Kröner Taschenbuch Band 506

In den Wäldern Germaniens war Varus mit seinen Legionen vernichtend geschlagen worden. Bei dieser Nachricht soll Au- gustus einen Zusammenbruch erlitten und ausgerufen haben: »Quinctilius Varus, gib mir meine Legionen wieder!« Noch Jahrhunderte später sollten sich römische Historiker mit Grau- sen an das erinnern, was sich im Herbst des Jahres 9 n. Chr. an jenem Ort zutrug,den Tacitus Saltus Teutoburgensis nennt – den Wald bei der Teutoburg. , Germane und römischer Offizier, lieferte hier sein strategisches Meisterstück ab: Im ›Teutoburger Wald‹ ging nicht nur ein gewaltiges Heer aus drei Legionen zugrunde, sondern auch der römische Traum vom imperium sine fine, vom Reich, das weder in Zeit noch Raum eine Grenze kannte. Der Althistoriker Michael Sommer geht in diesem Buch der Frage auf den Grund, wie es zu der Katastrophe kommen konnte. Dicht an den textlichen und archäologischen Quellen zeigt er, dass das Imperium unter Augustus kurz davor stand, aus Germanen Römer zu machen, und warum das Projekt schließlich scheiterte. Aus den antiken Zeugnissen wird so das Bild des römischen Germanien lebendig, eines Landes, in dem ehrgeizige Männer wie Varus und Arminius nach dem Preis des Sieges strebten.

Michael Sommer, geboren 1970, ist Privatdozent und lehrt Alte Geschichte an der University of Liverpool. Er ist durch zahl- reiche Veröffentlichungen zur antiken und hier insbesondere der römischen Kultur- und Sozialgeschichte hervorgetreten. Zuletzt bei Kröner erschienen: Die Phönizier (2005), Römische Geschichte II (2009). Michael Sommer

Die Arminiusschlacht

Spurensuche im Teutoburger Wald

Mit 14 Abbildungen und 4 Karten

ALFRED KRÖNER VERLAG STUTTGART Michael Sommer Die Arminiusschlacht. Spurensuche im Teutoburger Wald Stuttgart: Kröner 2009 (Kröner Taschenbuch; Band 506) ISBN Druck: 978-3-520-50601-6 ISBN E-Book: 978-3-520-50601-7

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Reihen- und Umschlaggestaltung: Denis Krnjaiç, Stuttgart (www.adenis.de), unter Verwendung des Hermannsdenkmals bei Detmold, fotografiert von Stefan Böhme, mit freundlicher Genehmigung des Kreises Lippe/Der Landrat.

© 2009 by Alfred Kröner Verlag, Stuttgart Datenkonvertierung E-Book: Alfred Kröner Verlag, Stuttgart Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis ...... 7 Vorwort ...... 9 1. Prolog:Hermann der Deutsche ...... 13 2. Varus der Römer ...... 20 Eine römische Karriere ...... 21 Rom im Umbruch ...... 27 Leben unter römischer Herrschaft ...... 37 Nach Germanien ...... 47 3. Die Schlacht im ›Teutoburger Wald‹ ...... 55 Die Quellen ...... 55 Frühe Gewährsleute: Ovid, Marcus Manilius, Strabon . 56 Die Stimme seines Herrn: Velleius Paterculus . . . . . 59 Katastrophe im Zeitraffer: Florus ...... 62 Der Chronist der Niederlage: Cassius Dio ...... 63 Das Schlachtgeschehen in der Rückblende: Tacitus . . 67 Versuch einer Zwischenbilanz ...... 77 4. Arminius der Cherusker ...... 91 Noch eine römische Karriere ...... 93 Stammesgesellschaft im Wandel ...... 97 Ariovist ...... 101 Im Schatten Roms ...... 110 Völker in Waffen ...... 115 Die Macht des Unterlegenen: das Moment der Asymmetrie ...... 123 Marbod ...... 126 9 n. Chr.: das Vorspiel zur Schlacht ...... 132 5. Die Schlacht um Kalkriese ...... 139 Rom in Germanien: vom Werden einer Provinz . . . . 140 Der Fundplatz in der Kalkrieser-Niewedder Senke . . 156 Was geschah in Kalkriese? ...... 161 Epilog ...... 168 Literaturverzeichnis ...... 170 Register ...... 181

Abkürzungsverzeichnis

1. Griechische Autoren und Werktitel

App. Gall. = Appian, Gallika Cass. Dio = Cassius Dio Herodian. = Herodianos Hom. Il. = Homer, Ilias Ios. bel. Iud. = Flavius Iosephus, Bellum Iudaicum

2. Lateinische Autoren und Werktitel

Amm. = Ammianus Marcellinus, Res gestae Caes. Gall. = Caesar, De bello Gallico Flor. epit. = Florus Manil. = Marcus Manilius Mon. Ancyr. = Res gestae divi Augusti (Monumentum Ancyranum) Ov. trist. = Ovidius, Tristiae Plut. Caes. = Plutarch, Caesar Strab. = Strabon Suet. Aug. = Suetonius, Divus Augustus Tac. Agr. = Tacitus, Agricola Tac. ann. = Tacitus, Annales Tac. Germ. = Tacitus, Germania Tac. hist. = Tacitus, Historiae Tib. = Tibullus, Elegiae Vell. = Velleius Paterculus Verg. Aen. = Vergilius, Aeneis

3. Reihen, Zeitschriften und Sammelwerke

CAH = Cambridge Ancient History CIL = Corpus Inscriptionum Latinarum, hg. v. d. Königlich-Preu- ßischen Akademie der Wissenschaften bzw. der Ber- lin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (1853ff.) ClPh = Classical Philology 8 „ Abkürzungsverzeichnis

JRS = Journal of Roman Studies Lehmann/ = Gustav Adolf Lehmann/Rainer Wiegels (Hg.): Römische Wiegels, 2007 Präsenz und Herrschaft im Germanien der augusteischen Zeit. Der Fundplatz von Kalkriese im Kontext neuerer Forschungen und Ausgrabungsbefunde, Göttingen 2007 PCPhS = Proceedings of the Cambridge Philological Society RIC = Roman imperial coinage, hg. v. Harold Mattingly et al. (1923ff.) WA = World Archaeology Vorwort

Einen deutschen ›Hermann‹ machten aus Arminius,dem Che- rusker, die Intellektuellen der Reformationszeit; als ›Her- mannsschlacht‹ war fortan die römische Niederlage des Jahres 9 n.Chr., an einem Ort, den Tacitus das »Waldgebirge« oder den »Pass bei der Teutoburg« nennt, eines der sinnstiftenden Großereignisse der deutschen Nationalgeschichte. Neben Lu- ther selbst verkörperte Arminius-Hermann damit den Ein- heits- und Selbstbehauptungswillen eines Volkes, dessen natio- nale Frage bis weit in die Moderne hinein ungelöst blieb. Spätestens die Stunde Null des Jahres 1945 brachte die Ab- kehr von der intentionalen Vereinnahmung des Cheruskers durch die Nationalgeschichte. Das Treffen zwischen Römern und Germanen hieß nun nach seiner vermeintlichen Örtlich- keit schlicht ›Schlacht im Teutoburger Wald‹ – wobei das heu- te so genannte Mittelgebirge erst mit der im 19. Jh. weitge- hend akzeptierten Lokalisierung der römischen Niederlage eben dort seinen heutigen Namen erhielt. In dem anderen Namen, unter dem das Ereignis besonders seit den Aufsehen erregenden Funden in Kalkriese bei Osnabrück bekannt ist, artikuliert sich der stillschweigende Perspektivenwechsel der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft: Wer von der ›Va- russchlacht‹ spricht, betrachtet das Ereignis aus der Perspektive der römischen Verlierer, für die die Germanen – Barbaren – am Rande der Mittelmeerwelt und ihrer zivilisierten Oikume- ne stehen; clades Variana – die Varus-Niederlage – nannten das Ereignis schließlich schon die Römer selbst. Indes: Wenige Schlachten gehen unter dem Namen des unterlegenen Heer- führers in die Geschichte ein. Der Titel dieses Buches – Die Arminiusschlacht – wurde mit Bedacht gewählt: Erstens ist Arminius, so wenig wir über ihn wissen, ohne Frage die Hauptfigur des Geschehens. Ohne ihn und seinen unbedingten Willen zur Macht hätte es keine Schlacht gegeben, und ohne ihn wäre das rechtsrheinische 10 „ Vorwort

Germanien womöglich römische Provinz geworden und ge- blieben. Arminius repräsentierte, als er 9 n. Chr. die Varus-Le- gionen zur Schlacht stellte, einen ganz neuen Typus des ger- manischen Herrschers: Als charismatischer Führer von Män- nern, die alte landsmannschaftliche Identitäten hinter sich ließen, wies er dem weiten Raum rechts des Rheins die Zu- kunft. Seinesgleichen war es, 200 Jahre später, bestimmt, das mächtige römische Imperium herauszufordern;400 Jahre nach Arminius schickten sich germanische Heerkönige an,das poli- tische Erbe der Römer anzutreten. Damit im Zusammenhang steht der zweite Grund für die Wahl des Titels: Das germanische ›Barbaricum‹ war bereits um Christi Geburt mehr als nur passiver Rezipient römischer Kul- turleistungen und Innovationen. Vielmehr war Germanien, angestoßen durch die römische Eroberung des nordalpinen Gallien, Schauplatz eines Wandels, der seine Gesellschaft auf breiter Front erfasste und kaum etwas beim Alten beließ: Die Schockwellen von Caesars Gallischem Krieg vernichteten die protostädtischen Siedlungen der La-Tène-Zeit und verwan- delten eine bäuerlich-sesshafte Gesellschaft in wenigen Jahr- zehnten in jenes explosive Gemisch hochmobiler Stammes- verbände, das Varus bereits vorfand. Arminius steht sinnbild- lich für diese Entwicklung, die in letzter Konsequenz den römischen Limes unter sich begrub. Wir blicken deshalb nach genau 2000 Jahren auf eine Schlacht zurück,die gewiss selbst ein historischer Wendepunkt war, vor allem aber symptomatisch ist für den Gezeitenwechsel von wahrhaft welterschütternden Dimensionen, der sich um Christi Geburt in Zentraleuropa ankündigte. Dieses Buch möchte auf den folgenden Seiten zum Verständnis dieses Prozesses beitragen. Es bettet deshalb das, was wir an archäo- logischen und textlichen Informationen besitzen, in ein brei- teres Umfeld ein, dessen Brennpunkte das römische Kaiser- reich links und die germanischen Stammesgesellschaften rechts des Rheins bilden. Wenn der Jahrestag der Schlacht auch von einer breiten Öffentlichkeit zum Anlass genommen wird, Vorwort ƒ 11

Fragen nach den Hintergründen zu stellen, so kann das nur zur Versachlichung der gegenwärtigen Debatte um Kalkriese beitragen. Der Verfasser hat vielfältige Anregungen von unterschied- licher Seite erhalten,die alle in das Buch eingeflossen sind.Die Initialzündung gab ein Doppelvortrag der Osnabrücker Ar- chäologen Susanne Wilbers-Rost und Achim Rost in Liver- pool. Beider Begeisterung für die Archäologie des Schlacht- felds hatte ansteckende Wirkung und überzeugte einen noto- rischen Skeptiker. Mein Liverpooler Kollege Phil Freeman führte mich an die Feinheiten der Schlachtfeldarchäologie heran und diskutierte mit mir ungezählte methodische Proble- me. Mit Boris Dreyer konnte ich wiederholt Gedanken zur historischen Überlieferungslage austauschen. Imanuel Geiss schärfte in der langen Zeit, die wir uns jetzt kennen, mein Be- wusstsein für die großen historischen Linien. Alle fünf lasen und kommentierten das Manuskript oder bedeutende Teile davon und halfen mir so,manchen Fehler zu vermeiden.Alfred Klemm vom Alfred Kröner Verlag bot einem unversehens ver- waisten Manuskript eine neue Heimat. Er und Julia Aparicio Vogl betreuten Text und Verfasser mit der gewohnten, nie ver- siegenden Geduld, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Ihnen allen sei für ihren Anteil am Zustandekommen dieses Buches herzlich gedankt.

Oxton, Wirral, im Dezember 2008

1. Prolog: Hermann der Deutsche

Am 25. September 1897 wurden die Bürger der kleinen Stadt New Ulm im Süden des US-Bundesstaates Zeugen eines denkwürdigen Ereignisses: Mit feierlichem Pomp wurde vor 20 000 Zuschauern das eingeweiht und am selben Tag der 21. Nationalkongress des Order of the eröffnet,zu dem Delegierte aus 23 Staaten an- gereist waren. Man rezitierte Lyrik, gab deutsches Sangesgut zum Besten, veranstaltete Picknicks, führte Tänze und Thea- terstücke auf, zog in festlicher Parade durch die Stadt und

Abb. 1: Hermann Heights Monument, New Ulm, Minnesota (links) Her- mannsdenkmal bei Detmold (rechts) 14 „ Prolog: Hermann, der Deutsche schenkte einen Gerstensaft namens Hermann’s Brau Beer aus. Kurz: Man feierte auf uramerikanische Weise sein Deutsch- sein. Was hatte Hermann in der Prärie des Mittleren Westens zu suchen? Das ›Hermann Heights Monument‹, so der volle Name des im North Star State aufgestellten kleinen Bruders des in Deutschland besser bekannten Detmolder ›Hermanns- denkmals‹, entstand auf Initiative von Julius Berndt, einem deutschen Einwanderer, der 1832 in Schlesien geboren wor- den und mit 20 Jahren nach Amerika gekommen war, wo er sich zunächst in Chicago niedergelassen hatte. Dort schloss er sich dem Chicago Landverein an, einer 1853 gegründeten Orga- nisation, die das Ziel verfolgte, auf gerade den Indianern abge- rungenem Land im Mittleren Westen eine rein deutsche Kolo- nie zu gründen. So entstand, am Zusammenfluss des Cotton- wood River mit dem Minnesota River, die Stadt New Ulm. In seiner neuen Heimat an der Schwelle zum amerikani- schen Westen gründete Berndt die lokale Loge des Ordens der Hermannssöhne. Die Organisation hatte sich 1840 in der deutschen Diaspora New Yorks als Bruderschaft zur gegensei- tigen Selbsthilfe gegründet. Schon die Namenswahl lässt ah- nen, wie populär der Cheruskerfürst Arminius, aus dem erst der Reformator Luther einen ›Hermann‹ machte, in der alten und neuen Heimat der deutschen Einwanderer war. In Deutschland stand er für die Einheit einer sich gerade erst ent- deckenden, politisch tief gespaltenen und in zahllose Klein- und Kleinststaaten fragmentierten Nation, auf der anderen Seite des Atlantiks für das Gebot der Solidarität unter den Im- migranten deutscher Zunge – in einer Welt,die gerade in den 1840er Jahren längst nicht mehr jeden mit offenen Armen aufnahm. 1881, der Detmolder Hermann war erst vor sechs Jahren eingeweiht worden, verkündete Julius Berndt seinen Plan, ein deutsch-amerikanisches Gegenstück zu errichten, das nicht über der Lippe thronen sollte, sondern über dem Minnesota und der endlosen Weite der Prärie. Der Schlesier trommelte Prolog: Hermann, der Deutsche ƒ 15 eifrig für das Projekt seines Lebens,doch sechs Jahre später hat- te er gerade einmal sechs- der veranschlagten zwanzigtausend Dollar beisammen. Man begann dennoch mit dem Bau: 1888 wurde der Grundstein gelegt, und gegen alle Unkenrufe wuchs das Denkmal in die Höhe.Eine Firma aus Ohio goss die zehn Meter hohe Statue des Helden, die zunächst in einem Schuppen zwischengelagert werden musste. Doch drei Jahre vor Anbruch des neuen Jahrhunderts hatten die Bürger von New Ulm tatsächlich ihren Hermann, nach 15-jähriger Pla- nungs- und Bauzeit. Das war nichts im Vergleich zu der Geduld, die Ernst von Brandel aufbringen musste, der Erbauer des Hermannsdenk- mals auf dem Detmolder Teutberg:Mit dem Bau des 53 m in den Himmel ragenden Monuments war bereits 1838 begon- nen worden. Immer wieder stockten die Bauarbeiten, weil entweder das Geld oder der politische Wille zum Weiterbau fehlte. Erst mit der Reichsgründung 1871 avancierte der Bau unversehens zu einem nationalen Großprojekt und konnte dann tatsächlich binnen weniger Jahre fertiggestellt werden. Brandel erlebte gerade noch die feierliche Einweihung in Ge- genwart des Hohenzollernkaisers, dann starb er 1876. Auch der Kuraufenthalt in Italien, den Wilhelm I. dem nun Hoch- geehrten großzügig finanzierte,konnte dem Todkranken nicht mehr helfen. Bei allem Trennenden sind die Parallelen zwischen Brandel und Berndt unübersehbar: Beide waren politisch geprägt vom deutschen Vormärz und beide widmeten ihr Leben dem Ein- satz für ein Symbol, das ihnen und ihren Zeitgenossen viel be- deutete: Einheit im Angesicht von politischer Zerrissenheit, Solidarität im Angesicht von Ressentiment, Stärke im Ange- sicht einer wahrgenommenen feindlichen Übermacht. Dass ausgerechnet ein cheruskischer Stammesführer, der in römi- schen Diensten gestanden hatte und auf dessen Konto die Nie- derlage dreier römischer Legionen irgendwo in Nordwest- deutschland ging, die Gestalt wurde, die all das verkörpern sollte, mag zunächst überraschen,ist aber durchaus folgerichtig 16 „ Prolog: Hermann, der Deutsche angesichts der erstaunlichen Karriere, die Arminius-Hermann in der Rezeption durch Kunst und Literatur bis dahin bereits zurückgelegt hatte. In der Renaissance waren nach und nach die Berichte römi- scher Historiografen aus der Versenkung aufgetaucht. Als ers- ter griff Ulrich von Hutten in seinem lateinischen Arminius- dialog (1529) den Stoff auf, indem er Arminius zum Vorkämp- fer der Freiheit Germaniens gegen Rom stilisierte – ›Rom‹, das war für ihn überdeutlich der universalistische Anspruch des Papsttums,von dem er,der Humanist,Deutschland zu befreien trachtete. Vom Germanen zum Deutschen, von Arminius zu Hermann mutierte der Cherusker zuerst bei den Reformato- ren um Martin Luther,1 bald popularisierten ihn antipäpstliche Flugschriften als martialischen Recken oder machten ihn zum Kronzeugen christlicher Einheit gegen die Türkengefahr. Der schlesische Barockdichter und Diplomat Daniel Caspar von Lohenstein legte 1690 einen 3000-seitigen Roman mit dem eingängigen Titel Großmüthiger Feldherr Arminius oder Hermann / Als ein tapfferer Beschirmer der deutschen Freyheit / Nebst seiner Durchlauchtigten Thußnelda / In einer sinnreichen Staats- Liebes- und Helden-Geschichte Dem Vaterlande zu Liebe / Dem deutschen Adel aber zu Ehren und rühmlichen Nachfolge / In Zwey Theilen vorgestellet.Um 1700 war Arminius-Hermann eine feste Größe in Drama, Oper und darstellender Kunst. Im von der Aufklärung beherrschten 18. Jh. avancierte der Held von der Weser vom Freiheitshelden zur Projektionsflä- che intellektuellen Sehnens nach der Nation, das selbst eine stürmische Wandlung durchmachte: In Johann Elias Schlegels Drama Hermann (1740/41), in dem sich ein tugendhaftes Deutschland und ein korruptes, auf den Hund gekommenes Rom gegenüberstehen, geht es um die Treue zur eigenen Ge- meinschaft, die als ein Gebot der Vernunft eingefordert und durch Erziehung erreicht wird. Für Friedrich Gottlieb Klop-

1 Zuerst 1532 in der deutschen Chronik des Johannes Carion. Vgl. Mer- tens 2004, 100. Prolog: Hermann, der Deutsche ƒ 17 stocks Schauspiel Hermanns Schlacht (1769) ist der Schlachten- lärm nur die Hintergrundmusik, vor dem sich die eigentliche Handlung als Gespräch zwischen das Kampfgeschehen beob- achtenden Barden und Druiden entrollt. Thema ist hier die Nation als urwüchsige, nicht durch Erziehung konstituierte Kultur- und Schicksalsgemeinschaft, die gegen äußere Bedro- hung zusammenfindet. Heinrich von Kleists Version der Her- mannsschlacht (1808) ist die erste literarische Bearbeitung nach der Französischen Revolution und der preußischen Niederla- ge gegen Napoleon (1807), wobei beide Ereignisse deutliche Spuren hinterlassen haben: Das Drama kreist um Widerstand und Befreiung – und spannt die Nation als Kulturgemeinschaft vor den Karren politisch-strategischer Zielsetzungen. Das im Zentrum der Handlung ruhende Paradox, dass der Kampf für die Nation es im Extremfall erfordert, ihre ureigenen kulturel- len Werte auf dem Altar des Selbsterhalts zu opfern, vermag Kleist nicht aufzulösen: Am Ende steht das von Hermann be- schworene Bild des in eine rauchende Trümmerlandschaft ver- wandelten Rom.2 Mit der Französischen Revolution, den Befreiungskriegen und der anschließenden, lange währenden Reaktionsperiode des Vormärz war der Boden bereitet für den kometenhaften Aufstieg des Gründerhelden deutscher Identität. Von hier führt ein direkter Weg zu der Parallele, die Theodor Momm- sen 1871, als die Waffen gerade verstummt waren, zwischen der Arminiusschlacht und dem Deutsch-Französischen-Krieg zog: Ein »Wendepunkt« sei der Tag im ›Teutoburger Wald‹ ge- wesen, ebenso wie die Schlacht von Sedan (»Welch eine Wen- dung durch Gottes Führung!«). So rasch wie Hermanns Auf- stieg erfolgte freilich auch sein Sturz vom Sockel des identitäts- stiftenden Volksretters. Als nämlich das erträumte Reich 1871 schließlich Realität geworden war, stand unversehens ein an- derer heros ktistes im Rampenlicht: kein geringerer als Bis- marck selbst, der Franzosensieger, der nun flugs dem Römer-

2 Vgl. Reemtsma 1999; Griffiths 2008. 18 „ Prolog: Hermann, der Deutsche sieger Hermann den Rang ablief. So betrachtet, war das Hermannsdenkmal von Detmold bei seiner Fertigstellung ei- gentlich schon ein Anachronismus. Man mag sich heute über die Banalität eines mythischen Na- tionalhelden mokieren, der selbst ganz sicher nicht in nationa- len Kategorien dachte: Einen Gründerheros aber braucht jede Gemeinschaft – und die Nation als prototypische imagined com- munity ganz besonders. Schaffung und Schleifung des Her- mannsmythos’ gehorchten deshalb der zwingenden Logik ei- ner schwierigen Nationwerdung, wie sie sich zwischen dem 16. und dem 19. Jh. in der Mitte Europas vollzog. Gut 100 Jah- re später blicken wir abgeklärter auf das Geschehen im ›Teuto- burger Wald‹, wie der Ort der Schlacht in schiefer Taci- tus-Übersetzung noch immer gerne genannt wird: 2000 Jahre nach der von dem Kaiserbiografen Sueton aus römischer Sicht treffend so bezeichneten clades Variana können wir nüchtern bilanzieren, was wir über die Ereignisse des Jahres 9 n. Chr. wissen – und was wir nicht wissen und nach Lage der Dinge vermutlich auch nie wissen werden. Dieses Buch möchte sich in einer solchen Bilanz versuchen. Es führt den Leser zuerst in die Heimat des Varus, um mit Rom,seinem Imperium und seinen Herrschaftstechniken ver- traut zu machen, sodann – ad fontes – zu den antiken Texten, die, vermeintlich oder wirklich, Aufschluss darüber geben, was im ›Teutoburger Wald‹ geschah. Nächste Station ist Germa- nien, das Land, aus dem Arminius stammte: Ohne Wissen um den Wandel, den die germanische Gesellschaft seit den Tagen Caesars durchgemacht hatte, bleiben die antiken Texte blass, sind nicht zu verstehen, geschweige denn zu deuten. Die ger- manische Seite ist stumm und spricht zu uns nur durch die Ar- chäologie. Schon deshalb sind es die materiellen Relikte der römischen Expansion rechts des Rheins und die Überbleibsel der Schlacht selbst,die zum Ausgangspunkt jeder Rekonstruk- tion des historischen Geschehens werden müssen. Die folgenden Überlegungen spiegeln stark – für manchen Geschmack vielleicht zu stark – die Überzeugungen und wis- Prolog: Hermann, der Deutsche ƒ 19 senschaftlichen Grundhaltungen des Verfassers. Sie verstehen sich dennoch,oder gerade deshalb,als Einführung in die Mate- rie. Die anhaltende, auf beiden Seiten mit bedenkenswerten Argumenten geführte Debatte um Kalkriese als mutmaßlicher Ort der Schlacht ist zu Recht einer der beiden publikums- wirksamen Dauerbrenner der deutschsprachigen Altertums- wissenschaft und zwingt jeden Beiträger zur Stellungnahme. Die zweite, die Gemüter ähnlich erhitzende Kontroverse ist der sich immer weiter verzweigende Streit um Troja und die Homerischen Epen. Beiden gemeinsam ist der unbeirrbare Glaube vieler Diskutanten an den ›Quellenwert‹ antiker Texte, die doch – selbst wenn sie vorgeben, Geschichte zu schildern – literarische Schöpfungen sind und kein Faktengerüst, das sich ohne Weiteres zur Matrix zurechtbiegen lässt, die den archäo- logischen Befunden Halt gibt. Viele Fragen werden deshalb offen bleiben, aber sie sind es dennoch wert, gestellt zu wer- den. Zwei Schritt vom Grab, Quintilius Varus, Hart zwischen Nichts und Nichts! Gehab dich wohl! Das sind genau der Fragen drei; Der Fragen mehr, auf dieser Heide, Gibt die cheruskische Alraune nicht! (Heinrich von Kleist, Die Hermannsschlacht. 5. Akt, 4. Auftritt)