Universität des Saarlandes Fachrichtung 7.7 Kunstgeschichte Hauptseminar: Berliner Skulptur von Schadow bis zur Gegenwart Dozentin: Prof. Dr. Christa Lichtenstern

Die Generalsdenkmäler von

Gerhard Johann David von Scharnhorst und Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz

Sibille-Isabell Tillschneider Studienziel: Magistra artium XXX 5. Fachsemester XXX Sommersemester 1999

2 Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 2

2. Die Zeit der Befreiungskriege (1813-1815) 4

3. Die von 6

3.1. Entstehungsgeschichte 6 3.2.1. Äußere Gestaltung der Neuen Wache 7 3.2.2. Beschreibung des Giebels 8

4. Die Generalsdenkmäler von Christian Daniel Rauch 9

4.1. Gerhard Johann David von Scharnhorst 10 4.1.1. Die Statue 12 4.1.2. Die Sockelreliefs 14

4.2. Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz 16 4.2.1. Die Statue 17 4.2.2. Die Sockelreliefs 18

5. Zusammenwirken der Generalsdenkmäler und der Neuen Wache 21

6. Schlußbetrachtung 23

3 1. Einleitung

Christian Daniel Rauch wird in der Kunstgeschichte als „der bedeutendste Bildhauer des deutschen Klassizismus nach Schadow“1 gefeiert, ein Künstler also von außergewöhnlichem Rang. Seine Schaffensperiode lag in einer Zeit, die geprägt war von dem Prinzip der offiziellen Kunst: der Monarch selbst war sein Auftraggeber, und Rauchs Aufgabe bestand darin, Kunstwerke für den öffentlichen Raum zu schaffen. Denkmäler eigneten sich vorzüglich, um diesem Wunsch gerecht zu werden. Zwei Denkmäler aus dem Ouevre von Christian Daniel Rauch sollen nun in der vorliegenden Arbeit genauer untersucht werden: Es handelt sich um die Denkmäler der Generäle Gerhard Johann David von Scharnhorst und Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz. Sie sind für den Kunsthistoriker aus mehreren Gründen interessant:

Zum einen definieren sie als Generalsdenkmäler einen Typus, der oft vernachlässigt oder falsch bewertet wird. Stellen sie für manchen Betrachter lediglich eine bloße Verherrlichung des Militarismus dar, so darf man doch nicht der Versuchung der Verallgemeinerung verfallen, die sich einem aufdrängen mag. Jedes Kunstwerk, und erst recht ein Feldherrendenkmal, muß für sich erschlossen werden, um die ihm zugrunde liegenden Bedeutungsebenen zu verstehen. Man hat im Laufe der Geschichte – noch bis in die Gegenwart hinein – gerade die Generalsdenkmäler Christian Daniel Rauchs mißverstanden. Sie waren ursprünglich Teil einer Konzeption, die von König Friedrich III ausging: nach dem Sieg Preußens über Napoleon in den Befreiungskriegen war geplant, die Straße „“ in als Siegesstraße zu gestalten2. Die Generalsdenkmäler von Rauch, von denen mehr als die zuvor erwähnten geschaffen wurden, nahmen eine zentrale Rolle in dieser Planung ein. Das Besondere ist jedoch, daß die beiden von Scharnhorst und Bülow nicht alleine im Raum wirken sollten, sondern zu den Seiten der Neuen Wache von Karl Friedrich Schinkel aufgestellt wurden.

1 Künstler und Kunstfreund im Gespräch. Ernst Rietschel und Carl Schiller. Briefwechsel 1847-1859/ hrsg. von Monika Arndt. Berlin 1991, S. 5 2 vgl. Winters, Peter Jochen: General Scharnhorst wechselt die Seite, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.09.89)

4 Ein Kunsthistoriker, der die Generalsdenkmäler von Christian Daniel Rauch analysieren will, findet sich also zunächst einmal in der Ausgangsposition wieder, ein komplexes Themenfeld erschließen zu müssen: Mehrere Faktoren treten in Wechselwirkung zueinander und erzeugen so vielschichtige thematische Zusammenhänge. Der Aufbau dieser Untersuchung ist deshalb so gegliedert, daß er sich systematisch verschiedenen Fragestellungen widmet, die in diesem Zusammenhang wichtig erscheinen.

Zunächst einmal muß der historische Kontext erschlossen werden. Besonders die Frage, welche Bedeutung die Befreiungskriege für die Bevölkerung Preußens hatten, gibt Aufschluß über die Motivation zum Auftrag Friedrich III. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse dienen als wichtige Hintergrundinformationen, will man den Zeitgeist dieser Epoche ergründen. Der historische Hintergrund ist ferner unerläßlich als Basis für die Erschließung der Persönlichkeiten der Dargestellten Scharnhorst und Bülow. Beide waren als Generäle in den Befreiungskriegen tätig und haben sich dort Ruhm und Ehre erworben. Welche Eigenschaften und Taten waren es nun, die sie besonders auszeichneten und die sie würdig machten, in einem Denkmal verewigt zu werden? Zuvor soll jedoch auf die Neue Wache eingegangen werden, ein Kunstwerk Karl Friedrich Schinkels. Es war zwischen den Generalsdenkmälern angesiedelt und nahm somit eine zentrale Stellung ein: die beiden Denkmäler flankierten den Bau, alle Elemente nahmen Bezug zueinander. In diesem Zusammenhang sind die künstlerischen Mittel aufschlußreich, die eingesetzt wurden, um der Zusammengehörigkeit der Neuen Wache und der Generalsdenkmäler Ausdruck zu verleihen. Des weiteren soll analysiert werden, wie sich das Zusammenspiel der drei Kunstwerke im Laufe der Geschichte entwickelt hat und welche Veränderungen sich ergaben. Gerade die Standortfrage der Generalsdenkmäler spiegelt eine aktuelle und kontroverse Diskussion wieder, die seit geraumer Zeit im Gange ist.3 Eine abschließende Betrachtung soll neben einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse vor allem einen Beitrag zu dieser laufenden Diskussion einbringen, der sich aus der vorhergehenden Untersuchung ableitet und rechtfertigt.

5 2. Die Zeit der Befreiungskriege (1813-1815)

Untersucht man die Generalsdenkmäler von Christian Daniel Rauch, so ist es von essentieller Bedeutung, zunächst einen Einblick in das historische Geschehen dieser Zeit zu nehmen. Im Folgenden soll deshalb versucht werden, einen Aufriß von den politischen Auseinandersetzungen und Konflikten der Epoche zu geben. Die zu betrachtenden Generäle Gerhard Johann David von Scharnhorst und Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz haben sich in dieser Zeit ruhmreich hervorgetan. Ohne die Feldherren in den historischen Kontext zu setzen wäre eine Interpretation der Denkmäler zweifelsohne unvollständig.

Die Vorgeschichte zu den Befreiungskriegen ist mit dem Beginn der Französischen Revolution im Jahre 1789 anzusiedeln4. Kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Preußen fanden während des 1. Koalitionskrieges (1792- 1797) statt und in den Jahren 1806 bis 1807. Beide Male ging Frankreich als Sieger hervor und besetzte Teile Preußens. Signalwirkung für andere Länder hatte der spanische Unabhängigkeitskrieg, der schließlich 1808 ausbrach. Spanien leistete nun offen Widerstand gegen die napoleonische Herrschaft. Die deutschen Befreiungskriege wurden jedoch erst nach der Niederlage Napoleons im Rußlandfeldzug von 1812 eingeleitet, denn die militärische Macht des Kaisers der Franzosen schien zu diesem Zeitpunkt zu schwinden.

Der Verlauf der Befreiungskriege läßt sich in fünf Phasen einteilen5: 1. Die Vorbereitungsphase: Der preußische General Yorck von Wartenburg schloß am 30. Dezember bei Tauroggen einen Neutralitätsvertrag mit Rußland und sicherte Preußen somit diplomatisch ab. 2. Der Frühjahrsfeldzug von 1813: Am 17. März erfolgte die Kriegserklärung Preußens an Frankreich, am 4. Juni wurde ein Waffenstillstand zwischen den Kriegsparteien ausgehandelt. Vermittlungen blieben jedoch erfolglos, und so

3 vgl. Buddensieg, Tilmann: Trauerspiel am Trauermal, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.11.93) 4 vgl. Der farbige Ploetz. Illustrierte Weltgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. 11., aktualisierte Auflage. Freiburg und Würzburg 1991, S. 322 ff 5 vgl. Akaltin, Ferdi: Die Befreiungskriege im Geschichtsbild der Deutschen im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1997, S. 19 ff 6 traten Österreich, England und Schweden aufgrund eines Geheimabkommens am 14. Juni auf die Seite der Verbündeten. 3. Der Herbstfeldzug von 1813: Ausschlaggebend wurde die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16.-19. Oktober, in der die Alliierten Frankreich vernichtend besiegten. Napoleon gelang es zu entkommen. 4. Der Feldzug in Frankreich 1814: Der Einzug in Paris am 31. März, die Abdankung Napoleons am 6. April und seine Verbannung nach Elba markierten das vorläufige Ende der Befreiungskriege. Ludwig XVIII. wurde als König eingesetzt. Am 30. Mai wurde der 1. Friede von Paris unterzeichnet, Frankreich erhielt die Grenzen von 1792 zurück. 5. Die Herrschaft der Hundert Tage: Während auf dem Wiener Kongreß (1814- 1815) über die Neuordnung Europas verhandelt wurde, landete Napoleon am 1. März 1815 bei Cannes und scharte ein Heer um sich zusammen. Am 18. Juni wurde er dann bei Belle-Alliance endgültig von den Alliierten geschlagen und nach St. Helena verbannt. Mit dem 2. Pariser Frieden vom 20. November fanden die Befreiungskriege ihr Ende.

Diese simplifizierte Zusammenfassung des Kriegsgeschehens vermittelt einen kurzen Eindruck über die Wirren der Jahre 1813 bis 1815. Welche Bedeutung die Befreiungskriege vor allem für Preußen hatten, läßt sich anhand des am 17. März in Breslau erlassenen Aufrufs von Friedrich Wilhelm III. erkennen. An mein Volk:

So wenig für Mein treues Volk als für Deutsche bedarf es einer Rechenschaft über die Ursachen des Krieges, welcher jetzt beginnt. (...) Wir erlagen der Übermacht Frankreichs. Der Frieden, der die Hälfte Meiner Untertanen Mir entriß, gab uns seine Segnungen nicht; denn er schlug uns tiefere Wunden als selbst der Krieg. (...) Brandenburger, Preußen, Schlesier, Litauer! Ihr wißt, was Ihr seit fast sieben Jahren erduldet habt, Ihr wißt, was Euer trauriges Los ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden. (...) Aber welche Opfer auch von einzelnen gefordert werden mögen, sie wiegen die heiligen Güter nicht auf, für die wir sie hingeben, für die wir streiten und siegen müssen, wenn wir nicht aufhören wollen, Preußen und Deutsche zu sein. (...) keinen andern Ausweg gibt es als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet Ihr getrost entgegengehen um der Ehre willen, weil ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag. (sic!)6

Unter diesem flammenden Aufruf zog das preußische Heer in den Krieg und trug schließlich mit den Alliierten den erhofften Sieg davon. In der Folgezeit entstand in Preußen der Wunsch, Denkmäler zu errichten, die an die glanzvolle Taten der

7 Befreiungskriege erinnern sollten. Vor diesem Hintergrund entstanden die Denkmäler der Generäle der Befreiungskriege von Rauch in Berlin.

3. Die Neue Wache von Karl Friedrich Schinkel

Die Entwicklungs- und Ideengeschichte der Neuen Wache ist eng verwoben mit der Entstehung der Generalsdenkmäler von Rauch, deren ursprünglicher Standort zu Seiten des Schinkelschen Gebäudes in der Straße „Unter den Linden“ war. Eine Beschreibung der Neuen Wache soll zunächst einmal die Hintergründe aufdecken, die für die Analyse der Denkmäler und des Gebäudes selbst relevant sind.

3.1 Entstehungsgeschichte

Die Neue Wache hat im Laufe der Jahrhunderte eine bewegte und abwechslungsreiche Geschichte erfahren.

Ihre Lage ist determiniert durch den Vorgängerbau, der sich früher an dieser Stelle befunden hat. Dabei handelt es sich um eine kleine Kanonierwache zwischen dem und der Universität der Stadt Berlin: ein Umbau wurde nötig, als der König beschlossen hatte, das auch nach seiner Krönung noch weiterhin zu bewohnen7. Da das Königliche Palais nicht genügend Raum bot, die Schloßwache darin aufzunehmen, wurde die Kanonierwache gegenüber zur Königswache umfunktioniert. Im Zuge dieses Neubaus rückte die Neue Wache näher an die Straße und liegt nun annähernd in der Fluchtlinie der beiden Nachbargebäude. Das verwendete helle Material ist sächsischer Sandstein8.

Auf Wunsch König Friedrich III. nahm sich Karl Friedrich Schinkel der Aufgabe an, der zu dieser Zeit in der preußischen Bauverwaltung tätig war9. Die Berufung Schinkels drückt zum einen die Wertschätzung des Königs für den Künstler aus, zum

6 Die Befreiungskriege in Augenzeugenberichten/hrsg. von Eckart Kleßmann. München 1973, S. 38 ff. 7 vgl. Rave, Paul Ortwin: Karl Friedrich Schinkel. Berlin. 3. Teil. Bauten für Wissenschaft, Verwaltung, Heer, Wohnbau und Denkmäler. Berlin 1952, S. 142 8 vgl. Karl Friedrich Schinkel. Berlin. Bauten und Entwürfe. Berlin 1973, S. 10 9 vgl. Rave, Paul Ortwin: Schinkel als Beamter – Ein Abschnitt preußischer Bauverwaltung, in: Karl Friedrich Schinkel. Architektur, Malerei, Kunstgewerbe. Berlin 1981, S. 90 8 anderen vor allem, wie wichtig ihm der Bauauftrag an sich war. Als Angestellter der Verwaltung war Schinkel primär für die Überwachung von Bauten verantwortlich, doch mit dem Auftrag für die Neue Wache nahm er die Konzeption wieder selbst in die Hand. Die Planung der Neuen Wache vollzog sich im Jahre 1816 in vier Hauptphasen, und die Ausführung nahm die folgenden beiden Jahre in Anspruch10: Zunächst fertigte Schinkel einen Entwurf des Gebäudes als Rundbogenhalle an, danach wurde ein Pfeilerbau vorgesehen, des weiteren eine Säulenhalle mit Zinnenkranz, und schließlich der ausgeführte Bau der Säulenhalle mit Gesims. Es ist durchaus denkbar, daß der künstlerisch engagierte Friedrich III Wünsche bzgl. der Baugestaltung äußerte, und daß auf diese von Seiten Schinkels Rücksicht genommen wurde. Im Landesarchiv in Berlin befindet sich sogar noch heute ein Situationsplan der Neuen Wache, in den der König eigenhändig die Stellung des Wachgebäudes und der Denkmäler mit Bleistift eingezeichnet hat11. Die einzelnen Beweggründe, die zu einer Entwurfsänderung Schinkels führten, sind jedoch nicht belegt und können nur anhand einer genaueren Betrachtung des Baus vermutet werden. Denkbare Ansätze wären der Aspekt der Wirkung, der Nutzbarkeit, der finanziellen Mittel, etc. Eine solche Untersuchung würde im Rahmen dieser Arbeit jedoch zu weit führen, deshalb muß an dieser Stelle darauf verzichtet werden.

3.2.1. Äußere Gestaltung der Neuen Wache

Der Grundriß der Neuen Wache gibt dem Betrachter zunächst Aufschluß für eine fundierte Analyse. Die Neue Wache soll „einem römischen Castrum ungefähr nachgeformt “12 sein, wie Schinkel ihn selbst in seiner Sammlung architektonischer Entwürfe von 1819 beschreibt. Die Grundform eines Wehrbaus korrespondiert mit der vorgesehenen Funktion des Gebäudes, die Schloßwache zu beherbergen. Charakteristisch für ein Castrum, das im Grunde ja als ein befestigtes Lager von Truppen fungiert, ist die rechteckige Form, die durch eine Hauptstraßenkreuzung in vier Teile gegliedert wird. Ferner charakterisieren vier Türme diesen Gebäudetyp. Die Neue Wache entspricht mit ihrem Grundriß der Vorstellung eines Castrums, und

10 vgl. Rave, Paul Ortwin: Karl Friedrich Schinkel. Berlin. 3. Teil... a.a.O., S. 145 ff 11 vgl. Karl Friedrich Schinkel. Architektur, Malerei, Kunstgewerbe... a.a.O., S. 137 12 ebd., S. 136 9 auch die Eckpylonen fügen sich in die Liste der Merkmale ein. Sie akzentuieren den Bau und verstärken seinen Festigungscharakter.

Vor den Baukörper setzte Schinkel eine Pfeilerhalle, die von einem Dreiecksgiebel überspannt wird. Sie ähnelt einer griechischen Tempelfront, ist also als Portikus gedacht, der Stufe für Stufe in den eigentlichen Bau hinein führt. Die sechs vorderen und vier hinteren Säulen weisen ebenso wie die zu den Seiten begrenzenden Wandpfeiler eine dorische Ordnung auf. Die schlichte und strenge Gestaltung deutet auf den mit ihr assoziierten militärischen Charakter hin. Die Front wird durch das Helldunkel der Säulenstellung in sich strukturiert. Interessant ist, daß die umliegende Natur durch die offene architektonische Gestaltung des Eingangs in ein Wechselspiel mit dem Baukörper treten kann: sie bietet einen Hintergrund, vor dem sich die Neue Wache - und später auch die Generalsdenkmäler - absetzen kann. Die ursprünglich wesentlich üppigere Vegetation schloß das Gebäude sogar so weit in sich ein, daß dadurch das Empfinden eines Innenraumes geschaffen wurde. In der heutigen Gestaltung tritt der Aspekt der Natureinwirkung durch die Straßengestaltung zurück.

3.2.2. Beschreibung des Giebels

Durch den angebrachten plastischen Schmuck wird der Bau noch einmal konkreter in den Zusammenhang mit den Befreiungskriegen gesetzt.

Erwähnenswert erscheint die Tatsache, daß die zehn Viktorien im Gesims – je zwei an den Seiten und sechs an der Front - nach Schinkels Zeichnungen modellierte13. Die Zusammenarbeit von Schadow, Schinkel und Rauch zeugt erneut von der Bedeutung des ganzen Projekts für Friedrich Wilhelm III. Es hat ihm zweifelsohne viel an der Stätte gelegen, und so hat er nur die besten Künstler seiner Zeit dafür verpflichtet.

Die Ausführung der Giebelskulpturen unterblieb einige Jahre wegen der hohen Kosten und wurde erst 1844-1846 von August Kiß nachgeholt14. Dabei orientierte

13 vgl. ebd., S. 136 14 vgl. ebd., S. 136 10 sich der Künstler an einem Entwurf Schinkels, der die dargestellte Kampfszene selbst beschreibt: ... eine Viktoria entscheidet sich in der für die rechts kämpfenden Helden; links ist dargestellt: letzte Anstrengung, Aufmunterung zum Kampfe, Flucht, Raub und Schmerz der Familie, die ihr Schicksal erwartet; rechts sieht man Überwältigung und Trauer um einen gefallenen Helden.15

Heftige Emotionen werden in der vorliegenden Szene ausgedrückt: neben dem sich anbahnenden Sieg sind auf beiden Seiten auch Verluste zu beklagen, die den Triumph der Sieger trüben. Statt einfacher Heroisierung wird auch jener Krieger gedacht, die im Kampf für ihr Vaterland gefallen sind. Mit dieser Darstellung stellt Schinkel thematisch unmittelbar eine Verbindung zu den Befreiungskriegen her, aber auch zu den Denkmälern der Generäle Scharnhorst und Bülow, die zu Seiten der Neuen Wache aufgestellt wurden.

Schinkel war sich über die Aufstellung der Denkmäler bewußt, er hat ihre Aufstellung an den besagten Stellen im gemeinsamen Planen mit Rauch sogar für unbedingt erforderlich erachtet16. Die Denkmäler korrespondieren mit der Gestaltung der Neuen Wache sogar so gut, daß man von einer Fortführung des Gebäudes in den freien Raum hinein sprechen kann. Der angesprochene thematische Bezug wird auch formal umgesetzt, wie im Folgenden zu belegen ist.

15 ebd., S. 137 16 vgl. Rave, Paul Ortwin: Karl Friedrich Schinkel. o.O., o.J. S. 32 11 4. Die Generalsdenkmäler von Christian Daniel Rauch

Am 24. Mai 1816 vermerkte Rauch in seinem Tagebuch, daß er über den Staatskanzler Fürst von Hardenberg den offiziellen Auftrag vom König erhielt, Entwürfe für zwei Generalsdenkmäler einzureichen, die an den Seiten der Neuen Wache aufgestellt werden sollen; sie wurden am 18. Juni 1822 frühmorgens enthüllt.17

Was führte den König nun dazu, die beiden Generäle Scharnhorst und Bülow auszuwählen? Allein die Tatsache, daß nur einem verstorbenen General ein Denkmal gesetzt werden kann, dürfte wohl keine ausreichende Begründung darstellen. Um die Frage gründlich zu beantworten, soll der Schwerpunkt dieses Kapitels auf das Leben und Wirken der beiden dargestellten Generäle gelegt werden, um ihre Bedeutung für den preußischen Staat zu ergründen. Ferner wird untersucht, wie der Bildhauer Rauch die Personen Scharnhorst und Bülow verewigt hat und welcher bildnerischen Mittel er sich dabei bediente.

4.1. Gerhard Johann David von Scharnhorst

Gerhard Johann David von Scharnhorst wurde am 12.11.1755 in Bordenau geboren und verstarb am 28.6.1813 in Prag18. Er stammte aus einer einfachen, bäuerlichen Familie und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Seine Schulausbildung erfolgte unregelmäßig. 1772 trat Scharnhorst schließlich in die Kriegsschule des Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe ein, 1778 in die Hannoversche Armee. Von zentraler Bedeutung ist das Jahr 1801, in dem er in preußische Dienste wechselte. Von diesem Zeitpunkt an erfuhr das Leben Scharnhorsts mehrere Wendungen: 1802 wurde er aufgrund erster Verdienste für den Staat geadelt, 1806 nahm er noch als Stabschef am Frankreichfeldzug teil, wurde bald zum Generalmajor befördert und 1807 vom König zum Generaladjutanten und Vorsitzenden der Militär-Reorganisationskommission eingesetzt. In dieser Funktion führte er seine zahlreichen Heeresreformen durch. Seit 1808 war er zudem Direktor

17 vgl. Simson, Jutta von: Christian Daniel Rauch. Oeuvrekatalog. Berlin 1996, S. 132 12 des neugeschaffenen Allgemeinen Kriegsdepartements. Auf Drängen Napoleons wurde Scharnhorst 1810 von einem Teil seiner Geschäfte entbunden, leitete aber ab 1813 die Vorbereitungen zu den Befreiungskriegen. Als Stabschef unter Blücher wurde er in der Schlacht von Großgörschen am 2.5.1813 schwer verwundet und erlag wenige Wochen später während Verhandlungen mit Österreich über einen Beitritt zur antinapoleonischen Koalition seinen Verletzungen. Noch unmittelbar vor seinem Tod am 21. Mai beklagt er seine momentane Unfähigkeit, dem Vaterland von Nutzen zu sein: „...ich bin sehr mißvergnügt über meine Unthätigkeit. Ich sitze hier in dem entscheidenden Augenblick und kann nichts tun, ich weiß, daß ich an Ort und Stelle viel tun würde“ (sic!)19.

Scharnhorsts umfassendes Lebenswerk besteht u.a. aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen: neben vier Zeitschriften (1782-1784 Militär Bibliothek, 1785 Bibliothek für Offiziere, 1788 Neues Militärisches Journal, 1797 Militärische Denkwürdigkeiten unserer Zeiten) wurden noch 19 Schriften und Aufsätze von ihm herausgegeben20. Davon liegt der Schwerpunkt mit etwa 80% auf fachspezifischer Literatur; insgesamt wurden jedoch erst ca. ein Sechstel der Bestände veröffentlicht, es liegt also bis heute keine Gesamtausgabe Scharnhorstscher Schriften vor.21 So umfangreich ist allein das literarische Schaffen von Scharnhorst.

Von wesentlicher Bedeutung sind die Heeresreformen, die auf seine Vorschläge hin durchgeführt wurden. Als Militärwissenschaftler hatte er im Laufe der Jahre z.B. 1806 die Einführung einer Nationalmiliz vorgeschlagen22 , sich 1808 gegen die Prügelstrafe ausgesprochen23, sich 1809 für die Abschaffung von Adelsprivilegien

18 vgl. Schieder, Theodor: Gerhard Johann David von Scharnhorst. 1755-1813, in: Die grossen Deutschen. Deutsche Biographie/hrsg. von Hermann Heimpel, Theodor Heuss und Benno Reifenberg. 4 Bde. Berlin 1956, Bd. 2., S. 402ff. 19 Scharnhorst, Gerhard Johann David von: An seine Tochter, in: . Ausgewählte Schriften/hrsg. von Ursula von Gersdorff. Osnabrück 1983, S. 501-504, S. 503 20 vgl. Gersdorff, Ursula von: Gerhard von Scharnhorst... a.a.O., S. 517 ff 21 vgl. ebd., S. XI 22 vgl. Scharnhorst, Gerhard Johann David von: Ein dem Generaladjutanten von Kleist und Herzog von Braunschweig übergebenes Memoire, in: Gerhard von Scharnhorst... a.a. O., S. 189-196, S. 190 23 vgl. Scharnhorst, Gerhard Johann David von: An den Freiherrn vom Stein über die Abschaffung der Prügelstrafe, in: Gerhard von Scharnhorst... a.a.O., S. 259-262, S. 261 13 eingesetzt24 und die lineare Kriegstaktik der preußischen Armee 1811 nachhaltig verändert, um ihr eine größere Beweglichkeit zu verleihen25.

Diese Reformen veranschaulichen das immense Wirken des Generals innerhalb der preußischen Armee. Trotz aller fortschrittlichen Maßnahmen Scharnhorsts zeichnete er sich dem König gegenüber aus durch seine „persönliche Gefolgsschaftstreue (...), ein geborener Royalist.“26 Es verwundert nicht, daß Friedrich Wilhelm III seinem verdienten General ein Denkmal setzen wollte. Scharnhorst war Theoretiker und Praktiker zugleich, vor allem aber ein pflichtbewußter Soldat und Patriot, der stets zum Wohl seines Vaterlandes handelte: Man muß der Nation das Gefühl der Selbständigkeit einflößen (...), nur erst dann wird sie sich selbst achten und von anderen Achtung zu erzwingen wissen. Darauf hinzuarbeiten, dies ist alles, was wir tun können. Die alten Formen zerstören, die Bande des Vorurteils lösen, die Wiedergeburt leiten, pflegen und sie in ihrem freien Wachstum nicht hemmen, weiter reicht unser hoher Wirkungskreis nicht. So sehe ich die Sache, so sehe ich unsere Lage an.27

Die Aufgabe Rauchs bestand nun darin, den Charakter dieses bemerkenswerten Mannes und seine Bedeutung für das Vaterland in einem Denkmal festzuhalten, das dem Volk für die Gegenwart und für die Zukunft Zeugnis davon geben soll.

4.1.1. Die Statue

Nachdem der König Christian Daniel Rauch den Auftrag zur Herstellung der Denkmäler gegeben hat, ließ er es sich auch nicht nehmen, die Entwürfe am 26. Juni persönlich zu begutachten und zu genehmigen28. Vom 7. Juli 1816 bis zum April 1818 hielt sich Rauch dann in Italien, vornehmlich in Carrara auf, wo er die Statuen Scharnhorst und Bülows im Groben aus einem Marmorblock heraus arbeiten ließ, um sie dann zur Fertigstellung 1818 nach Berlin bringen zu lassen29.

24 vgl. Scharnhorst, Gerhard Johann David: Vergleichung der ehemaligen Geschäftsführung der militärischen Oberbehörden mit der jetzigen, in: Gerhard von Scharnhorst... a.a.O., S. 295-309, S. 306 25 vgl. Scharnhorst, Gerhard Johann David von: Vier Denkschriften für eine Reform der Preußischen Armeen nach den Feldzügen 1806-1807, in: Gerhard von Scharnhorst... a.a.O., S. 401-465, S. 427 26 vgl. Schieder, Theodor: Johann David von Scharnhorst... a.a.O., S. 406 27Scharnhorst, Gerhard Johann David von: An Carl von Clausewitz, in: Gerhard von Scharnhorst... a.a.O., S. 253-257, S. 255 28 vgl. Simson, Jutta von: Christian Daniel Rauch... a.a.O., S. 132 29 vgl. ebd., S. 132 14 Da Rauch den General persönlich nicht kannte und auch keine Totenmaske von ihm erhältlich war, hatte er den Kopf nach einem Bild von Bury und einer Profilzeichnung der Prinzessin Marianne modelliert30. Des weiteren wurde er in seiner Konzeption des Denkmals durch Aussagen von Bekannten Scharnhorsts unterstützt: so z.B. von Clausewitz, der Scharnhorsts Mitstreiter für die Heeresreformen war: Er bescheinigte dem General Kühnheit, Festigkeit, Fassung und Verschlossenheit 31.

Dies sind wohl auch die hervorstehendsten Eigenschaften, die durch das Denkmal vermittelt werden. Es wurde in Marmor angefertigt und hat insgesamt eine Höhe von etwa 573 cm, wobei 267 cm auf die Figur entfallen und 306 cm auf den Sockel32.

Der General steht fast lässig im Kontrapost an einem gekappten Baumstamm, der von Lorbeer umrankt wird und auf die Siege Scharnhorsts verweist. Das linke, spielend leicht eingeknickte Bein wurde dem durchgedrückten rechten vorangestellt. Durch die nach links abknickende Hüfte lehnt sich die Figur an eine Eiche, den Ellenbogen darauf abgestützt. In der linken Hand hält sie ein zusammengerolltes Papier - wohl eine Militärschrift oder ein militärischer Plan. Eindeutig wird Scharnhorst hier als Stratege charakterisiert. Dieser Eindruck wird noch zusätzlich verstärkt durch den rechten Arm, der sich über die Brust zur Schulter hin erhebt und dem Betrachter das Gefühl vermittelt, der General würde versonnen dastehen. Auch die Haltung des Kopfes unterstützt diese Interpretation, ist er doch nachdenklich nach vorne geneigt.

Trotz der in sich ruhenden Position ist die Statue stark rhythmisiert: es läßt sich ein Bogen schlagen, der von der exponierten linken Fußspitze über den Lorbeer am Baumstamm entlang und über die Brust führt und schließlich entlang des erhobenen rechten Armes mit einem Verweis auf den Kopf des Generals endet und dessen geistige Größe noch einmal betont. Lässig fällt Scharnhorst eine Haarsträhne ins strenge Gesicht, die hohe Stirn ist von Denkfalten durchzogen und versinnbildlicht ein hohes Maß an Konzentration. Der Blick geht zum Betrachter nach unten hin, doch schaut er wohl keinen direkt an, so sehr ist er in Gedanken vertieft.

30 vgl. ebd., S. 132 31 vgl. ebd., S. 134 15 Bewegung im Aufbau erfährt die Figur des weiteren durch den geschwungenen Mantel, der über der linken Schulter festgehalten wird und den General gleichzeitig einhüllt und ihn exponiert. Durch das Hinabfallen des Mantels auf die linke Hand, welche die Schriftrolle trägt, wird diese noch einmal akzentuiert. Weitere Falten lassen sich in den eng anliegenden Hosen erkennen und auch in der Taillenschärpe. Selbst die Quasten der Mantelkaskade laufen nicht parallel zueinander: während die eine senkrecht nach unten fällt, wird die andere wird vom rechten Arm mitgeführt.

Auffallend ist, daß die linke Seite der Statue geschlossen wirkt, während sich die rechte dem benachbarten Bauwerk öffnet und somit formal Bezug darauf nimmt. Doch ist nicht nur die Figur Scharnhorsts auf die Neue Wache hin ausgerichtet, vielsagend ist auch die Gestaltung der Reliefs an dem Sockel, an dessen Entwurf Schinkel ebenfalls beteiligt war33.

4.1.2. Die Sockelreliefs

Die der Straße zugewandte Vorderseite zeigt eine Inschrifttafel und einen Adler. Die Inschrift lautet in Großbuchstaben „Friedrich Wilhelm III/dem/Gen. von Scharnhorst/ im Jahre 1822“. Der Adler mit seinen ausgebreiteten Flügeln hat eine Doppelfunktion: Zum einen symbolisiert er nicht nur das Wappentier Preußens, aufgrund der ausgebreiteten Flügel und der weit gespreizten Beine kommt ihm auch eine Bedeutung als Symbol für Stärke und Wachsamkeit zu. Der Kopf ist nach rechts gedreht zum abschließenden Relief und führt eine Gegenbewegung zur Stellung der Beine durch.

Auf dem zweiten Relief ist Minerva, die Göttin der Kriegskunst, vor dem Hintergrund eines antiken Tempels mit vier Säulen abgebildet. Mit einer Fackel in ihrer Linken leuchtend stützt sie ein aufgestelltes Buch. Die andere Hand weist auf die Namen, die in das aufgeschlagene Buch geschrieben wurden. Auf der rechten Seite stehen, erneut in Großbuchstaben, die Namen Montecuculi, Vauban und Graf W.v.d. Lippe- Schaumburg, auf der rechten Moritz von Sachsen, Friedrich II. und Scharnhorst. Die Auswahl der Personen ist geschickt getroffen worden: sie alle sind wie Scharnhorst

32 vgl. ebd., S. 132 33 vgl. Rave, Paul Ortwin: Karl Friedrich Schinkel. Berlin. 3. Teil... a.a.O., S. 136 16 selbst Militärwissenschaftler34. Raimund Graf von Montecuculi (1609-1680) wird zusätzlich als bedeutender Militärhistoriker gefeiert, Sébastien Le Prestre de Vauban (1633- 1707) als Festungsbaumeister und Marschall. Graf Wilhelm von der Lippe- Schaumburg (verstorben 1777) war Scharnhorsts Lehrer und ein bedeutender Feldherr und Regent. Moritz von Sachsen (1696-1750) verfaßte die Schrift Les Rêveries ou Mémoires sur l’Art de la Guerre (Einfälle über die Kriegskunst), die 1756 veröffentlicht wurde und die militärischen Ansichten Friedrich II. nachweislich beeinflußte. Zudem war Moritz von Sachsen auch Marschall gewesen. Friedrich II schließlich (1712-1786) wird ebenfalls als hervorragender Feldherr charakterisiert. In seinem Streben nach humanistischem Idealismus und Propagieren von Staatsräson steht er auch in geistiger Nähe zu Scharnhorst. Der Geehrte wird als Letzter in eine lange und ruhmvolle Tradition bedeutender Denker gesetzt. Minerva wendet ihren Kopf dem Jüngling zu ihrer Rechten zu, der uns seitlich dargestellt ist: bis auf einen Überwurf, der in weiten Falten den Oberkörper bedeckt, ist er unbekleidet. Aufmerksam notiert er auf einer Tafel die Worte der lehrenden Göttin. Sie selbst trägt einen Helm, aus dem ihre kräftigen Haare hinabfallen, und einen faltenreicher Mantel, der wie eine Toga um den Körper geschlungen ist. Darunter blitzt ein Aigis hervor, ein mit Quasten verzierter Brustpanzer. Der Körper der Göttin ist einem zweiten Schüler zugewandt, der zu ihrer Linken steht. Er ist ebenfalls mit einem kurzen Mantel bekleidet, der seinen gesamten Oberkörper jedoch verhüllt. Intensiv zuhörend blickt er Minerva an, einen Stift in der rechten Hand, die er auf ein Buch legt. Das Buch hält er fest in seinem rechten Arm und stützt es auf dem angewinkelten linken Bein ab.

Die Rückseite des Sockels zeigt ein drittes Relief, in dem der Figur der Minerva wieder eine zentrale Rolle zukommt. Sie sitzt erhöht und im Profil dargestellt: in ihrer Linken hält sie mehrere Speerspitzen, mit ihrer erhobenen Rechten ist sie im Begriff, eine Speerspitze auf den Schaft zu stecken, der ihr von dem Jüngling entgegen gehalten wird. Er hat noch drei Schäfte im Arm, weitere werden von dem knienden Jüngling zu Füßen der Minerva vorbereitet. Er fällt gerade mit einer Axt einen Baum, aus dessen Stamm der Schaft des Speeres geschnitzt werden soll. Der Betrachter kann deutlich nachvollziehen, daß hier Kriegsvorbereitungen getroffen werden:

34 vgl. Brockhaus-Enzyklopädie. 24 Bde. Mannheim 1988-1994, Bd. 7, 15, 19, 23 17 neben der offensichtlichen Bewaffnung gibt darüber auch der Helm der Göttin Auskunft, der nun reich verziert und mit einem auffallenden Helmbusch versehen ist.

Das abschließende Relief ist die letzte Szene im Zyklus der lehrenden Minerva. Nach dem Unterrichten der Jünglinge und der Bewaffnung ziehen die drei Figuren nun in den Krieg. Minerva ist in kompletter Kriegsrüstung dargestellt: mit energischem Ausfallschritt schreitet sie vorwärts, in ihrer rechten Hand bedrohlich das Speer haltend, in ihrer Linken den schützenden Schild. Ihre Schüler folgen ihr in den Kampf. Mit der selben Entschlossenheit gehen sie voran, wobei die drei ausgestellten Knie drei Speerspitzen gleichen. Ein Jüngling blickt zu Minerva zurück, um die Haltung seines Speers zu korrigieren, während der andere mutig nach vorne schaut, sein Sperr fest umschlungen. Die beiden Jünglinge haben ihre Mäntel abgelegt und tragen nun ebenfalls Kriegskleidung. Nach ausführlicher Vorbereitung steht ihrem Kampf nichts mehr im Wege.

Die Bedeutung Minervas in den Reliefs findet nicht nur thematisch Ausdruck, sie ist als Göttin auch von größerer Gestalt als die Jünglinge und stets im Zentrum der einzelnen Szenen angesiedelt. Insgesamt kann man von einer narrativen Charakter der Reliefs sprechen, die eine Erzählung bilden.

4.2. Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz

Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz wurde am 16.21755 in Falkenberg geboren und verstarb am 25.2.1816 in Königsberg35. Er war Sohn eines preußischen Diplomaten und einer Kantorstochter. Von seiner Mutter erbte er eine ausgeprägte musikalische Begabung: Bülow ist auch für seine Vertonung von Psalmen bekannt. Seine militärische Karriere begann im Jahre 1793, als er vom Kapitän zum Gouverneur des Prinzen Louis Ferdinand bestimmt wurde. An dessen Seite nahm er 1793/94 am Feldzug gegen Frankreich teil, 1806 und 1807 als Oberst. Wichtig wurde im Folgenden seine Stellung als interimistischer Generalgouverneur, die er 1812 in Ostpreußen an Stelle von Yorck antrat. In dieser Funktion bereitete er die Erhebung

35 vgl. Neue Deutsche Biographie/hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 2 Bde. Berlin 1955, Bd. 2, S. 738 ff 18 Preußens vor, indem er sowohl die französischen wie die russischen Truppen lange Zeit hinhalten konnte. 1813 wurde Bülow zum Generalmajor ernannt und schützte im Laufe der Befreiungskriege dreimal Berlin gegen die Franzosen: am 4.6. bei Luckau, am 23.8. bei Großbeeren und am 6.9. bei Dennewitz, wobei er sich zeitweise den Anordnungen des Oberbefehlshabers widersetzte und eigene Maßnahmen ergriff. Da er dabei siegreich blieb, erhielt er 1814 den Titel eines Grafen. Durch seine Teilnahme an der Völkerschlacht von Leipzig befreite Bülow Holland und Belgien von den Franzosen und schloß sich danach u.a. Blücher in Frankreich an. Bei Belle- Alliance zerstörte Bülow Napoloeons rechten Flügel und führte somit den endgültigen Sieg herbei.

Neben diesem Lebenslauf dürften auch Bülows Eigenschaften als „glühender Vaterlandsfreund und Napoleons Todfeind, überhaupt ein unbedingt ergebener Gefolgsmann seines Königs“36 Ausschlag gegeben haben für eine Verewigung des Generals als Denkmal.

4.2.1 Die Statue

Der Auftrag für die Anfertigung eines Denkmals für General Bülow ging zeitgleich mit dem Auftrag für das Denkmal von Scharnhorst ein, und auch diese Entwürfe wurden vom König genehmigt. Die parallel laufende Ausführung der Statuen wurde im folgenden Jahr begonnen und zusätzlich dadurch verzögert, daß Rauch bei seiner Rückkehr nach Berlin mehr als ein Jahr auf ein Atelier warten mußte37.

Als es endlich soweit war stand Rauch vor dem selben Problem wie bei der Statue Scharnhorsts. Da er den General Bülow persönlich nicht kannte, mußte er sich auf Hilfen stützen, die er in einem nicht völlig ausgearbeiteten Gipskopf nach der Totenmaske fand, die ihm der Kunstlehrer Knorr sandte, in einem Brief der Fürstin Luise Radziwill und einer Zeichnung ihres Mannes38. Auch dieses Mal gelang dem Bildhauer Rauch eine zufriedenstellende Fertigstellung des Denkmals, das die

36 Lehmann, Konrad: Die Rettung im Jahre 1813. Das Feldherrentum Bernadottes, Bülows, Oudinots und Neys im Großbeeren- und Dennewitz-Feldzuge. Berlin 1934, S. 4 37 vgl. Simson, Jutta von: Christian Daniel Rauch... a.a.O., S. 125 38 vgl. ebd., 125 19 gleiche Größe hat wie das Denkmal Scharnhorsts. Es wurde ebenfalls in edlem und reinen Marmor ausgeführt.

Bülow präsentiert sich dem Betrachter frontal in breiter Beinstellung: das rechte Bein ist fest durchgedrückt, das linke durch einen Hüftknick bequem angewinkelt. Der General steht im Gegensatz zu Scharnhorst in aufrechter Haltung da, die Brust stolz und siegessicher geschwollen. Sein wichtigstes Attribut ist der aufgestellte Degen, den er mit seiner linken Hand stützt. Die rechte ist in die Hüfte gestemmt und ermöglicht somit dem Mantel, der über der linken Schulter gehalten wird, eine interessante Faltengebung. Man kann auch bei dieser Statue einen – jedoch leichteren - Bogen von dem linken Fuß über die Schulter bis zum rechten Arm schlagen, der dieses Mal mit Hilfe des Degens nach oben geführt wird. Des weiteren wird die Strenge der Figur auch hier von Rauch wieder gelockert, indem er mit Hilfe des Faltenwurfs eine Rhythmisierung erreicht, die sich neben den großen Schüsselfalten des aufwendig drapierten und voluminösen Mantels auch in den Hosen und der Taillenschärpe wiederfindet. Die Uniformen der Generäle sind zeitgemäß, und Rauch zeichnet sich bei ihnen durch Detailtreue aus: deutlich kann man z.B. den mit Eichenlaub bestickten Kragen erkennen. Die Bekleidung der dargestellten Personen in Denkmälern wurde allgemein unter dem Begriff des sogenannten „Kostümstreit“39 heftig diskutiert und dauerte noch weitere Generationen an. Rauch sah in der zeitgenössischen Uniform eine adäquate Bekleidung der Generäle, die - eher als eine antike Toga – volkstümlich ist und es der preußischen Bevölkerung leichter machte, sich mit ihren Helden zu identifizieren.

Der Blick des selbstbewußten Generals geht in die Richtung Scharnhorsts, der Oberkörper folgt dieser Bewegung. Dem nachdenklichem Charakter des Strategen Scharnhorst steht nun die feste Entschlossenheit und Zuversicht Bülows gegenüber. In seine hohe Stirn fällt keine Haarsträhne, klar hat er das angestrebte Ziel vor Augen.

Auch diese Figur ist zu dem Gebäude der Neuen Wache hin als offene Figur gestaltet, während die rechte Seite durch die abfallenden Falten geschlossen wirkt.

39 vgl. Bloch, Peter: Klassizismus im Werke von Schadow und Rauch, in: Ideal und Wirklichkeit der bildenden Kunst im späten 18. Jahrhundert/hrsg. von Herbert Beck, Peter C. Bol, Eva-Maek Gérard. 20 Rauch hat auch bei Bülow eine bemerkenswerte Lösung für die Darstellungen im Relief gefunden, welche Figur und Sockel nicht nur formal, sondern auch thematisch miteinander verbinden.

4.2.2. Die Sockelreliefs

Die Vorderseite ist identisch mit dem Relief auf dem Sockel des Scharnhorst- Denkmals: der selbe Adler wurde als Zierde angebracht, die Inschrifttafel ist von gleicher Gestaltung, weist jedoch selbstverständlich eine andere Inschrift auf. Sie lautet in Großbuchstaben: „Friedr:Wilh:III/dem Grafen Buelow/von Dennewitz/im Jahre 1820“. Die zweite Seite, die der Neuen Wache zugewendet ist, zeigt dem Betrachter die geflügelte Viktoria. Sie ist im Profil dargestellt, mit weitem, ausfallenden Schritt und in aufrechter, wachsamer Haltung. Ihre Bewegung ist energisch voranschreitend, der rechte Arm ist bedrohlich erhoben und hält ein Speer. In der linken Hand hält sie siegessicher Lorbeer. Ihr Oberkörper ist entblößt und wird durch das sie umhüllende Tuch akzentuiert. Dessen mannigfaltige Faltengebung verleiht der Figur eine immense Dynamik, was durch die großen Flügel noch verstärkt wird. Die Haare sind zusammengeknotet und entsprechen dem Gefühl der Strenge und Disziplin, welches von der Siegesgöttin ausgeht. In der linken Ecke ist in Großbuchstaben der Name „Bellealliance“ angebracht, der auf die entscheidende Schlacht der Befreiungskriege hinweist, zu deren Sieg Bülow ja einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Nun ist auch der Löwe zu erklären, der zur Linken der Viktoria schreitet: er symbolisiert zum einen das Wappentier Englands, Preußens Verbündeter im Kampf gegen Napoleon. Zum anderen versinnbildlicht er auch die Stärke, die von den Alliierten ausgeht: auch sein Schritt ist weit ausfallend und korrespondiert mit dem der Viktoria, seine wilde Mähne unterstützt die Dynamik der Göttin, selbst der Schwanz trägt die Aufwärtsbewegung der ganzen Komposition. Bedrohlich und angriffslustig reißt er sein Maul auf: der Sieg scheint gewiß.

Die Rückseite des Sockels zeigt Viktoria auf der Hydra stehend. Das geringelte Tier liegt der Göttin zu Füßen, ihr rechter Fuß steht auf der Körperstelle, an der die vielzähligen Köpfe wachsen. Insgesamt sechs liegen bereits ermattet da, der siebte

Berlin 1984, S. 97 21 Kopf nagt vergeblich an einem Lorbeerstämmchen, das auf der linken Seite des Reliefs angebracht ist. Viktoria ist dem Betrachter nun frontal präsentiert, ihr Oberkörper ist entblößt, ihr Unterkörper ist von einem Tuch umhüllt, das um ihre Hüfte geschlungen ist und um den linken Arm gewickelt ist. Die kompositorische Betonung liegt wieder auf der Vertikalen: das Lorbeerbäumchen zur Rechten, die ausgebreiteten Flügel, welche die Figur rahmen, und die nach unten fallenden Stegfalten des Mantels zeugen davon. Doch sind auch hier bewegte Momente in der Szene enthalten: der schlangenähnliche Körper der Hydra, gewickelte Teile des Mantels, die runden Lorbeerkränze, die Viktoria in ihren Händen hält und der Kranz auf ihrem Haupt. Viktoria kann stolz die Lorbeeren vorweisen, die sich die preußische Armee unter Bülow bei ihren Siegen verdient hat. Die Inschrift „Großbeeren und Dennewitz“, erneut in Großbuchstaben und in der rechten oberen Ecke angebracht, heben zwei dieser Schlachten gesondert hervor. Die zertretene Hydra symbolisiert demzufolge das besiegte napoleonische Heer, bzw. Napoleon als Heerführer selbst.

Die letzte Seite zeigt Viktoria auf einem Adler über mehrere Städte fliegend. Die Siegesgöttin hat ihren Oberkörper dem Betrachter frontal zugewendet, ihr Kopf ist jedoch in Profilansicht wiedergegeben und nach links gewandt. Sie blickt in die Ferne, nicht zurück. Es scheint, sie hat neue Siege vor Augen, denn wieder hält sie das Attribut eines Lorbeerkranzes in der erhobenen Linken und einen nach unten weisenden Speer in der Rechten. Die dadurch entstehende Diagonale trennt Ober- und Unterkörper der beiden Figuren. Die Speerspitze weist nach unten, wo sich einzelne Festungen befinden, die in Großbuchstaben beschriftet sind: von links nach rechts sind diese „Duisburg, Zuephten, Arnheim, Neuss, Herzogenbusch, Gorcum, Avesne, Soisson“. Bülow war bei den Schlachten um diese Städte wohl erfolgreich beteiligt gewesen. Die Aufzählung mehrerer Orte vermehrt zudem den Ruhm des Generals. Der Adler, der Viktoria trägt, blickt zu ihr empor, den Schnabel geöffnet. Seine Schwingen und die Vielzahl von Federn, die einzeln modelliert wurden sorgen neben dem Mantel der Siegesgöttin wieder für eine Rhythmisierung in der Gestaltung.

So, wie Minerva den sinnenden Scharnhorst in seiner strategischen Vorbereitung für den Krieg verkörpert, so steht Viktoria für den ruhmreichen General Bülow, der mit

22 entscheidenden Siegen aufwarten kann. Die Persönlichkeit des Dargestellten auf dem Sockel wird in den einzelnen Reliefs konkretisiert, indem auf das Werk der Männer aufmerksam gemacht wird und auf ihre Verdienste für das Vaterland. Dadurch haben sie sich schließlich den Dank des Königs in Form eines Denkmals verdient. Trotz aller Individualität hat ihr Leben und Wirken natürlich Vorbildfunktion für die anderen Bürger des Staates. Da sie als öffentliche Statuen der Allgemeinheit zugänglich waren, ist eine didaktische Absicht des Projekts nicht zu verkennen und selbstverständlich auch beabsichtigt. Dabei entsteht ein Gegensatz zwischen der porträthaften und realistischen Darstellung der Generäle und den Mythologien der Sockelreliefs. Rauch hat sich bei der Gestaltung der Viktoria nachweislich Millins „Mythologische Galerie“ von 1820 bedient, einer Sammlung von Stichen nach ca. 750 Antiken, und er hat zusätzlich die Bestände des Berliner Münzkabinetts konsultiert40. Diese Vorlagen inspirierten ihn zu einer ausgiebigen Variation in der Darstellung der Siegesgöttin.

40 vgl. ebd., S. 101 23 5. Zusammenwirken der Generalsdenkmäler und der Neuen Wache

Die Aufstellung der beiden Denkmäler erfolgte am 12. Juni 1822, enthüllt wurden sie am 18. Juni, die Feierlichkeiten wurden mit Truppenvorführung und Fahnen schließlich am 20. Juni begangen41.

Der Bau der Neuen Wache und die Aufstellung der Denkmäler waren Teil eines größeren Projekts, das vorsah, die Straße „Unter den Linden“ als eine Siegesstraße vom Königlichen Schloß bis zum Brandenburger Tor zu gestalten. Nach Jahren napoleonischer Herrschaft ist das Bedürfnis der Preußen verständlich, den Sieg über den Despoten nicht nur zu feiern, sondern ihn auch der Nachwelt zu vergegenwärtigen. Wichtige Zeitzeugen sind die Kunstwerke Schinkels und Rauchs.

Im Laufe der Zeit haben sie mehrere Veränderungen bzgl. der Funktion oder des Standortes erfahren. So gilt z.B. für die Neue Wache, daß sie 100 Jahre lang militärisch genutzt wurde, nach dem 1. Weltkrieg Funktionen wie Sanitätsstation oder Büro für technische Nothilfen innehatte, und schließlich 1931 nach dem Abbruch der Innenräume der Öffentlichkeit als Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges übergeben wurde42. Der Schaden, den das Gebäude im 2. Weltkrieg davontrug, wurde bis zum Jahre 1952 wieder beseitigt, und am 8. Mai 1960 wurde die Neue Wache schließlich endgültig zum Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus bestimmt43. Vom 1. Mai 1962 an wurde eine Ehrenwache von der Nationalen Volksarmee der DDR mit dem Wachregiments „Friedrich Engels“ davor gehalten44. Noch heute dient die Neue Wache in der Funktion eines Mahnmals. Was einst ein Nutzbau war wurde zu einer Gedenkstätte erhoben, die der deutschen Bevölkerung nicht die Befreiungskriege ins Gedächtnis rufen soll, sondern Kriegsopfer im weiter gefaßten Sinne.

Was geschah in der Zwischenzeit mit den beiden Denkmälern Rauchs45? Sie überstanden beide Weltkriege unversehrt und flankierten die Seiten der Neuen Wache bis zum Jahre 1950: dann wurden sie entfernt und an neue Standorte

41 vgl. ebd., S. 128 42 vgl. Rave, Paul Ortwin. Karl-Friedrich Schinkel. Berlin. 3. Teil... a.a.O., S. 168 f 43 vgl. ebd., S. 169 f 44 vgl. Winters, Peter Jochen: General Scharnhorst wechselt die Seite... a.a.O. 45 vgl. ebd. 24 gesetzt. Die Statue Bülows wurde in ein Depot gebracht und erst 1982 zur Restaurierung wieder hervorgeholt, während die Statue Scharnhorsts 1964 gegenüber der Neuen Wache aufgestellt wurde. Zwischen der Deutschen Staatsoper und dem Prinzessinnenpalais, dem heutigen Operncafé , war der Platz als Denkmalanlage vorgesehen, in der 1826 das Denkmal von Gerhard Leberecht Fürst Blücher von Walstatt aufgestellt wurde, 1855 die Denkmäler von August Wilhelm Anton Graf Neidhart von Gneisenau und von David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg. Alle Denkmäler überstanden die zwei Weltkriege unversehrt und wurden gemeinsam mit dem Denkmal Scharnhorsts 1964 in der Grünanlage wieder aufgestellt. Rauch schrieb über das von Schinkel geplante Statuenprojekt am 29. Juni 1822: So ist denn (...) die (Arbeit) der beiden Monumente Bülow und Scharnhorst endlich nach fünf Jahren zu Stande gekommen, und dem Platze einstweilen eine leidliche Verzierung geworden, bis Mehreres sich dazu gesellen wird; denn so sehen diese einzigen Beiden sich ziemlich verlegen an.46

Rauch würde die Lösung, wie wir sie heute vorfinden, nicht zusagen: die Neue Wache muß auf die Gegenwart der Generäle zu ihren Seiten verzichten. Eine Wiederaufstellung der Denkmäler ist zwar seit längerem geplant, doch die Diskussion über einen solchen Schritt verläuft kontrovers47. Ein Brennpunkt ist der Berliner Magistratsbeschluss vom 30. Oktober 1945, der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bestimmte, alle Embleme und Denkmäler der Hohenzollern, des Militärs und des Nationalsozialismus zu beseitigen. Des weiteren wehren sich die Erben Käthe Kollwitz‘ dagegen, daß man die trauernde Große Mutter im Inneren der Neuen Wache in Gesellschaft von zwei Generälen der Befreiungskriege gibt.

Fakt ist: Die gemeinsame Wirkung der Neuen Wache und der beiden Generalsdenkmäler wurde aufgehoben, indem man die Kunstwerke voneinander trennte. Im Laufe der Geschichte wurden die Kunstwerke entgegen ihrer ursprünglichen Intention oft umgesetzt und als andere Bedeutungsträger verstanden. Thematische wie auch formale Bezüge wurden aufgebrochen und ermöglichten Fehlinterpretationen, die man durchaus hätte umgehen können, wenn man sich an die Ursprungsidee der Künstler Schinkel und Rauch gehalten hätte. Dem Betrachter bleibt leider nur übrig, die Kunstwerke gesondert voneinander zu

46 zitiert nach: Simson, Jutta von: Christian Daniel Rauch... a.a.O., S. 136 25 betrachten und ihre unterschiedlichen Geschichten nachzuvollziehen. Eine Vorstellung von der geplanten Einheit der Neuen Wache und der Generalsdenkmäler Scharnhorsts und Bülows würde der ursprünglichen Planung entsprechen, was der Intention des Gesamtkunstwerks gerecht werden würde.

47 vgl. Buddensieg, Tilmann: Trauerspiel am Trauermal... a.a.O. 26 6. Schlußbetrachtung

Die historische Vergangenheit zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat nachhaltig Einfluß auf die offizielle Kunst dieser Epoche ausgeübt. Resümiert man den damals vorherrschenden Zeitgeist, so gilt es zunächst festzuhalten, daß unter der Bevölkerung Preußens nach der Zeit der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 Erleichterung und Stolz empfunden wurde, denn der Feind war glorreich besiegt, die Zeit der Kriege zunächst einmal vorbei, und der Wiederaufbau des Staates konnte nun in Angriff genommen werden. In dieser Stimmung entstand das emotionale Bedürfnis, den Erlebnissen und Erfahrungen der letzten Jahre steten Ausdruck zu verleihen: Der Sieg über Napoleon und die Wiedergewinnung der Freiheit sollten öffentlich bezeugt werden. König Friedrich Wilhelm III. initiierte ein Projekt, daß dieser Idee gewidmet war. Er erteilte entsprechende Aufträge an die großen Künstler der Gegenwart, um die Straße Unter den Linden in eine Siegesstraße zu verwandeln.

In diesem Zusammenhang entstanden 1818 Karl Friedrich Schinkels Neue Wache und 1822 zwei Generalsdenkmäler von Christian Daniel Rauch. Die drei Werke entsprachen dem Zeitgeist, indem sie auf die Helden und Taten der Befreiungskriege hinwiesen und diesen Gedanken künstlerisch für die Öffentlichkeit umsetzten. Sie wurden von dem Betrachter aufgrund des historischen Kontext unmittelbar in ihrem Sinngehalt begriffen und gewürdigt. Da diese Kunstwerke jedoch nicht nur öffentlich exponiert waren, sondern auch – da vom König in Auftrag gegeben - offiziellen Charakter besaßen, standen sie repräsentativ für die geistige Haltung eines ganzen Volkes. Wie mit diesem Beispiel illustriert wurde, kann ein Denkmal somit „zu einem wichtigen Erkenntnisgegenstand, zum Kronzeugen eines gesellschaftlichen Zustandes“48 werden. Das bedeutet: es reflektiert Geschichte und macht sie auch für nachfolgende Generationen noch faßbar. Deutlich ist der Appell zu vernehmen, der dadurch an die Gesellschaft dieser Zeit gerichtet wurde: Analysiert man eingehend die Generalsdenkmäler von Rauch, so erkennt der Betrachter vor allem, daß das Wesen des pflichtbewußten Soldaten für jeden einzelnen Bürger Gültigkeit erfahren soll. Man kann diese Funktion des Denkmals durchaus als eine bewußte didaktische Maßnahme interpretieren, die zur moralischen Erziehung des Volkes diente, das

27 Nationalbewußtsein schärfen und die Bereitschaft fördern sollte, sich gehorsam in den Dienst des Staates zu stellen.

Doch darf trotz aller programmatischer Ansätze auch nicht vergessen werden, daß der König einem Untertan seinen tief empfundenen Dank aussprach, wenn er ihm die Ehre zukommen ließ, in einem Denkmal verewigt zu werden. Die Person des Geehrten und sein Charakter werden in dem Monument nicht nur reflektiert, sondern für alle Zeit festgehalten. Die Persönlichkeit des Einzelnen und seine Taten prägen das Kunstwerk und geben ihm ferner seinen tieferen Sinngehalt. Hätten die Denkmäler nur einen didaktischen Sinn, hätte darauf verzichtet werden können. Dem ist aber nicht so. Mit viel Hingabe zum Detail hat Christian Daniel Rauch Statuen geschaffen, die nicht nur die Physiognomie Scharnhorsts oder Bülows exakt widerspiegeln, sondern vor allem ihre charakteristischen Besonderheiten betonen. Diese Elemente greifen nun ineinander über und verbinden sich miteinander, um eine gegenseitige Wechselwirkung zu erzielen. Es ergibt sich somit für das Denkmal eine Doppelfunktion:

So kam es zu jener Denkmalskunst, in der sich humanistische Idealität mit dem konkret faßbaren Individuum verband oder umgekehrt der profilierte Einzelne zu einer idealen Norm menschlichen Verhaltens überhöht wurde.49

In diesem Sinne ist auch die Neue Wache zu verstehen, die jedoch ihrerseits durch die Figuren exemplarisch die Gemeinschaft aller Soldaten repräsentiert. Zusammen mit den Generalsdenkmälern bildet sie den Hintergrund von Militärparaden, Aufmärschen oder offiziellen Feiern, an denen der König und sein Volk gemeinsam teilnahmen. Gleichsam einer Trias unterstützten sie als Gesamtkunstwerk die eindrucksvolle Wirkung, wenn preußische Stärke und Mut in Szene gesetzt wurden. Der Betrachter wurde allgegenwärtig an die Taten der Freiheitskriege erinnert, er konnte sich dem historischen Kontext nicht entziehen. Indem ihm der glanzvolle Sieg vor Augen geführt wurde, sollte sich ein Stolz auf das eigene Vaterland entwickeln, der in jener Epoche in allen Bevölkerungsschichten dominierte.

48 Bischoff, Ulrich: Denkmäler der Befreiungskriege in Deutschland. 1813-1815. Berlin 1977, S. 32 49 Bloch, Peter: Christian Daniel Rauch. Die Denkmäler, in: Das klassische Berlin. Die Berliner Bildhauerschule im neunzehnten Jahrhundert/ hrsg. von Peter Bloch und Waldemar Grzimek. Berlin 1978, S. 90 28

Wie bereits erläutert bilden die Neue Wache und die Generalsdenkmäler eine Einheit: sie wurden gemeinsam geplant und nehmen thematisch wie auch formal Bezug zueinander. Ihre ursprüngliche Aufstellung wieder herzustellen käme dem Grundprinzip dieser Einheit entgegen und würde auf beiden Seiten den eigentlichen und tiefen Sinngehalt der Kunstwerke wieder herstellen. Es geht dabei um mehr als eine bloße Verherrlichung preußischen Militarismus. Wenn eine Idealisierung durch die Gestaltung der Sockelreliefs auch nicht von der Hand zu weisen ist, so werden dadurch gezielt die Heldentaten der Generäle unterstrichen, die einen entscheidenden Beitrag zum Gewinn der Freiheit geleistet haben. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Interpretation, die sowohl den Opfern wie auch den Siegern gedenkt. Im Falle der Giebelreliefs der Neuen Wache finden Trauer und Schmerz um gefallene Krieger ihren Ausdruck. In den allgemein verständlichen Allegorien steht der General stellvertretend für sein Heer. Doch ist er derjenige, der ausgezeichnet wurde, weil ihm ein nobles Wesen zugrunde liegt, welches Vorbildfunktion für andere haben sollte. Der Geist des Humanismus verlangte nach dem Erkennen der Würde des Menschen und seiner individuellen Besonderheit. Mut und die Bereitschaft, für seine Ideale einzustehen wurden mit den Generalsdenkmälern proklamiert. Ein Bewußtsein für die Leistungen eines Staates und seines Volkes wurden aufgezeigt.

Eine differenzierte Betrachtung der Neuen Wache und vor allem der Denkmäler von Scharnhorst und Bülow lassen eine tiefere Bedeutungsebene zu als der oberflächliche Blick eines Kritikers vermag, der mit überholten Vorstellungen bzgl. des preußischen Wesens behaftet ist. Die beiden Kunstwerke Christian Daniel Rauchs verdienen eine Neubewertung, um wieder an den ihnen gebührenden Plätzen zu Seiten der Neuen Wache aufgestellt zu werden. Der Stadt Berlin und der Bundesrepublik würde somit ein Stück gelebter Geschichte wiedergegeben werden. Eine Epoche würde dem Volk konkret vor Augen geführt werden, in der Bürger des Staates für die Befreiung ihres Landes von einem Despoten zu kämpfen bereit waren. Ein Plädoyer für Freiheit und Humanismus im Herzen von Berlin ist ohne Zweifel die wohl würdigste Rechtfertigung für die ursprüngliche Aufstellung der Denkmäler Christian Daniel Rauchs.

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Anhang

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Literaturverzeichnis

Akaltin, Ferdi: Die Befreiungskriege im Geschichtsbild der Deutschen im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1997

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Rave, Paul Ortwin: Schinkel als Beamter – Ein Abschnitt preußischer Bauverwaltung, in: Karl Friedrich Schinkel. Architektur, Malerei, Kunstgewerbe. Berlin 1981

Rave, Paul Ortwin: Karl Friedrich Schinkel. Berlin. 3. Teil. Bauten für Wissenschaft, Verwaltung, Heer, Wohnbau und Denkmäler. Berlin 1952 31

Schieder, Theodor: Gerhard Johann David von Scharnhorst. 1755-1813, in: Die grossen Deutschen. Deutsche Biographie/hrsg. von Hermann Heimpel, Theodor Heuss und Benno Reifenberg. 4 Bde. Berlin 1956

Simson, Jutta von: Christian Daniel Rauch. Oeuvrekatalog. Berlin 1996

Winters, Peter Jochen: General Scharnhorst wechselt die Seite, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.09.89)

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