Patrick Nawe · Norman Nawe Der Traum von der THE BEAT OF Der Traum von der

Patrick Nawe · Norman Nawe BUNDESLIGA

KSV HOLSTEIN HOME SHIRT 2018/19 VERLAG DIE WERKSTATT VERLAG DIE WERKSTATT

Von Grafen, Schockern Inhalt und Feuerwehrmännern 94 Das tiefe sportliche Tal der Vorworte … 7 Kieler Störche von 1981 bis 2010 Neue Strukturen – „Keine andere Stadt, keine andere neue KSV Holstein 104 Liebe, kein anderer Verein“ 8 Zweitliga-Aufsteiger Holsteins Konstante 114 sorgte in der Saison 2017/18 für Wolfgang Schwenke seit ein kleines Fußballmärchen neun Jahren KSV-Geschäftsführer Ein Comeback der Superlative 16 Baumeister des Erfolges 116 Die denkwürdige Rückkehr der Kieler Ralf Becker und 24 Monate Kiel Störche auf die Zweitliga-Bühne Talentförderung im Quantensprung und Zeitenwende 42 CITTI FUSSBALL PARK 118 Holstein Kiel in der 2. Liga – Das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) damals und heute der KSV Holstein setzt im Norden Maßstäbe Holsteins Kampf um Der Deutsche Meister die Zweitklassigkeit 50 kommt aus Kiel 126 Eine kurze Geschichte der 2. Bundesliga Die Kieler Störche – Aufstiegshelden 52 Fußballtradition seit 1900 Wulf-Dieter Hansen (1978) und Das beste Spiel aller Zeiten 128 Marvin Ducksch (2017) schreiben Kieler Störche entmachten Kieler Fußballgeschichte Schalker Knappen Tore für die Ewigkeit 56 82.000 Zuschauer bei Volker Tönsfeldt und Steven Lewerenz extremer Hitze 130 schossen die Premierentore Holsteins Amateure werden Die Aufstiegstrainer 60 durch ein 5:1 gegen Siegburg 04 Gerd Koll und Markus Anfang Deutscher Amateurmeister führten Holstein in die 2. Liga Bundesliga-Traum Patrick Herrmann 64 platzte am Bökelberg 132 Ein Fußballgott im Storchennest Holsteins Spieler saßen Kenneth Kronholm 68 weinend in der Kabine Ein Kieler Torwartidol Die Goldenen Jahre 134 Liebe und Leidenschaft Holstein stürmte von 1976 bis 1980 mit Routiniers und jungen Wilden in Blau-Weiß-Rot 72 in den Fußball-Himmel Holstein Kiel und seine Fans Traumhafter Wahnsinn 136 Das Holstein-Stadion 80 Die Kieler DFB-Pokal-Sensationen 2011/12 Spagat zwischen Tradition und Moderne Tim Wulff löst Drittliga-Ticket 138 „20.000 Zuschauer sind 2009: Falko Götz führt Holstein auch in Kiel möglich!“ 90 mit Derbysieg in die 3. Liga Interview mit den beiden Holstein- Meilenstein vor 17.000 Fans 139 Hauptsponsoren Dr. Hermann Langness und Gerhard Lütje 2013: Holstein steigt unter Trainer Gutzeit in die 3. Liga auf Statistiken 144

7 Vorworte …

Vorworte …

Die Kieler Störche begleiten uns schon von Kindesbeinen an. Gemeinsam haben wir in der Jugend der KSV gespielt und als junge Fans, animiert durch unseren Cousin Stefan Benkert, die Spiele in der 2. Liga Nord erlebt. Und seit vielen Jahren dürfen wir Holstein nun schon als Berichterstatter begleiten. Die Begeisterung für die Störche ist bei uns ungebrochen. Stets hatten wir auch die schillernde Vereinshistorie im Blick. Dass wir nun – 40 Jahre nach unseren ersten Besuchen auf dem Holsteinplatz – noch einmal Zweitliga-Fußball erleben dürfen, ist sicherlich ein Highlight unseres gemein- samen Lebensweges. Unvergessene Spiele, große Siege, tragische Niederlagen und natürlich auch die Nähe zu zahlreichen großartigen Fußballern prägten für uns die letzten vier Jahrzehnte. Mit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga hat sich für uns beide im Sommer 2017 ein Kreis geschlossen. Und noch einmal Punktspiele der Störche gegen den Hamburger SV zu erleben, das hätten wir bei all unserem Optimismus kaum mehr für möglich gehalten. PATRICK und NORMAN NAWE (die Autoren)

Im Mai 1980 feierte ich in der 2. Liga Nord im Trikot der KSV Holstein meine Punktspielpremiere im Herrenbereich. Drei Jahre später startete ich mit meinem Wechsel nach Berlin in die große, weite Fußballwelt. Dass ich meinen Heimatverein Holstein Kiel in all den Jahren nie aus den Augen verloren habe, das versteht sich von selbst. Der lang ersehnte Aufstieg in die 2. Bundesliga im Sommer 2017 bewegte mich auch über 30 Jahre nach meinem Abschied aus Kiel sehr. Ich freue mich, dass sich Holstein auf eine derart begeisternde Art und Weise, mit tollem Fußball und stimmungsvollen Fans, auf der großen Fußballbühne zurückgemeldet hat. Ich denke noch immer gern an meine Zeit im Holstein-Stadion zurück und wünsche den Störchen für die Zukunft alles erdenklich Gute. ANDREAS KÖPKE (Bundes-Torwarttrainer)

Für einen gebürtigen Holsteiner wie mich waren die Störche natürlich immer das Maß aller Dinge im Land. In der Jugend waren die Spiele gegen Holstein fast ausschließlich entscheidende Meisterschaftsspiele. In der Kieler Uni-Mannschaft habe ich auch mit dem einen oder anderen Holstein-Spieler zusammengespielt. 1980, als ich parallel zum Studium in Kiel beim NDR-Hör- funk begann, waren ein Probebericht über ein Holsteinspiel sowie ein Interview mit dem damaligen Trainer Gerd Prokop meine ersten beiden Aufgaben. In jenem Jahr, in dem die KSV in der 2. Liga Nord spielte, wurde ich erstmals für Fußball-Live-Reportagen auf NDR 2 eingesetzt und habe dem- entsprechend oft auch Holstein-Spiele verfolgt. Ich habe die Störche aus alter Verbundenheit nie aus den Augen verloren und bei allen Aufstiegsspielen sowohl in die 3. als auch in die 2. Liga mitgefi ebert. Schade, dass es (noch) nicht mit dem Aufstieg in die 1. Bundesliga geklappt hat, denn für mich steht fest: Schleswig-Holstein braucht endlich mal einen Fußball-Erstligisten – er würde das Selbstbewusst- sein dieses wunderbaren Landes noch mehr stärken. GERHARD DELLING (TV-Moderator)

Holstein Kiel ist mein Heimatverein, und bis heute sind die Verbindungen hervor- ragend. Nicht nur weil mit Tim Siedschlag noch ein alter Kieler Weggefährte dabei ist und mein Freund Steffen Schneekloth das Präsidentenamt innehat. Meine Familie lebt in Kiel. Ich schaue immer auf die Ergebnisse der KSV, das war eine phänomenale Saison. Da wächst richtig etwas heran. Der Verein hat einen tollen Weg eingeschlagen und das sicher auch aufgrund der großen Unterstützung von Gerhard Lütje und Hermann Langness. Ich habe so oft wie möglich versucht, Spiele der Störche zu sehen. Auch beim Rückspiel gegen den VfL Wolfsburg war ich live dabei. Man kann stolz sein auf das Geleistete, und ich bin sehr gespannt, was die KSV in Zukunft im Profi fußball erreichen wird. FIN BARTELS (Bundesliga-Profi )

7 Die Relegation gegen WOlfsburg

Marvin „Keine Ducksch (re.) und Kapitän Rafael Czichos andere Stadt, feiern den Ausgleich in Wolfsburg. keine andere Liebe, kein anderer Verein” Zweitliga-Aufsteiger Holstein Kiel sorgte in der Saison 2017/18 für ein kleines Fußballmärchen

Es glich einem sportlichen Orkan, wie die Kieler Störche seit dem Aufstieg am 13. Mai 2017 durch die 2. Bundesliga fegten. Fast vier Jahrzehnte lang – seit dem Abstieg aus der 2. Liga Nord 1981 – hatten die Kieler Fans von der Rückkehr in das Bundesliga-Unterhaus geträumt. Zahlreiche Versuche waren an der sportlichen und wirtschaftlichen Realität gescheitert. Mit Trainer Markus Anfang begann im Herbst 2016 ein kleines Kieler Fuß- ballmärchen, das im Sommer 2018 beinahe eine echte Sensation geworden wäre. Mit dem Erreichen der Relegation gegen den VfL Wolfsburg feierte Holstein Kiel den größten Erfolg der Vereinsgeschichte seit der Qualifikation für die Bundesliga-Aufstiegsrunde 1965.

8 9 Die Relegation gegen WOlfsburg

er Höhenfl ug des Deutschen Meisters Ende entgegenneigte, schlug die große Stunde von 1912 sorgte bei den Anhängern von Markus Anfang. Der Erfolgstrainer, der die im Norden für einen echten Rauschzu- KSV nach 36 Jahren zurück in die Zweitklassig- stand. Noch viele Jahre wird man über keit geführt hatte, lächelte die Niederlage bei den Ddie Saison 2017/18 sprechen, in der Holstein Kiel Wölfen vor der versammelten Medienschar auf endlich wieder zum Synonym für mitreißenden der Pressekonferenz einfach authentisch char- Fußball und das altehrwürdige Holstein-Sta- mant weg und zündete mit seinen Worten zugleich dion zum echten Hexenkessel wurden. Mit einer den letzten Funken Hoffnung für das Rückspiel im Mannschaft, wie man sie im heutigen Profi fußball Holstein-Stadion: „Die Qualität bei einer Bun- nur noch selten antrifft, setzte Ex-Profi Markus desliga-Mannschaft ist eine andere, und das hat Anfang eine Spielphilosophie um, die beinahe in man auch gemerkt. Nach dem dritten Treffer der die 1. Bundesliga geführt hätte – es wäre das Wölfe haben wir ein richtig gutes Spiel gemacht, erste Mal in der Vereinsgeschichte gewesen. am Ende hätten wir einen weiteren Treffer verdient gehabt.”

Dass Holstein trotz der charakter- lich geraden, intelligenten und beschei- denen, aber dennoch selbstbewussten und zielstrebigen Fußballer am Ende der Endstand in Wolfsburg. Sprung in die Eliteliga verwehrt blieb, war bitter – angesichts des hohen Mil- lionenetats der Wölfe und der außeror- dentlichen Qualität des Spielermaterials allerdings auch nicht verwunderlich. Der VfL Wolfsburg rettete sich zum zweiten Mal in Folge über die Relegation. Holstein hatte in beiden Spielen das Nachsehen. Als FIFA-Schiedsrichter Daniel Siebert aus „Was für ein Berlin das Rückspiel im Holstein-Stadion cooler Trainer”, staunte ganz Deutsch- nach 96 Minuten abpfi ff, erhoben sich die 12.000 land bei der Nachbetrachtung der Partie. Der Zuschauer und zollten den tapferen Verlierern nüchterne Blick für die klare Analyse, die rea- mit Standing Ovations ihren Respekt. Einen Tag listische Beschreibung der Kräfteverhältnisse später feierten Tausende auf dem Kieler Rathaus- zwischen dem Tabellensechzehnten aus Liga eins platz die Helden frenetisch. Dennoch, die beste und dem Unterhaus-Aufsteiger von der Förde – Saison seit über 50 Jahren hatte kein Happy End Anfang bewies einmal mehr, wie gut er die Kla- gefunden, der Traum von der 1. Bundesliga war viatur dieser Branche beherrscht. Und dann trotz zweier keineswegs enttäuschenden Vorstel- spielte der zukünftig für den 1. FC Köln tätige lungen gegen den Goliath aus Wolfsburg ausge- Fußball-Lehrer die Gefühlskarte als seinen letzten träumt. Die Erinnerungen werden bleiben – nicht Trumpf aus: „Es wird am Montag ein ganz beson- nur als sportlicher Meilenstein in der Geschichte deres Spiel, weil die Spieler und der Trainerstab der Kieler Sportvereinigung von 1900, sondern in dieser Konstellation nicht mehr zusammen- auch als emotionaler Höhepunkt. kommen werden. Wir wollen noch mal ein geiles Spiel abliefern. Und wenn wir uns früh mit einem Die „Rote Wand” Tor belohnen, dann ist in unserem Hexenkessel alles möglich.” Keine Spur von Frust im roten Block der Hol- stein-Fans nach der 1:3-Hinspielniederlage in der Starke Schlussphase Wolfsburger Volkswagen-Arena: Die 3.000 Kieler Anhänger, die eine beeindruckende „Rote Wand” In der Tat hätten die Störche, die in der 34. Minute bildeten, entließen ihre Helden mit donnerndem durch Kingsley Schindler nach toller Vorarbeit Applaus und lautstarken Schlachtgesängen. Als von Dominick Drexler den 1:1-Ausgleich erzielen sich der aus Kieler Sicht historische Abend dem konnten, in der Schlussphase eine deutlich bes-

9 SAISON-RÜCKBLICK 2017/18

Fünf Böllerschüsse gaben die Kieler Störche am 3. März 2018 beim 5:0-Kantersieg gegen Mitaufsteiger MSV Duisburg ab und versetzten die insgesamt 10.143 Zuschauer in einen Jubel- taumel. Mit dem Erfolg beendete Holstein eine Durststrecke von elf sieglosen Spielen, knackte die magische 40-Punkte- Marke und festigte Rang drei. David Kinsombi (li.), der den Torreigen in der 18. Minute mit seinem Treffer zum 1:0 eröff- nete, lieferte gegen die Zebras eine erstligareife Leistung ab. 34 35 SAISON-RÜCKBLICK 2017/18

35 Trainer Gerd Koll springt nach dem Sieg gegen Wacker 04 Berlin am 17. Juni 1978 auf und feiert den Die Aufstieg in die 2. Liga Nord. Aufstiegstrainer Gerd Koll und Markus Anfang führten Holstein in die 2. Liga

Sie haben sich leider nie kennenlernen dürfen, aber der Erfolg vereint beide in der Hol- stein-Geschichte bis in alle Ewigkeit. Gerd Koll und Markus Anfang führten die Kieler Störche in die 2. Liga und haben damit die beiden wichtigsten Vereinserfolge der letzten 50 Jahre zu verantworten. Während Koll mit der KSV am 17. Juni 1978 durch den 1:0-Er- folg im alles entscheidenden Aufstiegsspiel gegen Wacker 04 Berlin triumphierte, durf- te Anfang 39 Jahre später, am 13. Mai 2017, durch den 1:0-Erfolg der Störche bei der SG Sonnenhof Großaspach die langersehnte Rückkehr in die Zweitklassigkeit feiern.

Holstein-Legende Gerd Koll teurmannschaft zu spielen. Es dauerte allerdings nicht lange, bis er sich dank seines ausgeprägten Gerd Koll war jemand, der sich nie groß in den Torriechers über die 3. und 2. Mannschaft in das Mittelpunkt gedrängt hat. Das hat er stets anderen Oberliga-Team gespielt hatte. Die 1. Mannschaft überlassen. Als der gebürtige Rendsburger kickte damals erstklassig und damit auf Augen- nach dem Abitur 1958 im zarten Alter von 20 höhe mit Vereinen wie HSV, Werder Bremen, Jahren zur KSV Holstein wechselte, ging er dort und Eintracht Braunschweig. Nach zunächst nur einfach mal so hin, um in der Ama- einem Freundschaftsspiel vor 40.000 Zuschauern

60 61 Die Aufstiegstrainer

Gerd Koll in der Bundesliga- Aufstiegsrunde 1965 am Gladbacher Bö kelberg.

Gerd Koll geht von Bord

Nach der erfolgreichen Aufstiegsrunde 1978 endete Kolls Zeit auf der Trainerbank der Störche. Sein Lehrerberuf am Kieler Max-Planck-Gym- nasium und die Aufgabe als Profi trainer waren nicht miteinander zu vereinbaren. Als Holstein in der Saison 1979/80 das Wasser in der 2. Liga Nord bis zum Hals stand, da übernahm Koll noch einmal – wie selbstverständlich – für vier Gerd Koll 2012 Wochen das Kommando, überließ dann aber zu Besuch im das Feld endgültig den anderen. Doch Koll Holstein-Stadion. Ostern 1959 in verlor nie den Blick auf seine Störche. Dresden hatte das Jungtalent Der Familienvater verfolgte bis zuletzt bereits den Sprung geschafft. Fortan erzielte der von den Stehrängen und abseits des antrittsschnelle und bewegliche Goalgetter so Getümmels die Spiele seiner KSV. viele Tore für die KSV wie keiner vor ihm – und Groß war auch immer seine Freude, bis dato auch keiner mehr nach ihm. 1962 wurde wenn er im Rahmen von Ehemaligen- Koll mit der grandiosen Zahl von 29 Treffern noch treffen seine Schützlinge von einst vor dem großen Uwe Seeler Torschützenkönig der wiedersehen durfte. Und im April . 2012, als er Holsteins 1:0-Heim- Der Gewinn der -Meisterschaft sieg gegen das aufstrebende Team 1965 und die anschließende Teilnahme an der von RB live miterlebte, Aufstiegsrunde zur 1. Bundesliga gegen Borussia da leuchteten seine Augen noch Mönchengladbach, Wormatia Worms und den einmal wie früher, als er die Kieler SSV Reutlingen bildeten die Höhepunkte seiner Fans regelmäßig mit seinen Toren erfolgreichen Laufbahn, die er schon 1968 been- in einen wahren Freudentaumel dete. Acht Jahre später kehrte er als Trainer zu versetzte. Am 18. März 2013 Holstein Kiel zurück, übernahm die aufgrund wirt- verstarb Gerd Koll. Und einen schaftlicher Engpässe stark verjüngte 1. Mann- wie ihn wird es im Storchennest schaft des Traditionsklubs in akuter Abstiegsge- nie wieder geben. fahr und vollbrachte das schier Unmögliche: Er führte seine Störche in die 2. Liga Nord. Koll Er kam, sah und siegte hatte die „Goldene Generation” der KSV, die aus Spielern wie Axel Möller, Harry Witt, Stefan Genau wie Gerd Koll, so wird auch Markus Anfang Dietrich oder auch den Tönsfeldt-Brüdern Volker als historischer Glücksfall in die Geschichte der und Dietmar bestand, von Werner Bannasch über- Kieler Sportvereinigung eingehen. Anfang kam, nommen und zu einer echten Einheit zusammen- sah und siegte – und vollbrachte das, wonach Fans geschweißt. Schon 1977 war erstmals der Einzug und Verantwortliche jahrzehntelang gedürstet in die Zweitliga-Aufstiegsrunde gelungen. Die hatten: Anfang führte die KSV Holstein nach einer Fans in Kiel standen nach jahrelanger Durst- gefühlten Ewigkeit in die Zweitklassigkeit zurück. strecke kopf und rannten der KSV die Bude ein. Dass Kiel ein ambitionierter, traditionsreicher Doch in einer Gruppe mit Union Salzgitter, Sieg- Verein ist, der seit Jahren durch viel Aufwand ver- burg 04 und dem späteren Aufsteiger Rot-Weiß sucht hatte, immer wieder in den bezahlten Fuß- Lüdenscheid erwiesen sich die Kieler Youngster ball zurückzukommen, das wusste Anfang bereits noch als zu grün. Erst ein Jahr später entfaltete vor seinem Amtsantritt. Viele namhafte Trainer sich die volle Schlagkraft der jungen Störche. waren am großen Ziel gescheitert, einige Geschei-

61 Kenneth Kronholm

Kenneth Kronholm Ein Kieler Torwartidol

68 Kenneth Kronholm

Ohne Zweifel, auf der Torhüterposition hatte die Kieler Sportvereinigung in ihrer langen Vereinshistorie zahlreiche Ausnahmekönner. Neben Holsteins Meistertorhüter von 1912, Adsch Werner, der sage und schreibe 21 Jahre lang die Nummer eins zwischen den Hol- stein-Pfosten war, muss natürlich auch Andreas Köpke genannt werden, der nach seinen Kieler Anfangsjahren im Profifußball in der großen weiten Welt Ruhm erlangte und 1996 im Wembleystadion als Torhüter der deutschen Nationalmannschaft den EM-Pokal in den Himmel recken durfte. Oder auch Henry Peper, unumstrittene Nummer eins der Kieler in der erstklassigen Oberliga Nord von 1950 bis 1962 und Schlussmann der B-Nationalmannschaft. Aber auch Franz Möck, der 1965 mit den Störchen nur knapp den Aufstieg in die 1. Bundesliga verpasste, bleibt unvergessen. Und dann ist da auch noch ein gewisser Kenneth Kronholm. Gebürtiger US-Amerikaner, herausragender Zweitliga-Aufstiegstorhüter 2017 und auf dem besten Wege, als modernes Torwartidol in die Holstein-Geschichte einzugehen.

Der Weg ins Fußball-Tor

Als Torwart verehrt Kenneth Kronholm den Torwart- Titan Oliver Kahn, er findet Lionel Messi toll und hält den Franzosen Zinédine Zidane für den besten Fußballer aller Zeiten. Wie sein Großvater, der drei- malige Nationaltorwart Edwin Muth, spielte Kron- holm als Kind zunächst Handball. Anfangs wehrte der junge Kenneth sich gegen den Fußball. Erst mit 14 Jahren wechselte er zur größeren Kugel – als Feldspieler der SG Oftersheim. Das Umherhechten zwischen den Pfosten, das Gefühl, einen Ball aus dem Winkel zu fischen, hatte ihn schon auf dem Bolzplatz fasziniert. Und so führte ihn sein Weg irgendwann ins Tor. Heute gehört er zu den besten seines Faches in der 2. Bundesliga. 30.000 zum Schweigen gebracht

Als am 14. April in Dresden die Zweitliga-Partie zwischen Dynamo und Holstein Kiel beim Spiel- stand von 0:4 abgepfiffen wurde, da wussten alle der knapp 30.000 Zuschauer, wer die Partie quasi im Alleingang entschieden hatte: Holstein-Schluss- mann Kenneth Kronholm. „Kenny”, wie ihn Fans

Vor der Riesenkulisse in Dresden hält Holsteins Schlussmann Kenneth Kronholm am 14. April 2018 den Elfmeter von Moussa Koné. Beim Spiel gegen Dynamo lieferte Kronholm seine beste Saisonleistung ab.

69 FUSSBALLTRADITION SEIT 1900

Am 26. Mai 1912 feierte der FV Holstein Kiel den größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Durch ein 1:0 gegen den Karlsruher FV wurde folgende Mannschaft Deutscher Meister: Hugo Fick, Helmut Bork, Ernst Möller, Georg Krogmann, Willi Zincke, Adolf Werner, David Binder, Hans Dehning, Willi Fick (stehend von links), Hans Reese, Heinrich Homeister (sitzend von links). Der Deutsche Meister kommt aus Kiel Die Kieler Störche – Fußballtradition seit 1900

Das verlorene Meisterschafts- Es war um neun Uhr morgens am 7. Oktober 1900, als sich die neun jungen Fußballer endspiel 1930 Andrae, Beier, Beiler, Blaschke, Hudemann, Leuenhagen, Niederehe, Stange und Roland am gegen Hertha BSC Berlin ein Jahr zuvor eröffneten Kieler Bahnhof trafen, um sich auf eine äußerst abenteuerli- (3:4) war eines che Zugfahrt in Richtung Lübeck zu begeben. Genervt von der anhaltenden Bevormundung der packendsten Spiele der Ver- der Turner beschlossen sie, auch gegen den Willen des mächtigen Turnrates des bür- einsgeschichte. gerlichen Turnvereins KMTV 1844 die Geschichtsbücher umzuschreiben. Mit dem Kieler Fußballverein (KFV) gründeten sie den vermutlich einzigen deutschen Fußballverein, der auf einer Zugfahrt entstand. Angekommen in der Hansestadt, fand das erste Spiel der frischen Vereinsgeschichte statt. Mit nur zehn Spielern – einen davon hatte man sich bei den Lübeckern ausgelie- hen – ging es auf den Platz. Und der KFV durfte am Ende einen 1:0-Sieg feiern. Der Schütze des goldenen Tores war Georg P. Blaschke, der vehementeste Verfechter der Los- lösung vom KMTV 1844. Die Abspaltung von den Turnern war im obrigkeitshörigen Deutschland jener Tage eine mutige und aufmüpfige, fast schon revolutionäre Tat.

126 127 FUSSBALLTRADITION SEIT 1900

Die Aktivitäten des KFV lösten weiteres Fußball- Rekordkulisse – sahen eine kämpferische Kieler interesse in Kiel aus. Jugendliche bildeten „wilde” Elf, die durch den von Ernst Möller verwandelten Straßenklubs und kickten – meist sehr zum Ver- Foulelfmeter (52.) den bis heute größten Erfolg druss ihrer Eltern – in den Gassen der Stadt. Vor der Vereinsgeschichte feiern durfte. Zu jener allem an der Oberrealschule I, der heutigen Heb- Zeit entstand die Legende vom „Holsteingeist”, belschule, sowie am Gymnasium und Realgymna- der, glaubt man dem inzwischen leider verstor- sium stand die runde Kugel hoch im Kurs. In einer benen Rekordspieler Peter Ehlers, noch heute tief kleinen Gartenlaube am Knooper Weg, unweit unten in den Katakomben des Holstein-Stadions der heutigen Storchen-Apotheke, trafen sich am hausen soll, um sich immer wieder in besonderen 4. Mai 1902 die drei Oberrealschüler Walter Momenten der Vereinsgeschichte zu zeigen. Duden, Friedrich Brügmann und Hans Gosch und Der KFV und der FV Holstein machten ab gründeten einen neuen Jugendspielverein. Auf dem 7. Juni 1917 gemeinsame Sache, und der Anregung von Christian Tuscynski sollte der neue Zusammenschluss wurde unter dem Namen Kieler Klub den Namen Kieler Fußball-Club Holstein Sportvereinigung Holstein von 1900 e.V. besie- erhalten, der 1908 in FV Holstein Kiel geändert gelt. Die KSV gehörte seitdem neben dem HSV, wurde. Einen Schub erhielt Holstein Ende 1902, Hannover 96, dem FC St. Pauli und Altona 93 als der Spielbetrieb vom viel zu kleinen Adolfplatz zu den traditionsreichsten Vereinen im Norden. auf eine günstiger gelegene Wiese an der Guten- Insgesamt 13 Nationalspieler brachte Holstein bergstraße verlegt wurde. Das nahe gelegene vor dem Zweiten Weltkrieg hervor. Immer wieder Klubheim „Zum Storchnest”, heute umbenannt erreichten die Störche die Endrunde um die Deut- in „Gutenberg”, förderte Wachstum und Zusam- sche Meisterschaft. Die letzten großen Erfolge menhalt der Neugründung immens – und gab den waren die Deutsche Vizemeisterschaft 1930 (4:5 Spielern ihre Spitznamen: die Störche! gegen Hertha BSC Berlin in Düsseldorf), der Der sportliche Aufschwung von Holstein nahm dritte Platz im Jahre 1943 sowie die Teilnahme seinen Lauf. Die Spielkunst der Blau-Weiß-Roten an der Endrunde 1953. wurde im ganzen Norden bestaunt. Spieler wie Nach dem Krieg war Holstein bis zur Einfüh- Adolf „Adsch” Werner, Ernst Möller oder auch rung der 1. Bundesliga erstklassig. Am Karfreitag Willi Zincke waren Vorbilder, denen die Jugend 1951 erlebte Kiel einen Zuschauerrekord für die nacheiferte. Am 16. März 1909 stand Werner Ewigkeit. 30.000 Besucher wollten das Duell mit beim 0:9 der deutschen Nationalelf in England dem Hamburger SV erleben und sahen am Ende im Tor, und der Daily Telegraph schrieb nach dem ein packendes 3:3. Da sich 1963 nur der HSV, Spiel anerkennend: „Das einzige Hindernis für Werder und Braunschweig für die neue Bundes- England war Adsch Werner!” Das Endspiel um liga qualifiziert hatten, musste die KSV in der die Deutsche Meisterschaft gegen den Karlsruher einen neuen Anlauf nehmen. FV 1910 in Köln verpasste Werner aufgrund einer 1965 scheiterte Holsteins „Wundersturm” in schweren Verletzung, und Holstein unterlag mit der Aufstiegsrunde u. a. an Borussia Mönchen- 0:1 nach Verlängerung. Doch das Feuer loderte gladbach. 1974 rutschten die Störche mit der weiter. Am 15. Oktober 1911 konnte der neue Einführung der zweigleisigen 2. Liga sogar erst- Holstein-Sportplatz mit einem Freundschaftsspiel mals in die Drittklassigkeit ab. Die drei Jahre in gegen Preußen Berlin (3:4) eingeweiht werden, der 2. Liga Nord, von 1978 bis 1981, bildeten in ein Meilenstein auf dem Weg zur gesellschaftli- den vergangenen vier Jahrzehnten die Grundlage chen Akzeptanz. Vor allem die kleine überdachte aller Kieler Fußballträume. Mit der tatkräftigen Holztribüne erschloss den Störchen ein gänz- Unterstützung der beiden größten Förderer, Her- lich neues Publikum. Den Höhepunkt des jungen mann Langness und Gerd Lütje, gelangen mit dem Vereins erlebten die Anhänger dann am 26. Mai Zweitliga-Aufstieg 2017 sowie dem Erreichen der 1912. Durch Siege im Viertelfinale gegen Preußen Relegation 2018 die größten Erfolge der Holstein- Berlin (2:1) und im Halbfinale gegen Viktoria „Neuzeit”. Die Kieler Sportvereinigung Holstein Berlin (2:1 n.V.) hatte Holstein erneut das End- von 1900 setzt ihre schillernde Vergangenheit in spiel um die Deutsche Meisterschaft erreicht. Auf der 2. Bundesliga fort, und das an jenem Spielort, dem Victoria-Platz in Hamburg-Hoheluft waren an dem die Störche schon im Meisterjahr 1911/12 die Störche diesmal stärker als der Karlsruher FV. ihre Heimspiele ausgetragen haben – eine im Die 9.000 Zuschauer – eine neue norddeutsche modernen Fußball selten gewordene Geschichte.

127 Patrick Nawe · Norman Nawe Bundesliga Der Traum von der THE BEAT OF KIEL Der Traum von der

Patrick Nawe · Norman Nawe BUNDESLIGA

ISBN 978-3-7307-0412-7 VERLAG DIE WERKSTATT KSV HOLSTEIN HOME SHIRT 2018/19 VERLAG DIE WERKSTATT VERLAG DIE WERKSTATT