XII Einleitung

Das Orchesterschaffen von Bartholdy um- Mendelssohn zwar schon mit der sogenannten „Trompeten-­ fasst über 50 Werke aus dem Zeitraum zwischen 1821 und Ouvertüre“ MWV P 2 und der Sommernachtstraum-Ouvertüre 1846: vierzehn Konzerte und konzertante Stücke, insgesamt MWV P 3 zwei Ouvertüren komponiert, doch ist es unwahr- neunzehn Sinfonien, sieben Ouvertüren und zwölf weitere Or- scheinlich, dass diese ungedruckten Werke damals bereits eine chesterwerke. Allerdings sind nicht alle genannten Komposi­ fremde Bearbeitung für Blasinstrumente erfahren haben soll- tionen erhalten. Dafür ist ein Großteil in mehreren Fassungen ten.3 Dagegen könnte sich die Beschreibung „fließend geschrie- und Arrangements überliefert, sodass insgesamt eine viel höhere ben“ und „brillant“ durchaus auf die zwei Hauptabschnitte der Zahl an unterschiedlichen Stücken anzusetzen ist. Mit dem vor- Harmoniemusik-Ouvertüre beziehen. liegenden Band wird die Serie I dieser Ausgabe mit dem Or- Die Geschichte des Werkes bis zur Drucklegung wird ausführ- chesterschaffen des Komponisten abgeschlossen. Der Band ent- lich in der Einleitung zum Band mit den Fassungen der Ou- hält alle diejenigen Orchesterwerke, die weder Teil der Bände vertüre dargelegt und kann deshalb hier kurzgehalten werden.4 mit den Konzert-Ouvertüren und Sinfonien sind noch zu den Eine Inspiration durch die Kurkapelle Doberan im Jahre 1824 konzertanten Werken (Serie II) gehören. Es handelt sich um aufgreifend, notierte Mendelssohn 1826 die Partitur ­eines An- insgesamt sechs Kompositionen, von denen Mendelssohn nur dante und Allegro vivace für elf Blasinstrumente. Das Werk ein Werk, die Ouvertüre für Harmoniemusik op. 24, veröffent- erhielt keinen Titel, wurde jedoch in der Mendelssohnschen Fa- lichen ließ. Der Anhang enthält ein Sinfonie-Fragment von 78 milie stets mit dem Namen des Ortes an der Ostsee verbunden Takten sowie einen kurzen, fragmentarisch überlieferten Tusch. und demzufolge als „Dobberaner Harmoniemusik“5 bezeich- Darüber hinaus sind sechs derzeit nicht im Notentext verfüg- net. Heute ist es unter dem Epitheton „Nocturno“ bekannt.6 bare Werke, darunter Kindersinfonien und mehrere Märsche, Zu einem späteren Zeitpunkt erweiterte Mendelssohn den In- nachgewiesen. Zudem enthält der Band Themenskizzen zu zwei strumentalapparat auf 23 Blasinstrumente und Janitscharenin- Sinfonien (MWV Z 4c und Z 4f). Dagegen werden die Skizzen strumente. 1839 wurde diese Blasorchesterfassung samt einem zur unvollendeten Sinfonie B-Dur MWV N 17 im Rahmen der Arrangement für Klavier zu vier Händen gedruckt. Versteckte Edition der inhaltlich eng mit ihr zusammenhängenden Sinfo- Hinweise deuten darauf hin, dass die Orchesterfassung nicht nie-Kantate MWV A 18 dokumentiert.1 erst 1838/1839, sondern möglicherweise schon zehn Jahre vor- her entstand. Als frühester Zeitpunkt dafür gilt die eingangs erwähnte Aufführung einer Mendelssohn-Ouvertüre durch ein Ouvertüre für Harmoniemusik C-Dur op. 24 MWV P 1 Bläserensemble 1828. Eine zentrale Rolle bei der frühen Rezep- tion des Werkes spielte der Militärkapellmeister Heinrich Au- Im Mai 1828 war in einer Berliner Tageszeitung zu lesen: „Am gust Neithardt (1793–1861). Er war seit 1813 in preußischen Sonnabend gab Herr K u n e r t, Virtuose auf der Mund=Har- Diensten, zunächst im Garde-Schützenbataillon, seit 1822 als monika, ein Concert im Engl. Hause. Das Orchester bestand Stabs-Hautboist7 im Kaiser-Franz-Grenadier-Regiment Nr. 2. nur aus Blase=Instrumenten, war daher für diesen wie für jeden Über fünfundzwanzig Jahre lang hatte er das Aufblühen der Saal zu stark; doch muß man die Geschicklichkeit bewundern, preußischen Militärmusik entscheidend mitgeprägt, bevor er mit der, für das zusammengesetzte Orchester componirte Sa- sich der Neuorganisation und Leitung des Berliner Domcho- chen, z. B. M o z a r t s Symphonie in C., und eine fließend ge- res zuwandte.8 Wie leistungsfähig das Bläserensemble des Re- schriebene, brillante Ouvertüre von Herrn F. M e n d e l s s o h n giments und weitere Militärkapellen Berlins waren und wel- ausgeführt wurden.“2 Möglicherweise ist dieses Konzert am ches Repertoire sie pflegten, macht folgende Bemerkung aus 3. Mai 1828 die erste öffentliche Aufführung der später als dem Jahr 1830 deutlich: „Auch in anderen Gärten nahe bey Ouvertüre für Harmoniemusik op. 24 MWV P 1 oder kurz der Stadt finden die gewöhnlichen Concerte von Militairmusik Harmoniemusik-­Ouvertüre bekannt gewordenen Komposition häufig statt. Das Musikcorps von Weller zeichnet sich, wie das Felix Mendelssohn Bartholdys. Denn zu jenem Zeitpunkt hatte Neidhart’sche besonders durch Präzision und vorzügliches Ar-

1 Siehe Serie VI, Band 9 dieser Ausgabe. 2 L. R. [Ludwig Rellstab], Concert, in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats= und gelehrten Sachen, Nr. 106 vom 7. Mai 1828, S. [7]. Mit Mozarts Sinfonie war möglicherweise die „Jupiter“-Sinfonie KV 551 oder die „Linzer Sinfonie“ KV 425 gemeint. 3 Wenn doch, so käme eher die „Trompeten-Ouvertüre“ in Frage, die im Rahmen des Dürerfestes zwei Wochen zuvor, am 18. April 1828, in Berlin er­ klungen war. 4 Siehe Einleitung zu Serie I, Band 10A (2018) dieser Ausgabe. 5 Beispielsweise im Brief vom 6. Februar 1839 an Fanny Hensel, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendels- sohn-Archiv (im Folgenden: D-B), MA Depos. Berlin 3, gedruckt in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Bd. 6, hrsg. und kommentiert von Kadja Grönke und Alexander Staub, Kassel etc. 2012, S. 303–304. 6 Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen des Werkes siehe Serie I, Band 10A dieser Ausgabe, S. XIV. 7 Hautboist oder Hoboist war die Dienstbezeichnung für einen Militärmusiker in einem Musikkorps. 8 Siehe dazu grundlegend Max Thomas, Heinrich August Neithardt, Diss. Berlin 1959 (im Folgenden: Thomas, Neithardt). XIII rangement gut gewählter Opernmusikstücke, Ouverturen und Fünf Jahre später entschied sich Mendelssohn, die Ouvertüre Symphonieen, sogar von Beethoven aus.“9 im Bonner Verlag N. Simrock drucken zu lassen. Da in der Auf welche Weise die Familie Mendelssohn Kontakt zu Neit- Reihe der Opuszahlen noch Lücken zu schließen waren, erhielt hardt bekam, ist nicht überliefert,10 doch muss durchaus ein sie die Opuszahl 24, während Mendelssohn aktuell an seinem gutes Verhältnis bestanden haben, denn zum 20. Geburtstag op. 43 (Serenade und Allegro giojoso für Klavier und Orchester von Felix Mendelssohn Bartholdy versammelten sich, wie die MWV O 12) arbeitete. Zwischen der Einreichung der Stichvor- Schwester des Komponisten berichtete, „[…] 42 Hoboisten lage zur Ouvertüre mit Brief vom 30. November 1838 und der unter Neidhardts Anführung im Gartensaal, zu einem Ständ- Übersendung der Belegexemplare Ende Februar 1839 vergingen chen für Felix. […] er selbst unmäßig überrascht u erfreut. Sie gerade einmal drei Monate. Am 30. Dezember 1838 hatte Sim- spielten ihm erst das Doberaner Stück sehr schön, die Camacho rock die Korrekturfahnen der Orchesterstimmen sowie des Kla- ouvert., einiges Andre dazwischen, u dann beide Stücke noch vierarrangements an Mendelssohn geschickt, und dieser nutzte einmal.“11 Auf Mendelssohn muss dieses Ereignis einen bleiben- die ersten Tage im neuen Jahr für eine intensive Durchsicht. Am den Eindruck hinterlassen haben, denn noch zwei Jahre später 13. Januar 1839 verfasste der Komponist einen inhaltsschwe- nahm er darauf in Rom Bezug, als er an seinen bevorstehenden ren Brief, in welchem er konkrete Stellen des Korrekturabzuges Geburtstag dachte: „[…] daß mich die päpstliche Militairmu- benannte, bei denen er noch Handlungsbedarf sah. Bezüglich sik Morgens überrascht scheint mir unwahrscheinlich […] Euer des Stimmenmaterials hieß es: „Die Orchesterstimmen habe Bild baue ich mir selbst Morgens noch einmal auf, ud. freue ich ebenfalls durchgesehen u. nur wenig Fehler gefunden. Da mich daran ud. an Euch, dann werde ich mir meine Militair­ ich aber die Partitur nicht habe, u. auch nicht Tact für Tact die ouvertüre selbst vorspielen […].“12 Stimmen nachlesen konnte, so bitte ich Sie vor der Publication In seiner Dissertation untersuchte Max Thomas die Arrange- erstlich in sämmtlichen Stimmen die Tacte nachzählen zu lassen, ments von Neithardt und stellte fest, dass die Partituren mit damit nicht irgendwo ein Tact fehlt oder zuviel ist, 2ens sie auch geringen Abweichungen stets dieselbe Besetzung aufwiesen: „2 noch einmal wo möglich mit der Partitur vergleichen zu lassen, Flauti (1 große, 1 Piccolo, auch Flautino genannt) oder 2 große die ich selbst sorgfältig corrigirt habe, so gut (oder schlecht) ich oder 2 Piccolo, Clarinetti in F 1- oder 2-stimmig, Clarinetti das kann.“15 Im weiteren Verlauf des Briefes kam Mendelssohn in C 1- oder 2-stimmig, 2 Oboi, 2 Corni Bassetti, 2 Fagotti, auf die Janitschareninstrumente zu sprechen: „Die Janitscharen Serpent et Cornu [sic] Basso oder Serpent et Contrafagotto,­ einzeln bei Namen zu nennen scheint mir nicht nöthig, da doch Corni in C 1- oder 2-stimmig, Corni in F 1- oder 2-stim- in jedem Militairorchester der Ausdruck Janitscharen gebraucht mig[,] 1 oder 2 Ventiltrompeten (ab 1832), 2 Trompeten in u. verstanden wird, aber dass die große Trommel 3 verschiedene C, 3 Trombonen (meist 2 Alt, 1 Baß)[,] Tambour petite oder Noten spielen soll ist zu arg, u. zeigt gleich, wie es mit meiner Tambour soldat, Tambour grand oder Grand Chaise[,] Piatti, Correctorschaft steht. Ich bitte Sie dem Uebel abzuhelfen, u. Triangel oder Trianglo.“13 Vergleicht man diese Besetzung mit überall nur eine u. dieselbe Note anzugeben, welche ist einerlei, dem Instrumentarium, das Mendelssohn für seine Ouvertüre wahrscheinlich wird f die beste sein, weil sie öfter schon da steht vorsah, wird eine erstaunliche Kongruenz sichtbar, denn es als g u. a. Statt der Ueberschrift Corno basso bitte ich die von stimmt bis auf wenige Kleinigkeiten mit Neithardts Orchester- mir angegebene setzen zu lassen.“16 besetzung überein. Es ist daher durchaus naheliegend, dass sich Die Korrespondenz mit Simrock erfolgte sehr zügig und ziel­ Mendelssohn bei der Erweiterung des Klangapparates seines orientiert. Der Verleger sprach am 7. Februar noch einige kri- elfstimmigen „Nocturno“ die von Neithardt geleitete Kapelle tische Fragen an,17 die Mendelssohn detailliert beantwortete. zum Vorbild nahm, wenn er nicht gar das Stück für dieses En- Da dieses Antwortschreiben vom 15. Februar 1839 bisher nur semble arrangierte. Nachweislich war Neithardt im Besitz einer partiell bekannt war, sei es im Folgenden etwas ausführlicher zi- Partitur der Ouvertüre, denn eine solche diente 1833 als Vor- tiert. Interessant ist dabei neben der Diskussion um die richtige lage einer Abschrift für den Düsseldorfer Militärmusiker Carl Opuszahl die Information, dass das Werk unmittelbar für eine Klotz (1802–1874).14 Aufführung in Leipzig vorgesehen war: „Ihre geehrte Zuschrift

9 Allgemeine musikalische Zeitung 32 (1830), Nr. 30 (28. Juli), Sp. 492. Der neben Neithardt genannte Kapellmeister Friedrich Weller (1790–1870) war für seine hervorragenden Arrangements großer sinfonischer Werke und ganzer Opern (z. B. Webers Oberon) bekannt. 10 Möglicherweise spielte hier eine Rolle, bei dem Neithardt laut einem eigenhändigen Lebenslauf „seine Studien in der Komposi­ tion“ fortsetzte, siehe Thomas, Neithardt [Anm. 8], S. 156. 11 Tagebuch 1829 | 1sten Januar bis [3. Juli 1834], D-B, MA Depos. Berlin 500, 22, S. 24, gedruckt in: Fanny Hensel. Tagebücher, hrsg. von Hans-Günter Klein und Rudolf Elvers, Wiesbaden/Leipzig/Paris 2002 (im Folgenden: Fanny Hensel. Tagebücher), S. 6–7. 12 Brief vom 1. Februar 1831 an die Familie, Bodleian Library, University of Oxford (im Folgenden: GB-Ob), MS. M. Deneke Mendelssohn d. 13, fol. 37, gedruckt in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Bd. 2, hrsg. und kommentiert von Anja Morgenstern und Uta Wald, Kassel etc. 2009 (im Folgenden: Sämtliche Briefe, Bd. 2), S. 199–202, das Zitat S. 200. 13 Thomas,Neithardt [Anm. 8], S. 23. 14 Siehe Kritischer Bericht, Quellenübersicht, Belege zu Quelle [E]. 15 Brief vom 13. Januar 1839 an N. Simrock, Privatbesitz, zitiert nach: Ein unbekannter Brief Felix Mendelssohn Bartholdys, in: Beiträge zur Musikwissen- schaft 5 (1963), Heft 1, S. 69–70, das Zitat S. 70. 16 Ebd. 17 Brief vom 7. Februar 1839 von N. Simrock an Felix Mendelssohn Bartholdy, Gb-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 35, Green Books IX-56. XIV vom 7ten habe ich erhalten, und danke bestens dafür. Es ist nicht In der gesamten Korrespondenz und noch in der Stichvorlage nöthig, daß Sie irgend etwas an Cramer ud Addison schicken, betitelte Mendelssohn die großbesetzte Fassung des Werkes so- da diese Herren alles was sie brauchen (den 4händigen Auszug) wie ihr Klavierarrangement mit „Ouverture für Militairmusik“. längst von mir haben; für Militairmusik erscheint das Stück in Dagegen wurde die Formulierung „für Harmoniemusik“ erst im England nicht, ud. würde auch wohl nur ein allzukleines Publi- Verlag ergänzt und entsprechend gedruckt. Diese Änderung der cum finden. Die Opuszahl bleibt, wie angegeben, no. 24; es ist Besetzungsangabe entsprach dem damals noch üblichen syno- falsch, wenn in der musikalischen Zeitung, wie Sie bemerken nymen Gebrauch beider Worte, lässt terminologisch jedoch auf steht, daß die Hebriden op. 24 wären18 – diese sind ganz ohne eine ältere Ansicht schließen, die „Harmoniemusik“ pauschal Opuszahl damals erschienen, ud haben bis jetzt keine; sowohl mit Bläsermusik gleichsetzte.22 Dagegen ist Mendelssohns Ver- op. 24 als 26 sind damals übersprungen (Gott weiß, wie) und wendung des Wortes „Militairmusik“ insofern als fortschrittlich wenn nun eine Opuszahl für die Hebriden eingeschaltet werden oder zumindest zeitgemäß einzustufen, als dieser Begriff in ei- soll, müssen diese 26 bekommen, die Militair Ouvertüre aber nem veränderten gesellschaftlichen Kontext gerade für die grö- op. 24. ßeren Blasmusik-Formationen im 19. Jahrhundert stand. Das Ich bitte Sie nun, mir einen Abdruck der Orchesterstimmen „Nocturno“ von 1826 mit seinem eher kammermusikalischen dieser Militair-Ouvertüre (op. 24) sobald als möglich per Post Charakter war definitiv noch keine Militärmusik. auf meine Kosten hieher zu senden. Sie soll hier noch vor Für die alte, klassische Harmoniemusik des späten 18. Jahrhun- ­Ostern öffentlich aufgeführt werden, ud. da ich weder die Par- derts galt die paarweise Verwendung bestimmter Blasinstru­ titur noch die Stimmen habe, so verbinden Sie mich sehr durch mente (in der Standardbesetzung je zwei Oboen, Klarinetten, recht schleunige Zusendung. Fagotte und Hörner) als Charakteristikum. Allerdings zeigen Nächstens hoffe ich Ihnen das Stück auch in seiner ursprüng- die überlieferten Musikalien jener Zeit zahlreiche Abweichun- lichen Gestalt überschicken zu können. Ich habe alle Aussicht gen von diesem Besetzungsschema, die insbesondere von den es in kurzer Zeit zu erhalten, was nicht ganz leicht war, da ich aufführungspraktischen Gegebenheiten der jeweiligen Höfe ab- keine Abschrift habe ud nicht wußte, in wessen Hände mein hingen, mit denen die Ensembles verbunden waren.23 Manuscript nach dem Tode des Besitzers gekommen ist. Es In diesem Wandlungsprozess von der aristokratischen Hof-Har- steckte in Meklenburg.“19 monie zu einem größer besetzten und mehr in der Öffentlichkeit Simrock kam dem Wunsch nach einem Vorabzug unverzüg- stehenden, vom Bürgertum geprägten und rezipierten Klang- lich nach und übersandte Mendelssohn am 18. Februar das ge- körper, der insbesondere durch Militärkapellen repräsentiert wünschte Exemplar der Stimmen.20 wurde, stehen die Werke Mendelssohns für diese Besetzung. Nur wenige Tage später, am 2. März 1839, hielt Mendelssohn Seine Ouvertüre in C-Dur zeigt diesen historischen Wand- darüber hinaus zwei Belegexemplare der fertigen Orchesterstim- lungsprozess praktisch innerhalb eines Werkes: Die Fassung von men-Ausgabe in Händen. Er war mit dem Resultat durchaus 1826 atmete noch den Geist der alten, serenadenhaften Kom- zufrieden und fand nur einen Makel: „Die Ausgabe gefällt mir position, unterschied sich aber schon durch das Hinzuziehen sehr, und habe ich nur beim Aufschlagen bemerkt, daß Corni von Flöte, Trompete und englischem Basshorn von der klassi- de Bassetto statt di Bassetto über den Stimmen steht. Sie sind schen Harmoniemusik des 18. Jahrhunderts. Doch erst durch wohl so gut das in den Platten, und (wenn schon Exemplare die starke Erweiterung des Orchesterapparates durch Vertreter gedruckt sind) auch in den Exempl. mit Tusch verändern zu der in der „türkischen Musik“24 oder „Janitscharen“-Musik ge- lassen, da ich die Namen der Instrumente immer gern richtig brauchten Schlaginstrumente entstand eine Militärmusik im angegeben habe.“21 modernen Sinne des 19. Jahrhunderts.

18 Diese Angabe bezog sich auf eine Liste der Mendelssohn-Werke (op. 1–39), die über ein Jahr zuvor im Rahmen einer biographischen Skizze erschienen war: G. W. Fink, Felix Mendelssohn-Bartholdy, in: Allgemeine musikalische Zeitung 39 (1837), Nr. 52 (27. Dezember), Sp. 845–851. In Spalte 850 war bei der Opuszahl 26 „(Vacat.)“ vermerkt worden, während für op. 24 irrtümlich die „Ouverture zur Fingalshöhle (Hebriden) für Orchester“ genannt wurde. 19 Brief vom 15. Februar 1839 an N. Simrock, D-B, 55 Ep 1831, in Ausschnitten gedruckt in: Wilhelm Altmann, Aus Mendelssohns Briefen an den Verlag N. Simrock in Bonn, in: Die Musik 12 (1912/1913), S. 131–149 und S. 195–212, das Zitat S. 199. 20 Belegt durch Brief vom 20. Februar 1839 von N. Simrock an Felix Mendelssohn Bartholdy, Gb-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 35, Green Books IX-65. Ob die geplante Aufführung in Leipzig stattgefunden hat, bedarf weiterer Forschung. 21 Brief vom 4. März 1839 an N. Simrock, Standort unbekannt, zitiert nach: Briefe an deutsche Verleger, hrsg. von Rudolf Elvers, Berlin 1968, S. 225–226, das Zitat S. 225. 22 Zum Bedeutungswandel und zur Bezeichnung „Harmoniemusik“ siehe Achim Hofer, Zum Begriff „Harmoniemusik“, in: Zur Harmoniemusik und ihrer Geschichte, hrsg. von Christoph-Hellmut Mahling u. a., Mainz 1999 (= Schloß Engers. Colloquia zur Kammermusik; Bd. 2), S. 1–16, sowie Heinz Ecker, Harmoniemusik: Versuch einer Begriffsbestimmung, in: Kongress-Berichte Bad Waltersdorf / Steiermark, Lana/Südtirol 2002, hrsg. von Bernhard ­Habla, Tutzing 2003 (= Alta Musica; Bd. 24) (im Folgenden: Kongress-Berichte 2002), S. 283–305. 23 Zusammenfassend in verschiedenen Beiträgen des Sammelbandes Zur Geschichte und Aufführungspraxis der Harmoniemusik. XXXII. Wissenschaftliche Arbeitstagung Michaelstein, 20. bis 23. Mai 2004, hrsg. von Boje E. Hans Schmuhl in Verbindung mit Ute Omonsky, Augsburg 2006 (= Michaelsteiner Konferenzberichte; Bd. 71). 24 Zu Definition, Geschichte und Besetzung siehe Anke Schmitt, Der Exotismus in der deutschen Oper zwischen Mozart und Spohr, Hamburg 1988 (= Ham- burger Beiträge zur Musikwissenschaft; Bd. 36), S. 337–352; Achim Hofer, Studien zur Geschichte des Militärmarsches, Tutzing 1988 (= Mainzer Studien zur Musikwissenschaft; Bd. 24) (im Folgenden: Hofer, Geschichte des Militärmarsches), S. 248–259; Gottfried Veit, Die Blasmusik. Meilensteine in der geschichtlichen Entwicklung der Blas- und Bläsermusik, Buchloe 2013, S. 40–43. XV

Mendelssohns Ouvertüre hat von jeher hohe Aufmerksamkeit eignen dürfte.“32 Er konnte nicht wissen und nicht ahnen, dass erregt. Sie ist einerseits durch ihre Besetzung innerhalb des Ludwig Rellstab in seiner Besprechung des Berliner Konzertes Mendelssohnschen Schaffens einmalig, genießt andererseits zehn Jahre zuvor zur gleichen Einschätzung gelangt war33 und in der heutigen Bläserwelt einen ausgezeichneten Ruf, da sie dass sich das Werk tatsächlich einmal im Konzertrepertoire eta- zu den anspruchsvollen originalen Konzertstücken der ersten blieren würde. Hälfte des 19. Jahrhunderts zählt. Primär bestand das Reper- toire jener Zeit25 aus Märschen, Tänzen, Opernpotpourries und Bearbeitungen berühmter Werke, insbesondere Haydns, Mo- Verschiedene Märsche für Düsseldorf zarts26 und Beethovens. In diesem Umfeld bildeten Mendels- sohns Ouvertüre und das bereits 1816 gedruckte mehrsätzige Nach neun Jahren Vakanz wurde am 1. Oktober 1833 die Po- Nocturno C-Dur op. 34 für Harmonie- und Janitschareninstru- sition des Städtischen Musikdirektors34 in Düsseldorf neu be- mente von Louis Spohr eher die Ausnahme. setzt: durch den 24 Jahre alten Felix Mendelssohn Bartholdy. In der Regel sind Mendelssohns Bearbeitungen eigener Werke Laut Anstellungsvertrag übernahm er „die Direction der Vocal= Klavierarrangements. Nur selten hat er ein Stück später für eine und Instrumental=Musik in Beziehung auf alle in Düsseldorf größere Besetzung eingerichtet wie in diesem Falle.27 Gewöhn- Statt findenden musikalischen Leistungen, in sofern dieselben lich blieb dann das zuerst entstandene Hauptwerk als prägend an den hier bestehenden Musik=Vereinen, dem Instrumental= im Bewusstsein des Publikums stehen. Von der Ouvertüre je- oder dem Singverein, gemeinschaftlich oder von jedem beson- doch wurde eine zweite Bearbeitung populärer als das Original. ders, ausgehen. Die herausgehobene Position hat dazu geführt, dass dem Werk Diese Verpflichtung bezeichnet demnach namentlich: bis in die jüngste Vergangenheit Aufsätze28 und sogar monogra- a) Die Direction der Kirchen=Musik; phische Studien29 gewidmet wurden. b) Die Direction der von den genannten Vereinen in ihrem ei- Außerdem regte es immer wieder Blasmusikpraktiker zu eige- genen Interesse zu veranstaltenden […] Konzerte; nen Bearbeitungen an.30 Neue Einrichtungen waren vor allem c) Die Direction bei den Uebungen der beiden gedachten Ver- notwendig, um die von Mendelssohn vorgeschriebene Beset- eine.“35 zung an die jeweiligen Möglichkeiten, Bedürfnisse und spezielle Mendelssohn erhielt dafür ein Salär von 600 Thalern. Zum Bandformationen (in der Regel heute auch mit Saxophonen) bürgerlichen Konzertwesen und zur Kirchenmusik trat in anzupassen.31 Mendelssohns Düsseldorfer Jahren (1833 bis 1835) noch das Schon 1838 hatte Simrock erkannt, dass die Ouvertüre „ein Stadt-­Theater. Dieser Wirkungskreis ist untrennbar mit Karl brillantes Stück [sei] und sich wohl für Conzertaufführungen Leberecht Immermann (1796–1840) verbunden, auf dessen

25 Bernhard Friedrich Höfele, Materialien und Studien zur Geschichte der Harmoniemusik, Diss. Bonn 1982 (im Folgenden: Höfele, Materialien und ­Studien), insbesondere Kapitel Alphabetisches Verzeichnis europäischer Komponisten und ihrer Werke für Harmonie- und Militärmusik bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, S. 82–167. 26 Peter Heckl, W. A. Mozarts Instrumentalkompositionen in Bearbeitungen für Harmoniemusik vor 1840, Hildesheim etc. 2014 (= Studien und Materialien zur Musikwissenschaft; Bd. 81). 27 Ein anderes prägnantes Beispiel ist das Scherzo aus dem Oktett op. 20 MWV R 20, das Mendelssohn 1829 für großes Orchester bearbeitete und in seine Sinfonie Nr. 1 c-Moll integrierte, siehe Serie I, Band 4 (2000) dieser Ausgabe, S. 144–159. 28 David F. Reed, The Original Version of the ‚Overture for Wind Band‘ of Felix Mendelssohn-Bartholdy, in: Journal of Band Research 18 (1982), S. 3–10; Wolfgang Suppan, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Ouvertüre für Harmoniemusik, in: Clarino 2 (1991), Heft 11, S. 13–15; Philipp Wagner, Op. 24 von Felix Mendelssohn-Bartholdy, in: BOF-Journal. Eine Publikation des Blas-Orchester-Forums Schweiz 2 (1991), S. 13–66; Michael Johns, Mendelssohn’s Overture for Band. An Interpretive Analysis, in: The Instrumentalist 56 (2002), S. 27–30; John P. Boyd, Ouverture für Harmoniemusik op. 24 by Felix Mendelssohn Bartholdy: An Edition for Contemporary Wind Band, in: Kongress-Berichte 2002 [Anm. 22], S. 215–243; Kevin Geraldi, Felix Mendelssohn’s Nocturno/ Overture, Opus 24: A Study in Context, Composition and Performance, in: Journal of Band Research 45 (2009), S. 53–55; Achim Hofer, Zwischen „belang­ los“ und „Meilenstein“. Aspekte des Popularen und Populären bei Felix Mendelssohn Bartholdys „Nocturno“ (1826) und der „Ouvertüre für Harmoniemusik“ op. 24 (1838), in: Populares und Popularität in der Musik. XLII. Wissenschaftliche Arbeitstagung Michaelstein, 6. bis 8. Mai 2016, hrsg. von Christian Philipsen in Verbindung mit Ute Omonsky, Augsburg/Michaelstein 2017 (= Michaelsteiner Konferenzberichte; Bd. 85), S. 345–357. 29 John Pretz Boyd, Ouvertüre für Harmoniemusik op. 24 by Felix Mendelssohn-Bartholdy: An Edition for contemporary wind band, D. M. A. University of Missouri, Kansas City, Missouri 1981; Achim Hofer, „es möchten manche Leute Vergnügen daran haben“. Felix Mendelssohn Bartholdys „Ouvertüre für Harmoniemusik“ op. 24, Sinzig 2018. 30 Zur Rezeption der Ouvertüre generell siehe Achim Hofer 2018, ebd., S. 123–143. 31 Zur Originalbesetzung und zu Problemen der heutigen Umsetzung s. u. den Abschnitt „Instrumentarium und aufführungspraktische Umsetzung“. 32 Brief vom 11. Dezember 1838 von N. Simrock an Felix Mendelssohn Bartholdy, Gb-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 34, Green Books VIII-162. 33 Siehe die eingangs zitierte Rezension zum Konzert am 3. Mai 1828 [Anm. 2]. 34 Der letzte Stelleninhaber, Friedrich August Burgmüller (geb. 1766), Vater der beiden Komponisten Friedrich (auch Frédéric) Burgmüller (1806–1874) und Norbert Burgmüller (1810–1836), war 1824 verstorben. 35 Vertrag vom 20. Mai 1833, Abschrift („Zweite Ausfertigung“) im Stadtarchiv Düsseldorf, 0-1-2-607.0000 (olim: StA, Bestand II 607, fols. 46–47), Faksimile der ersten Seite in: „Übrigens gefall ich mir prächtig hier“. Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf, hrsg. von Bernd Kortländer (Katalog zur Ausstellung des Heinrich-Heine-Instituts, Düsseldorf, 1. Oktober 2009 bis 10. Januar 2010), Düsseldorf 2009 (im Folgenden: „Übrigens gefall ich mir prächtig hier“ ), S. 48. XVI

Initiative hin das Bühnenwesen der Stadt überhaupt wieder fort: „Ein Kaplan kam ud. klagte mir seine Noth, der Pastor belebt wurde und dessen unermüdliches Wirken schließlich sagte es sei ein Scandal, der Bürgermeister sagte sein Vorgänger zur Gründung des neuen Theaters im Oktober 1834 führte.36 sei evangelisch gewesen, der hätte sichs gefallen lassen, aber er Das Konzertwesen bezog sich vor allem auf die Leitung der wolle selbst mitgehen nun müsse auch die Musik besser sein; vom „Verein zur Beförderung der Tonkunst“ (später: „Verein Simon wurde vorgefordert ud erschien. Ein ganz alter, verdrieß- der Tonkunst“) organisierten Konzerte.37 In welcher zeitlichen licher Musikant mit einem schabigen Rocke, ud. als sie ihm auf Dichte die Stücke einstudiert und aufgeführt werden mussten, den Pelz fuhren, sagte er: er werde ud wolle keine bessere Musik zeigt ein eigenhändiger­ Probenplan Mendelssohns,38 der auch machen; wollten wir es besser haben, so möchten wir es einem Werke für bestimmte Festgottesdienste dokumentiert. Denn im anderen geben. Er wisse wohl, daß man jetzt viel Ansprüche Sakralbereich oblagen Mendelssohn die Aufführungen an den mache, es solle jetzt Alles schön klingen, das sey zu seiner Zeit beiden katholischen Stadtkirchen St. Lambertus und St. Maxi- nicht gewesen, ud er mache es noch ebenso gut wie damals. Da milian. Im weiteren Sinne zählten zur Kirchenmusik auch die wurde es mir wahrhaftig schwer, ihm die Sache abzunehmen, im Anschluss an bestimmte katholische Feiertage39 stattfinden- obwohl es die anderen gewiß besser machen werden, aber ich den Prozessionen, bei der eine Musikkapelle Märsche oder an- dachte mir so, wenn ich in 50 Jahren mal auf ein Rathhaus dere geeignete Tonstücke zu Gehör brachte. Diese Prozessionen gerufen würde, ud müßte so sprechen, ud ein Gelbschnabel nahmen stets denselben Weg durch die Innenstadt von Düssel- schnauzte mich an, ud. mein Rock wäre so schabig, ud. ich dorf und führten in Einzelfällen jahrhundertealte Traditionen wüßte eben auch gar nicht, warum alles besser klingen sollte fort.40 und da wurde mir schlecht zu Muth. Und nun kam der alte Wenige Tage nach seinem offiziellen Dienstbeginn trat Men- Mann heut früh um 8 zu mir ud bat ich möchte doch wenigs- delssohn mit einer ersten Komposition hervor, dessen Urheber tens seinen Pflegesohn dabei lassen, der spiele gewiß gut ud ich er aber der Öffentlichkeit vorenthielt. Denn es handelte sich versprachs ihm […].“42 nicht um ein Konzertstück, sondern um einen Marsch für eine Die Prozession fand anlässlich des Patronatsfestes von St. Maxi- Blaskapelle, der bei einer Prozession durch Düsseldorf Verwen- milian am 13. Oktober 1833 statt. Mendelssohn hatte letztlich dung fand. Die unmittelbare Vorgeschichte dazu, gleicherma- doch ein Stück komponiert und berichtete über die ersten Auf- ßen tragisch wie zu Herzen gehend, erzählte der Komponist führungen: „Sonntag am Tage Maximilian war also meine erste seiner Familie in Berlin in der für ihn charakteristischen Weise: Messe, die feierlich genug ausfiel. […] drauf kam die Prozession „Gestern gab es aber eine rührende Scene. Es ist am nächsten mit meinem feierlichen Marsch in es, wo die Musiker im Baß Sonntag eine Prozession […] ud. dabei ist bis jetzt Musik gewe- den ersten Theil wiederholten, während die im Discant weiter sen, für die gar kein Beiwort passen soll. Simon, des Trompe- spielten, das thut aber alles in der freien Luft nichts, und als ich ters Schwiegervater, schlug den Tact erbärmlich schön, ud. zwei der Procession später in der Flinger Straße begegnete hatten sie abgelebte Kater (die Clarinett blasen) quälten sich ihm beizu- den Marsch schon so oft gespielt daß er recht gut ging, ud. ich stehn. Außerdem war noch eine Posaune dabei, 12 Kerls im rechne mirs zur Ehre daß die Kirmesmusikanten für die nächste Ganzen, ud sie blasen Kirmesmärsche.“41 Allerdings schienen Kirmes sich einen neuen Marsch bei mir ausgebeten haben.“43 sich im Laufe der Jahre die Anforderungen an das Repertoire Ob es je zu einem solchen Werk für die Kirmes kam, ist un- und die Qualität der Darbietung im Urteil der Beteiligten deut- bekannt geblieben. Doch ein halbes Jahr später schrieb Men- lich gewandelt zu haben. Mendelssohn fuhr in seinem Bericht delssohn ein vergleichbares Stück,44 über das er die Familie am

36 Siehe Ralf Wehner, Zum wechselvollen Verhältnis zwischen Karl Leberecht Immermann und Felix Mendelssohn Bartholdy, in: Immermanns ‚theatralische Sen- dung‘. Karl Leberecht Immermanns Jahre als Dramatiker und Theaterintendant in Düsseldorf (1827–1837). Zum 175. Todestag Immermanns am 25. August 2015, hrsg. von Sabine Brenner-Wilczek, Peter Hasubek und Joseph Anton Kruse, Frankfurt am Main etc. 2016, S. 165–213. Die in Mendelssohns Düsseldorfer Zeit entstandenen Bühnenwerke finden sich in Serie V, Band 11 (2015) dieser Ausgabe. 37 Zum generellen Umfeld siehe Bernd Kortländer, Das musikalische Leben in Düsseldorf zur Mendelssohn-Zeit, in: „Übrigens gefall ich mir prächtig hier“ [Anm. 35], S. 41–60. Ergänzend dazu siehe das Verzeichnis der Konzerte und Kirchenmusiken, die unter Mendelssohn in Düsseldorf stattgefunden haben, ebd., S. 184–189. 38 GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn c. 49, fols. 15–17, siehe grundlegend hierzu Matthias Wendt, Felix Mendelssohn Bartholdys Düsseldorfer Proben- plan Mai 1834 – Juli 1835. Umschrift und Kommentar, in: „Übrigens gefall ich mir prächtig hier“ [Anm. 35], S. 60–69, sowie ders., Amt und Alltag. Annota­tionen zu Mendelssohns Notizen aus Düsseldorfer Zeit, in: Bürgerlichkeit und Öffentlichkeit. Mendelssohns Wirken in Düsseldorf, hrsg. von Andreas Ballstaedt, Volker Kalisch und Bernd Kortländer, Schliengen 2012 (= Kontext Musik; Bd. 2), S. 56–78 mit weiteren Dokumenten. 39 Eine eigenhändige Aufstellung der relevanten Feiertage hat sich erhalten, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn g. 4, fol. 24r. Übertragung und Kom- mentar siehe Wendt, Amt und Alltag [siehe vorangehende Anmerkung], S. 58–59. 40 B. G. Bayerle, Die katholischen Kirchen Düsseldorf’s, von ihrer Entstehung bis auf die neueste Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt, Düsseldorf 1844. 41 Brief vom 9. und 10. Oktober 1833 an die Familie, Music Division, The New York Public Library for the Performing Arts, Astor, Lenox and Tilden Foundations (im Folgenden: US-NYp), *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 170, gedruckt in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämt- liche Briefe, Bd. 3, hrsg. und kommentiert von Uta Wald unter Mitarbeit von Juliane Baumgart-Streibert, Kassel etc. 2010 (im Folgenden: Sämtliche Briefe, Bd. 3), S. 281–286, das Zitat S. 284. 42 Ebd., S. 284. 43 Brief vom 26. und 28. Oktober 1833 an die Familie (Briefteil vom 26. Oktober), US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 171, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 3 [Anm. 41], S. 290–296, das Zitat S. 291. 44 Die beiden genannten Märsche sind unter MWV P 11 und P 13 verzeichnet. Ihre musikalische Substanz ist nicht sicher bestimmbar. Möglicherweise besteht aber eine Übereinstimmung mit zwei der drei nur abschriftlich überlieferten und Mendelssohn zugeschriebenen Märsche, die unter den Bezeich- nungen MWV P 17, P 18 und P 19 dokumentiert sind. XVII

28. Mai 1834 informierte: „Gestern hab ich den Stadtmusikan- dem andern. Gewiß sind sie unfreiwillig diesem Herrn Kreut- ten einen neuen Prozessionsmarsch gemacht, den sie morgen zer48 in die Hände gekommen, der gar kein großer Freund mei- bei der Frohnleichnamsprozession durch ganz Düsseldorf trom- nes Mannes war.“49 Wir wissen nicht, welche Stücke die Witwe peten müssen […].“45 Im Zusammenhang damit ging Mendels- Mendelssohns an Schleinitz geschickt hat, denn dieser nahm sohn auf eine Irritation ein, die mit dem Marsch des Vorjahres in sein 1848 beendetes Nachlassverzeichnis, den sogenannten entstanden war: „[…] über den ersten Marsch hats Zank gege- „Schleinitz-Katalog“,50 keine Märsche für Harmoniemusik auf. ben, weil die Neußer Stadtmusikanten ihn auch haben wollten, So kann auch nicht entschieden werden, ob sich Cécile Men- ud die Düsseldorfer behaupteten den dürfe niemand anders delssohn Bartholdys Äußerung eventuell auf drei Werke bezog, blasen, als sie. Nun Gott schenke, so wenig falsche Töne, als die heute nur noch in englischen Abschriften vorhanden sind möglich.“46 (MWV P 17 bis P 19) und in Oxford aufbewahrt werden.51 Mit diesen fröhlich-unbeschwerten Zitaten enden die Origi- Es handelt sich um drei undatierte Partituren eines englischen nalbelege Mendelssohns zu beiden Werken. Es ist kein Noten- Kopisten, der den Namen des Komponisten überliefert und material überliefert, und die Märsche wurden auch nicht mehr ganz offensichtlich von einer deutschen Vorlage abgeschrieben vom Komponisten erwähnt. Allerdings fanden die Prozessio- hat, wie die gelegentliche deutsche Bezeichnung einzelner In- nen in den Akten der Stadt insofern Niederschlag, als für die strumente verrät. Unter diesen Märschen befindet sich auch beteiligten Musiker Rechnungen ausgestellt wurden. Gemäß ein Procession March für zwölf Instrumente: drei Klarinetten, diesen Schriftstücken, stets geschrieben von Louis Kreutzer, be- je zwei Hörner und Trompeten sowie einfach besetzt: Flöte, stand die Kapelle aus 12 bis 13 Musikern, außerdem wurden ­Fagott, Kontrafagott, Posaune und englisches Basshorn. Bei regelmäßig Honorare für „Paukenträger“ angewiesen.47 Für die den anderen beiden Werken, jeweils bezeichnet als March for Maximilians-Prozession von 1833 ist keine solche Rechnung Harmoniemusik, fehlt das Kontrafagott. Es sind dort also nur elf überliefert, jedoch für die von Mendelssohn erwähnte Fron- Instrumente vorgeschrieben. leichnams-Prozession am 29. Mai 1834 (13 Mann), die Ma- Eine für die Edition selbst nicht relevante Bearbeitung von ximilians-Prozession am 12. Oktober 1834 (13 Mann) sowie zweien dieser Märsche bietet einen Anhaltspunkt für eine mög- die Apollinaris-Prozessionen am 20. Juli 1834 und am 24. Juli liche Datierung der Partiturabschrift. Denn im Jahre 1852 fer- 1835 (jeweils 12 Mann). tigte Edmund Thomas Chipp (1823–1886) für den englischen Im Gegensatz zu den großen Konzerten des Vereins, in deren Verleger Buxton eine vierhändige Fassung von unbekannten Abrechnungen und Schriftstücken die Musiker namentlich be- Mendelssohn-Werken an, die er mit Procession March und Mili- nannt sind, wurden die Prozessionen nur pauschal abgerech- tary March No. 2 bezeichnete.52 Bei letztgenanntem Werk han- net, sodass zwar die Größe der aus ungefähr 12 Personen be- delt es sich um den Marsch Es-Dur MWV P 18, bei ersterem stehenden Kapelle, nicht aber deren genaue Zusammensetzung um den Prozessionsmarsch MWV P 19. Die Provenienz der rekonstruiert werden kann. Der Name jenes Mannes, der die Klavierbearbeitungen lässt sich bis zum Verlag Novello zurück- Abrechnungen gestellt hatte (Kreutzer), erscheint unverhofft in verfolgen, der im Jahre 1867 den Konkurrenten J. J. Ewer & Zusammenhang mit den Märschen im Jahre 1848. Cécile Men- Co. übernommen hatte. Für dessen Eigentümer Edward Bux- delssohn Bartholdy war bei der Ordnung des Nachlasses ihres ton waren die beiden Bearbeitungen ursprünglich entstanden, Gatten auf eine Werkgruppe gestoßen, über die sie Heinrich wie den Notizen von Chipp auf dem Manuskript zu entnehmen Conrad Schleinitz, der die Nachlassangelegenheiten juristisch ist: „Arranged from the Score, for 4 hands on the Piano Forte for betreute, Folgendes schrieb: „Ich […] schicke Ihnen […] heute E. Buxton Esqe. […] Dec: 1852.“53 Ein Vergleich zwischen den nur einen schriftlichen Gruß, und die Märsche von denen Sie Handschriften lässt erkennen, dass die Klavierbearbeitungen wißen. Ich habe darüber gar kein Urtheil, aber mir gefällt gar ganz eindeutig auf den Oxforder Partituren beruhen und dass nicht das Arrangement, es klingt so dünn und elend, auch ha- diese demzufolge 1852 oder früher entstanden sein müssen. ben die Märsche eine Art von Aenlichkeit [sic] einer mitt [sic] Ob der Procession March jedoch wirklich in Zusammenhang

45 Brief vom 28. Mai 1834 an seine beiden Schwestern, US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 200, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 3 [Anm. 41], S. 440–442, das Zitat S. 441. 46 Ebd., S. 441. Im selben Brief führte Mendelssohn noch aus: „Über die wahre echte Stimmung, (den Kammerton) ist hier alles uneinig, woher es kommt, daß die Blaseinstrumente immer greulich stimmen […].“ 47 Stadtarchiv Düsseldorf, 0-1-20-99.0000 (olim: StA, Bestand XX/99 Vereine, Schützen). 48 Allerdings war hier vermutlich nicht Louis Kreutzer, sondern wohl der Konzertmeister Joseph Kreutzer (1790–1840) gemeint, mit dem Mendelssohn in seiner Düsseldorfer Zeit aneinandergeraten war. Für das Jahr 1833 sind insgesamt sechs Mitglieder der Musikerfamilie Kreutzer in Mendelssohns Orchester nachweisbar. Eine entsprechende Liste nennt neben Louis und Joseph Kreutzer noch Carl, Friedrich, Max und A. Kreutzer, Stadtarchiv Düs- seldorf, 0-1-20-99.0000, Rechnung No. B 4 für die Mitwirkung im Konzert am 22. November 1833. 49 Undatierter Brief von Cécile Mendelssohn Bartholdy an Heinrich Conrad Schleinitz [1848], GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn c. 33, fols. 141–142. 50 Zur Bezeichnung und zu den Standorten dieses thematischen Werkverzeichnisses siehe Ralf Wehner, Das Schicksal des Bandes 43 und weiterer Manu- skripte aus dem Nachlass von Felix Mendelssohn Bartholdy, in: Die Tonkunst 3 (2009), Heft 2 (April), S. 189–200. 51 GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn c. 50, fols. 67–75. Näheres siehe Kritischer Bericht. 52 Originalbearbeitung für Klavier zu vier Händen, Mendelssohn-Haus Leipzig, AN 23. Ob sich die Bezeichnung March No. 2 auf den Procession March bezog oder noch auf einen weiteren March, muss vorerst ebenso offen bleiben wie die Beantwortung der Frage, ob Chipp den in der englischen Partitur als drittes Werk überlieferten Marsch auch noch für Klavier zu vier Händen bearbeitet hat. 53 Notiz am Ende des Marsches; die Bearbeitung des Prozessionsmarsches war – einer analogen Bemerkung zufolge – bereits im Juli 1852 für Buxton entstanden. XVIII mit den beiden Düsseldorfer Prozessionsmärschen steht, kann Mendelssohn, der ebenfalls gern in dem gastlichen Hause ver- derzeit nicht eindeutig geklärt werden. Immerhin lässt sich in kehrte.“58 Weiter heißt es: „Als Burgmüller gestorben war, kam der am Werkanfang unisono vorgetragenen Melodie in rhyth- Mendelssohn, wie früher so oft, zum Nachmittagscaffee in das misierter und damit leicht verschleierter Form die liturgische Klotz’sche Haus. Natürlich drehte sich die Unterhaltung aus- Floskel „Credo in unum Deum“ ausmachen, die zumindest die schliesslich um den dahingeschiedenen gemeinsamen Freund. Nähe zu einem katholischen Anlass erahnen lässt. Andererseits Endlich sprang Mendelssohn auf, erbat sich Notenpapier und sprach Mendelssohn bezüglich der Besetzung von zwei Klari- an des Capellmeisters Schreibpult componirte er einen Trauer­ nettisten,54 während in den in Rede stehenden Märschen drei marsch für das Begräbniss des Freundes (op. 103 A-moll). Das Klarinetten vorgeschrieben sind. Zudem scheint fraglich, ob war im Hause Bastionsstrasse Nr. 21. Das Manuskript dedizirte bei der Prozession in Düsseldorf wirklich ein Kontrafagott und Mendelssohn Klotz, der es stets in hohen Ehren hielt. Später ein englisches Basshorn durch die Stadt getragen wurden. Falls kam das Manuskript der Familie abhanden.“59 Da sich von die beiden Märsche MWV P 18 und P 19 mit den verscholle- Mendelssohn keinerlei Äußerungen über das Ereignis oder die nen Werken MWV P 11 und P 13 identisch sein sollten, bliebe Komposition erhalten haben,60 kann diese anekdotenhafte Ge- dennoch die Unsicherheit hinsichtlich der Vorlage des dritten schichte nicht verifiziert werden. Ganz offensichtlich aber ist Marsches der englischen Abschrift.55 das erwähnte verlorengegangene Manuskript mit dem heute in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz auf- bewahrten Autograph identisch, auch wenn es keine schrift­ Ein Trauermarsch zum Tod von Norbert Burgmüller MWV P 14 liche Dedikation an Klotz enthält. Über die Uraufführung des Werkes berichtete die Düsseldorfer Zeitung: „Wenn der Werth Ebenfalls mit Düsseldorf verbunden, wenn auch aus einem eines Menschen sich nach der Theilnahme ermessen läßt, die traurigen Anlass, ist ein Werk, das am 11. Mai 1836 vom er seinen Zeitgenossen einzuflößen versteht, und wenn der Musik­korps des 16. preußischen Infanterieregiments unter ungeheuchelte allgemeine Ausdruck dieser Theilnahme einen Leitung von Carl Klotz56 zur ersten Aufführung gelangte: ein Maßstab für die Liebe und Achtung abgibt, die er sich erwor- Trauermarsch anlässlich des Begräbnisses von Norbert Burg- ben, so steht N o r b e r t B u r g m ü l l e r hoch angeschrieben im müller. Dieser, ein Jahr jünger als Mendelssohn, war am 7. Mai Herzen seiner Mitbürger, seiner Freunde, seiner Kunstgenossen. 1836 im Alter von 26 Jahren unerwartet gestorben. Mendels- Die gestern Nachmittag 4 Uhr stattgefundene Beisetzung seiner sohn hatte den begabten Sohn seines Amtsvorgängers 1833 in irdischen Hülle war der sprechendste Beweis. […] Um 4 Uhr Düsseldorf kennengelernt und schätzte seine Kompositionen. setzte sich der Zug von der Franziskaner­kirche, in deren Neben- So spielte er selbst am 3. Mai 1834 Burgmüllers Klavierkonzert gebäude die Leiche einstweilen aufgestellt war, in Bewegung. fis-Moll op. 1 und setzte für den 13. November des Jahres auch An der Spitze befand sich das Musikchor des hochlöblichen dessen erste Sinfonie c-Moll op. 2 auf das Konzertprogramm.57 16. Infanterieregiments, einen tief ergreifenden Trauermarsch Die Nachricht vom plötzlichen Tod des jungen Talentes ver- blasend, den der, Behufs des Pfingstfestes hier anwesende Herr setzte die in Düsseldorf gebliebenen Freunde und Kollegen in Musikdirektor F e l i x M e n d e l s s o h n = B a r t h o l d i noch ei- tiefe Trauer. Mendelssohn, der bereits 1835 die Stadt am Rhein gends für diese Feier komponirt hatte. Hinter dem offenen Wa- verlassen hatte und nun als Leiter der Gewandhauskonzerte in gen, welcher den mit Blumen bekränzten Sarg enthielt, folgte Leipzig fungierte, befand sich zu diesem Zeitpunkt wegen der das Musikchor des hochlöblichen 17. Infanterieregiments, Vorbereitung des 18. Niederrheinischen Musikfestes in Düssel- welches abwechselnd mit dem erstgenannten Chore den herr- dorf, wo er zu Pfingsten 1836 sein Oratorium Paulus op. 36 li[chen] Trauermarsch von Beethoven executirte. […] Die Hon- MWV A 14 aus der Taufe heben sollte. neurs bei der Leiche machten als erste Leidtragenden die ersten Im Rahmen einer biographischen Skizze über Norbert Künstler unsrer Stadt, an deren Spitze der Hr. Musikdirektor ­Burgmüller wurden 1889 Aufzeichnungen aus den Papieren der Mendelssohn sich gestellt hatte.“61 Familie Klotz veröffentlicht: „Eine innige Freundschaft verband Das zu diesem Anlass komponierte Werk blieb zu Lebzeiten un- Norbert Burgmüller mit Carl Klotz, in dessen Hause er ein gedruckt und erschien erst 1868 mit der unautorisierten Opus- täglicher und gern gesehener Gast war. Gewöhnlich erschien zahl 103. Um dem Stück eine höhere Verbreitung zu sichern, er daselbst nach Tisch und trank dort im Familienkreise den bot der Verlag J. Rieter-Biedermann parallel eine Bearbeitung Caffee. Zu diesen Nachmittagssitzungen erschien auch sehr oft für großes Orchester sowie Bearbeitungen für Klavier zu zwei

54 Siehe Zitat aus dem Brief vom 9. und 10. Oktober 1833 an die Familie, Anm. 41. 55 Siehe hierzu auch den Abschnitt „Ein Militairstück für Thomas Attwood MWV P 9“. 56 Klotz war Klarinettist und leitete das erwähnte Musikkorps. Näheres zu dem in der Militärhistorie unter dem Namen „Freiherr von Sparr“ bekannten Regiment siehe Eduard v. Franse[c]ky II., Geschichte des Königlich Preußischen 16. Infanterie-Regiments, Münster 1834. 57 Zu Details der Werke und zu Nachweisen, wann Mendelssohn die Sinfonie dirigierte, siehe Klaus Tischendorf und Tobias Koch, Norbert Burgmüller. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, Köln 2011, S. 23–39. 58 Benno Vorwerk, Norbert Burgmüller, in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins, Bd. 4, Düsseldorf 1889, S. 159–192, das Zitat S. 185. 59 Ebd., S. 187. 60 Der Tod Burgmüllers wurde in einem verschollenen Brief an Karl Emil von Webern (1790–1878) thematisiert, wie dessen Erinnerungen zu entnehmen ist: „Mir ging Burgmüllers Tod sehr nahe. Vergeblich habe ich unter meinen Papieren nach einem herrlichen Brief von Mendelssohn gesucht, den er mir bei dieser für uns beide so betrübenden Veranlassung schrieb.“, zitiert nach: Emil von Webern, Felix Mendelssohn Bartholdy. Aus den Erinnerungen des Generalleutnants Karl Emil von Webern, in: Die Musik, 12. Jg., 4. Quartalsband, Bd. XLVIII (1912/1913), 2. Juliheft (1913), S. 67–94, das Zitat S. 69. 61 Düsseldorfer Zeitung, Nr. 128 vom 14. Mai 1836, Titelseite. XIX und zu vier Händen an,62 anderthalb Jahre später noch eine Rieter-Biedermann übernahm die beiden anderen Orchester- Orgelfassung von Robert Schaab.63 Zudem kursierte eine Ein- werke: den Trauermarsch a-Moll MWV P 14 (op. 103), einen richtung für reines Streichorchester, das 1867 mehrfach durch Marsch D-Dur MWV P 16 (op. 108) sowie kleinere Werke, die das Baden-Badener Kurorchester aufgeführt wurde. Der Sohn insgesamt fünf Opuszahlen erhielten.69 des Komponisten, der Historiker Karl Mendelssohn Bartholdy Der Historienmaler Peter Joseph von Cornelius (1783–1867),70 (1838–1897), damals in Freiburg i. Br. lebend, hatte zu diesem für den Mendelssohn seinen Marsch MWV P 16 komponierte, Zwecke die originale Partitur zur Verfügung gestellt.64 Ein Re- kann durchaus als schillernd bezeichnet werden, denn von je- zensent der Erstausgabe hob hervor: „Von andern Märschen der her wirkten Persönlichkeit und Œuvre polarisierend. Anfang Art unterscheidet sich der Mendelssohn’sche dadurch, dass ihm der 1980er Jahre kleidete eine Autorin diesen Zwiespalt in die das Herbe, die dunkle Färbung fehlt, dass er, wie es überhaupt Worte: „Cornelius ist auch deshalb kein einfacher Künstler, weil des Componisten Art ist, ein volleres Colorit, einen wärmern er meist in Extremen bewertet wird. Das Urteil der Zeitgenos- Ton in Harmonie und melodischen Motiven mehr hervortre- sen wie der Nachwelt schwankt zwischen blinder Hagiographie ten lässt. […] Das Ganze muss allen Orchestervereinen, nicht und tiefster Ablehnung. Für die einen ist er der bedeutendste gerade zu einem ähnlichen Zweck, sondern einfach als schönes Künstler seiner Zeit, ja sogar des gesamten Jahrhunders, das Musikstück, eine willkommene Gabe sein.“65 Genie überhaupt, während seine Gegner in ihm einen Schar- latan sehen. Noch bis zur Jahrhundertwende kunsthistorisches Allgemeingut fristet Cornelius seitdem als Mumie im Museum Ein Marsch für den Maler Peter von Cornelius MWV P 16 der Kunstgeschichte ein eher kümmerliches Dasein.“71 Durch die grundlegenden Arbeiten von Frank Büttner72 und die Er- Der 1848 in Winterthur gegründete und seit 1862 mit einer schließung eines Teilnachlasses in München73 konnte in den Zweigstelle in Leipzig präsente Verlag J. Rieter-Biedermann66 letzten Jahren dieser Vergessenheit entgegengewirkt und ein trat 1867/1868 mit der Edition gleich mehrerer postumer Werke differenzierteres Bild jener Künstlerpersönlichkeit gezeichnet von Felix Mendelssohn Bartholdy in Erscheinung. Die zweite werden, die ganz wesentlich zur Erneuerung der Freskomalerei Folge von Mendelssohns nachgelassenen Werken, die die Opus- im 19. Jahrhundert beigetragen hat. zahlen 101 bis 121 erhalten sollten, erschien zwischen 1867 und Zu Mendelssohns Familie bestand schon relativ früh Kontakt, 1873 und enthielt lediglich vier Orchesterwerke, die die Witwe denn im Januar 1816 erteilte Jacob Ludwig Salomon Bartholdy des Komponisten bei der ersten Folge postumer Stücke (op. 73 (1779–1825)74 dem damals 32 Jahre alten Cornelius und wei- bis 100, 1848–1853) noch zurückgehalten hatte und die nun teren deutschen Künstlern75 den Auftrag, die in der Literatur von Karl Mendelssohn Bartholdy freigegeben wurden. Das be- als „Josephsfresken“ bekannt gewordenen Ausmalungen im Pa- deutendste, wenngleich auch umstrittenste Werk war die als „Re- lazzo Zuccari, einer später als „Casa Bartholdy“ berühmt gewor- formations-Sinfonie“ bekannte Sinfonie d-Moll MWV N 15, denen Villa in Rom, vorzunehmen.76 Seine Beweggründe legte die die Opuszahl 107 erhielt,67 dazu trat die ­Ouvertüre C-Dur Bartholdy in einem Brief aus Rom an Abraham Mendelssohn, MWV P 2, die sogenannte „Trompeten-­Ouvertüre“ (op. 101)68. seinen Schwager, dar: „Als ich hierher kam, fand ich viele deut-

62 Eine mit 1. Januar 1868 datierte Anzeige erschien in: Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung 3 (1868), Nr. 1 (1. Januar), S. 8, und Nr. 2 (8. Januar), S. 16. 63 Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung 4 (1869), Nr. 47 (24. November), S. 376. 64 Signale für die musikalische Welt 25 (1867), Nr. 42 (3. Oktober), S. 775, dieser Originalnotiz folgend: Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung 2 (1867), Nr. 42 (16. Oktober), S. 339. Siehe auch Markus Zepf, Zwang, Befreiung und das Erbe des Vaters. Karl Mendelssohn Bartholdy in Freiburg und Baden-­ Baden, in: 250 Jahre Familie Mendelssohn, hrsg. von Sebastian Panwitz und Roland Dieter Schmidt-Hensel, Hannover 2014 (= Mendelssohn-Studien; Sonderband 2) (im Folgenden: 250 Jahre Familie Mendelssohn), S. 203–225. 65 H. D. [wohl Dr. H. Deiters, Bonn], Nachgelassene Werke von Mendelssohn. (Schluss.), in: Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung 3 (1868), Nr. 21 (20. Mai), S. 164–166, das Zitat S. 164. 66 1882 erfolgte die Verlegung des Firmenhauptsitzes nach Leipzig, 1917 wurde der Verlag an C. F. Peters verkauft und blieb fortan als Subverlag bestehen. 67 Siehe Serie I, Band 7 (2017) dieser Ausgabe, zum Streit über das Werk und seine postume Edition insbesondere die Einleitung, S. XX–XXIII. 68 Siehe Serie I, Band 9 (2016) dieser Ausgabe. In der Einleitung zu diesem Band finden sich nähere Ausführungen zur Veröffentlichungspraxis und zur Vergabe der Opuszahlen nach Mendelssohns Tod, S. XXIV–XXV. 69 Es waren dies die frühen Klaviersonaten g-Moll MWV U 30 (op. 105) und B-Dur MWV U 64 (op. 106), zwei geistliche Männerchöre auf lateinische Texte MWV B 28 und B 29 (op. 115), der sogenannte „Trauergesang“ MWV F 31 (op. 116) sowie ein „Ave Maria“ und ein „Winzer-Chor“ (op. 98, Nr. 2 und 3) aus dem Opernfragment Die Lorelei MWV L 7, zu dem 1852 bei Breitkopf & Härtel das Finale erschienen war. 70 Der Adelstitel war Cornelius Ende 1825 vom bayerischen König Ludwig I. verliehen worden. Cornelius war Onkel des Komponisten Peter Cornelius (1824–1874). 71 Stefanie Bielmeier, Gemalte Kunstgeschichte. Zu den Entwürfen des Peter von Cornelius für die Loggien der Alten Pinakothek, München 1983 (= Miscellanea Bavarica Monacensia; Heft 106), S. 3. 72 Siehe Frank Büttner, Peter Cornelius. Fresken und Freskenprojekte, Bd. 1, Wiesbaden 1980, Bd. 2, Stuttgart 1999 (im Folgenden: Büttner, Cornelius) und die darin enthaltene Bibliographie. 73 Bayerische Staatsbibliothek, München, Ana 353. Dieser Teil des Nachlasses (insgesamt drei Schachteln) enthält allerdings für unsere Belange keine relevanten Materialien. 74 Bartholdy war Bruder von Mendelssohns Mutter und lebte seit Herbst 1815 als preußischer Generalkonsul in Rom. 75 Beteiligt waren Friedrich Wilhelm von Schadow, Philipp Veit, später Friedrich Overbeck, in der konzeptionellen Phase am Anfang auch Franz Catel. 76 Büttner, Cornelius [Anm. 72], Bd. 1, S. 76–97. XX sche und preussische Künstler von entschiedenen Anlagen und ist ein natürlicher, in der Glyptothek ist mir immer das Ge- Talenten, jedoch ohne Gelegenheit, sie auszuüben […]. Hier- gentheil vorgekommen.“84 aus entstand nicht nur das Uebel, dass man jene Künstler nicht Cornelius und Mendelssohn verbrachten, zeitlich parallel, meh- kannte, sondern auch das vielleicht grössere, dass sie sich selbst rere Monate in Rom und sind sich auch persönlich begegnet.85 nicht kannten, welches bei einer gewissen Schwärmerei und Auf jeden Fall hatte der Komponist klare Vorstellungen von dem Einbildungskraft oft die Wirkung hervorbrachte, dass sie sich eine Generation älteren Maler, als sich zehn Jahre später, im selbst überschätzten.“77 Nach Büttner verstand Bartholdy „das Frühjahr 1841, sein Freund Eduard Bendemann (­1811­–­1889) Unternehmen als eine Weise der Repräsentation des Landes, das mit einer Bitte an ihn wandte, die wiederum mit Cornelius zu- er vertrat. Deshalb kamen für die Ausführung auch nur preußi- sammenhing. Dieser war mittlerweile beim König Ludwig I. sche Künstler in Betracht. Den Lübecker Overbeck hat er erst von Bayern in Ungnade gefallen86 und nahm daher gerne das nach einigem Zögern hinzugezogen.“78 Angebot des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. an, Über die kunsthistorische Bedeutung des Ende Juli 1817 ab- sich einem neuen Wirkungskreis zuzuwenden. Die Übersied- geschlossenen Großprojektes bestand bald kein Zweifel. Die lung von München nach Berlin fand im April 1841 statt.87 Eine Fresken wurden noch Jahrzehnte später so hoch geschätzt, dass Zwischenstation auf der Reise sollte Dresden sein. Die geplante sie, obwohl dies mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden Wohnortveränderung des gleichermaßen arrivierten wie um- war, 1886/1887 in die Berliner Nationalgalerie überführt wur- strittenen Cornelius löste nicht nur eine Diskussion um das den.79 Sie überstanden den Zweiten Weltkrieg und sind noch Bestreben des preußischen Königs aus, namhafte Geistesgrö- heute erhalten.80 Weit mehr als der rein künstlerische Wert ßen, Gelehrte und Künstler an seinen Hof zu binden,88 son- wog aber die gesellschaftlich-soziale Komponente des Ortes dern führte in der sächsischen Residenzstadt Dresden zu einer der Fresken, denn die „Casa Bartholdy“ entwickelte sich in der hektischen Betriebsamkeit zwecks Vorbereitung eines großen Folgezeit zum Anziehungspunkt deutscher Künstler in Rom Festes zu Ehren des Meisters. Bendemann, einer jener Maler, par excellence, insbesondere jener, die als „Nazarener“ in die mit denen Mendelssohn 1830/1831 Italien bereist hatte und Kunstgeschichte eingingen.81 Selbstverständlich suchte auch der mittlerweile eine Professur an der Kunstakademie Dresden Mendelssohn das Haus seines 1825 verstorbenen Verwandten innehatte, wandte sich am 22. März 1841 an den Komponisten in Rom auf: „[…] so kam ich dann zum erstenmal ins Haus des und kündigte den Cornelius-Besuch an: „Wir hatten die Ab- Onkels, ud. sah seine Bilder, ud. seine Aussicht auf die Stadt, es sicht ihm ein Soûper zu arrangiren, den Saal möglichst schön war eine großartige ud. königliche Idee, die mit den Freskobil- ud künstlerisch auszuschmücken ud vorher eine Musik, etwa dern, ud. dies Ausführen eines schönen Gedankens, trotz aller eine Symphonie aufführen zu lassen. Zugleich wünschten wir möglichen Hindernisse ud Verdrießlichkeiten, blos des Ge- aber auch ihn ein Musikstück hören zu lassen, welches eine be- dankens wegen, ist mir immer das Liebste gewesen. Schadow sondere Beziehung zu dem Feste hätte. Meine Anfrage ud Bitte war mit mir, ud. mag eigne Empfindungen gehabt haben, als geht nun dahin, ob Du uns ein kleines Musikstück dazu ma- er es zuerst wiedersah82; das Bild von Cornelius ist das einzige chen willst ud ob Du uns eine Art angeben könntest, wie sich von ihm, das mir bis jetzt gefallen ud. einen Eindruck gemacht solches wohl am geschicktesten mit Worten verbinden ließe, die hat,83 obwohl von der Neigung zum Verzerren ud Übertreiben, den Gefeierten ehren ud erfreuen, Du weißt gewiß Rath, sonst die mir später so zuwider ist, schon da sich manches in verdreh- würde es auch hier nicht an einem Dichter fehlen, der einige ten Augen ud. gezierten Stellungen zeigen mag, so ist doch ein passende Worte zusamen stellen könnte. Ich denke am liebsten schönes, bewegtes Leben im Ganzen, ud. der Grundgedanke wird es Dir sein, wenn Du selbst mit dem Dichter Dich bespre-

77 Brief vom 6. Februar 1817 von J. L. S. Bartholdy an Abraham Mendelssohn, Standort unbekannt, zitiert nach: Sebastian Hensel, Die Familie Mendels- sohn 1729–1847. Nach Briefen und Tagebüchern, Berlin 1879 (im Folgenden: Hensel 1879), Bd. I, S. 111–113, das Zitat S. 111. 78 Büttner, Cornelius [Anm. 72], Bd. 1, S. 76. 79 Lionel von Donop, Die Wandgemälde der Casa Bartholdy in der Nationalgalerie, Berlin 1889. 80 Hans-Joachim Gronau, Maltechnik und Restaurierungsmaßnahmen in der „Casa Bartholdy“, in: Staatliche Museen zu Berlin, Forschungen und Berichte, Bd. 9 (1967), S. 55–57. 81 Zur Geschichte und unterschiedlichen Verwendung des Begriffes „Nazarener“ siehe Büttner, Cornelius [Anm. 72], Bd. 1, S. 117–124. 82 Schadow hatte mit anderen Malern 1816 an den Fresken mitgewirkt, s. o. Anm. 75. 83 „Joseph deutet die Träume Pharaos“, das erste Fresko, entstanden Juli bis Oktober 1816, Reproduktion u. a. in Büttner, Cornelius [Anm. 72], Bd. 1, Tafel XXXIV. 84 Brief vom 1. Februar 1831 an die Familie, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 13, fol. 37, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 2 [Anm. 12], S. ­199–202, das Zitat S. 200–201. Der Hinweis auf die Glyptothek bezieht sich auf die Fresken im Göttersaal (1823 vollendet) sowie im Heroensaal und im Vestibül des neuen Münchner Museums, das die Antikensammlung des Kronprinzen Ludwig von Bayern mit Schwerpunkt griechischer und römischer Skulpuren beherbergen sollte. Cornelius hatte 1818 den Auftrag für dieses letztlich über ein Jahrzehnt währende Projekt erhalten, Büttner, Cornelius [Anm. 72], Bd. 1, S. 125–223. 85 Cornelius weilte von August 1830 bis Juli 1831 in Rom, Mendelssohn von November 1830 bis Juni 1831 mit teilweise längeren Unterbrechungen durch Ausflüge. 86 Nach Vollendung der Fresken in der Münchner Ludwigskirche war das Angebot eines großen Anschlussprojektes ausgeblieben. Zudem wurde die Kritik an seinem Schaffen immer lauter. 87 Die Abreise erfolgte am 12. April 1841, siehe Ernst Förster, Peter von Cornelius. Ein Gedenkbuch aus seinem Leben und Wirken, Berlin 1874, Bd. 2, S. 171. 88 Zu den teilweise gehässigen Kommentaren bezüglich der Berufung siehe Büttner, Cornelius [Anm. 72], Bd. 2, S. 265–266. XXI chen könntest. Herr von Quandt, Hübner, Rietschel, Semper mir fällt nichts Gescheutes dazu ein, und grade Dir schickte ich ud andre Künstler vereinigen ihre Bitten mit der Meinen ud nicht gern was Dummes.“92 Schließlich wurde die Idee ­eines glauben auf diese Weise Cornelius besonders zu erfreuen.“89 Vokalstückes verworfen. Auf Bendemanns letzten, etwas ver- Mendelssohn nahm den Antrag umgehend an und entwickelte zweifelt formulierten Brief, den Mendelssohn am 14. April ver- gleich eigene Gedanken zu einem möglichen Stück und zur spätet erhielt und der einen noch früheren Termin des Festes Einbindung von Dresdner Kollegen: „Dein Auftrag ist mir eine benannte,93 skizzierte der Komponist schließlich einen Marsch, große Freude, ud. es versteht sich daß ich zu Euerm Feste gern dessen Partitur er praktisch über Nacht notiert hatte und bereits nach Kräften mitwirken werde; aber eine rechte Idee zu den einen Tag später nach Dresden übersandte. Im Begleitschreiben Worten anzugeben vermag ich wirklich nicht. Es hängt gar lieferte er einen bedeutenden aufführungspraktischen Hinweis zu sehr vom übrigen Fest ud. vom Dichter ab, auch von den und gleichzeitig die Begründung, warum dieser Marsch – sin- Mitteln zur Ausführung, die Ihr haben werdet. Eine besondre gulär in Mendelssohns Schaffen – zwei Trio-Abschnitte enthält: Dichtung wäre jedenfalls wünschenswerth; aber hier weiß ich „Gestern erhielt ich hier Deine beiden Briefe zugleich, und heut niemand, der dergleichen gut ausführen könnte. Noch eine geht der Marsch bestelltermaßen ab. Du erhältst also inliegend Bemerkung, die sich mir aufdrängt ist, daß (so gern ich mich die Partitur ud ich hoffe nur daß Dich der Brief noch zeitig dabei betheilige) die Dresdner Musiker, namentlich Reissiger genug trifft, um das Ding ausschreiben lassen zu können. Das etwa, nicht übergangen werden dürften. Ich gehe nach mir, ud. 2te Trio hab ich hinzugefügt, falls Ihr was längeres brauchtet; weiß, es würde mich ärgern, wenn man sich bei einer solchen ist es ohne dies lang genug, so muß es hinweggelassen werden. Gelegenheit in Leipzig an auswärtige wendete. Kann es daher Auch kann bei dem Da Capo entweder der ganze Marsch, oder nur ein Musikstück sein, so wär es für mich, namentlich aber nur der erste Theil desselben wiederholt werden; entweder senza für die Sache ud. die Harmonie des ganzen Festes besser, Ihr oder con replica. Du siehst es ist ein wahres Schubladenstück. nähmet einen Dresdner Componisten dazu, denn ich würde in Ich wollte gern meinen guten Willen beweisen, den abgerech- keinem Falle gern der alleinige sein; erlaubt es aber Eure Fest- net ist freilich nichts dran. ordnung zwei dgl. Stücke, etwa 2 Lieder dazu zu nehmen, ud. In einer halben Stunde beginnt die Aufführung meines Paulus; eins davon soll von mir sein, so ist mirs wie gesagt, eine wahre also verzeih die Eil dieser Zeilen. Laß das Märschlein jeden- Ehre ud Freude. Am passendsten wäre wohl ein Gesang für fa[lls] probiren, ehe es zum Fest gebraucht wird, weil mein Ma- Männerstimmen: eine Begrüßung Norddeutschlands oder dgl. nuscript nicht deutlich ist.“94 mit vielen Posaunen ud Blechinstrumenten. Ob ich selbst dazu Mehrere Zeitungen berichteten über das letztlich erfolgreich komen kann, hängt vom Zeitpunct ab; die nächsten Wochen verlaufene Fest. Einer dieser Berichte sei im Folgenden ausführ- nach Ostern fürchte ich nicht abkommen zu können, weil ich licher zitiert, da er besonders plastisch den Anspruch und die am 15ten nach Weimar ud später nach Berlin zu komen ver- Umsetzung des Festes am 19. April 1841 und die Einbettung sprochen habe.“90 Noch mehrere Briefe wechselten zwischen des Marsches in dasselbe beleuchtet: „Sobald die Nachricht Dresden und Leipzig.91 Die letzten wurden Mendelssohn nach von der vorigen Sonnabend am 17ten erfolgten Ankunft des Weimar weitergeschickt, wo sich der Komponist vom 12. April Direktors Ritter Peter von C o r n e l i u s durch Anschlag am an zur Vorbereitung einer Aufführung seines Oratoriums Paulus Gebäude der Kunst=Akademie verbreitet war, rüsteten sich die aufhielt. Mendelssohn, der mit Bendemann in diesem Zeitraum akademischen Zöglinge, ihre Lehrer an der Spitze, zu einem Fa- ohnehin bezüglich des geplanten Bachdenkmals in Leipzig in ckelzuge zu Ehren des großen Deutschen Meisters. Dieser setzte Kontakt stand, wollte dem Freund gerne einen Gefallen erwei- sich auch Abends nach 9 Uhr vom Akademiegebäude aus in sen, war aber zu dieser Zeit beruflich sehr eingespannt und hatte Bewegung, die Terassentreppe herab, über den Neumarkt in die offensichtlich Schwierigkeiten mit der Umsetzung des Dresdner Wilsdruffergasse, wo der Gefeierte im Hotel de France abge- Auftrages, wie einem weiteren Brief zu entnehmen ist: „Ich habe stiegen war. Mehr als 250 Personen bildeten ihn. Instrumental- mich nämlich gestern seit Empfang Deines Briefes förmlich ge- musik geleitete ihn. Vor der Wohnung bildete man einen Kreis, quält, mir etwas irgend ein wenig Bedeutendes zu ersinnen, was und nachdem von den Sängern der Begleitung ein kräftiges einer musikalischen Aufforderung zum Essen ähnlich sieht; aber von Th. Hell gedichtetes Lied, Cornelius zu Ehren, gesungen

89 Brief vom 22. März 1841 von Eduard Bendemann an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 39, Green Books XIII-139. 90 Brief vom 24. März 1841 an Eduard Bendemann, Universitätsbibliothek Leipzig, „Bibliotheca Albertina“, Sondersammlungen (im Folgenden: D-LEu), Rep. IX, 3, Nr. 217i, gedruckt in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Briefe aus Leipziger Archiven, hrsg. von Hans-Joachim Rothe und Reinhard Szeskus, Leipzig 1972 (im Folgenden: Briefe aus Leipziger Archiven), S. 29–32, das Zitat S. 31–32. 91 Zum Vorgang sind drei Briefe Bendemanns in Oxford (Green Books XIII) und ein weiterer in Leipzig (s. u. Anm. 93) überliefert. Mendelssohns Gegenbriefe befinden sich in Bendemanns Teilnachlass, der als Leihgabe der Leipziger Städtischen Bibliotheken in der Universitätsbibliothek Leipzig aufbewahrt wird. Zum Mendelssohn-Jahr 1972 erfolgte die Veröffentlichung in dem Buch Briefe aus Leipziger Archiven [Anm. 90]. 92 Brief vom 10. April 1841 an Eduard Bendemann, D-LEu, Rep. IX, 3, Nr. 217k, gedruckt in: Briefe aus Leipziger Archiven [Anm. 90], S. 34–35, das Zitat S. 34. 93 Der Brief vom Ostermontag 1841 (Poststempel 12. April) von Eduard Bendemann an Felix Mendelssohn Bartholdy wurde nach Weimar nachgeschickt, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, MT/2011/228. Dieser Brief war ursprünglich Teil der „Grünen Bücher“, wurde zu unbekannter Zeit aus ihnen entfernt und befand sich Ende des 20. Jahrhunderts in der Sammlung von Rudolf Elvers. Auf dem Originalbrief ist noch die originale Zählung „XIII 178“ erhalten, die auf den ursprünglichen Standort verweist. Im Katalog zum betreffenden Band MS. M. Deneke Mendelssohn d. 39, Green Books XIII, findet sich der Eintrag: „Missing. Formerly Bendemann“, sieheCatalogue of the Mendelssohn Papers in the Bodleian Library, Oxford, Vol. I Correspondence of Felix Mendelssohn Bartholdy and others. Compiled by Margaret Crum, Tutzing 1980 (= Musikbibliographische Arbeiten; Bd. 7), S. 110. 94 Brief vom 15. April 1841 an Eduard Bendemann, D-LEu, Rep. IX, 3, Nr. 217l, gedruckt in: Briefe aus Leipziger Archiven [Anm. 90], S. 35. XXII war, ward ihm ein Lebehoch ausgebracht. Er selbst empfing die wird vielleicht gar nichts draus so ist es abgeschrieben worden Deputation, die ihm das Gedicht übergab, an der Thüre des (liegt in meinem Verschluß) u das Original an Cornelius beför- Hauses und dankte mit herzlichen Worten, worauf der Zug dert worden“.98 Heute ist weder die Dresdner Abschrift noch in derselben Ordnung, wie er gekommen war, wieder zurück- die autographe Partitur zu ermitteln. Ungeklärt muss auch die kehrte. – Gestern Abend […] war ihm in dem dazu verstat- Frage bleiben, wann und wie die einzig erhaltene Abschrift von teten großen Saale des Kaufmanns=Vereins ein Festmahl von Mendelssohns Hauptkopisten Eduard Henschke entstehen den hiesigen Künstlern bereitet worden. Durch die huldreich konnte, wenn die autographe Partitur von Dresden nach Berlin zu diesem Zwecke verstatteten berühmten Tapeten nach Rapha- geschickt wurde und Henschke in Leipzig wirkte. Dessen Ab- elischen Zeichnungen war der Saal in eine echte und in ihrer schrift, die sich in Mendelssohns Nachlass vorfand,99 hatte der Art einzigartige Kunsthalle verwandelt worden, in deren Hin- Komponist eigenhändig mit folgendem Erinnerungsvermerk tergrund der Gips=Abguß der Viktoria aus dem Berliner Mu- für sich versehen: Marsch componirt zur Feyer der Anwesenheit seum, so wie in den Ecken die eines kolossalen Minerven= und des Malers Cornelius in Dresden; April 1841. Jupiter=Kopfes standen. Blumengewinde und Blüthengebüsche schmückten überdies das Ganze. An einer Tafel von 120 Cou- verts war Cornelius’ Platz unmittelbar vor der Viktoria. Unter Drei verschollene Kindersinfonien einem von Mendelssohn=Bartholdy zu diesem Feste komponir- ten Marsche nahmen die Anwesenden ihre Plätze ein und nach Die Liste der verschollenen Werke von Felix Mendelssohn einiger Zeit ward von den Sängern des Königl. Hoftheaters im Bartholdy konnte in den letzten Jahren reduziert werden. Doch Quartett nach einer trefflichen Composition Reissigers ein von auch weiterhin gibt es Hinweise auf Kompositionen, die bereits Mosen edel gedichtetes Lied gesungen, zwischen dessen vier im 19. Jahrhundert als unwiederbringlich verloren galten.100 Strophen der Festredner, Herr Meyer, jedesmal einen analogen Oft finden sich dazu nur vereinzelte oder allzu unkonkrete Spruch auf den Meister Cornelius ausbrachte, der mit dem ju- Nachweise,101 einmalige Erwähnungen oder Erinnerungen von belnden Lebehoch endete. […] Unter Gesang und Rede, Hei- dritter Seite, sodass die Wahrscheinlichkeit eines Auftauchens terkeit und kräftigem Aufschwung dauerte so das Fest bis spät oder Möglichkeiten der Zuordnung zu einem bekannten Stück nach Mitternacht.“95 als relativ gering eingeschätzt werden müssen. Andererseits In der Eile konnte Mendelssohn keine Abschrift von seinem kommt es immer wieder auch zu Überraschungen, wie es das Werk mehr veranlassen und hatte Bendemann deshalb in einem­ Wiederfinden des 1872 letztmals nachgewiesenen Liedes „Das Postskriptum seines Begleitbriefes gebeten: „Wenn Dus ge- Menschenherz ist ein Schacht“ MWV K 111 nach über 140 braucht hast, so schick mir die Partitur oder eine Copie da- Jahren belegt.102 Den verlorenen Werken haftet in verschiedener von gelegentlich wieder nach Leipzig.“96 Die originale Partitur Hinsicht eine gewisse Rätselhaftigkeit an, die sich vor allem auf verblieb zunächst in Dresden. In der Zwischenzeit reiste Men- die musikalische Substanz, in manchen Fällen auch auf die Be- delssohn nach Berlin und wurde dort von Cornelius selbst auf setzung und die Entstehungshintergründe bezieht. den Marsch hin angesprochen, was Mendelssohn zu folgender Dies betrifft auch die sogenannten „Kindersinfonien“, von de- Frage an Bendemann veranlasste: „Du hast wohl vergessen das nen insgesamt drei nachweisbar sind (nicht zu verwechseln mit Märschchen an Cornelius zu geben? Er wußte nichts davon, ud. den „Jugendsinfonien“103). Die wenigen bekannten Äußerun- fragte mich drum.“97 Die Antwort aus Dresden ließ nicht lange gen über sie lassen vermuten, dass sie trotz ihres Namens eher auf sich warten: „Den Marsch an Cornelius hatte ich nicht ver- im Bereich humorvoller Instrumentalmusik anzusiedeln und gessen, aber ich behielt ihn imer hier weil ich hoffte wir würden nicht dem Genre ernsthafter Sinfonik zuzuordnen sind, was ihn bald drucken lassen könen. Das zieht sich nun in d Länge, sich auch in der Nomenklatur des Mendelssohn-Werkverzeich-

95 Bayreuther Zeitung, Nr. 99 vom 27. April 1841, S. 393–394. Derselbe Wortlaut, leicht gekürzt und mit etwas variierender Orthographie auch in: Der Adler. Allgemeine Welt= und National=Chronik, Unterhaltungsblatt, Literatur- und Kunstzeitung für die Oesterreichischen Staaten 4 (1841), Nr. 100 (27. April), S. 657, sowie in: Der Bayerische Eilbote (München) 1841, Nr. 51 vom 28. April 1841, S. 404. Weiterer Bericht in: Zeitung für die elegante Welt 41 (1841), Nr. 85 (1. Mai), S. 339–340, kurz erwähnt auch in: Kunstblatt 22 (1841), Nr. 41 (25. Mai), S. 179. 96 Brief vom 15. April 1841 an Eduard Bendemann, s. o. Anm. 94. 97 Brief vom 8. Juni 1841 an Eduard Bendemann, D-LEu, Rep. IX, 3, Nr. 217n, gedruckt in: Briefe aus Leipziger Archiven [Anm. 90], S. 37–39, das Zitat S. 39. 98 Brief vom 19. Juni 1841 von Eduard Bendemann an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 39, Green Books XIII-260. 99 Siehe Kritischer Bericht, Beschreibung Quelle D. 100 Zu diesem Themenkomplex siehe Ralf Wehner, „It seems to have been lost“: On Missing and Recovered Mendelssohn Sources, in: The Mendelssohns: Their Music in History, ed. by John Michael Cooper and Julie D. Prandi, Oxford etc. 2002, S. 3–25, und ders., „Meine Oma hat da ein paar alte Noten …“. Über verschollene und wieder aufgetauchte Mendelssohn-Quellen, in: Meisterwerke – Gefasst! Über ausgewählte Kompositionen und diverse wiederaufgefundene Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Beiträge des Leipziger Mendelssohn-Symposiums „Wissenschaft und Praxis“ am 1. September 2005, hrsg. vom Gewandhaus zu Leipzig und von der Internationalen Mendelssohn-Stiftung e. V., Leipzig 2005, S. 5–20. 101 So erwähnt Mendelssohn 1828 ein „Marschstück mit dem hohen Clarinettentriller“, das er am Klavier vorspielte und dessen Identifizierung bisher nicht gelungen ist. Siehe Brief vom 24. Oktober 1828 an die Familie, US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 51, gedruckt in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Bd. 1, hrsg. und kommentiert von Juliette Appold und Regina Back, Kassel etc. 2008 (im Folgenden: Sämtliche Briefe, Bd. 1), S. 253–255, das Zitat S. 254. 102 Christie’s, London, Valuable Manuscripts and Printed Books (21. Mai 2014), lot 18 mit Faksimile, S. 24. 103 Siehe Serie I, Bde. 1–3 (1965–1972) dieser Ausgabe. XXIII nisses widerspiegelt, in dem die Stücke unter MWV P 4, P 6 delssohn voller Wehmut und fern der Heimat in Paris, bedau- und P 8 aufgeführt und nicht in die Werkgruppe N (Sinfonien) erte, dass er in die Oper gehen müsse, und gab zu bedenken: eingegliedert sind. „[…] ob das Orchester eine so schöne Sinfonie spielen wird, wie Der erste Hinweis auf ein solches Werk findet sich in einem Brief, meine mit dem diavolo della selva frägt sich sehr.“109 Mit dem der am ersten Weihnachtstag 1827 von ­ „diavolo della selva“ (Teufel des Waldes) spielte Mendelssohn Bartholdy geschrieben wurde: „Es war übrigens sehr munter auf das Kinderinstrument „Waldteufel“ an, das zur Gruppe und hübsch gestern. Felix hatte für Rebecka eine Kinder-Sym- der Schwung-Reibtrommeln gehört.110 In welchem der drei phonie mit den Instrumenten der Haydn’schen geschrieben, die zwischen 1827 und 1829 entstandenen Stücken es eingesetzt wir aufführten und die ausserordentlich komisch ist.“104 Dieses war, bleibt unbekannt. Dass aber tatsächlich eine dritte Kinder- Stück bildete den Anfang einer kleinen Tradition in der Familie sinfonie existierte, wird durch eine wesentlich spätere Erwäh- Mendelssohn, zu Weihnachten eine solche „Kinder-Sympho- nung Fanny Hensels gegenüber ihrem Bruder belegt: „Nach- nie“ zu komponieren, die jeweils am Heiligen Abend aufgeführt her spielten wir sämmtliche 3 Kindersymphonieen, welche am wurde, so auch 1828: „Felix hatte denselben Tag eine allerliebste Sylvesterabend‚ unter Mitwirkung des berühmten Virtuosen, Kindersymphonie komponirt, die zu allgemeinem Spass zwei Hr. Ernst, wiederholt wurden. Ich weiß nicht, ob Du Dich er- Mal gespielt wurde […].“105 In einer Fußnote seiner Familien- innerst, Felix, zu einer derselben ein agnolo gesetzt zu haben, geschichte kommentierte Sebastian Hensel (1830–1898) dieses welches Paul auf einem kleinen weißen Pudel mit vielem Beifall Zitat mit den Worten: „Felix hat demnach zwei Kindersympho- schön vorträgt.“111 Dieses Zitat und eine weitere Erwähnung im nieen komponirt. Nur die eine hat sich erhalten, von der zwei- Tagebuch112 belegen ferner, dass das Aufführungsmaterial der ten habe ich keine Spur auffinden können.“106 Ein Ausschnitt Stücke 1847, also rund zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung, dieses Werkes erklang auch zu Weihnachten des folgenden Jah- noch vorhanden war. res: „Nachdem man sich allseitig umarmt und beglückwünscht hatte, exekutirten die Kinder als ouvertüre zu Gansens Stück ein allegro aus Fel.s Kindersinfonie des vorigen Weihnachts­ Ein Militairstück für Thomas Attwood MWV P 9 festes.“107 Bereits im Sommer 1829 beschäftigte sich Mendelssohn – zu Bei seiner Englandreise 1829 machte Mendelssohn auch die jenem Zeitpunkt in Schottland unterwegs – mit einer weiteren ­Bekanntschaft von Thomas Attwood, einem erfahrenen Kom- Kindersinfonie: „[…] aber ich möchte gern auch Gelegenheits- ponisten und Organisten, der noch bei Mozart Unterricht stücke dazu schreiben, ud. die Kindersymphonie allein thut’s genommen hatte.113 Zwischen dem damals dreiundsechzig­ nicht, obwohl ich schon prächtige Materialien dafür gesammelt jährigen ­Attwood und dem zwanzigjährigen Mendelssohn habe, und die darin vorkomende bagpipe, rule Britannia ud. entwickelte sich bald eine enge Freundschaft. Mendelssohn Nationalmelodien sammt andren schon auswendig weiß.“108 besuchte Attwood­ des Öfteren, stöberte mit Begeisterung in Zweieinhalb Jahre später, am Heiligen Abend 1831, saß Men- dessen Notenschrank,­ stellte ihm am Klavier eigene Kompo-

104 Brief vom 25. Dezember 1827 von Fanny Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann, Standort unbekannt, zitiert nach: Hensel 1879 [Anm. 77], Bd. I, S. 180–181. Die ca. 170 Briefe von Felix Mendelssohn Bartholdy und seiner Familie an Carl Klingemann wurden bei J. A. Stargardt, Katalog 560 (28. November 1962), Nr. 1157, versteigert, von einem französischen Händler erworben und im Laufe der folgenden Jahre einzeln oder in kleinen Gruppen weiterverkauft, sodass sie heute in alle Winde zerstreut sind. Dem Herausgeber war allerdings eine Kopie des Bestandes zugänglich, die von einem Vorbesitzer stammte. Alle im Folgenden erwähnten Briefe an Klingemann werden ohne weitere Kennzeichnung nach diesen Kopien zitiert. Zum Schicksal des Klingemann-Nachlasses insgesamt und zum Verhältnis zwischen den beiden Briefpartnern siehe Regina Back, „Freund meiner MusikSeele“. Felix Mendelssohn Bartholdy und Carl Klingemann im brieflichen Dialog, Kassel etc. 2014. 105 Brief vom 27. Dezember 1828 von Fanny Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann, Standort unbekannt, gedruckt in: Hensel 1879 [Anm. 77], Bd. I, S. 199. 106 Hensel 1879 [Anm. 77], Bd. I, S. 199. Von der damals noch erhaltenen Kindersinfonie fehlt mittlerweile ebenfalls jede Spur. Zur generellen Wertung dieses in außerordentlich vielen Auflagen verbreiteten Buches siehe Roland Dieter Schmidt-Hensel, Zwischen Geschichtsschreibung und Ahnenkult. Sebas- tian Hensel und seine Familienbiographie, in: 250 Jahre Familie Mendelssohn [Anm. 64], S. 175–202. Zu den Auflagen und zur Wirkungsgeschichte siehe ferner das Nachwort von Konrad Feilchenfeldt in der Taschenbuch-Ausgabe des Insel-Verlages, Frankfurt am Main und Leipzig 1995, S. 887–897. 107 Brief vom 28. bis 31. Dezember 1829 von der Familie Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann (Briefteil von Lea Mendelssohn Bartholdy vom 30. Dezember), Standort unbekannt, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 1 [Anm. 101], S. 470–479, das Zitat S. 474. 108 Brief vom 11. August 1829 an Fanny Mendelssohn Bartholdy und Wilhelm Hensel, D-B, Depos. Berlin, 3, 1, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 1­ [Anm. 101], S. 372–373, das Zitat S. 373. 109 Brief vom 20. bis 24. Dezember 1831 an Rebecka Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 13, fols. 97–98, gedruckt in: Sämt- liche Briefe, Bd. 2 [Anm. 12], S. 437–441, das Zitat S. 441. 110 Laut Curt Sachs war es „das wesentliche Kinderinstrument des Weihnachtsmarktes“, siehe Curt Sachs, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, ­ 2., durchgesehene Auflage (= Kleine Handbücher der Musikgeschichte nach Gattungen; Bd. XII), Leipzig 1930 (im Folgenden: Sachs, Musikinstrumenten- kunde), S. 117. 111 Brief vom 2. Januar 1847 von Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 51, Green Books XXV-4, ge- druckt in: The Letters of Fanny Hensel to Felix Mendelssohn.Collected, Edited and Translated with Introductory Essays and notes by Marcia J. Citron, [Stuyvesant, N. Y.] 1987, S. 618–619, das Zitat S. 619. Mit „Hr. Ernst“ war der Violinvirtuose Heinrich Wilhelm Ernst (1814–1865) gemeint. 112 „Als die Bescherung vorüber war, spielten wir die Kindersymphonieen, u. der Abend war sehr munter u. angenehm.“, Tagebuch. Angefangen 2ten Juni 1840. | bis Ende April 47, D-B, MA Ms. 162, 2, S. 233–234, gedruckt in: Fanny Hensel. Tagebücher [Anm. 11], S. 271. 113 F. G. E. [Frederick George Edwards], Thomas Attwood (1765–1838), in: The Musical Times 41 (1900), S. 788–794 mit besonderem Schwerpunkt der Beziehungen zu Mendelssohn. Siehe ferner den Nachruf Thomas Attwood, Esq., in: The Gentleman’s Magazine 9 (1838), S. 549–551. XXIV sitionen vor, verschenkte Manuskripte bereits fertiger, aber un- Flöten und Oboen, zwei Bassetthörner, je vier Fagotte, Hörner gedruckter Werke114 und schrieb letztlich eine ganze Reihe von und Trompeten, zwei Serpente, eine Alt-, eine Tenor- und vier Werken für den älteren Kollegen.115 Noch 1837 ließ er auf das Bass-Posaunen. Da noch zwei Schlagzeuger hinzukamen,­ um- Titelblatt der deutschen Erstveröffentlichung seiner Drei Prälu- fasste die Kapelle insgesamt 42 Spieler.124 dien und Fugen für Orgel op. 37 (MWV Sammeldruck 15) Carl Klingemann, der Mendelssohns Stück Ende Mai 1830 setzen: „HERRN THOMAS ATTWOOD | Organisten der endlich an Attwood schicken konnte, prophezeite: „In dem Stü- Königlichen Kapelle | zu London | mit Verehrung und Dank- cke für die band liegt was Tragisches für mich – der Herr dieser barkeit | gewidmet“116. Band125 liegt schwer krank darnieder, – ich fürchte er hört sie u Im November 1829, also gegen Ende seines halbjährigen Eng- Dein Stück nicht mehr!“126 Die düsteren Vorahnungen sollten landaufenthaltes, besuchte Mendelssohn Attwood mehrere Tage sich bewahrheiten. Nach dem Tode des Monarchen am 26. Juni in dessen Anwesen in Norwood, Surrey. Zurückgekehrt nach 1830 wurde die Kapelle aufgelöst. Wohin Mendelssohns Stück London, komponierte er für den Gastgeber und dessen Toch- dabei geriet, ist unbekannt. Falls es sich nicht um ein völlig neu ter Caroline Eliza Attwood ein Stück für Klavier und Harfe, in komponiertes und weiterhin unbekanntes Stück handelt, bie- dem sogar die Türglocke beim Abschied von der Familie imi- ten sich zwei Möglichkeiten der Übereinstimmung zu bekann- tiert wird: The Evening Bell MWV Q 20. Man darf annehmen, ten Werken an. Infrage kommt einerseits der Marsch Es-Dur dass bei diesem Besuch auch von jenem Stück die Rede war, das MWV P 17, der – zusammen mit zwei weiteren Werken – in in den folgenden Monaten immer wieder in Bezug auf Attwood einer englischen Abschrift als March for Harmonie­musik – über- thematisiert wurde. Gegenüber Carl Klingemann kündigte liefert ist.127 Aufgrund der weitaus größeren Besetzung der Mendelssohn erstmals Ende 1829 an, dass er „auch ein Mili- King’s band ist aber wahrscheinlicher, dass Mendelssohn das tairstück für Attwood schicken“117 wolle. Dazu kam es sechs einzige Stück schickte, das er bis dahin für eine reine Bläser­ Wochen später. Im Begleitschreiben hieß es: „Ich schicke Dir besetzung komponiert hatte: die Ouvertüre für Harmoniemu- auch das Militairstück für kings band mit den best compliments sik, deren Notat als Version für elf Bläser (1826) überliefert ist & good wishes für Mr. Attwood […].“118 Noch einmal wird die und dessen größer besetzte Fassung immerhin schon ein Jahr „Militairmusik“ erwähnt, da sich die Sendung auf dem Post- zuvor, am 3. Februar 1829, erklungen war.128 weg verzögert hatte.119 Mit der „kings band“ war die Kapelle des englischen Königs George IV. gemeint,120 zu der Thomas Attwood als Organist und Komponist am königlichen Hof gute Ein Tusch für den Kronprinzen MWV P 10 Kontakte pflegte.121 Sie bestand 1818 aus 34 Musikern122 und genoss schon damals einen ausgezeichneten Ruf.123 Zu einem Im Gegensatz zu den verschollenen Werken, die in den bei- späteren Zeitpunkt, aber noch in den 1820er Jahren, wurde den vorangehenden Abschnitten besprochen wurden, ist zu die Zahl der Spieler sogar noch erhöht: 12 Klarinetten, je drei einer Miniaturkomposition wenigstens ein Teil des Auffüh-

114 So am 18. November 1829 zum Abschied eine Abschrift von „Tu es Petrus“ MWV A 4 und vom Choral „Christe, du Lamm Gottes“ MWV A 5. ­Attwood besaß ferner ein Manuskript von „O Haupt voll Blut und Wunden“ MWV A 8. 115 Nachweise im Mendelssohn-Werkverzeichnis. Es finden sich ein Lied MWV K 45 und zwei Fugen für Orgel zu zwei Spielern MWV V 1. Auf ausdrück- lichen Wunsch entstand 1833 ein Kyrie Eleeson für Chor und Orgel, eine Vorform der Responses to the Commandments MWV B 27. Attwood besaß ferner eine frühe Version der Konzert-Ouvertüre Nr. 4 zum Märchen von der schönen Melusine op. 32 MWV P 12. Nicht alle der genannten Handschriften sind erhalten. 116 Senkrechtstriche deuten auf den Zeilenfall des Originals. In der englischen Ausgabe wurde die Widmung zwar reduziert (Dedicated to Thomas Attwood Esqre. ), doch ist ein autographer Entwurf mit einem längeren Passus erhalten: „dedicated to T. Attwood Esq. &c. as a token of sincere esteem & friend- ship“, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn c. 29, fol. 41r. 117 Brief vom 28. bis 31. Dezember 1829 von Familie Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann [Zusatz von Felix Mendelssohn Bartholdy am Brief­ ende], Standort unbekannt, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 1 [Anm. 101], S. 470–479, das Zitat S. 479. 118 Brief vom 10. Februar 1830 von Felix und Rebecka Mendelssohn Bartholdy an Carl Klingemann, D-B, N. Mus. ep. 3556, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 1 [Anm. 101], S. 485–488, das Zitat S. 487. 119 Brief vom 10. April 1830 an Carl Klingemann, Privatbesitz, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 1 [Anm. 101], S. 508–510, das Zitat S. 509. 120 Adam Carse, The Prince Regent’s Band, in: Music & Letters 27 (1946), Nr. 3 (Juli), S. 147–155. Das Ensemble wurde zunächst Prince of Wales’ Private Band, dann The Prince Regent’s Band, seit Inthronisation 1820 The King’s Household Band genannt. Neben diesem Ensemble gab es noch die kleiner besetzte State Band (King’s Band of Music). Über die Verbindungen zwischen den beiden Kapellen und über ihre Einsätze am Hofe unterrichtet aus- führlich: Michael Joe Budds, Music at the court of Queen Victoria: A study of music in the life of the queen and her participation in the musical life of her time, Ph. D. University of Iowa 1987, 3 Bde. 121 Ihr offizieller Leiter war 1829 (und auch schon die Jahre vorher) der gebürtige Deutsche Christian Kramer. 122 Genaue Aufstellung der Instrumente in: The Quarterly Musical Magazine and Review1 (1818), S. 158. 123 „[…] it is esteemed the finest of Europe“, ebd., S. 158–159. 124 Anon. (Correspondent of the „Brighton Gazette“), The Band of George the Fourth, in: The Musical World 33 (1855), Nr. 39 (29. September), S. 625–626. Der Artikel basiert auf folgendem Zeitungsartikel: Reminiscences of the Band of George the Fourth, in: Brighton Gazette vom 27. September 1855, S. 5. 125 George IV. (1762–1830). 126 Brief vom 30. April 1830 von Carl Klingemann an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 28, Green Books II-13. 127 Siehe hierzu oben S. XVII die Überlegungen am Ende des Abschnittes „Verschiedene Märsche für Düsseldorf“. 128 Siehe oben S. XIII im Abschnitt „Ouvertüre für Harmoniemusik C-Dur op. 24 MWV P 1“. Immerhin sei angemerkt, dass die Anzahl der in Berlin beim Geburtstagsständchen aufspielenden Musiker (42) identisch ist mit der Größe der königlichen Band. Zumindest wäre die King’s band in der Lage gewesen, die Ouvertüre in der großen Besetzung zu spielen, auch wenn sie im Normalfall kein Kontrafagott oder englisches Basshorn zur Verfügung hatte. XXV rungsmaterials überliefert. Es handelt sich um einen vier Takte Tochter Marie Benecke befand. Genau 100 Jahre später wies langen Tusch in Es-Dur MWV P 10, der 1833, ebenfalls zu R. Larry Todd in einem Aufsatz auf den neuen Standort in Ox- ­Mendelssohns Anfangszeit in Düsseldorf, entstand. Unmittel- ford und einige Besonderheiten des Werkes hin.133 baren Anlass dazu bot ein mit gehörigem Pomp verbundener Um die Bedeutung dieses Fragmentes zu veranschaulichen, sind Besuch des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, des einige nähere Ausführungen über Mendelssohns Sinfoniekom- nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV. Musikalischer Hö- positionen erforderlich. Generell ist auffällig, dass Mendelssohn hepunkt der Feierlichkeiten war eine Teilaufführung von Hän- in seinen Briefen bestimmte Werke in Aussicht stellte, über den dels Oratorium Israel in Egypt HWV 54 in deutscher Sprache Anfang oder Fortgang einer Komposition berichtete und letzt- und mit lebenden Bildern. Mendelssohn hat sich im Laufe sei- lich die Arbeit nicht – oder erst Jahre später – zum Abschluss nes Lebens intensiv mit Händels Schaffen und speziell auch mit führte. Eine Formulierung wie die, er habe ein bestimmtes Werk diesem Werk beschäftigt.129 Er hatte das Oratorium erstmals für angefangen oder konzipiert, muss deshalb nicht bedeuten, dass eine Aufführung am 26. Mai 1833 zum 15. Niederrheinischen damit auch bereits ein konkretes Notat verbunden war.134 Musikfest eingerichtet und wählte fünf Monate später einige Im Dezember 1830 schrieb Mendelssohn beispielsweise aus Sätze daraus für die Festveranstaltung der Kunstakademie am Rom: „[…] der Plan der Sinfonie ist bey mir noch sehr in wei- 22. Oktober 1833 aus, über die er einen langen und detailrei- tem Felde ud durch die neue Revolution [in Paris] gerade so chen Bericht an die Familie schrieb.130 In unserem Zusammen- sehr verrückt, daß ich nicht weiß wie ud ob ich je dazu kom- hang ist nur wichtig, dass in jenem Moment, in dem der Kron- men werde […].“135 Ein Jahr später musste Mendelssohn, mitt- prinz den Saal betrat, ein kurzer Tusch geblasen wurde. Die lerweile selbst in Paris, eingestehen: „Die Revolutionssinfonie dazu von Mendelssohn eigenhändig geschriebenen Stimmen ist mir sehr zurückgedrängt, weil mir die Völker ins Handwerk waren nach dem speziellen Anlass nicht mehr zu verwenden gefallen sind, wer weiß ob ich sie jemals wieder vorhole, seit ich und wurden bereits im 19. Jahrhundert zu Sammelobjekten, die Sache in der Nähe gesehen habe, ud täglich kleine Brocken weswegen sie sich heute in Düsseldorf, Leeds, Paris und an un- davon erlebe.“136 bekannten Orten befinden.131 Da nicht alle Stimmen überliefert Zur Gattung Sinfonie fühlte sich Mendelssohn besonders hin- sind, muss der Tusch als Fragment behandelt werden. gezogen, was ihn aber auch vor besondere Herausforderungen stellte. Die Entstehungsgeschichten der vier sogenannten „gro- ßen“137 Sinfonien waren immer wieder durch teils längere Unter- Sinfonische Fragmente und Skizzen brechungen, Revisionen und Neuanfänge gekennzeichnet. Nur zwei Sinfonien, diejenige in c-Moll op. 11 MWV N 13 und die Wenig ist über das Sinfonie-Fragment C-Dur MWV N 19 be- sogenannte „Schottische Sinfonie“ a-Moll op. 56 MWV N 18, kannt, an dem Mendelssohn sporadisch in den Jahren 1842 bis ließ Mendelssohn veröffentlichen, wobei er letztere mit der 1846 arbeitete. Immerhin wurde die Öffentlichkeit relativ früh Ordnungszahl „No. 3“ versah, was die Nachwelt bis heute vor über die Existenz dieses Torsos informiert, da George Grove in die Frage stellt, welche Sinfonie als „No. 2“ anzusehen sei.138 In dem von ihm verfassten Mendelssohn-Artikel seines Musiklexi- keinem Falle war dies der Lobgesang op. 52 MWV A 18, den kons 1880 den Klavierauszug eines fragmentarischen Sinfonie- Mendelssohn 1841 ausdrücklich ohne Nummerierung als Eine satzes mitteilte,132 der sich damals im Besitz von Mendelssohns Symphonie-Cantate veröffentlichen ließ.139 Die heute noch gele-

129 Ralf Wehner, Mendelssohn and the Performance of Handel’s Vocal Works, in: Mendelssohn in Performance, ed. by Siegwart Reichwald, Bloomington, Indiana 2008, S. 147–170, sowie Annette Landgraf, Händels ‚Israel in Egypt‘. Rezeptionsgeschichte von 1739 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, Beeskow 2016 (= Studien der Stiftung Händel-Haus; 4), besonders S. 127–144. 130 Brief vom 26. und 28. Oktober 1833 an die Familie, Nachweis siehe Anm. 43. 131 Einzelnachweise zu Standorten und Provenienzen siehe Kritischer Bericht. 132 A Dictionary of Music and Musicians (A. D. 1450–1880), ed. by George Grove, Vol. II, London 1880, S. 305–307. Das Klavierarrangement stammte von Franklin Taylor. 133 R. Larry Todd, An Unfinished Symphony by Mendelssohn, in: Music & Letters 61 (1980) (im Folgenden: Todd, Unfinished Symphony), S. 293–309. 134 Als deutlichstes Beispiel gilt die laut einer Äußerung Mendelssohns im Entwurf fertige Musik zu König Oedipus MWV M 15, von der keine Note nach- weisbar ist. 135 Brief vom 10. und 11. Dezember 1830 an die Familie (Briefteil vom 11. Dezember), GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 13, fols. 27–30, gedruckt in: Peter Sutermeister, Felix Mendelssohn Bartholdy. Briefe einer Reise durch Deutschland, Italien und die Schweiz und Lebensbild, Zürich 1958, S. 81–92, das Zitat S. 89. 136 Brief vom 7. Januar 1832 an die Familie, US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 143, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 2 [Anm. 12], S. 450–454, das Zitat S. 452. 137 Dies im Unterschied zu den zwölf „Jugendsinfonien“ MWV N 1 bis N 12, die zwischen 1821 und 1823 entstanden waren. 138 Nach Thomas Schmidt war für Mendelssohn seine Sinfonie A-Dur MWV N 16, die sogenannte „Italienische“, stets seine zweite große Sinfonie. Eine Abschrift des Werkes für die Philharmonic Society (1848) trägt sogar die No 2 auf dem Titelblatt, siehe Beschreibung der Partitur in Serie I, Band 6 (2010) dieser Ausgabe, S. 120. 139 Wolfram Steinbeck, Die Idee der Vokalsymphonie. Zu Mendelssohns „Lobgesang“, in: Archiv für Musikwissenschaft 53 (1996), S. 222–233; Christian Martin Schmidt, Lobgesang – oder: Große Musik für Leipzig, in: Dem Stolz und der Zierde unserer Stadt. Felix Mendelssohn Bartholdy und Leipzig, hrsg. von Wil- helm Seidel, Leipzig 2004 (= Leipzig. Musik und Stadt. Studien und Dokumente; Bd. 1), S. 163–172. Der Begriff „Sinfonie-Cantate“ erscheint noch einmal 1842, dort bezogen auf Die erste Walpurgisnacht op. 60 MWV D 3 und das Vorhaben, sie „endlich zu einer Sinfonie-Cantate [zu] machen“, Brief vom 28. November 1842 an Lea Mendelssohn Bartholdy, US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 528, gedruckt in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Bd. 9, hrsg. und kommentiert von Stefan Münnich, Lucian Schiwietz und Uta Wald unter Mitarbeit von Ingrid Jach, Kassel etc. 2015 (im Folgenden: Sämtliche Briefe, Bd. 9), S. 105–108, das Zitat S. 106. XXVI gentlich auftretende Zählung als Sinfonie Nr. 2 entstand Mitte fange.“147 Doch im April 1845 erfuhr Ignaz Moscheles von den des 19. Jahrhunderts aus verkaufspolitischen Gründen der Ver- Schwierigkeiten, die Mendelssohn hatte, Stücke für London be- leger, die Mendelssohns Sinfonien in eine bestimmte Ordnung reitzustellen: „Aber trotz alles Kopfbrechens habe ich kein Stück bringen wollten, der „Italienischen“ Sinfonie die Nr. 4 zuge- herausgefunden, das sich für solche Concerte eignete ud. das in dachten und das Sakralwerk Lobgesang – als Nr. 2 – in die Reihe England noch nicht gehört wäre. Ja wenn ich meine Sympho- der Sinfonien aufnahmen. nie, an der ich jetzt schreibe, bis dahin mit Gewißheit fertig Parallel zum Lobgesang lief die Arbeit an der „Schottischen hätte, mit welcher Freude würde ich da zugegriffen haben; aber Sinfonie“, deren Partitur am 20. Januar 1842 zunächst abge- im Gegentheil weiß ich ziemlich gewiß, daß der Herbst darü- schlossen und nach entsprechender Revision im Frühjahr 1843 ber herankommen wird ehe das Stück aufführbar ist, weil ich in der Orchesterfassung gedruckt wurde.140 Schon im Spätsom- an mehreren Sachen zugleich arbeite ud. eben keine davon der mer 1842 machte sich Mendelssohn Gedanken um ein weite- Beendigung nahe ist.“148 res Werk sinfonischer Prägung, schenkt man einem Brief von Die gegenüber den vagen Formulierungen der Vorjahre wohl September 1842 Glauben: „[…] aber eine Symphonie hab’ ich doch intensivere Arbeitsphase 1845 lässt sich auch durch den jetzt vollendet, die wohl ein rechter Fortschritt ist, hoffe ich, Quellenbefund zu der fragmentarischen C-Dur-Sinfonie bestä- ud. hab eine zweite im Kopfe, die auch im Laufe des Winters tigen. Denn vom ersten Satz gibt es eine vollständig ausgearbei- gespielt werden soll, wenn’s nach Wunsche geht.“141 Noch Ende tete Partitur, die auf der neunten Seite nach 78 Takten abbricht. November bestand sein Plan, „die c dur Symphonie ebenfalls Zusätzlich sind elf Seiten mit nur partiell ausgeführten Parti- aufschreiben“142 zu wollen, doch dann wurde es ruhig um das turentwürfen überliefert, bei denen teilweise nur einzelne, den Projekt. Dienstverpflichtungen und andere Arbeiten, insbeson- musikalischen Verlauf andeutende Stimmen notiert sind, sowie dere an den Schauspielmusiken für den preußischen König, aber eine Fülle von weiteren Skizzen, die nicht nur den ersten Satz auch die Vollendung der dramatischen Kantate Die erste Wal- betreffen.149 Die an der Klassik orientierte Orchesterbesetzung purgisnacht op. 60 MWV D 3 drängten in den Vordergrund. mit doppelten Holzblasinstrumenten, je zwei Hörnern und Falls etwas bereits notiert war, blieb es liegen. Diesbezügliche Trompeten sowie Pauken und Streichinstrumenten entspricht Erwähnungen in den folgenden Jahren wirken eher halbherzig, genau derjenigen der Sinfonie Nr. 1 sowie der „Italienischen“ so 1843: „[…] auch eine Symphonie marschirt wieder langsam Sinfonie.150 herbei“143; oder 1844: „[…] wo möglich auch eine angefangene Als Indiz, dass das Fragment 1845 schon vorgelegen haben Symphonie dazu fertig zu machen“144 sowie das Eingeständnis: muss, können Skizzen zu einem anderen Werk gewertet wer- „die Symphonie wächs’t nur langsam“145. Im ersten Halbjahr den, die auf nicht benötigten Notensystemen notiert wurden. 1845 aber kam Mendelssohn seinem Sinfonievorhaben wieder Es handelt sich dabei um den am 30. Oktober 1845 kompo- näher. Gleich mehrere Briefe an nahe Verwandte und Freunde nierten Chor Die Frauen und die Sänger MWV F 32, der zum berichten, dass eine Sinfonie angefangen sei.146 Ein Brief nennt Leipziger Schillerfest am 11. November 1845 als Vokalquartett sogar die Motivation: „In Paris haben sie die Concerte des unter dem Titel Die vier Weltalter uraufgeführt wurde.151 Conservatoire d. J. mit meiner amoll Symph. eröffnet ud. das Im April 1846 fand die C-Dur-Sinfonie zum letzten Mal Er- Scherzo da Capo gespielt, das hat mir Lust gemacht bis zum wähnung, allerdings in einer Weise, die Zweifel darüber auf- nächsten Winter mit einer neuen zu kommen, die ich jetzt an- kommen lässt, ob noch konkret daran gearbeitet wurde. Als

140 Ausführlich in Serie I, Band 5 (2005) dieser Ausgabe. 141 Brief vom 10. und 11. September 1842 an Alfred Julius Becher, Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf, 51.4898, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 9 [Anm. 139], S. 36–39, das Zitat S. 36. 142 Brief vom 28. November 1842 an Lea Mendelssohn Bartholdy, siehe Anm. 139. 143 Brief vom 10. August 1843 an Rebecka Dirichlet, Standort unbekannt, zitiert nach: Hensel 1879 [Anm. 77], Bd. III, S. 20. 144 Brief vom 3. März 1844 an Franz Hauser, Standort unbekannt, Abschrift in D-B, MA Nachl. 7, 30.1, S. 113–114, gedruckt in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Bd. 10, hrsg. und kommentiert von Uta Wald, Kassel etc. 2016 (im Folgenden: Sämtliche Briefe, Bd. 10), S. 89–91, das Zitat S. 90. Es steht im Zusammenhang mit Ideen, was Mendelssohn der Philharmonic Society in London anbieten solle. 145 Brief vom 15. August 1844 an Fanny Hensel, D-B, MA Ep. 105, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 10 [Anm. 144], S. 235–239, das Zitat S. 236. Es findet sich im Rahmen einer Aufstellung, an welchen Werken Mendelssohn in Soden arbeitete. 146 Brief vom 25. Januar und 15. Februar 1845 an Franz Hauser (Briefteil vom 15. Februar), Standort unbekannt, Abschrift in D-B, MA Nachl. 7.30.1, S. 116–119, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 10 [Anm. 144], S. 387–389, das Zitat S. 389; am selben Tag an Carl Klingemann, dass das Stück „noch im weiten Felde“ sei, D-B, 55 Ep. 1076, gedruckt in: ebd., S. 389–391, das Zitat S. 391; am 27. Februar 1845 an die beiden Schwestern, Standort unbekannt, gedruckt in: Hensel 1879 [Anm. 77], Bd. 3, S. 221. 147 Brief vom 27. Februar 1845 an Paul Mendelssohn-Bartholdy, US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 677 und Nr. 678, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 10 [Anm. 144], S. 404–406, das Zitat S. 406. 148 Brief vom 12. April 1845 an Ignaz Moscheles, University of Leeds, Leeds University Library, Brotherton Collection, ohne Signatur (Album Mendelssohn’s Letters to Moscheles 1826–1847), fol. 54, gedruckt in: Briefe von Felix Mendelssohn Bartholdy an Ignaz und Charlotte Moscheles, hrsg. von Felix Moscheles, Leipzig 1888, S. 243–244, das Zitat S. 243. 149 Ausführlich beschrieben im Kapitel „Skizzen und verworfene Passagen“ am Ende des vorliegenden Bandes. 150 In der „Schottischen“ Sinfonie waren vier statt zwei Hörner verwendet worden, die „Reformations-Sinfonie“ schrieb über die Besetzung der Sinfonie Nr. 1 hinaus Kontrafagott, Serpent und drei Posaunen vor. 151 Auf diesen chronologischen Zusammenhang hat erstmals R. Larry Todd 1980 hingewiesen, siehe Todd, Unfinished Symphony[Anm. 133], mit Faksimile der Vokal-Skizzen auf S. 295. XXVII

Antwort auf eine Frage Klingemanns, die sich auf Mendels- Kompositionen verstärken zu müssen.156 Traditionell wurden sohns Vorliebe von Dur-Abschlüssen bei Stücken in Mollton- bei den Harmoniemusiken jener Zeit die Holzblasinstrumente, arten bezog,152 erklärte der Komponist: „Sehr Recht hast Du insbesondere Flöten und Klarinetten, chorisch besetzt, was in Deiner Bemerkung über die 3 dur Schlüsse an den 3 großen zu einer starken Dominanz der hohen Register führte. Dazu Mollstücken. Deshalb soll auch die nächste Symphonie gewiß konnten Fagott und Bassposaune alleine kein Gegengewicht in C dur gehen von Anfang bis zu Ende. Und es soll wahrhaf- bilden. Insbesondere bei Freiluftmusiken mit einem größeren tig kein Choral darin vorkommen. Darüber habe ich eigentlich Klang­apparat, wie er sich auf dem Gebiet der Militärmusik eine Menge curioser Gedanken, die ich Dir aber mündlich er- her­auskristallisierte, stellte sich die Disproportion zwischen do- zählen will.“153 minantem Diskant und weniger stark durchdringenden Bass- In den vorliegenden Band wurden ferner zwei schriftlich fixierte instrumenten als Herausforderung dar, auf die Komponisten, Ideen für eine Sinfonie-Komposition aufgenommen. Diese Instrumentenbauer und Interpreten in unterschiedlicher Weise skizzenhaften Notate entstammen jenen kleinformatigen No- reagierten. So ist es kein Zufall, dass in der Zeit um 1800 und tizbüchern, die Mendelssohn auf Reisen mitzunehmen pflegte in den Jahrzehnten danach mehrere Blasinstrumente entwickelt und von denen zehn erhalten sind.154 In ihnen finden sich und eingesetzt wurden, die diesem offensichtlichen Defizit Zeichnungen, allgemeine Notizen, kalendarische Eintragungen Abhilfe schaffen sollten. In Mendelssohns Œuvre kommen in bestimmter Ereignisse und gelegentlich auch musikalische No- unterschiedlicher Kombination insgesamt fünf Instrumente zur tate, die sich in der Regel als Gedankenstützen für gehörte oder Verstärkung der tiefen Register zum Einsatz: das Kontrafagott, geplante Kompositionen erweisen. Zwei von diesen sind durch der Serpent, der Corno inglese di basso, die Ophikleide und ihre Titelgebung für unseren Zusammenhang relevant. Die – lediglich in einem Fall – die Tuba. Allgemein gilt das letzt- Themenskizzen einer Sinfonie in a-Moll [1836] umfassen die genannte, erst 1835 vom preußischen Militärmusiker Wilhelm Notenincipits zu drei Sätzen. Bemerkenswert ist, dass die zwei Wieprecht in Zusammenarbeit mit dem Berliner Hofinstru- notierten Anfangsakkorde des dritten Satzes genau jenen Ak- mentenbauer Carl Wilhelm Moritz entwickelte Instrument als korden entsprechen, mit denen der etwa zeitgleich entstandene die Lösung des Bassproblems. Trauermarsch a-Moll für Norbert Burgmüller eröffnet wird, Eine Übersicht über die in Rede stehenden Werke gibt die fol- wodurch Perspektiven auf eine mögliche Weiter- oder Wieder- gende Tabelle: verwendung des musikalischen Materials eröffnet werden. Das zweite Skizzen-Notat entstand elf Jahre später. Mitte Sep- Instrumente Zeitraum MWV tember 1847, also nur wenige Wochen vor seinem Tod, befand sich Mendelssohn auf der Rückreise aus der Schweiz nach Leip- Contrafagotto 1828–1836 A 14, N 15, P 5, P 14, P 19 zig und machte Zwischenstation in Fulda. Hier notierte er etwa Corno inglese 1826–1836 M 13, P 1, P 3 (autographe Quellen), dreißig Takte einer Sinfonie in h-Moll. Dem Charakter der Auf- di basso P 14, P 17, P 18, P 19, Instrumentation Händel Acis und Galathea zeichnungen entsprechend fixierte er genau den Zeitpunkt, zu Serpentone 1828–1836 A 14, N 15, P 5, Instrumentation dem ihm die Themen einfielen: „den 18. Sept. früh Morgens ­Händel Zadok the Priest um 5 Uhr, die Courierpost erwartend.“155 Das Fragment der Ophikleide überwiegend A 25, D 4, D 5, D 6, M 13, M 16, P 3 C-Dur-Sinfonie und auch die letztgenannten Skizzen machen 1840er Jahre (Druckfassung) deutlich, dass Mendelssohn bei Veröffentlichung der „Schot- Tuba 1846 D 6 tischen“ Sinfonie keinesfalls mit seinem sinfonischen Schaffen abgeschlossen hatte. Das aus heutiger Sicht wohl am exotischsten anmutende, zu- gleich am häufigsten verwendete Instrument war das sogenannte Instrumentarium und aufführungspraktische Umsetzung „englische Basshorn“, das Mendelssohn von Mitte der 1820er Jahre an gut zehn Jahre lang in seine Partituren aufnahm. Dieses Die in diesem Band vorgelegten Orchesterwerke verlangen in englische Basshorn, das keinesfalls in einen inhaltlichen Zusam- einigen Fällen ein Instrumentarium, das von dem sonst bei menhang mit einem Englisch-Horn zu bringen ist, gehört zur Mendelssohn gebräuchlichen abweicht und eine nähere Be- Familie der Blechblasinstrumente. Zu Vorgeschichte und Aus- trachtung erfordert. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts sehen formulierte der Instrumentenkundler Curt Sachs: „Ein standen Komponisten und Musiker vor dem durch die Erwei- vervollkommnetes Serpent zweigte schon vor dem Ausgang des terung der Orchester verschärften Problem, die Bassregion der 18. Jahrhunderts ab. Regibo, ein italienischer Orchestermusi-

152 Brief vom 31. März 1846 von Carl Klingemann an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn c. 97, fols. 7–8. Konkret ging es um die beiden Klaviertrios op. 49 und 66 (MWV Q 29 und Q 33) sowie die „Schottische“ Sinfonie. 153 Brief vom 15. April 1846 an Carl Klingemann, Standort unbekannt, gedruckt in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Bd. 11, hrsg. und kom- mentiert von Susanne Tomkovič, Christoph Koop und Janina Müller unter Mitarbeit von Uta Wald, Kassel etc. 2016, S. 265–267, das Zitat S. 267. 154 GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn g. 1–10, Näheres zu diesem Quellenbestand siehe Mendelssohn-Werkverzeichnis unter MWV Z 4. 155 GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn g. 10, fol. 25v. 156 Zu diesem in der Blasmusik-Literatur als „Bass-Problem“ bekannten Themenschwerpunkt siehe insbesondere Höfele, Materialien und Studien [Anm. 25], S. 40–46; Hofer, Geschichte des Militärmarsches [Anm. 24], Bd. II, S. 536–538, und den Abschnitt „Die Lösung des Bassproblems“ in: Werner ­Bodendorff, Historie der geblasenen Musik, Buchloe 2002, S. 258–260. XXVIII ker in Lille, hatte ihm gegen 1789 die Form der Schlange ge- „Contrafagotto und Basshorn“ auswies und in einem gemein- nommen und die des Fagotts gegeben. Aus diesem Ophibaryton samen System notierte. Inwieweit bei der Stimmenausgabe der oder sog. Russischen Fagott ging um 1800 das Baßhorn hervor, wahlweise Einsatz der 1817 in Paris konstruierten Ophikleide163 ein Instrument aus Metall oder Holz mit langem S-Rohr, wei- auf Mendelssohn zurückgeht oder ob es ein pragmatisch-verle- ter, oft tierkopfförmiger Stürze und anfänglich zwei Klappen gerischer Zusatz war, kann nicht mehr entschieden werden. […]. Da der Erfinder Al. Frichot, obwohl Franzose, in Lon- In immerhin sechs Werken der 1840er Jahre setzte Mendelssohn­ don lebte und der erste Hersteller, J. Astor, ein Engländer war, die Ophikleide von vornherein ein. Dabei ist auffällig, dass wurde das neue Tonwerkzeug auf dem Festland – nach 1815 dies durchweg in groß besetzten vokal-instrumentalen Wer- – als Englisches Baßhorn bekannt. Trotz großer Unvollkommen- ken geschah: in zwei Schauspielmusiken (zum Sommernachts- heiten, trotz Rauhheit und Unreinheit, hielt es sich in den Mi- traum op. 61 MWV M 13 sowie zu Athalia MWV M 16), litärkapellen neben den fortgeschrittenen Verwandten bis in die dem Oratorium Elias op. 70 MWV A 25 sowie drei welt­ 1830er Jahre.“157 lichen Werken für Männerchor und Blech-Blasorchester, wo- Mendelssohn hatte das Instrument erstmals 1824 in der Kur- bei zwei von diesen, der MWV D 4 (die sogenannte kapelle von Doberan erlebt158 und seiner Familie nach Berlin „­Gutenberg-Kantate“ von 1840) und das Stück Bei Enthüllung in unnachahmlicher Weise berichtet: „Das ist ein großes Instru- der Statue Friedrich­ Augusts von Sachsen MWV D 5, für Frei- ment von Blech, hat einen schönen, tiefen Ton, und sieht so aus lichtaufführungen konzipiert waren. Bei letztgenanntem Werk wie eine Gießkanne, oder eine Spritze.“159 Die Begeisterung für wurden zur Uraufführung am 7. Juni 1843 in Dresden sogar dieses Instrument schlug sich in einer ganzen Reihe von Kompo- sechs Ophikleiden chorisch eingesetzt, um sich gegen die je sitionen nieder, von denen immerhin fünf im vorliegenden Band 12 Hörner, Trompeten und Posaunen klanglich durchsetzen enthalten sind. In Mendelssohns Schaffen erfüllte das Basshorn zu können. Das letzte Werk dieser Reihe, der Festgesang an die zweierlei Funktionen: Es diente der Verstärkung des Bassfunda- Künstler op. 68 MWV D 6, eröffnete 1846 insofern eine neue mentes und brachte einen neuen Klang in das Orchester. Folg- Perspektive, als es die einzige Komposition bleiben sollte, bei lich ist das Instrument in Werken zu finden, die das Repertoire der eine Tuba vorgeschrieben war (in Kombination mit Ophi­ von Blaskapellen bedienten (in erster Linien also in Märschen), kleide). Mendelssohn zog dieses damals erst rund zehn Jahre oder es wurde dafür eingesetzt, besondere Stimmungen zu er- existierende und damit absolut neue Instrument hinzu, um ein zeugen160 oder Charaktere zu kennzeichnen. In Mendelssohns klangliches Gegengewicht zu der beim ersten deutsch-flämi- Bearbeitung von Georg Friedrich Händels Acis und Galatea schen Sängerfest in Köln erwarteten Masse von über eintau- HWV 49 etwa begleitet das Instrument das Auftreten des Un- send Sängern zu schaffen.164 geheuers Polyphem. In späteren Jahren ersetzte Mendelssohn – Corno inglese di basso und Ophikleide waren gewissermaßen einhergehend mit den instrumentenbaulichen Neuerungen der instrumentenbauliche Antworten auf ein Instrument, das be- Zeit – das Basshorn durch die Ophikleide. Das prägnanteste reits seit der Renaissance-Zeit existierte und seinen Namen Beispiel für den Übergang bildet die Sommernachtstraum-­ der auffälligen schlangenförmigen Schallröhre verdankte: den Ouvertüre, die in allen handschriftlichen Quellen das, wie Serpent. Er war das Bassinstrument der Zinkenfamilie und ­Mendelssohn notierte, Corno Inglese di basso vorschreibt, wäh- wurde mit einem Kesselmundstück angeblasen, wobei Intona- rend in den vom Komponisten betreuten Druckausgaben dieses tionsreinheit offenbar nur von erfahrenen Serpentisten realisiert Werkes (1832/1835) dann die Ophikleide an dieselbe Position werden konnte.165 Der Ton mischte sich zudem nach dem Emp- gesetzt wurde.161 Bei der Drucklegung der Ouvertüre für Har- finden des 19. Jahrhunderts schlecht mit dem anderer Orches- moniemusik op. 24 wurde das betreffende Stimmheft 1838 mit terinstrumente, weswegen der Serpent auch von Mendelssohn „Englisches Basshorn oder Ophicleïde“ bezeichnet,162 wogegen meist in Kombination mit Instrumenten ähnlichen Stimm­ die postum erschienene Partitur von 1852 die Stimme wieder als umfangs verwendet wurde, die einerseits den charakteristischen

157 Sachs, Musikinstrumentenkunde [Anm. 110], S. 264. 158 Näheres siehe Einleitung zu Serie I, Band 10A dieser Ausgabe. 159 Brief vom 21. Juli 1824 an Fanny Mendelssohn Bartholdy, US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 14, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Bd. 1 [Anm. 101], S. 129–130, das Zitat S. 130. Das Instrument zeichnete Mendelssohn im Brief vom 24. Juli 1824 an die Familie, verbunden mit den Worten „So sieht ein Englisches Baßhorn aus.“, US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 15, Abbildung ebd., S. 132. 160 So in der Konzert-Ouvertüre Nr. 1 zu Shakespeares Sommernachtstraum E-Dur op. 21 MWV P 3. 161 Siehe Christian Martin Schmidt in der Einleitung zu Serie V, Band 8 (2000) dieser Ausgabe, S. XX: „In den Drucken wurde also auf die Tatsache re- agiert, daß der Corno Inglese di basso ein ungewöhnliches Instrument war, das sich nicht durchsetzen konnte und kaum in einem normalen Orchester zur Verfügung stand.“ 162 Dazu gab es eine gesonderte Stimme „Contra=Fagotto“. 163 Erfinder war der Franzose Jean Hilaire Asté (gen. Halary), der seine Entwicklung 1821 patentieren ließ. Das Instrument war also relativ neu, verbreitete sich aber schnell in den Kapellen der Zeit. 164 Siehe Armin Koch, Felix Mendelssohn Bartholdys Festgesang an die Künstler op. 68, in: Schiller und die Musik, hrsg. von Helen Geyer und Wolfgang ­Osthoff, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 247–266. 165 Zu Gebrauch und Vorläufern siehe Thomas Gebhardt,„Es gibt Schlimmeres als Serpente.“ Ein nahezu vergessenes Instrument in Mendelssohns Orchester, in: Blickpunkt FELIX Mendelssohn Bartholdy. Programmbuch Drei Tage für Felix vom 30.10. bis 1.11.1994, hrsg. von Bernd Heyder und Christoph Spering, Köln 1994, S. 89–96. XXIX

Klang des Serpents milderten, andererseits die Lautstärke des Saxhörner, Wagnertuben etc.) zu neuen Klangmöglichkeiten, Bassapparates vergrößern halfen und damit das harmonische die etwa ein Corno inglese di basso in einem normalen Or- Fundament bekräftigten. chester entbehrlich machten. Mendelssohns Werke stehen also Erstmals setzte Mendelssohn das Instrument um 1828 in der in einer Übergangszeit, die noch den Serpent einsetzte, bereits Konzert-Ouvertüre Nr. 3 Meeresstille und glückliche Fahrt op. 27 mit Basshorn und Ophikleide nach Alternativen suchte und MWV P 5 sowie in der sogenannten „Reformations-Sinfonie“ schließlich neue Instrumente mit klanglich stärkerem, vorher MWV N 15 ein, speziell im Schluss-Satz mit dem Choral „Ein nie dagewesenem Durchsetzungsvermögen entwickelte. Nur feste Burg“ (1830). In beiden Fällen erfolgte eine Kombination wenige Jahrzehnte vergingen, bis die alten Instrumente aus mit dem Kontrafagott. Beide Instrumente spielten dieselben dem praktischen Gebrauch der Musiker verschwunden waren Töne, wobei das Kontrafagott real eine Oktave tiefer klang als und durch neue, flexibler einsetzbare Nachfolger ersetzt wur- in der Partitur notiert. Das Kontrafagott seinerseits wurde in den. Eine solche Entwicklung ist nicht in wenigen Jahren um- zwei Werken – dem in diesem Band vorgelegten Trauermarsch zukehren, und so stehen heutige Interpreten bei Mendelssohns für Norbert Burgmüller MWV P 14 und dem Prozessions- Werken bisweilen vor ähnlichen Schwierigkeiten wie jenen, mit marsch MWV P 19 – auch mit dem englischen Basshorn ge- denen sich Mendelssohn 1829 seinerseits bei der Wiederauffüh- koppelt. rung der Bachschen Matthäus-Passion konfrontiert sah: Einige Größere Eigenständigkeit und sicher Höhepunkt des Einsatzes der vorgeschriebenen Instrumente waren schlichtweg außer bei Mendelssohn erlangte der Serpent im Oratorium ­Paulus Gebrauch gekommen und standen den Musikern in corpore MWV A 14, wo er prägnant in der Ouvertüre und in zwei nicht zur Verfügung. Das hatte unter anderem zur Folge, dass großen Chören, dem Schlusschor des ersten Teils (Nr. 22 „O Mendelssohn 1829 Oboi da caccia und Oboi d’amore durch welch eine Tiefe“) sowie zur Eröffnung des 2. Teils (Nr. 23 „Der Klarinetten bzw. Bassetthörner169 ersetzte.170 Erdkreis ist nun des Herrn“) erklingt, während im Schlusschor Fast zweihundert Jahre später ergibt sich ein vergleichbares, sowie in dem prächtigen Chor Nr. 15 „Mache dich auf, werde wenn auch geteiltes Bild bezüglich des Instrumentariums der Licht“ das Kontrafagott unterstützend den größten Teil des Ser- Mendelssohn-Zeit. Zwar haben sich erfreulicherweise in den pentparts mitspielt. Bei der Uraufführung des Paulus 1836 stan- letzten Jahren zunehmend Spezialensembles gebildet, die mit den übrigens dem einfach besetzten Serpent insgesamt 35 Bläser Nachbauten historischer Instrumente dem Originalklang der gegenüber.166 Ein letztes Mal kam das altertümliche Instrument Kompositionen des frühen 19. Jahrhunderts auf die Spur zu zum Einsatz, als Mendelssohn Händels Anthem Zadok the Priest kommen trachten. Weit größer ist jedoch nach wie vor die HWV 258 für eine Aufführung im Leipziger Gewandhaus am Zahl derjenigen Ensembles mit modernem Instrumentarium, 1. Januar 1836 einrichtete und dabei in Ermangelung einer Or- denen Instrumente wie Serpent und Ophikleide nicht zur Ver- gel die Stimmen mehrerer Blasinstrumente – darunter diejenige fügung stehen, geschweige denn englische Basshörner, und des Serpents – in einer zusätzlichen Partitur ausnotierte.167 Die denen demzufolge besagte Werke in ihrer Originalfassung Bearbeitung erwies sich in den folgenden Jahren als so erfolg- verschlossen bleiben. Andererseits besteht das wachsende Be- reich, dass eine kleine Tradition entstand, dieses Händelwerk dürfnis, das eingeengte Repertoire anspruchsvoller Blas- und am Anfang eines jeden Jahres im Gewandhaus aufzuführen.168 Bläsermusik zu erweitern. Das hat in der Vergangenheit dazu Serpent, englisches Basshorn und Ophikleide – zu ­Mendelssohns geführt, dass insbesondere Mendelssohns Ouvertüre für Har- Zeit insbesondere in Militärmusikkapellen noch weit verbrei- moniemusik, die als Schlüsselwerk sinfonischer Blasmusik gilt, tet – wurden schließlich im Laufe des 19. Jahrhunderts durch in Bearbeitungen für unterschiedliche Bläserbesetzungen, bis- die voranschreitende Entwicklung des Instrumentenbaues und weilen sogar in Transpositionen von C-Dur nach B-Dur pub- der Kompositions­techniken zu obsolet gewordenen Relikten liziert wurde.171 ­einer vergangenen Zeit. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts Die vorliegende Ausgabe richtet sich bei der Präsentation des fand mit dem Siegeszug der Tuba und der Entwicklung wei- Notentextes zunächst nach den originalen Vorgaben des Kom- terer Blechblasinstrumente (Cornon [Corno torto], Helikon, ponisten, verzichtet also beispielsweise auf die Transposition

166 Thomas Gebhardt, ebd., S. 95. 167 GB-Ob, Deneke 27(3). 168 Nähere Hinweise zur Bearbeitung siehe Mendelssohn-Werkverzeichnis (MWV), S. 506–507. 169 Mendelssohn besetzte darüber hinaus den Corno di bassetto in vier seiner eigenen Kompositionen. Neben der hier vorgelegten Ouvertüre für Har- moniemusik MWV P 1 und dem Trauermarsch MWV P 14 sind dies zwei kammermusikalische Werke, die mit Mendelssohns Bekanntschaft zu den Klarinetten- und Bassetthornvirtuosen Heinrich und Carl Baermann zusammenhängen: die zwei Konzertstücke für Klarinette, Bassetthorn und Klavier in f-Moll MWV Q 23 (1832) und d-Moll MWV Q 24 (1833). 170 Die Untersuchung der Bearbeitung von Bachs Matthäus-Passion hat sich seit den 1990er Jahren fast schon zu einem eigenständigen Forschungszweig entwickelt, siehe u. a. Sachiko Kimura, Mendelssohns Wiederaufführung der Matthäus-Passion (BWV 244). Eine Untersuchung der Quellen unter auffüh- rungspraktischem Aspekt, in: Bach-Jahrbuch 84 (1998), S. 93–120; Christian Ahrens, Bearbeitung oder Einrichtung? Felix Mendelssohn Bartholdys Fassung der Bachschen Matthäus-Passion und deren Aufführung­ in Berlin 1829, in: Bach-Jahrbuch 87 (2001), S. 71-97; Andreas Glöckner, Zelter und Mendels- sohn – Zur „Wiederentdeckung“ der Matthäus-Passion im Jahre 1829, in: Bach-Jahrbuch 90 (2004), S. 133–155; Peter Ward Jones, Die Continuo- und Orgelstimmen zur Leipziger Aufführung der Matthäus-Passion im Jahre 1841, in: „Zu groß, zu unerreichbar“. Bach-Rezeption im Zeitalter Mendelssohns und Schumanns, hrsg. von Anselm Hartinger, Peter Wollny und Christoph Wolff, Wiesbaden/Leipzig/Paris 2007, S. 315–328; ders.,Mendelssohn’s Perfor- mances of the ‚Matthäus-Passion‘: Considerations of the Documentary Evidence, in: Music & Letters 97 (2016), Nr. 3, S. 409–464. 171 Siehe Anm. 30. XXX einzelner Stimmen, etwa der Klarinetten, zugunsten heute bei einer Aufführung stets der originalen Besetzung der Vorrang gebräuchlicher Instrumente. Allerdings seien im Folgenden gegeben werden mag, um Mendelssohns Klangideal auch in der einige aufführungspraktische Hinweise für jene Musiker gege- heutigen Zeit angemessen präsentieren zu können. ben, denen nicht alle Instrumente zur Verfügung stehen, die sich jedoch dem Klang des Originals verpflichtet fühlen und *** das Werk adäquat aufführen wollen. Die Ausführungen orien- tieren sich an praktischen Ratschlägen, die der Dirigent Jochen Dem Herausgeber wurde bei der Vorbereitung dieses Bandes Wehner nach mehrfachen Aufführungen dieser Werke 2009 in von mehreren Seiten Unterstützung zuteil. So gilt der Dank einer Publikation vorgelegt hat.172 Demnach bietet es sich an, zunächst denjenigen Bibliotheken, die die Einsicht und Aus- die beiden Stimmen der Klarinetten in F (hoch) zwei Klarinet- wertung ihrer Bestände erlaubten und Reproduktionen ausge- ten in Es zuzuweisen sowie die geforderten Klarinetten in C wählter Seiten gestatteten: Staatsbibliothek zu Berlin – Preu- den weit verbreiteten B-Klarinetten zu übertragen.173 Die im ßischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv; Klang dunkleren und zarteren Bassetthörner, deren prominen- University of Leeds, Leeds University Library, Special Collec- teste Partien u. a. in Mozarts Requiem und in seiner Zauber- tions; Leipziger Städtische Bibliotheken, Musikbibliothek; flöte zu hören sind, können durch zwei Altklarinetten in Es (die Bodleian Library, University of Oxford. Des weiteren konnten zweite eventuell auch Bassklarinette) besetzt werden. Besondere Handschriften und andere Materialien von Institutionen aus Aufmerksamkeit verdienen die Blechblasinstrumente. Zunächst Düsseldorf (Stadtarchiv, Heinrich-Heine-Institut) und Leipzig wären die Stimmen der Hörner in C für Hörner in F auszu- (Mendelssohn-Haus, Stadtgeschichtliches Museum, Univer­ schreiben. Dies betrifft auch die Trompeten in C, die bei Be- sitätsbibliothek) ausgewertet werden. Besonderer Dank gilt darf praktischerweise durch Trompeten in B zu ersetzen wären. dem Projektleiter ­Christian Martin Schmidt, meinen Kollegen Die Stimmen des Corno inglese di basso und der Ophikleide, Birgit Müller und Clemens Harasim sowie Roland D. Schmidt-­ wie erwähnt bei Mendelssohn als tiefste Blechblasinstrumente Hensel und Peter Ward Jones für die stets wohlwollende Be- eingesetzt, können in einem modernen Instrumentarium von gleitung und Unterstützung in der Vorbereitungsphase dieser Baritonhorn, Euphonium oder – notfalls – von einer F-Tuba Edition. Maßgeblich zum Gelingen hat jedoch Jochen Wehner übernommen werden. beigetragen, dessen jahrzehntelange Erfahrungen im Umgang Diese Alternativvorschläge sollen mithelfen, ein Repertoire zu mit anspruchsvollem Repertoire für sinfonisches Blasorchester erschließen, das nur deshalb selten zur Aufführung kommt, in vielen Detailfragen von außerordentlichem Nutzen waren. weil die dafür notwendigen Instrumente nicht zu beschaffen sind. Sie sollen hingegen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Leipzig, den 3. Februar 2018 Ralf Wehner

172 Jochen Wehner, Mendelssohn Bartholdy zum 200. Ein Einblick in das Œuvre der Bläser-Kompositionen, in: clarino-print. bläsermusik international 6/2009, S. 14–16, und 7–8/2009, S. 8–9. 173 Inwieweit das Notat von B-Klarinetten in der Abschrift der Märsche MWV P 17–19 bereits dieser praktischen Nutzung Rechnung trug, kann nicht entschieden werden.