SWR2 Musikglobal
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE __________________________________________________________________________ SWR2 MusikGlobal Inna Modja Zwischen Freiheitsliebe und gesellschaftlichem Engagement Von Luigi Lauer Sendung: Dienstag, 28. März 2017, 23.03 Uhr Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2017 __________________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. __________________________________________________________________________ Service: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 MusikGlobal sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] __________________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de --- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 5, Sambe, 0:08 --- Inna Modja stammt aus Mali, sie lebt in Paris und sie ist mit vielen Talenten gesegnet. Als Fotomodell und als Schauspielerin hat sie sich einen Namen gemacht, vor allem aber als Musikerin. Ihre Musik ist eine interessante Kombination von traditionellen Klängen aus Westafrika und elektronisch beeinflusster Popmusik westlichen Zuschnitts. Mindestens ebenso interessant sind aber auch die Texte. Es geht um politische oder gesellschaftliche Themen wie Flüchtlinge, es geht um menschengemachten Wassermangel oder um die Überfischung afrikanischer Küsten durch europäische Fangflotten. Insbesondere aber setzt sich Inna Modja – selbst ein Opfer – gegen Genitalverstümmelung bei Frauen ein. (Sprecherin): „Zwischen Freiheitsliebe und gesellschaftlichem Engagement – Inna Modja verbindet Tradition mit Hiphop und Elektronik.“ Und damit herzlich willkommen zu MusikGlobal auf SWR2, am Mikrophon begrüßt Sie Luigi Lauer. --- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 5, Sambe, 3:31 --- Inna Modja war erst 15 Jahre alt, als sie in der berühmten Rail Band des malischen Superstars Salif Keita landete. Seit 1970 und bis heute ist diese Bigband Schule und Sprungbrett für Dutzende erstklassiger Musiker. Auch für Inna Modja. Sie stammt allerdings aus dem Norden Malis, wo traditionelle Musik nicht dasselbe bedeutet wie etwa in der Hauptstadt Bamako im Süden. (O-Ton Inna Modja): „Für meine ethnische Gruppe ist der Wüstenblues die traditionelle Musik. Was die Rail Band und die Ambassadeurs machen, ist ja sehr stark kubanisch beeinflusst. Maravillas de Mali waren die erste Band, die nach Kuba ging. Sie sollten dort Musik studieren und danach in Mali als Musiklehrer arbeiten. Sie blieben allerdings viel länger als geplant und gründeten eine Band mit kubanischen Musikern. Es ist eine interessante Parallele: Was ich derzeit mache ist ein Mix aus traditioneller malischer Musik und Hiphop und Elektronik, und sie haben sie mit kubanischer Musik gemischt. Kubanische Musik ist bis heute sehr wichtig in Mali.“ Dafür gesorgt hat vor allem Boncana Maiga aus Gao. Er blieb zehn Jahre in Kuba und wurde nach seiner Rückkehr einer der wichtigsten Musiker und, noch mehr, Musikproduzenten Westafrikas. Begonnen hatte die Welle kubanischen Einflusses auf afrikanische Musikstile bereits in den 1950-er Jahren in Kinshasa, der Haupstadt Kongos. Doch die vielen verschiedenen Volksgruppen Malis wurden davon nicht in gleichem Maße erfasst. Die Tuareg-Völker des Nordens und die Songhai, zu denen zum Beispiel auch Ali Farka Toure gehört, blieben bei dem, was im Westen als Wüstenblues bekannt wurde. 2 (O-Ton Inna Modja): „Ich liebe den Wüstenblues, weil das unsere traditionelle Musik ist. Eine lange Zeit habe ich diese Musik auch gemacht. Aber als ich in Frankreich mit der Musik anfing, habe ich neue Sachen ausprobiert und experimentiert. Letztlich bin ich wieder bei dem gelandet, was ich in der Anfangszeit gemacht habe.“ Mit 19 Jahren ging Inna Modja, mit bürgerlichem Namen heißt sie Inna Bocoum, nach Frankreich, um zu studieren. Doch für das Leben zu lernen, stellte sich als wichtiger heraus. (O-Ton Inna Modja): „Vor allen anderen Dingen habe ich gelernt, mich auf mich selber zu verlassen. Ich kam mit 19 nach Europa und musste für meinen Unterhalt und das Studium arbeiten. Ich konnte ja nicht einfach meine Eltern anrufen und um Geld bitten. Das Leben in Europa ist erheblich teurer als in Mali. Aber diese Erfahrung würde ich für nichts hergeben. Sie half mir, schneller erwachsen zu werden. Mit 19 Jahren war ich komplett erwachsen und voll für mich selber verantwortlich.“ --- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 2, Tombouctou, 3:19 --- Das Lied Tomboctou aus Inna Modjas aktuellem Album Motel Bamako. Tomboctou ist die französische Aussprache von Timbuktu, das wir gerne als Synonym für das Ende der Welt nehmen. Timbuktu ist beschaulich. Fast ausschließlich zweigeschossige Häuser gibt es hier, sandfarben wie die beeindruckende Moschee im Zentrum, wo sich auch Handwerksbetriebe und Märkte auf den staubigen Straßen befinden. Dass junge Menschen etwas mehr von der Welt sehen wollen, ist dort noch verständlicher als hierzulande. Inna Modja hatte die Chance, nach Paris zu gehen und packte sie beim Schopf. (O-Ton Inna Modja): „Ich habe Wirtschaft studiert und vorher noch Literatur, besonders die französische. Und ich habe mit Sprachen angefangen. Alleine in Mali gibt es ja schon einige, viele sogar. Ich spreche Bambara und Fulani, dann Französisch. Deutsch noch nicht. Portugiesisch kann ich verstehen, Italienisch auch sprechen, und ein bisschen auch Spanisch. Ich habe viele Freunde in Mexiko und versuche dort so oft wie möglich, Spanisch zu sprechen. Ich liebe Mexiko, ich war einige Male dort, alleine dieses Jahr zweimal.“ Inna Modja ging auch für ein Jahr nach London, wo sie in Clubs mit elektronischer Musik vertraut wurde. Es mag in Anbetracht der Musik, die sie heute macht, überraschen, dass sie auch viel Musik der härteren Gangart gehört hat. 3 (O-Ton Inna Modja): „Früher schon, ja, als Jugendliche. In dem Alter ist man oft zwischen völlig verschiedenen Dingen hin und hergerissen. Ich mochte Liebeslieder wie die von Whitney Houston, hörte aber auch Punk und Metal-Bands. Ich wusste überhaupt nicht, wo meine Musik hinführen sollte. Aber das ist lange her. Es gibt ja Musik, die man zwar gerne hört, die man aber selber nicht machen will, weil man keine direkte Beziehung zu ihr hat.“ Die direkteste Beziehung war dann doch die zur Musik aus der Nachbarschaft. Erst ganz allmählich ist in Mali eine Loslösung von der Musik der alten Stars zu erkennen. Oft kamen die Impulse dafür durch Zusammenarbeit mit westlichen Musikern oder Produzenten zustande. Doch Inna Modja ist da mit ihrem Album Motel Bamako eine ganze Generation weiter. (O-Ton Inna Modja): „Ich habe das alleine hinbekommen. Ich bin mein eigenes afrikanisch-europäisches Gewächs. Ich habe mir lange den Kopf zerbrochen, bis mir klar wurde, dass die Musik Malis sehr viele Loops und Wiederholungen beinhaltet, wie elektronische Musik auch. Das mit Hiphop zu kombinieren, klang für mich authentisch und ich fühle mich dadurch repräsentiert.“ Ein weiterer, wichtiger Baustein zur Authentizität kam dann über Inna Modjas Texte. Das Lied „Broken Smiles“ etwa handelt davon, dass jeder Tag seine eigene Schönheit hat und durch geteilte Liebe nur bereichert werden kann. Aber: Ein Lächeln ist sehr zerbrechlich. --- Inna Modja, CD Motel Bamako, Track 11, Broken smiles, 3:30 --- Das Lied „Broken Smiles“. Inna Modja lässt offen, weshalb sie mit zerbrochenem Lächeln dasteht. Sie benennt es auf dem Album Motel Bamako auch nicht konkret. Doch es ist bekannt, sie spricht offen darüber. Als Vier- oder Fünfjährige wurde sie zur Klitorisbeschneidung gebracht. Mehr als zwei Jahrzehnte hat sie unter den physischen wie psychischen Folgen dieses Martyriums gelitten. Dabei stammt sie aus einer durchaus fortschrittlich denkenden Familie. (O-Ton Inna Modja): „Mein Vater ist Feminist, meine Mutter auch. Das haben sie wohl von ihren Müttern, die sehr starke Frauen waren. Mein Vater war also von emanzipierten Frauen umgeben, und fünf seiner Kinder sind auch noch Töchter. Gleichberechtigung und Frauenrechte sind etwas sehr Wichtiges für ihn. Aber eines Tages, meine Mutter war nicht zuhause, ging die Schwester meiner Oma mit mir zur Genitalbeschneidung. Das war eine schwierige Zeit für die Familie. Ich tat mein Bestes, eine ganz normale Kindheit zu verbringen, obwohl ich damals schon wusste, dass da etwas in mir zerbrochen war, dass etwas nicht richtig war. Deshalb entschied ich mich, dagegen vorzugehen und mich aufzulehnen. Der ursprüngliche Zustand meiner Genitalien konnte durch Operationen wieder hergestellt werden. 4 Aber meine Entscheidung stand fest, anderen Frauen und Mädchen zu helfen und sie davor zu schützen.“ Das Problem ist keineswegs auf den afrikanischen Kontinent beschränkt. Auch in Asien, in der arabischen Welt, selbst in Europa und den USA wird Genitalverstümmelung praktiziert. Und, wie wir seit kurzem wissen, in nicht unerheblichem Umfang auch in Deutschland. (O-Ton Inna Modja): „Die Vereinten Nationen, für die ich oft