Slaves of New York von : Meropolis 89

Autor(en): Horlacher, Pia

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Filmbulletin : Zeitschrift für Film und Kino

Band (Jahr): 31 (1989)

Heft 167

PDF erstellt am: 05.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-867316

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SLAVES OF NEW YORK von James Ivory Metropolis 89

Sie sind junge Wilde, nennen sich Grossstadt-Jugendkultur nicht gungen und Autounfälle - oder sie Künstler und benehmen sich so, wie sonderlich unterscheiden würden, träumen vom Bau einer Kapelle im der romantische Mythos des Genies machen sie darüberhinaus in Kunst. Die Vatikan mit einem weiblichen Erlöser - es ihnen diktiert: La Bohème, adaptiert Männer sind abstrakte Expressionisten La Christa, menstruierend und auf die ausgehenden achtziger oder vielleicht expressionistische windelwaschend. Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, Abstrakte. Sie malen grosse Cartoons Die Frauen, ein bisschen weniger Variante «Manhattan» - knallige auf grosse Leinwand - Pluto, Goofy & ernst genommen und sich ein Klamotten, pittoresk heruntergekommene Co. als Ausdruck postmodernen bisschen weniger ernst nehmend, sehen Lofts, Rock, Drogen, Drinks, Pluralismus - oder sie holen beim Metzger zwar auch wild aus, aber ihr künstlerischer Parties, Vernissagen, Shows. Aber um die Ecke Blut und Knochen Impetus ist doch eher ein weil sie sich damit von der kommunen und malen «traumatisch»-Vergewalti¬ kunstgewerblicher, traditionell genährt von

Die Sklaven von New York sind die Sklaven des alten amerikanischen Traums: Sie wollen Glück, Geld, Erfolg und Ruhm

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Heim und Herd. Sie machen japanisch inspirierten Schmuck aus Erbsen, Reis und rohem Fisch, Creation «Sushi» oder «Sashimi», sie nähen aberwitzige Hüte aus undefinierbaren Materialien, entwerfen Mode- und Haushaltaccessoires oder inszenieren sich selbst als aufwendige Kunstwerke. Man sieht ihnen an: In zehn oder zwanzig Jahren werden sie einmal die Woche den Töpferkurs besuchen, falls die Verpflichtungen von Haushalt und Familie es zulassen. «Slaves of New York» nennt die mittlerweile zu Kultehren gelangte Autorin Tama Janowitz die Repräsentanten der Macher- und Hänger-, der Anma- cher- und Anhängerszene, die sie in ihrer gleichnamigen Kurzgeschichten- Sammlung eher lakonisch denn satirisch beschreibt. Die Sklaven von New York sind die Sklaven des alten amerikanischen Traums: Sie wollen Glück, Eine Horde von Kleinbürgern: Was die Welt ihnen nicht bereits angetan hat Geld, Erfolg und Ruhm und hängen den traditionellen Werten, notdürftig kaschiert in den bunten Fummeln der Subkultur, mit der gleichen Inbrunst an wie weiland ihre Vorfahren in Anzug und Krawatte. Sie sind eine Horde von Kleinbürgern, versteckt unter dem Exhibitionisten-Mantel des «épater le bourgeois», aber der schreckbare Bourgeois in der amerikanisch-puritanischen Variation existiert dort, wo sie • KP ihre Pfade durch den Grossstadtdschungel trampeln, schon lange nicht mehr. Er existiert nur noch in ihnen selbst, und so geben sie sich denn alle Mühe, sich gegenseitig zu erschrecken, so gut es eben geht. Was die Welt ihnen nicht bereits angetan hat, oder was sie ihnen nicht antun mag, tun sie sich eben selbst an. Mal rasten sie aus, mal rasten sie ein. Sie hängen an der Nadel, an der Wohnung, am Geld, am Galeriebesitzer, oder was sie ihnen nicht antun mag, tun sie sich eben selbst an am Freund oder an der Freundin. Hauptsache, sie hängen an irgendetwas, oder von irgendetwas ab, denn wer nicht hängt, der könnte fallen. Und unter dem Pflaster liegt hier nicht der Strand, hier gähnt die grosse Leere. So rechtfertigen denn diese Abhängigkeiten in allen Bereichen des Urbanen Lebens - in den Beziehungen, im Wohnungsmarkt, im Kunstbetrieb - die hektische Betriebsamkeit, mit der die modernen Sklaven durch den Alltag jagen: wie Junkies auf dem Beschaffungstrip nach dem Stoff, der für Momente die Symptome der Abhängigkeit aufhebt, ohne die Abhängigkeit selbst zu gefährden. Auf den ersten Blick ist dies nicht die * * ° Welt von James Ivory, wie wir sie aus *** * CsS% "kx tit - seinen Filmen, zumindest den neueren, siigfü. kennen (obwohl er mit JANE AUSTEN IN MANHATTAN bereits einmal ein

50 Werk im heutigen New York ten, mit kreischender und dröhnender würmchen inmitten der ununter- ansiedelte). Von den Sittengemälden des und pumpender Musik jagt uns Ivory scheidbaren, wimmelnden und neunzehnten Jahrhunderts und der durch diesen aufgescheuchten krabbelnden Ameisenmenschen, denen in Décadence der Jahrhundertwende Ameisenhaufen und entlässt uns nudelfertig der Uniform der Auffälligkeit jede mit ihren Salonwirren in klugen und mit wackelnden Ohren aus Eigenart abhanden gekommen ist. Sie Literaturverfilmungen wie THE EUROPEANS, dem Kino. «Le déclin de l'empire versucht, aller Sehnsucht nach A ROOM WITH A VIEW oder MAURICE américaine» könnte das auch heissen Zugehörigkeit zum Trotz, sich selbst zu scheint der Weg lang bis zu Tama Ja- oder, nach Tama Janowitz, «the world sein. Von ihrem Sklavenhalter, einem nowitz' literarischem Comic-Strip on the edge of collapse». Gezeigt werden aufstrebenden Künstler und über die (Sub)Kultur-Schickeria aus Männer und Frauen am Rande idiotischen Ekel, kommt sie dank eigener Downtown-Manhattan. Auf den zweiten des Nervenzusammenbruchs, und Erfolge schliesslich los. Ob ihr das Blick lässt sich der Bogen leichter manchmal geht der Inhalt mit der Ausscheren aus dem Zug der Lem- schlagen: James Ivory, gescheiter Form durch, dann wird SLAVES OF minge endgültig gelingt, bleibt Zivilisationskritiker von Fin-de-siècle- NEW YORK, so konsequent das auch allerdings offen. Kulturen, liebt die geschlossenen sein mag, schlicht nervtötend. Gesellschaften, und noch mehr liebt er Dafür trösten die Momente, die uns Pia Horlacher die Zeichen an der Wand, die von deren Manhattan mit dem poetischen Blick Untergang künden; und vor allem eines Woody Allen sehen lassen. Doch liebt er die Gattung der Tragikomödie, sie sind rar, das Verweilen, die Weile die diese Zeichen am deutlichsten sind den Protagonisten fremd. Nichts aufnimmt. Denn noch ist die Katastrophe da von jenem «languor», jener sinnlichen, des eigentlichen Untergangs nicht leicht philosophisch eingetreten, noch herrschen die angehauchten Mattigkeit, die zu den komischen Äusserungen der Dekadenz vor, Markenzeichen der Merchant-Ivory-Pro- bar jeder Selbstironie, noch treibt die duktionen gehört und die die langjährige zunehmende Verblödung schöne Drehbuchautorin Ruth Prawer- Slapstick-Blüten, aber die Tragödie Jhabvala (ausnahmsweise war sie in der sterbenden Gesellschaften lauert SLAVES OF NEW YORK nicht mit von hinter den frisierten Hecken des der Partie) damit erklärt, dass das englischen Landadels von anno dazumal typische, anglo-indische Merchant- ebenso wie in den gekachelten Ivory-J habvala- Projekt normalerweise Ausstellungsräumen von New Yorks in der Wüste von Radschastan geplant zeitgenössischen Kunstgalerien. Ein wird. Filmemacher wie James Ivory, der die Lucy Honeychurch in A ROOM WITH A Die wichtigsten Daten zu SLAVES OF NEW Offenheit in allen VIEW wird auf ihrer Italienreise dieser Notwendigkeit zur von YORK (GROSSSTADTSKLAVEN): seinen Filmen thematisiert, der immer süssen Mattigkeit befallen, die sie Regie: James Ivory; Drehbuch: Tama Janowitz wieder und in den unterschiedlichsten den Blick nach innen richten lässt. Die nach ihren Kurzgeschichten; Kamera: Genres das Aufeinandertreffen von Introspektion wird sie für die Tony Pierce-Roberts; Schnitt: Katherine Kulturen, die Begegnung zwischen geschlossene Gesellschaft für immer Wenning; Ausstattung: David Gropman; Rassen, Klassen und Nationen durchspielt unbrauchbar machen, denn sie ist der Kostüme: Carol Ramsey; Musik: Richard Rob- (Henry James und E.M. Forster Beginn ihres Sich-selber-treu-Wer- bins. Darsteller (Rolle): Bernadette Peters gehören bezeichnenderweise zu seinen dens (und damit das Kernstück des (Eleanor), Chris Sarandon (Victor Okrent), Mary ein Lieblingsautoren), solcher Forsterschen Imperativs «only Beth Hurt (Ginger), Madelaine Potter (Daria), Filmemacher schaut mit einem lachenden connect»), ihrer Rebellion gegen die Adam Coleman Howard (Stash), Nick Corri und einem weinenden Auge auf eigene Klasse. In SLAVES OF NEW YORK (Marley Mantelio), Charles McCaughan die verzweifelt komischen Zuckungen gibt es in diesem Sinne auch eine Art (Sherman McVittey), Mercedes Ruehl (Sa- einer blinden, aufgeblasenen Gesellschaft, Lucy-Figur: Eleanor (hervorragend mantha), Jonas Abry (Mickey), Stephen Bastone Denise-Marie Beaumont aus der die Heissluft entweicht gespielt von einer Judy-Holliday-Nach- (Fahrer), (Ballerina), Mark Boone jr. Diane Brill wie aus vielen bunten Luftballons. folgerin namens Bernadette Peters), (Mitch), (Jogger), (Wilfredo), Michael Eleanor, die verrückte Hut-Designerin, Butler (Performance Künstler), Richy Ca- In unserem Fin de siècle entweicht die das naive Kind mit dem mächtigen natta (Saxophonist), Betty Comden (Mrs, Luft schneller und schriller als am Minderwertigkeitskomplex ist auf der Wheeler), Anthony Crivello (Friseur), Raye Ende des letzten Jahrhunderts, und Suche nach Identität, nach Zugehörigkeit, Dowell (Cheerleader), Christine Dunford so lässt denn James Ivory in SLAVES Liebe, nach einer sinnvollen Tätigkeit («B»), Stash Franklin, Aaron Goodstone OF NEW YORK die Fetzen fliegen. Die und in New York offenbar noch (Graffiti-Künstler), Kevin John Gee (Kyoshi), - Adam Green Grimes Kamera (von Tony Pierce-Roberts, der unmöglicher als in Zürich nach einer (Max), Tammy - (Georgette), Louis Guss Rick Hara bereits für die berückend schöne bewohnbaren Unterkunft. (Vardig), (Tetsu), John Harkins (Chuck Dade Dolger), George Fotografie A ROOM WITH VIEW von A Eleanor ist damit die Verkörperung Harris (Hauswart), Francine Hunter verantwortlich schlechthin, zeichnete) übernimmt die des modernen Sklaventums (Friseuse), Sakina Jaffrey (Rezeptionistin bei eifrige Betriebsamkeit dieses Milieus und der Weg, den sie geht, ist der Wilfredo), Tama Janowitz (Abby), Anna Katarina und wütet durch die Grossstadtschluchten, rote Faden, an dem sich das (Mooshka), Ken Kensei (Kiochi), Freddy La durch die Zimmer ohne Drehbuch, von Tama Janowitz selbst Korner (Party Gast), Anthony Paglia (Henry), Kim Larese (Ballerina) u.a. Aussicht und durch die Lebensfragmente, geschrieben, zögernd und sich gar oft - Produzenten: , Gary Hendler; die sich darin abspielen, mit verlierend entlangtastet. Und - assoziierte Produzenten: Fred Hughes, einer Hektik und Nervosität, die den schliesslich ist Eleanor auch, wenn Vincent Fremont; Produktionsmanager: Puls der Zeit trifft. Mit rasenden Fahrten schon nicht die Fackel der Hoffnung, Mary Kane. USA 1989. BRD-Verleih: Colum- und schnellen Schnitten, mit split- so doch der kleine Lichtblick in bia-Tri-Star, München; CH-Verleih: 20th Century screen und falschen Geschwindigkei¬ diesem düsteren Labyrinth, das Glüh¬ Fox, Genf.

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