedom and Identity: Case Study by search in Computer–based Technology and Visual Arts Educa- nung mit Kunstwerken ebenso wie Vergleiche der Lernerfolge talen Medium konzeptionell integrieren muss. Dies wird als Germany. In: Mason, Rachel/ Buschkühle, Carl-Peter: Images and tion. In: Bresler, Liora: International Handbook of Research in Arts in beiden Bereichen. besondere Herausforderung für die Lehre gesehen. Unstrittig Identity. Educating Citizenship through Visual Arts Bristol, Chica- Education. New York: Springer, 1361-1379. Andere Publikationen favorisieren virtuelle Lernangebote erscheint, dass dabei die veränderte Alltagswelt der Jugend- go: Intellect, 251-275. Stokrocki, Mary (2011): A Participant Observation Study of a Digital bzw. deren Programmierung durch Lernende als Spiele. Davon lichen mit weitreichender Verfügbarkeit von digitalen Endge- Delacruz, Elizabeth M. (2008): From Bricks and Mortar to the Public Ethnography Art Class as a Series of Quests on Second Life. In- nicht eindeutig abzugrenzen sind herkömmliche E-Learning- räten und sozialen Netzwerken ein wesentlicher Bezugspunkt Sphere in Cyberspace: Creating a Culture of Caring on the Digi- SEA World Congress 2011 (CD-ROM), Budapest, Hungarian Art Konzepte für Jugendliche und in der Lehrerbildung. Auch in ist. Auch eine Orientierung an der Gegenwartskunst wird in tal Global Commons. In: International Journal of Education & the Teachers’ Association (HATA). diesem Bereich sind den Schilderungen des Machbaren nicht einer Reihe von Publikationen eingefordert. Arts 10 (5). Sweeny, Robert W. (2009): There’s no ‘I’ in YouTube: social media, in jedem Fall umfassende Erörterungen seiner Sinnhaftigkeit Relativ prominent sind Beispiele und Forderungen, virtuelle Flood, Adele/ Bamford, Anne (2007): Manipulation, simulation, stim- networked identity and art education. In: International Journal of beigefügt. Insgesamt überwiegen Angebote, die hauptsäch- Realität, Spiele und E-Learning kunstpädagogisch zu verwen- ulation: the role of art education in the digital age. In: Internation- Education through Art 5 (2+3): 201-212. lich tradierte kunstpädagogische Inhalte vermitteln. Eine den. Dabei werden sowohl eher passiv nutzende als auch ak- al Journal of Education through Art 3 (2): 91-102. Tillander, Michelle (2010): Digital Visual Cultures: The Paradox of the kunstpädagogische Thematisierung von Augmented Reality tiv programmierende Ansätze gewählt. In diesem Teilbereich Fritzsche, Marc (2013a): Tool, Medium and Content: Digital Media [In]visible. In: Sweeny, Robert W.: Inter/actions/inter/sections: ist bisher erst ansatzweise erkennbar. werden nur selten kritische Grundhaltungen formuliert. and the Images & Identity Project. In: Mason, Rachel/ Buschküh- art education in a digital visual culture. Reston, VA: National Art Adele Flood und Anne Bamford erscheint Kunstpädagogik Die anhaltend hohe Zahl der internationalen Publikationen le, Carl-Peter: Images and Identity. Educating Citizenship through Education Ass., 51-60. an der Grenze zwischen realem und virtuellem Raum heraus- lässt darauf schließen, dass eine umfassende kunstpädago- Visual Arts Bristol, Chicago: Intellect, 159-173. gefordert: „What place does art education have in providing gische Nutzung digitaler Medien im Wachsen begriffen ist. an Interface between the real and the imaginary?”16 Zugleich Dies könnte in besonderem Maße für die USA gelten. Aus der sehen die beiden Wissenschaftlerinnen ein zeitgenössisches zu beobachtenden teilweisen Trennung der Diskurselemente Motivationsproblem bei Lernenden: „How can we, as art zu technikaffinen und herkömmlichen Verfahrensweisen er- educators, restore passion and energy to the lives of the stu- wächst zusätzlich Unsicherheit. Das Ausmaß des digitalen dents we teach?”17 Sie sehen die Lösung in der Erschließung Medieneinsatzes lässt sich ohne empirische Untersuchungen des digitalen Mediums für persönlichen Ausdruck und in der nicht eindeutig erkennen. Es ist jedoch davon auszugehen, Dekonstruktion von virtuellen Repräsentationsverfahren. dass eine relativ große, aber schrumpfende Gruppe die Mög- lichkeiten des neuen Mediums nicht einsetzt oder nur auf Fazit eine gelegentliche Werkzeugnutzung begrenzt. While the impact of long-term intensive use of technology and Eine weitere Internationalisierung des Fachdiskurses er- interdisciplinary learning are unclear, it is evident that art edu- scheint dringend geboten. Darüber hinaus werden Desiderate cation needs to adopt a forward vision in terms of planning zu einer Ausweitung der Forschung in Klassenräumen formu- and implementation. Adele Flood18 liert, um die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen. Auch wenn der internationale kunstpädagogische Fachdis- Dabei sollte regelmäßig neben der Machbarkeit auch die kurs zu digitalen Medien nicht vollständig kohärent ist, so las- Sinnhaftigkeit von Vorgehensweisen reflektiert werden. Der sen sich doch einige Tendenzen erkennen. Häufig ist eine sehr Frage „Wie?“ sollte also die Frage „Warum?“ vorausgehen

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gehörigkeit uns voraus geht, um eine abwesende Anwesen- und einem Widersetzen gegen eine symbolische Ordnung heit in Erfahrung zu bringen. dar. Dies exemplifizierte ich mit der Figur der Antigone, die Ich verknüpfe nun eine Zugehörigkeit, eine abwesende An- sich als eine lebende Tote behauptete, eignete sie sich doch wesenheit und die Erfahrung. Und genau an diesem Knoten- die Sprache an, gegen die sie rebellierte.3 Nun, es würde punkt scheitere ich an meiner eigenen Unmöglichkeit, eine sich wohl um einen antigoneischen Tod handeln, den ich da Erfahrung des anderen für mich fruchtbar zu machen. Selbst in Schwebe halte, mit diesem Knoten verknüpfe. eine abwesende Anwesenheit ist eine Erfahrung, die sich auf Wenn wir davon ausgehen, dass der genannte antigonei- mein Gehörtes bezieht und gewiss ist es ein Körper von mir, sche Tod einer ist, der sich gegen eine symbolische Ordnung um den ich diese abwesende Anwesenheit schlinge. behauptet, wäre es auf einer schulischen Folie einer, der eine Ja, umschlinge, also eine Schlinge darum lege, wie um Möglichkeit eröffnet, mit der Sprache der Didaktik gegen eine einen Körper, den man erhängt. Ja, unmittelbar assoziiere ich institutionalisierte Vermittlungspraxis zu sprechen. 2 Roland Barthes: den bevorstehenden Tod, noch ist der abwesend anwesen- Ich spreche wohl von Störungen, Unterrichtsstörungen, Die Helle Kammer. de Körper nicht soweit, noch spricht er, noch hallt sein Echo und wie anders, anzunehmender Weise von Schüler_innen, Bemerkung zur Pho- nach, noch schenke ich dieser Abwesenheit einen lebendigen die vermeintlich den Unterricht stören, oder anders formuliert, tographie, Frankfurt a. Körper. Allerdings einen, der dem Tode zugeneigt ist. Und nun eine Zugehörigkeit in Frage stellen, wer wird da gehört und M.: Suhrkamp Verlag verwebe ich in meinem Knoten von Zugehörigkeit, abwesen- wer nicht, wer ist zugehörig und wer nicht, wer hört und wer 1989, S. 35 der Anwesenheit und Erfahrung den Tod mit ein. Jetzt wird nicht … Und wer macht da etwas abwesend und wer nicht, 3 Vgl. Judith Butler: dieser Knoten schon dichter, gar blickdicht, da scheint nichts und was ist das Abwesende, bzw. was wird abwesend ge- Antigones Verlangen: mehr durch. macht? Und ich frage weiter, oder knüpfe eher weiter, von die- Verwandtschaft Ja, da schneidet sich wohl der Blick, die Blicke, die dar- sem Knoten aus, mitten in den Unterricht und muss gestehen, zwischen Leben und auf prallen und zurück geschossen werden, die Schüsse, die auch ich als ein Subjekt der Lehrerin bin jene, die Störungen Tod, S. 18 kaum abgedrückt schon wieder zurückkommen, mitten in den überhört. Die abwesende Anwesenheit performiert, sich auf Lauf der Dinge, so wie sie sich zeigen und vor allem nicht einen tradierten Wissenschafts- und Pädagogikdiskurs stützt, Judith Klemenc zeigen. Sie hören, meine Gedanken galoppieren mitten durch darauf sitzt, wie sonst auf diesem Stuhl vor mir. Und nun, die- den Raum, die Schlinge um einen Gedanken zu wenig ange- ser Stuhl bekommt Bedeutung, seine Nicht-Besetzung wird spannt, Gedanken wie Pferde, wie galoppierendes Denken. bedeutsam. Er versinnbildlicht gleichsam Störungen. Oder Fahrradschlauchknoten Wissen Sie, so wie wir da sind, in diesem Raum, frage ich anders formuliert, er symbolisiert meinen blinden Fleck. mich, ob wir nicht alle da mit unseren Gedanken herum ga- Ich lasse ihn da stehen, ja, warum nicht, warum nicht ei- Der blinde Fleck – loppieren, ein Galopp von Gedanken, quer durch, abschwei- nen Stuhl als Voraussetzung für einen Unterricht, der Unvor- Öffnung auf Unvorhersehbares1 fende, konzentrierte, zugetane, irritierte … Ich möchte Sie hersehbares eröffnen könnte. nun an diesem Stuhl festmachen, ich merke, ich brauche Ich hatte es gestern probiert. Der Pultstuhl inmitten des einen Ankerpunkt, ein punctum. Zeichensaales. Rundherum meine Schüler_innen und ich da- Mit Roland Barthes bedeutet es „Stich, kleines Loch, klei- vor. Es war eigen, sehr eigen. Ich nahm an mir eine Nervosität Stimme aus dem Off liche. Das Hässliche als Anker, genau da, da ist der Anker zu ner Fleck, kleiner Schnitt …, das mich besticht (mich aber wahr, sprach nahezu mehr zu diesem Drehstuhl als zu meinen Nichts, nein nichts, unverständlich, sie, sie blind für das, für werfen, in dieses Meer der Hässlichkeiten, ja. auch verwundet, trifft).“2 Dieses Be- und Getroffensein von Schüler_innen und wie soll ich sagen, ich fühlte mich von 1 Dieser Beitrag ist eine alles, alles was damit zu tun, verdammt, scheiße, ich will nicht Halten wir einmal kurz inne, in dieser Präsenz von einer einem Unvorhersehbaren, ja, jenes punctum fessle ich nun an diesem Stuhl beobachtet, ins Visier genommen. Ich schaute stark gekürzte Version mehr, wieder von vorne, jedes Mal und mir geht, der Atem aus, abwesenden Anwesenheit, in diesem Hall eines Körpers, der diesen Stuhl. Folglich ist es dieser Stuhl, der mich betroffen mir da wohl selber zu, wie ich da tat, gewissermaßen stand der gleichnamigen aus in diesem System, in dieser Bildungsanstalt, ja, Anstalt, in spricht ohne zu sprechen. Nehmen wir einmal an, dass wir macht, mich trifft, dieser Knoten, den er nun für mich ver- ich neben mir. Da sprach eine andere, ich war als ein Sub- Lecture-Performance. der, in der Lehrer_innen und Schüler_innen gemeinsam, nein, durch diese abwesende Anwesenheit einen Körper in Erfah- sinnbildlicht, ein mögliches Abbild für eine Verknüpfung von jekt der Lehre Da-Neben, oder war es der Stuhl? Daneben, alles andere als gemeinsam, das Gemeinsame erkämpfen, rung brachten, den wir in diesem Echo wiedererkannten. Und Zugehörigkeit, abwesender Anwesenheit, Erfahrung und Tod. statt den Begriff des Dagegens, so wie Eva Sturm im Jänner Tag für Tag, unaufhörlich, Lehrer_in bleibt Lehrer_in, das Da- gewiss, es würde ein Körper gewesen sein, der sich jeder Eine Möglichkeit diesen Knoten an einer Sichtbarkeit festzu- 2014 meinte, als die Frage um einen anderen Terminus viru- gegen immer gegen die Lehrer_innen, ohne Ausnahme, ohne und jedem von uns anders spiegelte. machen, ihn gar seiner Halb- und Unsichtbarkeit zu entwur- lent wurde, um ein Dagegen aus einem binären Denken zu Kunstlehrer_in, auch wenn. Auch wenn, wenn stündlich, das Halten wir kurz inne und lauschen auf ein Verhältnis von zeln. Ich lade Sie nun ein, Ihre galoppierenden Gedanken um entkoppeln. Um nicht gleichsam gegen etwas zu sprechen, Öffnen, das Eingehen, das Zuhören, und, und … Und vor al- Hören und Zugehörigkeit, das ein Verhältnis zwischen einem einen Stuhl zu binden. Und da haben wir nun Ihre Gedanken, sondern etwas daneben zur Sprache zu bringen. lem, das Ja! Ja, gut, super, das Ja, das Mögliche, ja, genau, schweigenden Einverständnis über ein Unerhörtes und einer die einem Platz zugehören, abwesend anwesend sind, erfah- Nun, wenn ich den Eindruck hatte, von diesem Pultstuhl das. Meinen sie, ich sage das Hässliche sei schön, und, egal, kollektiven Übereinkunft über ein Gehörtes, das eine Zugehö- ren sind und am Rande etwas mit dem Tod zu tun haben. ins Visier genommen zu werden, jener Stuhl nicht minder also, das Hässliche, ihr Hässliches als Mögliches, nein, keine rigkeit konstituiert, offenlegt. Und in diesem Sinne erfuhren In meiner Publikation „Begehren, Vermittlung, Schule. Su- den blinden Fleck versinnbildlicht, so wäre zu denken, dass schönen Bilder, kein Dekor, sondern das, das was sich zeigt, wir folglich wohl als Zu-Gehörige einen Körper, der vor allem chende Erkundung dessen was auftaucht, während man tut“ es der blinde Fleck war, der mich da ins Visier nahm. Oder unvorhersehbar zeigt, auch wenn. Auch wenn für sie das Häss- abwesend ist. Und dies beinhaltet wiederum, dass eine Zu- legte ich das Verhältnis zwischen einem antigoneischen Tod das Daneben.

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Ja, so fühlte es sich an. Interessanterweise nahmen die nisse rekurrierend, in denen die Dinge in ihrem So-Sein und In meinem Fall löste er eine Verunsicherung in mir aus, fahrungen, befremdenden Andersheiten und einem symboli- 11-jährigen Schüler_innen davon überhaupt keine Notiz, der nicht in ihrem So-Sein-Müssen wahrgenommen werden. Wo eine, die mein Subjekt der Lehre deplatzierte, adressierte ich schen Tod. Anzunehmender Weise können wir die abwesen- Pultstuhl, der sich deutlich von den Schüler_innenhockern un- mit den Dingen wider deren Zu- und Einschreibungen ge- wohl mein Sprechen nicht (mehr) an meine Schüler_innen, den Anwesenheiten als Ausschlüsse und Verworfenheiten terscheidet, fiel offensichtlich nicht weiter auf. spielt wird und dadurch neue und andere Bedeutungs- und sondern an meinen von mir unbesetzten Platz. Mein Daneben möglicher Subjektformationen interpretieren, Erfahrungen Nein, sie seien nicht die 1c, sondern die 1b, und nein, Wirkungszusammenhänge er- und gefunden werden. verweigerte, wagemutig gedacht, eine hegemonial struktu- als ein Spielen, befremdende Andersheiten als mehr- und ich habe noch nichts von diesem Thema erzählt, und un- Ja, so wird es wohl sein, da ich infolge auch die 12. Schul- rierte institutionalisierte Sprechordnung, oder anders aus- uneindeutige dehnbare Körperfigurationen sowie den symbo- mittelbar fiel mir dieses Knoten-Schreiben ein, da vor mir stufe für ein Knoten von Fahrradskulpturen motivierte, und gedrückt: ich sprach gegen eine Sprache, die mich diktiert. lischen Tod als ein Verweigern normativer Subjektivierungs- mein Pultstuhl, und zugleich schob sich mir die zum Kabi- wie soll ich sagen, der Funke nicht sprang, nicht ansprang. Wenn wir nun uns den symbolischen Tod vergegenwärtigen, weisen. nettsinventar mutierte Kiste mit den Fahrradschläuchen in Ja, es wird was mit einem Kind-Sein und einem Erwachsen- würde es wohl heißen, ich riskierte ihn in gewissem Grade. meine Gedanken ein. Ich schlug vor, Skulpturen zu kreieren, Werden zu tun haben. Was die Schüler_innen der 12. Schulstufe betrifft, wäre Ich führe nochmals die drei Situationen vor Augen: aus Fahrradschläuchen, sie zusammenzuknoten, mit den Da wären also zwei sich ähnelnde Unterrichtseröffnungen, davon auszugehen, dass sie sich nicht auf das erwähnte Ri- u der Spalt zwischen den Fahrradschläuchen und den Schü- Knoten dreidimensionale Objekte zu gestalten, sie eventuell und in beiden tut sich ein markant unterschiedlicher Verlauf siko einließen. Vielmehr beharrten sie auf einer ihnen zuge- ler_innen der 12. Schulstufe, aufzublasen, ja, und in diesem Moment vergaß ich auch den auf: Kreierten die Schüler_innen der 5. Schulstufe wie wild wiesenen Subjektivierungsweise, eine, die ihrer Schüler_in- u der Abstand zwischen dem Pultstuhl und meinem Subjekt Stuhl, er war nicht mehr da. Ich rannte ins Kabinett nebenan, darauf los, wie wildgewordene Tiere, so konnten jene der 12. nenordnung entspricht. Von da aus rezitierten sie ein Subjekt der Lehre, holte diesen Umzugskarton voll mit Fahrradschläuchen und Schulstufe wenig mit dem Angebot anfangen, oder auf den der Schüler_innen, und wie anders, performierten sie nicht u der Übergang zwischen Möglichem und den Schüler_in- fing da an zu knoten, da eine Frage und dort, ja, gewiss, zu Punkt gebracht: verweigerten sie ein Kreieren von neuen und minder eine Ordnung, die sie als Schüler und Schülerinnen nen der 5. Schulstufe. dritt oder zu viert, wie sie wollen. Jetzt sofort, ja, warum anderen Bedeutungszusammenhängen von Fahrradschläu- hervorbringt und unterwirft. nicht, außer, nein, nicht alle auf einmal, aber sie sollen bitte, chen. Und da wären noch die Schüler_innen der 5. Schulstufe Zum Ausdruck kommt in dieser Auflistung der Wandel dieses da am Boden, jede Gruppe ihren Platz, wäre super, wenn Als ich gestern mit meinen Gedanken eine Schitour mach- aufs Tapet zu bringen. Interessanterweise waren es sie, die Dazwischen, dieses Verwandeln von einem Spalt, zu einem sie, wie viele? mehrere, ja vier, wenn, aber jede Gruppe min- te und mit diesem Knoten aus Zugehörigkeit, abwesender nicht nur meinen mir zugewiesenen zentralen unbesetzten Abstand und schließlich zu einem Übergang. Es wird aber destens sieben Schläuche … Und sie stürmten nahezu alle Anwesenheit, Erfahrung und symbolischem Tod meine Ge- Stuhl ignorierten, sondern auch jene, welche die Möglichkeit, auch deutlich, dass ein jeweiliges Dazwischen unterschie- auf diese Schachtel, über die Tische, darunter, da in dieser spräche führte, verlor ich derweilen den Halt in der Spur, skulptural mit den Fahrradschläuchen zu arbeiten, nahezu den war. Waren es bei den Schüler_innen der 12. Schulstufe Mitte, ich vergaß wohl zu erwähnen, dass die Tische in einer glitt aus und rutschte etwas daneben. Und zwischen dem grenzenlos auslebten. Ja, Bedeutungszusammenhänge nicht die Fahrradschläuche, die es spalteten, so konfrontierte es U-Form aufgestellt sind, die Schläuche, die Fahrradpumpe, Daneben und der Spur wurde mir unwohl bei diesem Knoten, nur von Fahrradschläuchen schlitzten, um sie neu und anders mein Subjekt der Lehre mit meinem blinden Fleck, und bei ein Chaos, oder nein, es wirkte nur so, die eine Gruppe und etwas stimmte nicht, ich nahm ihn auseinander, untersuchte zusammenzusetzen, sondern ihren Skulpturen auch Titel wie den Schüler_innen der 5. Schulstufe öffnete es Unvorher- die anderen, -zig Stimmen, -zig Körper, Clément und Noah, die einzelnen Fäden und es leuchtete mir ein, dass es diese die Masche, das Kostüm, das Motorrad, die Eifelschnuppe sehbares. Mutmaßend wird der unbesetzte Pultstuhl keine sie am Rande, hinter dem Pult, vor der Tafel, ein Knäuel Zugehörigkeit war, die sich da so gar nicht miteinbinden ließ. schenkten. unbedeutsame Rolle gespielt haben, womöglich sogar die von Kindern, Fahrradschläuche verknotend, ein Warten, die Und andererseits kam ich nicht umhin, diesen Gedankenfa- Auch in diesen Namengebungen wird ihr Spiel mit Bedeu- Hauptrolle. Pumpe, das Aufblasen, das Blähen, ausgedehnte Schlauch- den des Gehörten nachzuhängen. Ich erklomm also da mit tungszusammenhängen ersichtlich. Sie spielten damit, ihre Wenn er in meiner Person als ein Gegenüber mich in mei- knoten, und ja, ja, schaut wie toll, ja, wie super, ja, ja, eine diesem Unbehagen über eine verknüpfte Zugehörigkeit den Stimme durch- und miteinander, eine Sprechordnung nicht ner Anrufung als ein Subjekt der Lehre irritierte, gar befrem- Knotenskulptur, und ja, voll cool. Patscherkofel, als mir das Pendant dazu einfiel. Das Fremde, festzumachen, bildlich gesprochen, sie waren wie Fahrrad- dete, den Schüler_innen der 5. Klasse allerdings nicht weiter Ich bemerkte es erst jetzt, der Pultstuhl irgendwo am jenes, das nicht dazu gehört, befremdet und wie anders, die schläuche, die sich in mannigfaltigen und pluralen Richtungen auffiel, ja, an den Rand rollte, so wäre zu resümieren, dass Rand, außerhalb des Geschehens gerollt. Daneben. befremdenden Andersheiten. Ich musste schmunzeln über dehnten. Es handelte sich folglich um ein wildes Knoten von, dieser zentrale unbesetzte Platz einen Übergang zum Mög- Ich muss gestehen, mich fasziniert dieser Stuhl, dieser mich, da war etwas so naheliegend, so klar an und für sich, nun von was? Gewiss handelte es sich nicht um Eindeutiges, lichen kreierte. Und hinsichtlich dessen räumte der Abstand unbesetzte Lehrer_innenplatz, an dem sich wohl eine Zuge- und ich, die meine letzthin erschienene genannte Publikation es waren mehr- und uneindeutige Körperfigurationen, Fahr- zwischen meinem Subjekt der Lehre und meinem unbesetz- hörigkeit, eine abwesende Anwesenheit, eine Erfahrung und einzig diesem Begehren nach befremdenden Andersheiten radschlauchsubjekte, die sich wider ihrer symbolischen Be- ten Platz erst einen Übergang zu möglichen Subjektforma- ein antigoneischer Tod knüpfen. An dieser Stelle sei erwähnt, widmete, übersah jene. deutsamkeit behaupteten und neue Dimensionen von Fahr- tionen ein. Jener Raum zwischen meinem Subjekt der Lehre dass dieser besagte antigoneische Tod auf einer lacaniani- Wir hätten es folglich nicht mit der genannten Zugehörig- radschlauchformationen eröffneten. Kühn wäre zu behaup- und meinem mir zugewiesenen Platz, den ich nicht einnahm, schen Folie als ein symbolischer Tod bezeichnet werden keit zu tun, die da mit einer abwesenden Anwesenheit, einer ten, dass die skulpturalen Gebilde aus Fahrradschläuchen obwohl ich ihn ins Zentrum stellte, löste ein Begehren nach kann. Und dies ist insofern bedeutsam, als sich dieser Stuhl Erfahrung und einem symbolischen Tod verknüpft ist, sondern andeutungsweise mögliche Subjektformationen verknoteten, möglichen Subjektformationen aus. Ich drücke es ein wenig einer symbolischen Relevanz entzieht, sich einer wohl auch mit befremdenden Andersheiten. Und ich muss gestehen, in deren Ausschlüsse und Verworfenheiten das Subjekt erst radikaler aus, jener Raum zwischen mir und meinem blinden hegemonial strukturierten institutionalisierten Schulordnung dieser Konstellation wird mir einiges klarer, lüftet sich gleich- konstituieren. Mit aller Vorsicht gedacht, wurden normative Fleck, den ich nicht nur zentral setz(t)e, sondern mich ihm widersetzt. Er insistiert gleichsam auf sein Da-Sein, ohne sei- sam der Spalt zwischen den Fahrradschläuchen und den Subjektivierungsweisen verstört und irritiert, oder präziser auch aussetzte, öffnete auf Unvorhersehbares. Nicht von ner Signifikanz gerecht zu werden. Das Interessante ist nun Schüler_innen der 12. Schulstufe, ausgedrückt, das Begehren nach befremdenden Anderheiten ungefähr bewegte sich der zentrale Sessel an den Rand, für mich, dass meinem mir zugewiesenen Platz, den ich nicht der Abstand zwischen dem Pultstuhl und meinem Subjekt eröffnete transformatorische Bildungsprozesse, die als ein während die Schüler_innen der 5. Klasse selbstvergessen einnahm, keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde und er sich der Lehre, der Übergang zwischen Möglichem und den Schü- Prozess des Andersdenkens oder Anderswerdens zu begrei- mögliche Formationen knoteten. am Rande des Geschehens befand. ler_innen der 5. Schulstufe. Jeweils öffnete dieser Knoten fen sind. Und an diesem Punkt setzte ich den blinden Fleck als Be- Warum? Ich weiß es nicht. Ich könnte nun versuchen, Er- auf ein Unvorhersehbares, auf etwas, das sich zeigen würde Nun, es zeichnet sich ab, es handelte sich allem Anschein dingung, um auf Unvorhersehbares zu öffnen, oder anders klärungen zu finden, auf kindliche Welt- und Selbstverhält- oder auch nicht. nach um ein Knoten aus abwesenden Anwesenheiten, Er- formuliert, die Anerkennung der eigenen Blindheit vor. Ja, vor

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was? Wie anders: vor Unerkenntlichem, Unerhörtem, Unver- ist ja Franzose, deshalb Eifelturm. Nein ist er nicht, aus der Evelyn May, Karl-Josef Pazzini, Andrea Sabisch, Manuel Zahn trautem, vor befremdenden Andersheiten. Schweiz, Deutschland, egal, von überall, aber auf jeden Fall, wie Sternschnuppe. Etwas wünschen, noch nicht, sie fällt, Stimme aus dem Off die Schnuppe mitten hinein, draußen das Kalte, drinnen das Gedanken zur Forschungswerkstatt Ja, super, ja!, die Masche aus der ersten Gruppe, nun die Helle, das leuchtet, in den Augen, in deren, ja, super, mega zweite Gruppe, wer, Alex spricht, nicht Luis, o.k., ein Kostüm, geil, ja, und Motorrad, genau, man kann es sehen, stopp, wir Visuelle Bildung und mindestens gleich laut Klatschen wie bei der ersten, müssen alle auf diese Seiten, von da, daneben … Blinder Fleck und Fiktion – Transdisziplinäre und die dritte Gruppe, eine Eifelschnuppe, weil, Clément, er kunstpädagogische Zugänge

Unser Thema „Blinder Fleck und Fiktion –Transdis- aus (vgl. Rittelmeyer 2011, 2013). Eine Möglichkeit, diesem ziplinäre kunstpädagogische Zugänge“ verweist Mangel zu begegnen, wäre hier – beispielsweise in Bezug auf darauf, dass die als Forschungswerkstatt konzipierte neuere medienästhetische Forschungen (vgl. Hörl/Hansen Veranstaltung in einen größeren Forschungskontext 2013) – verstärkt mit medienspezifischen Einzelfallstudien eingebettet ist, zu dem wir in Hamburg seit zwei anzusetzen. Jahren arbeiten: Visuelle Bildung. Um über eine Zweitens kritisieren wir eine allzu einseitige Erforschung zeitgemäße visuelle Bildung ins Gespräch zu kom- visueller Darstellungen als positive, statische oder wieder- men, haben wir aus dem weiten Spektrum visueller holbare Sichtbarkeiten und plädieren für die Berücksichti- Phänomene eine Videoarbeit von Mark Wallinger gung flüchtiger Akte der Bildwerdung bzw. des Bildentzugs. mit dem Titel Via dolorosa ausgewählt, um daran Während die kunstpädagogische Forschung eher Einzelbilder die Erforschung visueller Erfahrungen vor/mit/durch thematisiert, entstehen in den letzten Jahren zunehmend den Film zu thematisieren und der Frage nachzu- Bildfolgen jenseits einer klassischen Narration. Im Zusam- gehen, wie wir diese Erfahrungen für eine Theorie menhang damit werden die Zeitlichkeit von Bildakten, visu- der Ästhetischen Bildung und der Kunstpädagogik ellen Erfahrungen und Bildfindungen sowie auch die Grenzen übersetzen können. Um den thesenartigen Charakter der Bildlichkeit in verschiedenen Medien diskutierbar. Welche der Kurzvorträge auf dem Bundeskongress in Salz- Bedeutungen haben Bildfolgen und filmische Bilderfahrungen burg beizubehalten, wählen wir eine fragmentierte für die Kunstpädagogik? Form der Aufzeichnung, die Einzelpositionen deutlich Drittens sehen wir in einem mangelnden transdisziplinären macht. Vorgehen und dessen Zusammendenken in der Grundlagen- Mit unserem Workshop reagieren wir auf drei ,blinde Flecken‘ forschung einen dritten ,blinden Fleck‘ im kunstpädagogi- der gegenwärtigen kunstpädagogischen Forschung und The- schen Diskurs. Das Feld visueller Kulturen wird zwar schon oriebildung: seit ihrer Erfindung von der Kunstpädagogik bestellt, reicht Erstens antworten wir auf eine allzu ängstliche Einschrän- jedoch mittlerweile weit über ihre fachlichen Grenzen hinaus. kung dessen, was als Empirie gelten darf, also qualitativer, Seit der digitalen Zäsur beschäftigen sich vermehrt andere theoriebildender Forschung bzw. Grundlagenforschung. In der wissenschaftliche und philosophische Disziplinen mit den Diskussion um Kompetenzen in Zusammenhang mit Kunst unterschiedlichen, sich rasant verändernden medientechno- bzw. künstlerischen Tätigkeiten hat die Kunstpädagogik ihre logischen und visuellen Phänomenen. Einige dieser Ansätze Grundlagenforschung aus dem Blick verloren (vgl. Liebau stellen dabei insbesondere die Forschungs- und Denkweisen 2013, BMBF-Projektbericht 2014). Es überwiegen in den der Kunst (z.B. in der Artistic Research, vgl. z.B. Bardura und letzten Jahren (vor allem nach PISA) sogenannte Transferfor- Ziemer) und der Ästhetik heraus (z.B. in der Medien- und schungen zu künstlerischen Tätigkeiten, die die Auswirkun- Filmwissenschaft vgl. Hörl/Hansen, Mersch, Voss). Die In- gen eben dieser Tätigkeiten auf kognitive, soziale und emotio- tegration dieser Ansätze in transdisziplinäre Forschung und nale Kompetenzen untersuchen und ein sehr eingeschränktes Theoriebildung in der Kunstpädagogik verspricht immense Empirieverständnis zu Tage fördern. Bei genauerer Betrach- Impulse für die Erforschung gegenwärtiger Medien und For- tung sagen diese Forschungen deshalb wenig bis nichts über mate visueller Kultur. die spezifischen bildenden Potentiale der jeweiligen Künste, Versteht man Visuelle Bildung nicht bloß als Bildung durch bzw. bestimmter ästhetischer und künstlerischen Praktiken Bilder, sondern als bildliches Kontinuum und damit vielmehr

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als „kontinuierliche Infrastruktur für Wissensgenese schlecht- dem Sichtbaren, dem Unsichtbaren und deren Zeugenschaft Sichtbarkeit zu sehen, als auch das gleichzeitige antrainier- stillgestellten Standpunkt, wie es durch zentralperspektivi- hin“ (Pratschke 2013: 74), stellt sich die Frage, wie man mit als Form einer Subjektbildung beschreiben? Welche Relatio- te Vermögen, die Blindheit ,aufzufüllen‘ und auszugleichen. sche Sehgewohnheiten habitualisiert wurde. Vielmehr wird dem Zusammenspiel von Sichtbarem und dem Unsichtbaren nen und Zugänge werden am Beispiel von Wallingers Film Via Warum kann ich es nicht einfach lassen, die schwarze Flä- sie sowohl zum Grund, zur Projektionsfläche, auf die man operieren kann? Wie kann man die Wechselwirkung zwischen dolorosa relevant? che, die nicht nur ein Abwehrschild, sondern zugleich eine überträgt, konstruiert, (und das nicht erst, wenn man sich Projektionsfläche darstellt, schwarze Fläche sein zu lassen? auf dem Bildschirm darin spiegelt) als auch zur Figur, die sich Wieso wandert man entweder mit dem Blick von ihr weg von dem bewegten Hintergrund abhebt, manchmal von dem oder verhaftet dort und lässt die Fläche automatisch zur Pro- bewegten Außen in Bewegung gebracht wird. Indem die Flä- Andrea Sabisch jektionsfläche werden? che zwischen Figur und Grund changiert, entsteht eine Art Was hält die Bilder jenseits der Narration zusammen? Gibt konfligierendes Sehen zwischen beiden. Mit Gottfried Boehm es hier eine Verbindung jenseits der Semantik, die Imdahl als könnte man hier den „distinktionsbezogenen (Figur) und ,den Annäherung aus „denotations-überschreitende[n] optischen Zusammenhang“ an Kontinuität orientierten Blick‘ (Grund)“ unterscheiden, bezeichnet hat? (Boehm 1996: 286) Zum einen wird uns das die dennoch erst aufeinander bezogen Sinn werden (Boehm phänomenologischer Perspektive „Wiedersehen“ dieses Filmes, dieser bekannten Bildfolge 2012: 72). des Schmerzensweges durch den schwarzen Balken wie in Auf der Suche nach einem Bildkontinuum nehmen wir Ich nähere mich dem Film Wallingers auf eine phänomenolo- Das schwarze Rechteck in Wallingers Film verdeckt den einer Zensur verweigert. „Du sollst Dir kein Bildnis machen“ die Details wahr, auf der Suche nach Details entzieht sich gische Weise, d.h. ich versuche, davon zu sprechen, wie mir dahinter laufenden Film fast vollständig. Indem es zudeckt, oder „Du kannst Dir kein Bildnis machen“. (Waldenfels 2010: das Kontinuum. Es wird dauernd mäandert, variiert, woan- etwas an diesem Kunstwerk erscheint, ohne es von vornhe- verstellt, verweigert es die Sicht auf den filmischen Raum, 120) Zum anderen dient die schwarze Fläche als Indikator für ders hingesehen. Es ist fokusloses Sehen, das ein anderes, rein mit Theorie, also mit Worten zuzudecken und das Werk in den wir ebenso gerne eintauchen, wie in die Bilder als das Bild, als Verweis auf die Sehgewohnheit, etwas im Bild stärker sinnliches als bedeutendes Sehen in Gang setzt, ein lediglich als Affirmation einer Theorie zu betrachten. Gleich- Fenster zur Welt, um anderswo zu sein. Wir können nicht zu sehen. Darüber hinaus ist die schwarze Fläche aber im Begehren auslöst, das ich in Bezug auf ausgerechnet dieses wohl versuche ich, Anschlüsse an die Theorie mit Verweisen gänzlich dorthin und doch wächst der merkwürdige Wunsch, Verhältnis zu dem Gezeigten größer und dient nicht nur der Narrativ lange nicht mehr hatte. anzudeuten. zumindest in mir, bei längerer Betrachtung so etwas wie das Ablenkung des Blicks, der fehlenden Zentrierung und dem In diesem Kontext interessiert mich an der Phänomeno- ,Ganze‘ als Totalität sehen zu können (vgl. Konzeptionen des logie, dass sie die Prozesse der Bildlichkeit ernst nimmt, die Blicks u.a. bei Lacan). Stattdessen werde ich konfrontiert mit weit über verfügbare Bildkompetenzen hinausgehen. Zual- einer Abwehr, einem Schild, einem Schirm, der meine Seh- lererst geht es mir um die Verankerung von Bildern jenseits gewohnheit außer Kraft setzt. Es findet eine Umkehrung der eines aktuellen Bildträgers, denn Bilder funktionieren nur, weil üblichen Sehgewohnheiten statt: Das marginale Sehen, das Evelyn May sie ein elementares Erscheinen durch Variation bildhaft ,wie- üblicherweise an den Rändern stattfindet, wird entautomati- derholen‘ können. siert und erhält nun das Hauptaugenmerk. Indem ich eine Beschreibungsebene konstruiere, die von Was geschieht, wenn das motivische Sehen verhindert Annäherung aus der Perspektive meinem singulären wie auch zugleich kulturell geprägten wird? Es geht um Helligkeiten, Bewegungen, Abfolgen, An- Sehakt ausgeht, nähere ich mich dem genuin Ikonischen an- schlüsse, Richtungen, es geht um Nähe, Distanz, um Flüch- der Visual Studies ders als über das bekannteste Narrativ im westlichen Kultur- tigkeit, die Körperlichkeit in der Bewegung des Betrachtens kreis, dem Leidensweg Christi. Um einer bildhaften Sinnge- im Raum, den teilweisen Nachvollzug der Kamerabewegung, „Obwohl eine schwarze quadratische Fläche 90 Prozent des struktion, indem (Vor-)Wissen und (Wieder-)Erkennen eine bung auf die Spur zu kommen, interessiere ich mich zunächst um Erraten, Konstruieren, Entwerfen. projizierten Bildes auslöscht und der Ton fehlt, ist die Hand- Allianz eingehen, um die unsichtbare Bildmitte aufzufüllen. nicht für die Geschichte, nicht für das, was zu sehen ist, das Wenn man die Ränder des schwarzen Rechtecks sieht, lung aus Franco Zeffirellis Jesus von Nazareth (1977), auf Doch welche Annahmen verbergen sich hinter diesem Ver- Semantische, worüber wir zu reden gewohnt sind, wenn wir erscheinen die Schnitte anders als gewöhnlich, z.B. Blick- dem Mark Wallingers Video Via Dolorosa basiert, leicht zu sprechen? Und wer bzw. was wird mit diesen Aussagen aus- über Bilder und Filme reden. Ich lasse vielmehr das Seman- wechsel als Verkettung funktionieren nicht mehr. Das Zen- erkennen. Selbst aus den spärlichen Bildinformationen las- geschlossen? tische, die biblischen Subtexte, beiseite und frage danach, trum scheint still zu stehen. Die Ausschnitte oben und unten, sen sich Kontext und Ereignisse rekonstruieren, auch wenn Das Wiedererkennen der „Geschichte“ setze Kenntnisse was mir an diesem seltsamen Film visuell auffällt. Gleichwohl rechts und links gehen nicht zusammen, es ist schwer, das man den Film zuvor niemals gesehen hat – weil jeder die voraus, welche die Autor_innen des Wandtextes als kanoni- schwingt „die Grundfrage nach dem Verhältnis von Bild und Sehen zu fokussieren. Alles driftet auseinander, vereinzelt. Geschichte kennt (...).“ (Ausstellung Echte Gefühle: Denken siertes Wissen allen Ausstellungsbesucher_innen zuschrei- Wort [ist] von unveränderter Aktualität“ immer mit (vgl. Ba- Einzig der Rahmen und das Narrativ halten die farbreduzierte im Film, KW Institute for Contemporary Art Berlin, 23.02. bis ben und als einfach einstufen. Als solle ein Erfassen dennoch der/ Grave 2014: 4). Bildfolge zusammen. Und die Tonlosigkeit. Nichts, was wir 27.04.14) sichergestellt und die dunkle Bildmitte aushaltbar werden, Das Format der Darstellung erinnert an Zensurbalken, sehen könnten, hält die Bilder zusammen. Sie werden als Wie lässt sich Sichtbarkeit und ihr Bezug zum blinden Fleck folgte im weiteren Textverlauf eine kurze Zusammenfassung Todesanzeigen, Rahmen, Brettspiele, Kontrastfolien, einen flüchtige und visuell kontingente erfahrbar. anhand von Wallingers Arbeit und ausgehend von theoreti- der Passionsgeschichte, die (wie der Titel der Arbeit) für ‚ein- schwarzen Bildschirm, Malewitschs schwarzes Quadrat, Wenn wir einerseits von einem blinden Fleck im Sehen schen Perspektiven der Visual Studies deuten? Diese Frage geweihte‘ Betrachter_innen ein Wachrufen von Symbolen Magrittes Bild-im-Bild-Darstellungen, Alechinskys Konzep- ausgehen, den wir selbst nicht sehen können, den wir uns leitet meine Thesen, die zugleich meine Aufmerksamkeiten einer christlich-ikonographischen Bildtradition ermöglichte tionen von Margin and center. Vor allem erinnert mich das aber anderseits mechanisch als Trick vorführen können, wird widerspiegeln und mit einem Ausstellungstext der Berliner und Motive wie die Dornenkrönung oder die Kreuzigung Jesu schwarze Rechteck (wie das Innere des Rahmens) an das die Bandbreite von Sehen und Blindheit als kultureller und sin- Kunst-Werke beginnen: Trotz geschwärzter Abdeckung im über den Bildrand identifizierbar werden ließ. Das Sehen wur- Format eines Bildes, an dessen Abstraktion. gulärer Praxis deutlich: sowohl das Unvermögen, inmitten der Video verspricht die Beschriftung die Möglichkeit der Rekon- de durch den Text gelenkt, der dabei half, die Lücke zu schlie-

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ßen. Gleichzeitig wurde eine favorisierte Lesart vermittelt, sie sich auf spezifische Betrachtungsweisen konzentrieren. Manuel Zahn die zur Abdeckung anderer Bildassoziationen und Deutungen Halls Fokussierung auf verallgemeinerbare Rezipient_innen- beitrug. Positionen geht bspw. aus einer kommunikationswissen- Sichtbarkeitsmechanismen, wie sie in dem Beispiel anklin- schaftlichen Auseinandersetzung mit dem Text hervor und die Annäherung aus filmwissenschaftlicher gen, und ihre Abhängigkeit von bestehenden Wissens- und Anwendung seines Modells auf Bilder oder Filme präferiert Machtverhältnissen bilden Forschungsschwerpunkte der ihre Programmierbarkeit. Identifizierbare Lesbarkeiten gewin- Perspektive transdisziplinären Visual Studies, die „(...) danach fragen, nen an Bedeutung, während Sehakte und verschiedenartige was für wen wie und warum sichtbar (gemacht) ist (...)“ Ansprüche zwischen Bild und Betrachtenden u.a. aus dem (Schade, Wenk 2011: 104). Der Einfluss von Medien auf Blick geraten. Trotz erforderlicher Konzentrationen und unter- An Wallingers Arbeit interessiert mich insbesondere die Beo- unsere je kulturell-biographisch unterschiedlich ausgeprägten Prozesse der Bedeutungsherstellung wird zu einem zentralen schiedlicher Aufmerksamkeiten ließe sich fragen, wie blinde bachtung, dass wir trotz oder gerade aufgrund der schwarzen Filmerfahrungen und Sehgewohnheiten. Die schwarze Fläche Bestandteil der Analyse, in die auch Reflexionen kultureller Flecken einkalkuliert werden können. Und inwiefern könnten Fläche, die den größten Teil des Bildes verdeckt, Bilder sehen in Via Dolorosa führt zu einem Bruch mit Sehgewohnheiten 1 Ich danke Anna Kontexte und institutioneller Strukturen einfließen. Semioti- die Perspektiven der verschiedenartigen Forschungstraditio- bzw. imaginierte Bilder sehend in/an das Filmbild hinzufügen. und lädt gleichsam zur Reflexion derselben wie auch zum Schürch für den sche Ansätze wie das Kommunikationsmodell von Stuart Hall nen produktiv werden, statt Abgrenzungstendenzen zu pro- Dabei wird die geschwärzte Fläche in einem ambivalenten Nachdenken über die Bildwerdungsprozesse des Films ein. Hinweis auf diese beleuchten Bedeutungskonstruktionen, indem das Verhältnis vozieren.1 Sinne zum „Bild-Schirm“, als Abschirmung bzw. Ausschluss Ich fasse ein paar meiner Gedanken thesenhaft zusammen, wichtige, weiterfüh- zwischen einem „Programm als ‚sinntragenden‘ Diskurs“ In der Arbeit Wallingers wird die Unerlässlichkeit des von Sichtbarem und gleichsam als Projektionsfläche für im die für eine Theorie der visuellen Bildung weiter ausgeführt rende Fragestellung. (Hall 1980/1990: 97) und Mechanismen der Kodierung und Nicht-Sichtbaren thematisierbar, wie ich abschließend objektiven Sinne unsichtbare, mentale Bilder wie Erinne- werden könnten: 2 Psychoanalytische Dekodierung im Produktions- und Rezeptionsprozess the- anhand eines weiteren Ausschnittes aufzeige, der auf rungen, Assoziationen, Vorstellungen oder Ahnungen. Dieser 1. Filmtheoretisch lässt sich Wallingers Video als eine äs- Betrachtungen, wie matisierbar werden. Aus dieser Perspektive wird das Bild symbolhafter Ebene Anschlüsse an Darstellungen des Beobachtung möchte ich hier in Bezug auf filmtheoretische thetische Reflexion auf das filmische Verhältnis des sichtba- sie von Karl-Josef als „visuelles Zeichen“ (ebd.: 99) zu einer bedeutungsvollen „Ecce homo“, der Schaustellung Jesu zulässt. Ein tradier- Überlegungen nachgehen. ren Bildfeldes zu seinem Unsichtbaren verstehen. Das Video Pazzini fortgeführt Botschaft, die je nach Wissensrahmen der Rezipient_innen tes Bildmotiv, das (Vor-)Wissenden ein sicheres Schließen Die Filmtheorie hat zur Beschreibung der Möglichkeiten geht dabei noch über die bisher filmtheoretisch formulierten werden, seien hier dekodiert werden könne. Abhängig vom Grad der Überein- durch die Bestimmung ermöglicht. Eine genauere Betrach- des Films, das Nicht- und Unsichtbare im Verhältnis zum Konzepte des Offs hinaus. Denn sowohl in klassischen For- nur angedeutet. Auch stimmung zwischen den kodierten und dekodierten „Bedeu- tung des Ausspruchs „Ecce homo“ – als Verweis auf eine Sichtbaren herzustellen und zu thematisieren, den französi- men des narrativen Kinos als auch in modernen, dysnarrati- die Auswahl dieses tungsstrukturen“ unterscheidet Hall drei mögliche Lesarten, Äußerung des Pontius Pilatus während der Verurteilung schen Begriff des hors-champ (engl. Off-Screen Space, kurz: ven Kinofilmen bleibt das Verhältnis auf ein sichtbares Bildfeld Beispiels wurde durch wobei eine „Politik des Bezeichnens“ bzw. der „Kampf im Jesu – lässt bereits Unterscheidungen in den Übersetzun- Off) entwickelt. und sein nicht- bzw. unsichtbares Außen beschränkt. In Via ihn inspiriert. Diskurs“ besonders auffällig werde, wenn „hegemoniale“ gen deutlich werden. Denn je nach Bibelfassung habe die Als Entdecker des filmischen Offs gilt der französische Dolorosa liegt aber das Unsichtbare inmitten des sichtbaren Lesarten durch „oppositionelle“ Deutungen kontrastiert wür- Bezeichnung verschiedenartige Darstellungen gefunden, Filmtheoretiker André Bazin. Er machte auf die Ambivalenz Bildes. den (Hall 1980/1999: 110). Im Video von Wallinger könnte etwa als „Siehe, der Mensch“, „Sehet, welch ein Mensch“ des Filmbildes aufmerksam, das einen Teil des Sichtfeldes 2. Via Dolorosa inszeniert so eine strukturelle Homologie etwa eine Gegenüberstellung symbolhafter Übereinstim- oder auch „Seht ihn euch an, diesen Menschen!“ (http:// durch eine Einrahmung hervorhebt und gleichsam andere zum physiologischen blinden Fleck des menschlichen Auges. mungen zwischen Darstellungsformen der Menschenmasse de.wikipedia.org/wiki/Ecce_homo: 30.04.2015; Hervorhe- Teile ausschließt. Somit hat jede Filmeinstellung zwei gegen- Die Erzeugung des menschlichen Sehens an der Stelle des so- und Pressebildern protestierender Islamisten zur Reflexion bungen EM). sätzliche Funktionen: sie ist gleichsam Rahmen (cadre) und genannten Mariot-Flecks bleibt zwingend unsichtbar, sowie medialer Mechanismen beitragen. Wie mächtig und auch In der Bearbeitung Wallingers wird der Anblick der Per- Versteck (cache); eine Einstellung rahmt ein Bild ein, wobei auch die Herstellung des filmischen Bildes die Wahrnehmung gewaltsam Auseinandersetzungen um eine „Politik der Bil- son Jesu unterbrochen, lediglich markante Symbole wie die sie die visuelle Szene außerhalb des Rahmens versteckt. Das und Einbildungskraft der Zuschauer_innen benötigt, ohne das der“ werden können, wurde nicht erst durch Debatten um Dornenkrone und der rote Umhang werden erkennbar. Ein Off ist somit der imaginäre Umraum des Films, der sich außer- diese jemals im Bildfeld des Films auftauchen würden. die Mohammed-Karikaturen deutlich. Doch während Ab- direktes Betrachten als einen Menschen, der ent-täuschen halb einer Einstellung, aber noch innerhalb der Diegese (des Der schwarze quadratische „Fleck“ in Wallingers Video deckungsmechanismen in Wallingers Film benennbar wer- könnte, ist verhindert. Die verdeckte Bildmitte bietet stattdes- filmischen Narrativs) entfaltet. Das Off ergänzt so das Sicht- zwingt die Zuschauer_innen zu einer Bewegung, die in einem den, lassen sich gesellschaftspolitische Sichtbarkeitsverhält- sen Raum für Projektionen und religiöse Aufladungen. Jesus bare der Einstellung und bildet zusammen mit der Montage nur zu denkenden Um- und Zwischenraum des filmisch Sicht- nisse weniger leicht enttarnen. Untersuchungen der Visual Christus kann zu einem Sinnbild für Leid, für Glauben und für die Voraussetzung für die Konstruktion eines kontinuierlichen baren nach Bildern sucht, die sich ein- und anfügen lassen. Studies leisten hier einen wertvollen Beitrag, um Steuerun- Hoffnung werden. Die notwendige Abschirmung zur Imagina- filmischen Handlungsraums – auch durch die Betrachter. Gleichsam nähen wir uns auch in den Film ein bzw. werden gen aufzudecken und auch danach zu fragen, was durch die- tion wurde direkt in die Bildmitte montiert und als schwarze Seit der Entdeckung durch Bazin haben viele Filmtheore- mit seinen Bildern vernäht – davon handelt wiederum ein se nicht sichtbar werden kann. Fläche sichtbar gemacht. Funktionen des Imaginären werden tiker das Off und seine Verhältnisse zum audiovisuellen Be- anderer filmtheoretischer Diskurs, den ich hier nicht weiter Wie jede theoretische Rahmung erzeugen aber auch die verhandelbar, die über symbolische Besetzungen hinausge- wegtbild, zur Montage, Narration und zum Betrachter weiter- ausführen kann: die Suturetheorie. hier thematisierten Standorte ihrerseits blinde Flecken, indem hen und des Nicht-Sichtbaren bedürfen.2 entwickelt und ausdifferenziert. Diese Positionen eint bei aller 3. Mit anderen Worten: wir stehen dem Film im Moment Unterschiedlichkeit die Betonung der Gleichwertigkeit von seiner Aufführung weder im Kino, noch im Fernsehen, noch sichtbarem Bildfeld und nicht- bzw. unsichtbaren Um- und auf dem Bildschirm eines Computers wirklich als Objekt ge- Zwischenraum der Filmbilder für die Filmerfahrung. genüber. Wir sind auf die zuvor skizzierte Weise für die Dauer In der skizzierten Perspektive der Theorien des filmischen der Filmerfahrung vom Film in Anspruch genommen und von Offs zeigt Wallingers Film in einer pädagogischen Geste auf ihm umfangen, sind Teil seines audiovisuellen Kontinuums. den imaginären Raum zwischen den/um die Bilder/n und auch Erst durch einen Medienwechsel wie beispielsweise der Be- zwischen dem Filmbild und uns als Zuschauer, gleichsam auf schreibung, der Übersetzung unserer Filmerfahrung in Spra-

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che oder Schrift produzieren wir artifiziell etwas, von dem wir schwer identifizierbar, was in diesem Prozess der Objektivie- zesse der Trennung, des Aufschubs, der Parallelverarbeitung, Huberman, Georges / Grave, Johannes (Hg.): Sprechen über nachträglich sagen, es sei ein Filmobjekt. Es bleibt allerdings rung der Film ‚macht‘ und was seine Zuschauer. der Trauer. Einen ganzheitlichen Menschen durch ganzheit- Bilder, Sprechen in Bildern. Studien zum Wechselverhältnis von lichen Unterricht als Erziehungsziel zu phantasieren, grenzt Bild und Sprache. München. an Terror. Boehm, Gottfried (Hg.) (1996): Imdahl, Max: Reflexion, Theorie, Me- Das Wegrechnen der Nicht-Sichtbarkeit ist verwandt mit thode. Gesammelte Schriften. Bd. 3. Frankfurt am Main. Karl-Josef Pazzini dem Paradigma des Einfühlens. Im schwarzen Rechteck hat Boehm, Gottfried (2012): Der Grund. Über das ikonische Kontinuum. das Licht Pause. Es befindet sich auf einer Projektionsfläche, In: Boehm, Gottfried, / Burioni, Matteo (Hg.): Der Grund. Das Feld da wo die Lichtstrahlen sich brechen (geometral). Das feh- des Sichtbaren. München: 2012. S. 29-84. Zufallende Kunst und Transfer zur Lehre lende Licht macht, dass ich beginne zu sehen, das Sehen zu Hall, Stuart (1980/1999): Kodieren/ Dekodieren. In: Bromley, Roger; bemerken. „Durch den Blick trete ich ins Licht“ (Lacan 1978: Göttlich, Udo; Winter, Carsten (Hg.): Cultural Studies. Grund- 113). Lacans Denken beruht an dem Punkt auf den Vorausset- lagentexte zur Einführung. Lüneburg, S. 92 - 110. In die Zeit der Inkubation des Themas des kunstpädago- Die rechteckige Verdeckung wird auf Dauer ins Bild inte- zungen von Sartre und Merleau-Ponty. Lacan, Jacques (1978): Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. gischen Kongresses in Salzburg fiel der Besuch einer Aus- griert. Aufmerksamkeit verschiebt sich auf die Ränder. Von Die genaue Beschreibung dessen, was man sehen kann Seminar XI. übers. von N. Haas. Olten: Walter. stellung „Echte Gefühle: Denken im Film in Berlin“. den Rändern her wird ins Zentrum etwas Ergänzendes proji- (geometral), lässt allmählich über das Sprechen oder Schrei- Pratschke, Margarete (2013): Das Bild als Killer-App. In: Mittelber- Wallingers Film (vgl. Die Welt 2014) ließ sich spontan mit ziert. Hier ist der Titel der Arbeit Via dolorosa hilfreich, jeden- ben oder Malen das Sehen entspringen (visuell). Mit diesem ger, Felix/ Pelz, Sebastian/ Rosen, Margit/ Franke, Anselm (Hg): „Blinder Fleck“ in Verbindung bringen. Beim Film sieht man falls für Christen. Für Nichtchristen ruft das allerdings keine Übersetzen wird aus dem individuellen Subjekt der Vorstel- Maschinensehen. Feldforschung in den Räumen bildgebender wenig von dem, was man erwartet. Der Impuls, enttäuscht narrative Sehhilfe auf, vielleicht Erinnerung an Schmerzmittel. lung eines, das sich zu erkennen gibt vom Anderen her. Indem Technologien. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im ZKM zu gehen, wird verzögert durch den Vorsatz, die Ausstellung Der Medienwechsel zwischen Schrift, Erzählung und Bild dieser Prozess zum Thema wird, beginnt das individuelle Sub- Karlsruhe vom 2. März – 19. Mai 2013, S. 63-74. zu sehen, also die institutionelle Umgebung und den Wunsch, kann Sprünge generieren. jekt sich zu bilden. Safouan, Moustapha, et al. (2005): Lacaniana. Les séminaires de doch etwas Anregendes von Kunst widerfahren zu lassen. Man könnte auch sagen: Der Schirm des Sehens rutschte Jacques Lacan 1964-1979. Paris: Fayard; Paris. Zitierte Passage Unterstellung: Der Künstler will mir mit der konkreten Gestalt- ins Bild, die abstrakte Version eines Phantasmas. Sie setzt Anmerkung: Dank an die Chefkuratorin, Ellen Blumenstein, die übers. von KJP. gebung etwas zeigen, was für mich interessant sein könnte. einen verstärkten Rückgriff auf Bekanntes in Gang. uns über den Künstler für den Beitrag in Salzburg eine Kopie Schade, Sigrid; Wenk, Silke (2011): Studien zur visuellen Kultur. Ein- Das muss mutatis mutandis auch für jede pädagogische Wenn der Schirm, der immer etwas ausschließt, ins Bild zur Verfügung gestellt hat. führung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld. Bielefeld. Situation erreicht werden. Sonst wird sie verlassen. Innerlich rutscht, dann wird er bearbeitbar. Waldenfels, Bernhard (2010): Sinne und Künste im Wechselspiel. oder äußerlich. Der Inhalt alleine schafft das nicht. (Kursiv ge- „Wenn wir beim Erwachen nach einem Traum die Augen Literatur Modi ästhetischer Erfahrung. Berlin. Die Welt (05.05.2014): setzt sind im Folgenden die Anschlüsse ans Pädagogische). öffnen, ist das, was wir zuerst unmittelbar vor uns haben, Bader, Lena/ Grave, Johannes (2014): Sprechen über Bilder – Spre- http://www.welt.de/wams_print/article988514/Altes-und-Neu- Ein Oszillieren beginnt: schwarze Fläche wahrnehmen und dieser Schirm des Phantasmas, den man nicht sehen kann, chen in Bildern. Einleitende Überlegungen. In: Bader, Lena / Didi- es-Testament-in-14-Minuten.html schnell einbauen in das drum herum Sichtbare, Bunte, Be- auf welchen aber alle Vorstellungen geschrieben werden“ wegte, es beginnt eine Art Negation, eine Entscheidung: Das (Safouan, et al. 2005: 123). Ein Phantasma, eine Einbildung, Schwarze soll eigentlich nicht sein, das gehört da nicht hin, ist Voraussetzung der gelingenden Repräsentation. Es ist das ist ein Eingriff und ein Angriff auf mich als Zuschauer. Das nicht vorher da, es taucht mit dem Moment des Erwachens Rechteck ist aber zu penetrant, um es einfach zu eliminieren. / Erinnerns auf, ist wie ein Tableau als Sortierinstrument zu Es gibt immer eine Erwartung, vielleicht auch ganz unge- denken. richtet. Diese Erwartung wird hier verwandelt in ein schwar- In der Rede vom ,Blinden Fleck‘ steckt etwas, wie die zes Rechteck. Die Erwartung verdeckt den Inhalt und zeigt, Forderung nach Reparatur, Kompensation, nach Heilung und dass ich etwas erwartet habe. Mit der Zeit wachsen die Ge- die Idealvorstellung von gleichmäßiger Sichtbarkeit. Auf Bil- fahren der Abschattung, weil man immer mehr weiß und dies dung bezogen hieße das gerade andersherum: Es braucht ein Hindernis werden kann wahrzunehmen. Die Kehrseite der Störungen, um die Kompensation einer partiellen Unemp- Abschattung ist die Generierung von Fragen. findlichkeit innerhalb von Erziehung, Sozialisation, Bildung Das schwarze Rechteck wird als Hindernis zum Produktions- und deren Veranstaltungen, z.B. Unterricht wahrzunehmen. anreiz. Da wäre etwas zu sehen: Konjunktiv bildlich. Hier möch- Die Rede vom blinden Fleck macht eine Voraussetzung te, hier könnte, hier sollte etwas sein. Oder: Da war etwas, das deutlich, die auf einer anderen Ebene ein blinder Fleck ist. sollte da nicht sein. Hier ist Zensur sichtbar. Partielle Nichtwahrnehmung wird von vornherein (a priori) Mit Zensur muss man auch im Unterricht rechnen. Unterricht als Fehler, der kompensiert werden muss, angesehen. Wie ist nur möglich in beschnittener Form. Einige eternelle Kritik an kommt es zu der Idealvorstellung, die vielleicht in dieser der Kombination von Kunst und Unterricht: zu wenig Zeit, Platz, Rede herrscht? Rationalisierungsgefahr und so, könnte auch die Produktions- Die medialen, materialen Wahrnehmungsvoraussetzun- voraussetzungen von künstlerischen Denken und Handeln elimi- gen werden in der Kunst thematisiert. Es gibt dabei Verlust nieren wollen. Kunstfreund und -feind berühren sich. an pragmatischer Nützlichkeit – zunächst. Es beginnen Pro-

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Sidonie Engels, Jan Grünwald, Gila Kolb, Barbara Mahlknecht, Anna Pritz, Anna Schürch, Bernadett Settele, Nora Sternfeld

Geschichte (nicht) weitererzählen Abb. 2: Booklet „Un- heimliche Materialien“. lernen. Revisionen der Studierendenarbeit im Kunstpädagogikgeschichte Rahmen der Erforschung des Archivs der Akademie Die AG Kunst Pädagogik Geschichte stellt sich vor der Bildenden Künste Wien

Um diesem Desiderat Rechnung zu tragen, will die AG Kunst Pädagogik Geschichte in einem transdisziplinären Pro- zess darauf hinzielen zu verstehen, wie Konstruktionen „fach- licher Grundlagen“ zustande kommen, welche Kunstbegriffe dabei relevant sind und auf welche Erzählungen oder Theori- en implizit Bezug genommen wird. Die Untersuchung betrifft in diesem Sinne das schulische Feld ebenso wie die Diskurse der Kunstvermittlung und der Kunst, insofern sie mit Begriffen dass dabei Geschichte gemacht wird, indem betont, ausgelas- verständnis des Fachs Kunsterziehung und zur Stellung von des Bildens operieren. sen oder vereindeutigt wird, ist gerade in einem Fach beson- Frauen an der Akademie im Zeitraum von 1938 bis in die frü- Abb. 1: Die AG Kunst Größere Anstrengungen zu diesem Feld fanden im ders wichtig, das froh ist, die historische Dimension an einige hen 1950er-Jahre. Pädagogik Geschichte deutschsprachigen Raum zuletzt in den 1970er-Jahren statt. wenige delegieren zu können. Denn die Geschichtsbilder sind Maren Blume, Maria Ettel, Nora Hofbauer, Fabio Otti, Ha- stellt sich vor Wir finden es an der Zeit, sich des Themenbereichs von wirkmächtig für das fachliche Selbstverständnis, bestimmen jrudin Diman, Michael Lueger, Veronica Schramek, Paul Türk, Kunst, Pädagogik und Geschichte aus einer aktuellen Per- unser Denken und Handeln und bedürfen gerade darum der Eva Eisner, Lisa Großkopf, Julia Moschen, Lisa Stumbauer, spektive wieder anzunehmen und diesen „blinden Flecken“ ständigen Revision. Es muss um eine permanente Neubefra- Caroline Fertl, Theresa Kohler, Martina Kogler, Donata Kuess, „In jeder Epoche muss versucht werden, im Selbstverständnis des Faches entgegenzuwirken. gung und Aktualisierung der Geschichte gehen, darum, immer Letafat Tavakoli, Birgit Knoechl, Anja Kohlweiss, Viktoria May- die Überlieferung von neuem dem Konformismus Auf dem BuKo 15 hat die AG Kunst Pädagogik Geschich- wieder und immer wieder anders zu lesen. Arbeit an der Fach- er, Raffaela Mayerhofer und Elisabeth Pfalzer präsentierten abzugewinnen, der im Begriff steht, te interessierte KollegInnen eingeladen, über Revisionen geschichte meint somit etwas anderes als eine schlüssige Er- die Ergebnisse dieser ‚Forschung‘ auf dem Bundeskongress sie zu überwältigen.“ der Kunstpädagogikgeschichte nachzudenken (Abb.1). Die zählung über das Fach: eine kritische Auseinandersetzung mit für Kunstpädagogik 2015 – als Booklet (Abb.2), Audioinstal- (Walter Benjamin) AG wurde auf dem BuKo 12 in Dresden von Jan Grünwald, den Voraussetzungen unseres fachlichen Denkens. lation, Blog und Performance Lecture. Obwohl die Darstellung einer Geschichte der Kunstpädagogik Gila Kolb, Bernadett Settele und Nora Sternfeld in kritischer Zentral für das Projekt erscheinen uns zwei Punkte. Er- zum Standard klassischer fachspezifischer Einführungsver- Auseinandersetzung mit den Dresdner Vorträgen zum Thema Auf dem BuKo 15 haben die Mitglieder der AG stens, dass der Prozess des Forschens nicht linear, gleichmä- anstaltungen zählt, bleibt das Wissen über die Geschichte „Herkunft“ gegründet. Sidonie Engels, Barbara Mahlknecht, ihre jeweiligen Perspektiven vorgestellt. ßig und symmetrisch war, sondern Debatte und Verhandlung der Arbeit zwischen Kunst und Bildung merkwürdig eindi- Anna Pritz und Anna Schürch haben sich der AG im Hinblick „In der Vorbereitung für eine Lehrveranstaltung im WS zwischen allen TeilnehmerInnen erforderte. Darüber hinaus mensional. Auch das Selbstverständnis aktueller Ansätze auf den BuKo 15 angeschlossen. Gemeinsam ist den Mitglie- 2014/2015 im Archiv der Akademie der bildenden Künste spielte eine spezifische Form des Eingebettet-Seins der For- erscheint häufig ahistorisch: So betreibt die Kunstpädagogik dern der AG, dass sie in die Ausbildung zukünftiger Kunstleh- Wien stießen wir auf einen bislang kaum bekannten Grün- schenden im Sinne des Involviert-Seins in einen spezifischen der Gegenwart wenig Reflexion der eigenen Historie. Das Be- rerInnen involviert sind und sich für die historische Dimension dungsmoment des Instituts für das künstlerische Lehramt institutionellen Kontext, in eine bestimmte Geschichte, in wusstsein über das Gewordensein ihrer Diskurse und Praxen des Fachs im Rahmen von Forschung und/oder Lehre inter- Wien. Es wurde als ‚Meisterschule für Kunsterziehung‘ im künstlerische, kuratorische und kunstpädagogische Praxen und darüber, dass Begriffe und Konzepte in ihren historischen essieren. Sie betrachten Fachgeschichtsschreibung aus ganz Jahr 1941 unter dem Rektorat von Alexander Popp, illegales von Lehre und Lernen, eine zentrale Rolle; denn schließlich Kontexten zu verstehen sind und dabei immer „umkämpft“ unterschiedlichen Blickwinkeln, wodurch eine spannungsrei- NSDAP-Mitglied seit 1935, gegründet. Dieser für uns über- wurde nicht Kunstpädagogik allgemein untersucht, sondern sind, fehlt weitgehend. Eine historisch-reflexive Beschäf- che, polyperspektivische Annäherung an die gemeinsame raschende Fund veranlasste uns, in der Lehrveranstaltung es wurden die Konstellationen und Implikationen der Grün- tigung mit gängigen Praxen an der Schnittstelle von Kunst Fragestellung entsteht: Welche und wessen Geschichte wird zur Institutionalisierung der Kunsterziehung an der Akademie dung des Instituts für Kunsterziehung befragt, an dem alle und Bildung sowie eine kritische Auseinandersetzung mit wie für wen und warum erzählt? gemeinsam mit den Studierenden zu arbeiten. Die Studie- TeilnehmerInnen – sowohl die Lehrenden als auch die Stu- dem bestehenden Kanon und dessen Herausforderung bzw. Von der Geschichte des Faches Kunstpädagogik ist zumeist renden forschten selbständig im Archiv der Akademie, aber dierenden – aktuell und zugleich institutionell verortet sind. Erweiterung erscheinen vor diesem Hintergrund notwendig die Rede, um dieses zu legitimieren, um seine Herkunft zu er- auch in Nachlässen und Bibliotheken, unter anderem zu den Darüber hinaus spielte für eine Re-Lektüre und Aneignung und relevant. klären, um es in eine Tradition zu setzen. Bewusst zu machen, Implikationen nationalsozialistischer Ideologie für das Selbst- von Geschichte das Format der Lecture Performance eine be-

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sondere Rolle: Sie bestand aus Zitaten von Dokumenten aus didaktik gilt – die enge Verzahnung von gestalterischem Tun keln und sie sich selbst nach eigenen Schwerpunkten zu Kontakt zur AG dem Archiv sowie aus Korrespondenzen und Protokollen, die und Werkbetrachtung zu finden, welche heute unter den erschließen. Studentischer Widerwille gegen die Verlesung [email protected] während des Rechercheprozesses entstanden waren. Das Schlagworten ‚Produktion‘, ‚Rezeption‘, ‚Reflexion‘ gefasst von historischen Wahrheiten mag widerständig sein, er allein Blog: https://wessengeschichte.wordpress.com Skript wurde gemeinsam zusammengestellt und geprobt. Mit wird. Diese Verbindung wird heute kaum in Frage gestellt, verändert nichts.“ (Bernadett Settele) Blog: https://andenherrnrektorderwienerakademiederkuenste.word- Blick auf das Archiv und seine Dokumente lässt sich sagen, zieht aber viele diskursrelevante Missverständnisse nach sich „Wenn ich zu aktueller Kunstpädagogik wie beispielsweise press.com dass durch die performative Aneignung des Archivs und der (vgl. Busse 2014). Auch erweist es sich als lohnenswert, die in ‚What’s Next‘ arbeite, stellt sich für mich genauso dringend in ihm eingelagerten Narrativen eine Art Enteignung und Wie- unterschiedlichen Orte der Lehrerbildung und deren institu- die Frage, wie das ‚Nächste‘ die Herkunft des eigenen Faches Literatur deraneignung von Geschichte durch die Studierenden kolla- tionelle Prägungen genauer in den Blick zu nehmen, um die versteht. (Auch des gedachten Radikanten ...) Ich glaube, Lisa Bolyos, Katharina Morawek (Hg.): Diktatorpuppe zerstört, Scha- borativ und kollektiv erprobt wurde.“ (Barbara Mahlknecht, Verschiedenartigkeit der fachgeschichtlichen Pfade zu erklä- dass die Frage, wessen Geschichte(n) erzählt werden, mehr den gering: Kunst und Geschichtspolitik im Postnazismus, Wien Anna Pritz) ren, aus denen die heutigen Positionen der Kunstdidaktik ent- ‚next‘ ist, als man es vermuten würde. 2013 „Fachentwicklung ist etwas, was sich langsam vollzieht. wachsen sind.“ (Sidonie Engels) Also: Wessen Geschichte der Kunstpädagogik wird er- Klaus-Peter Busse: Kunst unterrichten. Die Vermittlung von Kunstge- Trotz sichtbarem Wandel – z.B. dem Wichtigerwerden neuer „In Frankfurt/M. akademisch ausgebildet, kam ich nicht um zählt? Welche Geschichte wird nicht erzählt, ist aus dem schichte und künstlerischem Arbeiten, Oberhausen 2014 Medien – ist die Konstanz dessen, was als gültige Fachin- Geschichtliches wie Hilmar Hoffmanns ‚Kultur für alle‘-Para- Fokus geraten und warum? – Und was bedeutet das für das Sidonie Engels: Kunstbetrachtung in der Schule. Theoretische halte erachtet wird, hoch: Darüber, seit wann und unter wel- digma oder die Kritik am Kulturpessimismus der Kritischen Selbstverständnis eines Faches, das inhaltlich und metho- Grundlagen im „Handbuch der Kunst- und Werkerziehung“ chen Bedingungen etwas zur ‚Tradition‘ geworden ist, wissen Theorie herum, wie sie in den 1960er- und 70er-Jahren ver- disch an verschiedene Bezugswissenschaften und -felder (1953-1979), Bielefeld 2015 wir wenig. Die Gleichzeitigkeit von historisch unterschiedlich handelt wurden. Heute ist es in meiner eigenen Forschung (Kunstwissenschaft, Kunst, Pädagogik, Geschichte, empiri- Michel Foucault: Historisches Wissen der Kämpfe und Macht Vor- gelagerten konzeptuellen wie auch inhaltlichen Aspekten un- mehr die queerfeministische Frage nach Subjekten und Situa- sche Sozialwissenschaften ...) angeschlossen ist, bzw. sich lesung vom 7. Januar 1976, in: Dispositive der Macht. Über Se- seres Ausbildungscurriculums war mir z.B. im Studium über- tionen und ihren Bedingtheiten, die sich mir bei der Entwick- daraus nährt?“ (Gila Kolb) xualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978, S. 55–74 haupt nicht bewusst: Es gab keine Spannungen zwischen lung einer kritischen Fachperspektive stellt. Im Anschluss an die Statements moderierten Jan Grün- Stefano Harney, Fred Moten: The Undercommons. Fugitive Planning Naturstudium, modernistischem Abstraktionsgebot und Vi- Wenn ich über Fachgeschichte nachdenke, liegt es mir wald und Nora Sternfeld eine Diskussion, die sichtlich von & Black Study, Wivenhoe/New York/Port Watson 2013 sueller Kommunikation. heute nahe, an angebrochene Themen, abgebrochene An- starkem Interesse am Thema getragen war. In der Diskussion Michael Hardt, Antonio Negri: Demokratie! Wofür wir kämpfen, Eine fachgeschichtliche Auseinandersetzung gerade mit fänge und angefangene Diskussionen zu denken, in denen wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, wie sich blinde Frankfurt/M. 2013 dem lokal Gegebenen und Gültigen wirkt einer derart homo- Kunstpädagogik, Kulturelle und Politische Bildung sich einan- Flecken überhaupt adressieren lassen – denn wenn es darum genisierenden wie ahistorischen Sichtweise entgegen. Sie ist der, der Theorie und der Kunst zuwandten. Mich interessiert gehen soll, diese mitten im Kanon anzusprechen, dann be- Quellen im www für eine Ausbildung unabdingbar und sie ist ebenso notwen- dies gerade in Hinblick auf die Subjekte und Situationen, die steht immer auch die Gefahr, sie zu vereinnahmen. Im Zuge http://www.plattform-geschichtspolitik.org/html/weinheber-ausge- dige Voraussetzung für eine kritische Positionierung zu dem, durch diese Debatten und Praxen mitproduziert wurden. Dann der Debatte zeigte sich auch, dass es wichtig gewesen wäre, hoben.php was als ‚aktuell‘ erachtet wird, wie auch für die Weiterent- müssten soziale Kämpfe und widerständige Lesarten der Ge- mehr Zeit für eine Auseinandersetzung mit der Arbeit der http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt/2011/smrt-postnazismus. wicklung des Faches.“ (Anna Schürch) schichte unser Interesse wecken; auch Zeiten und Orte, an Studierenden einzuräumen, die einen über konkrete Fachge- htm „Meine Perspektive findet ihren Ausgang in der Feststel- denen minoritäre oder nicht-anerkannte Praxen, Diskurse und schichte hinausreichenden Resonanzraum zu methodischen http://socialtextjournal.org/periscope_topic/educational_outliers/ lung, dass der aktuelle kunstdidaktische Fachdiskurs geprägt Lesarten auftraten, an denen der Umgang mit Kunst und die und inhaltlichen Fragen aktueller Geschichtsarbeit eröffnet http://centerforthehumanities.org/seminars/extra-institutio- ist von gegenseitigem Un- und Missverständnis. Wie ich ge- Wissensproduktion anders angegangen wurden. Und ande- hatte. Insgesamt wurde dabei jedenfalls deutlich, dass gera- nal-education zeigt habe, kann ein kritischer Blick auf die Fachgeschichte rerseits gilt es, eine kritische Fachgeschichte (weiter) zu eta- de an der Schnittstelle von Kunst, Pädagogik und Geschichte helfen, die Gründe hierfür zu ermitteln und einen Ausstieg aus blieren, die sich mit heiklen Punkten der Geschichte befasst, ein großes Potenzial für die Vermittlungspraxis liegt, das weit den Legitimationsschleifen zu finden, welche die Diskussion und anders als so, dass sie die Vergangenheit zu umgehen über den Rahmen der Fachgeschichte hinausweist: von der seit Jahren bestimmen und aus denen die oft benannten und zu glätten sucht. Erinnerungskultur bis hin zu künstlerischen geschichtspoliti- Spannungen zwischen ‚Theorie‘ und ‚Praxis‘ – dem akademi- Wie genau für Studierende der Bogen von der (gut gemein- schen Interventionen und deren Vermittlung. schen Diskurs und der Realität in der Schule – resultieren. ten) Lehrveranstaltung zur eigenen Haltung zu schlagen ist, Mit meiner systematischen Quellenstudie zur Theoriebildung kann ich nur ahnen. Für mich roch es damals, als Studieren- in der Kunstpädagogik (Engels 2015), der ein ausführlicher de an der Goethe-Uni, wenn Fachgeschichtliches verhandelt Bericht zum Stand der historischen Forschung vorangestellt wurde, zu oft nach Mief und Muff und Selbstlegitimierung. ist, habe ich mir einen Zeitraum vorgenommen, der in der Mein Widerwille gegen die Erzählung vom Fach war nicht Betrachtung der Fachgeschichte bislang wenig Beachtung ungerechtfertigt – da wurden durchaus historische Positio- gefunden hat: die 1950er- und 1960er-Jahre. In dieser Zeit nen verkürzt wiedergegeben und als ‚Basics’ oder legitimier- sind im bundesrepublikanischen Deutschland maßgebliche tes Wissen hingestellt, statt uns die Gelegenheit zu geben, Weichen im Umgang mit theoretischen Grundlagen für den selbst zu forschen und zu diskutieren. Was, wenn mensch Kunstunterricht gestellt worden, die bis heute wirksam sind. die Codes versteht, aber sie eine/n nicht interessieren? Auch So ist beispielsweise in der ersten ausdifferenzierten Kunst- die Formen der Lehre sind meiner Ansicht nach zu hinterfra- didaktik von 1953 – also lange vor Gunter Otto, der in den gen und umzuwandeln, um angehenden KunstpädagogInnen geläufigen Darstellungen als Begründer der modernen Kunst- die Möglichkeit zu geben, Fachgeschichte weiterzuentwik-

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Nadia Bader, Birgit Huber, Catharina Jochum, Notburga Karl, hen, z.B. wie Mila bestimmte Strecken an ihrem Anschau- Die Lehrperson versucht der zunächst beschäftigten Schüle- Tobias Loemke, Thomas Röske, Christian Vittinghoff ungsobjekt misst, vergleicht und festzustellen scheint, dass rin eine parallelperspektivische Herangehensweise nahezu- Deckelhöhe und Bodenkante (beinahe?) gleich lang sind. legen. Abschliessend demonstriert sie, wie mit Hilfe eines Diese Messung wird zu einem wichtigen Ausgangspunkt für parallel verschobenen Blattes die noch nicht parallel verlau- Kunst und Begehren die Weiterarbeit. Nachdem Mila beim Zeichnen an den Blatt- fenden Linien kenntlich werden. Nur eine kleine Anpassung rand stösst, konzentrieren sich ihre Bemühungen darauf, die ist nötig. Implizit löst diese auch das Platzproblem. In Mila‘s Zeichnung als Ganzes in den Blattraum einzupassen, wobei weiterem Arbeitsprozess lässt sich beobachten, dass sie sie gezeichnete Linien Stück für Stück verschiebt und immer den Tipp der Lehrperson zwar scheinbar aufnimmt, doch ihr Als Autorengruppe verbindet uns eine große Affinität Wir haben uns für den Kongress formiert, um diesem ‚Wa- wieder vom zuvor festgestellten Messverhältnis ausgehend Korrekturversuch entpuppt sich als gegenläufig zum Vorge- zu Bildern – und eine gemeinsame Erfahrung: In un- rum‘ nachzuspüren – über die allgemeinen Forderungen nach die Gesamtanlage korrigierend rekonstruiert. führten. serer Forschung gab es jeweils einen Punkt, an dem mehr Bildkompetenz hinaus und im Bewusstsein, dass es Mit welcher Perspektive tritt nun die Lehrperson an diese Trotz beiderseitiger Bemühungen und gemeinsamem Ziel wir nicht weiter gekommen sind, an dem sich Argu- womöglich keine einfachen Antworten gibt. Wir nutzen dazu Situation heran? Im gemeinsamen Gespräch wird deutlich, ist ein gegenseitiges Verstehen keineswegs selbstverständ- mente im Kreis drehten – trotz der Anziehungskraft, einen Begriff des französischen Psychoanalytikers Jacques dass sie vom sichtbaren Zustand der Zeichnung ausgehend lich. Vor dem Hintergrund des Begriffes des Begehrens lässt die wir spürten, die wir nicht vollständig ergründen Lacan, den Begriff des Begehrens. Als Nicht-Psychoanalytiker verschiedene Angebote an Mila heranträgt, die auf ein bes- sich dieser Ausschnitt als exemplarisch dafür lesen, dass konnten, die uns (oder die, die wir beobachtet ha- eignen wir uns diesen Begriff an und versuchen, ihn für unse- seres Verständnis von Objekt und zeichnerischer Repräsen- Kommunikation stets unabgeschlossen und ungewiss bleibt. ben) aber angetrieben hat, immer weiter zu machen, re Zwecke nutzbar zu machen, im Sinne einer Metatheorie: tation ausgerichtet sind. Mila fokussiert hingegen die für sie Auch mag er dazu anregen, genauer hinzuschauen, sich der weiter Bilder zu produzieren oder Bilder zu genießen. der Begriff „Begehren“ definiert einen strukturell gedachten aus dem Prozess heraus virulenten Aspekte, den (gespreng- eigenen Orientierungen und blinden Flecken bewusster zu Warum zum Beispiel zieht uns Outsider Art an? Antrieb, der die wahrgenommene Unvollkommenheit unseres ten) Blattraum und das angenommene 1:1 Messverhältnis. werden, den Blick auf Anderes, Unerwartetes zu richten. Im Warum macht jemand ein Leben lang Hobby-Kunst? „Ich“ im „Anderen“ vorübergehend zu kompensieren vermag. Letzteres erweist sich nach kurzer Kontrolle der Lehrperson Kunstunterricht können sich neue Perspektiven auf das Beglei- Warum zeichnet sich jemand auf der Bühne einen Die Alteritätserfahrung im künstlerischen Tun ermöglicht als ungenau, was Mila zur sofortigen Korrektur veranlasst. ten und Beurteilen von (zeichnerischen) Prozessen eröffnen. Schmetterling auf den Körper? Warum verfehlt man eine derartige temporäre Einlösung der Vollkommenheit. Ein sich im Dialog, etwa zwischen LehrerIn und Schüle- Gegenhorizont zum Orientierungsrahmen offenbart sich. Ein rIn, obwohl sich beide Seiten so sehr bemühen? anderer Maßstab des Bildnerischen jedoch kann nicht nur die eigene Haltung bedrohen, er offenbart zugleich Mangeler- Catharina Jochum scheinungen der eigenen Ausgangslage. „That´s probably me“ Nadia Bader In der Bildgenese ist dieser Schrift- schiedlichen Perspektiven. Durch die zug das letzte Element des Selbst- Abbildung mehrere Bildträger wird Gut gemeint und knapp daneben bildnisses von Heinrich M. (Abb. außerdem auf die Quantität der Tä- 2) – ein Laie im Bereich des bildne- tigkeit verwiesen. rischen Gestaltens, der sich durch Er zeichnet aus der Erinnerung – Was geschieht, wenn in einer stand darin, eine Handtasche lebenslanges Interesse an Kunst das vorhandene und eingeübte Sche- schulischen Vermittlungssitu- als lineare Sachzeichnung pro- und eigener künstlerischer Arbeit ma eines Gesichts. Die Beherrschung ation unterschiedliche Orien- portional, räumlich treffend und auszeichnet und eine mehrjährige der Grundformen und proportionalen Abb. 1 tierungen und Begehrensmo- materialbezogen charakteri- eigenständige, aber nicht professi- Verhältnisse hat er über viele Jahre Abb. 2 mente aufeinander treffen? stisch wiederzugeben. Vor dem onalisierte Praxis im bildnerischen hinweg geschult und kann sie nun auf Der hier gezeigte Ausschnitt Hintergrund dieses gemein- Gestalten aufweist. Der Schriftzug seine spezifischen Merkmale hin vari- stammt aus dem qualitativ- samen Zieles begegnen sich scheint als eine Art Sicherung ein- iert anwenden. Die Hand, das einzige empirischen Forschungsprojekt Lehrende und Lernende im Ge- gefügt zu sein, um richtig verstan- Element, welches er abgezeichnet »Zeichnen – Reden«. (Kunz, et spräch und bringen ihre je ver- den zu werden – ein kokettieren mit hat, ist in einem anderen Bildmodus al. 2013; dazu auch Kunz in die- schiedenen Perspektiven ein. dem/ der impliziten BetrachterIn des dargestellt. Ein beobachtender Mo- sem Band) In zwei gymnasialen Die auf Videostills basierenden Bildes. Eine Reaktion, die der eines dus, kein imaginiertes Schema, son- Unterrichtsstunden haben wir Grafiken zeigen Momente aus Augenzwinkerns gleich kommt. In mehrfacher Hinsicht wird dern sehr viel reduzierter und scharfkantiger. Heinrich M. stellt zeichnerische Prozesse von SchülerInnen mit Standkameras dem Prozess der Schülerin Mila sowie ihrem ersten Gespräch eine Verdopplung der Darstellung eines Selbstbildes deut- sich in deutender Geste dar als einer, der auf etwas verweist, und Lehr-Lern-Gespräche mit einer Handkamera aufgezeich- mit der Lehrperson. lich. Die unterschiedlichen Ansichten seines Gesichts sind als Denker und Deuter, im Gestus des Lehrers und weniger als net. In der Visualisierung (Abb. 1) repräsentiert der Pfeil die Anhand der videographischen Prozessdokumentation las- nicht als Studien angelegt, sondern veranschaulichen eher Maler oder Zeichner, der sich direkt im Prozess des Gestaltens Lektion zum Zeichnen nach Anschauung. Die Aufgabe be- sen sich zeichnerische Strategien beobachtend nachvollzie- das Vermögen, ein Portrait zeichnen zu können – aus unter- mit Pinsel und Farbpalette befindet.

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Heinrich M. hat den Bildraum geklärt und verwendet die Durch die vertiefte bildnerische Beschäftigung kann es ge- unterstreicht die Wunde, die ein Sehnen hinterlassen kann. weil mich das Fremde und Unverständliche in seinen Arbeiten Aquarellfarben in einer sehr kontrollierten Weise und nicht lingen, einen sinnlich anschaulichen Inhalt nicht nur in seiner Die mit schwarzem Stift gezeichneten Blumenornamente anzieht. Die Bilder Manfred Nitschkes zeugen von einer Welt, etwa um zufällige oder uneindeutige Strukturen hervorzubrin- einfachen Präsenz wahrzunehmen, sondern ihn als Reprä- sind präzise gesetzt und gestaltet. die mir verschlossen ist, zu der ich keinen Zutritt habe, die gen. Er definiert den Farbauftrag bewusst, setzt die Flächen sentation, als Darstellung oder Symbol zu begreifen. Ernst Nitschkes Blumenornamente wirken wie besondere mir unerreichbar und unnachvollziehbar bleiben muss. Aber und steuert die Ausbreitung der Farben genau, um die pas- Cassirer sagt, es sei erst dann möglich, „in dem einfachen, Schmetterlinge, die ungebunden und frei durch das Bild flat- Nitschkes „Sprüche“ bilden eine Brücke: Sie sind Vermittler, sende Modellierung des Gesichtes zu erreichen. Es scheint sozusagen punktuellen Hier und Jetzt der Erlebnisgegenwart tern. Ihr regelmäßiger, zunächst streng getakteter Rhythmus weil sie in seiner und meiner symbolischen Ordnung auf ihre ihm um die Einhaltung der formalen, technischen und ästhe- ein anderes, ein Nicht-Hier und Nicht-Jetzt wiederzufinden“. bricht unten und seitlich ab. Jedes Schmetterlingswesen ist Weise verstanden werden können. tischen Regeln zu gehen. (Cassirer 1975: 133) Bildnerisches Gestalten ist für Hein- mit seinen vier Fühlern nach der gleichen, symmetrischen Auf meine Nachfrage an den Künstler, an was es liegen Das bildnerische Gestalten wird so eine Möglichkeit des rich M. und andere Laien eine Möglichkeit, Erfahrungen, bi- Struktur geschaffen und hat einen eigenen Raum; keines könnte, dass sich Nichtbehinderte für seine Arbeit interessie- Hineinholens des Schönen in die eigenen Erfahrungen des ografische Ereignisse und eigene Befindlichkeiten auf einer überschneidet einen Buchstaben. ren, zuckt er die Schultern und wiederholt mehrfach, dass er Lebens. Ein geordnetes Bild ohne zu große unklare Stellen anderen Ebene zu bearbeiten. So ist es möglich, sich Dinge Im Gespräch ist Manfred Nitschke irritiert darüber, dass ja der Behinderte sei und somit den Grund nicht kennen kön- ist für Heinrich M. schön. Er übt, bis eine Technik zum Reper- und Erfahrungen zu vergegenwärtigen und transformiert wie- ich „seine Sprüche“ für Bilder halte. Er hat seine Sprüche ne. Es wundere ihn sogar, dass die Nichtbehinderten sich für toire gehört und dann virtuos und gekonnt eingesetzt werden derzugeben. Es kann also die Vergegenwärtigung von Nicht- sorgsam festgehalten, aber keine Bilder gemalt! Damit haben ihn und seine Arbeit interessierten. Selbst verstehe er nichts kann, um die vertraute symbolische Ordnung herzustellen und Gegenwärtigem sein oder die Darstellung von etwas durch sie mit meiner Idee von Bild oder Kunst gar nichts zu tun. von Nichtbehinderten! zu bedienen. Durch die wiederholte Praxis des bildnerischen etwas. Mögliche Symptome eines Begehrens können dabei Nitschkes Werke sind also gänzlich anders zu verstehen, als Indem er mich darauf verweist, dass er von Nichtbehinder- Gestaltens kann er in die Sphäre des Künstlerischen eintre- nur symbolisch realisiert werden (Koller 2012: 52), d.h. die die Bilder der Laien Catharina Jochums, in denen sich deren ten nichts verstehe, spiegelt er mein wundersames Begehren ten und teilhaben, parallel oder auch im Kontrast zu seinem Bildwelt kann als intersubjektiver symbolischer Raum dienen, Vorstellung von Kunst dokumentiert (Abb. 2). an seiner Arbeit und seiner Person und weist mich zugleich sonstigen Alltag. Das Bildermachen bekommt so etwas Ent- indem man sich über Bilder und Kulturobjekte imaginär ver- Trotzdem missverstehe ich Nitschkes Bilder gern als Kunst darauf hin, dass nicht nur er mir fremd ist, sondern genauso lastendes und vielleicht ist es eine Möglichkeit, gegenüber vollkommnen und der Kunst nähern kann. und projiziere meine eigene Vorstellung von Kunst auf sie, ich ihm. der Welt in eine Distanz zu gehen.

Thomas Röske Tobias Loemke Das Begehren nach Outsider Art Manfred Nitschke malt „Irgendjemand fehlt Immer.“ Outsider Art fasziniert heute mehr Regeln mit erbitterter Konsequenz, denn je. Als Grund wird oft auf eine die ausgebildeten Künstlern wiede- besondere Authentizität dieser rum fremd ist. Was mag Kunstinteressierte wandelt sich seine Bedeutung. Werke verwiesen. Was kann damit Tatsächlich hat für viele Außen- und Kuratoren wie Massimilia- Zugleich weist das Bildhafte gemeint sein? Authentizität wird seiterkünstler das Künstlerische Abb. 3 no Gioni oder Udo Kittelmann des Blattes auf eine weitere im Inhalt und in der Form wahrge- keine oder kaum Bedeutung. Viel- Abb. 4 für die Bilder der Outsiders Deutungsebene. Das „fehlt“ nommen: in einem existentiellen mehr setzen sie künstlerische begeistern? In meinem Beitrag stört die Komposition des Anliegen und in dessen „direktem“ Verfahren ein, um wesentliche möchte ich diesem Begehren Blattes, da die Laufweite der Umsetzen. Aspekte ihrer Erfahrung oder ihres anhand eines Bildes (Abb. 3) einzelnen Lettern wegen Platz- Außenseiter-Künstler fühlen Lebens darzustellen, zu bearbeiten von Manfred Nitschke (*1956) mangels von Nitschke verkürzt sich trotz Fehlens künstlerischer oder auszuagieren. Einige sind so- nachspüren, der im KUNST- wurden und so die Typogra- Ausbildung nicht gehemmt im gar überzeugt, direkt in das gesell- RAUM der Pegnitzwerkstät- phie fehlerhaft wirkt. Mag Schaffen, was vor allem an der schaftliche Leben, wenn nicht so- ten/Lebenshilfe Nürnberg bei Nitschkes Blatt denjenigen, Dringlichkeit ihres Schaffensan- gar in größere, kosmische Zusam- Christian Vittinghoff arbeitet. Den Satz „Irgendjemand fehlt der eine Ästhetik der formalen Ausgewogenheit begehrt, triebs liegt. Manche sind künstle- menhänge einzugreifen – während Immer.“ verstehe ich zunächst dahingehend, dass er sich auf stören, muss es umgekehrt denjenigen, der das Durchbre- risch ausgebildet, lassen das aber Künstler sich mit symbolischer Re- das Sehnen nach der konkreten Anwesenheit eines Gegenü- chen einer konventionellen Komposition begehrt, erfreuen. plötzlich vollkommen außer Acht, weil ein neues existenti- präsentation von Wirklichkeit zufrieden geben müssen. Doch bers bezieht. Diese ist allerdings genauso wenig erreichbar, Trotzdem zeigt Nitschke in seiner Darstellung ein deutliches elles Anliegen mit dem Gelernten nicht angegangen werden sprengt diese Irrationalität, die sich zumal in magischem Den- wie jedes menschliche Begehren unerfüllbar bleiben muss. Bemühen um formale Richtigkeit. Die einzelnen Buchstaben kann. Außenseiter-Künstler nutzen künstlerische Mittel an- ken äußert, nicht nur künstlerische Konventionen. Sie begehrt In diesem Satz spiegelt sich die unstillbare Sehnsucht des sind sorgsam geschrieben. Es gibt keinen Klecks, der gerade ders als ausgebildete. Entweder sie folgen kaum positiven auch gegen die herrschenden symbolischen Ordnungen auf. Menschen nach einem vollkommenen Zustand, der sich al- beim Gebrauch von Wasserfarben schnell entstehen kann. Regeln und kennen Vermeidungsregeln nicht, die „Profis“ oft So scheint die Faszination für Outsider Art dem Lacanschen lerdings ständig transformiert und entzieht. Der Satz lässt Der Punkt am Ende des Satzes betont die Setzung seines das Schaffen erschweren. Oder sie folgen, wenn die Form Begehren zu entsprechen, das letztlich den Zustand vor Ein- sich streng, aber auch melancholisch lesen. Je nach Lesart Gedankens. Der wässrige Pinselduktus in vorsichtigem Rosa zum Anliegen gehört, einigen positiven und/oder negativen setzen der symbolischen Ordnung erstrebt.

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Als Beispiel möchte ich hier ein Werk von Else Blanken- solche verantwortlich für ein geradezu überirdisches karita- lichen Fangens – spielt sich in Jonas’ Spur des Zeichenstiftes und Motivvariation beeindruckend und exzessiv, so dass bei horn (1873-1920) aus der Heidelberger Sammlung Prinzhorn tives Projekt, die physische Ernährung aller vom Tode aufer- auf dem Papier immer wieder aufs Neue ab. Es ist ein am- Jonas das Begehren – per se unabschließbar und im Stadium anführen (Abb. 4). Die Professorentochter aus Karlsruhe, die standenen Liebespaare. Dafür brauchte sie Geld in Mengen, bivalentes Unterfangen, das Didi-Hubermann als bildtheore- von Transformation gefangen – explizit zu Tage tritt. Jonas sich aus Angst vor der Gesellschaft 1906 in den „Schutz- die jedes bekannte Maß überstiegen. tisches Grundproblem beschreibt; denn um die Flügel des kann den imaginären Raum dieser Transformation nicht dar- raum“ des Privatsanatoriums Bellevue in Kreuzlingen am Das Malen war für Blankenhorn hier also keine Kunst, Schmetterlings in Ruhe anzusehen, musst du ihn stillstellen, stellen; sie kann jedoch dessen Parameter abstecken und ihn Bodensee zurückgezogen hatte, hinterließ ein umfangreiches sondern stützte ihre eigene Realität – und das in mehrfacher also töten. Lebendig schafft der Schmetterling Bewegung, somit ermöglichen. Der Schmetterling, den sich die Künstle- Werk, neben Gedichten und musikalischen Kompositionen Hinsicht. Gefragt, warum die zur Seite gedrehten Beine ih- Vergnügen, jedoch so „wirst Du die Flügel nur flüchtig sehen rin in unserem Beispiel auf den Leib zeichnet, wird Symptom und Gemälden auch zahlreiche aquarellierte Blätter wie die- rer Frauengestalten zusammengelegt sind, sagte sie: „Da- können, einen Augenaufschlag lang. Das ist das Bild. Das Bild für ein Begehren nach Verwandlung und Selbstüberschrei- ses. Sie ähneln sich im Aufbau sowie im überschaubaren mit nichts passiert“. Die Schwebenden werden damit zu ist ein Schmetterling, etwas, das lebt und das uns seine Fä- tung, wobei der erotische Aspekt immer mitschwingt. Bildvokabular aus schwebenden, teils geflügelten Frauenge- Hüterinnen der Jungfräulichkeit, die Blankenhorn selbst higkeit zur Wahrheit nur in einem Aufblitzen zeigt.“ (Romero/ Vor dem kunstpädagogischen Hintergrund des Beitrags stalten, Reichsadlern, Weltkugeln, kurzen Aufschriften und gewaltsam genommen worden sein soll. Der Dienst an den Didi-Huberman 2015) und seiner ZuhörerInnen kamen wir schließlich zu dem Fazit, hohen Zahlenwerten. Auf der Rückseite sind sie mit nahezu Liebenden wird als Wiedergutmachung geleistet. Die Malerin Im Zeichnen des Schmetterlings legt Jonas bestimmte dass Formen des Begehrens, die aufeinander prallen, zwar zu identischen, aber gespiegelten Kompositionen bemalt. Offen- gestaltet mit ihren Blättern in besonderer Weise das Begeh- Vorstellungsbilder von ihm fest und tötet andere imaginative Irritationen führen, dass Formen des Begehrens aber auch zu sichtlich sind dies keine Bilder, sondern Papierobjekte: Geld- ren nach ursprünglicher Ganzheit vor einer aufgezwungenen Möglichkeiten ab. Gleichzeitig hat sich Jonas den Schmet- erstaunlichen Leistungen antreiben können. scheine über phantastische Summen. Blankenhorn glaubte, symbolischen Ordnung. terling ‚einverleibt‘, indem sie ihren Körper zum Bildgrund dass sie „im Geiste“ Gattin Kaiser Wilhelms II. sei und als und Fundament erweitert – und sie hat damit auch den War- Literatur burgschen Ort der Bilder vom externen Tableau (etwa eines Cassirer, Ernst (1975): Philosophie der symbolischen Formen I. 3. Mnemosyne Atlas) auf den – und in den – Körper hineinver- Aufl. Darmstadt Birgit Huber, Notburga Karl legt. Jonas’ Zeichnen des Schmetterlings verhilft dem/einem Koller, Hans-Christoph (2012): Bildung anders denken. Einführung Imaginären über symbolische Ordnungen zu Darstellbarkeit. in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse, Stuttgart Allgemein lässt sich anmerken, dass der Schmetterling (alt- Kohlhammer Joan Jonas zeichnet einen Schmetterling grieschisch ψυχη psyche, „Hauch, Atem, Seele“) und seine Kunz/Bader/Hostettler/Haug (2013): Zeichnen – Reden, Formen erstaunliche Entwicklung aus einer Raupe zum Bild der Ver- sprachlicher Artikulation in bildnerischen Prozessen, Hochschule wandlungskraft und der Sehnsucht nach Identitätswechsel der Künste Bern. Kulturen von vermeintlich schematisch (Abb. 5). Es des Menschen schlechthin wurde. Pedro G. Romero: Erkenntnis durch Montage. Ein Gespräch mit ‚absoluter‘ Fremdheit – wirkt wie ein Ritual. Das Bei Jonas finden sich seit 1970 immer wieder ähnliche Georges Didi-Huberman, in: http://fxysudoble.com/es/crono- mit radikal anderen sym- Skizzenbuch ist aufgeklappt Formen von Verwandlung und deren Figuren, wie Tiere, Mas- logia/erkenntnis-durch-montage-ein-gesprach-mit-georges-di- bolischen Ordnungen als und bildet einen Schirm vor ken, Zeichnungen, Spiegel. Dabei sind die mediale Opulenz di-huberman/abgerufen am 31.1.2015 den eigenen – sind immer ihrem Körper – genauer: Abb. 5 wieder Antrieb und Anreiz vor ihrem Unterleib. Auf für künstlerische Ausei- der Projektionsleinwand nandersetzungen. Für die finden sich Nahaufnahmen New Yorker Video- und von heimischen Nachtfal- Performancekünstlerin Joan tern, sowie eine feminine Jonas bilden animistische Gestalt mit insektenhaftem Ritualpraktiken oft eine strukturelle Vergleichsfolie für eine Kopf und Fächer. Umgeben von symbolhaft aufgeladenen kritische Selbstreflexion. In ihren Performances entstehen Alltagsdingen, wie Zirkel, Weltkugel, Kreis, Holzvogel posiert dann eigene, multimediale und mehrdeutige Bildwelten im sie auf einem Sofa im Freien. Ein symbolischer Sehnsuchtsort Übergang von Traum und Wirklichkeit, die auch das eurozen- entsteht. tristische Selbst- und Weltverhältnis zur Disposition stellen. Der historische Warburg erzählte den Schmetterlingen Speziell in ihrer Performance The Shape, the Scent, the als seinen „soul animals“ sein psychisches Leiden, wobei er Feel of Things aus dem Jahr 2005 blendet Jonas Motive des diese als personifizierte Nymphen gleichzeitig fürchtet. Jonas Bildwissenschaftlers Aby Warburg, ihre Hauptfigur in der reagiert performativ auf diese Worte mit dem Zeichnen des Performance, übereinander und lässt den dynamischen Bild- Schmetterlings. Ein imaginärer Raum, erotisch angehaucht, komplex, bestehend aus Schmetterling, Nymphe und Nacht- spannt sich nun innerhalb der Performance auf. Inneres ist falter, in unterschiedlichen Permutationen und in sämtlichen nach außen gekehrt und sichtbar gemacht, so auch ero- medialen Transformationen und Echos durch die Performance tisches Begehren, das als Motor zärtlich sowie flatterhaft flattern. Dabei zeichnet sie, wie in allen ihren Performances, zutage treten darf. Das Erhaschen eines Schmetterlings – als auch in diese dasselbe Faltermotiv wiederholt, beinahe unstillbares Wünschen und verspielter Aufschub tatsäch-

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Wolfgang Ranft wenden können, da sie nicht anerkannte Künstlerinnen und Düllo/Liebl/Kiel (2005): Liebl, Franz/Düllo, Thomas/Kiel, Martin: Before and Künstler im System Kunst sind. After Situationism – Before and After Cultural Studies: The Secret His- Definitionen für künstlerische Strategien finden sich im tory of Cultural Hacking, in: Düllo, Thomas/Liebl, Franz (Hrsg.): Cultural Künstlerische Strategien – Lehrplan von Berlin (Senat Berlin 2006: 19) bei Petra Kath- Hacking. Kunst des strategischen Handelns, Wien 2005, S.13-47. ke (Kathke 2005: 5), Ana Dimke (Dimke 2001: 14), Ansgar ELIA Konferenz 10.-12.05.2015: Enact: Learning in/through the Arts, ein Klärungsplädoyer Schnurr (Schnurr 2008: 130) und Nina Zschocke (Zschocke 7th. ELIA Teachers` Academie 2015. Theme 1: Artistic Strate- 2006: 62). Nachvollziehbar verwendet wird der Begriff un- gies in Education, Theme 2: Educational Practices in the Arts, Unter dem Begriff der „künstlerischen Strategien“ werden in diese Begriffe sind nicht einheitlich definiert. Da der Begriff ter anderem von Helga Kämpf-Jansen in ihrem Konzept der http://www.elia-artschools.org/activities/teachers-academy/ der Kunst und Kunstdidaktik wichtige Ansätze und Forschun- „künstlerische Strategie“ sehr häufig anzutreffen ist, werde ich ästhetischen Forschung und bei der kunstwissenschaftlichen theme (Zugr.25.03.15). gen verhandelt. Der Begriff findet sich in Dissertationen, in mich hier auf diesen konzentrieren. Publikation von Stefan Römer. Es finden sich einige Publika- Fischer-Lichte (2004): Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performati- Ausstellungsankündigungen, -rezensionen und -begleittexten „Strategie“ kommt aus der Militärsprache, bedeutete ur- tionen, die performative Strategien als künstlerische Stra- ven, Frankfurt/M. 2004. der letzten Jahre, in Lehrplänen für die Schule, in Studien- sprünglich Heeresführung und wird deshalb mit Krieg assoziiert. tegien bezeichnen und sich auf Judith Butler stützen, z.B. Kathke (2005): Kathke, Petra: Kunst in der Grundschule. Ein ordnungen, Lehrveranstaltungen und in Forschungsprojekten. Es sind Verbindungen zu dem Begriff der Avantgarde naheliegend. Erika Fischer-Lichte, Christoph Wulf/ Jörg Zirfas, Marie Luise Rahmen(lehr)plan für drei Länder: Berlin, Brandenburg und Meck- Allerdings sind die Ansätze, Definitionen und Verwendungs- Der Begriff der Strategie hat über die Politik Einzug in die Fachspra- Lange und Maria Peters. Wichtige Publikationen, die sich mit lenburg-Vorpommern, in: BDK-Mitteilungen, Heft 1, 2005, S.4-9. kontexte des Begriffs sehr unterschiedlich, so dass es bisher che der Soziologie erhalten. Von dort ist er im Laufe der 1980er dem Begriff auseinander setzen sind weiterhin Zimmermann Kämpf-Jansen (2001): Kämpf-Jansen, Helga: Ästhetische For- kein einheitliches Verständnis darüber gibt, was künstlerische Jahre verstärkt von der Kunst und Marktwirtschaft übernommen 2014, Ranft 2014, Burkhardt 2007 und Brohl 2003. In der Ver- schung. Wege durch Alltag, Kunst und Wissenschaft, Köln 2001. Strategien sind. Insbesondere für die Lehrpläne wäre es von worden. Dieser Weg der Begriffsverwendung und die unter- öffentlichung der Tagung mit dem Titel „Truth Is Concrete“ Kämpf-Jansen (2002): Kämpf-Jansen, Helga: Ästhetische For- großem Vorteil, wenn sich diese auf einen einheitlichen Be- schiedlichen Fachrichtungen belegen, mit welch weitreichenden (Malzacher/steirischer Herbst 2014) finden sich 99 „artistic schung. Fünfzehn Thesen zur Diskussion, in: BDK Mitteilungen, griff festlegen könnten, bzw. wenn in wissenschaftlicher Lite- Bedeutungen „Strategie“ aufgeladen ist. Die Bezugnahme auf Strategies“, wobei es sich hier hauptsächlich um Ansätze Heft 1, 2002, S.38/39. ratur nachgelesen werden könnte, was unter „künstlerischer die Verwendung in der Soziologie ist insofern problematisch, da von Künstlerinnen und Künstlern handelt, um möglichst po- Lange (2002): Lange, Marie-Luise: Grenzüberschreitungen. Wege Strategie“ alles verstanden wird. Eine kritische und konstruk- die Machtverhältnisse dort bedeutend sind. Als Referenz aus der litisch wirksam mit Ihren Aktionen in die bestehenden gesell- zur Performance, Königstein 2002. tive Auseinandersetzung könnte zur Klärung beitragen. Wün- Soziologie ist vor allem Michel de Certeau zu nennen, der bei den schaftlichen Verhältnisse einzugreifen. Die ELIA-Konferenz Malzacher/steirischer herbst (2014): Malzacher, Florian/steirischer schenswert wäre eine Tagung und/oder eine umfassende Strategien davon ausgeht, dass diese: „ […] ihr Verhältnis zu 2015 in Tilburg hat sich unter anderem mit „Artistic Strate- herbst (Hrsg.): Truth Is Concrete. A Handbook for Artistic Strate- Publikation, die sich damit beschäftigt, was jeweils mit den der Macht, die sie unterstützt, und durch einen eigenen Ort oder gies in Education“ beschäftigt. gies in Real Politics, Berlin 2014. künstlerischen Strategien gemeint ist, was demnach noch durch eine Institution schützt, unter objektiven Kalkülen verstek- Verwendet wird der Begriff aber nicht nur in wissenschaft- Peters (2000): Peters, Maria: Künstlerische Strategien und kunst- dazu gehört und was nicht und wie diese Ansätze auf den ken“ (De Certeau 1988: 25). Dieser Aspekt wird im Kunstkontext lichen Publikationen, sondern weitgehend in allen Kunstkon- pädagogische Perspektiven, in: Mar, Stephanie/Ziesche, Angela: Kunstunterricht übertragen werden können. Im Folgenden oft nicht gebührend berücksichtigt. Treffender für viele in der Li- texten. Selbst das ART-Magazin hat im Heft 11/2011 die Rahmen aufs Spiel setzen. Frauen Kunst Pädagogik, Königstein/ werde ich eine knappe Klärung versuchen und die wich- teratur sogenannte künstlerische Strategien wäre de Certeaus „zehn wichtigsten künstlerischen Strategien“ aufgelistet. Taunus 2000. tigsten Arbeiten und Quellen zum Begriff anführen. Definition von Taktiken (De Certeau 1988: 23/24). Die Autoren Ranft (2014): Ranft, Wolfgang: „Heute denken morgen fertig“. Die Das Adjektiv „künstlerische“ in dem Wortpaar „künstlerische Düllo, Liebl und Kiel schreiben: „Doch anders als bei de Certeau, Fazit Künstlertheorie von Martin Kippenberger zur Vermittlung von Strategien“ wirft bereits viele Fragen auf. Um diese Diskussion der die Alltagspraktiken der Konsumenten eher als taktisch an- Den künstlerischen Strategien wird sehr viel Bedeutung Kunst, München 2014. hier nicht führen zu müssen, gehe ich in einem ersten Schritt sah, gewinnt kulturelles Hacking, wird es denn konsequent und zugemessen, das lässt sich unter anderem an der häufigen Römer (2001): Römer, Stefan: Künstlerische Strategien des Fake. vage davon aus, dass dies meint: „im System der Kunst“ und professionell angewendet, strategische Dimension.” (Düllo/Liebl/ Verwendung und der expliziten Nennung in Lehrplänen und Kritik von Original und Fälschung, Köln 2001. mit „Mitteln der Kunst“. Weiterhin gehe ich davon aus, dass Kiel 2005: 30) In dem Band wird folglich meist von künstlerischen Studienordnungen, sowie an wichtigen wissenschaftlichen Schnurr (2008): Schnurr, Ansgar: Über das Werk von Timm Ulrichs das Gemeinte für die Kunstdidaktik und darüber hinaus be- Strategien gesprochen. Das ist insofern nachvollziehbar, als dass Publikationen ablesen. Wünschenswert wäre, besonders in und den künstlerischen Witz als Erkenntnisform. Analyse eines deutend ist und sich auf die Arbeit in der Schule übertragen lediglich vom Kunstsystem anerkannte Künstlerinnen und Künst- Hinblick auf die Verwendung in Lehrplänen, eine Klärung der pointierten Vermittlungs- und Erfahrungsmodells im Kontext äs- lässt. Darüber lässt sich trefflich streiten und das wird in unse- ler nach de Certeaus Definition tatsächlich in der Lage sind, Stra- unterschiedlichen Definitionen und Bezugstheorien. thetischer Bildung, Norderstedt 2008. rer Disziplin schon genügend getan, weshalb es mir hier nicht tegien anzuwenden. Hingegen ist dies allen anderen aufgrund der Senat Berlin (2006): Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und darum gehen soll. Um nicht die Bezeichnung „künstlerische“ bestehenden Machtverhältnisse verwehrt. Literatur Sport (Hrsg.): Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I. Bildenden verwenden zu müssen, könnte diese ersetzt werden durch: Dies wird bei Düllo und Liebl leider nicht genügend the- Brohl (2003): Brohl, Christiane: Displacement als kunstpädagogische Kunst. Jahrgangsstufe 7-10. Hauptschule. Realschule. Gesamt- phantasievolle, gestalterische, bildnerische, kreative, ästheti- matisiert und somit wird die Definition de Certeaus teilweise Strategie, Norderstedt 2003. schule. Gymnasium, Berlin 2006. sche, kindliche, performative, kunstpädagogische, etc. Es gibt ad absurdum geführt. Gerade beim Hacking ist davon aus- Burkhardt (2007): Burkhardt, Sara: Netz Kunst Unterricht. Künstlerische Wulf/Zirfas (2007): Wulf, Christoph/Zirfas, Jörg (Hrsg.): Pädagogik dementsprechend einige Begriffe, die synonym zu den künst- zugehen, dass es sich meist um Taktiken handelt, da dabei Strategien im Netz und kunstpädagogisches Handeln, München 2007. des Performativen. Theorien. Methoden. Perspektiven, Wein- lerischen Strategien oder mit ähnlicher Bedeutung verwendet in mächtigere Systeme eingedrungen wird. Bezieht man sich De Certeau (1988): De Certeau, Michel: Die Kunst des Handelns, heim/Basel 2007. werden: ästhetische Praktiken, bildnerische Verfahren, künst- auf die Theorien der Soziologie, dann müssen die Machtver- Paris (1980), Berlin 1988. Zimmermann (2014): Zimmermann, Anne: Fake Kunst Bildung. Die lerische Konzepte, gestalterische Prinzipien, künstlerisches hältnisse jeweils mitanalysiert werden, um entscheiden zu Dimke (2001): Dimke, Ana: Duchamps Künstlertheorie. Eine Lektüre künstlerische Strategie Fake aus kunstpädagogischer Perspekti- Handeln, künstlerische Arbeitsweisen, ästhetische Methoden, können, ob es sich um Strategien oder Taktiken handelt. Für zur Vermittlung von Kunst, Göttingen 2001. ve, München 2014. kulturelle Praktiken, künstlerische Vorgehensweisen, künstle- die Kunstdidaktik würde dies unweigerlich bedeuten, dass Düllo/ Liebl (2005): Düllo, Thomas/ Liebl, Franz (Hrsg.): Cultural Hak- Zschocke (2006): Zschocke, Nina: Der irritierte Blick. Kunstrezeption rische Handlungsweisen, künstlerische Positionen, etc. Auch Schülerinnen und Schüler keine künstlerischen Strategien an- king. Kunst des strategischen Handelns, Wien 2005. und Aufmerksamkeit, München 2006.

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Elfi Alfermann mance. Abgesehen von Arbeiten von Ron Mueck schloss ich head, was das Verhältnis von Körper und Geist ebenso wie plastische bzw. skulpturale Gestaltungen aus, da hierfür noch das Verhältnis von Leib und (Um-)Welt angeht, vertritt der ganz andere formale Analysekriterien notwendig gewesen Berliner Philosoph Thorsten Streubel5. Philosophie als blinder Fleck wären. Die Vielfalt an Bildgattungen bot Anschauungen, was Geist und Seele werden in der Philosophie häufig synonym Gegenstand der Rezeption sein kann und welche gestaltungs- gebraucht. Dem Geist bzw. der Seele sind sowohl das Be- der Kunstpädagogik praktischen Möglichkeiten der Kunstunterricht prinzipiell wusstsein, die leiblichen Verspürungen, die Empfindungen bietet. Gleichzeitig war damit eine Binnendifferenzierung an- der Sinne, Emotionen und Gefühle als auch das Denken zu- gelegt, indem je nach individueller Stärke bzw. individuellem geordnet. Während der Leibbegriff diese Geistdimensionen Gestaltungsinteresse ein Verfahren gewählt werden konnte. miteinbezieht, meint der Begriff des Körpers bloß das mate- So viel Offenheit hinsichtlich der Bildrezeptionen wie der riale, physische Ding. 1. Argumente für Philosophie u als flankierendes reflexives Moment sowie als Vertiefung bei individuellen Gestaltungspraxis bedürfen einer einigenden, Person, Würde, Subjekt und Objekt – diese vier weiteren im Kunstunterricht praktischen Gestaltungen ebenso wie bei Bildrezeptionen, bündelnden Struktur. Diese war durch die eingebrachten phi- philosophischen Begriffe sollten den Schülerinnen und Schü- Kunst und Philosophie teilen in gewisser Hinsicht ein Ziel, u um den Stellenwert eines Bildes neu zu verorten, losophischen Begriffe Körper, Leib, Person, Würde, Subjekt lern auf ihrem Weg der Identitätsentwicklung nicht nur zur das die Magdeburger Philosophin Eva Schürmann prägnant u als ästhetische bzw. kunstphilosophische Problemerörte- und Objekt gegeben. persönlichen Werteorientierung dienlich sein. Als Kategorien kennzeichnet als die Entselbstverständlichung des Selbstver- rung. verwendet, sind diese Begriffe geeignet, über die Beschränkt- ständlichen. „Wenn das Verstehen irritiert ist, die Erwartung 2.1 Kunstdidaktische Begründung des philo- heit ästhetisch-normativer Vorstellungen hinauszuführen und unterbrochen, erscheinen die Dinge anders als gewöhnlich. 2. Subjektorientierte reflexive, rezeptive sophischen Zugangs alternative Sichtweisen auf den Körper und den Leib zu eröff- Man erkennt darin ein methodisches Vorgehen der Kunst und gestaltungspraktische Auseinanderset- „Die Differenz von Körper und Seele wie die Differenz zwi- nen. Gleichzeitig gaben sie Hilfestellung, zu dem subjektiv ge- 1 Eva Schürmann 2008: wie auch der Philosophie wieder: Beide arbeiten konsequent zungen im Kunstunterricht anhand schen Leib und Seele beruht auf der fundamentalen Mög- wählten Bildbeispiel einen Verstehensansatz zu entwickeln. S. 213 daran, Zusammenhänge anders als gewöhnlich in den Blick philosophischer Begriffe lichkeit des Menschen, … sich von sich selbst zu distanzie- Zudem war damit der inhaltliche Rahmen für die gestal- 2 Kernlehrplan geraten zu lassen, in andere Perspektiven zu rücken und das An einem Unterrichtsbeispiel der Jahrgangstufe 10 soll ren. […] Was man (in der Renaissance E.A.) entdeckt und tungspraktische Aussage abgesteckt. Meiner Erfahrung nach Philosophie für die konventionell Erwartbare zu entselbstverständlichen.“1 anschaulich gemacht werden, wie philosophisches Den- immer genauer ... durchschaut, ist der Körper des Anderen lassen sich gestalterische Klischees eher vermeiden, wenn Sekundarstufe II Gy/ Interdisziplinäre Zusammenarbeit kann für den Kunstunter- ken auf allen drei Ebenen die Auseinandersetzungen im – und wenn es der eigene Körper ist, so sieht man ihn als es gelingt, die Schülerinnen und Schüler zu einer eigenständi- Ge in NRW: S. 11 richt mit jedem anderen Schulfach immens gewinnbringend Kunstunterricht bereichern kann. In dieser Einführungspha- den Körper des Anderen.“ Den Körper versteht Gernot Böh- gen inhaltlichen Aussage zu führen. Denn eine eigenständige 3 Gernot Böhme in: sein – in vielerlei Hinsicht. Das Fach Philosophie aber bietet se in die Oberstufe geht es zunächst darum, grundlegende me als „Ding, das sich dem Blick des Anderen präsentiert. Visualisierung bedingt die Eigenständigkeit der inhaltlichen Philosophieren 1, aufgrund „seines universellen Denk- und Fragehorizontes“2 bildrezeptive Kenntnisse zu festigen und zu erweitern. Hier Als Leib ist dasjenige zu verstehen, als was ich mich selbst Aussage ab. Buchner 2005: S. 78 ff besonders interessante Anschlussmöglichkeiten – und zwar sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, die obliga- spüre“.3 Um den wichtigen Begriff der Würde zu erschließen, griff 4 Christoph Sebastian in allen Altersstufen – insbesondere dann, wenn die Ausein- torischen Inhalte des Abiturs in den folgenden zwei Jahren Erfahrungsgemäß sind Jugendliche im Alter von 15 Jahren ich auf den Person-Begriff und den praktischen Imperativ von Widdau 2012 andersetzung grundlegende Fragen der conditio humana be- der Qualifikationsphase zu bewältigen. Den Jugendlichen stark an ihrer äußeren Erscheinung interessiert. Das körper- Immanuel Kant zurück. Kennzeichen der Würde ist nach Kant, 5 Thorsten Streubel trifft. Gerade durch „Tiefenbohrungen“, die sich an abstrakten wird noch einmal Gelegenheit gegeben, sich zu orientie- liche Selbst wird vorwiegend daran gemessen, inwieweit dass dieser kein Äquivalent zukommt – anders als dem Preis. in: Philosophisches Fragestellungen orientieren, können philosophische Analysen ren, welche prinzipiellen fachlichen Anforderungen gestellt es gängigen Schönheitsnormen entspricht, insbesondere Ein Subjekt als bloßes Mittel zu behandeln, hieße nach Kant, Jahrbuch 121/ 2014: und Problemreflexionen die Kunstdidaktik bereichern und Im- werden und welche gestalterischen Möglichkeiten das den Schlankheitsforderungen. Dieser Fixierung auf die Au- das Subjekt zu einem Objekt herabzuwürdigen. Ganz gleich, S. 56ff pulse für den Kunstunterricht geben. Fach Kunst bereit hält, um besser entscheiden zu können, ßenansicht des eigenen Leibes wollte ich im Sinne einer Art ob ich mich selbst zu einem bloßen Objekt mache (machen Dem begrifflichen Denken kommt hierbei eine Schlüsselrol- ob sie das Fach Kunst in der Qualifikationsphase weiter- Erweiterung der Selbst- (und Fremd-)wahrnehmung entge- lasse) oder ich andere Menschen in solcher Weise herabwür- le zu: Sinnliche Erfahrung und begriffliches Denken bedingen führen wollen. genwirken. Implizit sollte die Beschränktheit der normativ- dige, ist die moralische Verfehlung für Kant dabei gleicherma- einander. Für Erkenntnisprozesse sind beide gleichermaßen Zu diesem Zweck stellte ich eine Bilddatenbank zusam- ästhetischen Taxierung des Körpers anhand der Dimensionen ßen gegeben. notwendig. Kunstunterricht ohne begriffliches Denken ist oh- men mit rund 100 Bildbeispielen, vorwiegend aus der Kunst- des Leibes offen gelegt werden: Die Definitionen der Begriffe nehin nicht möglich. Philosophie aber kann hier neue Impulse geschichte, jedoch auch mit Bildbeispielen aus kunstferner Leib und Körper führten zu einer Bewusstmachung der dicho- 2.2 Methodische Schritte der setzen. Darüber hinaus hält die Philosophiedidaktik ein brei- Ästhetik. Zu letzteren zählten u.a. Abbildungen von Bodybuil- tomen Sicht auf die menschliche Physis. Eine knappe Gegen- Unterrichtseinheit „Körper und Leib“ tes Methodenrepertoire bereit, wie Reflexionen strukturell dern, Tätowierten, aber auch sexualisierten Puppen, Vierjäh- überstellung der konträren philosophischen Positionen von Zunächst ein Überblick anhand der Gliederung der Unter- angegangen und vor allem begrifflich-argumentativ präzisiert rigen bei Casting-Shows oder Guantanamo-Dokumenten. René Descartes und Alfred North Whitehead vertiefte das richtssequenz : werden können. Thematisch ließen sich alle Bilder den Begriffen Leib und Thema der zweiseitigen Sicht auf die menschliche Physis und u Begriffsklärung: Körper, Leib, Person, Würde, Subjekt, Ob- In meinem Unterricht bevorzuge ich einen philosophischen Körper zuordnen. Über diese Bilddatenbank sollte ein sub- gab Gelegenheit, die eigene Vorstellung davon zu überprü- jekt Impuls, mit dem sich die Lernenden auseinandersetzen müs- jektorientierter Bildzugang gewährleistet werden, indem sich fen, wie denn das Materiale und der Geist zusammenhängen. u Thematische Annäherung über eine Sammlung möglicher sen. Das kann ein kurzer Text sein oder auch nur ein Begriff. jeder individuell ein Bildbeispiel auswählen konnte, das es zu Während Descartes Geist und Körper als zwei Substanzen Aspekte/ Unterthemen zu Körper und Leib Strukturell können philosophische Textrezeption und Refle- analysieren und zu interpretieren galt. Dies war ein Teil der ansieht, die auch getrennt voneinander existieren könnten, u Sichtung einer Bilddatenbank: xion an unterschiedlicher Stelle in den Kunstunterricht inte- Portfolioarbeit. behauptet Whitehead4 eine untrennbare Einheit und spricht u Thematische Zuordnung der Bildbeispiele (häufig zu meh- griert werden: Die Bildbeispiele enthielten unterschiedliche Arten von der Entität des Leibes sogar eine klare Abgrenzung gegen- reren Unterthemen) u als Initialzündung zu einer Gestaltungspraxis, Bildgattungen: Grafik, Malerei, Fotografie, Objekt und Perfor- über der Umwelt ab. Eine ganz ähnliche Position wie White- u Einführung in die Bildanalyse

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Abb. 1 links: Innen-und Außenansicht Abb. 3 einer dicken Frau Missbrauch über Ästhetik Abb. 2 Abb. 4 Innen-und Außenansicht Reizwäsche für Kinder einer schlanken Frau rechts: Abb. 5 Die Macht des Folterers Abb. 6 „Torarolle“ Körpermaße als gottgleiches Gesetz

u Kennenlernen künstlerischer Verfahren schon nach diesen Aspekten in Ordnern vorsortiert. Durch- u Aufgabenstellungen: aus aber konnte ein und dasselbe Bild zwei oder mehreren u Portfolioarbeit (Mapping zur Ästhetik von Männlichkeit/ thematischen Aspekten zugeordnet werden. Zwei weitere Weiblichkeit in PA; Unterthemen brachte ich selbst ein: Das Verhältnis von Ar- sicht des Leibes und Außenansicht des Körpers visualisieren. u Analyse/ Interpretation eines subjektiv gewählten Bildes mut und Körper/ Leib sowie frühe Sexualisierung. Auf den Über die Anschauungen der Bilddatenbank gelang es zu- in EA; letztgenannten Aspekt wurde ich durch eine Sendung vom dem, einen Teil der Lerngruppe auf weitere Themen aufmerk- u schriftlicher Kommentar zur eigenen Gestaltungspraxis im 07.08.2014 um 20.15 Uhr auf 3Sat aufmerksam. Denjenigen, sam zu machen. Selbst hochsensible Themen wurden aus- 6 http://www.3sat.de/ Rückgriff auf die philosophischen Begriffe) die sich eingehender mit diesem Thema auseinandersetzten, gewählt: Zwei Jungen und zwei Mädchen entschieden sich page/?source=/wis- u individuelle Gestaltungpraxis (je nach Umfang in EA oder stellte ich eine mehrseitige Information mit dem Link6 zu die- für das Thema Gewalt bzw. Folter in jeweiliger Partnerarbeit. senschaftsdoku/sen- PA) ser Sendung zusammen. Gleich drei Paare von Mädchen arbeiteten gestaltungsprak- dungen/171560/index. u Präsentation und Erläuterung der Gestaltungsergebnisse Nach Sichtung dieser Bilddatenbank in Partnerarbeit hatte tisch zum Thema „frühe Sexualisierung“. Abb. 3 und 4 pro- html vom 15.8.2014/ die Lerngruppe Gelegenheit, zunächst spontane Äußerun- blematisieren Reizwäsche für Kinder. Zwei weitere Mädchen 14:00 Uhr Die hohe Aufmerksamkeitskonzentration der ersten Stunde gen und Kommentare einzubringen. Vor allem aber mussten drehten einen Sexfilm mit den bei Schülerinnen allseits be- des neuen Schuljahres nutzte ich, um über einen inhaltlichen Fragen zum Verständnis einiger Kunstwerke geklärt werden, kannten Monster-High-Puppen. An diesem Film arbeiten die- Zugang das Thema der Sequenz abzustecken. Nach Klärung deren Sinn sich erst durch Zusatzinformationen erschließt. se beiden Schülerinnen z.Z. noch freiwillig weiter, nachdem der Begriffe Körper und Leib war die Lerngruppe dazu aufge- Erläuterungen waren insbesondere bei Performances not- Kursteilnehmer kritisiert hatten, dass der Film wegen seiner fordert, Lebensbereiche bzw. Themen zu nennen, in welchen wendig z.B. bei Valie Exports Tapp-und-Tastkino oder der auf unpassenden Vertonung (ein Discolied) eher als Werbung für der Körper bzw. der Leib eine Rolle spielt. Am häufigsten Körper von Junkies tätowierten 160 cm langen Linie von San- die Puppen verstanden werden kann. Daher soll nun über die wurden Aspekte des Body Enhancement genannt, gefolgt tiago Serra. Beide Aktionen thematisieren Fragen von Würde Grundlage, dass sich jeder nun eigenständig und eingehender Tonspur die Bildebene eine Irritation erhalten: Kinderlieder von Sport und Sexualität. Erst danach kamen Aspekte wie bzw. die Behandlung eines Menschen als Objekt, wenn auch mit Bildern ihrer subjektiven Wahl auseinandersetzen konnte. (Glockenspiel und Blockflöte) sollen einen bloßen Konsum Krankheit, Alter, Gefühle, Drogen, Essen, aber auch Gewalt in unterschiedlicher Weise. Nach Interesse der Lerngruppe Die häufig spontanen Zugriffe der Schülerinnen und Schü- des Films unmöglich machen. Dass diese Kritik und Anregung und Folter zur Sprache. Diese Sammlung entfaltete den in- wurden weitere Bildbeispiele ausgewählt und die Anwend- ler richteten sich zumeist auf Ästhetiken des Body Enhance- tatsächlich von den Kursteilnehmern selbst eingebracht wur- haltlichen Rahmen der Unterrichtseinheit und ließ Raum für barkeit der sechs philosophischen Begriffe im Plenum erprobt ment. Hier lagen auch die meisten inhaltlichen Gestaltungs- de, zeigt die Kritikfähigkeit der Jugendlichen. weitere Unterthemen von Körper und Leib. und eingeübt. interessen. Dass allein die Unterscheidung zwischen Körper Eine intensive Betreuung seitens der Lehrkraft war frag- In der Bilddatenbank, die paarweise jedem Schüler Exemplarische formanalytische Untersuchungen, einschließ- und Leib bereits zu einer differenzierteren Wertung beitragen los notwendig. Während der Bildfindungsphase beriet ich die und jeder Schülerin zur Verfügung stand, waren die Bilder lich Strukturskizzen an ausgewählten Bildbeispielen, schufen die konnte, zeigen die Objekte der Abb. 1 und 2, die eine Innenan- Schülerinnen und Schüler individuell hinsichtlich formaler Ge-

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staltungsmöglichkeiten und der Konkretisierung ihrer inhaltli- Da jedem freigestellt war, womit er oder sie sich im Ein- chen Intentionen. Da die Schülerinnen und Schüler jederzeit zelnen auseinandersetzen wollte, werte ich dieses Themen- auch an ihren Portfolios arbeiten konnten, war diese indivi- feld als Chance zu einer persönlich relevanten Auseinander- duelle Betreuung auch zeitökonomisch durchführbar, so dass setzung. Heikle Themen wie Folter und frühe Sexualisierung die Wartezeiten auf eine Hilfestellung der Lehrkraft sinnvoll wurden zudem durchweg in Partnergruppen bearbeitet und genutzt werden konnten. durch Gespräche mit der Lehrkraft sowie weiteren Textbei- Dass gestaltungspraktische Überlegungen immer auch trägen inhaltlich flankiert, so dass niemand mit einem proble- inhaltlich-reflexive Auseinandersetzungen beinhalten, wur- matischen Thema allein gelassen war. de insbesondere anhand des Themas Gewalt deutlich. Zwei Vor allem aber halte ich die Kategorien Person, Würde, Jungen beabsichtigten, die Erfahrung von Folter darzustellen. Subjekt und Objekt für geeignet, die Problembereiche leib- Mit dem Argument, dass solche Erfahrung nicht darstellbar licher Erfahrungen inhaltlich angemessen zu fassen. Damit sei, riet ich ihnen von diesem Vorhaben ab. Dennoch blie- war den Schülerinnen und Schülern ein Instrumentarium ben beide Jungen dabei und fanden in verschiedenen Zeich- an die Hand gegeben, Verdinglichung und Entwürdigung als nungen grafische Bildlösungen, die die Macht des Folterers solche zu benennen und mit Kants praktischem Imperativ zu gegenüber dem Opfer, abstrahiert aber überzeugend, veran- verurteilen. Die Analyse und Interpretation eines Bildes aus schaulichen (Abb. 5). Bemerkenswert ist, dass der Jugend- der Datenbank ebenso wie der schriftliche Kommentar zur liche in der Figur des Opfers in der rechten unteren Bildecke eigenen Gestaltung in der Portfolioarbeit gaben hierzu Ge- zu veranschaulichen sucht, dass in der Folter nicht nur der legenheit. Bemerkenswert ist, wie sehr persönlich Einzelne Körper verletzt wird, sondern die Leiblichkeit sich auflöst, eigene Erfahrungen in die Gestaltungspraxis einbrachten. Da- z.B. auch das Bewusstsein und die Ich-Identität ihre aktua- bei gab es kreative Deutungen der subjektiven Bildauswahl, len Grenzen verlieren. Dieses „Zerfließen“, wie es der Junge z.B. indem ein Transfer geleistet wurde: Die Darstellung einer nannte, ist vielleicht wegen der linearen Abgrenzungen der körperlichen Verletzung wurde auf eine eigene seelische Ver- Figur nicht ganz eindeutig visualisiert. Jedoch wird hier nach- letzung bezogen. vollziehbar, wie tiefgehend die individuelle Auseinanderset- Auch für diejenigen, die sich der Außenansicht, also dem zung sein konnte und welche Erkenntnis fördernde Funktion Körper als (Gestaltungs-)Objekt widmeten, boten die philo- der philosophischen Reflexion hinsichtlich des Verhältnisses sophischen Begriffe die Möglichkeit zur Distanzierung. Dabei von Körper und Geist zukommen konnte. wurde mehrfach die Frage aufgeworfen, ob Body Enhace- ment Ausdruck von Selbstbestimmung sei bzw. ab wann 3. Fazit sich eine Person selbst verdinglicht, wenn sie ästhetischen Generell berührt das Thema „Körper und Leib“ sensible Normen nacheifert. Eine ironische Sicht darauf zeigt Abb. 6. menschliche Erfahrungen, bei denen auch subjektive Erfah- Erkenntnisfördernd war in diesem Zusammenhang Kants rungen der Schülerinnen und Schüler angesprochen werden. praktischer Imperativ. Gängige Schülermeinung war nämlich: Ferner enthielt die Bildauswahl der Datenbank etliche An- Die Gesellschaft zwingt den Individuen ästhetische Normen schauungen problematischer Wirklichkeiten, deren Anblick auf und beschneidet damit deren Freiheit. Dass aber das In- jedoch aus Nachrichten bekannt sind (z.B. Dokumente aus dividuum immer noch Person, also Subjekt, bleibt und somit Guantanamo, Spielfilme, PC-Spiele oder Richard Billinghams für seine Würde auch selbst verantwortlich ist, war etlichen betrunkener Vater). Schülerinnen und Schülern ein neuer Gedanke.

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Annemarie Hahn, Robert Hausmann, Kristin Klein, Können zeigt sich ein Kanon5, der nicht immer zur Diskussi- geschlossene Andere als unwichtig markiert und unsichtbar. Gila Kolb, Matthias Laabs, Konstanze Schütze on steht und dennoch von den an Schule Beteiligten derzeit, Kanonisierungen existieren nach Tenorth als „‚fiktive Identi- Fußnoten wenn auch nur passiv, unterstützt wird. tätssymbolisierung‘ […] als Versuch der Konstruktion einer sind zu lang Können bezieht sich auf alle Bereiche des Lebens. Die – nach Möglichkeit verbindlichen – nationalen, kulturellen, für die 3 Methode Mandy Entgrenzung des Begriffs kann aber, besonders mit Blick auf politischen Identität.“7 Dieses Phänomen reproduziert sich Seiten, da- die angestrebte Verwertbarkeit von Können oder auf Können durch Erwartungen an Können. her erst am als zu erbringende Leistung, auch kritisch betrachtet werden: Wenn man über das Können nachdenkt, landet man un- Ende des „Der Druck, den wir empfinden, wenn wir unser Auftreten, weigerlich im Gravitationsfeld aktueller Kompetenzdebatten. Textes durch „gesichertes“ Wissen und Können angereichert wer- unsere Genussfähigkeit, unsere Freundschaftlichkeit so op- Kompetenz8 ist zunächst ein psychologischer Begriff und be- den. Doch was wollen eigentlich SchülerInnen können? Und timieren und nachbessern wie früher unsere manuelle Ge- zeichnet die Fähigkeit, theoretisch ein bestimmtes Handeln was können sie schon, das sie anderen gerne beibringen schicklichkeit oder technische Intelligenz, liegt nicht allein im ausüben zu können, dessen praktische Realisierung wieder- wollen? Verschwinden der Grenzen zwischen Lebensbereichen, son- um als Performanz bezeichnet wird. Kompetenzen sind dem- Methode Mandy2 setzt hier an und fragt nach. Bislang ar- dern in der Universalisierung des Begriffs des Könnens. […].“ nach verfügbare Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Problemlö- beiteten wir mit 24 Hamburger SchülerInnen u.a. in einem Versteht man diese Entgrenzung hingegen als Potenzial, sung, sie können auch als „handelnder Umgang mit Wissen“ Barcamp und einer Zukunftswerkstatt zu möglichen und not- fällt alles unter Können, und kann entsprechend im Kontext beschrieben werden. Laut Weinert sind Kompetenzen „die wendigen Formen des Könnens. Dabei fragten wir zunächst von Bildung von Bedeutung sein. bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kogni- nach dem, was die SchülerInnen aktuell bereits können Angesichts der sich kontinuierlich wandelnden Spielar- tiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme (#könnenkönnen), nach dem, was die gegenwärtige gesell- ten von Gesellschaft und ihren Anforderungen werden im- zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, voli- schaftliche Ordnung von ihnen fordert (#könnenmüssen), mer wieder Updates und Erweiterungen des Begriffs folgen tionalen (d. h. absichts- und willensbezogenen) und sozialen nach dem, was sie im Hinblick auf zukünftige Gegenwarten müssen. Unter den sich wandelnden Bedingungen des post- Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in voraussichtlich können werden müssen (#könnenwerden- digitalen Zeitalters werden sich Menschen ständig immer variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nut- müssen) und nach dem, was sie gern können wollen (#kön- neu definieren, erweitern und sich transformieren.. Während zen zu können.“9 nenwollen). Die Vorstellungen der SchülerInnen stehen den wesentliche Funktionen unserer Erinnerung ersetzt wer- Für Koenig und Sesink meint etwas zu können, „die sub- Anforderungen, die Schule und Gesellschaft an sie stellen, den, automatisiert Kaffee gekocht, Menschen gepflegt und jektive Fähigkeit zu haben, eine Handlung auszuführen. Etwas gegenüber. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass unbemannt im All operiert wird, muss das „sinnvolle“ und zu können, meint aber auch: die objektive Möglichkeit dazu zu Können Sie eine Flasche Wein ohne Korkenzieher diese einander ausschließen müssen. Die Teilhabe an der „notwendige“ Können immer wieder neu verhandelt und zu haben, diese Handlung auszuüben. [...] dass das im ‚Können‘ öffnen? Haben Sie eine Vorstellung davon, welcher Auswahl von Inhalten, welche als bildungsrelevant gelten, den jeweils aktuellen Bedingungen in Bezug gesetzt werden. angesprochene Wirksamwerden einer Fähigkeit an Realisie- der effektivste Weg ist, einen Hund zu waschen oder ist allerdings insbesondere für SchülerInnen nur in einem be- Nach diesen Bedingungen richtet sich, was wir zu einem be- rungsbedingungen gebunden ist, die nicht allein im Subjekt sich Ihre Schuhe zu binden? Könnten Sie Ihre Haare grenzten Rahmen möglich. Um dennoch die Perspektiven der stimmten Zeitpunkt #könnenmüssen. liegen, sondern auch in einer Sphäre, die ‚zwischen‘ den Fä- waschen, wenn Sie im All wären? Wie würden Sie Vielen nutzen zu können und demzufolge auch die Bedingun- higkeiten des Subjekts und der Realisierung dieser Fähigkei- im öffentlichen Raum mit einem Gesichtsschleier gen des Web 2.0, welche die Lebenswelt der SchülerInnen #könnenmüssen ten positioniert ist, die also subjektive Fähigkeit und objektive essen? maßgeblich prägen, ernst zu nehmen, müssen diese konse- Wissen, Methodenbewusstsein, Informationsbeschaffung Realisierung ‚vermittelt‘“.10 Dem folgend ist „Pädagogik [...] quent auf Schule übertragen werden. und -verarbeitung, Medienkompetenz, Lernkompetenz, Pro- traditionell zuständig für die Entfaltung und Entwicklung der All dies könnten Sie mit Hilfe von 100 Videos der Ausstel- blemlösestrategien, Reflexions- und Diskursfähigkeit, Ar- subjektiven Potenziale von Individuen.“11 lung „Jetzt helfe ich mir selbst“ im Hardware Medienkunst- #könnenkönnen beitsorganisation, Interdisziplinarität, Mehrperspektivität, Fähigkeiten müssen immer auch in konkreten Bewäh- verein lernen.1 Diese Video-Tutorials stehen beispielhaft Schmerzen ertragen; Fingernägel lackieren; lachen; sich ab- Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Perspektivwechsel, rungssituationen sichtbar werden können. Gerade in den ak- für eine durch das Netz begünstigte DIY-Kultur, die für die lenken lassen; objektiv bleiben; anderen zuhören; nerven; Umweltbewusstsein, Werteorientierung, Verantwortungsbe- tuellen Debatten um Kompetenz und trotz der Konjunktur des verschiedensten Probleme und Fragestellungen Hilfe zur schweigen; T-Shirts bedrucken; Menschen beobachten; sich reitschaft, ...6 Begriffs, müssen entsprechend immer auch die Facetten des Selbsthilfe bietet und das (Nachvollziehen-)Können des zurecht finden; das Chaos beherrschen; Bruschetta machen; Welches Können eine wirksame gesellschaftliche Ordnung Wirksamwerdens mitgedacht werden. Einzelnen voraussetzt. Gibt man „Schüler können“ in die schlafen; Einrad fahren; Video spielen; kochen; mit wenig auf- erfordert, was genau also #gekonntwerdenmuss oder #ge- Google-Suchmaske ein, ergänzt die Suchmaschine diese fallen; trösten; diskutieren; Streit schlichten; …3 konntwerdenkann, wird maßgeblich von den jeweiligen öko- #könnenwerdenmüssen Wortgruppe automatisch durch ein „NICHT“. Als Vorschläge Es gibt Dinge, die zu können, es sich in der Schule lohnt. nomischen, sozialen, rechtlichen und ähnlichen Bedingungen frei denken, funktionieren, genießen, auf sich achtgeben, erhält man dann: „Schüler können nicht mehr schreiben“, Nicht alle der oben genannten Fähigkeiten gehören dazu. mitbestimmt, die explizit und implizit einen jeweiligen Kanon selbstbewusst auftreten, kochen, sich selbst beschäftigen, „Schüler können nicht zuhören/nicht lesen/nicht schwim- Warum eigentlich? Nora Sternfeld stellt hierzu fest: „Wir ler- herstellen und die durch gesellschaftliche Selbstverständ- erfolgsorientiert sein, rezipieren, mit Technik umgehen, ego- men“. Dies lässt vermuten, dass in puncto Können eher nen zum Beispiel, dass manche Sprachen wichtiger sind als nisse produziert und reproduziert werden. Kanon meint hier istisch sein, glücklich sein, backen, tolerant sein, sich durch- von Defiziten ausgegangen wird; von dem, was noch nicht andere. So lernen wir uns damit abzufinden, dass manche nicht nur ein von Personen oder Institutionen festgeschriebe- setzen, sich organisieren, …12 vorhanden ist oder vergessen wurde, was für eine Vorstel- Leute, die sieben afrikanische und drei europäische Sprachen nes Programm. Er meint eben auch ein Phänomen, welches „Was zu wissen sei und was zu vergessen, welcher Norm lung über notwendiges Können – #könnenmüssen – nicht sprechen, trotzdem nicht als gebildet gelten […].“4 Anhand darauf hindeutet, dass sich in der (westlichen) Welt auf et- die Bildung zu gehorchen habe und vor allem der Gedanke ausreicht. In der Logik von Schule muss dieses offenbar erst dieses Beispiels von „erwünschtem“ oder „anerkanntem“ was geeinigt wird, was als wichtig gilt. Damit wird das aus- selbst, dass es eine Liste von Namen und Werken geben

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müsse, deren ‚Einverleibung‘ ein Kriterium für die durch Bil- nen und Wissen fragen; und zugleich Methode einer Gruppe 1 Die Ausstellung im Hardware Medienkunstverein versammelte 8 vgl. Thomas Hoehne: Der Leitbegriff ‚Kompetenz‘ als Mantra dung erworbene Mündigkeit darstelle – all dies sind Annah- von KunstpädagogInnen, die nicht nur Material erhebt, son- eine Auswahl an „Tutorial-Videos“ und widmete sich dem Phä- neoliberaler Bildungsreformer. Zur Kritik seiner semantischen men, die eine Ordnung aufrechterhalten können. Da jedoch dern zugleich auch ihre Erhebungsmethoden beständig re- nomen der unzähligen Videos auf YouTube, in denen Menschen Weitläufigkeit und inhaltlichen Kurzatmigkeit. In: Ludwig A. deren Umkehrung zugleich das Kippen dieser Ordnung be- flektiert. Methode Mandy fragt, über welche Kenntnisse und einem unbekannten Gegenüber etwas erläutern, für das sie Pongranz, Roland Reichenbach, Michael Wimmer (Hg.): Bildung deuten kann, sind diese Annahmen […] auch in dem Aus- Interessen die SchülerInnen verfügen und was davon andere sich interessieren, oder sich als SpezialistInnen fühlen. http:// - Wissen - Kompetenz. Janus Presse, Bielefeld 2007, S.32. maß umkämpft.“13 auch können sollten. Denkt man Methode Mandy im Sinne www.hmkv.de/programm/programmpunkte/2014/Ausstel- Pdf-download: http://duepublico.uni-duisburg-essen.de/serv- Was SchülerInnen in der Zukunft #könnenmüssen, kann einer Methode, als „System von Regeln, das dazu geeignet lungen/2014_Jetzt_helfe_ich_mir_selbst.php, [eingesehen am lets/DerivateServlet/Derivate-16159/sammelband2006v1e.pdf nur imaginiert und versuchsweise bestimmt werden. Ein ist, planmäßig wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen 30.04.2015]. [eingesehen am 30.04.2015]. solch heikles Unterfangen kann selten durch die gängige Pra- oder darzustellen oder die praktische Tätigkeit rationell zu 2 In der Logik von Schule ist Mandy ein Name, der nicht unbe- 9 Franz E. Weinert: Vergleichende Leistungsmessung in Schulen xis legitimiert und nie bewiesen werden. Die Schwierigkeit an organisieren“19, so stellt sich vor allem die Frage, inwiefern dingt mit Attributen wie „freundlich“ und „leistungsstark“ in - eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In: Ders. (Hg.): Prognosen ist, dass Zukunft immer offen und flüchtig ist. Zu- methodisches Vorgehen überhaupt geeignet sein kann, sich Verbindung gebracht wird. 2012 wurde dieser Name im Kontext Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim 2001, S. 17-31, S. kunft lässt sich im Grunde nur im Plural, nämlich als Zukünfte an Zukünftigem und Unbeständigem kontinuierlich (neu) des Bundeskongresses der Kunstpädagogik (BuKo12) von einzel- 27f. denken und verhandeln. Mit Dirk Baecker können wir unsere auszurichten. Der notwendige ständige Perspektivenwech- nen AkteurInnen als Hashtag und Code verwendet, wobei Man- 10 Christoph Koenig, Werner Sesink: Notwendige Kompetenzüber- gegenwärtigen Vorstellungen von Zukunft als „gegenwärtige sel mit all seinen Konsequenzen muss selbst zur Methode dy als „Geist der zukünftigen Kunstpädagogik“, oder als „bissig“ schreitungen. Eine Anregung den Kompetenzbegriff weiter zu Zukünfte” beschreiben. Diese gegenwärtigen Zukünfte un- werden. beschrieben wurde. Obgleich es kein einheitliches Verständnis denken, 2012. S. 1-29, S. 4. In: http://www.sesink.de/word- terscheiden sich von den „zukünftigen Gegenwarten“. Diese von „Mandy“ gab und gibt, steht dieser Name für eine gewisse press/wp-content/uploads/2014/09/Kompetenzueberschr_Koe- müssen – stets und notwendigerweise – unbekannt blei- Wie soll oder wie kann eine solche „unterschätzte Teilhabe“, „ungehörte Stimmen“, „diskursferne nig-Sesink_2012.pdf [eingesehen am 30.04.2015]. ben.14 Mit ersteren, also mit den „gegenwärtigen Zukünften“, Methode wirksam werden? Inhalte“ und einen Widerstand gegen unhinterfragte Annahmen 11 Ebd., S. 1. können wir umgehen und die Gegenwart mit Potenzialen und Es sind nicht nur die Vorstellungen von kanonischem Wissen im Fach Kunstpädagogik. 12 Antworten von SchülerInnen der 11. Klasse auf die Frage „Was Möglichkeiten anreichern15, und so unsere gegenwärtigen und Können und die einseitige Orientierung an Kompetenz- 3 Antworten von SchülerInnen der 11. Klasse auf die Frage „Was werde ich können müssen?“ im Workshop mit Methode Mandy Vorstellungen von Zukunft erweitern. Es geht also nicht mehr vorgaben, sondern auch Haltung und Praxis von LehrerInnen, kann ich?“ im Workshop mit Methode Mandy im Kunstverein im Kunstverein Hamburg, Oktober 2014. um die Festlegung von der einen möglichen Zukunft, auf die die zu wesentlichen Stellschrauben für einen aktuellen Unter- Hamburg, Oktober 2014. 13 Hakan Gürses: Der Wille zum Kanonisieren. Kunst und Bildung wir uns vorbereiten, sondern um das aufmerksame Erkennen richt werden. 4 Nora Sternfeld: Verlernen Vermitteln. Kunstpädagogische Positi- im Wechselspiel. In: Magazin erwachsenenbildung.at. Ausgabe von Prozessen und das Identifizieren möglicher Einflussgrö- Wenn Veränderungen von Schule aus ihren Anfang neh- onen Band 30, Hamburg 2013, S. 13. 15/2012. erwachsenenbildung.at/magazin/12-15/meb12-15_02_ ßen. men sollen, dann müsste Methode Mandy als Toolbox kon- 5 Dies ist unter anderem gut zu sehen in dieser Übersicht aus ei- guerses.pdf, S. 5 [eingesehen am 30.04.2015]. zipiert werden, mit deren Hilfe Neues und Marginalisiertes ner Studie zu Macht und Sprachen der National Academy of Sci- 14 Vgl. Dirk Baecker: Studien zur nächsten Gesellschaft, Frankfurt #könnenwollen immer wieder zum Thema gemacht, Inhalte und Vorgehens- ence von 2014, http://www.pnas.org/content/early/2014/12/11/ a. M. 2007. kreativ sein, eigenständig handeln, Ideen umsetzen, Sport, weisen fortwährend neu verhandelt werden und Aktualisie- 1410931111: 15 Vgl. Francois Jullien: Die stillen Wandlungen. Berlin 2012. meditieren, debattieren, sich ernähren, denken, sich ausdrük- rungen so beständig Eingang in den Unterricht finden können. http://i.imgur.com/hSGzXws.jpg [eingesehen am 30.04.2015]. 16 Antworten von SchülerInnen der 11. Klasse auf die Frage „Was ken, Informatik, Biologie, mutig sein, zunehmen, eine Nacht Fragen wie die folgenden könnten für ein solches Vorgehen 6 Lehrplan Gymnasium Kunst, Freistaat Sachsen 2014, http:// möchte ich können?“ im Workshop mit Methode Mandy im durchschlafen, die eigene Meinung besser ausdrücken, ge- als tools oder cues dienen: www.schule.sachsen.de/lpdb/web/downloads/lp_gy_ Kunstverein Hamburg, Oktober 2014. duldig sein, Zeitreisen, Spagat, in die Zukunft schauen, Song- u Wie lassen sich im schulischen Kontext Interessen und kunst_2011.pdf?v2, S. 8f. [Eingesehen am 30.04.2015]. 17 Alexandra Hildebrandt: Wir brauchen mehr Zukunftskompetenz. texte merken können, Ballett, Italienisch sprechen, mehr Ge- Fähigkeiten der SchülerInnen offenlegen, ohne die gän- 7 Heinz-Elmar Tenorth: Kanonisierung, die zentrale Funktion der In: Revue. Magazine for The Next Society. Heft 16, S.140-141. duld aufbringen, 1x um die Alster laufen ohne Pause, Mathe gigen und von extern gesetzten kanonisierten Standards Schule. In: Ute Erdsiek-Rave, Marei John-Ohnesorg (Hg.): 18 Ebd. verstehen, die Zeit anhalten ...16 und Kompetenzen zu reproduzieren? Bildungskanon heute. Schriftenreihe des Netzwerk Bildung. 19 Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. http://www. Methode Mandy setzt sich zum Ziel, Perspektiven auf u Wie können implizites Wissen und Können sichtbar ge- Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2012, S. 21–26, S. 22. dwds.de/?qu=methode [eingesehen am 30.04.2015]. zukünftige Gegenwarten zu erweitern, so zum Beispiel im macht werden? Sinne einer „Zukunftskompetenz“,17 der Fähigkeit, sich in die u Welche Zumutungen bringt Methode Mandy für Lehrende, Zukunft hineinzudenken und dieses Denken durch angemes- für SchülerInnen und für die institutionalisierte Bildung? senes Handeln produktiv zu machen. „Der Schlüssel zu all u Wie kann das Wissen um das „andere“, vorhandene oder dem“, so Alexandra Hildebrandt, sei „ein ausgeprägter Mög- gewünschte Können sich als dauerhafte Variable in die lichkeitssinn, ein Zugang zu alternativen Denk- und Hand- Institution Schule einschreiben? lungsweisen.“18 Es geht darum, die aktuelle Situation in Hin- u Was bedeutet es, wenn man von der Idee ausgeht, dass blick auf zukünftige Chancen und Potenziale auszuloten. Me- Schule sich wechselseitig zu gesellschaftlichen Verände- thode Mandy befragt in Konsequenz dessen exemplarisch rungen immer wieder aktualisieren und erneuern kann? AkteurInnen in Bildungsinstitutionen nach dem, was man Methode Mandy möchte einen Raum des freien Programmie- #könnenkann, #könnenmuss, #könnenwerdenmuss und rens von Handlungen und Kommunikation, von Können, von was sie #könnenwollen. Es ist eine Forschungswerkstatt Wissen und von möglichen zukünftigen Gegenwarten eröff- junger KunstpädagogInnen, die nach marginalisiertem Kön- nen.

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Torsten Meyer, Gila Kolb mit Gesa Krebber, Nikolas Klemme, These 3: Cyberspace inside out Next Art Education muss die Themen, Problemstellungen Bernadett Settele, Ole Wollberg, Heinrich Lüber Next Art Education muss sich orientieren an den Prinzipien und Phänomene, an denen ihre Schüler und Klienten sich bil- des ins real life gestülpten Cyberspace: der Verbindung aller den sollen, in den Horizont und Kontext der digital vernetzten mit allen, der Schaffung virtueller Gemeinschaften und der Weltgesellschaft stellen. What’s Next, Art Education? kollektiven Intelligenz. Die KünstlerInnen der nächsten Ge- Sie muss sich orientieren am operativen Umgang mit Kom- sellschaft müssen keine Experten der Informatik sein, aber sie plexität. pflegen einen kreativen Umgang mit Codierungstechniken und Kontrollprojekten. 1 Torsten Meyer / Gila Die Welt ist im Wandel und mit ihr die Kunst. – Darum dreht Die Vermutung ist also, dass kaum etwas so große Be- Kolb (Hg.): What’s sich die Frage What’s Next? im Titel des Buchs, das der Sek- deutung für die Strukturen einer Gesellschaft und die For- Abb. 1: © Neil Hamilton Next? Band II: Art tionsarbeit zugrunde lag1: Was bedeutet dieser Wandel der men einer Kultur hat wie die jeweils „geschäftsführenden“ https://www.flickr. Education, München: Welt und der Kunst für das Denken über Bildung und Ver- Verbreitungsmedien. In diesem Sinn macht auch der Sozio- com/photos/neilgha- kopaed 2015. mittlung einer „nächsten Kunst“? Was heißt das für das Ver- loge und Kulturtheoretiker Dirk Baecker in seinen „Studien milton/6854011317/, 2 Johannes M. hältnis von Kunst und Bildung im Allgemeinen? Und welche zur nächsten Gesellschaft“ soziologische Entwicklungen an 26.03.2015 – CCL – Hedinger / Torsten Praxis oder welche theoretische Konzeption einer solchen Aufkommen und Gebrauch bestimmter Medientechnologien Foto ergänzt um den Meyer (Hg.): What’s Praxis wäre unter welchen Bedingungen und aus welcher fest: Die Einführung der Sprache konstituierte die Stammes- Schriftzug. Next? Band I: Kunst Perspektive wert, „Next Art Education“ genannt zu werden? gesellschaft, die Einführung der Schrift die antike Hochkultur, nach der Krise, Berlin: Wie schon das erste Buch in der Reihe What’s Next?2 die Einführung des Buchdrucks die moderne Gesellschaft Kadmos 2013. geht auch das hier zugrundeliegende zweite Buch von der und die Einführung des Computers wird die „nächste Gesell- A. Jansen, Eckhard 3 Vgl. Dirk Baecker, Vermutung eines sehr grundsätzlichen Wandels der Betriebs- schaft“ konstituieren.3 Schröter, Nico Stehr Studien zur nächsten bedingungen für die Gesellschaft aus, der weitreichende Fol- Diese nächste Gesellschaft ist Denkgrundlage des Projekts (Hg.), Rationalität Gesellschaft. gen hat. In epistemologischer Tradition gehen wir davon aus, What’s Next?: „Next Art“, die „nächste Kunst“ ist die Kunst der Kreativität? Frankfurt/M: Suhr- dass sich die symbolischen Aktivitäten einer Gesellschaft – der „nächsten Gesellschaft“. Und „Next Art Education“ ist der Multidisziplinäre kamp 2007. S. 7. zum Beispiel ihre Religion, ihre Ideologien, ihr Umgang mit Versuch, an diese Vermutung mit der Frage nach adäquaten Beiträge zur Analyse 4 Vgl. ausführlich Wissen, ihre Kunst – nicht unabhängig von den Technologien Reaktionen im Feld der Verkoppelung von Kunst und Pädago- der Produktion, Torsten Meyer: Next erklären lassen, die diese Gesellschaft benutzt, um ihre sym- gik anzuschließen. In drei einigermaßen steilen Thesen4 und Organisation und Bil- Art Education. Erste bolischen Spuren zu erfassen, zu archivieren und zirkulieren fünf Exemplifikationen wollen wir folgend eine Ahnung davon dung von Kreativität, Befunde. In: Hedinger/ zu lassen. geben, was das für unser Fach bedeuten kann. Gesa Krebber Wiesbaden: VS Verlag Meyer 2013, S. 377- 2009, S. 249-263, S. 384; http://whtsnxt. 5 255. net/103 Apokalypse neu 8 Vgl. Gesa Krebber: 5 Vgl. Gesa Krebber: Torsten Meyer Apokalyse Neu. In: Apokalyse Neu. In: Was denken Sie? Ist kreatives Handeln die wichtigste ein kommunikatives Verständnis der Kreativität, gelesen als Meyer/Kolb 2015, S. Meyer/Kolb 2015, S. schöpferische Kraft des Menschen, auch angesichts einer ein in Beziehung zur Kunst stehendes Konzept, das in der 170-173; http://whts- 170-173; http://whts- Thesen zur Next Art Education Apokalypse Neues zu schaffen? Es sind ja auch Zustände: Entgrenzung des Kunstbegriffs etwas Neues beschreibt, nxt.net/232 nxt.net/232 die Bilderflut, die Kompetenzflut, die Flut von Big Data … neu auch als immer wieder neu kommuniziert. Kreative 9 Friedrich W. Heubach: 6 Andreas Reckwitz: Oder Kreativität selbst als der eigentlich apokalyptische Strategien verorten sich heute auch als relational. Kreati- Sigmar Polke – Frühe Die Erfindung der Die Thesen sind abstrakt. Das ist volle Absicht. Es These 2: Post Art Begriff? Die Kreativität scheint sich zu halten. Vielleicht ge- vität entlehnt von zeitgenössischen künstlerischen Strate- Einflüsse, späte Fol- Kreativität. Zum ist zunächst – des Überblicks wegen – aus einer Next Art Education bricht mit der Geschichte der Kunst als rade weil der Begriff an die große Erzählung des wiederauf- gien heißt, relationale und kollaborative Kunstverständnisse gen oder: Wie kamen Prozess gesellschaft- Vogelperspektive gedacht. Konkretionen ergeben große Erzählung eurozentrischer Hochkultur. Sie begibt sich lebenden Star- und Geniekults gekoppelt ist. Pseudomäßig zu entwickeln8. Es wird zur Aufgabe der Kunstpädagogik, die Affen in mein licher Ästhetisierung. sich aus den nachfolgenden Beiträgen einiger auf ungesichertes Terrain. Sie lässt sich ein auf die andere und demokratisiert, vom Geniekult leicht entkoppelt, wurde die die alten Erzählungen zu verlassen; denn bei der Suche Schaffen? und andere Frankfurt/M: Suhr- AutorInnen des Buchs. auf die nächste Kunst und versucht, Post Art zu denken. Sie Kreativität in den 1970ern. In der Bildenden Kunst wurde nach einem allein aus sich heraus produktivem Individuum ikono-biographische kamp 2011, S. 15. steht wiedererkennbar in Verbindung mit dem Feld der Kunst, das Streben nach Neuem im postmodernen Verständnis eli- landet man, immerhin zwar, aber eben doch nur bei den Fragen. In: S. Polke, B. 7 Dirk Baecker / Joa- These 1: Jetzt denkt aber darüber hinaus. miniert. Unter veränderten Bedingungen zeichnet sich heu- Kartoffeln9. Es steht an zu fragen: Inwieweit schreibt sich Schmitz et al. (Hg.): chim Landkammer: Das ist der allgemeine Ausgangspunkt: Next Art Education Next Art Education weiß: Die nächste Kunst bleibt nicht un- te gar ein „Kreativitätsdispositiv“ ab6, womit eine extrem Kunstpädagogik und kunstdidaktische Praxis in den Diskurs Sigmar Polke: Die drei Mit dem Speck nach muss – wie alle Pädagogik – radikal in Richtung Zukunft ge- beeindruckt von der Welt, in der sie entsteht. Sie befasst sich hohe Bewertung des Künstlerischen und der individuellen des Geniemythos ein? Was würde ein relationaler Kreativi- Lügen der Malerei. der Wurst geworfen: dacht werden. Es geht um das Werden, nicht um das Sein. mit aktuellen Gegenständen des aktuellen Lebens, sie nutzt Kreativität einhergeht. Es ist an der Zeit, die Sache herun- tätsbegriff für den Kunstunterricht bedeuten? Und zu for- Ostfildern-Ruit: Hatje Kreativität als normale Das erreicht man am besten, indem man sich ernsthaft am dafür aktuelle Darstellungstechnologien und sie operiert auf terzukochen. Um mit Dirk Baecker zu sprechen: Kreativität dern: Diese Diskussion braucht schulische Anwendungen Cantz, 1997, S. 285- Arbeit. In: Stephan Jetzt orientiert. dem Boden alltagskultureller Tatsachen. als jedwede Form der Arbeit7 zu sehen. So stößt man auf als nächste Art Education. 294, S. 293

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Nikolas Klemme

10 Vgl. Nikolas Klemme: 10 [we like to share it [we like to share it all] all]. In: Meyer/Kolb 2015, S. 165-166; http://whtsnxt. net/229

Abb. 3: Dr. Grace Augustine aka Sigourney Abb. 2: Survival of the Weaver in Avatar © 2009 fittest. 20th Century Fox. Foto: http://www.hotflick.net/ pictures/big/009AVT_Si- gourney_Weaver_013. 1. WE LIKE TO SHARE IT ALL. haben Zugang. Es braucht kein Zurück, weil alles im Begriff html, eingesehen am Wir sind Tramps auf den Straßen der Heterarchie. Der Zugang ist, ständig im Kontinuum verfügbar zu sein. Wofür wir und 01.05.2015. ist frei und die Organisation der Teilnehmenden erfolgt dezen- alles (mit-)bestimmt, kann sich zeigen (muss aber nicht). tral. Das Herz unserer Generation pumpt durch seine Venen Bernadett Settele Beteiligung. Denn in Zukunft ist klar: Wir werden Teilhabende 5. FREQUENTLY ASK QUESTIONS. sein. Wir müssen keine Fragen stellen, deren Antworten bekannt 11 11 Vgl. Bernadett Settele: sind. Queer Art Education Queer Art Education. 2. I HAVE IT. AND YOU CAN HAVE IT TOO. In: Meyer/Kolb 2015, THEN WE BOTH MADE IT. 6. RECYCLE IF POSSIBLE. S. 308-311; http:// Wir leben häufig in bewussten Prozessen. Das System unse- Tradition darf keine Dauerbaustelle im Netzwerk sein – we- whtsnxt.net/272 rer Bewegungen ist der maßgebende Wert im Leben und sei- der ihre Renovierung noch ihr Abriss. Sie kann dauerhaft den In dem Maße, in dem sich zeitgenössische Kunst aus dem zutreten. Ich navigiere entlang von Theorien aus den Visual 12 Judith Butler: Die ne fortlaufende Schöpfung ist immer das nächste Trittbrett. Motor schmieren und damit das Übersetzen der Energien Atelier herausbewegt hat in Richtung von ästhetischen Situa- Culture Studies, aus Psychoanalyse und queer theory, die das Macht der Geschlech- Die Mitfahrt ist stets erlaubt. Ein Mitwirken der Einzelnen im medialisieren. Blinde Konformität erzeugt scheinbar einen tionen, Wissensproduktion und dem Inszenieren von Räumen visuelle Primat anzweifeln. ternormen und die Getriebe kann gezielt dafür sorgen, dass wir schneller, siche- antiquierten Klang, der konsumiert werden kann. und Begegnungen, also „from studio to situation“ kam (Claire Filmtheoretikerinnen aus der zweiten Welle des Femi- Grenzen des Mensch- rer und vollständiger ans Ziel gelangen. Doherty), werden Fragen der Subjektivierung für die Kunst- nismus wie Silverman und Mulvey formulierten eine Kritik, lichen. Frankfurt/M: 7. THE OCCUPY ALL STREETS AGENCY pädagogik wichtig. Mechanismen des Sichtbar-Machens und die sich am Blickregime und an der vereindeutigenden, von Suhrkamp 2009 (engl. 3. EVERY MOMENT AN ANNIVERSARY Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Wenn es Zu-sehen-Gebens nehmen eine zentrale Rolle ein in Koope- Macht durchzogenen Schaulust (visual pleasure) abarbeitete. Undoing Gender. (UNTIL WE SAY STOP). eine globale Parade gibt, werden wir tanzen. Die Quelle ist rationen, Aktionen und performancebasierter Arbeit. Was Einer queerfeministischen third wave geht es um das Umar- 2004) Standorte sind zum Wechseln da. Es braucht keine Eile, da allen zugänglich. Jeder ihr, jedem sein Aggregat. Der Basar heißt das, angeblickt zu werden? Was sind die next subjects beiten der phantasmatischen Bilder vom Körper und um die Zeit genossen; keine Gedanken über sekundengenaue Tak- ist eröffnet. in Kulturen der Sichtbarkeit und Kooperation? Wie können die Frage, wie sich Normen im Körper und im Affekt materiali- tung und mehr Flexibilität im Countdown bitte. Jede Halb- Körper verlernen, sich visuell zu denken? sieren. wertszeit verliert ihre Bedeutung durch das Makroskop der 8. JUST CLICKED IT. Meine Next Art Education ist auf der Suche nach einem Das Ziel dieser Verschiebung oder Trübung der Vorrang- Gegenwart. Es kann sein, dass sich jemand nur verklickt hat. Ort für die Auseinandersetzung mit jener nicht ganz geruchlo- stellung des Blicks ist es nicht, das Leibliche in der Kunstpäd- sen Materie um Subjekt, Geschlechter, Körper und Affekt, die agogik zu reinstallieren. Wie kann vergeschlechtlichtes Le- 4. NO MATTER WHAT: NOW. jeder ästhetischen Erfahrung mit zugrundeliegt. Es ist die Su- ben, gendered life12 (Judith Butler) zurück ins Spiel kommen, Es gibt keine lebenslange Garantie auf bedingungslose Zielsi- che nach einer Praxis, die normativen und binären Denkwei- ohne es auf Wesen und Essenz zu reduzieren? Welche Rolle cherheit. Wir leben online und brauchen frische Updates. Alle sen und Repräsentationen kritisch begegnet und die bereit spielt die Vorstellung von Körpern als sozialer und relationaler ist, der Macht von Alltag und Heteronormativität entgegen- Konstruktion für unser Fach in der Zukunft?

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Abb. 4: Olafur Eliasson: Abb. 5: A scaffolding col- New York City Water lapses atop a residential Falls, 2008. Foto: building in the aftermath http://fluxwurx.com/ of typhoon Vicente in installation/wp-content/ Hong Kong on Tuesday. uploads/2011/01/water- Philippe Lopez / AFP, fall1.jpg, eingesehen am 2012. 01.05.2015.

Ole Wollberg Heinrich Lüber

13 Vgl. Ole Wollberg: Per- 13 15 15 Vgl. Heinrich Lüber: formative Kompetenz. Performative Kompetenz auxiliary constructions auxiliary construc- In: Meyer/Kolb 2015, tions. In: Meyer/Kolb S. 360-362; http:// 2015, S. 186-188; whtsnxt.net/292 Begriffe die vielleicht als grundlegend galten, wie Kunst, Bild, kannst. Diese Strukturen sind jeweils provisorisch, temporal, http://whtsnxt. 14 Umberto Eco (1962): Kunst und ihr Begriff unterliegen einem steten Wandel. Auch Konjunktur. Diesem attributiven Kompetenzbegriff wider- Werk, sind derart in eine Bewegung geraten, dass es für sie unterschiedlich dimensioniert. net/237 Opera aperta. gegenwärtig ist Kunstpädagogik im Zuge medialer Umbrüche spricht der performative Charakter einer „produktiven Rezep- wohl auch in Zukunft bald kein Halten mehr gibt. Das eine Verständnis geht von „reinen Konstellationen“ Mailand: Bompiani mit (noch) unvertrauten Rezeptions-, Produktions- und Prä- tion“. Nach der Art der Verschränkung von Produktion und Die Situation, die ich vorfinde: Das Kompendium als sol- aus, von transzendenten Formen, das andere ist radikal auf (dt. Das offene senzformen konfrontiert. Wenn Eco schon 1962 das offene Rezeption ist auch das Verhältnis von Kompetenz und Per- ches gibt es eigentlich nicht mehr – Wir hatten Referenz- die Welt Bezogenheit und nicht auf ein Jenseits. Kunstwerk. Übers. Kunstwerk feststellt, muss hinsichtlich der geschichtlichen formanz als „Ineinander“ zu denken. Performative Kompetenz punkte. Sie sind aber explodiert, transdisziplinär, transmedial, An „beeing literate“ (seinen Namen darunter schreiben von Günter Memmert, Entwicklung bis in die Gegenwart von einer zunehmenden meint die situative Genese und/oder Modifikation von Hand- transkulturell. können) interessiert mich, dass dieses Aneignen ein Ver- Frankfurt/M.: Suhr- Öffnung gesprochen werden14. Je „offener“ das Werk, desto lungs- und Wahrnehmungsmustern während des Prozesses Next Art Education: An dieser Stelle möchte ich gerne den ständnis von Autorschaft, von politischer Subjektivität und kamp 1972). größer ist der Anteil der RezipientInnen an der Werkproduk- aus Handeln und Wahrnehmen. Dieses alternative Konzept Term Literacy einbringen. Literacy – ein Begriff, der im Umfeld Verantwortung wieder einfügt. tion. Damit gehen – gemessen an der konzeptuellen Oppo- widerspricht übrigens nicht der gelegentlich beobachtbaren der Bildungsdiskussion in aller Munde ist und dabei oft als auxiliary constructions – also, Gerüste und nicht ins Univer- sition aus ProduzentInnen und RezipientInnen – veränderte Tendenz einer Rückbesinnung auf das Üben. Es ist allerdings Stabilisator dienen soll. sum projizierte Ordnungssysteme mit Ewigkeitsanspruch. Gerü- Rezeptionsformen einher: RezipientInnen der Gegenwart ge- zu überdenken, ob sich Übung idealerweise auf handwerk- Literacy – ein Begriff aus dem Englischen, für den es in der ste sind ja für etwas zu Entwickelndes da, nicht für sich selber. stalten erst das durch sie wahrgenommene Werk. Im Extrem lich-technische Aspekte beschränkt. Sie kann ohnehin nicht deutschen Sprache nicht einmal eine adäquate Übersetzung Bei Literacy, wie ich sie hier verstehen möchte, geht es verschmelzen Produktion und Rezeption zu einem einzigen derartig limitiert gedacht werden. Jede Auseinandersetzung gibt. nicht darum, dass du weisst, was dies und jenes bedeutet. Prozess, in dem ein subjektives, individuell variierendes Werk mit Kunst impliziert mitunter eine Übung der Rezeption. Next Literacy kann auf mindestens zwei Arten verstanden wer- Es geht vielmehr darum, dass du eben nie weisst, was es be- generiert wird. Kunst oder art-verwandte Strukturen als sol- Art Education steht vor der Aufgabe, die Grundlagen einer den: deutet, dass du eben nie zufrieden bist mit einer Bedeutung. che zu erkennen, heißt dann: ein mögliches Werk zur Existenz spezifischen Aufmerksamkeit als Voraussetzung für zeitge- Du musst das/unser/mein Alphabet erlernen und dann Deswegen stellst du sie immer wieder aufs Spiel. bringen. mäße Rezeptionsmodi zu schaffen. Dazu kann man kulturelle wirst du mündig in dessen Gebrauch Die hier gemeinte Literacy lebt vom Lernen – nicht vom Aber welche Skills sind für diese generative Werkschau Codes, die in Kunst verdichtet oder manipuliert werden, lesen – oder – Wissen. notwendig? (Wie) Sind sie vermittelbar? Das Konzept „Kom- und in einem nächsten Schritt schreiben üben – dies als ab- Du musst dir aus dem je dich Umgebenden so etwas wie Immer wieder geht es dabei um die Momente des Seinen- petenz“ im Sinne eines abrufbaren Protokolls hat anhaltende strakter Vorschlag in aller Kürze. Strukturen bauen, zu denen du dich dann bewusst verhalten Namen-darunter-Schreibens. Individuell oder kollektiv.

272 | BÖKWE 4_2015 BÖKWE 4_2015 | 273 ZUKUNFT IMPRESSIONEN

What’s Next, Art Education? Epilog einer ungeschriebenen Zukunft.

Was kann eine Nächste Kunstpädagogik sein, wie nimmt sie Neu ist jedoch, Kunstpädagogik aus einer tradierenden Hal- sich aus? Fünf mögliche Szenarien einer Next Art Education tung hinaus in mögliche Zukünfte zu denken. Kunstunterricht ge- wurden skizziert, erdacht, gesetzt, manifestiert und imagi- schieht in der Schule. Und Schule tradiert Wissen, Wissen von niert. Das betrifft das Verhältnis von Kunst und Bildung. Bei dem die Gesellschaft glaubt, dass es auch zukünftig relevant dem Unterfangen, in die Zukunft denken zu wollen, ist klar: sein kann. Sich ernsthaft am Jetzt zu orientieren, ist ein erster Sie kann nur aus der Gegenwart heraus gedacht werden. Schritt, Kunstunterricht in die Zukunft zu denken. (vgl. Meyer, 16 @afelia (2012). In: Und: Die Forderung nach dem Neuen ist nichts Neues – sie 2013: 378) Dies zu diskutieren, zu entwickeln und weiter zu Meyer/Kolb, 2015, hat Tradition: „Il faut être absolument moderne“, fordert bei- denken, ist hoffentlich das Nächste im Diskurs der Kunstpäd- Q263. spielsweise Arthur Rimbaud 1873. agogik. In diesem Sinne: „Ich freue mich auf die Zukunft“16.

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Brenne, Andreas (*1966) Professor für Kunstpädagogik Engels, Sidonie (*1975), Dr., Vertr.-Prof. für Kunst an der Biografien an der Universität Osnabrück. 2007-2012 Professor für „Äs- PH Heidelberg, 2008 – 2015 wiss. Mitarbeiterin im Fach thetische Bildung “ an der Universität Kassel. 2000-2007 Kunst der Bergischen Universität Wuppertal, Studium der Grundschullehrer in NRW. Studium künstlerisches Lehramt Kunst und Kunstdidaktik an der TU Dortmund, Studium der und Freie Kunst an der Universität Münster und der Kunst- Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik an der Ruhr- akademie Münster. Arbeitsschwerpunkte: Kunstpädagogik, Universität Bochum. Interessen: Künstlerisches Arbeiten und Alfermann, Elfi (* 1958); OStR´; E.Alfermann@t-online. Bering, Kunibert (*1951), Professor für Kunstdidaktik Künstlerisch-ästhetische Forschung, Grundschulpädagogik, Kunstpädagogik, Bilddidaktik, Geschichte der Fachdidaktik. de an der Kunstakademie Düsseldorf. Studium der Kunstge- Qualitativ-empirische Unterrichtsforschung und Kulturelle e-post: [email protected] schichte, Klass. Archäologie, Geschichte und Philosophie Bildung. Angerer, Peter (*1956), Lehrer für Bildnerische Erziehung in Bochum und Rom; 1978 Promotion; Erstes und Zweites Essig-Dehner, Sabine, (*1965) Sonderschullehrerin an an der NMS Frohnleiten und an der KPH Graz im Bereich Gra- Staatsexamen; gymnasialer Schuldienst; 1987 Habilitati- Buchmann, Mareike (*1981), Performancekünstlerin, der Graf von Galen-Schule in Heidelberg. Studium der Kunst fik, Didaktik und künstlerischer Projektarbeit. Gastlehrender on, Gastvorlesungen und Lehraufträge an den Universitäten Dozentin für Literatur und Performancepraxis, Tanzpädagogin und Sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Hei- der PH Heidelberg. Mitarbeit in EU Projekten zur künstle- Koblenz-Landau und Weimar; 2007/08 Gastprofessur an der mit Schwerpunkt Zeitgenössischer Tanz und Bewegungsfor- delberg. Langjährige Tätigkeit in Integrations-Inklusionsklas- rischen Bildung und Hochschulentwicklung. Als Künstler Univ. Bern. 2000-2002, 2009-2013 Dekan des Fachbereichs schung. Studium der Theater- und Literaturwissenschaft an sen in der Primarstufe. Künstlerische Projekte im inklusiven Ausstellungen seit 1976, Schwerpunkt konzeptuelle Kunst, Kunstbezogene Wissenschaften der Kunstakademie Düssel- der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. www.etwas- Kunstunterricht. Aktuell im Lehrerinnen-Team aus Grund- Bild-Textarbeiten, Grafik, Foto, Malerei, Objekt, Raum. Kon- dorf bewegt.blogspot.de schul- und Sonderpädagoginnen, die gemeinsam eine inklu- takt: peterangerer,@aon.at sive Grundschule in Heidelberg aufbauen. E-Mail-Adresse: Berner, Nicole (*1981), Dr., Jun.-Prof. für Kunstpädagogik Buschkühle, Carl-Peter (*1957) Dr. phil., habil. Studium [email protected] Bader, Barbara (*1972), Professorin für Fachdidaktik Kunst an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter der Kunst, der Philosophie und der Erziehungswissenschaften und Bildungswissenschaften an der Akademie der Bildenden bei Bonn. Studium der Kunstpädagogik, Psychologie und Pä- in Paderborn, Wuppertal und Köln. Professor für Kunstpäda- Fritzsche, Marc (*1969), Dr., Akademischer Rat a. Z. an Künste Stuttgart. 2006-2013 Studienbereichsleiterin BA/MA dagogik an der Universität Augsburg. 2007-2011 Forschungs- gogik, 2000 - 2007 an der Pädagogischen Hochschule Heidel- der Justus-Liebig-Universität Gießen und BDK-Referent für Art Education an der Hochschule der Künste Bern. Studium tätigkeit an der Universität Bamberg. 2012-2014 Wissen- berg, seit 2007 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Wis- Internationales. Zuvor Haupt- und Realschullehrer, Gymna- Lehramt Grund- und Sekundarschule, Illustration und Kunst- schaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Kunstpädagogik an senschaftliche Arbeit in den Schwerpunkten künstlerische siallehrer, Leiter des hessischen Fortbildungsprojekts „MuSe geschichte an den Universitäten Bern, Prag und Oxford. For- der Universität Augsburg. 2013 Promotion zur Dr. phil. über Bildung und philosophische Ästhetik. Computer“, hessischer BDK-Vorsitzender. Studium der Kunst- schungs- und Lehrschwerpunkte: Biografie und Profession, Bildnerische Kreativität. E-post: [email protected] pädagogik und Politikwissenschaft in Gießen. Interessen: u.a. Normalisierungsprozesse, Lern- und Wissensformen in den Burkhardt, Sara (*1970), Dr. phil., Professorin für Didak- Kunstpädagogik in/mit digitalen Medien, kunstpädagogische Künsten. [email protected] . Billmayer, Franz (*1954), Univ. Prof. für Bildnerische Erzie- tik der bildenden Kunst an der Burg Giebichenstein Kunst- Internationalisierung, Gegenwartskunst, eigene künstlerische hung an der Universität Mozarteum Salzburg. 1998 – 2003 hochschule Halle, zuvor Juniorprofessorin für Kunst und Arbeit. [email protected] Bauernschmitt, Susanne (*1974) seit 2006 Akade- Prof. für Kunst und ihre Didaktik an der Uni Paderborn. Stu- ihre Didaktik mit dem Schwerpunkt neue Medien an der mische Rätin für künstlerische Praxis und Kunstdidaktik an dium Bildhauerei und Kunsterziehung an der Kunstakademie TU Dresden. Studium an der HBK Braunschweig. Seit 2008 Fütterer, Werner (*1952), OStR i.H. an der Europa-Univer- der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Studium der München. Kunsterzieher in Bayern. Leitender Redakteur des Mitherausgeberin der Fachzeitschrift „Kunst+Unterricht“. sität Flensburg, Institut für Ästhetisch-Kulturelle Bildung, Abt. freien Kunst und Kunsterziehung an der Kunstakademie Fachblatts des BÖKWE. Interessen: Bildsemiotik, visuelle Arbeitsschwerpunkte: Kunstunterricht und Medienbildung, Kunst und visuelle Medien. Kunst-, Sport- und Medienpäda- Nürnberg, Grundschullehramt an der Friedrich-Alexander-Uni- Kultur, Bilddidaktik. e-post: [email protected]; web: öffentlicher Raum als Handlungsfeld von Kunst, forschende goge, Musiker. Stellv. Vorsitzender im geschäftsführenden versität Nürnberg. Kunstlehrerin an bayerischen Gymnasien. www. bilderlernen.at Ansätze im Unterricht. Web: www.saraburkhardt.de Vorstand des BDK, Fachverband für Kunstpädagogik. Inte- Interessen: Kunst und Diversität, Künstlerische Kunstpädago- ressen: Künstlerische Grundlagenbildung, Außerschulischer gik, eigene künstlerische Praxis. e-post: bauernschmitt@ph- Brandenburger, Katja (*1975), M.A.; Akademische Dudek, Antje (*1985), Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Lernort, Gemütlichkeitsemblematik. e-post: werner.fuette- heidelberg.de; web: http://www.susannebauernschmitt.de Mitarbeiterin und Doktorandin an der Pädagogischen Hoch- Kunstdidaktik an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule [email protected]; http://www.kunst-textil-medien.de/ schule Ludwigsburg. Studium Lehramt Realschule für Kunst, Halle. Studierte Kunst, Englisch, Deutsch als Zweitsprache fuetterer.html Bautz, Timo (* 1956), Kunsterzieher in München, seit Französisch und Deutsch an der Pädagogischen Hochschule (Lehramt Gymnasium) an der TU Dresden und der Boston 1992 Universität Würzburg (Lehramt Kunst in GS , HS und Freiburg i.Br., Magister Fachdidaktik Kunst und Französisch an University und absolvierte ihr Referendariat in Dresden. In- Gallo, Myriam (*1989), MA Art Education Hochschule SS) Schwerpunkte: Methoden des Kunstunterrichts und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. e-post: bran- teressen: und ihre Vermittlung, kollaborative der Künste Bern. Interessen: Material der Malerei und ihre Entwicklung der Kinderzeichnung [email protected] [email protected] Strategien. Ausdehnung im Raum, selbstorganisierte Räume& kollek- wuerzburg .de tive Schaffensprozesse, Förderung des künstlerischen Aus- Eiglsperger, Birgit, Prof. Dr., (*1968) Lehrstuhl für Kunst- tauschs über räumliche und kulturelle Grenzen hinweg. e- Bényei, Judi (1968), Dr. phil., Prof. und Lehrstuhlleiterin an erziehung, Universität Regensburg. Schwerpunkte: Bildhaue- post: [email protected], web: www.co-labor.ch der MOME. Forschungsgebiete: Media, Soziologie der Medi- rei, speziell Plastik und Objekt, farbige Druckgrafik, fachspe- en, Erziehungswissenschaft. [email protected] zifische Lehr-Lern-Forschung, interdisziplinäre Projektarbeit.

280 | BÖKWE 4_2015 BÖKWE 4_2015 | 281 BIOGRAFIEN BIOGRAFIEN

Gerber, Julia (*1983), cand. phil. an der Kunstakademie Grütjen, Jörg, (*1967), Dr. phil., Kunst- und Deutschlehrer Höfferer, Gerrit (*1965); lehrt Bildnerische Erziehung an Kathke, Petra (*1957), Dr. phil., Prof‘in für Kunstpädagogik Düsseldorf; Studium der Kunst und Kunstpädagogik an der an der UNESCO-Schule Kamp-Lintfort, Studium an der Kunst- der PH Wien; war in der Kunst- und Filmvermittlung und im an der Universität Bielefeld. 2006-2011 Prof.‘in für Kunst und Kunstakademie Düsseldorf; Studium der Germanistik an der akademie Münster und der WWU Münster, seit 2005 Lehr- Veranstaltungsbereich tätig, unterrichtete am Gymnasium ihre Didaktik an der PH Schwäbisch Gmünd. 2002-2006 Pro- Universität zu Köln; Meisterschülerin; Erstes Staatsexamen; aufträge an der Universität Duisburg-Essen, der Technischen und in der Erwachsenenbildung; Studium der Kunsterziehung, fessurvertretungen an der Uni Paderborn und der UdK Berlin. Publikationsassistentin am Lehrstuhl für Didaktik an der Universität Dortmund und der Fliedner-Fachhochschule Düs- Philosophie und Psychologie, Ethik und Theaterpädagogik; Studium: Lehramt Kunst sowie Kunstgeschichte und Kl. Ar- Kunstakademie Düsseldorf; 2013-2015 Promotionsstipendi- seldorf, 2013-14 Gastprofessur an der Burg Giebichenstein, postgr. Lehrgang am Institut für Kulturwissenschaften Wien; chäologie an der PH und FU Berlin. Aktuelle Arbeitsschwer- um der Dr. Werner Jackstädt-Stiftung. Kunsthochschule Halle, Forschungsschwerpunkte: Unter- Bundesvorsitzende des BÖKWE; Interessen: visuelle Bildung, punkte: Phänomenologie und künstlerische Bildung, Transfor- richtsforschung, Kunstrezeption und -vermittlung, Email: visuelle Kultur, Gender, Kunst/Medien- und Bilddidaktik; ger- mationen zwischen Aktion und bildnerischer Repräsentation. Glas, Alexander (*1955), Prof. Dr. phil. Professur für Kunst- [email protected], www.joerggruetjen.de [email protected] [email protected] pädagogik/Ästhetische Erziehung an der Universität Passau. Studium der Malerei und Kunstpädagogik an der Kunst- Halter, Virginie (*1987), MA Art Education Hochschule der Hornäk, Sara (*1971), Prof. für Kunst und ihre Didaktik/ Kaulfers, Swantje (*1973), Studium der Kunstpädagogik, akademie München, Kunstgeschichte und Philosophie in Künste Bern. Interessen: Medien und Formen der Reflexion Bildhauerei an der Universität Paderborn seit 2006. Studium Germanistik und Philosophie an der Hochschule für Bilden- München und Bamberg. Arbeitsschwerpunkte: Kinder- und im und über den künstlerischen Prozess, kulinarische Ma- der Bildhauerei und Philosophie an der Universität und Kunst- de Künste Braunschweig und der Technischen Universität Jugendzeichnung; Relation von Bild – Wort – Text; Vorstel- terialien, Netzwerke, selbstorganisierte Räume& kollektive akademie Düsseldorf. Promotion zu Spinoza und Vermeer; Braunschweig, Meisterschülerin, seit 2006 tätig am Theodor- lungsbildung. Mitherausgeber des Lehrwerks „KUNST“. Mit- Schaffensprozesse. e-post: [email protected], 1998-2006 Kunsterzieherin Gymnasium; 2003-2006 Lehrbe- Heuss-Gymnasium Wolfsburg, 2010-2015 wissenschaftliche glied des Forschungsverbundes IMAGO und Mitherausgeber web: www.co-labor.ch auftragte Kunstakademie Düsseldorf; Arbeitsschwerpunkte: Mitarbeit an der Hochschule für Bildende Künste Braun- der Zeitschrift „IMAGO“. [email protected] Theorien künstlerischer Praxis, skulpturales Handeln, Ent- schweig. Hausmann, Robert (*1986), 2007-2014 Studium der wicklung des plastischen Ausdrucksvermögens von Kindern Glaser-Henzer, Edith(*1944), Prof. em. Fachwissen- Kunstpädagogik und Geschichte an der TU Dresden. 2010/11 und Jugendlichen, e-post: [email protected] Kettel, Joachim (*1955) Prof. für Kunst und ihre Didaktik an schaft und Fachdidaktik Bildnerische Gestaltung und Kunst, kiss-Stipendiat der Siemens-Stiftung. Seit 2015 Referendar der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Langjährige kunst- Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwest- am Ökumenischen Domgymnasium Magdeburg. http://real- Jochum, Catharina (*1986) ist seit 2013 wissenschaft- und kulturpolitische Arbeit in der Internationalen Gesellschaft schweiz (ph fhnw). Forschungsarbeiten zu Vorstellungs- raum.wordpress.com liche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kunstpädagogik der der Bildenden Künste, IAA/UNESCO, hiermit u.a. Konzeption bildung und räumlich-visuellen Kompetenzen von Kindern Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von internationaler Ausstellungsprojekte, Symposien und Kon- und Jugendlichen. Leiterin Arbeitsgruppe Kunst & Bild der Heil, Christine (*1965), Dr. phil., Professorin für Kunstpä- 2010-2013 war sie im Rahmen eines interdisziplinären Ver- gresse zur künstlerischen Bildung; Gründungsmitglied des Schweiz. Gesellschaft für Lehrerinnen- und Lehrerbildung dagogik und Didaktik der Kunst an der Universität Duisburg- bundforschungsprojektes als Projektmitarbeiterin und Promo- European Council of Artists (ECA), Kopenhagen; Mitbegrün- SGL/SSFE. Interesse an Kunst aus allen Kulturen. Mail: Essen. Studium der Bildenden Kunst an der Hochschule für vendin im Teilprojekt „Malen und Schreiben in der Biographie. der der künstlerischen Bildung; Reviewer InSEA-International [email protected]. http://www.kunstunterricht-projekt. bildende Künste Hamburg und Mathematik und Erziehungs- Zur ästhetischen Gestaltung von Identität und Alterität“ tätig. Journal of Education Through Art. ch wissenschaft an der Universität Hamburg. Arbeitsschwer- Interessen: Bildpraxis von bildnerisch tätigen Laien, Bilddidak- punkte: Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Ästhetische tik. Mail: [email protected] Klein, Kristin (*1988) Studium der Kulturwissenschaft, der Gruber, Hans, (*1960), Prof. Dr. Dr. h. c., Lehrstuhl für Pä- Forschung und forschendes Lernen, qualitative Erforschung Kunstpädagogik, Germanistik und Bildungswissenschaften dagogik, Universität Regensburg. Schwerpunkte: Expertise- von Bildungsprozessen. E-Mail: [email protected], Kaesbohrer, Barbara (*1965) studierte Kunstgeschichte in Berlin, Dresden und Boston. Interessen u. a.: Kunst und forschung, Lehr-Lern-Forschung.Leitungstätigkeiten: Prorek- web: udue.de/heil und Technik-& Wissenschaftsgeschichte an der TU Berlin, Bildung im post-everything: immaterial labor, mixed reality. tor der UR, Präsident der European Association for Research 3D Design (Theatre Design) und Kunst- & Theatertheorie on Learning and Instruction (EARLI). Henning, Susanne (*1967), Wiss. Mitarbeiterin im Bereich an der Wimbledon School of Art in London. Promovierte an Klemenc, Judith, Autorin, Künstlerin und Kulturwissen- Kunst und ihre Didaktik (Schwerpunkt Bildhauerei) an der der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 1993 schaftlerin, zahlreiche Ausstellungen, Preise, Stipendien und Grünwald, Jan G. (*1974). Dr. phil., Lehrer am Goethe Universität Paderborn. Studium der Architektur an der Fach- als Szenografin tätig. Seit 2011 Professorin im Fach Kunst/ Publikationen, zuletzt: „Begehren, Vermittlung, Schule. Suchen- Gymnasium, Frankfurt a. M. Kunstpädagogik- und Amerikani- hochschule Lippe in Detmold. Tätigkeit als angestellte und Kunstpädagogik an der Uni Osnabrück. Lehrt und forscht in de Erkundung dessen, was auftaucht, während man tut“, Mün- stik-Studium an der Goethe Universität. Danach dort wissen- selbständige Architektin. Lehramtsstudium an der Universität der künstlerischen Praxis in den Gebieten zeitbasierte Kunst, chen: kopaed 2014. Forschungsschwerpunkte: Geschlechter- schaftlicher Mitarbeiter im Bereich Neue Medien am Institut Paderborn, 2. Staatsexamen. Forschungsschwerpunkt: Ar- Szenische Kunst und Medienkunst. verhältnisse, Migration, künstlerische Forschung und transfor- für Kunstpädagogikund Vertretung der Professur für Kunstdi- chitektonische und skulpturale Bildungsprozesse im Kunstun- matorische Bildungsprozesse. www.judithklemenc.at daktik am Institut für Kunstpädagogik der Justus-Liebig-Uni- terricht. e-post: [email protected]. Karl, Notburga (*1973), Studium der Freien Kunst an der versität Gießen. Arbeitsschwerpunkte: Bildkulturen, Räume, Kunsthochschule Düsseldorf und der School of Visual Arts in Klemme, Klemme (*1986), Studium der Kunstgeschich- kritische Kunstvermittlung, Gender Studies. jan@gruenwald. New York sowie der Kunstpädagogik an der Akademie der te, Kunstpädagogik, Psychologie, Informatik und Geschichte name, http://jangruenwald.tumblr.com/ Bildenden Künste München. Derzeit wissenschaftliche Mitar- an den Universitäten Heidelberg, Bremen und Köln. Künstler, beiterin in der Didaktik der Kunst an der Universität Bamberg, Musiker, Produzent, Kollaborateur und Agitator: www.nikolai- Arbeitsschwerpunkte: Bild- und Performancetheorie, Bild- blau.com; www.raumzeitgeist.net hauerei und Materialikonographie, aktuelle kunstdidaktische Theorien.

282 | BÖKWE 4_2015 BÖKWE 4_2015 | 283 BIOGRAFIEN BIOGRAFIEN

Kolb, Gila (*1979) Kunstpädagogin und Kunstvermittlerin. Laven, Rolf (*1966), Mmag. art. Dr. phil., Prof. für Bildne- Lutz-Sterzenbach, Barbara (*1965) Dr. phil., Kunst- Mügel, Rainer (*1953), Verw. Prof. für Kunstpädagogik Bis 2015 wiss. Mitarbeiterin an der Univ. Bremen, zuvor Pro- rische Erziehung an der Pädagogischen Hochschule Wien in pädagogin und Künstlerin. Studien zur Kunstpädagogik und an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig seit motionskolleg „Gestalten und Erkennen“ (2011-2013), Ver- den Bereichen Lehre und Forschung; Lehrbeauftragter an der Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität sowie 2010. Studium der Kunstpädagogik 1972-76, Aufbaustudium tretung der Professur „Kunst“ an der PH Heidelberg (2011- Universität Wien sowie Leiter des Kurses „Kunst und Design“ der Kunst an der Akademie der Bildenden Künste München. Kunstwissenschaft, 2003 Abschluss mit Dissertation, 1979- 2012), wiss. Mitarbeiterin an der Kunsthochschule Kassel im Rahmen der Berufsreifeprüfung - VHS Meidling. Bildender Promotion zu Epistemischen Zeichenszenen an der Akademie 2011 Kunstlehrer an einem Gymnasium in Wolfsburg, 1983- (2007-2011). Arbeitsschwerpunkte: Zeichnen Können im Künstler und Kunstvermittler. Studium der Bildhauerei, der der Bildenden Künste München. Mitherausgeberin der Fach- 92 im Landesvorstand des BDK Niedersachsen. Seit 2011 Kunstunterricht (Promotionsprojekt); Strategien aktueller Bildnerischen Erziehung/ Werkerziehung an den Kunstaka- zeitschrift KUNST 5-10, Redaktion der Fachzeitschrift BDK Neuaufbau des Studiengangs KUNST.Lehramt an der HBK- Kunstvermittlung. Publikationen: What’s Next? Art Education demien in Wien und Maastricht. e-post: rolf.laven@phwien. INFO. Vorsitzende des Fachverbandes für Kunstpädagogik BS. Interessen: Entwurfs- und Gestaltungsprozesse, Basteln/ (2015), Shift (2012). Web: http://aligblok.de ac.at; web: www.rolflaven.com BDK e.V. in Bayern. Wissenschaftliche Publikationen. Bricolage/Dilettantismus. Email: r.mü[email protected]

Krautz, Jochen (*1966), Prof. Dr., Professor für Kunstpäda- Lenk, Sabine (*1983) | 2003–2008 Studium der Fächer Mahlknecht, Barbara (1978) ist Uni-Assistentin am Inst. Nafe, Nadja (*1984), cand. phil. an der Kunstakademie Düs- gogik, Bergische Universität Wuppertal; Gründungsmitglied Kunst, Spanisch und Französisch für das Lehramt an Gym- für das künstlerische Lehramt der Akademie d. bild. Künste seldorf; Künstlerin; Studium der freien Kunst und Kunstpä- Forschungsverbund IMAGO; Mitherausgeber „IMAGO“ u. nasien an der Universität und Kunsthochschule Kassel | Wien. Sie forscht und arbeitet an Schnittstellen von kura- dagogik an der Kunstakademie Düsseldorf; Meisterschülerin; Schriftenreihe „IMAGO.Kunst.Pädagogik.Didaktik“; Beirats- 2005–2006 Stipendiatin des DAAD, Lehrtätigkeit in Salaman- torischer Praxis und kritischer Kunstvermittlung. Projekte: A Akademiebrief; Erstes Staatsexamen; Publikationsassistentin mitglied Gesellschaft für Bildung und Wissen; Forschungs- ca, Spanien | 2008–2010 Referendariat am Studienseminar Proposal to Call (Wien); The Subjective Object. Eine (Wieder-) am Lehrstuhl für Didaktik der Bildenden Künste an der Kunst- schwerpunkte: Systematik u. anthropologische Grundlagen für Gymnasien Kassel | seit 2010 Studienrätin für Kunst und Aneignung anthropologischer Bilder (Leipzig), Producing Pu- akademie Düsseldorf; Einzel- und Gruppenausstellungen im personaler Kunstpädagogik; Didaktik u. Methodik des Kunst- Spanisch am Wilhelmsgymnasium in Kassel. blics – Presence as a Strategic Tool? (Galerie für zeitgenös- In- und Ausland unterrichts; personale u. interpersonale Grundlagen der Päda- sische Kunst Leipzig) sowie eine Gesprächsreihe zu Bildung gogik; Bildungstheorie u. Bildungspolitik Loemke, Tobias (*1974), Akad. Rat am Lehrstuhl für Kunst- und Kunst im Depot Wien. Niederberger, Claudia (*1968) seit 2006 Dozentin für pädagogik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Fachwissenschaft und Fachdidaktik Bildnerisches Gestalten Krebber, Gesa (*1978), seit 2007 Lehrerin für Kunst und Nürnberg, 2005-2008 Studienrat am Kurfürst-Maximilian- Mateus-Berr, Ruth (*1964), Univ.-Prof. für Designver- Pädagogische Hochschule Luzern. Seit 2001 Dozentin für Deutsch am Gymnasium, seit 2014 Lehre an der Universi- Gymnasium Burghausen. Studium Freie Malerei und Kunster- mittlung an der Universität für angewandte Kunst Wien. plastisches Gestalten in Metall an der Hochschule Design tät zu Köln/ Institut für Kunst und Kunsttheorie, 2011-2014 ziehung an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und Sie ist Künstlerin, Wissenschaftlerin und Designforscherin, und Kunst, Luzern. Studium: Zeichen- und Werklehrerin an Stipendium Graduiertenschule Fachdidaktik Köln, Dissertati- an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Interessen: Abteilungsleiterin für Fachdidaktik. Sie ist zudem ausgebil- der Hochschule für Gestaltung in Luzern. MAS in Digital Me- onsprojekt: Kollaborative Kreativität, Interessen: Formen der Künstlerische Prozesse von Studierenden, Outsider Art, Phä- dete AHS Lehrerin in Bildnerischer Erziehung und diplomierte dia und Fachdidaktik Kunst und Gestaltung. Interessen: Äs- Kollaboration in der Kunst und der Kunstvermittlung, Kreati- nomenologie. e-post: [email protected] Kunsttherapeutin. Interessen: Kunst- und Designvermittlung, thetische Erfahrung, implizite Didaktik, Bildgestaltung analog vitätsbegriff, Schule im Wandel, Vernetzung; kontakt@gesa- Bildungsforschung, Urbanität, Interdisziplinarität, interkultu- und digital. [email protected] krebber.de; http://gesakrebber.de Lüber, Heinrich (*1961) Künstler und Professor an der relle und soziale Projekte. E-post: ruth.mateus-berr@uni-ak. Hochschule der Künste Zürich, Leiter der Vertiefung bilden ac.at; www.ruth-mateus.at Niehoff, Rolf (*1944); Studiendirektor a.D.; Studium an Küchmeister, Klaus (*1959) Kunstlehrer am Gymnasium und vermitteln im MA-Studiengang Art Education. Er ist ak- der Kunstakademie Düsseldorf (Freie Kunst, Kunstpädagogik, Meiendorf und Fortbildner im Referat Medienpädagogik am tiv in verschiedenen Forschungsprojekten und Initiativen zu May, Evelyn (*1977) Wissenschaftl. Mitarbeiterin grund_ Kunstwissenschaft); Meisterschüler bei Prof. Hoehme; Erstes Landesinstitut in Hamburg, Lehraufträge an den Unis Ham- Performance Art. Für seine künstlerische Arbeit erhielt er ver- schule der künste UdK Berlin. Doktorandin bei Prof. Dr. Andrea und Zweites Staatsexamen für das Lehramt am Gymnasium; burg und Flensburg, Medienreferent im Bundesvorstand des schiedene Auszeichnungen, u.a. den Schweizerischen Kunst- Sabisch/UHH, Promotionsvorhaben mit den Schwerpunkten bis 1996 Kunstpädagoge in Düsseldorf; bis 2009 Fachleiter BDK, Publikationen zur Filmbildung im Klett-, Friedrich-, Athe- preis 1996, 1997 und 1998, das Gordon Reid Fellowship in Vorstellungen über Partizipation und Verhältnisse zwischen für Kunst und Hauptseminarleiter am Studienseminar Krefeld; na- und Schott Verlag, Entwicklung des bundesweit preisge- Australien 1999 und einen UNESCO Award fort he promotion Bild und Wissen. Studium u.a. Kunstpädagogik Universität bis 2015 Vorsitzender des BDK Fachverband für Kunstpäda- krönten Unterrichts- und Fortbildungs-Projekts "MobileMo- of the Arts 1999. Web: www.lueber.net Dortmund, Referendariat und Tätigkeit als Kunstlehrerin in gogik Landesverband NRW; Hg. (gemeinsam mit Kunibert vie – urbane Mobilität im künstlerischen Handyfilm" info@ Berlin, Kunstvermittlerin Deichtorhallen, wissenschaftl. Mit- Bering) der Impulse.Kunstdidaktik kuechmeister.eu, www.mobilemovie-hamburg.de Lüth, Nana (*1966) Junior-Professorin Kunstdidaktik/ arbeit und Lehrtätigkeit an den Universitäten Hamburg und Geschlechterforschung, UdK Berlin. 2011-13 Mitarbeit am Köln. e-post: [email protected] Nümann, Marcus (*1974), Oberstudienrat für Kunst und Kunz, Ruth (*1952), Dozentin für Fachdidaktik im Studien- Forschungsprojekt „Kunstvermittlung zeigen“, Zürcher Hoch- Geschichte am Gymnasium Schloß Holte-Stukenbrock NRW. gang Art Education der Hochschule der Künste Bern. Stu- schule der Künste. 2003-05 Begleitforschung bei „Kinder ma- Meyer, Torsten (*1965), Professor für Kunst und ihre Di- Lehramtsstudium der Fächer Kunst und Geschichte an der dium Malerei, Theorie und Ästhetik an der Hochschule der chen Kunst mit Medien“ an Berliner Grund- und Förderschu- daktik, Schwerpunkt aktuelle Medienkultur an der Universität Universität Paderborn. e-post: [email protected] Künste Berlin. Lehramt Bildende Kunst Basel-Stadt. 1993- len, mit C. Mörsch. Schwerpunkte: Queer-feministische und zu Köln. Studium der Erziehungswissenschaft, Soziologie, 2002 Unterricht am Gymnasium. 2002 – 2011Forschungs- dekoloniale Ansätze in der Kunstpädagogik, Medien(Kunst) Philosophie und Kunst an der Universität Lüneburg, Universi- und Lehrtätigkeit an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Vermittlung, Visuelle Studien, Diagramme. www.nannalueth. tät Hamburg und Hochschule für Bildende Künste Hamburg. Publikationen zu Fragen des bildnerischen Prozesses und der de, http://www.udk-berlin.de/sites/kunstdidaktik/ Arbeitsschwerpunkte: Next Art Education, Globalisierung & Bedeutung des Sprachgeschehens im kunstpädagogischen Digitalisation, Schul- und Hochschulentwicklung im Horizont Unterricht. E-Mail: [email protected] grundsätzlich veränderter Medienkultur. http://medialogy.de

284 | BÖKWE 4_2015 BÖKWE 4_2015 | 285 BIOGRAFIEN BIOGRAFIEN

Pasuchin, Iwan (*1970), Komponist und promovierter (Me- Pirstinger, Franziska (*1965), Hochschullehrerin an den Reuter, Wilfried (*1960), OStR mit den Fächern Kunst und Schittler, Susanne (*1968), Lehrbeauftragte an der Uni- dien-) Pädagoge. Langjährige Lehr- und Forschungstätigkeit Pädagogischen Hochschulen Steiermark. Leiterin des Kom- Geschichte am Gymnasium in freier Trägerschaft Scheeßel. versität Koblenz im Bereich der Ästhetischen Bildung für Lehr- an der Universität Mozarteum Salzburg im Medienbereich. petenzzentrums Kunst Kreativität Kommunikation: KPH Graz. Seit 2011 Filmlehrer Niedersachsen. 04 – 07.2014 Lehrauf- amtsstudierende, Grundschullehrerin. Dissertationsvorhaben Mehrere Lehraufträge und Gastvorträge an (Kunst-) Univer- Studien: Kunsterziehung, Malerei, Pädagogische Psycho- trag an der HBK Braunschweig im Fachbereich Kunst Lehr- zum Bildungspotenzial Performativer Spielsituationen am sitäten sowie (Pädagogischen) Hochschulen in Österreich logie: Pädagogischen Akademie Eggenberg, Akademie der amt an Gymnasien. Studium der Kunst- und Werkpädagogik Beispiel künstlerischer Performances mit Kindern. Weitere und Deutschland. Durchführung zahlreicher Schulprojekte bildenden Künste Wien, Universität Wien. Unterrichtspraxen an der HBK Braunschweig, Lehramt Geschichte an der TU Schwerpunkte: Kinderkultur, Phänomenologische Forschung. kreativ-partizipativer Medienbildung und Forschungstätigkeit an allen Schultypen. Interessen: SchülerInnenperspektiven, Braunschweig. Email: [email protected] Diverse Vorträge und Publikationen zu Performance & Spiel. zu diesem Thema – derzeit im Rahmen des interuniversitären Künstlerische Projektarbeiten, Europaprojekte; Email: [email protected]. Web: www.susanneschittler.com Schwerpunktes „Wissenschaft und Kunst“. e-post: [email protected] Röske, Thomas (*1962) PD Dr. phil., ist seit 2002 Leiter der Sammlung Prinzhorn am Universitätsklinikum Heidelberg. Schneider, Alexander (*1986), seit 2014 wissenschaft- Pataky, Gabriella (*1964), Dr. phil., ELTE TÓK, MOME Bu- Poscharnig, Julia (*1986), ab WS 2015/16 Univ.-Lekt. an Er hat ab 1981 Kunstgeschichte, Musikwissenschaft und licher Mitarbeiter an der Bergischen Universität in Wuppertal. dapest, Arbeitsschwerpunkte: Visuelle Erziehung, Alternativ- der Abteilung Fachdidaktik am Institut für Kunstwissenschaf- Psychologie in Hamburg studiert und dort 1991 promoviert. Erstes Staatsexamen für Lehramt an Gymnasien und Ge- pädagogik; Mitglied von ENViL und BÖKWE. pataky.gabriel- ten, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung der Universität 1993-1999 war er Wissenschaftlicher Hochschulassistent samtschulen. Promotionsprojekt zum Thema Bildrezeption im [email protected] für Angewandte Kunst, Wien; Kunstpädagogin am MORG, am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Frankfurt. Er Kontext anthropologisch-hermeneutischer Kunstpädagogik. Salzburg. Bis 2013 Studium der Kunstpädagogik (kkp; Ange- gibt regelmäßig Lehrveranstaltungen am Zentrum für Europä- e-post: [email protected] Pauls, Karina (*1977), Dr. phil.; seit 2010 wissenschaftliche wandte) und Französisch (Universität Wien), seit 2015 Dok- ische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg. Mitarbeiterin an der Kunstakademie Düsseldorf, Didaktik der toratsstudium im Bereich Fachdidaktik (Angewandte). julia. Schnurr, Ansgar (*1977), Dr., Univ-Prof. für Kunstdidaktik Bildenden Künste, 2007-2015 Kunstpädagogin in Neuss; Tä- [email protected]; Ruttkay, Zsófia (*1955), PhD univ. Prof. Leiterin MOME- an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Studium Kunstpä- tigkeit in der Museumspädagogik; Erstes und Zweites Staats- TechLab, Computer Wissenschaftlerin. Forschungen: Interak- dagogik, Theologie und freie Kunst in Paderborn und Mün- examen, Meisterschülerin von Prof. Irmin Kamp, Kunstakade- Pritz, Anna (*1968), Dr. phil., Ass. Prof. in der Kunst- und tiv Design, technology-enhanced learning, serous games, ICT ster. Schuldienst; Akademischer Rat für Kunstdidaktik an der mie Düsseldorf; Forschungsschwerpunkte und Publikationen Kulturpädagogik an der Akademie der bildenden Künste Wien for cultural heritage preservation. [email protected] TU Dortmund. Forschungsschwerpunkte: Postmigrantische u.a. im Bereich „Räume“ in der Kunst, gestalterische und und Lehrende an einem Wiener Gymnasium. Studium Bild- Kunstpädagogik; Bildung im Kontext von Transkulturalität rezeptive Auseinandersetzung mit Bildern im Kunstunterricht, nerische Erziehung (Akademie der bildenden Künste Wien) Sabisch, Andrea (*1970), Univ. Prof. für Erziehungswis- und Globalisierung; Gesellschaftliche Milieus und ästhe- Farbe in zeitgenössischer Plastik und Anglistik/Amerikanistik (Universität Wien), Promotion im senschaft / Ästhetische Bildung an der Universität Hamburg. tisches Verhalten von Kindern und Jugendlichen. E-Mail: ans- Fach Pädagogik; Arbeitsschwerpunkte in der Verbindung von 2006-2007 Gastprofessorin an der Universität Oldenburg. [email protected] Pazzini, Karl-Josef (*1950) Studium Philosophie, Theolo- kunstpädagogischer Theorie und Unterrichtspraxis. a.pritz@ Studium der Anglistik und Germanistik, der Fächer Deutsch, gie, Erziehungswissenschaft, Mathematik, Kunstpädagogik, akbild.ac.at Kunst und Musik in Göttingen und Flensburg. Vorsitzende Schürch, Anna Kunstpädagogin, Dozentin und Forscherin seit 1982 Arbeit als Psychoanalytiker; von 1989 bis 2014 Pro- der Wissenschaftlichen Sozietät Kunst, Medien Bildung e.V.. im Bereich Art Education an der Zürcher Hochschule der fessor für Bildende Kunst und Bildungstheorie an der Univer- Ranft, Wolfgang (*1970), Vertr. Prof. Kunstdidaktik und Aktuelle Arbeitsschwerpunkte: Animation, Visuelle Bildung. Künste, ZHdK. Studium Lehramt für bildende Kunst sowie sität Hamburg. Lehraufträge: Berlin, Hamburg, Zürich, Luzern, Ästhetische Bildung Universität der Künste Berlin seit WiSe [email protected]; www.andresa-sabisch. Kunstwissenschaft in Basel. Arbeitsschwerpunkte: histo- Wien. Gerade erschienen: Bildung vor Bildern. Kunst • Päda - 2014/15. Vertr. Prof. Kunsthochschule Mainz SoSe 2013 bis de; http://kunst.erzwiss.uni-hamburg.de/ rische und aktuelle schulische Kunstpädagogik, Vermittlung gogik • Psychoanalyse. transcript. http://mms.uni-hamburg. WiSe 2014/15. Wiss. Mitarb. Kunst in Lehrämtern Universi- von Gegenwartskunst und Performance. de/blogs/pazzini/ http://www.pazzini-psychoanalyse.de/ tät Potsdam SoSe 2010 bis WiSe 2011/12. Lehrer an Schulen Safr, Manfred, (*1967) Univ. -Lekt. im Bereich Fachdidaktik http://psybi-berlin.de/ bei Stuttgart und in Berlin 2001 bis 2012. Studium Kunst, an der Universität für Angewandte Kunst. Seit 1996 Kunst- Schütze, Konstanze (*1981), Studium der Architektur, Chemie und Sport an der Päd. Hochsch. in Freiburg 1995 bis erzieher in Wien und Wiener Neustadt. Studium: Bildhauerei Kunstpädagogik und Amerikanistik in Dresden und Boston. Penzel, Joachim ( *1968), Dr., Bereichsleiter des Fachs 2000. Schwerpunkte: Künstlertheorie. mail: wolfgangranft@ an der Akademie der Bildenden Künste Wien und Kunsterzie- Derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität zu Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen an der Martin- hotmail.com. hung an der Universität für Angewandte Kunst Wien. e-post: Köln am Institut für Kunst&Kunsttheorie und Co-Founder des Luther-Universität Halle-Wittenberg; Lehraufträge an der [email protected] ; web: www.safr.at Galerieprojektes S T O R E contemporary in Dresden. Arbeits- Bauhaus-Universität Weimar und der Kunsthochschule Halle Reichenbach, Roland (*1962) ist seit 2013 Professor schwerpunkte: non visual imagery and the internet state of Burg Giebichenstein, tätig als Kunstpädagoge, Kunstwissen- für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Sansour, Teresa (*1985), 2005-2009 Studium Sonderpä- mind, Material und Medium aktueller Kunst und Kunstver- schaftler, Ausstellungskurator und Publizist; Email: Joachim. Zürich. Seine Forschungs- und Interessenschwerpunkte be- dagogik PH Heidelberg. 2010-2011 Vorbereitungsdienst für mittlung. web: storecontemporary.com [email protected]; web: www.integrale- treffen die Pädagogische Ethik, die Bildungsphilosophie, die das Lehramt in Heidelberg. 2011-2012 Vertretung einer wis- kunstpädagogik.de Politische Bildung sowie Verhandlungs- und Einigungspro- senschaftlichen Mitarbeiterstelle am Lehrstuhl für Geistigbe- Schwärzler, Muriel (*1987), MA Art Education Hoch- zesse. Er ist Autor zahlreicher Bücher über Bildungsthemen hindertenpädagogik der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit schule der Künste Bern. Interessen: Fotografie, Druck, selb- und Bildungsprozesse. 2012 Akademische Mitarbeiterin in der Lehreinheit Geistig- storganisierte Räume& kollektive Schaffensprozesse. e-post: und Mehrfachbehindertenpädagogik am Institut für Sonder- [email protected]; web: www.co-labor.ch pädagogik an der PH Heidelberg. Mailadresse: sansour@ ph-heidelberg.de

286 | BÖKWE 4_2015 BÖKWE 4_2015 | 287 BIOGRAFIEN

Schwörer-Merz, Lucile, Doktorandin und Lehrbeauf- Sutter, Sabine (*1981), Wissenschaftliche Mitarbeiterin tragte am Institut für Kunst der Pädagogischen Hochschule Kunstpädagogik und Didaktik der Kunst an der Universität Karlsruhe. Arbeitsschwerpunkte: Theorie und Praxis der Duisburg-Essen. Studium der Bildenden Kunst an der Kunst- künstlerischen Bildung und des künstlerischen Projekts, Empi- hochschule Mainz und der Philosophie und Erziehungswis- rische Forschung in der Kunstpädagogik, kunstpädagogische senschaft an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz. Professionalität. Eigene künstlerische Arbeit in den Bereichen Forschungsschwerpunkte: Kunstpädagogik und Kunstver- Malerei, Installation, Zeichnung und künstlerische Fotografie. mittlung aktueller Kunst, Ordnungsbildungen im Kunstunter- www.lucile-merz.de richt, Bild- Cluster und rekonstruktive Verfahren der Bildinter- pretation. E-Mail: [email protected] Settele, Bernadett (*1976), Wiss. Mitarbeiter_in für Kunstpädagogik/Kunstvermittlung an der Hochschule Lu- Thuge, Tobias (*1979), M.A., Studium der Kunstpädago- zern Design + Kunst. 2009-2011 Leitung Kunstvermittlung gik und Germanistik an der Universität Leipzig; Studienrat für in Transformation am Institute for Art Education der Zürcher die Fächer Kunst und Deutsch an der Regine-Hildebrandt- Hochschule der Künste. Studium Kunstgeschichte, Kunst- Gesamtschule Birkenwerder, Fachbereichsleiter Kunst; Mit- pädagogik, Philosophie und Soziologie Frankfurt/M. Mitglied glied im geschäftsführenden Bundesvorstand des BDK Fach- AG Kunst Pädagogik Geschichte. Mitglied AG Affekttheorie verband für Kunstpädagogik; redaktionelle Mitarbeit an den SGGS. Ko-Organisator_in Kunstpädagogisches Kolloquium „BDK-Mitteilungen“; E-Mail: [email protected] Loccum 2015. e-mail: [email protected]. Truniger, Peter (*1958), Psychologe lic phil I, Leiter Ba- Sowa, Hubert (*1954). Prof. für Kunst und ihre Didaktik an chelor Art Education Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Studium der Dozent für Psychologie an der ZHdK, Supervisor und Coach. Kunst, Kunstpädagogik, Kunstgeschichte, Pädagogik und Interessen: Mentoring und Lernberatung in künstlerischen Philosophie in Braunschweig, Nürnberg, Erlangen. Promotion und gestalterischen Prozessen, Künste lernen an Didaktiken in Philosophie. 1980-2001 Kunstlehrer am Gymnasium. Seit anderer Künste. e-post: [email protected]; web: www. 2002 Hochschullehrer. Mitbegründer des Forschungsver- zhdk.ch/?bae bundes IMAGO für Kunstpädagogik. Forschungsgebiete: Bild- hermeneutik, Imaginationstheorie, systematische Didaktik, Vermeulen, Marc (*1958) ist Professor an der TIAS Curriculumsentwicklung. [email protected]. School for Business and Society (Tilburg University) und In- haber des Lehrstuhls für strategische Analyse für Non-Profit- Stern, Anna (*1968), Performance-Künstlerin, seit 2012 Organisationen. Er lehrt über strategische Entwicklungen im wiss. Mitarbeiterin im Fach Kunst/Kunstpädagogik an der öffentlichen Sektor und über Methoden und Techniken zu Universität Osnabrück. Studium der Freien Kunst an der deren Analyse und Vorhersage. Kunstakademie Münster. Masterstudium Kunst im Kontext am Institut für Kunst im Kontext der UdK Berlin. Lehraufträge Wagner, Ernst (*1952) Dr. phil.; Studium an der Akade- an der Kunstakademie Münster, der Universität Kassel und mie der Bildenden Künste München; Zweitstudium und der HfMDK Frankfurt. Interessen: Performance-Kunst im Promotion in Kunstgeschichte, Philosophie und Volkskunde; Kunstunterricht (Promotionsvorhaben), Offener Unterricht. Lehrer für Kunst am Gymnasium; seit 2009 Mitarbeiter am Kontakt: [email protected], www.annastern.de UNESCO-Lehrstuhl für Kulturelle Bildung an der Universität Erlangen-Nürnberg; seit 2014 an der Akademie der Bilden- Sternfeld, Nora (*1976), Professorin für Curating and Me- den Künste München, zuständig für „Quereinsteiger“ in die diating Art an der Aalto University in Helsinki und Co-Direkto- Lehrerausbildung rin des /ecm – educating, curating, managing – Masterlehr- gang für Ausstellungstheorie und -praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien. Sie ist Teil des Wiener Büro tra- fo. K, das an Forschungs- und Vermittlungsprojekten an der Schnittstelle von Bildung, Kunst und kritischer Wissenspro- duktion arbeitet sowie der AG Kunst-Pädagogik-Geschichte.

288 | BÖKWE 4_2015 BERUFSVERBAND ÖSTERREICHISCHER KUNST- UND WERKERZIEHER/INNEN BIOGRAFIEN Parteipolitisch unabhängiger gemeinnütziger Fachverband für Kunst- und WerkerzieherInnen ZVR 950803569 Wetzel, Cornelia (*1978), Gymnasiallehrerin für Bildende Zahn, Manuel (*1974), Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter BÖKWE – Fachblatt für Bildnerische Erziehung, Technisches Werken, Textiles Gestalten Kunst und Französisch, Promovendin an der Bauhaus-Uni- an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität und Organ des Berufsverbandes Österreichischer Kunst- und WerkerzieherInnen versität Weimar. 2005-heute Kunstlehrerin am Gymnasium Hamburg; im WiSe 2015/16 Vertretungs-Prof. für Kunstpäda- www.boekwe.at in Baden-Württemberg. 2003-heute selbstständige Trainerin. gogik an der Hochschule für bildende Künste Braunschweig. Studium Kunsterziehung und Französisch Weimar, Jena, Hal- Seit 2007 Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen; 2011 Impressum Landesgeschäftsstellen: Medieninhaber und Herausgeber: le. Interessen: Erlernte Hilflosigkeit, Kompetenzgefühl in der Promotion zum Thema Film-Bildung in Hamburg; Arbeitsge- Kärnten: Mag. Hildegard Otto Berufsverband Österreichischer Kunst- und WerkerzieherInnen [email protected] Redaktionsleitung: Franz Billmayer Bildenden Kunst, Lösung von Lernblockaden. Email: Cornelia. biete: Bildungstheorie, Visuelle Bildung, die Kunst- und Film- Vorstand: Niederösterreich: Mag. Leo Schober [email protected] Layout und Satz: Dr. Gottfried Goiginger [email protected]; www. artemis-online.de vermittlung. [email protected]; http://blogs. 1.Vorsitzende: Mag. Gerrit Höfferer [email protected] Oberösterreich: Mag. Klaus Huemer [email protected] Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, 1030 Wien 2.Vorsitzende: MMag. Reingard Klingler [email protected] epb.uni-hamburg.de/zahn/. Steiermark: Mag. Andrea Stütz [email protected] Offenlegung nach § 25 Abs.4 MG 1981: Generalsekretärin/ Burgenland, Salzburg, Tirol, Wien, Vorarlberg: Fachblatt für Bildnerische Erziehung, Technisches Werken und Wetzel, Tanja (*1966) Studium der Philosophie, Bildenden Gechäftsstellenleitung: Dr. Lucia Bock [email protected] Dr. Lucia Bock [email protected] Textiles Gestalten. Organ des Berufsverbandes Österreichischer Kassierin: Mag. Hilde Brunner [email protected] Kunst sowie der Fächer Kunst und Sozialkunde für das Lehr- Zimmermann, Andrea (*1979), Psychologin lic phil I, Kunst- und WerkerzieherInnen Fachvertreter: Bundesgeschäftsstelle: Offenlegung nach § 25 Abs.1-3 MG 1981: amt in Berlin und Kassel, seit 2005 Professorin für Kunstpäda- wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte am Ba- Bildnerische Erziehung: Dr. Franziska Pirstinger [email protected] Beckmanng. 1A/6, A-1140 Wien Berufsverband Österreichischer Kunst- und WerkerzieherInnen, gogik an der Kunsthochschule Kassel. Arbeitsschwerpunkte: chelor Art Education, Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, Technisches Werken: Mag. Manuel Pichler [email protected] [email protected], parteipolitisch unabhängiger gemeinnütziger Fachverband von Textiles Gestalten: Mag. Susanne Weiß [email protected] die Persönlichkeit des Kunstlehrers, der Kunstlehrerin; zum Unterrichtsschwerpunkt und Interessen: kunstpsycholo- [email protected] Kunst- und WerkerzieherInnen. ZVR 950803569 Fachinspektoren: Mag. Andrea Winkler [email protected] Kto. BAWAG-PSK Begriff einer „kunstpädagogischen Haltung“; Lehrerhandeln gische Themen. e-mail: [email protected]; web: Leitung der Fachblatt-Redaktion: Franz Billmayer, Univ.Prof. IBAN: AT25 6000 0000 9212 4190 Fotos von den AutorInnen, wenn nicht anders vermerkt. [email protected] in offenen Prozessen im Kunstunterricht. www.zhdk.ch/bae BIC: OPSKATWW Landesvorsitzende: Winkler, Antje (*1981), Promotionsstipendiatin der Hans- Zumbansen, Lars (*1977), Dr. phil., Oberstudienrat für Kärnten: Mag. Ines Blatnik [email protected] Redaktionelles sind präzise zu zitieren, Bildnachweise Heft 3 (Sept.): 1.Juni Niederösterreich: Anneliese Szumovsky [email protected] anzugeben. Heft 4 (Dez.): 1.Sept. Böckler-Stiftung (Düsseldorf); Wissenschaftliche Betreuerin: Kunst und Deutsch am Gymnasium Harsewinkel (NRW). Oberösterreich: Mag. Susanne Weiß [email protected] Redaktionsteam: Anzeigen und Nachrichten jeweils Ende Prof. Dr. Marie-Luise Lange (TU Dresden); Schwerpunkte: Äs- 2005-2015 Lehrbeauftragter im Fach Kunst an der Universi- Steiermark: Dr. Franziska Pirstinger [email protected] Franz Billmayer (Leiter) Erscheinungsweise: des 1. Monats im Quartal MMag. Heidrun Melbinger-Wess [email protected] [email protected] Vierteljährlich thetik und Gegenwartskunst/ Politische Ästhetik; Bildung als tät Paderborn. Dort Studium der Germanistik, Kunst und Er- Mag. Katharina Jansenberger Bezugsbedingungen ab 2016: [email protected] Verbindung von Theorie und Praxis, Pädagogin f. Geschichte/ ziehungswissenschaft. 1. und 2. Staatsexamen. Mitheraus- LandeskoordinatorInnen: Redaktion, Anzeigen, Bestellungen: Mitgliedsbeitrag (inkl. Abo, Infos): € 42.00 Mag. Hilde Brunner [email protected] Kunst. geber der Zeitschrift „Kunst+Unterricht“; Arbeitsschwer- Burgenland: Brigitta Imre Fax.03352-38185-15 Beckmanngasse 1A/6, A-1140 Wien StudentInnen (Inskr.-Nachw.) € 21.00 Tel. +43-676-3366903 Normalabo: € 42.00 Salzburg: Mag. Rudolf Hörschinger [email protected] Beiträge: punkte: Ästhetik jugendkultureller Bildwelten, Strategien email: [email protected] Einzelheft: € 12.00 Wien: Dr. Harald Machel [email protected] Die AutorInnen vertreten ihre persönliche Ansicht, die mit der Meinung der Redakti- http://www.boekwe.at Auslandszuschlag: € 3.00 Wirth, Ingo (*1961) Fachleiter für Kunst am Studiensemi- der Wissensvisualisierung und kulturelle Schulentwicklung. Vorarlberg: MMag. Marina Schöpf [email protected] on nicht übereinstimmen muss. Es gilt das Kalenderjahr. Mitgliedschaft und Tirol: Dr. Beate Mayr, FI [email protected] nar für Gymnasien in Frankfurt am Main, Studium an der Goe- E-Mail: [email protected] Für unverlangte Manuskripte wird keine Redaktionsschluss: Abonnement verlängern sich automatisch. Haftung übernommen. Rücksendungen nur Heft 1 (März): 1.Dez. Kündigungen müssen bis Ende des jew. the Universität Frankfurt am Main und der Gesamthochschule gegen Rückporto. Fremdinformationen Heft 2 (Juni): 1.März Vorjahres schriftlich bekanntgegeben Kassel. Diverse Veröffentlichungen zur Praxis des Kunstun- werden. terrichts. Der internationale Kongress der Kunstpädagogik zum Thema „Blinde Flecken“ Wollberg, Ole (*1988), Promotionsstipendiat an der Uni an der Universität Mozarteum wird dankenswerterweise unterstützt von Hamburg. Mitarbeit im Team der »Forschungs- und Le[ ] rstelle. Kunstpädagogik und Visuelle Bildung«. Arbeit an einer Dissertation über Repräsentationen impliziten Wissens in der Malerei. Studium der Erziehungswissenschaft, Kunst und Ro- manistik an der Uni Hamburg und an der HfBK Hamburg. Seit 2012 Unterricht im Fach Kunst an Hamburger Gymnasien. Interessen: Bildungstheorie, Ästhetische Forschung, Tacit Veranstalter Knowing, Präsenz und (Re)Präsentation.

Urlaß, Mario (*1966), seit 2003 Prof. für Kunst und ihre Di- daktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Arbeits- schwerpunkte in künstlerischer Projektarbeit, künstlerischer Bildung im Primarbereich und eigener künstlerischer Praxis. Mail: [email protected]; Web: www.mario-urlass.de Berufsverband Österreichischer Universität Mozarteum Salzburg BDK Fachverband für lbg Verband Schweizer Lehrerinnen Kunst- und WerkerzieherInnen Mirabellplatz 1 Kunstpädagogik e.V. und Lehrer Bildnerische Gestaltung / Beckmanng. 1A/6, A 5020 Salzburg Jakobistr. 40 Bild und Kunst A-1140 Wien D 30163 Hannover c/o Verena Widmaier Kanzleistrasse 127 CH 8004 Zürich

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