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SWR2 MusikGlobal

Inna Modja

Zwischen Freiheitsliebe und gesellschaftlichem Engagement

Von Luigi Lauer

Sendung: Dienstag, 28. März 2017, 23.03 Uhr Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2017

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Inna Modja stammt aus , sie lebt in Paris und sie ist mit vielen Talenten gesegnet. Als Fotomodell und als Schauspielerin hat sie sich einen Namen gemacht, vor allem aber als Musikerin. Ihre Musik ist eine interessante Kombination von traditionellen Klängen aus Westafrika und elektronisch beeinflusster Popmusik westlichen Zuschnitts. Mindestens ebenso interessant sind aber auch die Texte. Es geht um politische oder gesellschaftliche Themen wie Flüchtlinge, es geht um menschengemachten Wassermangel oder um die Überfischung afrikanischer Küsten durch europäische Fangflotten. Insbesondere aber setzt sich Inna Modja – selbst ein Opfer – gegen Genitalverstümmelung bei Frauen ein.

(Sprecherin): „Zwischen Freiheitsliebe und gesellschaftlichem Engagement – Inna Modja verbindet Tradition mit Hiphop und Elektronik.“

Und damit herzlich willkommen zu MusikGlobal auf SWR2, am Mikrophon begrüßt Sie Luigi Lauer.

--- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 5, Sambe, 3:31 ---

Inna Modja war erst 15 Jahre alt, als sie in der berühmten Rail Band des malischen Superstars landete. Seit 1970 und bis heute ist diese Bigband Schule und Sprungbrett für Dutzende erstklassiger Musiker. Auch für Inna Modja. Sie stammt allerdings aus dem Norden , wo traditionelle Musik nicht dasselbe bedeutet wie etwa in der Hauptstadt Bamako im Süden.

(O-Ton Inna Modja): „Für meine ethnische Gruppe ist der Wüstenblues die traditionelle Musik. Was die Rail Band und die Ambassadeurs machen, ist ja sehr stark kubanisch beeinflusst. Maravillas de Mali waren die erste Band, die nach Kuba ging. Sie sollten dort Musik studieren und danach in Mali als Musiklehrer arbeiten. Sie blieben allerdings viel länger als geplant und gründeten eine Band mit kubanischen Musikern. Es ist eine interessante Parallele: Was ich derzeit mache ist ein Mix aus traditioneller malischer Musik und Hiphop und Elektronik, und sie haben sie mit kubanischer Musik gemischt. Kubanische Musik ist bis heute sehr wichtig in Mali.“

Dafür gesorgt hat vor allem Boncana Maiga aus Gao. Er blieb zehn Jahre in Kuba und wurde nach seiner Rückkehr einer der wichtigsten Musiker und, noch mehr, Musikproduzenten Westafrikas. Begonnen hatte die Welle kubanischen Einflusses auf afrikanische Musikstile bereits in den 1950-er Jahren in Kinshasa, der Haupstadt Kongos. Doch die vielen verschiedenen Volksgruppen Malis wurden davon nicht in gleichem Maße erfasst. Die Tuareg-Völker des Nordens und die Songhai, zu denen zum Beispiel auch Ali Farka Toure gehört, blieben bei dem, was im Westen als Wüstenblues bekannt wurde.

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(O-Ton Inna Modja): „Ich liebe den Wüstenblues, weil das unsere traditionelle Musik ist. Eine lange Zeit habe ich diese Musik auch gemacht. Aber als ich in Frankreich mit der Musik anfing, habe ich neue Sachen ausprobiert und experimentiert. Letztlich bin ich wieder bei dem gelandet, was ich in der Anfangszeit gemacht habe.“

Mit 19 Jahren ging Inna Modja, mit bürgerlichem Namen heißt sie Inna Bocoum, nach Frankreich, um zu studieren. Doch für das Leben zu lernen, stellte sich als wichtiger heraus.

(O-Ton Inna Modja): „Vor allen anderen Dingen habe ich gelernt, mich auf mich selber zu verlassen. Ich kam mit 19 nach Europa und musste für meinen Unterhalt und das Studium arbeiten. Ich konnte ja nicht einfach meine Eltern anrufen und um Geld bitten. Das Leben in Europa ist erheblich teurer als in Mali. Aber diese Erfahrung würde ich für nichts hergeben. Sie half mir, schneller erwachsen zu werden. Mit 19 Jahren war ich komplett erwachsen und voll für mich selber verantwortlich.“

--- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 2, Tombouctou, 3:19 ---

Das Lied Tomboctou aus Inna Modjas aktuellem Album Motel Bamako. Tomboctou ist die französische Aussprache von Timbuktu, das wir gerne als Synonym für das Ende der Welt nehmen. Timbuktu ist beschaulich. Fast ausschließlich zweigeschossige Häuser gibt es hier, sandfarben wie die beeindruckende Moschee im Zentrum, wo sich auch Handwerksbetriebe und Märkte auf den staubigen Straßen befinden.

Dass junge Menschen etwas mehr von der Welt sehen wollen, ist dort noch verständlicher als hierzulande. Inna Modja hatte die Chance, nach Paris zu gehen und packte sie beim Schopf.

(O-Ton Inna Modja): „Ich habe Wirtschaft studiert und vorher noch Literatur, besonders die französische. Und ich habe mit Sprachen angefangen. Alleine in Mali gibt es ja schon einige, viele sogar. Ich spreche Bambara und Fulani, dann Französisch. Deutsch noch nicht. Portugiesisch kann ich verstehen, Italienisch auch sprechen, und ein bisschen auch Spanisch. Ich habe viele Freunde in Mexiko und versuche dort so oft wie möglich, Spanisch zu sprechen. Ich liebe Mexiko, ich war einige Male dort, alleine dieses Jahr zweimal.“

Inna Modja ging auch für ein Jahr nach London, wo sie in Clubs mit elektronischer Musik vertraut wurde. Es mag in Anbetracht der Musik, die sie heute macht, überraschen, dass sie auch viel Musik der härteren Gangart gehört hat.

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(O-Ton Inna Modja): „Früher schon, ja, als Jugendliche. In dem Alter ist man oft zwischen völlig verschiedenen Dingen hin und hergerissen. Ich mochte Liebeslieder wie die von Whitney Houston, hörte aber auch Punk und Metal-Bands. Ich wusste überhaupt nicht, wo meine Musik hinführen sollte. Aber das ist lange her. Es gibt ja Musik, die man zwar gerne hört, die man aber selber nicht machen will, weil man keine direkte Beziehung zu ihr hat.“

Die direkteste Beziehung war dann doch die zur Musik aus der Nachbarschaft. Erst ganz allmählich ist in Mali eine Loslösung von der Musik der alten Stars zu erkennen. Oft kamen die Impulse dafür durch Zusammenarbeit mit westlichen Musikern oder Produzenten zustande. Doch Inna Modja ist da mit ihrem Album Motel Bamako eine ganze Generation weiter.

(O-Ton Inna Modja): „Ich habe das alleine hinbekommen. Ich bin mein eigenes afrikanisch-europäisches Gewächs. Ich habe mir lange den Kopf zerbrochen, bis mir klar wurde, dass die Musik Malis sehr viele Loops und Wiederholungen beinhaltet, wie elektronische Musik auch. Das mit Hiphop zu kombinieren, klang für mich authentisch und ich fühle mich dadurch repräsentiert.“

Ein weiterer, wichtiger Baustein zur Authentizität kam dann über Inna Modjas Texte. Das Lied „Broken Smiles“ etwa handelt davon, dass jeder Tag seine eigene Schönheit hat und durch geteilte Liebe nur bereichert werden kann. Aber: Ein Lächeln ist sehr zerbrechlich.

--- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 11, Broken smiles, 3:30 ---

Das Lied „Broken Smiles“. Inna Modja lässt offen, weshalb sie mit zerbrochenem Lächeln dasteht. Sie benennt es auf dem Album Motel Bamako auch nicht konkret. Doch es ist bekannt, sie spricht offen darüber. Als Vier- oder Fünfjährige wurde sie zur Klitorisbeschneidung gebracht. Mehr als zwei Jahrzehnte hat sie unter den physischen wie psychischen Folgen dieses Martyriums gelitten. Dabei stammt sie aus einer durchaus fortschrittlich denkenden Familie.

(O-Ton Inna Modja): „Mein Vater ist Feminist, meine Mutter auch. Das haben sie wohl von ihren Müttern, die sehr starke Frauen waren. Mein Vater war also von emanzipierten Frauen umgeben, und fünf seiner Kinder sind auch noch Töchter. Gleichberechtigung und Frauenrechte sind etwas sehr Wichtiges für ihn. Aber eines Tages, meine Mutter war nicht zuhause, ging die Schwester meiner Oma mit mir zur Genitalbeschneidung. Das war eine schwierige Zeit für die Familie. Ich tat mein Bestes, eine ganz normale Kindheit zu verbringen, obwohl ich damals schon wusste, dass da etwas in mir zerbrochen war, dass etwas nicht richtig war. Deshalb entschied ich mich, dagegen vorzugehen und mich aufzulehnen. Der ursprüngliche Zustand meiner Genitalien konnte durch Operationen wieder hergestellt werden.

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Aber meine Entscheidung stand fest, anderen Frauen und Mädchen zu helfen und sie davor zu schützen.“

Das Problem ist keineswegs auf den afrikanischen Kontinent beschränkt. Auch in Asien, in der arabischen Welt, selbst in Europa und den USA wird Genitalverstümmelung praktiziert. Und, wie wir seit kurzem wissen, in nicht unerheblichem Umfang auch in Deutschland.

(O-Ton Inna Modja): „Die Vereinten Nationen, für die ich oft gearbeitet habe, sagten mir, dass weltweit 200 Millionen Frauen verstümmelt sind. Es ist also ein riesiges Thema, aber niemand will darüber reden. Um Vorsorge treffen zu können, müssen wir aber genau das tun. Die Leute sollen wissen, welche Folgen mit der Verstümmelung verbunden sind, welche physische wie psychische Zerstörung da stattfindet. Es ist wichtig, darüber zu reden.“

Reden ist Silber, zuhören ist Gold, könnte man in Abwandlung einer Volksweisheit sagen. Auch wenn es weh tut.

(O-Ton Inna Modja): „Man nimmt den Frauen die Weiblichkeit, wenn man ihnen das antut. Als Kind weißt du nicht, was du einmal sein wirst. Du sollst eine Frau werden. Aber ich persönlich hatte nie das Gefühl, eine Frau zu werden, mir fehlte etwas, symbolisch wie gesellschaftlich. Wenn du keine vollwertige Frau wirst, was wirst du dann? Du stehst in einer Ecke, dir wird gesagt, hier gehörst du hin und sonst nirgendwo, bleib, wo du bist. Du wirst eingeengt, wirst begrenzt, und das möchte ich nicht sein. Nach der Operation fühlte ich mich stark genug, etwas zu unternehmen. Endlich fühlte ich mich vollständig.“

--- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 3, Water, 3:51 ---

Das Lied „Water“. Es thematisiert das Problem der Trinkwasserbeschaffung besonders in ländlichen Gegenden, wo dafür kilometerlange Märsche nötig sind, während wir einfach den Hahn aufdrehen. Keine Überraschung darum, wenn in Europa das Eldorado gesehen wird.

Es war vor allem der freundschaftliche Rat der UNESCO-Musikpreisträgerin Oumou Sangare, der Inna Modja den letzten Anstoß gab, auch brisante Themen anzupacken – wofür ihr anfangs noch das Selbstbewusstsein fehlte.

(O-Ton Inna Modja): „Ich traf sie vor ein paar Jahren und wir haben uns auf der Stelle angefreundet. Sie behandelt mich wie eine Schwester. Ich habe viel von ihr gelernt, sie macht ja schon eine ganze Weile Musik. Sie ist eine Feministin und spricht schon lange die Probleme von Frauen und Mädchen an. Ich fand das immer schon bewundernswert. Als ich anfing, mich in Organisationen zu engagieren, die gegen häusliche Gewalt und gegen Genitalverstümmelung kämpfen, da wusste ich nicht,

5 wie ich das in meiner Musik unterbringen kann. Mir fehlte auch das Selbstvertrauen dafür. Auf meinen beiden vorherigen Alben habe ich strikt getrennt zwischen meinem sozialen und gesellschaftlichen Engagement und meiner Musik, meiner Arbeit als Künstlerin. Ich wusste nicht, wie ich das zusammenbringen kann. Jetzt, elf Jahre später, fühle ich mich stark genug, das zu tun. Ich musste mich erst um meine eigenen Probleme kümmern, und jetzt kann ich damit umgehen.“

Oumou Sangare, auch sie stammt aus Mali, wurde übel angefeindet, als sie vor über 20 Jahren anfing, gegen Polygamie und Zwangsehe zu singen, bis hin zu Morddrohungen. Inna Modja fühlte sich dennoch ermutigt, vor allem die Genitalverstümmelung bei Mädchen zur Sprache zu bringen – und wird ebenfalls dafür angegangen. Die Stars von damals zeigen sich dem Nachwuchs gegenüber sehr aufgeschlossen.

(O-Ton Inna Modja): „Was ich an dieser Generation schätze, ist, dass sie sehr respektvoll unserer Musik gegenüber ist. Und da treffen wir uns. Ob das Salif Keita ist oder Toumani Diabate oder Oumou Sangare oder Cheikh Tidiane Seck, sie respektieren die junge Generation. Und wir wiederum haben riesigen Respekt vor ihnen. Wir sind also komplementär.“

Das Lied Boat People ist so eine komplementäre Angelegenheit. Man meint, die unverkennbare Stimme von Oumou Sangare zu vernehmen – ein Eindruck, der sich durch einen Blick ins Booklet der CD Motel Bamako bestätigt.

--- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 6, Boat People, 3:47 ---

(O-Ton Inna Modja): „Wir wollten schon lange etwas gemeinsam machen. Als ich Oumou Sangare von Boat People erzählte, sagte sie, dass sie ebenfalls besorgt ist über dieses Thema. Sie kam ins Studio und machte einen Mikrophon-Test. Das Band lief mit. Dann sagte sie, okay, versuchen wir es. Ich meinte, wie, du hast noch gar nicht richtig gesungen? Es war so wundervoll, für mich war die Aufnahme im Kasten. Und was sie zum Soundcheck gesungen hat ist schließlich auch das, was man in der Aufnahme hört.“

Oumou Sangare – ein Profi durch und durch und darüber hinaus eine bemerkenswert energische und sympathische Person. Inna Modjas Bewunderung für die große Sängerin ist nur zu verständlich.

Sie hören MusikGlobal auf SWR2, heute mit einem Portrait der Sängerin Inna Modja aus Mali.

Es war im Jahr 2009, als sie, damals 25 Jahre alt, ihr erstes Album herausbrachte, „Every day is a new world“, eine Pop-Soul--Platte, überwiegend auf Englisch gesungen. Das blieb auch so bei der zweiten CD, „Love Revolution“, 2012

6 veröffentlicht. Erst auf „Motel Bamako“, ihrer dritten und aktuellen Arbeit, singt sie auch Texte in ihrer Muttersprache Bambara und wendet sich gesellschaftlichen Themen zu.

(O-Ton Inna Modja): „Auf den beiden vorherigen Alben habe ich viel von meinen Freunden erzählt oder von meinen Nachbarn; Leute, die mich inspiriert haben oder deren Geschichten ich teilen wollte. Auf diesem Album erzähle ich zum ersten Mal meine Geschichte.“

Gehen wir für ein Lied zurück zum letzten Album, „Love Revolution“. Dort zeichnet sich immerhin schon ab, dass es Inna Modja mit Liebesliedern oder Alltagsgeschichten alleine nicht mehr getan ist. Homeless handelt von einer obdachlosen Frau.

--- Inna Modja, CD Love Revolution, Track 9, Homeless, 3:30 ---

Das Lied Homeless aus Inna Modjas Album „Love Revolution“ aus dem Jahr 2012.

Der Name Salif Keita ist in der heutigen Sendung über Inna Modja bereits mehrfach gefallen. Keita wurde nicht nur ihr musikalischer Ziehvater. Der 57-jährige Ausnahmesänger ist Albino, ein weißer Schwarzer also, und als solcher immer schon ausgegrenzt worden, da viel Aberglauben mit dieser Eigenschaft verbunden war und teils noch ist. Und Keita stammt aus einem uralten Adelsgeschlecht. Ein Keita singt nicht, er lässt singen. Doch Salif Keita setzte sich gegen alle Widerstände durch. Es war eine harte Schule für ihn. Doch er wusste sehr genau, was er wollte. Das ist auch, was er Inna Modja mit auf den Weg gab. Er hatte von ihr gehört und lud sie zu sich ein; das jedenfalls ist im Internet zu lesen. War das so?

(O-Ton Inna Modja): „Das war anders. Er hat mich nicht gefragt – ich bin einfach zu ihm nach Hause gegangen. Ich klopfte an seine Tür und sagte ihm, dass ich gerne in seiner Band singen möchte und dass ich an mich als Künstlerin glaube. Ich hatte ein Lied von mir auf einer Kassette aufgenommen, die gab ich ihm. Aber er meinte nur, nein, du stehst ja vor mir. Sing! Ich war 15 und schüchtern und zitterte vor Aufregung. Dann sagte er, wenn du einen Weg gehen möchtest, wie ich ihn mit der Rail Band gegangen bin, dann musst du von den Älteren lernen. Du musst Zuhören und Zuschauen und deinen eigenen Weg finden. Das wird nicht einfach und es ist ein langer Weg. Aber wenn du dabeibleibst und hart arbeitest, kannst du alles erreichen, was du dir vornimmst. Das war wirklich interessant für mich.“

Inna Modja hat sich an den Rat gehalten und hart gearbeitet. Und einiges erreicht. Denn neben ihrer Karriere als Musikerin war sie auch als Fotomodell erfolgreich und erhielt letztes Jahr eine tragende Rolle in dem Film „Wulu“. Sie spielt dort eine Prostituierte, deren jüngerer Bruder seinen Job als Busfahrer aufgibt, um stattdessen Drogen zu schmuggeln. Mit dem Geld will er seiner Schwester ein freies Leben ohne

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Freier ermöglichen. Das Ganze geht fürchterlich nach hinten los, eine Art afrikanisches Scarface.

Eine Nummer kleiner fing Baloji an. Der Sohn eines belgischen Vaters und einer kongolesischen Mutter, die früh jeglichen Kontakt zu ihrer Familie abbrach, war schon auf dem Wege zu einer Kleinkriminellen-Karriere. In einem Erziehungsheim kriegte er die Kurve, nicht zuletzt dank der Musik, in der er als Rapper und Hiphop- Musiker seinen Frust und seine Ansichten in Texte gießen konnte. Inna Modja hat ihn für einen Gastauftritt im Lied My People eingeladen.

--- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 8, My people, 3:32 ---

Das Lied My People aus dem aktuellen Album von Inna Modja, „Motel Bamako“.

Die Beschneidung von Frauen, oder female genital mutilation, wie es im Englischen heißt, um die Nähe zur Kastration herauszustellen, ist auch in Mali immer noch weit verbreitet. Daran hat auch das rund zehnjährige Engagement von Inna Modja nicht viel geändert. Das solle aber nicht verwundern, sagt sie. Um Praktiken abzuschaffen, die Jahrhunderte lang als selbstverständlich angesehen wurden, brauche man einen sehr langen Atem.

(O-Ton Inna Modja): „Unglücklicherweise ja. Die Regierung hat ein paar Maßnahmen ergriffen und einige Kampagnen gestartet, aber die Mentalität zu ändern ist sehr schwierig. Genitalverstümmelung wird seit Jahrhunderten als Teil der Tradition betrachtet. Über Nacht lässt sich daran nichts ändern. Die Vereinten Nationen wollen diese Praxis bis 2030 weltweit getilgt haben. Ich hoffe sehr, dass wir das erreichen.“

Schon Oumou Sangare wurde angefeindet, als sie vor 30 Jahren anfing, Zwangsehe und Polygamie anzuprangern. Inna Modja ergeht es nicht besser, auch sie wurde schon bedroht oder tätlich angegriffen.

(O-Ton Inna Modja): „Oh, ja, das passiert. Ich erhalte viele heftige Gegenreaktionen. Im Februar habe ich vor den Vereinten Nationen in New York gesprochen. Ich habe meine Geschichte erzählt und dargelegt, welche Maßnahmen ich für richtig erachte. Daraufhin gab es massive Abwehrreaktionen aus allen Richtungen. Manche beschimpfen dich oder schlagen sogar oder sie spucken dich an. Das habe ich alles erlebt. Aber was wollen sie letztendlich machen?“

Da ist sie wieder, die offenkundig unerschütterliche Haltung, dass sich auf lange Sicht ja doch etwas ändert. Und solange kann man immerhin praktische Hilfe leisten. Inna Modja unterstützt ein Frauenhaus in St. Denis im Norden von Paris. Dort nimmt man sich seit Mitte letzten Jahres Frauen an, die bereits Opfer wurden.

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(O-Ton Inna Modja): „Es sind Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben, Vergewaltigung, Genitalverstümmelung, oder es sind Flüchtlinge. Jede Frau, die Unterstützung benötigt, die medizinische oder therapeutische Hilfe braucht, ist bei uns willkommen. Was mir dafür an Beleidigungen auf Facebook gepostet wurde, war erschreckend. Man gewöhnt sich nie an solche Gegenreaktionen, aber sie machen einen stärker.“

--- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 7, Man across the street, 3:58 ---

„Man across the street“, ein Lied darüber, dass „sich kümmern“ gleich vor der eigenen Haustüre anfängt, zum Beispiel beim Nachbarn von gegenüber, der alleine in seiner Küche sitzt.

„Sich kümmern“ kann allerdings auch die gegenteilige Bedeutung haben. Inna Modja hat ihre schlechten Erfahrungen gemacht mit Leuten, die vehement die Genitalverstümmelung als Teil ihrer Tradition verteidigen. Tradition wird ja gerne mal angeführt, um höchst bedenkliche, längst überkommene oder kriminelle Handlungen zu rechtfertigen. Da ist immer auch viel Verklärung im Spiel.

Inna Modja ist nicht bei ihrer Kritik an der Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen geblieben und hat damit auch den Kreis ihrer Feinde vergrößert.

(O-Ton Inna Modja): „Und jetzt, wo ich mich auch gegen Krieg und Terrorismus stelle, wird es sogar noch schlimmer, denn diese Leute sind noch viel gefährlicher. Es gibt Regionen in Mali, da würde ich nicht reisen, weil ich dort erhebliche Probleme bekommen könnte. Aber ich habe eine Plattform als Künstlerin, die ich nutzen kann, um Themen zu teilen, die ich für interessant und wichtig halte. Letztendlich meint es das Leben doch gut mit mir, und das möchte ich teilen.“

Und wieder endet Inna Modja mit einer optimistischen Wendung. Auf die Situation in Mali durch die gewalttätigen Übergriffe der Islamisten angesprochen, wird ihre Miene jedoch finster.

(O-Ton Inna Modja): „Die Situation hat sich nicht wesentlich geändert. Es ist nicht mehr so schlimm wie vor vier Jahren, aber es geht nicht wirklich voran. Im Norden Malis gibt es überall Djihadisten, die Hälfte des Landes dort ist nicht sicher. Sie haben dort alles verboten: Kultur, Musik, Fernsehen, Radio, sogar Fußball für Kinder und überhaupt Zusammenkünfte. Es ist schrecklich. Viele Menschen mussten fliehen, besonders die Künstler. Die Situation ist nicht gut.“

Und was haben diese selbsternannten Freiheitskämpfer als Alternative anzubieten?

(O-Ton Inna Modja): „Gewalt haben sie zu bieten, sonst nichts.“

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--- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 9, Diaraby, 2:40 ---

„Diaraby“, ein traditionelles Lied aus Mali, musikalisch hier auch recht traditionell gehalten. Es gibt dutzende Versionen davon. Gesungen hat Inna Modja es in ihrer Muttersprache Bambara. „Diaraby“ heißt Liebe. Und genau die setzt Inna Modja dem Hass entgegen, wo auch immer er herrührt. Wir erinnern uns, dass ihr vorheriges Album „Love Revolution“ heißt.

Daraus abzuleiten, dass Inna Modja, die ja eigentlich Inna Bocoum heißt, ein braves Mädchen war, das sich bloß nicht mit Ungerechtigkeiten abfinden wollte, ginge allerdings fehl.

(O-Ton Inna Modja): „Modja bedeutet ungezogen. Meine Mutter hat mir den Namen gegeben, als ich noch ein Kind war. Ich war ein echtes Energiebündel und das sechste und wohl auch das Lauteste von sieben Kindern. Manchmal war sie meiner einfach überdrüssig.“

Davon muss wohl einiges hängen geblieben sein. Outlaw, das erste Lied auf dem Album Motel Bamako, trägt zweifellos autobiographische Züge.

(O-Ton Inna Modja): „Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und mache, was ich will und wann ich es will. Ich wollte mich auf diesem Album darstellen, wie ich wirklich bin, und dazu gehört auch eine dunkle Seite. Outlaw war das richtige Lied, damit anzufangen.“

(Sprecherin): „Sie hörten: Musik Global. Zwischen Freiheitsliebe und gesellschaftlichem Engagement – Inna Modja verbindet Tradition mit Hiphop und Elektronik.“

Das Lied „Outlaw“ ist denn auch ein angemessener Schluss für die heutige Sendung. Am Mikrophon war Luigi Lauer, haben Sie noch eine gute Nacht.

--- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 1, Outlaw, 3:10 ---

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