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Rückblickend EINSCHLAUFEN Betrifft: Trübe Momente der Klarheit Impressum Nº 09.19 «Zeit ist die Anzahl der Unterschiede gemäss Irgendwann führte ihn sein hinterwäldleri- DER MUSIKZEITUNG LOOP 22. JAHRGANG vorher und nachher», schrieb ein Griechi- scher Wissensdurst dazu, ein Thermometer scher Philosoph, dessen Gesamtwerk sich auszutrinken, wodurch der gute Cletus sein P.S./LOOP Verlag bereits zu Lebzeiten als derart unbedeutsam Kurzzeitgedächtnis verlor. Um diesen Man- Hohlstrasse 216, 8004 Zürich erwies, dass sich seine Landsleute nicht ein- gel auszugleichen, begann er in der Folge da- Tel. 044 240 44 25 mal die Mühe machen mochten, wenigstens mit, sämtliche Situationen, die er erlebte, in www.loopzeitung.ch diesen einen herausragenden Satz für die Form von geschnitzten Figürchen festzuhal- Nachwelt festzuhalten. Also schritt der Geis- ten, die er anschliessend auf seiner Veranda tesmensch selbst zur Tat und meisselte seine deponierte. So entstand allmählich ein höl- Verlag, Layout: Thierry Frochaux weise Äusserung während zahlloser Sitzun- zernes Panoptikum des Lebens am Stadtrand [email protected] gen in die Wand einer öffentlichen Bedürfnis- von Springfield. anstalt in Downtown Athen. Der Umgang mit dem kostbaren Gut Zeit Administration, Inserate: Manfred Müller Knapp zweieinhalb Jahrtausende später hat- ist komplex und ermüdend, doch immer [email protected] te ein verkaterter Dichter, der nicht einmal mal wieder gelingt es einem – dazu muss genau wusste, dass Athen in Griechenland man weder antiken Marmor aufritzen noch Redaktion: Philippe Amrein (amp), und nicht bloss im US-Bundesstaat Georgia Thermometerflüssigkeit trinken –, nur noch Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe liegt, in seiner kümmerlichen Behausung in im und für den Moment zu leben, ohne auch Downtown – die verblüffende nur einen einzigen Gedanken an vorher oder Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Reto Aschwanden Ähnlichkeiten mit einer öffentlichen Bedürf- nachher zu verschwenden. Man sitzt einfach (ash), Yves Baer, Thomas Bohnet (tb), nisanstalt aufwies – einen ähnlich brillanten nur so da, mit gelockerter Krawatte, schnei- Dominic Deville, Christian Gasser, Einfall und hämmerte ihn gleich in seine kurz det kaum wahrnehmbare Grimassen und Michael Gasser (mig), Hanspeter Künzler (hpk), zuvor wieder aus dem Pfandhaus ausgelöste versinkt in sich selbst. Den Soundtrack dazu Tony Lauber (tl), Philipp Niederberger, mechanische Schreibmaschine: «Die Zeit ist liefert die Gegenwart. Genau hier. Und jetzt. Albert Preisig (alp), Miriam Suter ein Idiot mit einem Banjo.» Denn wir haben mal wieder zur publizisti- Den Idioten mit dem Banjo kennen wir na- schen Momentaufnahme angesetzt und ho- Titelbild: Debbie Harry türlich alle, denn wenige Jahrzehnte nach sei- len die vergangenen vier Jahrzehnte noch ner ersten Erwähnung in der Welt der hinter- einmal zurück in die Jetztzeit. So, wie man Druck: Tagblatt Print, St. Gallen höfischen Epik tauchte er als Cletus Spuckler den Sommer mit einem herben Erfrischungs- bei den «Simpsons» auf und ist seither im- getränk in den Herbst holt. Das nächste LOOP erscheint am 06.12.2019 mer wieder eine gerngesehene Nebenfigur. Guido Negroni

Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Hohlstrasse 216, 8004 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] EIN MEISTER DES NICHTS Vor seinem Durchbruch als sprechsingende Hälfte von Yello stand Dieter Meier als Gast bei verschiedenen Punkbands am Mikrofon. Aus Anlass eines exklusiven Comebacks hat sich Late-Night-Moderator Dominic Deville mit dem Mehrzweck-Künstler im Landesmuseum unterhalten.

Ich wollte unsere Begegnung in einem Museum stattfinden lassen, weil wir ja kann ich hinter all dem ste- auch zusammen ein bisschen in der Vergangenheit wühlen möchten. Ich bin mir hen. Ich habe mich ja auch jedoch plötzlich nicht mehr so sicher, ob es der richtige Ort ist. Denn Du bist als Jusstudent getarnt, zwei meines Erachtens einer, der immer nach vorne blickt, eben neue Formen sucht. oder drei Jahre in irgend- Findest Du es nötig, zurückzuschauen, machst Du das gerne? welchen Hinterräumen als Dieter Meier: Nein. Ich schaue eigentlich nie zurück. Egal mehr oder weniger profes- ob bei Film oder Musik. Wenn etwas fertig ist, ist es fer- sioneller Pokerspieler ver- tig. Quasi eine Spur, die ich hinterlasse. Und ich schaue nie bracht. Mein Leben wirk- über meine Schulter zurück auf diese Spuren. Ich habe ein- lich mit Kartenspielen um mal für einen Klappentext ein Gedicht verfasst, das geht so: Geld verblödet. Und mich Nur für Sekunden heiss‘ ich Dieter auch geschämt, dass ich Und freue mich, als Untermieter mit meinem Leben nichts Hier auf diesem Kleinplaneten besseres anzufangen weiss, Fröhlich eine Spur zu treten, als auf die nächste Poker- Auf die ich weiter gar nichts gebe, runde zu warten Weil ich ansonsten nur an ihr klebe. Also wenn jetzt jemand Deine Bio- Ich finde, das fasst meine Aussage perfekt zusammen. Und trotzdem sind nun grafie herausgeben möchte und ge- alle Deine alten Singles vereint auf einer LP wieder neu aufgelegt worden. Ich nau über diese «verblödete Zeit» ein nehme jetzt nicht an, dass Du beim Frühjahrsputz über die Bänder gestolpert ganzes Kapitel schreiben will, würde bist und gedacht hast: «So, jetzt ist die Zeit reif, damit die Menschen da draus- Dich das nicht belasten? sen hören, was der Meier in seiner Prä-Yello-Zeit so getrieben hat!» Nein, da stehe ich dazu. Überhaupt nicht. Nein, nein. Also wenn ich die Songs mal Pokern um hohe Beträge dieter meier & the assholes (basel 1977) im Radio höre, freut mich das und ich kann darüber la- war für mich wie Boxen. chen. Aber ich bin auch unglaublich unsorgfältig im Ar- «You are busy surviving», gar nicht mehr, der verkauft nur noch seine Schürfrechte.» chivieren oder schon nur im Behalten von Sachen. Wenn da blendet man alles ande- Aber das stimmte natürlich nicht. Ich habe mir zwar ein- ich da nicht seit 40 Jahren mit den richtigen Menschen zu- re aus. Auch was man als geredet, dass – wenn ich mal genug Geld gewonnen habe sammenarbeiten würde, hätte ich eigentlich alles, was ich junger Mensch mit seinem – ich mich nach Nordafrika absetze, um ein Buch zu sch- je gemacht habe, irgendwo liegen lassen oder verloren. Es Leben jenseits des Pokerti- reiben. Aber der Spieler spielt nur, um zu gewinnen und am hat schon fast etwas Pathologisches, dass ich nichts mit mir sches anfangen soll. «Hin- nächsten Tag dann weiterspielen zu können. herumschleppe. ter dem Pokertisch gibt es keine Welt», sagt man ja. Es ist eben in erster Linie eine Sucht. Aber wie kam diese Neuauflage dann zustande? Wer war denn im Besitz dieser Da ist man wie unter einer Eine Sucht, absolut, zu 100 Prozent. Aufnahmen? Sind da Lurker Grand oder irgendwelche frühere Mitmusiker an Kuppel. Wie beim Boxen Dich herangetreten? Hast Du überhaupt irgendeine Hoheit über diese Songs? geht es beim Pokern darum, «Schürfrechte» ist ein gutes Stichwort. Mir ist aufgefallen, dass Du bei all Du, ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Ich weiss nicht, dass man möglichst schnell diesen verschiedenen Bands und Formationen immer eine Sonderrolle zuge- wer die Rechte daran besitzt. Ich habe keine einzige Sing- eine Partie dominiert. Po- sprochen bekommen hast. Aber nie so richtig zur eigentlichen Band gehört le davon zuhause, die Sachen seit Jahrzehnten nicht mehr kern ist kein Glücksspiel, hast. Hat man Dich da gezielt dazu geholt? Hat man sich vielleicht sogar da- gesehen. Ich habe auch keine Ahnung, um was es jetzt ei- sondern ein Psycho-Ge- rum gestritten in der Szene, wer jetzt den verrückten Meier bekommt, um die gentlich bei dieser Platte geht oder was da genau für Songs schicklichkeitsspiel. Es ge- nächste Single rauszuhauen? drauf sind. winnen eigentlich immer Gar nicht. Das war alles Zufall. Zum Teil hat man auf der die Gleichen. Da muss man Bühne überhaupt das erste Mal zusammen Musik gemacht. Darauf sind klassische alte Songs wie «Cry For Fame» oder «Jim For Tango» einfach schauen, dass man Reine Anarchie. Ich hatte zwar immer irgendwelche Texte vereint, die Du mit Fresh Color und The Wall aufgenommen hast. Ausserdem der Stärkste am Tisch ist. im Kopf, aber kaum auf der Bühne, war das ein anarchi- noch ein paar bis dahin unveröffentlichte Demo-Versionen unbekannter Songs Mir wurde zum Teil sogar sches, unstrukturiertes Geschrei. Nach einem Auftritt war mit Fresh Color. Geld geboten, sodass ich ich regelmässig zwei Wochen heiser. Das war total unpro- Ich habe mal einen Coverentwurf gesehen mit irgendwel- erst gar nicht auftauchen fessionell, naiv und spontan. Ich war auch nie die zentrale chen Bildern von mir darauf. Mehr nicht, keine Ahnung. musste. Ein heute in Zürich Figur bei diesen Punkbands. Das habe ich immer wieder sehr bekannter Anwalt hat klargemacht. Ich bin immer nur Gast gewesen. Auch bei Also lässt Du solche Anfragen einfach an Dir vorbeiziehen und denkst: «Na, mir damals 1000 Franken Yello: Boris Blank hat diese Klangwelten erschaffen, und wenn da jemand Spass dran hat, dann raus damit»? bezahlt, damit er bei der ich bin nur der Gast darin, der schnell seinen Auftritt hat Genau so. Klar, da bin ich sehr unkompliziert. nächsten Partie der einzige und dann wieder verschwindet. «Haifisch» ist. Verrück- Gäbe es denn irgendwelche Sachen, bei denen Du Dich dagegen wehren wür- te Geschichte. Da hiess es Bei Yello ergibt das auch total Sinn, da sind Eure Rollen vorgegeben und ge- dest, wenn die jetzt wieder jemand ausgräbt? dann in den Hinterzim- hören zum Konzept. Boris Blank, der sich immer gegen Liveauftritte sträubte, Nein, nein. Das ist ja alles Teil meiner Geschichte, meiner mern und Spielhöllen von Erfahrung. Auch wenn ich mal danebengehauen habe, Zürich: «Der Meier spielt bitte umblättern Zürich und damit die Aufmerksamkeit des bekannten Zür- EIN MEISTER DES NICHTS cher Plattenladenbesitzers Paul Vajsabel auf mich gezogen. Der hatte ein tolles Label namens Periphery Perfume, auf und Du, die Rampensau, die eigentlich die ganze Energie abbekommt und aus- dem auch die erste Zürcher Punkband eine Single veröf- halten muss. Aber bei einer breitbeinigen Punkband stelle ich mir das etwas fentlichte. schwieriger vor. Haben die das wirklich so einfach weggesteckt, dass Du da kommst, die Show an Dich reisst, Dich über alle Strukturen hinwegsetzt, um Die Nasal Boys, oder? dann wieder weiterzuziehen? Eine unglaubliche Band war das. Schon nur der Name… Nun, als wir «Cry For Fame» und diese Songs im Studio Nasal Boys, genial! aufgenommen haben, war das natürlich schon geprobt. Wir nahmen mehrere Takes auf, und die Songs hatten Wenn wir schon dabei sind: Darf ich Dir noch ein paar andere Schweizer Bands durchaus eine Struktur. Aber bei den Liveauftritten habe nennen? ich das Geübte ganz schnell verlassen, und die Band war Natürlich. dann auch in der Lage, das mitzumachen. Weil meine Sa- chen auch immer sehr rhythmisch waren. Ich war ja nie Kleenex respektive Liliput? ein guter Sänger, sondern habe meine Stimme wie ein Per- Auch eine unglaublich inspirierende Band. Eine seelenvolle kussionsinstrument eingesetzt. Das haben die auch sicher Aufbruchsstimmung haben die mit ihren Konzerten in Zü- irgendwie immer lustig gefunden, wenn ich da so als Gast rich verbreitet. Im Gegensatz zu meinem Verschwinden aus fungiert habe. Deswegen sind auch immer wieder Leute der Szene hat man das Verschwinden dieser Band als sehr, auf mich zugekommen, die was mit mir machen wollten. sehr schade empfunden. Das war plötzlich vorbei. Eine der wenigen Bands aus der Zeit, zu deren Konzerten ich regel- Trotzdem ist es Dein Antlitz, das es immer wieder auf das Cover schafft, Dein recht gepilgert bin. Name klar vom Rest abgehoben. Die Bands wechselten, gerieten in Vergessen- heit. Dieter Meier blieb auch in den Köpfen. Reverend Beat-Man? Der Voodoo-Rhythm-Zampano und Sänger der Monsters Das war nie meine Absicht. Das wollten jene, die die Sa- aus Bern? chen schlussendlich herausgegeben haben. Ich war nie ein Nein. Den kenne ich nicht. Ist der noch unterwegs? Bandleader oder sowas in der Art. Ja, sehr. Weltweit sogar. Gibt auf seinem Label laufend lärmige, wunderbare Hattest Du überhaupt je eine Absicht? Du warst ja 1977, als die Punkszene Platten heraus, ein Wahnsinniger. Dein Gesang auf den alten Songs hat mich in Zürich aufpoppte, auch schon etwas älter als die meisten Protagonisten. schwer daran erinnert, wie er ins Mikrofon zu schreien pflegt. Provokativ gefragt: Hast Du Dir die Punkszene damals nur zunutze gemacht, Muss ich mir sofort anhören! um Deine ganz eigene musikalische Karriere zu pushen? Nein, nein. Absolut nicht. Ich war damals 32 Jahre alt, Dann noch einen weltbekannten Schweizer, der sehr ähnlich argumentiert wie und das war bei mir pure Verzweiflung. Überhaupt mal Du. Er verweigert sich dem Begriff «Musiker» oder «Sänger» und gebraucht etwas zustande zu bringen. Mit Musik hat das bei mir ja seine Stimme, wie Du, ebenfalls eher rhythmisch für, sagen wir mal, elektro- schon vorher mit einer akustischen Gitarre angefangen, die nischer Tanzmusik. ich mir von meinem gewonnen Pokergeld gekauft hatte. Wer soll das sein? Ich bin in den Laden rein und bat um die teuerste Gitarre. Der Verkäufer fragte mich, auf welchem Niveau ich denn Böse gesagt, könnte man ihn als mainstreamigen Gegenentwurf zu Yello be- spielen würde, und ich meinte nur: «Ich spiele gar nicht. zeichnen. Aber ich will jetzt eine schöne Gitarre haben!» Der weiger- DJ Bobo! te sich fast, mir die Gitarre zu verkaufen, wollte, dass ich zumindest einmal darauf zupfe. Aber ich kam gerade von Genau den meinte ich. Ein absolut brillanter Unterhalter und Showman. Könn- einem Lachsfrühstück, meine Hände waren ganz fettig und test Du Dir eine Kooperation mit ihm vorstellen? fischig, sodass ich aus Scham darauf verzichtete. Zuhause Ich will es so sagen: Musikalisch hat er ja nichts Neues er- habe ich dann als erstes alle Saiten bis auf eine von die- funden. Aber er hat etwas gefunden! Etwas, das die Leute ser wunderschönen Gitarre entfernt und tagtäglich wie ein bestens unterhält. Der müsste eigentlich in Las Vegas eine Zenmeister stundenlang nur diese eine Saite angeschlagen. Daily Show bekommen. Da wäre ich für eine Zusammen- Immer nur so «dämm, dädämm, dämm, dämm» und dazu arbeit sofort zu haben! irgendwelche erfundenen, verrückten Texte gesungen. Das war wie eine Erleuchtung für mich! Aber wieder nur als Gast. Absolut. Sofort! Also ging es Dir um die komplette Reduktion. Nein. Ich konnte ja nichts anderes. Nur diesen einen Ton, Zurück zu Paul und Periphery Perfume. «dämm, dädämm, dämm, dämm». Der Paul hat mich immer weitervermittelt. Zum Beispiel dann eben auch an Fresh Color, damals noch unter dem Und wie ging es weiter? Namen The Danger bekannt. Die wollten bei ihm eine Sin- Von meinen Experimentalfilmen her kannte ich Anthony gle herausbringen. Paul meinte dann: «Ja, machen wir eine Moore, der dann später mit bekannten Grössen der Mu- Single zusammen! Aber ihr müsst unbedingt den Meier als sikwelt wie Pink Floyd gearbeitet hatte. Anthony fand mei- Sänger nehmen!» Daraus entstand dann eben diese «Cry ne musikalischen Ansätze ganz lustig und hat mich nach For Fame»-Single, die wiederum Boris Blank gehört hatte. Hamburg eingeladen, um mit seiner damaligen Band Slapp Der ging dann mit seinen Tapes sofort zu Paul in den Plat- Happy einen Track einzusingen. Das war mein erster Mu- tenladen und sagte: «Was dieser Dieter Meier da macht, sikauftritt in einem Studio überhaupt, und da bin ich dann ist ja die reine Anarchie. Hör dir mal meine Sachen an, mit meiner einsaitigen Gitarre aufgekreuzt. Ich war un- die sind viel besser.» Und Paul sagte wieder: «Ja, wir ma- glaublich nervös und hatte vorher schon einige Underberg chen eine Platte zusammen, aber du musst Dieter Meier als getrunken, um mir dann die Seele aus dem Leib zu schrei- Sänger nehmen!» Boris wollte mich aber nicht über seine en. Die Band meinte dann, das sei eigentlich okay gewesen, Klangbilder krähen lassen. Aber Paul blieb hart. Und so aber es sei alles total übersteuert. Ich solle es noch einmal kam es zu einer ersten Begegnung zwischen mir und Bo- machen. Aber ich hab es nicht mehr hinbekommen, weil ris. Zusammen hatten wir dann auch einen ersten Auftritt ich mich dermassen verausgabt hatte. Man kann also sa- im Zürcher Kino Forum. Ich am Mikrofon und Boris an gen, dass dies bereits meine total misslungene Geburt zum seinen Synthesizern. Widerwillig hat Boris da mitgemacht, Sänger war. Aber das war mir damals egal, und so habe ich aber es hat funktioniert und Aufmerksamkeit generiert. weitergemacht mit der Musik. Hatte ein paar Auftritte in Das war die Geburt von Yello. mit anthony moore im studio (1977)

Wieder reiner Zufall also. rein äusserlich immer ein Fremdkörper. Immer mit Anzug, Absolut. Jemand hat einen biografischen Film über mich vernünftigen Hosen und Krawatte zwischen den Typen mit gemacht. Der Film hatte einen viel zu komplizierten Na- ihren Lederjacken. Das war meine Verkleidung, mein Tarn- men. Ich sagte ihm dann, dass der Film eigentlich: «Dieter anzug. Ich wusste ja noch selber nicht, wo meine Artistik Meier: Ein Zufall» heissen sollte. Denn ich sehe mich wie hinführt und wollte mich nicht aufgrund meiner Erschei- einen japanischen Kaligraphen, der seinen Pinsel eintaucht nung festnageln lassen. Wie gesagt, auch in der Punkwelt und dann sekundenschnell irgend etwas auf das Papier war ich nur ein kurzer Gast. Das ganze Punkuniversum wirft, das dann der Ausdruck einer Befindlichkeit ist – oder hatte ich dann ganz undramatisch verlassen, weil sich das es ist halt «Nichts». Und das war immer meine Methode. für mich einfach ausgespielt hatte. Bei Punk war das irgend- Ich habe mich nie vorbereitet auf meine Gesänge. Das ist wann nur noch Lärm. Bei Boris Blank, der Rhythmus über erst im Studio losgegangen. Heute haben Boris und ich das Rhythmus auf seine Bänder schichtete, war das hingegen perfektioniert. Er stellt seinen Track auf Endlosschlaufe ein schlussendlich nur noch ein Rauschen. Das fand ich span- und verschwindet dann, um mich machen zu lassen. Ich nender. Überhaupt lebt Boris Musik, er ist Musik. Musik ist sag das mal auf Englisch: «I can make a fool of myself.» sein Sauerstoffzelt. Auch wenn es Yello nie gegeben hätte, Ich muss dann nichts beweisen. Ich kann dann ein Vollidiot würde Boris irgend etwas Stupides für seinen Lebensunter- sein, der irgend etwas in dieses Mikrophon bellt, und plötz- halt ausführen, nur um sich in der Freizeit voll auf seine lich kommt etwas zustande, das so gar nicht geplant war. Musik konzentrieren zu können. Er war ja ursprünglich Lastwagenfahrer und hat mit einer solchen Konzentration Ich habe in meinem Bekanntenkreis mal rumgefragt, wie die Leute sich Deine seine eigenen Tapes in der Fahrerkabine gehört, dass er im- frühen Songs vorstellen. Öfters vermutete man, es seien wohl minimale, elekt- mer wieder kleinere Unfälle verursachte. Er ist irgendwo ronische Tracks. Wie die Songs von Trio vielleicht. dagegen gefahren oder hat jemanden gerammt! Lustig, für Trio habe ich mal ein Video gemacht, aber nie für sie gesungen. Boris Blank, Zürichs gefürchtetster Lastwagenfahrer? Genau. Deswegen hat er dann auch seinen Fahrerjob verlo- Meine Bekannten waren meistens perplex über diesen astreinen, englisch ren. Aber da waren wir schon mit Yello dran und konnten geprägten, fast schon puristischen Punksound von damals. Waren Deine ehe- für 10 000 Dollar für Ralph Records, das Label der Resi- maligen Bandgefährten nicht auch ein wenig überfordert mit den neuen Tönen dents, eine Platte aufnehmen. Die meinten, wenn Boris Mu- von Yello? So nach dem Motto: «Jetzt machen wir doch gerade so toll diesen sik machen würde, die lauter als das Rauschen auf seinen angesagten, punkigen Gitarrensound, und der Meier macht plötzlich so schrä- Bändern ist, dürfe er wieder bei ihnen anklopfen. Nun, Bo- ges Zeugs mit dem Boris»? ris hat das hinbekommen. Ach. Das waren doch nur so lokale Geschichten. Da war noch nichts festgelegt. Es war ja nicht so, dass da irgend Ich merke schon: Die alten, punkigen Sachen waren wahrlich nur ein «stepping jemand einen total neuen Sound erfunden hätte. Ich wurde stone» für Dich. Du bist regelrecht verliebt in Yello und Boris. Du schwärmst ja erst mit dem Sound von Yello bekannt. ja richtig! Absolut. Ich bin total Fan von ihm. Gerade durfte ich in die Aber in der kleinen Zürcher Punkszene der Siebzigerjahre? neuen Tracks reinhören. Was der wieder zustande gebracht Keine Ahnung. Ich weiss nicht, wie die reagiert haben. Das hat! Komplett neu, total crazy, ein neuer kreativer Schub. hat mich auch nicht wirklich interessiert. Ich war ja schon Wahnsinn! bitte umblättern dieter meier (montreux 1978) EIN MEISTER DES NICHTS Könntest Du Dir trotzdem wieder einmal vorstellen, mit den alten, gitarrenlas- tigen Dieter-Meier-Songs live aufzutreten? Wohl nicht mehr mit den alten Leuten von damals. Aber ich habe ja zwischendurch Auftritte mit Out Of Chaos ge- habt und Gitarrensongs geschrieben. Unterdessen kann ich auch ein paar Griffe. Aber das waren ja neue Songs. Ich spreche von den alten Gassenhauern, die jetzt wieder neu aufgelegt wor- den sind. Why not? Gerade vor zwei Jahren hatte ein Freund – Mar- tin Wanner, ehemaliger Gitarrist von Micky und Die Mäu- se und Geekstompers, eine Lesung seines Romans «Time out» in der Roten Fabrik, und es spielte dazu ein Duo na- mens Wolf Wolf. Die kenne ich, die sind aus der Innerschweiz, oder? Ich glaube, ja. Zwei normale Typen in normalen Jobs, die als Trash-Punk-Band in ganz Europa auftreten. Sie spielen «Cry For Fame», da habe ich es mir nicht nehmen lassen, mit ihnen den Song auf der Bühne zu performen. Wir ha- ben dann sogar zusammen einen Song im Studio aufge- mit fresh color (1978) nommen. Wieder ein Zufall. Alles, alles ist Zufall bei mir. durch ihre Werke infra- Jugend. Das braucht es unbedingt. Das hat mich damals Zufällig bist du Musiker und Filmregisseur geworden, bist zufällig Künstler ge zu stellen. Später hat bereits nicht mehr interessiert. Ich hatte mich ja Jahre vor- geworden. dann das Bürgertum diese her mit sehr aggressiven Strassentheatern ausgedrückt. Auch zufällig bekam ich eine Einzelausstellung im Kunst- «Künstler» benutzt, um haus Zürich. Da hat mich damals, ich weiss gar nicht war- sinen eigenen Reichtum ab- Hast Du in der 68er-Szene verkehrt? um, der Direktor angerufen und gefragt: «Herr Meier, wür- zubilden. Der meiner Mei- Ich war nie dazu geeignet, in Massenveranstaltungen zu de- den sie eine Ausstellung im Kunsthaus machen?» Ich meinte nung nach wichtigste von monstrieren. «Ho, Ho, Ho Chi Minh!» Das war nie mein nur so: «Was soll ich denn ausstellen?» Ich machte ja damals ihnen, Rembrandt, sollte ja Ding, in so einer Menge oder Masse Parolen zu skandieren. einfach so radikale Strassenperformances. So komisches, zum Beispiel die damalige Ich war immer als individuelle Figur unterwegs. leerlaufendes Zeugs, das am Nichts vorbeischrammte. Ab- Händlergilde malen. Und solut nichts, das man ausstellen konnte. Da meinte der Di- hat die Pfeffersäcke dann Wie ist das mit Dir, hängt Dieter Meier hier irgendwo als Kunstwerk? rektor nur: «Herr Meier, ihnen wird schon etwas einfallen.» so gemalt, wie er sie sah! Also hier im altehrwürdigen Landesmuseum sicher nicht. Damit hatte ich wieder eine dieser rettenden Deadlines, um Die wollten das Bild sofort Ich bin ja noch nicht museal. Aber ich könnte ja mal an- 140 Exponate herzustellen. Haarsträubende Skulpturen aus vernichten. Aber irgendwie fragen, ob sie mich nach meinem Tod hier einbalsamiert irgendwelchen Granitabfällen. Das war sowas von Nichts. hat es die Zeit überstanden. ausstellen möchten wie den Lenin! Gummiband drum herum geklebt und fertig. Die habe ich Also zuerst ist etwas Hand- dann abfotografiert und wie etwas ganz Wichtiges an die werk, dann ändert es den Auf dem Weg zum Ausgang, vorbei an Zeugnissen lan- Wand gehängt. Völlig instant. «Meisterwerke des Nichts» Aggregatzustand und wird ge und noch gar nicht so lange vergangener Zeiten zupfe habe ich das genannt. Ich habe ja dann auch später die As- dann plötzlich zu Kunst. ich Meier am Arm und zeige auf eine Wand mit Ausstel- sociation des Maîtres de Rien (Vereinigung der Meister des Eigenartig, was soll das? lungsstücken der Schweizer Jugendkulturen. Da hängt es Nichts) gegründet. Ich habe zum Beispiel ein 22-karätiges dann eben doch, dass Konterfei von Dieter Meier, auf dem Goldband genommen, das ja ganz weich ist, und um ir- Konntest Du die Abneigung der Umschlag der «Cry For Fame»-Single. Meier stemmt die gendwelche Objekte gewickelt – und fertig! Das war damals Punks gegenüber Zürich damals Hände in die Hüften und blickt zu sich selber hoch. Das ganz aussergewöhnlich. Auch heute noch mache ich aus nicht teilen? Die Band TNT sang in eben noch müde wirkende Gesicht strahlt. Erstaunt und Kinderknete Kunstwerke. Knete nachts in meinem Haus in der Zeit ja die Anti-Hymne auf diese auch ein bisschen stolz. «Nein so was! Da bin ich!» Mei- Argentinien hunderte von kleinen Skulpturen, bis mich et- Stadt: «Züri brännt!» er wendet sich ab, zieht sein Telefon aus der Hosentasche was daraus ansieht, ich etwas darin sehe. Ganz zufällig, aus Ich bin da einen ganz an- und verabredet sich gut gelaunt zu einer Partie Golf. Ohne dem Nichts. Ich bin also kein Künstler mit Absicht. Sondern deren Film gefahren. Der nochmals zurückzublicken. eben ein Künstler ohne Absicht! Dem etwas zufliegt und der Protest und das Dagegen- Interview Dominic Deville dann im richtigen Moment auch die Seele darin erkennt. sein ist ja ein Privileg der Fotos Peter Vitzthum & Peter Wittwer Auch das alles nur ein Zufall. Das klingt ein bisschen wie eine Entschuldigung für Deine Karriere. Nun, so ist es nicht, dass ich mich entschuldige. Weil dieser MAKE ZURICH SMALL AGAIN Zufall, dieses Unbedeutende, dieses Ausleuchten des Nichts hat ja durchaus Methode. Egal ob beim Malen, Schreiben Ende November ist Dieter Meier nach Jahrzehnten wieder als Punksänger zu hören. Den oder am Mikrofon. Ich fange immer wieder bei Null an, losen Rahmen dafür bildet die Übernahme des Museum Baviera in Zürich durch Alain bin der, der immer wieder hinterfragt: «Was habe ich da Kupper, der die legendäre Kunstgalerie an der Zwinglistrasse neu unter dem Namen Kup- wieder gemacht?» Und für dieses Einlassen auf die Leere, per_Modern führt. diese Professionalität der Unabsicht, entschuldige ich mich 18 Uhr: Vernissage mit Felix Eggmann, Nik Emch, Ingo Giezendanner, Laurent Goei, keineswegs. Nic Hess, A.C. Kupper, Franziska und Bruno Mancia, Mickry3, David Renggli, Kerim Seiler, Costa Vece, Silvio Baviera und Pietro Mattioli Dieter Meier: Künstler oder bereits selber ein Kunstwerk? 19.30 Uhr: Hommage an Silvio Baviera. «Kurze» Reden von Dieter Meier, Silvio Baviera, Das sind viel zu grosse Worte. Mich stört ja schon der Be- Lurker Grand und Alain Kupper griff «Künstler», obwohl ich ihn selber benutze. Ein Not- 20 Uhr: Fresh Color, exklusiver Auftritt mit Special Guest Dieter Meier. ausdruck, weil man sonst nichts hat. Maler und Musiker 22 Uhr: Grandjean. Die Band um Dominique Grandjean («Campari Soda») spielt waren ja ursprünglich in erster Linie einfach hochbegab- anlässlich der Veröffentlichung der Taxi-Single. te Handwerker. Und die avantgardistischsten unter ihnen Als DJs sind Edi Stöckli und Peter Preissle im Einsatz. hatte man dann beauftragt, um die erstarrte Aristokratie Donnerstag, 28.11., Zwinglistrasse 10, Zürich SZENE

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Oktober 2019 // Ryan Gosling Revisited / Filmstill: Drive (2011) KOKS UND GURKEN Debbie Harry schreibt in ihrer Autobiografie «Face It» über das Leben stein chris einer der prägendsten Ikonen unserer Zeit. Und lässt uns dabei – vielleicht bewusst – ratlos zurück.

Es ist ein bisschen seltsam, dass Debbie Harry ihre Memoi- ren «Face It» nennt. Aber von vorn: Die 74-Jährige fasst in ihrer Biografie auf knapp 500 Seiten ein Leben zusammen, das eigentlich eine ganze Bibliothek hergäbe. Entstanden ist das Werk zusammen mit der Leonard-Cohen-Biografin und Musikjournalistin Sylvie Simmons, Basis für das Buch sind eine Reihe exklusiver Interviews, die Simmons mit Harry über Jahrzehnte geführt hat. Harry wuchs in New Jersey als Adoptivtochter von Ri- chard und Catherine Harry auf und zog als junge Er- wachsene in ihre Traumstadt New York, wo sie sich in die Garde der Rock’n’Roll-Highschool einreihte: Patti Smith, Madonna, Lou Reed, David Bowie, wir alle kennen die Liste jener, die in den Siebzigern und Achtzigern ihre Träu- me jagten in der Stadt, die niemals schläft. Schon lange bevor Harry zur Blondie-Frontfrau wurde, war sie sich ihrer Ausstrahlung, ihrer Schönheit bewusst. Sie schreibt darüber, dass sie sich als Kind seltsam fand, aber dennoch nicht aufhören konnte, sich anzustarren. Und erzählt, dass sie sich seit der Blondie-Zeit als aufblasbare Gummipuppe wahrnimmt. Eine Bezeichnung, die sie sich selber auferlegt: Sie habe die Rolle der Frontfrau zwar nur gespielt, dies aber ab- solut ernst gemeint. Das wirkt schlüssig. Denn es gibt et- was, das Harry innehat, seit sie wohl zum ersten Mal eine Bühne betrat: eine wahnsinnige Weiblichkeit, wahnsinnig im positivsten aller Sinne, eine radikale Ermächtigung des tannenbaum allan kaner william Frauseins, ihr Punk war und ist ein sexpositiver, «selbst als Pin-up war ich Punk», schreibt sie einmal in «Face It». Sie te – wohlgemerkt, nachdem er und Iggy Pop bei ihr Koks Memoiren von Patti Smith erkannte Sex als treibende Kraft für ihr Image als Front- schnorrten. 2019 würde sich diese Begegnung vielleicht in und Jane Birkin erschienen, frau – und sie erkannte vor allem die kapitalistische Seite die #MeToo-Fälle einreihen – Harry aber schreibt, Bowies ist ein gutes Zeichen: Je dahinter. Sie schreibt, dass es ihr nichts ausmachte, zu wis- Penis sei ein Prachtexemplar gewesen, und dass sie Pops mehr Musikerinnen ihr Le- sen, dass sich Männer zu ihren Bildern einen runterholen: «Gurke» eigentlich auch noch gerne gesehen hätte. ben niederschreiben, desto Man könne weder die Fantasien der Menschen kontrollie- Männer und die Beziehung zu ihnen sind ein Thema, das grösser ist die Chance, dass re, noch die Illusionen, die sie kaufen. sich praktisch durch das ganze Buch zieht. Chris Stein, wir auf der Kinoleinwand Harrys Ex-Gitarrist und Partner, hat das Vorwort zum vielleicht auch endlich mal DAVID BOWIES #METOO-MOMENT Buch geschrieben. Das halbe Leben verbrachten die beiden eine Grossproduktion über zusammen, auch darüber schreibt Harry schonungslos. Frauen aus der Musikwelt In den Anfangszeiten von Blondie betrachtete man Frauen Etwa über die Zeit, in der das Management derart schwere zu sehen bekommen. in der Rockmusik als Schaufensterpuppen, schreibt Harry, Fehler machte, dass die Steuerbehörde den Mitgliedern fast Der Schluss von «Face It» die nicht viel tun, ausser herumstehen, hübsch aussehen alles wegnahm – inklusive Steins Krankenversicherung. Zu lässt einen aber etwas rat- und ein bisschen «la la la» singen. Während ihrer Zeit bei dieser Zeit schwebte Harrys Partner im Spital in Lebensge- los zurück: Sie sei ein sehr der Folk-Band Wind In The Willows habe sie das kurz fahr. Oder darüber, wie sie kurz nach ihrem Umzug nach privater Mensch, schreibt ausprobiert, schreibt die Sängerin, aber sie sei nicht dieser New York bei einem Überfall vor Chris’ Augen vergewal- Harry, weshalb sie lange Typ Frau. Harry widmet ein ganzes Kapitel dieser feminis- tigt wurde, wie sie fast von einem Mann entführt wurde, gezögert habe, überhaupt tischen Grundfrage: Inwiefern werden wir als Kinder auf von dem Harry überzeugt ist, dass es sich um den Serienkil- eine Autobiografie zu sch- etwas programmiert, wie bilden und festigen sich Gender- ler Ted Bundy handelte, oder wie sie in früheren Beziehun- reiben. Dass sie eigentlich Rollen in unseren Köpfen, wie können wir die vielleicht gen Gewalt durch ihre Partner erlebte. noch mehr zu erzählen zu unserem Vorteil nutzen – und wann beissen sie uns habe – aber bei ihren Kon- in den Hintern? Dass ihr ermächtigendes Auftreten auch NOCH MEHR STOFF zerten gelernt habe, dass es eine Kehrseite hat, lernte Harry nämlich schnell: Es wurde am besten ist, wenn das Pu- mehr über ihr Aussehen als über ihre Musik geschrieben. Den Titel ihrer Biografie löst Harry also ein – zumindest blikum noch mehr will. Harry bleibt auch beim Niederschreiben ihrer Erinnerun- theoretisch. Harry bleibt beim Erzählen oft in grosser emo- gen Punk und thematisiert auch Erlebnisse, bei denen man tionaler Distanz zu ihrem eigenen Leben. Es wirkt, als hätte Miriam Suter lieber weghören würde. Etwa die in Feuilletons gern zitier- das alles mal rausmüssen, zwischen Buchdeckel gepresst, te Szene, in der ihr David Bowie einmal hinter der Bühne mit Fotos garniert und von Fremden gelesen werden, damit Debbie Harry: «Face It», Heyne, seinen Penis zeigte, ohne dass sie ihn darum gebeten hät- die Wunden heilen können. Und dass praktisch zeitgleich München 2019, 432 S., ca. 36 Fr. ZUHAUSE IN DER PLAYLIST buchsee. Das bleibt dir ewig, weil du dort die Sprache kum wäre enttäuscht, wenn Diesen Herbst hat Stephan Eicher geschenkt erhältst und du dich danach auszudrücken ver- er nicht erscheinen würde. suchst. Obwohl ich das manchmal etwas komisch mache. Und so machte ich noch- «Homeless Songs» veröffentlicht, Da gibt es diesen extrem lustigen Comedian, Fabian Un- mals eine Session und nahm teregger, der mich im Schweizer Radio karikiert. Ich finde noch zwei, drei dieser live eine Sammlung von Liedern für kalte es so lustig, ihm respektive mir zuzuhören. Manchmal sitze gespielten Songs für das Al- ich hier und denke, dass er absolut recht hat. Seither passe bum auf. «Homeless Songs» Abende. Nun bereitet er sich auf ich auf und versuche, etwas klarere Antworten zu geben. ist ein Umarmungsalbum. Eben: Heimat ist dort, wo man Reden und Schreiben lernt. Ich habe auch sonst alles ge- die Weltrevolution vor. Mach mal etwas aus so einem Satz, Unteregger! macht, um das Publikum in die Arme zu nehmen. «Homeless Songs» ist seit «1000 Vies» Dein kosmopolitischstes Album. Du bist Du lebst schon länger in der Camargue. Vermisst Du die Schweiz? auch ein Kosmopolit. Wie viel von Dir steckt im Album? Nein. Ich bin ja doch die ganze Zeit hier. Meine Eltern le- Du hattest Streit mit Deinem Platten- Stephan Eicher: Ich bin nicht mehr so ein Kosmopolit. Ich ben in Bern im Altersheim, die besseren Ärzte für meinen label. Ist nun alles wieder gut? habe mich fest in Frankreich niedergelassen. Bei «Eldora- Rücken sind in der Schweiz. Ich bin so viel in der Schweiz, Das Album erscheint ja do» hatte ich mich in Brüssel niedergelassen. «Eldorado» dass ich sie gar nicht vermisse. Und sie ist so nahe, in Genf nun. Letztendlich habe ich ist ein Brüsseler oder Europäer-Album. Nach «Taxi Euro- bin ich in drei, vier Stunden. aufgegeben. Die Platten- pa» hatte ich mit dem Reisen aufgehört. industrie hat zwei Sachen, Partizipierst Du als Auslandschweizer, oder fühlst Du Dich als Franzose? die ich nicht habe: unend- Auch ohne die Reisen ist das Album eklektizistisch geworden. Das ist eine schwierige Frage. Frankreich ist zurzeit poli- lich viel Geld und Zeit. Wir Das hat schon etwas… «Gang nid eso» war ja schon mit tisch und sozial untragbar. Wenn ich es mir so überlege, ge- haben erkannt, dass wir einer Version auf dem «Songbook». Nun habe ich es mit ei- höre ich zu dem Dorf in der Camargue, in dem ich seit 15 zwar den Prozess mit guten nem nach «Wiener Zigeunerorchester» klingenden Ensem- Jahren Steuern bezahle und die Leute kennengelernt habe. Chancen gewinnen wer- ble neu eingespielt, mit dem ich auch sonst aufgenommen Wir haben einen Chor gegründet, in dem wir sonntags zu- den, aber erst in fünf Jah- habe. Dan Reeder spielt auf «Ne un ver», das ist eher ein sammen alte französische Chansons singen, und hier sin- ren. Dies nach mehr als drei burlesques Lied. Oder ein Stück wie «Haiku – Papillons», gen Leute, die den Front National wählen, wunderbar mit Jahren zu hören, war depri- da weiss ich nicht, was das für Musik ist. Es beginnt als dem Zimmermädchen aus dem Maghreb zusammen. Aber mierend. Ich habe während klassisches Pianostück, das Orchester setzt ein, der gros- am Montag wird wieder gestichelt. Ich habe mal an eine 32 Stunden geschwiegen. se verstorbene Radiosprecher Rudolf Stalder spricht ein politische Lösung geglaubt. Aber vergiss es, wir Menschen Meine Familie war sehr wunderbares Emmentaler Gedicht des wichtigen Schweizer sind irgendwie lernresistent. Und es dauert noch fünf Jahre überrascht, wie still ich ge- Schriftstellers AC Loosli, bevor es auf eine kleine akusti- bis zur Weltrevolution. worden war. Danach zog sche Gitarre zusammenschmilzt, dann spielt die Pedal Steel ich die Anklage zurück und weinend von Ferneweh. Es ist eher so, dass ich mich nicht Im Medientext heisst es, dass Du und die Band den Sound den Albums bewusst begann wieder zu sprechen. autozensieren wollte bei diesem Album. gesucht habt, um die Zeit eines kleinen Traums zu schöpfen. Wie wichtig sind Aber die Aufnahmen waren befreiend. Ich möchte ganz Träume? Wie verhält es sich mit der Freiheit ehrlich sein, mir passiert es auch im Studio, dass man sagt: Träume sind eine komische Parallelrealität, in der man die und der Kunst? Du meintest einmal, «Super. Und wie lang ist das Lied?» Vor allem von den jun- Sachen herausschiebt. Ich habe das Glück, dass meine Rea- zu viel Freiheit sei nicht so gut für gen Musikern, mit denen ich zusammenarbeite, kommt so- lität einfach traumlos sein kann. Denn alles, was ich tue, ist Künstler. fort die Frage, ob es radiotauglich ist. Vielleicht spielt es ein irgendwie traumhaft: auf einer Bühne zu stehen, ein Album Ich sagte für Künstler und Radio aber auch nicht, das war nicht der Ausgangspunkt aufzunehmen, Musiker, das Publikum kennenzulernen, mit Kinder. Zur Eröffnung des dieser Lieder. Oder bei einem starken Refrain: Sollen wir Künstlern und Schriftstellern zu arbeiten. Wenn ich als Casinos in Bern haben wir ihn am Ende nochmals singen? Wozu? Man hat ihn doch Kind hätte aufschreiben können, was ich werden wollte, so ein fünfeinhalbstündiges schon genug gehört. Oder immer die Idee, dass es irgendwo ist es genau dies – neben dem Cowboy. Konzert gegeben. Das ist ein Solo braucht … Das passiert, wenn ich mich irgendwo wohl etwas übertrieben. hinsetze und beginne, ein Album zu schreiben, ohne dass Das heisst also, dass Du nicht noch einen Traum hast, was Du noch erreichen Lasst mir die Zügel ein we- noch irgendwo eine Plattenfirma ist, ein Radioprogram- möchtest. nig lockerer, dann wird es mierer. Vielleicht braucht es das für mich, dass ich befreit Momoll, die Weltrevolution! Aber dafür haben wir, wie amüsant mit mir, aber wohl davon bin, zu gefallen zu versuchen. Dafür bin ich zu alt. schon gesagt, noch fünf Jahre Zeit. auch ein bisschen ermüdend. Ich muss den Liedern gefallen. So wie mit dem neuen Al- Ferner heisst es im Medientext, Deine neuen Songs hätten keinen Platz im bum. In meinem Studio hat Das Album heisst «Homeless Songs». Müssen Songs eine Heimat haben? Und aktuellen Musikbetrieb. es Platz für Bass, Gitarre, wenn ja, wo ist diese? Das stimmt nicht ganz, hier habe ich etwas geschummelt, Klavier und Schlagzeug, So, wie es sich entwickelt hat, sind sie irgendwo auf einem denn es gibt zwei Alben. Die Version von 2015, die mit das kann man gleichzeitig Server in Alaska zu Hause, weil es dort billiger ist, sie zu «Les Tonnes» beginnt, einem Punksong. Die erste Versi- aufnehmen, mehr hat darin kühlen. Oder in einem alten Schweizer Armeebunker, wo on landete auf dem Schreibtisch des Chefs von Universal nicht Platz. Das Schlagzeug sonst Militärbetten standen oder Käse gelagert wurde. Ne- Frankreich. Ich habe herausgefunden, dass er an dem Tag, wollte ich nicht auf dem benan wird Gold gelagert, und in einem Nebenstollen steht an dem mein Album bei ihm angekommen ist, fristlos ent- Album haben, weil es ein- noch ein Server von Tidal oder Deezer – die haben sicher lassen worden ist. Er hat das Album ungehört auf seinem fach zu laut ist. Wenn man einen Server in der Schweiz. Songs sind heute in Playlists zu Schreibtisch liegen lassen, und sein Nachfolger fragte sich, die Augen schliesst, muss es Hause, was nicht so schlecht ist, denn das grösste musika- was er damit solle. «Homeless Songs 1» gibt es aber wirk- eine ganz kleine Band sein, lische Kunstwerk sind die Mixtapes auf Kassette gewesen. lich, der Künstler Gregor Hildebrand, der das Cover ge- die in einer Garage etwas Deshalb machen mich Streams glücklich, weil die Playlists staltete, hat es kunstvoll gemacht, indem er einen Buchum- aufnimmt. In dieser Phase etwas von den Mixtapes haben. Die neue Heimat meiner schlag aus Vinyl nahm. Er hat 150 Exemplare vom Album war etwas Einschränkung Songs ist wohl jetzt in Playlists. pressen und die Platte auf Buchgrösse zuschneiden lassen. gut. So, dass du nur das letzte Lied ganz hören kannst. Danach habe ich die Auf- Wo ist Deine Heimat? Wir entschieden, das Album regulär zu veröffentlichen, weil nahmen mit einem dreissig- Heimat ist dort, wo du zu formulieren und zu schreiben ich an den Konzerten neue Lieder sang, als ich keine neuen köpfigen Orchester aufge- lernst. Bei mir war das in der Primarschule in München- Songs einspielen konnte. «Prisonnière» ist so einer, das Publi- sprengt, mit Overdubs, die wir in vier Tagen anbrach- Diesmal ist die Idee, dass es darum geht, eine Nacht zu- das habe ich etwas heftig gefunden. Also, dort kannst du ten. Songs werden kleiner, sammen zu verbringen. Wenn du reinkommst, ist Abend- sie sehen. Ich gebe sie aber auch anderen, jungen elektroni- wenn sie plötzlich riesig stimmung, dann ist es Nacht, wir spielen, und am Morgen schen Musikern, die mit ihnen arbeiten und komponieren. werden, bevor sie wieder hören wir auf. Reyn Ouwehand spielt dieses Mal nur noch Ich träume immer noch davon, dass ein Konzert mit den klein werden. Das ist ein Piano. Baptiste Germser spielt Rickenbacker-Bass, Heidi Automaten gefilmt wird. Das wird dann aber auch von Trick, den man anwenden Happy hat ihr Vibrafon-Glockenspiel dabei. Simon Bau- Automaten gefilmt, also nicht von Menschen, die Kameras kann, wie in Symphonien, mann kommt zurück, er spielt ein minimalistisches Drum- bewegen, sondern mit Midi-Noten sage ich, wie die Ka- wenn das Orchester nach set und ich eine simple akustische Gitarre. Ludovic Bruni meras geführt werden sollten. Das bin ich immer noch am einem Pianissimo schnell wird elektrische Gitarre beisteuern. Bei «Homeless Songs» Programmieren. laut wird und wieder leise, muss jeder Musiker die Möglichkeit haben, das Hotel ohne um die musikalische Dyna- zu bezahlen verlassen zu können. Ausser das Piano Im Pressetext wirst Du zitiert, dass das Album «Homeless Songs» heisst, weil mik zu definieren. die Songs im Freien schlafen… Sehen wir die Automaten mal wieder? Ich finde es noch schön, dass das Album im September er- Du arrangierst Deine Songs live Du siehst sie wieder. Im Moment kannst du M (Mathieu scheint, wenn die Natur sich langsam zurücknimmt. Man immer wieder neu. Hängt das mit Chedix) zuschauen, der hat sie ziemlich total kopiert. Er kann zuhause mit den Liedern an der Wärme sitzen. Auf den Musikern zusammen, oder ist es kam nach Genf, dort stehen sie in einem Studio, er kam der Strasse ist es ihnen nun zu kalt geworden, deshalb müs- Deine Lust an Neuem? drei Tage vorbei und begann zu notieren, wie sie gebaut sen sie im Herbst erscheinen. Vielleicht war der Akt des sind. Zum Beispiel war das Piano ein Prototyp, er hat es Interview Yves Baer Aufnehmens eine Dumm- einfach nachgebaut. Vielleicht klinge ich etwas bitter, aber Stephan Eicher: «Homeless Songs» (Universal) heit. Früher haben sich die Lieder entwickelt. Sie wur- den im Familienkreis oder in Bars gesungen und haben sich dadurch verändert. Bis jemand auf die Idee kam, sie zu notieren, das ist eine Einschränkung. Was noch schlimmer ist: Wir nehmen sie auf. Pink Floyd wur- den bei «Dark Side of the Moon» als lausig kritisiert, wenn die Songs nicht genau so wie auf dem Album ge- spielt wurden. Ich sehe mei- ne Lieder viel mehr in der Art des Kinderspiels, wo man leise «Lampenschirm» ins Ohr seines Gegenübers sagt, dann wird am Ende «Birnenlampe» draus. Wenn meine Musik so umgesetzt wird, finde ich das sehr amüsant. Bei «Eldorado» sagtest Du, das Kon- zept sei, dass immer ein Musiker zu wenig auf der Bühne sei. Was erwar- tet das Publikum im Herbst? Nein, das war etwas ande- res: Bei «Eldorado» soll- ten die Livefotos richtig gut aussehen, wir wollten Schwarzweissfotos. Des- halb haben wir ein Fotostu- dio auf die Bühne gestellt, alles war in Schwarzweiss gehalten. Bei den Verstär- kern haben wir das rote Lämpchen durch ein weis- ses ausgewechselt, und wir spielten die weissen Gitar- ren, die nicht die besten waren. Bei «Envolée» woll- te ich mehr einen Ort dar- stellen, wo man Musik hört mit Vinyl und Stereoboxen. Ein Ort, wo heute niemand mehr Musik hört. Bei Traktorkestar war es eine kriegerische Party. Oh, wir haben «die Automaten» vergessen. Das war ein Zauberer, der irgend etwas stephan eicher macht. SZENE sounds PRÄSENTIERT LIVE ANTI-FOLK ADAM GREEN better SO 03 NOV 2019 PAPIERSAAL, ZÜRICH CIGARETTES AFTER SEX JAZZ POP with OSCAR JEROME new album Cry out now SO 10 NOV 2019 PAPIERSAAL, ZÜRICH 16.11.2019 – Plaza, Zürich – SOLD OUT you INDIE FOLK 17.11.2019 – Plaza, Zürich BEAR‘S DEN DI 19 NOV 2019 X-TRA, ZÜRICH

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Fr 16.11. Negroman(d), ruhe & bit (d), SO 01.12. the blank tapes (usa) Fr 22.11. the shivas (usa), sundays & cybele (jpn) Fr 06.12. sugar candy mountain (usa), nordik chili (ch) loopzeitung.ch Palace St.Gallen 8.11. Ada Lea KONZERTE konzerte

06. NOVEMBER SOYBOMB (WINTI / ZH) & BUMBLEBEES (CH) 11. NOVEMBER 14.11. Juan Wauters IDER (UK) 12. NOVEMBER DICHTUNGSRING PRÄSENTIERT: PATRICK SALMEN (DE) 20. NOVEMBER 21.11. Nadah El Shazly MOIRA (WINTI) - PLATTENTAUFE 30. NOVEMBER TRUPA TRUPA (PL) & GLASTON (CH) 12. DEZEMBER DICHTUNGSRING PRÄSENTIERT: 22.11. Omni INTERROBANG (CH) 17. DEZEMBER PHIL HAYES & THE TREES (CH) VORVERKAUF VIA TICKETINO.COM 29.11. Injury Reserve www.albani.ch DIE NEUEN PLATTEN

Big Thief Jewish Allah-Las Alas The Sun Ernest Hood Two Hands Monkeys Lahs You And Your Love Neighborhoods (4AD/MV) Catastrophic Life (Mexican Summer) (Taxi Gauche Records) (Freedom to Spend) (Greedy For Best Music) Im Hause Big Thief kennt Der Titel des vierten Al- Alas The Sun sind Sandro Pete Swanson ist Musi- man weder Müdigkeit noch «Hätte Hitler nicht fast bums der Allah-Las lässt Raschle und Anja Tremp ker und Plattensammler, grosse Schaffenspausen: den Krieg gewonnen, nur einen Schluss zu: Die aus Zürich. Er spielt Gi- und als solcher unterhält Vor einem Jahr veröffent- würde jüdische Popmusik Band um die beiden Schul- tarre, den Gesang teilen sie er seit einiger Zeit das La- lichte Sängerin Adrienne so klingen: naturstoned, freunde Matt Correia und sich, wobei sie verträumt bel Freedom to Spend, das Lenker ihr Soloalbum, im schnell und wahnsinnig Spencer Dunham war und gleichzeitig abgeklärt verschollene experimentel- Mai folgte die ganze Band melancholisch.» Maxim entweder zu faul oder zu klingt. Unterstützt von le Musik wieder in die Ge- mit «U.F.O.F.», und fünf Biller, der deutsche Lite- relaxt, um etwas Originel- Produzent Tim Frey spielen genwart bringt. Eine Platte Monate später ist bereits rat und Freund der Band, leres als «Lahs» auszutüf- sie auf ihrem Debütalbum enthielt etwa die sehr eige- das nächste Album «Two beschreibt den Sound der teln. Einen vergleichbaren melancholischen Song- nen Sprach- und Klangfan- Hands» da. Lenker schreibt israelischen Combo mit Eindruck hinterlässt auch writer-Pop, nicht von der tasien der Fantasy-Autorin fast ständig neue Songs. Als Wurzeln in Frankfurt ganz die Musik. Ein weiteres herbstschweren Sorte, son- Ursula K. Le Guin, und sich die Band an die Arbeit gut. Egal ob wir es nun Mal wälzt sich das Quar- dern beschwingt und lind. man lernte auch die mini- machte, hatte sie deshalb Klezmer-Punk oder Anar- tett durch den Sound der Exemplarisch dafür die malistische Heimmusik von 50 Stücke, die alle Potenzial cho-Ska-Punk nennen – die späten 60er-Jahre – auf der Single «Absence of Time», Robert Cox kennen, der aufwiesen. «Wir entschie- Jewish Monkeys aus Tel ewigen Suche nach sanft die es in die Tagesrotation unter seinem Alias Rima- den uns gegen ein Dop- Aviv sind echte Veteranen psychedelischem Folk-Pop von SRF3 schaffte. Hitpo- rimba umwerfende Tracks pelalbum», sagt Lenker. der Szene, die seit 20 Jah- und den Jingle-Jangle-Gi- tenzial hat auch «Almost eingespielt hat. Ebenfalls «Wir wussten früh, dass ren aktiv sind, aber erst vor tarren der Byrds. Das ist Adulting», das mit einer zuhause eingespielt wurde wir zwei Platten machen fünf Jahren das erste Album schön, gut und als Sound- Ukulele startet und später das neuste Fundstück des würden, und wir wussten, eingespielt haben. Auf dem track für alle ewigen Sla- zum leicht forcierten Singa- Labels. Ernest Hood war dass sie sehr kontrastreich Debüt coverte man alte cker sicher hochwillkom- long wird. Auch «Heading Jazzmusiker, ehe er sich aus seien sollten.» Musikalisch Songs aus den 30er- und men. Allerdings machen es for the Heart» geht gut gesundheitlichen Gründen ist «Two Hands» nicht so 50er-Jahren im Klezmer- sich die Kalifornier mitun- ins Ohr und kaum wieder zurückziehen musste. 1974 weit weg vom Vorgänger, Punk-Stil. Inzwischen hat ter ein wenig zu einfach: raus. Für Abwechslung sor- hat er in Portland das Al- klingt aber geerdeter. Big man das Feld etwas weiter Die Melodien sind durch- gen ein Banjo und gelegent- bum «Neighborhoods» mit Thief sprechen vom «earth gefasst. Auch auf ihrem wegs verwaschen und lind, liche Einschübe aus dem analogen Synthesizern, Zi- twin» und dem vorherigen neuen Album mischen sie was Gedanken an längst Synthie. Und manchmal ther und Alltagsgeräuschen «celestal twin». Die Band die Stile und entführen uns vergangene Ferientage spielt das Duo reduziert auf wie Hundegebell, Kinder- zeigt sich unheimlich gut in ihre bunte Welt aus Ska, aufkommen lässt. Sonnen- Gesang und Gitarre, wobei geschrei und Dialogen aus eingespielt und aufeinander Punk, Balkan-Beats oder schein will sich gleichwohl Raschles feines Fingerpi- dem Quartierladen auf- abgestimmt in ihrem Al- Afro-Sounds. Zu Deutsch- keiner einstellen. Vielleicht cking auffällt. «You And genommen. Zu hören ist ternative-Folk und -Rock. land, genauer Frankfurt, deshalb, weil die Lieder der Your Love» ist ein viel- nun ein lange verschollenes Herzhafte Drumbeats und haben die Jewish Monkey Allah-Las wirken, als ob sie versprechendes Debüt mit Album zum entschleunig- knisternde Gitarrenriffs be- eine besondere Beziehung, in Muttis Keller entstan- starken Songs, die bei den ten Tagträumen, Spazieren gleiten Lenkers Gesang, der sind doch zwei der sechs den seien, fernab jeglicher anstehenden Konzerten in und Erkunden der nächsten von bezaubernder Authen- Bandmitglieder hier gebo- Frischluft. Immerhin darf Quintettformation noch et- Nachbarschaft. Eines auch, tizität ist. Die Songs legen ren und aufgewachsen, ehe man der Band zugestehen, was entschlossener gespielt das von einer Zeit erzählt, sich wie ein warmer Mantel sie nach Israel übergesiedelt dass sie ein-, zweimal ver- werden dürften. in der man nach Schul- um einen, es gibt aber auch sind. So wird dann auch sucht, sich zu Neuem auf- schluss noch ein «popsicle» wütende Momente wie auf eine kurze Punknummer zuraffen. Etwa mit «Roco ash. gekauft und genüsslich zu «Shoulders», gefolgt vom zu «Punkfurt» und nicht Ono», das sich als eine Art sich genommen hat. grungy «Not», das in einem Bankfurt, wie die deutsche Annäherung an Disco im Live: 26.10., Zukunft, Zürich Feuerwerk von E-Gitarre, Linke die Finanzmetropole Schneckentempo erweist. (Plattentaufe); 1.11., Heimat, Basel; bs. krachenden Drums und po- gern nennt. Einziger Wer- Die 13 Tracks sind ganz or- 2.11., The Bruch Brothers, Luzern; chenden Bassnoten endet. mutstropfen: Mit 35 Minu- dentlich, doch man spürt: 7.11. Galvanik, Zug; 9.11. Stall 6, «Two Hands» krönt damit ten ist «Catastrophic Life» Da wäre mehr möglich ge- Zürich eines der stärksten Jahre, recht kurz geraten. Also wesen. das eine Rockband seit eini- noch mal auf den Repeat- ger Zeit hinter sich hat. Knopf drücken. mig. anz. tb. DIE NEUEN PLATTEN Sound Surprisen «Cha Cha Cha Del Zombo», «Tcha Tcha Tcha Mi Amor» und «Baila» heissen die ersten drei Lieder, die ka- ribischen Rhythmen – Mambo, Cha Cha Cha, Calypso und Rumba – swingen flott, gesungen wird auf Spanisch, und man wähnt sich zunächst im vorrevolutionären Kuba … Unweigerlich fragt man sich, ob man nicht das falsche Album aufgelegt hat. Nein, diese Latinoklänge stammen Nick Cave & Petra Haden / Marie-Flore tatsächlich aus dem Kongo. The Bad Seeds Mark Kozelek Braquage «Congo Revolution. Revolutionary and Evolutionary Ghosteen Joey Always Smiled (Label 6&7) Sounds from the Two Congos 1955-62» (Soul Jazz Re- (Bad Seed Ltd./Limmat (Caldo Verde Records) cords) erzählt mehrere erstaunliche Geschichten. Die eine Records) Die Musik wurde Marie- ist musikalisch: Viele der aus dem Kongobecken entführ- Mit Petra Haden und Mark Flore schon in die Wiege ten Sklaven strandeten in Kuba. Dort vermischten sie die Nick Cave stellte sein neues Kozelek haben zwei mit ei- gelegt: Ihre Eltern benann- Musik ihrer Heimat mit den Rhythmen und Harmonien Album nach kurzfristiger nem ausgesprochenen Flair ten sie nach dem Song anderer Ethnien und europäischen Einflüssen zur karibi- Vorankündigung in der für wechselnde Kollabo- «Marie Flore» von Joan schen Musik, die später auf der ganzen Welt Tanzflächen Nacht vom 3. Oktober auf rationen zusammengefun- Baez. Die Pariserin spielt und Herzen zum Glühen brachte. Auch in Afrika. In den Youtube. Die Reaktionen den. Während die Tochter allerding keinen Folk, son- 30er-Jahren begannen die Ableger europäischer Plattenfir- kamen schnell und heftig. von Jazzbassist Charlie dern modernen Chanson- men vor allem die französischen und belgischen Kolonien «The most beautiful songs Haden sich schon als Mit- Pop mit Piano, elektroni- mit karibischen Klängen zu versorgen. Ein Kreis schloss he has ever recorded», ti- glied von Tito & Tarantu- schen Beats und Effekten. sich: Die während ihrer langen Jahre und ihrem jahrhun- telte der «Guardian» nur la oder den Decemberists Nachdem sie anfänglich dertelangen Exil mutierten Rhythmen kehrten zurück in Stunden später. «Mich ausgezeichnet hat, schätzt auf Englisch sang, hat sie ihre Heimat, und offensichtlich waren ihre Wurzeln noch langweilts, und das Syn- man Kozelek insbesondere für ihr zweites Album nun erkennbar genug. Anders lässt es sich nicht erklären, dass thie-Wywäwü tut mir weh als Frontmann von Sun Kil komplett auf Französisch so viele kongolesische Musiker sich darauf stürzten und sie im Kopf», meldete meine Moon und der Indie-Ro- gewechselt. Die zwölf so stilsicher und kreativ für sich vereinnahmten. Spätere Schwester. Ein paar Hör- cker Red House Painters. Songs von «Braquage» Superstars wie Papa Wemba, Franco, Tabu Ley und der durchgänge später bleibt Auf ihrem ersten gemeinsa- widmen sich alle der Liebe: unvergleichliche Gitarrist Dr. Nico begannen ihre Karrie- der Eindruck: Es ist eine men Album, «Joey Always der leidenschaftlichen Lie- ren in dieser Zeit des Aufbruchs. erschütternde Platte. Nicht, Smiled», sind die Rollen be, der enttäuschten und Die andere Geschichte ist politisch und wird im 50 Seiten weil man Caves Kopfstim- klar verteilt: Im Fokus steht verratenen Liebe. «Es sind starken Booklet nacherzählt: Die letzten Jahre, 1955 bis me mitanhören muss. Son- Kozelek, der die sieben zwölf Fotos von einer sehr 1962, der belgischen Kolonie Kongo, Unrecht, Ausbeu- dern weil er hier trauert teils fast zwanzig Minuten spezifischen Geschichte, die tung, Unterdrückung und Unabhängigkeitsbestrebungen und Trost und einen Weg langen und minimalistisch ich erlebt habe. Es ist ein und Aufbruchsstimmungen. Die Musik lieferte den Sound- zum Weitermachen sucht. arrangierten Tracks im kleiner Bericht, den ich von track nicht nur für die Partys der weissen Kolonisten und Musikalisch ähnelte bisher sinnierenden Sprechgesang Tag zu Tag von den Ereig- des angepassten schwarzen Bürgertums, sondern auch für kein Bad-Seeds-Album so absolviert. In Songs wie nissen geschrieben habe», Bars, Hinterhöfe und Strassen. sehr seinem Vorgänger wie «Parakeet Prison» oder sagt sie. Es sind sinnliche, Zwischen all den afrokaribischen Polyrhythmen klingt dieses hier. Doch wo die «Rest In Peace R Lee Er- trotzige, ironische und ver- immer wieder auch die Entspanntheit an, die zum Mar- Songs auf «Skeleton Tree» mey» präsentiert sich der führerische Songs, mit «Pas kenzeichen eines Dr. Nico wurde und ihn zu einer Art vor dem Tod von Caves 52-Jährige als mäandrie- Envie», «M’en Veux Pas» Country-Musiker Afrikas machen sollte. Auch für diesen Sohn geschrieben und da- render Tagebucherzähler, und «Partie Remise» als Einfluss liefert das Booklet von «Congo Revolutions» eine nach im Schockzustand der sich an den Rücktritt schönste Überraschungen mögliche Begründung: Westernfilme waren im Kongo so aufgenommen worden wa- von Nixon und seinen ers- auf einem Album, das sich beliebt, dass der Cowboyhut zum Mode-Accessoire für ren, hören wir hier Lieder, ten Konzertbesuch bei den in verschiedene Richtun- junge, «Bils» genannte Männer wurde. die ein Vater nach dem Doobie Brothers erinnert gen wagt. Damit spielt sich Mit «Nigeria Soul Power 70» macht das britische Label Tod seines Kindes verfasst und über Kubricks «Full Marie-Flore in die erste Soul Jazz Records einen Sprung in den Norden, in die hat. Und diese Lieder sind Metal Jacket» reflektiert. Reihe der neuen französi- 70er-Jahre und in eine ganz andere Form von musikali- herzzerreissend. Ob sie uns Die Aufgabe von Petra schen Sängerinnen wie Ju- schen Fusionen: 14 kraftvolle und höchst tanzbare Tracks, gefallen oder nicht: Haupt- Haden (48) ist es derweil, liette Armanet oder Clara die Afrobeat, High Life und Fuji vermengen mit Funk, sache, sie helfen. Wir dür- die Lieder mit atmosphä- Luciani. Soul, Disco und Rock. Mit ganzen vier Tracks vertreten ist fen «Ghosteen» hören oder rischen Melodien und en- Gerlado Pino, dessen Verdienst es war, in den 60er-Jahren es lassen. Was mich betrifft: gelsgleichen Harmonien anz. den Funk von James Brown in die nigerianische Musik In Dauerrotation werde ich zu ummalen. Sieht man eingeführt zu haben. Mit Erfolg: Pino wurde ein Star, und diese Platte nicht nehmen. vom abschliessenden und seine Konzerte sollen auch für den jungen Fela Kuti ein Aber froh sein, dass sie in erstaunlich eingängigen Schlüsselerlebnis gewesen sein. Der Erfolg eben dieses Fela der Sammlung steht, wenn Huey-Lewis-Cover («The Kuti jedoch brachte Pinos Stern im Lauf der 70er-Jahre ich sie brauche. Power of Love») ab, ver- zum Erlöschen. Es ist das Verdienst von Compilations wie langt das Werk eine hohe «Nigeria Soul Power 70», den ganzen Reichtum der nige- ash. Aufmerksamkeitsspanne. rianischen Musik, die lange im Schatten von Afro Beat und Und das ist auch gut so. Juju stand, auszugraben und aufzuarbeiten. mig. Christian Gasser DIE NEUEN PLATTEN London Hotline Für einmal wird es dem Schreiber dieser Zeilen nicht schwer fallen, sein Album des Jahres zu küren. Es heisst «2020» und stammt von Richard Dawson. Wir treffen Richard in einem neuen Hipsterhotel in Bethnal Green, das perverserweise den durch und durch nach Obdachlo- senherberge duftenden Namen «Mama Shelter» trägt. Ri- Sin Fang Curse of Lono Foals chard ist ein jovialer Geordie aus Newcastle, an dem die Sad Party 4am and Counting Everything Not Saved supercoole Ambiance der Lounge abtropft wie das sprich- (Morr Music) (Submarine Cat Records) Will Be Lost Part 2 wörtliche Wasser vom Rücken einer Ente. Den feinen Pul- (Warner) lover habe er von einem Freund ausgeliehen, sagt er. Als Drei Jahre lang hat sich «4am And Counting» hat er ihn nach vielen Jahren habe zurückgeben wollen, hätte Sindri Már Sigfússon, kurz mich durch den Sommer Wie der Titel besagt, bein- sich dieser geweigert, ihn zurückzunehmen – «so, wie der Sin Fang, für sein fünftes begleitet. Curse of Lono, haltet das vorliegende Al- jetzt aussieht». Beim Mittagessen hat es der neue Besitzer Soloalbum Zeit gelassen. deren erste beiden Alben bum die zweite Hälfte der geschafft, dem subtilen Muster mit einem Saucen-Klecks Beim letzten Werk «Space- von der britischen Presse Lieder, welche die Mannen eine zusätzliche, individuelle und leicht dissonante Note land» unterstützten ihn wohlwollend rezensiert um Yannis Philippakis in zu verpassen. Wenn der Pulli vertont würde, klänge er wie noch einige Sängerinnen worden waren, haben ihre den letzten zweieinhalb eine von Johnny Rottens Lieblingsbands, nämlich Van der und Sängeri, nun macht er besten Songs neu arran- Jahren eingespielt haben. Graaf Generator. In der Tat kommt mir auch beim Anhören alles selber. Was schade ist. giert und im Londoner Toe Teil eins erschien im Früh- von «2020» als erstes diese Combo in den Sinn. Die Stim- Denn sein doch eher dün- Rag Studio nochmals ein- ling, verkaufte sich in hit- mung ist roh, die Melodien springen hin und her zwischen nes Stimmchen trägt die gespielt. Live, ohne Tricks. paradenwürdigen Zahlen folkiger Süffigkeit und sperriger Eckigkeit, die ins Detail wenigsten Songs richtig. Diese Versionen unterschei- und garantierte eine flä- durchkomponierte Musik wagt wilde Sprünge, die mehr als Beim britpoppigen «Hap- den sich deutlich von den chendeckende Präsenz auf einmal im Todesmetalligen landen, doch aber auch sanft piness» mag das noch ge- bereits veröffentlichten, den grösseren Festivalbüh- durchs Zimmer schimmern können wie die Morgensonne. hen, beim gehauchten «Ne- sie haben an musikalischer nen des Sommers. Ein Teil Für Seventies-Nerds seien hier auch noch die Koordinaten ver Who I Wanna Be» auch Eindringlichkeit gewon- zwei war nötig geworden, Henry Cow, Kevin Coyne und Watersons erwähnt. Richard irgendwie. Bei anderem wie nen. Songschreiber Felix weil die Band nach einer selber möchte dazu die finnische Band Circle sowie Sun Ra «Hollow» oder dem flot- Bechtolsheimers Trümp- Umbesetzung frischen kre- und die «knurrigen» Crazy-Horse-Sachen von Neil Young ten «No Summer» ist die fe sind folkige, melodi- ativen Wind in den Segeln in die Waagschale geworfen wissen. Keines dieser Vorbilder Stimme eher nervig. Okay, sche, bittersüsse Kleinode, spürte und sich zudem von hat allerdings je ein Album wie «2020» gemacht. Zum Bei- das ist Geschmackssache, geprägt von Hoffnung, den ökologischen Tragödi- spiel hat Richard alle Instrumente selber gespielt. Auch das andere Hörer werden die Ehrgeiz und schwarzem en und Katastrophen der Schlagzeug, obwohl er das eigentlich gar nicht kann. Mit Stimme eventuell unauf- Humor. Mit seiner fünf- letzten Zeit dazu getrieben zwölf Jahren habe er vom Schlagzeugern geträumt, aber die dringlich finden. köpfigen Americana-Band fühlte, ihre diesbezüglichen Eltern hätten ihm zum Geburtstag partout kein Drumkit Musikalisch ist das alles entfacht der Sänger und Gi- Ängste in musikalische schenken wollen: «Ich bekam dafür eine Gitarre, das war recht gefälliger Indie-Pop, tarrist eine Magie, die schon Warnungen umzusetzen. auch okay.» In Wirklichkeit habe er keinerlei Talent dazu. der gut ins Ohr geht, aber das erste Stück, «Tell Me Wie schon Teil 1 bietet «Aber mir gefiel das Reine an der Idee, alles selber zu spie- auch nicht wirklich hängen About Your Love», durch- auch die Fortsetzung aller- len und dann, ganz am Schluss erst, einige Freunde zum bleibt. Leider. Am besten dringt. Ein schlichter Song, hand erhebende Momente, Mitsingen einzuladen.» Der Moment, als sie ins Lied ein- gefällt da noch der Breit- der von intimen Momenten die sich ebenso vergnüglich stimmen – es heisst «Dead Dog in an Alleyway» –, sei ein wand-Sound des Opener erzählt und sich ins Ohr beim Einnachten live an Schlüsselmoment: «Es steckt darin die Hoffnung, dass die- «Planet Arfth». schleicht. In einer anderen einem Indie-Festival wie ses Gemeinschaftliche die Plattform ist für das, was nachher Welt müsste er ebenso ein ab Konserve beim Kochen kommt, das nächste Album, der nächste Lebensabschnitt.» tb. Hit werden wie die Lou- geniessen lassen. Speziell zu «2020» ist eine Art Kurzgeschichtensammlung. Jeder Song Reed-Hommage «Black- nennen wäre da der quir- handelt von einer anderen Situation im zeitgenössischen out Fever» oder «Way To lige Hi-Life-Groove von Grossbritannien. Vom Beamten zum Beispiel, der den Job Mars». Das swingt und «Wash Off», das fernwe- hasst und davon träumt, dem Boss den Schädel einzuschla- gefällt. Der relaxte Stil von hafte «10’000 Feet» und gen, vom Fussballer, der Lionel Messi sein möchte, oder «I’d Start a War for You» das Widescreen-Drama von den Kurden, denen einer mit einem Pflasterstein das erinnert an die frühen Dire von «Neptune». Die Tex- Fenster eingeworfen hat. Straits. Als Kontrast bieten te treffen ins Schwarze des Übrigens hat Richard noch eine zweite Band, sie heisst Curse of Lono den sanften, Zeitgeistes, die Musik ist Hen Ogledd und kredenzt poppigere Klänge. Und Colla- mehrstimmig gesungenen abwechslungsreich und gen fertigt der bekennenden Newcastle-United-Supporter Country-Song «Pick Up mit allen Mitteln moderner ebenfalls an. Das Cover von «2020» stammt aus seiner the Pieces» an, mit bluesi- Rockstudiotechnologie ge- Werkstatt. Aus der Ferne sieht es aus wie eine Landkarte. ger Gitarre (Joe Hazell) als schustert. Die Intentionen Von Nahem ist es eine Montage von verschnipselten Archi- Sahnehäubchen. Tolle Plat- und der Mut, im gleichen tekturplänen. Und Interviews mit ihm sind sauteuer: Näm- te, mit subtilen Beiträgen Jahr zwei Alben zu veröf- lich hat er etliche Jahre in einem Plattenladen gearbeitet der Gastmusiker BJ Cole fentlichen, sind durchwegs («meine Universität») und schickt einen mit einer langen (Pedal-Steel) und Nick Rey- löblich, der Rest ist Ge- Liste von Alben nach Hause, die man unbedingt auch noch nold (Harmonika). schmacksache. kaufen muss…

tl. hpk. Hanspeter Künzler Inserat in der Loop vom 25.10.2019 SZENE Konzerte 25.10.2019 bis 5.12.2019 IG Rote Fabrik Seestrasse 395 8038 Zürich

[email protected] 2.11. 20Uhr20 Gessner-Allee 11 8001 Zurigo Isola Sa. 26.10.19 Aktionshalle 21:00 Tel. 044 JOLLY485 58 58 & THE FLYTRAP www.ellokal.ch Woo-Hah! Fax. 044Montag 485 58 4.11. 59 20Uhr20 NED COLLETTE MR. EAZI Trap King Chrome, Silly Walks Discotheque Sonntag 10.11. 20Uhr20 GIIGESTUBETE Sonntag, 3.11. + ERIC ANDERSEN 15.12. 18Uhr18 Di. 29.10.19 Ziegel oh Lac 20:30 FEAT. SCARLET RIVERA Ziischtigmusig Montag 18.11. 20Uhr20 MAXI PONGRATZ JODLEREI MARS RED SKY Sonntag, 24.11. + Samstag 23.11. 20Uhr20 15.12. 18Uhr18 & Support C.W. STONEKING Fr. 8.11.19 Aktionshalle 21:00 Montag 25.11. 20Uhr20 Enter the Dancehall STEVE WYNN TICKETS: + CHRIS CACAVAS Erhältlich direkt JESSE ROYAL am el Lokalen Samstag 30.11. 20Uhr20 Naomi Cowan, Boss Hi-Fi Tresen und auf GIANT SAND ticketino.com Di. 12.11.19 Ziegel oh Lac 20:30 Ziischtigmusig ORVILLE PECK LIVE SALZHAUS & Support

Mi. 13.11.19 Aktionshalle 20:00 08/11 A Thousand Leaves ML CASS MCCOMBS TINARIWEN Katy J Pearson TUAREG-BLUES 20 Uhr/CHF 38.– Sa. 23.11.19 Aktionshalle 21:00 Enter the Dancehall MICAH SHEMAIAH & THE 11/11 DREADITES / LILA IKÉ BEING AS Boss Hi-Fi US Mi. 27.11.19 Aktionshalle 20:00 AN OCEAN A Thousand Leaves ROCK/HARDCORE VANCOUVER SLEEP CLINIC 19 Uhr/CHF 32.– & Support

17/11 Do. 28.11.19 Aktionshalle 20:00 US Sugarshit Sharp ANDY MCKEE L` ÉPÉE ACOUSTIC/FOLK & Support 19 Uhr/CHF 40.– Fr. 29.11.19 - Sa. 30.11.19 19:00 Clubraum & Fabriktheater UNERHÖRT 19 22/11 Ein Zürcher Jazzfestival CH TRAKTORKESTAR Vorverkauf: www.starticket.ch & STEPHAN EICHER Eintritt frei für Personen des Asylbereichs. Nur solange verfügbar. Ausweis N/F vorweisen. CHANSON/BALKAN-BRASS 19 Uhr/CHF 40.– Suedpol_09__2019_Verlsog_64x64.qxp_SMT_Verlosung_

Verlosung 2 x 2 Tickets Waclaw Zimpel Rabih Beaini Fr, 15. Nov. 2019, Südpol, LU Teilnahme: Mail: [email protected] / Post: Musikzeitung Loop, c/o M. Müller, Kirchweg 2, 8755 Ennenda Einsendeschluss: Do, 06. Nov. ‘19, 19:19 h DIE NEUEN PLATTEN

Comet Gain Souad Massi One Eleven girl in red Clipping Fireraisers, Forever! Oumniya Heavy beginnings There Existed an (Tapete/Irascible) (Naive) Desire Path (Radicalis) Addiction to Blood (Beyond Beyond Is Beyond) (Sub Pop/Irascible) Über das letzte Album Die algerische Sängerin «I’m Marie, twenty years sagte Bandgründer und tauchte 2001 erstmals mit Seltsam, dass mich der hyp- old and from Norway. I The horror, the horror! Das Hauptsongschreiber David dem Debüt «Raoui» auf. notische Groove des ers- write, record and produce Grauen ist hier sehr schnell Feck, dass es eine «sanfte, Nach dem zweiten Al- ten Songs («Chickenshit») everything in my room.» spürbar, selbst dann, wenn melancholische Umarmung bum füllte sie bereits das irgendwie an die mittlere So viel zum Selbstverständ- man sich nur kurz in das um zwei Uhr morgens» Olympia in Paris. Und Phase (1973-75) der wali- nis von Marie Ulven alias neue Album der Rap- gewesen sei. Fünf Jahre ist wie immer schafft Souad sischen Psych-Rocker Man girl in red. Nach diversen Avantgarde-Band Clipping das her. «Fireraisers, Fore- Massi auch auf dem neuen erinnert. Oder an einen Mix EPs mit offenherzigen Titel reinskippen möchte. Denn ver!» zeigt nun aber, dass Werk den Spagat zwischen aus kosmischem Jam (die wie «bad idea!», «i’ll die nach einem Intro wartet Comet Gain auch nach Pop, Folk und arabischen Grateful Dead von «Euro- anyway» oder «i need to be gleich die Single «Nothing 27 Jahren Bandgeschichte Sounds spielerisch und pe ’72») und handfestem alone» hat die Singer/Song- Is Safe». Hier berichtet der und acht Alben noch wü- könnte dabei auch gerne Boogie (Hot Tuna). Neben writerin jetzt ihren ersten Rapper Daveed Diggs von tend auf die Welt blicken mal als algerische Joan Westcoast- respektive Sou- Longplayer veröffentlicht. einem bewaffneten Über- können. Gleich zu Beginn Baez oder Tracy Chapman thern-Rock mit zwei jubi- Das Resultat bietet die fall auf ein Waffenlager, rotzt Rachel Evans, die durchgehen. «Oumniya» lierenden Gitarren (Nick Ängste der Generation Z und zwar so dicht, dass es sich mit Feck den Gesang («Mein Wunsch») ist ihr Mitchell Maiato, James in LoFi und mit Schrum- der Hörerschaft angst und teilt, los: «We are all fu- sechstes Album, auf dem Jackson Toth) und Honky- melgitarren. Wer sich an bange werden muss. Die cking morrons!» «To all sie sich mit der aktuellen Tonk-Piano (Hans Chew) Katy Perrys «I Kissed a Musik? Sie beschränkt sich the Thatcher’s children», Lage in Algerien beschäf- finden sich im Sound der Girl» von 2008 erinnert, in diesem Track auf eine Pi- singt sie in ihrer politischen tigt. In «Fi Bali» geht es aus zwei Briten und drei bekommt hier den real deal anofigur und einzelne Syn- Bestandesaufnahme, «you zum Beispiel um korrupte Amis bestehenden One inklusive Zweifeln vorge- thies. Doch der Beat lauert, can take your gold with Oligarchen. Andere Titel Eleven Heavy auch Spuren setzt: In «i wanna be your bis er doch noch angreift. you.» Nach diesem wilden beleuchten die verfahre- von Psychedelia. Zuweilen girlfriend» singt girl in red Bereits hier wird klar, dass Rocker kann man nur noch ne Situation im Land, das tendiert die Band auch zum ebenfalls vom Wunsch, die es bei der Blutrünstigkeit mit einem lauten «Hell zwar seit 1962 unabhängig kontrollierten Noise Rock à Lippen einer Frau zu küs- des Albumtitels nicht um Yeah!» antworten. Auch ist, aber von einer Krise in la Royal Trux (deren Bas- sen. Allerdings nicht aus Vampire geht. Sondern um Feck feuert Breitseite um die nächste schlittert. Auch sist Dan Brown spielt hier Zeitvertreib, sondern aus Gewalt in den amerikani- Breitseite ab und wettert im die Zwangsheirat junger mit) oder zur Elastizität Lust und Liebe. Klanglich schen Städten und Suburbs, fünfminütigen Fiebertraum Mädchen ist ein Thema von Phish. Mit seinen aus- erinnern die zehn Songs an um den «gangster shit», der «Bad Night at the Mousta- für die engagierte Sängerin. gelassenen Riffs und funky den leicht verschrobenen in «Club Down» besungen che» gegen die «Konföde- Neben arabischen Stücken Rhythmen klingt «Stir» wie Sound der Marine Girls wird, und um apokalyp- ration der Dummköpfe». gibt es dieses Mal auch ein Bastard aus The Band um Tracy Thorn, bloss tisch wirkenden Noise. Und er macht sich auf zwei französische zu hö- und den Stones von «Sti- zeigt die Skandinavierin Natürlich nutzt sich der die punkigste aller Arten ren: «Je chante» stammt im cky Fingers», auch «Mar- eine etwas grössere Nähe Horror mit zunehmender Hoffnung: «If we all spit Original von Magyd Cher- di Gras» klingt eher nach zum Mainstream. Ihre un- Dauer des Albums auch ab, together, we can drown the fi. Den kennen Fans franzö- Dartford als nach New Or- prätentiösen Lieder brei- aber man hört immer noch bastards.» Indie und Ga- sischer Musik eventuell als leans. Trickreich und clever ten Ulvens Gedankenwelt zu. Weil die minimalen rage Rock, psychedelische Sänger der famosen Polit- kitzeln die Gitarristen ihre aus und erzählen von den Beats ungeheuer geschickt Färbungen und seltener Ska-Band Zebda. Saiten, die Songtexte erzäh- vertanen Stunden, gleich- programmiert sind. Und auch mal ein schön melodi- len von guten oder schlech- geschlechtlicher Liebe und man folgt Clipping bis zum öser Pop-Moment sind die tb. ten Zeiten. Der «Fickle stupiden Einfällen. Und Schloss, wenn ein Klavier musikalischen Mittel für Wind» streift uns wie eine das so ungestüm, dass das über eine Viertelstunde in die Attacken. Comet Gain trügerische Illusion. Im Ver- girl in red von den Medien Flammen steht. Es ist das beweisen mit «Fireraisers, gleich zum letztjährigen De- mittlerweile als «queer icon einzige Licht auf diesem Forver!», dass sie auch als büt («Everything’s Better») for queer teenagers» gehypt Album. gealterte Indie-Veteranen präsentiert sich das trans- wird. Durchaus nachvoll- noch sehr vital und absolut atlantische Cosmic-Ameri- ziehbar. bs. im Jetzt sein können. cana-Quintett auf «Desire Path» in jeder Hinsicht (Zu- mig. anz. sammenspiel, Songwriting, Arrangements) verbessert.

tl. DIE NEUEN PLATTEN Schammasch Schammasch aus Basel sind eine absolut erstaunliche Band. Seit fünf Jahren veröffentlichen die Hohepriester des Post/ Black-Metals ihre Platten auf dem US-Label Prosthetic Re- cords, touren quer durch Europa, werden in unzähligen Metal-Magazinen abgefeiert, liefern mit dem Triple-Album «Triangle» ein hochgelobtes Meisterwerk ab – und bleiben doch weit unterm Radar der hiesigen Musikintelligenzija. Kaputt Zap Mama No Me Coman Zwar räumten Schammasch vor zwei Jahren zusammen Carnage Hall Adventures The Tide mit Zeal & Ardor den Basler Pop-Preis ab, aber sonst lässt (Upset The Rhythm) in Afropea (Salvation Records) die Musikschweiz ihre Finger von diesem mächtigen, be- (Crammed) schwörenden und spirituellen Universum der vier Musiker Die Songs von Kaputt ken- Mächtig die Riffs, die aus um Mastermind C.S.R. nen nur zwei Geschwin- 28 Jahre ist es schon her, seit diesem Album quellen – Nach «Triangle» (2016) und der einzigartigen EP «The digkeiten: sehr schnell und dieses wegweisende Album und dick die Wolken psy- Maldoror Chants: Hermaphrodite» (2017) liegt mit schnell, wobei sie gerne erschienen ist. Nach «Ad- chedelischen Qualms! No «Heart of No Light» das vierte Langeisen der Band auf mittendrin auch mal einen ventures in Afropea», das Me Coman kommen aus dem Altar. Wieder ist es ein Konzeptalbum. Diesmal zer- Full Stop setzen. Kaputt ist damals noch den schlichten Winterthur, die fünf Köpfe stört Schammasch, dieser Lichtbringer (in der babyloni- ja eines dieser deutschen Titel «Zap Mama» trug, haben überdies Wurzeln schen Mythologie), sein sorgfältig errichtetes Gemäuer. Wörter, die sich ins Eng- galten Zap Mama als Sen- in Argentinien, Kolumbi- Es dringt kein Licht mehr vor in das verlorene Herz; die lische geschlichen haben, sation; die fünf Frauen wa- en, Frankreich und Spani- Transformation bleibt stecken. Doch «Heart of No Light» und ist dort eine etwas ren für einen Grammy no- en, und ihr zweites Album dreht sich nicht im Kreis, sondern sinkt hinab in den tiefs- freundlichere Art zu sagen, miniert, und die Band aus erscheint beim gleichen ten Abgrund: Musik und Lyrics sind roher als noch auf dass alles «fucked up» ist. Brüssel eroberte auch den Liverpooler Label, das «Triangle». Songs wie «I Burn Within You», «Katabasis» Die sechsköpfige Band aus deutschsprachigen Raum schon Klaus Johann Gro- oder «Quadmon’s Heir» (das Erbe des Ur-Adams in der jü- Glasgow findet das durch- mit ihren Sounds im Sturm. be in die weite Welt trug. dischen Kabbala-Mystik) preschen unterschwellig aggres- aus auch über Grossbritan- Nun ist das Debüt zum ers- Auf der ersten Vinyl-Seite siv und brutal intensiv aus den Boxen. Der heilige Zorn nien und setzt den unruhi- ten Mal auf Vinyl erschie- finden sich lauter Songs kommt über uns. Aber eine Hymne gibt es auf jedem Al- gen Zeiten Post-Punk-Riffs, nen. Und dieses – weitge- mit englischen Titeln, Sei- bum der Band: «Ego Sum Omega» heisst sie hier. Während Stakkato-Beats und energe- hende – A-Cappella-Album te zwei wirft auch noch in der biblischen Apokalypse von «Ich bin Anfang UND tische Rhythmen entgegen. nichts von seiner Klasse ein paar Sätze Spanisch in Ende» die Rede ist, bleibt hier nur das Ende: Ich bin das Sie erinnern mit ihrem Post und Dringlichkeit verlo- den Hash-Brownie-Mix. Ende, Omega, gebaut aus Knochen. Oder mit den Worten Punk an Devo, Talking ren. Angeführt von der Seite eins ist psychedelisch von C.S.R.: «Das ICH ist das Ende. Im Kern geht es auf Heads und The Rezillos, Hauptkomponistin Marie gelaunt, kombiniert wüst- dem Album um die Zerstörung des Alten.» Wer «Hearts Sänger Cal Donnelly mit Daulne, verschmelzen Zap schöne Verzerrungen mit of No Light» integral bis zum Ende durchhört, wird Zeuge seiner Mischung aus gesun- Mama chorhafte Gesänge repetitiven, minimalisti- davon. Schammasch erreichen eine Intensität, die so rei- genen Melodien, Talk-Pas- mit kongolesischem Pop. schen Grooves und gönnt nigend wie erleuchtend ist. Im Song «Rays Like Razors» sagen und Parolen auch an Französisches und Arabi- sich zwischen den erdbo- heisst das Mantra: «Diese Feuer jenseits des Todes werden die frühen Chumbawamba. sches fliesst ebenso ein wie dentiefen Riffs auch mal niemals wieder aufsteigen» – der Lichtbringer Schammasch «Carnage Hall», das Debüt Experimentelles. Zu hören einen stilleren Moment. wird kein Licht mehr bringen, das Alte ist zerstört. Was der Band, vibriert mit cle- sind 56 Minuten grosse Das abschliessende «Won’t wird folgen? Ganz am Ende ist da doch dieser 15-Minuten- veren musikalischen Einfäl- Vocalkunst, verspielt, origi- Forgive Nor Forget» könn- Track «Innermost, Lowermost Abyss», eine Meditation len, Perkussionistin Emma nell, ans Herz gehend. te auch von den frühen auf den Abgrund, stellenweise ein Flamenco-beseelter Flug rappelt und klappert, und Den Begriff Afropea hat Amon Düül 2 stammen über andalusische Weiten, immer weiter, und dann rauf in das Saxofon von Chrissy Marie Daulne wohl eher und definiert den Coman- eine Höhle, wo geheimes Wissen uns erlöst. Das Alte mag Barnacle setzt die richtigen später gemeinsam mit Sound aufs Wüsteste. Man zerstört sein, die Sehnsucht nach Erlösung ist es nicht. Reizpunkte. Kaputt zeigen, David Byrne geprägt, um vermutet, darin irgendwo Im Dezember folgt die Live-Premiere der Band in den USA, dass, wenn alles «kaputt» damit die aufeinanderpral- auch noch ein Cello zu im Januar eine Europatournee mit Enthroned. Und danach ist, man trotzdem mit Mu- lenden Kontinente Afrika orten, und die letzten paar und bis auf weiteres bleiben Schammasch diejenige Band, sik gehörig Spass haben und Europa zu umschrei- Takte klingen sogar regel- die das kosmische Hintergrundrauschen empfangen und kann. ben. 1994 folgte übrigens recht verträumt. Seite zwei vertonen wird. More than Metal. Hier geht es – und das ist noch ein zweites Werk, ehe rockt eine Spur härter. Sie der Kunst heute abhanden gekommen – um alles. anz. Marie als Zap Mama mehr beginnt mit «Nos Quie- oder weniger alleine wei- ren Callar» ein bisschen Chrigel Fisch termachte. wie Echo & The Bunny- men, dann kommen aber Schammasch: «Hearts Of No Light» (Prosthetic Records) tb. die arabisch angehauchten Plattentaufe: 8.11., Sommercasino, Basel Riffs, und der Sound stürzt wie glühende Lava aus den Lautsprechern. Im doppel- ten Sinn des Wortes eine Wucht.

hpk. DIE NEUEN PLATTEN 45 Prince Wir haben diesem Mann aus Stockholm schon so vieles zu verdanken. Dixie Buzzards, The Blacks, oder Reverend Savage sind nur einige seiner Bands, die immer mal wie- der den Weg unter die Nadel finden. Zusammen mit sei- nem Bruder betrieb er auch das Label Savage Records und brachte den Gospel von so unverzichtbaren Bands wie The Fabienne North Bölzer Persuaders, Demons Claws oder Scat Rag Boosters unter DelSol Mississippi Lese Majesty die Leute. Und sie lieferten auch alle Geschichten zu ihren Four Allstars (Lightning & Sons/Aisa) Bands und der ganzen Szene mit ihrem damals unverzicht- (Damaged Goods/Irascible) Up and Rolling baren Savage Magazine und neuerdings eher sporadisch (New West) Bölzer tönen, wie sie heis- mit der gleichnamigen Website. Sein neustes Projekt ist die Ein ebenso unerwartetes sen. Das Duo besteht aus Martin Savage Gang. Ebenfalls unendlich viele beste Zei- wie willkommenes Come- Ein animiertes Riff von Drummer Fabian Wyrsch ten haben wir Shady & The Vamp zu verdanken, die hier back: Nach neunjähriger Luthers Gitarre, der kon- und Sänger/Gitarrist Okoi die Backing Gang stellen. Kennen gelernt hat man sich am Sendepause meldet sich Fa- sistente Beat seines Bruders Jones, der eine zehnsaitige legendären Goner-Festival in Memphis dank der amerika- bienne DelSol mit «Four» Cody und der neue Bassist Sonderanfertigung spielt nischen Gepflogenheit, dass Schweden und Schweiz gerne zurück. Und knüpft da an, Carl Dufrene schicken das und damit untenraus bol- verwechselt werden. Eingeladen für ein paar Konzerte wo sie 2010 aufgehört hat: dahinfliessende Titelstück lert, sodass niemand ei- in die Schweiz fiel die Band von Martin Savage aus, und Nach wie vor zeigt sich die auf die Reise, bis Sängerin nen Bass vermisst. Wie Shady übernahm kurzerhand. Es folgten zwei gemeinsame Französin den Sixties, dem Sharisse Norman einsteigt Schammasch sind Bölzer Touren durch die USA und zwei weitere durch Europa. In britischen Beat und Yé-Yé- und singt: «Grew up a Mis- eine Schweizer Extreme- Nashville aufgenommene Songs fanden den Weg auf eine Vorbildern ihrer Heimat sissippi hippie tripping LSD Metal-Band, mit der man 10-Inch, hier sind die druckvolleren Aufnahmen aus Tou- wie Françoise Hardy oder / Smoking stems in season, im Ausland angeben kann. louse zu hören, vorerst nur als Kassette erhältlich waren. France Gall verpflichtet. drinking mushroom tea / Doch wo Schammasch in «Goodnite Johnny» hat den süchtig machenden, unange- Die elf Songs neigen zur We drinking mushroom liturgischen Gewändern strengten Rock-Groove einer Soledad-Brothers-Platte, er- leichten Psychedelik und tea.» Ein Song über gute auftreten, tragen Bölzer laubt sich aber mit einem sägenden Gitarrensolo im Vor- stehen zu ihrer Vorliebe Zeiten, über unbeschwerten Lederwesten. Entspre- dergrund und heiser machendem Gesang im Hintergrund, für Musik vergangener Spass. Inspiriert wurde das chend animalisch wüten den Punk mitten im entspannten Kopfnicken zuzulassen. Tage, sind aber so knackig zehnte Album der North die Zürcher in brachialer Eine King-Louie-Ballade mit Orgel hallt in den Gehörgän- produziert, dass sie nie Mississippi Allstars von ei- Raserei. «Lese Majesty» gen ebenso nach wie der perfekt angerichtete Powerpop in wie Überbleibsel von anno ner vergessenen Rolle mit (Majestätsbeleidigung) ist «Momma’s Place». Und im Pub-Rocker «Modern Times» dazumal wirken. Der ers- Fotos. Die Bilder von Lu- die vierte EP und folgt drei wird auch noch Hot Rods R’n’R inklusive Piano gefeiert. te Track, «See How They ther und Cody Dickinson Jahre nach dem einzigen Dieses Gold ist erschienen auf Push My Button, wo auch Run», wartet mit fuzzig- wurden im Jahr 1996 vom Longplayer «Hero». Die die Viagra Boys beheimatet sind, die kürzlich in Winter- warmer Gitarre auf, das texanischen Fotografen Wy- drei langen Songs und das thur mehr Rave als R’n’R spielten. Für diesen verlorenen nachfolgende «Ladder» att McSpadden im nördli- kurze Zwischenspiel lassen Abend wird uns die Martin Savage Gang bestimmt mehr könnte zwar auch dem chen Mississippi aufgenom- Fans die Fortführung des als fürstlich entschädigen, wenn sie im Dezember live in Repertoire einer Claudine men. Einen Monat später «Hero»-Sounds miterleben Luzern und Zürich spielt. Longet entstammen, zeigt gaben die Allstars ihr erstes und ermöglichen Neulin- sich aber rockig und ein- Konzert in Memphis. Hill- gen einen vergleichsweise Philipp Niederberger lullend zugleich. DelSol Country-Blues diente ihnen niederschwelligen Einstieg. singt entschlossen, versteht als Ausgangspunkt für Im- Denn anders als auf dem es jedoch auch – quasi auf provisation und Ausflüge Frühwerk wird das Geprü- Kommando – zu säuseln. ins Psychedelische. 2018 gel und die Growls von me- Dass die Sängerin Fran- fand McSpadden die Fotos lodiösem Klargesang un- çoise Hardys «J’ai fait de wieder und kontaktierte die terbrochen. Doch wenn es lui un rêve» covert, mag Dickinson-Brüder. Im fami- abgeht, reissen sie alles mit zwar nicht überraschen, lieneigenen Zebra-Ranch- sich. Gut 29 Minuten dau- doch das Resultat ist ent- Studio versuchten sie, die ert «Lese Majesty», ist also waffnend charmant. Ihre Stimmung der Bilder in Mu- etwa gleich lang wie «Reign Fassung von «When I Awa- sik umzuwandeln. Entstan- In Blood» und ähnlich in- ke», einem frühen Stück den ist die zeitlose Huldi- tensiv. Denn Bölzers Metal von Status Quo, kommt gung dessen, was Vater Jim enthält etwas Unfassbares, hingegen völlig unerwartet: Dickinson «World Boogie» Infernalisches, das Angst Die Version klingt, als ob nannte: Eine Mischung aus und Schrecken verbreitet DelSol zu lange in eine La- Blues, Rock, Soul, Country, und Ehrfurcht gebietet. valampe geguckt hätte, also Gospel. Als Gäste hören wir ziemlich trippy. «Four» Sharde Thomas, Jason Is- ash. bietet nicht hohe Kunst, bell, Mavis Staples, Charles aber farbenfrohe Unterhal- Hodges, Cedric Burnside, tung à gogo. und Duane Betts. mig. tl. SZENE

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Witzeln mit Malcolm Middleton Visionen verwirklichen mit Ned Collette

Malcolm Middleton ist endlich zurück. Und zwar mit seinem siebenhun- Der in Berlin lebende Australier Ned Collette kommt im Trio: Mit dem dertsten Studioalbum «Bananas». Natürlich wieder mal sein wirklich aller- exzellenten Freejazzer Steve Heather an den Drums und seinem langjähri- letztes. Der Singer/Songwriter ist ja dank seiner einstigen Zusammenarbeit gen Bassisten Fredrik Kinbom. Heuer hat er das momumentale Folk-Opus mit Aidan Moffat als Arab Strap ziemlich berühmt. Aber eigentlich will er «Old Chestnut» (2018) im Gepäck, das wegen seiner überraschenden im- nicht immer in der Post-Arab-Strap-Ära verortet sein und wehrt sich mit provisierten Intensität rundum gelobt, bewundert und respektiert wird. Er diversen Projekten dagegen. Für «Bananas» hat sich Middleton das Not- gewann dafür den famosen Pianisten Chris Abrahams von den famosen Jazz-Trio Jeansy, Jones & Smillie an Bord geholt. Das Resultat ist so atem- Nu-Slow-Instrumental-Ambient-Langstück-Jazzern The Necks. Entstan- beraubend wie wunderschön. Fast schon klassisch Middleton. In brand- den ist eine gelungene Melange aus melancholischen Balladen, verwoben neuen Songs wie «Buzz Lightyear Helmet» oder «Piss Off Life, Just Kill mit grosszügigen Instrumentals, die nicht nur die Songs umrahmen und Me Now» (der letzte Titel sei ein Witz) berichtet Malcolm aus der Tiefe des verbinden, sondern auch das Kaliber von Collettes Musikalität sonnenster- Alltags und versucht, die irdische Hölle gewinnbringend zu veräussern. Und neklar zur Geltung bringen. Da geht einer unbeirrbar und kompromisslos das nicht zu knapp. In «Gut Feeling» singt er: «I don’t have a gut feeling, den Weg, seine weitreichende Vision zu verwirklichen und hochkarätiges I’ve got loads and loads of wankers inside my head shouting my gut feeling Songwriting, Improvisation und experimentelle Sounds unfassbar schön zu down.» Himmel-auf-Erden-Pop für Leute, die Pop hassen: Arab Strap ist vereinen. Der ursprünglich aus Melbourne stammende Collette tourte mit tot – es lebe Malcolm Middleton! Verloren, wem mit diesem berührend Joanna Newsom durch Europa und teilte die Bühne mit The National, St. traurigschönen Indie-Pop zwischen schwebenden Balladen und federleich- Vincent, Kurt Vile und Deerhoof. Letztes Jahr erregten seine Arrangements tem Gitarren-Rock nicht geholfen ist. Also, ihr Musikmenschen mit Ohren und Einspielungen anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums von Cat Powers bahn- zum Fühlen, wenn ihr euch nicht ärgern wollt, einen wirklich Grossen der brechendem «Moon Pix»-Album im Sydney Opera House internationales erhabenen Popmusik verpasst zu haben: Let’s Go Bananas! (alp) Aufsehen. Nun beehrt er die Schweiz. (alp)

28.10., El Lokal, Zürich 4.11., El Lokal, Zürich

Naomi Cowan mit Jesse Royal

Die Popularität eines Musikers äussert sich nicht in den erreichten Klick- Drosseln mit Weyes Blood zahlen, sondern lässt sich oft auch am Freundeskreis ablesen. Und in dieser Kategorie ist Jesse Royal top. Bereits zu Schulzeiten befreundete er sich mit Im September war Weyes Blood zu Gast bei . Der kanadische Ziggy Marleys Sohn Daniel Bambata Marley, und auch Szenegrössen wie Radiomoderator überrascht in seinen Youtube-Videos bekanntlich Musi- Chronixx kann er zu seinen Kumpels zählen. Mit seinen Mixtapes «Mi- ker immer wieder mit sehr gezielt ausgewählten Geschenken und profun- sheni» (2012) und «Royally Speaking» (2014) sorgte der Mann mit dem den Kenntnissen ihrer Biografie. Weyes Blood erhielt Konzertposter von königlichen Nachnamen für Furore. Der grosse Durchbruch folgte dann Moby Grape und Alexander «Skip» Spence und stand mit grossen Augen 2017, als er sich mit seinem Debütalbum «Lily of da Valley» an die Spitze und offenem Mund da. Dann erzählte sie von ihren Chor-Erlebnissen als der Billboard-Reggae-Charts katapultierte. Seither hat sich Jesse David Le- Kind, wo sie selten mal eine besondere Rolle erhielt. Heute ist das ganz roy Grey, so sein voller Name, auf das Veröffentlichen von Singles verlegt, anders, über drei Alben hat die Amerikanerin, die gerne mit die er in regelmässigen Abständen herausgibt, zuletzt das Duett «Lionor- verglichen wird, eine sehr eigene Traumwelt geschaffen, die zwischen ex- der» mit Protoje am Gastmikrofon. Und auch für seinen Zürcher Auftritt perimentellem Ambient, Lo-Fi-Noise, Freak Folk und dem Folk-Rock bringt der 30-Jährige mit Naomi Cowan Verstärkung mit. Die ehemalige des Laurel Canyon der Siebziger pendelt. Am Konzert mit ihrer kleinen Miss Teen Jamaica gewann in den vergangenen Jahren gleich mehreren Band warnt sie schon mal: «Wir werden das Tempo jetzt noch weiter run- Reggae-Awards und hat mit «Paradise Plum» einen veritablen Hit am terschrauben. Auf Mid-Tempo folgt Low-Tempo.» Man gibt sich diesen Start, mit dem sie die Tanzbeine ihres Publikums sachte in sanfte Bewegung Tempi gerne hin und begleitet Weyes Blood auf ihrer Reise. Sie hat es weit versetzt – und ein wenig Sonnenschein in den trüben Herbst bringt. (amp) gebracht seit ihren eher durchzogenen Anfängen als Chorsängerin. (anz)

8.11., Rote Fabrik, Zürich 10.11., Rocking Chair, Vevey; 11.11., Bogen F, Zürich NACHTSCHICHT

Rotieren mit Cass McCombs Versinken mit Cate Le Bon

Grundsätzlich sind Algorithmen einem guten Musikgeschmack eher abträg- 2009 trat Cate Le Bon im Zürcher El Lokal alleine mit der akustischen lich. Wer hingegen mit tadellosem Stilbewusstsein ausgestattet ist und des- Gitarre im Vorprogramm von Kurt Wagner (Lambchop) auf. Damals hatte halb beim Streamingdienst seiner Wahl ausschliesslich hochstehende Klänge sie gerade ihr Debütalbum «Me Oh My» veröffentlicht, und kaum jemand anwählt, wird hin und wieder positiv überrascht. Da hört man sich etwa kannte die Waliserin. Seither hat sich Cate Timothy enorm entwickelt und ein Wilco-Album an, und nach Verklingen des letzten Stücks übernimmt die gehört zu den interessantesten Musikerinnen Grossbritanniens. Nach ei- Software – und blendet nahtlos zu einem grossartigen Song über, den man nem längeren Aufenthalt in Los Angeles kehrte die 36-Jährige auf die Insel fast schon vergessen hatte. In diesem Fall eben «Bum Bum Bum» von Cass zurück, mietete sich ein Cottage im Nationalpark Lake District und zim- McCombs aus dem Jahr 2016. Damals veröffentlichte der Kalifornier sein merte in der Einsamkeit Möbel. «Ich lebte wie eine pensionierte Lehrerin», achtes Album «Mangy Love», und in besagtem Lied lässt er seine Gitarre sagt Cate Le Bon, einzig der ältere Vermieter Patrick leistet ihr ab und zu sanft aus den Boxen hallen, während er mit abgeklärter Stimme einen trau- Gesellschaft. Auf einem Second-Hand-Piano komponierte sie neue Songs, rigen Text vorträgt. Anfang Februar hat der 41-Jährige nun den Nachfolger die dann wiederum in L.A. im Studio für das Album «Reward» mit Syn- «Tip of the Spheres» veröffentlicht, auf dem er seinen elektrifizierten Folk thesizern, Saxofon und Perkussion in sehr offen angelegten Arrangements mit feinen, aber dennoch griffigen Siebzigerjahre-Sounds erweitert. Live verfeinert wurden. Auf der Bühne gibt sich Cate Le Bon sehr zurückhal- präsentiert McCombs die neuen Lieder in Quartettformation und schafft tend, versinkt mit stoischem Gesichtsausdruck und durchdringendem Blick einen berückend schönen Soundtrack, den man in der inneren Jukebox ro- komplett in ihren Songs, einzig unterbrochen durch sehr spezielle, Tai-Chi- tieren lässt, wenn man nach dem Konzert nach Hause schwimmt. (amp) artige Handbewegungen und sporadische Ansagen. Aber es braucht auch nicht viel, um im Publikum selber vollständig in die reichen Emotionen 13.11., Rote Fabrik, Zürich ihrer Songs einzutauchen. (anz)

19.11., Bogen F, Zürich Chris Cacavas mit Steve Wynn

Schon mit den legendären Dream Syndicate erneuerte Steve Wynn Mitte der Achtziger das Erbe von Velvet Underground. «Oh, and the year ended with the one and only 2015 show by The Dream Syndicate in 2015 — in Richmond, Virginia. And about 12 hours after walking off stage we went Vertreten mit Sampa the Great into the studio to make our first album since 1988.» Wynn ist so umtriebig wie eh und je. Je oller, desto doller, immerhin feiert Wynn nächstes Jahr Sampa Tembo wurde 1993 in Sambia geboren, zog dann nach Los Angeles seinen 60. Geburtstag: The Dream Syndicate, The Baseball Project, Steve und San Francisco, lebt heute in Sydney und veröffentlicht auf dem Lon- Wynn & The Miracle 3, Steve Wynn solo oder im Duo – langweilig wird doner Label Ninja Tune, das für sein fein ausgewähltes und eklektisches es dem Kalifornier mit Sitz in New York City beileibe nicht. Zwischen den Roster von Elektronik bis Hip-Hop bekannt ist. Sampa the Great ist Rap- Bandprojekten – nach dem Erscheinen des neuen Albums «These Times» perin, aber ihr afrikanisches Erbe prägt ebenso ihren Sound mit üppigen, im Mai dieses Jahres tourt er wieder einmal mit The Dream Syndicate um polyrhythmischen Arrangements, Funk-, Soul- und Jazz-Passagen, Afro die Welt – nimmt er sich immer wieder Zeit für Solokonzerte. Dazu lädt Beats und spirituellen Chören. Live kann ihre Phrasierung kantig, aber er gerne seinen langjährigen Kumpel und Keyboarder Chris Cacavas ein. auch schön rund sein, die Buchstaben schleudert sie knackig ins Rund, Dieser war in den Achtzigerjahren Gründungsmitglied der Band Green On ihr Stimme taucht in den Raptunnel und entschwebt dann wieder im Ge- Red, die aus der Punkszene in Tucson, Arizona, hervorgegangen war und sang. «Als Künstlerin bist du auch Botschafterin», sagte sie dem «NME». sich zu einer Vorzeige-Band der Paisley-Underground-Bewegung mauserte. «Du bist die Person, die all diese verschiedenen Gruppen von schwarzen Cacavas lebt seit vielen Jahren in Deutschland, hat zahlreiche eigene Alben Menschen vertritt. Und Schwarz ist vielfältig. Es ist nicht nur eine Sache.» veröffentlicht und gehört heute ebenso zur festen Besetzung von The Dream Selbstbewusst zeigt Sampa diese Vielseitigkeit. «I don’t need your table, I Syndicate wie in den Insel-Olymp an der Sihl. Die beiden haben unendlich can sit by myself», singt sie auf «Black Girl Magik» und «This is my seat viele Songs auf dem Buckel und im Köfferli. (alp) and the table’s been set» anderswo. (anz)

25.11., El Lokal, Zürich 26.11., Exil, Zürich NACHTSCHICHT

Schimmern mit Vancouver Sleep Clinic Abenteuer mit Vanishing Twin

Die Sonne ist untergegangen, das wirre Jahrzehnt neigt sich seinem Ende Eines der schöneren Alben war vor zwei Jahren die Platte «Choose Your zu, doch die Seelenlandschaften werden permanent umgestaltet. Nachzu- Own Adventure» der Londoner Band Vanishing Twin. Wie sie in ihren hören im aktuellem Stück «Summer ’09», in dem sich Tom Bettinson alias Tracks süsse Psychedelik, Lounge-Jazz und allerlei retrofuturistische Un- Vancouver Sleep Clinic in seine damalige Gefühlslage versetzt. Zu jener terwassersounds zu einer immer neugierigen und abenteuerlustigen Pop- Zeit war er gerade mal 14 Jahre alt. Schwierige Lebensphase, keine Frage. musik zusammenbauten, erwärmt noch heute das Herz. Ähnlich verhält es Dennoch hat er in jenen Jahren seine erste EP («Winter») eingespielt und sich mit dem neuen Album «The Age of Immunology», das im Juni erschie- veröffentlicht. Drei Jahre später folgte dann das Album «Revival» (2017), nen ist. Man hört die schwebende Stimme der Fanfarlo-Sängerin Cathy für das der junge Mann aus Brisbane – nach Querelen mit seiner Platten- Lucas (die Erinnerungen an Trish Keenan von Broadcast weckt), hört die firma – mit dem renommierten Produzenten Al Shux (Jay-Z, Alicia Keys, Perkussion von Valentina Magaletti und die aufwendigen, nie überdichten ) ins Studio ging. Entstanden ist ein Meisterwerk, das auch Arrangements, die mit Streichern, Gitarren und allerlei «strange sounds» zwei Jahre später noch golden schimmert. Mit Falsettgesang und zaghaf- instrumentiert sind. Hier geht es nicht um den schnellen Effekt, sondern ten Frivolitäten, ausflockenden Beats, elektronischem Windspiel und de- um eine surreale Reise ins Unterbewusste. Wer braucht da noch einen Psy- zenten Tanzbefehlen zwischen den Zeilen. Kurzum: Musik, die einen dazu choanalytiker? (bs) ermächtigt, unangefochten durch die Gegenwart zu gehen. Idealerweise mit einer leicht verspiegelten Sonnenbrille auf den Nasenflügeln. Selbst im 27.11., Bad Bonn, Düdingen tiefen Spätherbst noch. (amp)

27.11., Rote Fabrik, Zürich

Aufwühlen mit L’Epée

Dies ist die Geschichte einer Supergroup, und sie beginnt eher unspekta- kulär in Berlin. Dort nahm das Ehepaar Marie und Lionel Limiñana ali- as The Limiñanas letztes Jahr sein Album «Shadow People» auf. Freilich nicht irgendwo, sondern im Studio von Anton Newcombe, dem Master- Reisen mit None of Them mind hinter der kalifornischen Kult-Band The Brian Jonestown Massacre. Für ein Stück schaute dort auch die Schauspielerin Emmanuelle Seigner Bis ans Ende des Universums und zurück: So weit geht die kosmische Rei- vorbei, um als Gastsängerin mitzuwirken. Diese wiederum gilt seit ihren se, die None of Them auf ihrem neuen Album «IIII» zurücklegen. Da kann Rollen in Filmen wie «Frantic» oder «Bitter Moon» – beide gedreht von das Duo des Produzenten Michal Ho und der Sängerin und Rapperin Si- ihrem Ehemann Roman Polanski – als Ikone des französischen Kinos. Bei gnup zwar im ersten Song «Bring You Home» behaupten, dass sie dich den Aufnahmen verstand man sich derart gut, dass die vier Involvierten heimbringen. Aber es geht dann rasch los, in den Club bei «More Than I beschlossen, das Quartett L’Epée zu gründen. Want» oder zu den «Murderous Mountains», die gefährlich locken, aber Das Debütalbum «Diabolique» entstand schliesslich in Südfrankreich und doch überwunden werden. Die Musik klingt da schon psychedelischer, wiederum in Berlin, und entstanden ist ein grobkörniges, düster dräuendes mondsüchtiger auch, was in der Single «Golden Plate» abzuhören ist. Oder Werk zwischen Psychedelik, Garagenpunk und Ye-Ye-Pop. Immer schön auch im Schlusstanz «Goth Jam». Veröffentlicht wird «IIII» übrigens auf scheppernd, immer kühl befeuert von Seigners sexy Stimme. Eine aufwüh- dem Basler Label A Tree in a Field und also von einem Plattenhaus, das lende Rückkehr in die Sechzigerjahre – on y va! (amp) längst alle Grenzen gesprengt hat. Passt bestens. (bs)

28.11., Rote Fabrik, Zürich; 29.11., Les Docks, Lausanne 28.11., Moods, Zürich (Plattentaufe, u.a. mit Ester Poly) SZENE Atlantis_2016_Version_3_Atlantis_2016 26.01.16 18:18 Seite 1

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