»Comics« in der deutschen Zeitungsforschung vor 1945 Von Michael F. Scholz Als Bestandteil von Zeitungen musste die amerikanische Comicbeilage auch die Aufmerksamkeit der frühen deutschen Zeitungsforschung erwecken. In Deutschland tat man sich schwer, die populäre Form zu übernehmen, und das, Gefördert durch Stiftelsen Riksban- obwohl die Comics dazu beitrugen, die Auflage ihres Blattes zu erhöhen. kens Jubileumsfond, Stockholm

In »Deutsche Comicforschung« sind wieder- holt Benennung und Definition des Comic diskutiert worden. Comics seien eben nicht nur komisch, konstatierte Eckart Sackmann, daher habe »das unzutreffende Lehnwort aus dem Englischen [...] bis heute eine vorur- teilsfreie Ein- und Zuordnung verhindert«.1 Mehr Aufschluss über die Geschichte dieses Lehnwortes im deutschen Sprachraum und über die Vergänglichkeit von Definitionen soll folgend ein Überblick über zeitgenössi- sche deutsche Urteile vor 1945 über die ame- rikanischen »Comic Strips« bzw. »Comics« geben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der deutschen Zeitungswissenschaft, zu deren Forschungsgegenstand die Comics als ein wichtiger Teil der amerikanischen Zeitungen gehörten.2 In der amerikanischen Diskussion um die Gefährlichkeit der »comic supplements«, die bereits im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts heftig geführt wurde, stand auch deren Humor bzw. Niveau in der Kritik. Als die New York Evening Post den Vorwurf erhob, dass die farbigen »comics« der ameri- kanischen Sonntagszeitungen »clownish, vulgar, idiotic« seien und von intelligenten Deutschen, Franzosen und Engländern nicht verstanden würden, konterte Rudolph Block, bei Hearst Herausgeber der Comic-Beilagen, Oben ein zeitgenössischer (Bild-) der einzige Grund, weshalb die »Katzenjam- Frühe Versuche, amerikanische Comics Kommentar von Karl Arnold aus mer Kids« in Deutschland nicht publiziert auch in Europa bekannt zu machen, hatten Simplicissimus 27. Jg., Nr. 25 (1922). würden, bestehe darin, dass »of the four unterschiedlichen Erfolg. Bereits 1903 fand publications in that country that applied for »Buster Brown« seinen Weg nach Europa. the exclusive right of the publishing them Buchausgaben dieser Serie erschienen in simultaneously with newspapers here, none mehreren europäischen Ländern – nicht in was willing to pay the price the editor set Deutschland, aber in Frankreich, England 1 Eckart Sackmann: Comics sind upon them«. Umgekehrt habe Block sich Schweden und Dänemark. Dänemark war nicht nur komisch. Zur Benennung und Definition. In: ders. (Hg.): mehrfach darum bemüht, die berühmtesten 1903 der Berner Konvention zum Schutz des Deutsche Comicforschung 2008. Zeichner (»most famous humorous artists«) Urheberrechts beigetreten und kaufte bereits Hildesheim 2007, S. 7; ders.: Comic: aus Europa in die Vereinigten Staaten zu ab 1906 skandinavische Abdruckrechte für Kommentierte Definition, in: ders. holen, darunter aus Deutschland Adolf Ober- Comic Strips aus den USA.4 In Deutschland (Hg.): Deutsche Comicforschung länder. Aber sie alle lehnten ab und zogen es fanden die amerikanischen Comics kein 2010, Hildesheim 2009. S. 6-9. vor, für ihre heimatlichen »comic publicati- Interesse. Der deutsche Humor scheint ein 2 Vgl. Gert Hagelweide: Literatur zur deutschsprachigen Presse: eine ons« zu arbeiten. Andererseits hätten Dirks, anderer gewesen zu sein; den bedienten die Bibliographie. München 1985-2007. Opper, Outcault und Swinnerton in den letz- traditionellen Karikaturen- und Witzblätter 3 Vgl. Sounding The Doom Of The ten Jahren auch unzählige Angebote aus offenbar zufriedenstellend.5 »Comics«. In: Current Litterature, England, Frankreich und Deutschland abge- Die wohl erste Bekanntschaft mit den Vol. XLV (Dezember 1908), S. 630- lehnt.3 Comic Strips verdankte der deutsche Leser 633.

59 Unten das Cover von P. Richards’ »Zeichner und ›Gezeichnete‹« von 1912; rechts daraus ein Ausschnitt.

rikanischen Zeichners und Journalisten« er- schienen ab 1912 in mehreren Auflagen.7 Selbstredend behandelte er hier auch die neuen farbigen Zeitungsbeilagen. Über sie erfuhr der deutsche Leser, dass sie einen Umfang von vier bis acht Seiten hätten, im Vierfarbendruck erschienen und von alt und jung mit Ungeduld von Woche zu Woche erwartet und förmlich verschlungen würden. Richards stellte auch einige der damals be- liebtesten amerikanischen Karikaturisten im Bild vor. Den mächtigen Zeitungsverleger W. R. dem Österreicher Richard Pichler, der 1912 Hearst, dem er über Jahre treu verbunden nach langer und erfolgreicher Karriere als war, lobte er in den höchsten Tönen als »ver- Pressezeichner und Karikaturist in den USA ständnisvoll und bereitwillig auf neue Ideen Unten die Titelseite der Berliner nach Deutschland zurückgekehrt war. In eingehend, liebenswürdig im Verkehr, nobel Sonderausgabe des New Yorker Berlin, wo er bis zu seinem Tod 1940 lebte, und großzügig in Geschäften«. Damit ebnete Deutschen Journals vom 28. Sep- tember 1913. Die Zeitung wird im veröffentlichte er weiter unter »P. Richards«, er Hearst auch den Weg auf den deutschen Internationalen Zeitungsmuseum dem Namen, mit dem er in den USA als stän- Markt, denn dieser lancierte bereits im Sep- Aachen aufbewahrt – leider fehlt diger Mitarbeiter der Hearst-Presse zu den tember des folgenden Jahres eine Sonder- die Comicbeilage, für die es deswe- höchstbezahlten Zeichnern seiner Zeit ge- ausgabe New Yorker Deutsches Journal. Sie gen keinen Beleg, sondern nur hört hatte.6 Seine »Erinnerungen eines ame- mündliche Aussagen gibt. fand offenbar in Berlin und Wien Verbrei- tung und enthielt wohl auch mehrere Co- mics aus dem Medienimperium von Hearst, darunter die unter anderem von Wilhelm Busch inspirierten »Katzenjammer Kids«.8 Mit Ausbruch des Krieges 1914 verblass- te das von P. Richards mit Wärme und Sym- pathie gezeichnete Amerika-Bild. Das deutsch-amerikanische Verhältnis kühlte merklich ab. In den USA entwickelte sich gegen Deutschland eine starke Abneigung, die bald in Feindlichkeit umschlagen sollte. Darauf war man in Deutschland kaum vor- bereitet. Erst während des Krieges wurde man gewahr, dass man in Fragen der Propa- ganda bzw. der psychologischen Kriegfüh- rung und Verteidigung gegenüber dem Geg-

60 ner deutlich zurückgeblieben war. Durch Links ein Ausschnitt aus eine Reihe von Initiativen und Neugründun- dem Artikel »Der HUMOR in der amerikanischen KA- gen sollte sich das ändern. Dies betraf unter RIKATUR« in der Berliner anderem das Studium der öffentlichen Mei- Illustrirten Zeitung (1921). nung des Auslands. Länderkunde und Zei- Im Untertext wird darauf tungskunde entwickelten sich zu akademi- verwiesen, dass es die schen Fächern. Figuren Mutt und Jeff in Deutschland im Zeichen- Im Kriegsjahr 1916 wurde das erste trickfilm zu sehen gab. deutsche Institut für Zeitungskunde an der Universität Leipzig unter der Bezeichnung »Zeitungswissenschaft« gegründet. Das Fach sollte sich wissenschaftlich mit den Print- medien befassen, dabei insbesondere mit den Zeitungen. In schneller Folge kam es in Berlin, Münster, Freiburg, München und Heidelberg zu weiteren Institutsgründen. Zunächst standen aber nicht aktuelle Ent- Comics interessierten – die sagenhaften wicklungen auf dem Gebiet des Pressewe- Einkünfte der Schöpfer der Figuren und sens im Vordergrund, sondern theoretisch- deren ökonomische Vermarktung sowie der Unten ein offenbar von fremder methodische Fragen. aus deutscher Sicht besondere amerikani- Hand nachgezeichneter Strip von In den USA war es in diesen Jahren zur sche Humor. Bereits zu Beginn des Jahrhun- Frederick Burr Opper, abgedruckt derts hatte es sich gezeigt, dass man in den in den Münchner humoristischen Bildung von Comic-Syndikaten gekommen, Blättern 52/1912. die den nationalen und bald auch internatio- nalen Vertrieb der Comic Strips übernah- men. Da die Syndikate den Comiczeichnern gegenüber als Käufer und Auftraggeber auf- traten, erhielten sie auch immer stärkeren Einfluss auf die weitere Entwicklung bzw. Ausgestaltung der Comics. Deren Inhalte (urban, ethnic, slapstick humor) wurde auf Drängen der Syndikate im zweiten Jahrzehnt durch familienfreundliche Themen ergänzt. Gesellschaftskritische Aussagen, wie sie noch ansatzweise bei »The Yellow Kid« zu finden waren, verschwanden fast völlig. Da- für richteten sich die Comics nun auch di- rekt an Kinder. Da die mächtigen Syndikate um die besten Zeichner wetteiferten, erreich- ten Top-Zeichner Spitzenlöhne.9 Dies fand nicht nur in den USA Aufmerksamkeit, son- dern auch in Deutschland. Geschichten über die sagenhaften Einkünfte der Karikaturi- sten, wie die Comic-Zeichner hier wie dort genannt wurden, machten die Runde. Der gewaltige Erfolg der Hearst-Zeitun- gen, der offenbar anfangs auf der weitge- hend farbigen Humorbeilage am Wochen- ende und später unter der Woche der Seite mit den Daily Strips beruhte, wurde Anfang 1921 auch in der Berliner Illustrirten Zeitung diskutiert. Die Amerikaner wurden hier als »ein äußerst lachlustiges Volk mit einem sehr lebhaften Sinn für grotesken Humor« be- schrieben. Der Artikel rang um die rechte Beschreibung des Phänomens. Der Tages- strip wurde hier »tägliche Serienhandlung« genannt und die Sonntagsseite »ganzseitiger farbiger Film«.10 Offenbar waren es vor allem zwei Din- ge, die den deutschen Leser hinsichtlich der

61 Früher deutscher Abdruck von Ha- USA keinen Gefallen mehr am Humor der ihren farbigen »Serienbildern«. Nach rold Knerrs »« in Das Magazin 8/1925. deutschen Karikaturisten fand – wohl hatten Richards kreiere hier jeder Zeichner eine sich die USA und Deutschland in dieser besondere Figur, die er dann in den Mittel- Frage voneinander entfernt.11 punkt der »gezeichneten Humoreske« stelle, Als Quelle des amerikanischen Humors mit denen er allwöchentlich aufwarte. Prä- sah der Artikelverfasser der Berliner Illustrir- sentiert wurden unter anderen »The Katzen- ten Zeitung im Jahr 1921 »nicht die Politik, jammer Kids«, »Muff and Jeff« sowie »The 4 Vgl. Alan Clark/Laurel Clark: Co- 14 mics. An Illustrated History. Lon- niemals ein benanntes Einzelindividuum, Newlyweds«. don 1991. S. 95. sondern immer nur den Alltagsmenschen Nach P. Richards waren auch die 5 An welchen Comics der Deutsche und sein Alltagsleben«. Die amerikanische Schwarzweißseiten mit diesen »Bilderserien« Gefallen fand bzw. an welchem Nation brauche sich ihres vielen Gelächters in den Tageszeitungen sehr populär. Nicht Werk sich der deutsche Humor nicht zu schämen, wurde betont – im Gegen- unähnlich einem »gezeichneten Kinemato- messen lassen musste, dazu vgl. teil, es sei Äußerung einer ihrer besten Eigen- graphenfilm« ziehe da Bild um Bild an den Eckart Sackmann/Harald Kiehn: 12 Der Sprechblasencomic im Wider- schaften. Augen des Beschauers vorüber, so dass jede streit der Kulturen. In: Eckart Sack- Den ersten US-Comic in Deutschland solcher »Bilderserien« ein humoristisches mann (Hg.): Deutsche Comicfor- brachte wohl Das Magazin (Dresden) im oder tragikomisches Abenteuer dieser »be- schung 2010. Hildesheim 2009. März 1925 zum Abdruck – eine ummontierte stimmten, stets gleichbleibenden Typen wie- S. 23-45. Die Besonderheiten des Sonntagsseite der »Katzenjammer Kids« von dergibt«. Mit seinem Versuch, die Comic amerikanischen Humors einem deutschen Publikum verständlich Harold Knerr in den Heften 7 bis 10 dessel- Strips adäquat zu beschreiben, gab Richards zu machen, war schon Anliegen ben Jahres, gefolgt von zwei anderen Bei- hier eine Definition vor, an der sich über von P. Richards mit seinem Band spielen.13 Im November 1925 meldete sich Jahrzehnte nicht viel ändern sollte. Sie ent- »Amerika durch die Lupe der Kari- P. Richards in der Illustrirten Zeitung (Leip- hielt die zentralen Elemente – humorvolle katur« (Leipzig 1913). zig) erneut zum Thema »Die lachende Kunst oder abenteuerliche Bild-Erzählung mit 6 Vgl. Kurt Flemig: Karikaturisten- in Amerika« zu Wort. Zunächst stellte er die gleichbleibenden Helden. Inhaltlich gehe es Lexikon. München u. a. 1994. S. 234. tägliche politische Karikatur vor (»in den um menschliche Schwächen, Torheiten und 7 P. Richards: Zeichner und »Ge- USA ›Cartoon‹ genannt«), um sich dann dem Laster und deren satirischer Verspottung. zeichnete«. Aus den Erinnerungen eines amerikanischen Zeichners »Comic Supplement« zuzuwenden, der hu- Dabei bestand für Richards kein Zwei- und Journalisten. Berlin 1912. S. 12. moristischen Beilage der Sonntagsblätter mit fel, dass es sich bei den Comic Strips um

62 Links der Beginn von P. Richards’ »Die lachende Kunst in Amerika« (1925).

Unten das Original eines Strips, mit dem der deutsche Zeichner Hans Steiner versucht hat, George McManus’ Jiggs (»«) zu imitieren. Der Ort des Abdrucks ist nicht bekannt; man weiß allerdings, dass Steiner ähn- liche Imitationen 1927 in der Illustrierten Kölnischen Zeitung veröffentlichte.

einen »Karikaturentyp« handelte. Er merkte begann. In Leipzig wurde Zeitungswissen- dabei aber auch an, dass der »Massenver- schaft 1921 als Haupt- und Promotionsfach trieb des amerikanischen Karikaturenhumors« an der Philosophischen Fakultät anerkannt; mit einer »Herabsetzung des künstlerischen ab 1926 gab es eine ordentliche Professur. Leistungsniveaus Hand in Hand« gehe. Doch Im selben Jahr begründeten der Literatur- das tue diesen »Bildersatiren des Alltags- historiker Karl d’Ester, der 1924 auf die in dienstes« keinen Abbruch. Was den amerika- München neugegründete Professur für Zei- nischen Humor betraf, wollte er doch ein- tungswissenschaft berufen worden war, und schränken, dass der Deutsche sich von die- der Zeitungswissenschaftler Walther Heide sen Bildern »anfangs wenig angeheimelt« die erste Fachzeitschrift mit dem Titel Zei- fühle, denn dieser Leser sei »im allgemeinen tungswissenschaft (Monatsschrift für inter- zu ernst veranlagt«.15 nationale Zeitungsforschung; bis 1944). 8 Eckart Sackmann/Harald Kiehn: Die amerikanischen Comic Strips be- Die Leitung des »Deutschen Instituts für Der Sprechblasencomic... a. a. O., schränkten sich damals noch auf den humo- Zeitungskunde« in Berlin (später Institut für S. 40 f. ristischen Zeitungsstrip. Und so sollten sie Zeitungswissenschaft) lag von 1928 bis 1959 9 Brian Walker: The Comics Before auch von der Zeitungsforschung in Deutsch- bei Emil Dovifat, der als Nestor der Zeitungs- 1945. New York 2002. S. 69 f. land wahrgenommen werden, als diese den forschung und der Publizistikwissenschaft in 10 [gfk]: Der Humor in der amerika- Journalismus und das Pressewesen in den Deutschland gilt. Er hatte 1916 zu den ersten nischen Karikatur. In: Berliner Illu- strirte Zeitung 11/1921. S. 150 f. USA und anderen Ländern zu diskutieren Hörern der Leipziger Vorlesungen zum Zei- Kommentiert abgedruckt in: Eckart Sackmann: Der Sprechblasencomic im Widerstreit der Kulturen (Teil 2). In: ders. (Hg.): Deutsche Comic- forschung 2011. Hildesheim 2010. S. 43-48. 11 Eckart Sackmann: Das amerika- nische Abenteuer. In: ders. (Hg.): Deutsche Comicforschung 2005. Hildesheim 2004. S. 22-30. 12 [gfk]: Der Humor in der amerika- nischen Karikatur. a. a. O. 13 Vgl. Eckart Sackmann: »Magazin- Bilderbogen«, vorn in diesem Band, S. 55 f. 14 Zu Erscheinungszeitraum, Künstler und Vertrieb der Comics siehe Allan Holtz: American News- paper Comics. An Encyclopedic Re- ference Guide. Ann Arbor (MI) 2012. 15 P. Richards: Die lachende Kunst in Amerika. In: Illustrirte Zeitung Nr. 4208 (5.11.1925), S. 716.

63 Schon um 1900 war zu erkennen, dass der Einfluss der USA auf Bereiche der Wirt- schaft, der Kommunikation, auf die Populär- kultur sowie das alltägliche Leben zu einem prägenden Faktor des neuen Jahrhunderts werden würde. In den Zwischenkriegsjahren wurde immer deutlicher, dass das Zeitalter der Massenkommunikation anbrach und die USA dabei waren, hier eine Führungsrolle zu übernehmen, indem sie die Kommunika- tionsnetze anderer Staaten auch in Europa unter ihren Einfluss brachten. Die USA wurden in Deutschland als Vorbild oder Schreckbild wahrgenommen. Einer positiven Bewertung ökonomischer Modernisierung stand eine angstvolle oder auch »feindlich-herablassende Abwehr kul- tureller Modernisierungserscheinungen« gegenüber.16 Dies galt auch für den amerika- Oben die beiden führenden Per- nischen Journalismus, der nach Dovifats tungwesen gehört. Nach der Promotion und sönlichkeiten der frühen deutschen Auffassung in Deutschland auf der einen Zeitungswissenschaft: Karl d'Ester Arbeit als Journalist kam er 1924 an das Ber- Seite »hemmungslos bewundert«, auf der (Bild links) und Emil Dovifat. liner Institut, zunächst als Assistent, dann als anderen »teils maßlos überheblich abgeur- stellvertretender Direktor. teilt« wurde. Dies wollte er in seinem Buch Im Juli 1928 übernahm er die Leitung gründlicher untersuchen und dabei auch des zunächst universitätsunabhängigen In- gleich die Methode des neuen Fachs Zeitungs- stituts sowie die an der Berliner Universität kunde erproben.17 neugeschaffene außerordentliche Professur Nicht unerwartet hatte der Medienzar für Zeitungswissenschaft. Als dafür notwen- Hearst Dovifats Interesse gefunden. Hearst dige Habilitation galt sein Buch »Der ameri- galt ihm als »stärkstes Geschäftsgenie der kanische Journalismus«. Hierin hatte er sei- modernen amerikanischen Presse«. Mit ne Eindrücke von einer im Frühjahr 1926 Hearst habe begonnen, was man in Europa einige Monate währenden USA-Reise verar- unter »amerikanischer Sensation und knalli- beitet. Seinem Buch stellte Dovifat die da- ger Seitenaufmachung« verstehe. Politisch mals viel diskutierte Frage voran: »Geht die schien Hearst ihm aber als »durchaus ge- deutsche Presse der ›Amerikanisierung‹ ent- sinnungslos«. Dessen bekannte Deutsch- gegen oder nicht?« freundlichkeit während des Weltkrieges wer- tete Dovifat eher als »Englandfeindschaft«. Doch diese habe Hearst damals auch nicht gehindert, »gegen ein schweres Geld« Artikel des britischen Politikers David Lloyd George zu drucken und diesen damit in den USA populär zu machen. Hearst sei »selber ohne irgendwie zwin- gende politische Begabung«. Zwar beeinflus- se sein Sensationssystem – »aufregend ober- flächlich, plump deutlich und abgeschmackt« – auf direkten und indirekten Wegen das ame- rikanische Volk, doch sei Hearst politisch keineswegs sehr einflussreich.18 Voll des Lo- bes war Dovifat dagegen für die »großartige geschäftliche Organisation« von Hearsts 16 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel: Zeitungstrusts. Im International News Ser- Dimensionen von Amerikanisie- vice (für Morgenblätter) und im Universal rung in der deutschen Gesellschaft. In: Archiv für Sozialgeschichte 35 Service (für Abendblätter) verfüge dieser (1995). S. 1-34. über seinen eigenen Nachrichtendienst und 17 Emil Dovifat: Der amerikanische sei verbunden mit Korrespondenzunterneh- Journalismus. Stuttgart, Berlin und men (Newspaper Feature Service u. a.), die Leipzig 1927. »glänzenden Absatz finden und große Ge- 18 ebd., S. 189 ff. winne einbringen«. Dovifat fügte hinzu, dass

64 International News Service in Deutschland die »Nachrichtengemeinschaft einer Reihe von rechtsstehenden Provinzzeitungen« beliefere.19 Im Sachverzeichnis des Buches finden wir mit zwei Seitenhinweisen auch den Be- griff »Comics«. Einmal werden »Comics« erwähnt unter »Nachrichtenmaschine – die typographische Aufmachung«. Dovifat beschreibt hier die in den USA populären Zeitungsbeilagen, darunter auch »eigentliche Bilderbeilagen und humoristische Beilagen (Comics)«. Das zweite Mal taucht der Begriff »Comics« unter der Überschrift »Wirtschaft- liche Bindung und geistige Unabhängigkeit« Oben der Beginn des Artikels wesen, sinnvoll und nützlich wäre, von den auf. Hier interessiert Dovifat die sozialwirt- »Wöchentlich 8 Seiten Komik« von schaftliche Lage des Journalismus und dabei Amerikanern zu lernen. Nach Einschätzung Karl Heinz Bodensiek (1929). die für den deutschen Leser »nahezu unfass- damaliger Rezensenten habe das Buch auch baren Spitzengehälter von 100 000 Dollar« dazu beigetragen, die Entstehung »amerika- Unten der amerikanische Verleger . und mehr, zu deren Empfängern gerade auch nischer Zustände« in Deutschland zu ver- die »Karikaturisten und humoristischen hindern.21 Zeichner« zählten. Als , Teil des »Comics« gehören heute zu jeder amerikanischen Zei- Medienimperiums von Hearst, Ende der tung. Die Hearst-Blätter bringen deren oft zwei Seiten 1920er Jahre nach europäischen Vertretun- und mehr, schmale Bildleisten, die in geschickter Verbin- gen zu suchen begann, reagierten die deut- dung von Zeichnung und Dialog eine sich schnell und schen Zeitungsverleger in ihrem Fachblatt überstürzt abwickelnde Handlung darstellen. Oft werden »Zeitungs-Verlag« mit einer Abfuhr.22 Diese diese Zeichnungen durch Bilderkorrespondenzen in Tau- senden von Zeitungen und Wochenblättern verbreitet.20 Aufgabe war dem erst 23jährigen Schrift- steller und Journalisten Karl Heinz Boden- Anders als bei P. Richards fehlten in Dovifats siek zugefallen. Unter der Überschrift »Wö- Definition die feststehenden Charaktere. chentlich 8 Seiten Komik. Aus der nordame- Dovifats Buch wurde von der Kritik rikanischen Presse« stellte er Ende 1929 zwar nicht einheitlich, doch insgesamt posi- einem Fachpublikum die amerikanischen tiv aufgenommen. Sein Vergleich des Ver- Comic-Zeitungsbeilagen ausführlich vor. lags- und Pressewesens beiderseits des Bodensiek gliederte seinen Artikel nach Ozeans habe aufgezeigt, dass es in einigen Äußeres, Komik, Inhalt, Sprache und Witz. Bereichen, wie Schulung und Nachrichten- Jeden Sonntag liefert der New-York American oder die Herald Tribune ihren Lesern acht Seiten Komik oder »16 Comics in Color«, wie es der American nennt. Vom Baby bis zur Greisin beschaut oder liest sie jeder, und das Wochenende der Leute in Maine oder Atlantic City zeigt allwöchentlich dieselben Kurven der Gespräche auf der säuberlich bereiteten Bahn der »Funny Sheets«, wie diese Rubrik genannt wird. Äußeres: kraßbunter Dreifarbendruck in Riesenformat. Federzeichnungen. Jeder Zeichner erhält gewöhnlich eine Seite, die er so füllt, dass er zuoberst einen Einfall, eine Belanglosigkeit, ein Nichts in 4–6 Bildern zur Vorspeise reicht. Dann folgt in bis zu 12 Bildern die Hauptgeschich- te. Es gibt da keine Einzelwitze, nur kürzeste Kurzge- schichte in bildlicher Darstellung. Jede Serie ist geschützt durch U.S. Patent Office oder eine Feature Company. 19 ebd., S. 105. Jeden Sonntag der beste Humor, patentiert, geschützt, 20 ebd., S. 147 und S. 179 f. garantiert harmlos, unschädlich. 21 Reprint Emil Dovifat: Der ameri- Komik – kein ziselierter, feingespitzter Witz – der kanische Journalismus. Berlin 1990. Alltäglichkeit und menschlichen Privatambitionen. Nie Darin Einführung von Stephan weitet sich der Kreis der Beziehungen über die Schnörkel Russ-Mohl/Bernd Sösemann: eines familiären Kleinkrieges oder bilderbuchhafter Zeitungsjournalismus in den USA. Gnomen- und Koboldgeschichten. Nie Angriff, Anklage, S. XX, XXV. Ironie, Bitterkeit oder Schärfe. Keine politische Zuspit- zung. Der Mensch selbst, als Einzelfall, gelöst aus dem 22 Karl Heinz Bodensiek: Wöchent- Gefüge seiner wirtschaftlichen und moralischen Gebun- lich 8 Seiten Komik. Aus der nord- denheiten, steht immer wieder im Zentrum dieser Bilder- amerikanischen Presse. In: ZV Zei- bogen. Ein wenig von Buster Keatons Kampf mit der tungs-Verlag 52/1929, Sp. 2491 f.

65 Tücke und Unverlässlichkeit alles Gegenständlichen und Schauspielschüler sollte man zu Mimikstudien diese seiner Eigenwilligkeit ist immer in den Blättern. Gar nicht Funny Sheets in die Hände drücken. sehr verdeckt spielt die naivfrohe, breitlachende Laus- Die Sprache! Der Text ist zumeist in einem Englisch-Ame- bübigkeit von »Max und Moritz« um die Seiten. Beson- rikanisch geschrieben, das selbst eingeborenen U.S.A.ern ders in Knerrs »Katzenjammer Kids« im American ist so zu entziffern schwer fällt. Ein Schreib-wie-du-sprichst- viel von den Buschschen Standardgestalten, dass er Englisch, eine New-York-Cockney, ein American Fun- (Knerr) seinen beiden Lausbuben (hier Schiffsjungen) Idiom. freimütig die typischen Max-und-Moritz-Frisuren gege- ben hat. Eigentlich ist es der Humor des Clowns aus Worüber man lacht (Inhalt): über den schwächlichen einem billigen Zirkus. Oder noch allgemeiner, der ameri- Mann einer gewichtigen Frau, einen Ehemann auf seitli- kanische Humor in seiner Normierung – hier und da chen Liebeswegen, und über geisterfürchtige Großkauf- geadelt durch einige verlorene Züge von Keatons ewigem leute in einsamen Weekendbehausungen. Das Telephon Gesicht. ist deus ex machina. Aber es gibt auch einen Professor, Der Inhalt ist für den Zeichner nur ein Vorwand, sich aus- der die Hundesprache verdolmetscht, und somit einen toben zu können. Denn zeichnen können die meisten. Hund und drei Menschen dem grausigen Tod entreißt. Mit einer Flüssigkeit, mit Witz, einer Fülle von Einfällen, Ein intelligenter Esel (ein richtiger, bitte) bemüht sich um Unten eine Doppelseite aus der von Typen und Gesichtern. Diese Gesichter! Nur hier ver- die Rettung eines ganzen Expresszuges, ein verliebter Kölnischen Illustrierten Zeitung steht man (verstehen wir), dass der Amerikaner lacht, sunny boy ist gewitzt und begegnet einer väterlichen vom 30. Dezember 1930. Anlass für mitlacht, mitlebt. Ich würde diese Blätter nicht lesen, nur Überraschung dadurch, dass er seinem Minnegesang den die Schau der US-Strips war der die typischen, originell-typischen, einmalig-ewigen Ge- Anschein oder den Anhör einer Radioübertragung gibt. Abdruck von »Micky Maus« in der sichter und dazugehörigen Gestalten ansehen. Jedem Ein Katalog sehr wenig großer Leidenschaften der Illustrierten.

66 menschlichen Seele – aber wohl stärker in der direkten Einwirkung auf den Leser und Beschauer, als die großen Leidenschaften. Ich glaube, der Amerikaner würde auch lachen, wenn das nächste Mal die »Acht Seiten Komik« leer erschienen. Er wüsste genau, was jeder Zeichner auf seiner Seite anbie- ten würde. Dasselbe, was seit Jahr und Tag der Standard der Bilderserien ist. Er würde sicher lachen – bis ihm ein- fiele, dass er ja ein bedrucktes Blatt bezahlt habe. Ein lee- res jedoch ist billiger als ein bedrucktes. Da wäre nichts mehr zu lachen. Busineß is busineß! Wer möchte da noch lachen [...]23 Doch gerade dies interessierte auch die deutschen Zeitungsverleger, die zumindest mehr wissen wollten vom Phänomen des Erfolgs der humoristischen Zeitungsbeilagen und deren Nutzen als Verkaufsargument. Die Zwischenkriegszeit war geprägt von vie- len Studienreisen von Europa in die USA. Die Berliner Illustrirte Zeitung schickte im April 1929 ihren bekanntesten Karikaturi- sten, Paul Simmel, für einen zweimonatigen Studienbesuch dorthin. Auch an Dovifats USA-Reise 1926 hatte der Reichsverband der Deutschen Presse Interesse gezeigt und ver- mutlich finanzielle Unterstützung geleistet. Bald mussten die deutschen Zeitungs- verleger feststellen, dass »der humoristische Bilderstreifen, der ›Comic strip‹ der Ameri- kaner«, in Europa bereits Fuß fasste, und zwar in der französischen Presse. Le Petit Parisien brachte, so war 1930 im Fachblatt Zeitungs-Verlag zu berichten, seit kurzem einen regelmäßig erscheinenden Bilder- streifen in dieser Art, dessen Held der be- rühmte »Kater Felix« sei.24 Nun stießen die amerikanischen Ver- suche, Comics in Deutschland zu etablieren, nicht mehr nur auf taube Ohren. Ende 1930 stellte die Kölnische Illustrierte Zeitung eini- ge aktuelle amerikanische Comics verschie- dener Syndikate vor, wie »Bringing Up Father«, »«, »Harold Teen«, »Ella Cinders«.25 Um Aufmerksamkeit wer- Oben: Die Serie »Felix« erschien 1930/31 regelmäßig in der Arbeiter bend hieß es über ihren Erfolg in den USA: Illustrierten Zeitung (AIZ). »In jeder Zeitung treten sie auf, ein halbes Dutzend täglich, alltags schwarz, sonntags Links der Karikaturist Paul Simmel farbig: lauter komische Leute voll Situations- auf seiner Amerikareise 1929. und Charakterhumor, denen Textbänder aus dem Mund wehen.« Direkter Anlass des Artikels war der Beginn des Abdrucks von »Micky Maus« – Tagesstreifen, die nach dem eingedruckten Copyright-Vermerk über den britischen Europavertreter Disneys nach Deutschland 23 ebd. gekommen waren. Die »Micky Maus«-Filme 24 Zeitungs-Verlag 1930, S. 99. liefen bereits seit Anfang des Jahres mit riesi- 25 [EB]: Mr. Jiggs, Tillie, Harold gem Erfolg in deutschen Kinos. Nun sollte Teen und andre Typen, die das täg- ein »Abglanz ihrer schwarz-weißen Existenz liche Frühstück jedes Amerikaners erheitern... In: Kölnische Illustrierte auf der Leinwand« auch auf Zeitungspapier Zeitung 52/1930. Abgedruckt in erscheinen. Dies war übrigens nicht die Eckart Sackmann: Der Sprechbla- Premiere dieses Strips. Den vielleicht frühe- sencomic... (2009). a. a. O., S. 45.

67 Bisher hatten Comics in der deutsch- sprachigen Literatur über die Karikatur kaum Erwähnung gefunden. Wenn zum Bei- spiel Friedrich Wendel in seiner Betrachtung kulturkritischer Karikaturen des 19. Jahrhun- derts für den »Bücherkreis« auch das Presse- wesen einbeziehen wollte, so blieb seine Quellenlage doch weitgehend auf Karikatu- renzeitschriften beschränkt. Wendel nennt deshalb auch nur wenige Bildergeschichten, darunter aus Puck (New York) »Eine moder- ne Liebesgeschichte in acht Bildern ohne Worte!« von F. M. Howarth aus dem Jahr 1895.29 Diese Situation änderte der bekannte Kulturhistoriker Hans Ostwald im Jahr 1930 mit seinem Prachtalbum »Vom Goldenen Humor in Bild und Wort. Ein Buch des La- chens und der Freude«, das unter den vielen Bildergeschichten aus aller Welt auch Co- mics aus den USA zeigte.30 Ostwald schätzte den Humor hoch ein. Dieser dürfe jedoch nicht verflachen, sollte immer befreiend und freundlich, beseelend und vertiefend, herz- haft sein und andere zum Mitlachen ver- locken. Der Bildwitz – und dazu gehörten gera- de auch Bildergeschichten – hatte bei Ost- wald einen hohen Stellenwert. Das wird schon in seiner Einführung deutlich: »Was Adamson und andere Schweden, was der Däne Storm-Petersen an genialer Sturmkraft des Humors leisten, muss in diesem Buch nachgeblättert werden. Worte können hier weniger sagen als die Werke selbst.« Zum amerikanischen Humor hieß es, sten deutschen Abdruck finden wir in der der Amerikaner habe »eine ganz andere Art Kinder-Beilage der kommunistischen Arbei- von Humor«. Dieser wende sich weniger ter Illustrierte Zeitung (Heft 24/1930), die in gegen allgemeine Erscheinungen; der Grund- den Jahren 1930/31 auch etliche »Felix der ton sei immer die Freude am Pech des ande- Kater«-Comics abdrucken sollte.26 Bereits ren. Dies sei nicht Schadenfreude und auch 1927 war eine Sammlung der Comic-Aben- nur selten roh, sondern eher von einer ge- teuer des seit 1919 durch den Film bekann- wissen frohen, voraussetzungslosen Knaben- ten Katers in Berlin erschienen – und dies haftigkeit. Außerdem scheine der amerikani- mit tatkräftiger Unterstützung von Vertre- sche Humorist zu wissen: Das Missgeschick tern der dortigen linken Kulturelite.27 des anderen, über das man heute lacht, kann Für die Kölnische Illustrierte Zeitung einem ja morgen selbst zustoßen. blieb es 1931 bei nur 24 Tagesstreifen mit der Maus. Das Ende des Abdrucks mit Heft Und so klingt das scheinbar verspottende Gelächter des Amerikaners oft herzlich. Vor allem zeigt er die Komik des 14/1931 fällt zeitlich zusammen mit akuten Menschen, der sich der heutigen technischen Umwelt Oben der Kulturhistoriker Hans wirtschaftlichen Schwierigkeiten Deutsch- nicht gewachsen zeigt. Auch katastrophale Begebenheiten Ostwald. Darüber der Schutzum- lands im Zuge der Bankenkrise 1931 und der werden durch groteske Äußerungen ins Lächerliche ge- schlag späterer Auflagen seiner An- rückt. Die muntere Lebensbejahung der Amerikaner weiß thologie »Vom Goldenen Humor in daraus folgenden staatlichen Devisenbewirt- auch diese Erscheinung menschlich zu meistern.31 Bild und Wort«. schaftung. Die fortan nach volkswirtschaftli- cher Notwendigkeit streng begrenzte Devi- Bildergeschichten aus aller Welt machen senzuteilung behinderte die Außenhandels- einen großen Teil der 1500 Abbildungen in geschäfte und schädigte internationale Gläu- Ostwalds Buch aus. Neben den Deutschen biger.28 Dies wird King Features und andere Wilhelm Busch, Adolf Oberländer, Fritz US-Syndikate vom weiteren Verkauf der Steub, Emil Reinicke, Th. Th. Heine, Olaf Comics Strips an deutsche Zeitungen haben Gulbransson, Karl Arnold, Alexander Wilke, Abstand nehmen lassen. Walter Trier und Paul Simmel finden wir

68 auch aus anderen Ländern Vertreter für die Bildgeschichte, etwa aus Brasilien, Spanien und sogar aus Ägypten. England und Skandinavien erhalten jedoch den meisten Raum. Umfänglich wer- den Bildergeschichten von H. M. Bateman sowie von Gösta Chatham, Oscar Jacobsson und Robert Storm Petersen präsentiert. Storm Petersen stellt selbst seine Bilderge- schichten um »Peter und Ping« als »Zeich- nungsserien« vor. Ostwald bezeichnet sie dagegen als »satirische Bildgeschichten«.32 Aus den USA finden mehrere Comic Strips, darunter »« von Percy Crosby, dessen Signatur hier irrtümlich als »Cuossu« gedeutet wird, je eine Sonntagsseite von Bert Green (»Die Rollschuhe«; d. i. »Kids«, Chicago Sunday Tribune), und von Walter Berndt (»Die langen Hosen«; d. i. »Smitty«, Boston Herald) sowie drei Tagesstreifen: Walter Berndt (»Smitty«), Frank Willard (»Moon Mullins«) und Frank O. King (»Gasoline Alley«). Alle sind bei Ostwald mit den Origi- nalsprechblasen abgedruckt; die Überset- zung findet sich unten. Zu Bert Green wird angemerkt, dass die »Rollschuhe« zu den »vielen harmlosen Bil- derserien« gehörten, die auch in der Zeich- nung meistens recht simpel wären und sich in den »großen bunten Beilagen der ameri- kanischen Blätter« fänden. In den amerika- nischen Tageszeitungen würde eben darauf gehalten, dass die Familien nicht Anstoß nähmen und dass »die zuversichtliche Oben eine Seite mit US-Zeitungsstrips aus der 1. Auflage von Hans Ostwalds »Vom Goldenen Harmlosigkeit der Amerikaner« nicht gestört Humor«, die in den letzten Auflagen der Anthologie fehlt. werde.33 Mit den amerikanischen Comics setzte sich nun auch die von d’Ester und Heide 26 Gerd Lettkemann: Kindercomics begründete Zeitungswissenschaft (Monats- und Klassenkampf – die AIZ. In: Eckart Sackmann (Hg.): Deutsche schrift für internationale Zeitungsforschung) Comicforschung 2006. Hildesheim auseinander. Franz B. H. Wehling (Washing- 2005. S. 68–71. ton D. C.) präsentierte 1932 unter der Rubrik 27 Pat Sullivan: Felix der Kater. Bd. 1. »Internationale Pressestatistik – Vereinigte Seltsame Abenteuer. Verse von Ar- Staaten von Amerika« eine Literatureinfüh- thur Rebner. Vorwort Alfred Polgar. rung zum Thema »Amerikanischer Humor in Berlin 1927. der Presse«.34 Trotz der stattlichen Zahl von 28 Vgl. Ursula Büttner: Weimar – die Literaturhinweisen betonte er, dass es sich überforderte Republik 1918-1933. hier nur um »eine Heranführung« handele, Stuttgart 2010 (Gebhardt. Hand- buch der deutschen Geschichte, denn auf Einzelheiten, wie Unterschiedlich- Bd. 18). S. 639 ff. keiten der »bildtechnischen Anlage«, »auf die 29 Friedrich Wendel: Das Schellen- privatwirtschaftliche Dankbarkeit der Wort- geläut. Kulturkritische Karikaturen Bild-Zusammengabe«, auf die »Reklamewir- des 19. Jahrhunderts. Berlin 1927. kung besonders durchschlagender Bildtypen Abb. 225, S. 184. und -Serien« und auf dergleichen sonst kön- 30 Hans Ostwald: Vom Goldenen ne hier nicht näher eingegangen werden. Humor in Bild und Wort. Ein Buch Einführend beschrieb Wehling die Be- des Lachens und der Freude, Leip- zig [1930]. sonderheiten des amerikanischen Humors, 31 den er Amerikas »köstliches Erbgut« nannte. ebd., S. III, VII f. Viel davon sei aus Europa in die Neue Welt 32 ebd. S. 548. hinübergetragen worden. Das »Mischergeb- 33 ebd., S. 447.

69 Rechts ein 1929 in Das Magazin Bevölkerung beliebt seien. Wehling betonte veröffentlichter Strip von Frederick den Wert dieser Zeichnungen als eine »sehr Burr Opper. wesentliche Unterstützung der Presse in Unten eine deutsche Übertragung ihrer Beeinflussung der öffentlichen Mei- von Martin Branners »Winnie nung«, denn vielen Amerikanern sagten sie Winkle the Breadwinner« in Neue mehr als das gedruckte Wort. Der Europäer Jugend 44/1935. finde sich aber nur langsam an diese »Bilder- bogen« heran, zumal ihm meist der »pointie- rende vulgär-englische Begleittext« nicht so leicht verständlich sei. Wie bei Richards finden wir bei Wehling wieder die Beobachtung, dass viele namhaf- te Zeichner sich »eine witzige Sonderfigur« geschaffen hätten, die »in immer neuen spa- ßigen Situationen immer wieder erscheint« und sich mit dieser Art »Zeitungskino (im jeweiligen Nebeneinander von 3–5 Bildern)« eine ganze Gemeinde von Liebhabern gesammelt habe. Nach Wehling war Walt Disneys Mickey Mouse damals vielleicht die bekannteste Figur, doch Mutt und Jeff, , Crazy Cat [sic], , , »Just Kids« und manche andere ständen ihr an Beliebtheit nicht viel nach. Alle hier genannten Strips wurden zu nis« möge Europäern nicht in jeder Hinsicht diesem Zeitpunkt vertrieben von King Feat- zusagen, meinte er. Doch auch wer den ures, dem mächtigen Comic-Syndikat aus amerikanischen Humor zuweilen als über- dem Hause Hearst. trieben empfinde, würde sich nicht eigent- Der Machtantritt der Nationalsozialisten lich unwohl fühlen in dieser spaßhaften im Januar 1933 änderte in Deutschland zu- Umgebung. Die Tageszeitungen in den USA, nächst nichts an der Sicht auf die US-Comics. und selbst die ernstesten, würden fast keine Da sich die Wirtschaftslage stabilisiert hatte, Nummer ohne Karikaturen und Witzecken finden wir auch wieder US-Comics in deut- herausbringen. Oft seien »Bilderbogen« bei- schen Blättern. Unter dem Titel »Kalle der gelegt, sonntags sogar in Farbe. Gerade diese Lausbubenkönig« erschienen in Die Neue »Bildbeilagen« seien »amerikanische Spezia- Jugend (Das Illustrierte Familienblatt) von litäten«, die bei allen Schichten der dortigen 1933 bis 1935 die Sonntagsseiten von »Win-

34 Franz Wehling: Amerikanischer Humor in der Presse. In: Zeitungs- wissenschaft 7(1932), S. 187-91.

70 nie Winkle the Breadwinner« aus der Chica- Foto v.l.n.r. Helmut Fischer, go Tribune. Eine Buchauswahl folgte 1934/35. Walther Heide und der Münchner Oberbürgermei- Die Grüne Post brachte 1935 einige Streifen ster Karl Fiehler (1935). von Jefferson Machamer mit dem Copyright von King Features. Machamers Comicfigur Unten die Buchausgabe wurde hier vorgestellt als »Mister Jack aus von »Kalle, der Lausbuben- London«, der nun auf einer ganzen Seite den König« (1934). deutschen Comic-Helden »Stups« von Max Otto treffen durfte.35 Weitere Versuche, amerikanisches Material auch in Deutschland einzuführen, blieben wohl ohne Erfolg. Angeblich nah- men damals nur 25 bis 30 deutsche Zeitun- gen überhaupt amerikanisches Material auf. Die Zusammenarbeit erfolgte über den Carl- Duncker-Verlag, der als Verlag des Deutschen Das Fach Zeitungswissenschaft erfuhr Instituts für Zeitungskunde in Berlin fungier- unter der Herrschaft des Nationalsozialismus eine deutliche Aufwertung, wurde dafür aber te.36 Daran änderte auch die auf dem Nach- auf die politischen Belange des Systems aus- richtensektor eingeleitete Zusammenarbeit gerichtet.38 mit dem Hearst-Konzern nichts. Der als In Leipzig gelangte 1934 nach ei- deutschfreundlich geltende W. R. Hearst nem politisch motivierten Berufungsverfahren hatte während eines Kuraufenthaltes in mit dem Berliner Zeitungswissenschaftler Deutschland im Herbst 1934 auch Adolf Hans A. Münster ein überzeugter National- 39 Hitler getroffen und mit Ernst Hanfstaengel, sozialist auf den Lehrstuhl. Viele Zeitungs- dem Chef der deutschen Auslandspresse, wissenschaftler konnten sich mehr oder einen für beide Seiten vorteilhaften Vertrag weniger den neuen Verhältnissen anpassen für seine Agentur International News Service und sich in ihrer Funktion halten, wie die verhandelt. Angeblich abonnierte Deutsch- gläubigen Katholiken d’Ester in München 40 land den Dienst für eine Million Reichsmark, und Dovifat in Berlin. dafür würde sich INS jeder unfreundlichen Doch auch hier sollten überzeugte Stellungnahme gegenüber dem NS-Regime Nationalsozialisten mehr Raum gewinnen. enthalten sowie dessen öffentliche Erklärun- Bei d’Ester in München promovierte 1934 Adolf Dressler, seit Dezember 1933 Amtslei- gen abdrucken. Diese geheimen Abmachun- ter der Reichspressestelle der NSDAP, über gen zwischen dem deutschen Propaganda- die Geschichte der italienischen Presse und ministerium und Hearst wurden in der US- wurde an d’Esters Seite Lehrbeauftragter für 35 In: Die Grüne Post, 15.9.1935. Für Presse bereits zur Jahreswende 1934/35 ent- italienisches Pressewesen. Die Leitung der die Bereitstellung des Artikels dankt hüllt, was an Hearsts fortgesetzter deutsch- Zeitschriftenabteilung des Berliner Instituts der Verf. Ralf Palandt. freundlicher Haltung zunächst aber nichts übernahm Ernst Herbert Lehmann, bis er 36 Rudolf Fleck: Die schwedische ändern sollte.37 Direktor des Instituts für Zeitungswissenschaft Provinzpresse der Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung ihrer an der Universität Münster wurde. 1940 soll- historischen Grundlagen. Leipzig, te er das Hauptreferat »Zeitschriften« im Pro- 1939 (Zeitungswissenschaftliche pagandaministerium übernehmen. Gleich- Abhandlungen 2). S. 146. zeitig wirkte er aber weiter in Berlin als Lehr- 37 Vgl. Georg Honigmann: Chef beauftragter für Zeitschriftenwesen. weist an … oder der Fall des Willi- Eine zentrale Rolle bei der Gleichschal- am Randolph Hearst. Berlin (DDR) 3 tung des Fachs Zeitungswissenschaft spielte 1974. Dort weitere Quellen. Walther Heide, der in Berlin auf den Lehr- 38 Joachim-Felix Leonhard (Red.): stuhl für Zeitungswissenschaft an der Tech- Medienwissenschaft: ein Hand- buch zur Entwicklung der Medien nischen Hochschule berufen wurde und und Kommunikationsformen. Ber- Präsident des 1933 neu ins Leben gerufenen lin 1999. S. 882. »Deutschen Verbandes für Zeitungswissen- 39 Arnulf Kutsch/Stefanie Averbeck: schaft« war. Als Leiter des »Auslandspresse- Geschichte des Instituts für Kom- büros« in Berlin, das vom neugeschaffenen munikations- und Medienwissen- Ministerium für Volksaufklärung und Propa- schaft der Universität Leipzig. ganda kontrollierte wurde, gehörte es zu sei- http://www.kmw.uni-leipzig.de/ institut/profil/geschichte.html nen Aufgaben, die deutschsprachige Presse (25.10.2012). im Ausland mit Artikeln zu versorgen und 40 Beide fanden Aufnahme in die die Subventionierung der im Reichsbesitz 8. Auflage von Meyers Lexikon (= befindlichen volksdeutschen Blätter zu orga- »Brauner Meyer«), Bd. 5. Leipzig nisieren. 1938 - nicht aber Heide.

71 Unter Heides Anleitung wurden dar- Doktorand Gerhard Kuhlmann in der aufla- über hinaus im Ausland von einem Netz von genstarken Abendzeitung Aftonbladet auf Vertrauensleuten Informationen zusammen- der drittletzten Seite regelmäßig auf Comics

41 Peter Longerich: Propagandisten getragen und in einem vertraulichen Aus- gestoßen (unter der Rubrik »Livets lustiga im Krieg. Die Presseabteilung des landsdienst an Reichs- und Parteistellen wei- latituder«). Tatsächlich hatte das Blatt 1934 Auswärtigen Amtes unter Ribben- tergeben. Auch die speziell zur Beeinflussung als erste Zeitung in Schweden mit der tägli- trop. München 1987. S. 252 f.; Willi des Auslandes eingerichteten Pressedienste, chen Publikation einer ganzen Seite mit A. Boelcke: Kriegspropaganda Nachrichtenbüros und sonstige Verlagsun- Comics begonnen, was den Durchbruch der 1939-1941. Geheime Ministerkon- ferenzen im Reichspropagandami- ternehmen wurden gewöhnlich unter Zwi- Comics in den schwedischen Tageszeitungen nisterium. Stuttgart 1966. S. 155. schenschaltung des »Auslands-Pressebüros« einleiten sollte. Zunächst handelte es sich 41 42 Vgl. Ingrid Klausing: Dissertatio- aus Reichsmitteln finanziert. Zentrale hier um von King Features vertriebene Tages- nen am Institut für Kommunikati- Schaltstelle für Informationen aus dem Aus- streifen, wie »«, »Blondie«, »Pete the onswissenschaft und Medienfor- land war aber die »Presseabteilung der Reichs- Tramp« oder »Little Annie Rooney«. schung in München. Eine Biblio- regierung – Abteilung Auslandspresse«, die Kuhlmann beschrieb sie als »mit Text graphie für die Jahre 1925 bis 2007. In: Michael Meyen/Manuel Wen- ebenfalls beim Propagandaministerium lag. eingelegte Bildserien«, die mit ihrer »harmlo- delin (Hg.): Journalistenausbil- An den Instituten für Zeitungswissen- sen Lustigkeit und geistigen Armut« ihre dung, Empirie und Auftragsfor- schaft entstand eine Reihe von Dissertatio- »amerikanische Herstammung« nicht ver- schung. Köln 2008. S. 189-287. Es nen, die sich mit aktuellen Entwicklungen leugneten. Auch in der Stockholmer Tages- handelt sich hier um eine bisher der Presse des Auslands befassten. Bei zeitung Dagens Nyheter würde seit 1934 wenig genutzte Quellengruppe, die Aufschluss geben kann über das d’Ester in München nahmen Projekte zu »eine amerikanische humoristische Serien- Wissenschaftsverständnis des Satire und politischer Karikatur mit dem zeichnung« in täglichen Fortsetzungen er- Fachs. Schwerpunkt Bildpropaganda im 1.Welt- scheinen. Das Vorbild für diese Ganzseiten 43 Gerhard Kuhlmann: Die Stock- krieg, aber auch zur französischen Jugend- mit Bildserien, so habe er in Stockholm holmer Tagespresse. Diss. Leipzig presse (1937) breiten Raum ein.42 erfahren, sei Criticá, ein auflagenstarkes 1938 (Zeitungswissenschaftliche Am Zeitungswissenschaftlichen Institut Boulevardblatt in Buenos Aires. Sein Erfolg Abhandlungen, 1). S. 3; Rudolf Fleck: Die schwedische Provinz- in Leipzig wurde über die schwedische Pres- sei Beleg dafür, dass in Geschmacksfragen presse der Gegenwart... a. a. O. se geforscht, um »Anregungen zur Ausgestal- dieser Serien zwischen Schweden und 44 Elisabeth Noelle: Amerikanische tung des Zeitungsinhalts« zu erhalten, aber Amerika kein Unterschied bestehe. Massenbefragungen über Politik auch um die »technischen, wirtschaftlichen, Die alleinige Vertretung von King Feat- und Presse. Frankfurt am Main rechtlichen, organisatorischen und geistigen ures Syndicate in Nordeuropa hatte Bulls 1940 (Zeitung und Zeit. Schriften- Faktoren« näher zu beleuchten, die auf die Presstjänst (Bulls Pressedienst) in Stock- reihe des Instituts für Zeitungswis- Zeitungsherstellung einwirkten.43 In Berlin holm. Das 1929 gegründete Büro vertrieb senschaft an der Universität Berlin. Neue Folge Reihe A, Bd. 16). forschte Elisabeth Noelle (später Noelle-Neu- ausschließlich amerikanisches Material und mann) über amerikanische Massenbefragun- wurde von Kuhlmann deshalb als »der ent- 45 Gerhard Kuhlmann: Die Stock- holmer Tagespresse. a. a. O., S. 190. gen zu Politik und Presse, eine damals neue scheidende Vermittler des starken amerika- Form der Leseranalyse.44 nischen Einflusses in der schwedischen 46 Rudolf Fleck: Die schwedische Provinzpresse der Gegenwart... Bei den Studien über die Stockholmer Presse« bezeichnet. Die Illustrierten bezogen a. a. O., S. 143, 144, 146. Tagespresse im Zeitraum 1934/35 war der von Bulls Anzeigenillustrationen amerikani-

72 scher Herkunft und Farbmatern für ihre Laut Fleck habe Direktor Kristiansen zu Farbseiten. Verstehen gegeben, dass er es sich zur Aufga- Den größten Posten machten aber »die be gemacht habe, die schwedische Presse zu gezeichneten lustigen Fortsetzungsserien« »amerikanisieren«. Bisher seien die Erfolge aus, die in Deutschland »nicht in diesem und Fortschritte in diese Richtung schon Masse verbreitet« seien und »erst allmählich groß und zufriedenstellend. Gerade das [...] von deutschen Schöpfungen nachge- Material, das am besten in Amerika und ahmt« würden. Dabei meinte Kuhlmann Shanghai gehe, würde eine ebenso dankbare konkret »Vater und Sohn«.45 So darf man Abnehmerschaft in Schweden finden.46 diese Bildergeschichte von Erich Ohser Doch nicht alle Länder oder Völker lieb- (e.o.plauen), die ab Dezember 1934 erschien, ten den Humor der Amerikaner so, wie es wohl auch als Antwort der Berliner Illustrir- der Direktor von Bulls beschrieb. Martin ten Zeitung auf die amerikanischen Comics Sheridan zitiert in seinem Buch »Comics And verstehen. Their Creators«, der ersten Monographie Der zweite Leipziger Doktorand, Rudolf zum Thema Comics aus dem Jahr 1942, Fleck, untersuchte die schwedische Provinz- einen englischen Zeitungsmann: »There is a presse. Er strebte damit eine »Bereicherung tremendous difference in humor here and des zeitungswissenschaftlichen Quellenma- abroad. I don’t think five per cent of your terials zur Erforschung der Auslandspresse« comics are funny.« Und er ergänzte, dass die Unten eine Seite mit US-Comics in an, was er eine »praktisch nutzbare Auslands- Briten den »amerikanischen slapstick« nicht der schwedischen Zeitung Afton- bladet (1936). kunde« nannte. Der Erfolg der von Bulls ver- triebenen Comics in der skandinavischen Presse fand bei Fleck besondere Aufmerksam- keit. Er wollte erfahren haben, dass die Zei- tung Berlingske Tidende in Kopenhagen durch die Farbbeilagen mit den Comics von Bulls allein 1935 gut 40 000 neue Abonnen- ten gewonnen habe. Auch die Verdopplung der Auflage des schwedischen Aftonbladet in einem Zeitraum von 2 ½ Jahren führte er auf die Comicbeilagen zurück. Gegenwärtig seien in Schweden Stockholms-Tidningen und Aftonbladet Bulls’ wichtigste Abnehmer. Die erste Quelle zum Thema Comics war für Fleck wie schon für Kuhlmann der Direktor von Bulls Pressedienst, Bjarne Kristiansen (Steinsvik). Dieser hatte Fleck berichtet, dass die großen schwedischen Familien-Journale (Allers Familj Journal, Hemmets Journal, Vårt Hem u. a.), die schon seit Jahrzehnten Material aus den Sonntagsbeilagen der ame- rikanischen Zeitungen verwendeten, »für die Amerikanisierung der schwedischen Tages- presse« Vorbild seien, denn durch sie sei Bulls auf die Verwendungsmöglichkeiten der amerikanischen Comics auch in den Tages- zeitungen aufmerksam geworden. Die »sogenannten ›Scherzseiten‹ (skämt- sidor, amerikanisch: funny side)«, wie sie bei Fleck genannt werden, kämen »in den Moti- ven und der Technik der Darstellung den auch in Deutschland (im Tonfilm) bekann- ten Mickey-Mouse-Bildern« gleich. Bei den »Scherzseiten« handle es sich um amerikani- sche Originale, nur der Text sei schwedisch umgeformt, stehe aber, so Flecks Urteil, »dem amerikanischen an Oberflächlichkeit und Plattheit in keiner Weise nach«. In der Provinzpresse würden sie mit den besten Absatz finden.

73 Rechts: Elisabeth Noelle 1937 als jahr 1937 durch Neuerhebungen das vorlie- Stipendiatin in den USA. gende Material über ausländische Presse- bildstellen. Es ging dabei um die Frage, mit Unten: Hanns der Enterich alias Donald Duck von Al Taliaferro in welchen Stellen gleichgeartete deutsche Lustige Blätter 37/1938. Firmen in Geschäftsverbindung treten könn- ten. In den Listen findet sich Bulls Press- tjänst in Stockholm als Vertreter von Hearst bzw. King Features mit der Anmerkung, der Dienst vertreibe »die bekannten farbigen Witzserien (Hearst)«.50 Die Kenntnisse über die amerikanischen Comics blieben in Deutschland aber insge- samt bescheiden. Dabei waren in den deut- schen Metropolen durchaus ausgewählte internationale Presseerzeugnisse zu erwer- 47 Martin Sheridan: Comics And ben, die auch Comics abdruckten.51 Es hatte Their Creators. Boston 1942. S. 24. sich auch herumgesprochen, dass die Wo- 48 Vgl. Dennis Gifford: Stap Me! The chenillustrierten in den skandinavischen British newspaper strip. Aylesbury 1971; Paul Gravett/Peter Stanbury, Ländern oft mehrere farbige Seiten mit Co- Great British Comics. London 2006. mics enthielten. An diesen bestand nicht 49 Funny Strips: Cartoon-Drawings zuletzt unter den deutschen Karikaturisten Is Big Business. In: The Literary Di- mochten, sie würden Lustiges lieber näher Interesse. Von Zeichnern wie Emmerich gest, 12.12. 1936 (abgedruckt in: der Wirklichkeit sehen.47 Diese Behauptung Huber und Heinz Rammelt wissen wir, dass Hogan’s Alley No. 5, S. 128 f.) findet in der zunächst zurückhaltenden sie sich amerikanische Comics beschafften, 50 Politisches Archiv des Auswärti- Rezeption der amerikanischen Comics auf Huber bereits Anfang der 1930er Jahre über gen Amtes, Berlin (PA AA), Ge- den britischen Inseln Bestätigung.48 seine Hearst-Kontakte aus den USA, Ram- sandtschaft Stockholm 367. Presse Versch. Bd. 16. Heide/Auslands- Der internationale Erfolg der amerika- melt aus den erwähnten dänischen Tages- pressebüro an die Deutsche Ge- nischen Comic Strips stand außer Zweifel. zeitungen. sandtschaft Stockholm, 25.3.1937. Die US-amerikanischen Syndikate verkauf- Doch die Einfuhr ausländischer Zeitun- 51 So erinnert es der Sammler Horst ten Mitte der 1930er Jahre ihre Comics in gen wurde von der Auslandspresseabteilung H. Lange. Vgl. ders.: Comics, Jazz mehr als achtzig Länder. Dafür verfügten sie gelenkt und überwacht. Deshalb wandte sich und irre Zeiten – aus dem Leben ei- über Bearbeiter- und Übersetzerteams für zum Beispiel der Pressezeichner Gerhard nes unangepaßten Berliners 1930- die Tschechoslowakei, Italien, Kuba, die Rose im Juni 1937 an das Propagandamini- 1960. Gelnhausen 2000. deutschsprachigen Länder, für Übersetzun- sterium mit der Frage, ob es Bedenken gegen 52 Vorgang in PA AA, Gesandtschaft die Anschaffung bestimmter Witzblätter und Stockholm 367. Presse Versch. Bd. gen ins Französische, Russische, Spanische 16. und Chinesische. Im Hearst-Konzern galten Unterhaltungsschriften (ältere Nummern) 53 Elisabeth Noelle: Amerikanische die Comic-Strips als das zweitwichtigste gebe, für deren »Illustrierung« er sich als Massenbefragungen..., a. a. O., Element für den Erfolg einer Zeitung.49 Nicht Pressezeichner interessiere. Bedenken be- S. 113, 118. nur in Skandinavien hatte sich der Konzern standen offenbar keine.52 54 ebd., S. 120 f., S. 126. etabliert (Bulls Presstjänst), sondern auch in Am Berliner Institut für Zeitungswissen- 55 ebd., S. 125. Frankreich (Paul Winkler) und in Italien schaft präsentierte Elisabeth Noelle erste (Guglielmo Emanuel). Ergebnisse ihrer Forschungen über amerika- 56 Leif Björkman: Säkerhetstjänstens egen berättelse om spionjakten Von offizieller Seite war man in Deutsch- nische Massenbefragungen zu Politik und krigsåren 1939 – 1942. Stockholm land um internationale Kontakte im Bereich Presse. Unter der Betreuung durch Dovifat 2006. S. 177-179. Presse und Medien bemüht. Im Auftrag des war ihr mit einem DAAD-Stipendium 1937 57 Arvid Fredborg: Bakom stålval- Propagandaministeriums aktualisierte das auch ein Forschungsaufenthalt in den USA len. Stockholm 1943. S. 16 f. »Auslandspressebüro« von Heide im Früh- ermöglicht worden. Kritisch setzte sie sich

74 mit dieser neuen Form der Leseranalyse ver- nalisten Erich Peter Neumann, das Institut 58 Eckart Sackmann: Der Papagei – schiedener Zeitungen sowie mit der Methode für Demoskopie Allensbach als erstes deut- zwei deutsche Jungens auf großer Fahrt. In: ders. (Hg.): Deutsche Co- der Gallup-Untersuchungen auseinander. sches Meinungsforschungsinstitut gründen. micforschung Bd. 3 (2007). Hildes- George Gallup hatte seit 1931 Massenbefra- Die von Noelle in ihrer Dissertation heim 2006. S. 33-44; Peter Lukasch: gungen durchgeführt. Dabei konnte er be- angesprochenen Reklameanzeigen für aus- Die Kinder- und Jugendliteratur in treffend der Sonntagsbeilagen mit den Co- gewählte Kosmetikprodukte in Comic-Form Österreich zwischen 1900 und mics zwei Dinge feststellen: Auch der am wurden Ende der 1930er Jahre auch in den 1960. http://members.aon.at/zeit- lupe/index.html (18.5.2014); ders.: wenigsten beliebte Comic wurde noch mehr deutschen Illustrierten abgedruckt. Amerika- Deutschsprachige Kinder- und gelesen als der politische Hauptartikel. Und nische Comics waren dagegen nur noch Jugendzeitschriften. Norderstedt die Comics wurden sowohl von Erwachse- zufällig in der deutschen Presse zu finden. 2010. S. 167 ff. nen als auch von Kindern gelesen. Zwischen 1937 und 1939 jedoch erreichten Noelle war dieses Ergebnis nicht ent- sie deutsche Leser über die Wiener Kinder- gangen. In dem von ihr ausführlich doku- zeitungen Papagei, Schmetterling und mentierten Gallup-Material war sie unter Kiebitz. Diese druckten Comic-Adaptionen den Fragen, die im Rahmen der »psychologi- aktueller Disney-Filme, wie »Schneewitt- schen Leserforschung« gestellt wurden, auch chen« oder die »Drei kleinen Schweinchen« auf solche nach »comic strips« gestoßen. Sie ab. Auch andere Comic Strips von King Feat- benutzte diesen Originalbegriff parallel mit ures Syndicate finden sich hier, darunter ihrer Übersetzung als »Serien von humoristi- »«, »« und »The schen Zeichnungen«. Die Ergebnisse von Pussycat Princess«.58 Diese Auswahl scheint Gallups Zeitungsleser-Analyse hätten in den einem allgemeinen Geschmack entsprochen Unten: Otto Messmers »Felix the Cat« in Lustige Blätter 21/1938. letzten zehn Jahren kaum Veränderungen gezeigt, doch die Leserschaft der »comic strips« sei ein wenig angestiegen.53 Von dem Nicht-Nachrichtenteil der Zeitung würden Männer vor allem den Sport- teil und die »comic strips« lesen, wie sie in ihrer Dissertation schrieb. Deutlich ziehe die Zeitungsleserschaft Comics anderen Berei- chen vor, auch den politischen Karikaturen. Eine Leseranalyse für die Sonntagsausgabe der Detroit Free Press habe gezeigt, dass 68 Prozent der Männer und 58 Prozent der Frauen »irgendwelche comic strips« gelesen haben.54 Besondere Bedeutung komme den Gallup-Untersuchungen für Veränderungen im Bereich Reklame zu. Eindrucksvoll zeige sich das im verstärkten Einsatz von Reklame- Anzeigen »in Form von comic strips in den bunten comic-strips-Sonntagsbeilagen«. Die jährlichen Einnahmen, die den Zeitungen durch diese Form der Reklame zuflossen, seien von 160 000 Dollar 1931 auf 11,5 Mio Dollar 1938 gestiegen.55 Alle drei hier genannten Doktoranden machten nach der Promotion Karriere. Ru- dolf Fleck ging direkt nach der Promotion im Sommer 1937 als Berichterstatter für Heides »Auslandspressestelle« nach Stockholm. Dort wurde er jedoch Ende April 1940 unter Spio- nageverdacht verhaftet und zu 4 ½ Jahren Strafarbeit verurteilt.56 Gerhard Kuhlmann wurde nach der Promotion bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht als Referent im Propagandaministerium bei der Auslands- pressestelle verantwortlich für Skandinavien und Finnland.57 Elisabeth Noelle arbeitete als Journalistin unter anderem für Das Reich. Zwei Jahre nach dem Ende der Naziherr- schaft sollte sie mit ihrem Mann, dem Jour-

75 gen der Devisenbewirtschaftung. Der Ver- lagseigentümer Hans Steinsberg hatte im Herbst 1932, also kurz nach der Bankenkrise und der Einführung der Devisenbewirtschaf- tung in Deutschland, seinen Verlagssitz von Österreich in die Schweiz verlegt. Im Impres- sum wurde von nun als Eigentümer, Heraus- geber und Verleger der drei Kinderzeitungen die Service-Zeitungsverlag A. G. in Glarus, Schweiz, genannt. Über die Schweiz wurde durch den Züricher Bollmann-Verlag auch anderes Disney-Material in Deutschland bekannt. Die vom englischen Vorbild inspirierte Micky Maus Zeitung von Bollmann wurde aber nicht in Deutschland vertrieben. Die Uniformierung bzw. Gleichschaltung der deutschen Presse durch zentrale Len- kung und einheitliche Ausrichtung vollzog sich nach 1933 in Etappen. Die »Neugestal- tung« des deutschen Zeitungsverlagswesens wurde noch vor Kriegsausbruch 1939 als vollendet angesehen. Die deutsche Kultur- propaganda strebte fortan danach, das ge- samte europäische Geistesleben deutscher Lenkung und Kontrolle zu unterwerfen.59 Dazu passten amerikanischer Humor und amerikanische Comics immer weniger. Eine Abneigung gegen die Form der Bildergeschich- te bestand im Propagandaministerium unter Josef Goebbels dagegen nicht.60 Wenn Comics in Deutschland öffentlich attackiert wurden, dann als Reaktion auf Angriffe ge- gen das Nazi-Regime.61 Stefan Doeller traf Ende 1978 den italie- nischen Comic-Verleger Lotario Vecchi:

Ich hatte nun in Lucca Gelegenheit zu einem Gespräch Oben eine Eindeutschung von Hal zu haben, denn mit ihr begannen auch an- mit Lotario Vecchi, in dessen Verlauf er mir erzählte, wie Fosters »Prince Valiant« in Der dere internationale Comic-Publikationen er im Herbst 1937 in Berlin mit Joseph Goebbels zusam- Papagei 11/1939. mentraf. Goebbels, so erzählte Vecchi, sei mit der Über- ihre Leser an US-Comics zu gewöhnen. nahme einiger Serien für den deutschen Markt einver- Unten: Der Wiener Verlag Steins- Eine Voraussetzung für den Comic- berg hatte seinen Sitz Anfang der standen gewesen. Man darf vermuten, dass die deutsche 30er Jahre in die Schweiz verlegt, Import aus den USA lag in der Freiheit des Reichsregierung diese Produkte sicher zu Propaganda- unterhielt aber ein Büro in Berlin. Wiener Verlages von den deutschen Zwän- zwecken zu missbrauchen gedachte. Der Ausbruch des zweiten Weltkriegs verhinderte jedoch die Realisierung des Projekts. Immerhin hatte Vecchi schon vor dem Ge- spräch mit Goebbels in einer Druckerei in Lahr/Schwarz- wald einen großen Teil seiner Comics für Italien produ- zieren lassen.62 An anderer Stelle ist dagegen zu lesen, Goebbels habe ihm die markige Antwort gegeben, dass die deutsche Jugend unter der Führung Adolf Hitlers keinen Bedarf an Leichtsinn und Romantik habe.63 In jedem Fall werden Vorbereitung und Ausbruch des Krieges und die damit verbundene Papier- knappheit diese Pläne im Keim erstickt haben. Bereits mit der Verkündung des Vier- jahresplans, der auf Autarkie und Kriegsfä- higkeit der deutschen Wirtschaft gerichtet war, wurden der Devisenbewirtschaftung noch engere Grenzen gesetzt.

76 In den Publikationen Steinbergs erschienen Ende der 30er Jahre Comics aus den USA, so zum Beispiel hier die Comicfassung des Disney-Films »Schneewittchen« in Der Kiebitz 7/9. Jg.(1938).

Eine »Neue Ausgabe« von Ostwalds dieser allein siebenmal mit »Vater und Sohn«. Sammlung »Vom goldenen Humor« erschien Auch was die Comic Strips aus den USA be- 1938.64 Auf dem Schutzumschlag wurde sie traf, gab es Veränderungen. Bert Green war als »Eine Schule des Lachens mit Beiträgen geblieben. Neu finden wir »Die einfache der bedeutendsten Humoristen des In- und Sylvia« (»Patty the Playful«; d. i. »Petting Auslandes aller Zeiten« angekündigt und mit Patty«) von Thomas Jefferson Machamer einer Rezension aus dem Völkischen Beob- und eine ganze Seite mit Edwinas »Tippie«. achter beworben: »Dieses Werk ist eine Doch den Kenntnisstand über die ame- Fundgrube echten Humors, es hilft die Stirn rikanischen Comics kann man angesichts glätten nach des Tages Unrast und bietet der rasanten Entwicklung in den USA kaum jedem, dem das Herz auf dem rechten Fleck als aktuell bezeichnen. Neben die von Ost- sitzt, Stunden froher Unterhaltung.« wald hier beschriebenen »harmlosen Bilder- Ostwald hatte in den Revolutionsmona- serien« waren in den amerikanischen Zei- ten 1918/19 »im Auftrag der Reichskanzlei tungen nun Abenteuercomics getreten, wie die Propaganda gegen Spartakus und gegen »Tarzan« und »Buck Rogers« (beide seit den Versailler Friedensvertrag« geleitet, wie 1929), »« (seit 1934) und »Prince er sich schon in der Erstauflage seiner Humor- Valiant« (seit 1937). Auch politisch hatte sich Sammlung präsentiert hatte. Offenbar galt er vieles verändert, was Auswirkungen auf die auch nach 1933 als jemand, der sich für »va- Inhalte der Comics haben sollte. Die Ent- terländische Belange« einsetzte. So auch die wicklung in Deutschland zur NS-Diktatur Präsentation des Herausgebers 1938 durch erweckte in den USA erneut antideutsche Unten der italienische Verleger den Schriftsteller Walter Bloem, der im Stimmungen. Dazu beigetragen hatten vor Lotario Vecchi. 1. Weltkrieg in der Abteilung III b im Gene­ allem die Ausschaltung der Juden aus dem ralstab des Heeres unter dem legendären deutschen Kulturleben und deren Verfolgung, Geheimdienstchef Walter Nicolai gedient die mit der Pogromnacht am 9. November hatte.65 Immerhin wäre dies eine Erklärung, 1938 einen neuen Höhepunkt erreichte. Anti- warum Ostwalds Buch – in zum Teil stark deutsche Ressentiments schlugen sich in veränderter Form – bis 1941 mehrere Aufla- den Inhalten der Comics nieder. gen erleben sollte. Die deutsche Fachzeitschrift Zeitungs- Viele linke, dem Nationalsozialismus wissenschaft sah sich Anfang 1939 deshalb zu gegenüber kritisch eingestellte Karikaturi- einer Warnung vor den »comic strips« als sten, wie Trier oder Heine, waren 1938 nicht einem »Mittel der amerikanischen Presse- mehr dabei. Andere waren hinzugekommen, propaganda« veranlasst. wie die aktuell in Deutschland sehr beliebten Sonntag morgen ist in der amerikanischen Familie der Zeichner Horst von Möllendorff, Gerhard stets sehnlichst erwartete Genuss der Zeitungsbeilage mit Brinkmann und e.o.plauen (Erich Ohser), den »comics«, ein Wort aus der Zeit, als es nur harmlose

77 59 Willi A. Boelcke, Kriegspropagan- komische Bilderfolgen waren. Heute bringt (außer der Darüber hinaus entspreche es der ge- da 1939-1941. a. a. O., S. 144 f. New York Times, die hierin allen Versuchungen wider- genwärtig in den USA herrschenden »Deut- standen hat) jede amerikanische Zeitung am Sonntag 60 Vgl. Ralf Palandt: »Blühender eine bunte Beilage mit »comic strips«. Die Anzahl der schenhetze«, dass die Zeichner dieser Bilder- Blödsinn« an der Propagandafront. Seiten schwankt zwischen 8 und 18. Auf diesen Seiten folgen sich immer mehr solchen Themen In: Eckart Sackmann (Hg.): Deut- sieht man buntfarbige Bilder, die zum Teil noch eine sche Comicforschung 2006. Hildes- wie Spionage, Sabotage, Giftgasherstellung Reihe der ursprünglichen »strips« mit kindlichem Humor heim 2005. S. 83-91; auch Eckart usw. zuwenden. Natürlich seien die Verbre- bringen – Verulkung der menschlichen Schwächen und Sackmann: Bilderbogen vom Krie- cher, die die Sicherheit Amerikas bedrohten, ähnliche »erzieherische« Themata in jeweils einer Seite ge, in ebd. S.72-82. von Reihen-Darstellungen, die gewöhnlich mit irgend- fast stets Ausländer; meist werde ihnen ein 61 Ralf Palandt: »Blühender Blöd- einem »éclat« enden.66 deutscher Vorname oder ein Akzent beige- sinn«. a. a. O., S. 87. Inzwischen habe sich sogar die Reklame legt, der in den USA allgemein als deutsche 62 Comixe- Stefan Doeller: Italia. In: dieses neue Feld erschlossen. Nun finden wir Aussprache des Englischen gilt. Diese Bilder ne 23 (1979), S. 29. in den Zeitungsbeilagen Bilderfolgen einge- seien gefährlich, so das Fazit in Zeitungs- 63 Ezio Ferraro: Il collezionismo in streut, die für Mundwasser, Seife usw. Re- wissenschaft, »nicht nur für die deutsch- Italia. Esordio fra pregiudizi e dif- amerikanischen Beziehungen, sondern für ficoltà. In: Immagini & Fumetti 6 klame machten, »indem sie z. B. die traurige (1996), S. 43 f. Übers. d. Verf. Geschichte von dem Mädchen zeigen, das die aufwachsende amerikanische Jugend«. 64 Hans Ostwald: Vom Goldenen keine ›Freunde‹ finden oder behalten kann, In Mussolinis Italien stand das dortige Humor in Bild und Wort. Ein Buch bis eine gute Bekannte ihr geheimnisvoll ver- Ministerium für Volkskultur (Ministero della des Lachens und der Freude. Neue rät, dass sie dieses wunderbare Mundwasser Cultura Popolare) dem amerikanischen Ausgabe. Berlin und Leipzig [1938]. benutzen oder ihre Wäsche mit jenen herrli- Einfluss auf die italienischen Kinder schon Mit 392 Seiten deutlich schmaler chen Seifenflocken waschen sollte«. Im vor- länger kritisch gegenüber. Eine Erhebung zur als die Erstausgabe von 1930 (552 Seiten). letzten Bild würde dieses Wundermittel Kinderpresse im Jahr 1936 hatte gezeigt, dass dann gezeigt und im letzten Bild sei das jetzt von 29 wöchentlich erscheinenden Kinder- 65 Vgl. Walter Bloem: Zu Hans Ostwald. In: Hans Ostwald: Vom glückliche Mädchen von Bewunderern zeitschriften (Gesamtauflage 1 819 430) dem Goldenen Humor (1938). a. a. O., umringt. »amerikanisierten Typus der Kinderpresse« S. 384 f.; Ralf Dose: »Ostwald, Hans Neben diesen kitschigen, aber aus Sicht 14 zuzurechnen wären. Sie erreichten mit Otto August«. In: Neue Deutsche des Verfassers des Artikels in Zeitungswissen- einer verkauften Auflage von 1 024 000 über Biographie 19 (1998). S. 634 f. [On- schaft »immerhin harmlosen Bilderfolgen« linefassung http://www.deutsche- drei Millionen Leser. Dies wollte die faschi- biographie.de/pnd118590561.html], hätten sich seit Jahren auch solche einge- stische Regierung nicht länger hinnehmen. der aber weder dieses Werk er- schlichen – und immer neue kämen hinzu –, Die erste amtliche Kritik, die eine grundle- wähnt, noch Ostwalds politisches »die Verbrechergeschichten der Gegenwart gende Reform ankündigte, stammt aus dem Engagement 1919. oder der fernen Zukunft in Serienform brin- Jahre 1936. Am 21. Mai sagte der Minister 66 Anon.: Die »comic strips« als gen«. Konkret genannt wurde aus der Chica- Dino Alfieri vor dem Senat: Mittel der amerikanischen Presse- go Tribune »Dick Tracy«. Der Zeitungswissen- Eine eingehende Prüfung (dieser Presse) erlaubt die propaganda. In: Zeitungswissen- schaft-Artikel erhob Anklage, dass das »Ge- schaft 2/1939, S. 140 f. Feststellung, dass die Zeichnungen und Geschichten müt der Kinder durch diese Gangster-Roma- abenteuerlicher und krimineller Art aus Amerika einge- 67 Norbert Mayer: Die italienische ne vergiftet« und »ihre Phantasie auf gefähr- führt oder den eingeführten Stil, Geist und Gehalt nach- Kinderpresse. In: Zeitungswissen- gemacht waren.67 schaft 3/1939). S. 175 f. Vgl. auch lichste, antisoziale Bahnen« gelenkt werde. Christina Holtz: Comics – ihre Ent- Nun wurde Druck auf die Zeitungen und wicklung und Bedeutung. Mün- Verlage ausgeübt, ihre Zeitschriften in eine chen 1980. dem Regime genehme Richtung zu verän- 68 Norbert Mayer: Die italienische Kinderpresse. a. a. O., S. 179. dern. Im November 1938 verbot das italieni- sche Ministerium für Volkskultur schließlich mit einer Ausnahme den Verlegern und Schriftleitern der Kinderzeitungen den wei- teren Import amerikanischer Comics:

Vollständige Abschaffung der ausländischen Einfuhr mit Ausnahme der Schöpfungen Walt Disneys, die sich von den übrigen durch ihren künstlerischen Wert und mora- lischen Gehalt weit abheben. Unterdrückung aller Erzäh- lungen und Illustrationen, die von der ausländischen Produktion inspiriert sind. Herabsetzung der illustrier- ten Seiten auf die Hälfte mit gleichzeitiger und gleich- wertiger Vermehrung des Textteiles.68 Über die italienischen Maßnahmen gegen die US-Comics ließ die Zeitungswissenschaft Rechts ein Heft der italienischen ihren Auslandskorrespondent in Rom, Serie Topolino von 1936 aus dem Norbert Mayer, Anfang 1939 ausführlich Besitz des Berliners Horst H. Lange. informieren. Der große Erfolg der »amerika- Das Heft trägt einen amtlichen Prüfstempel, war aber an einem nisierten Kinderpresse« nach 1930 habe, so öffentlichen Kiosk zu kaufen. Meyer, negative Folgen nach sich gezogen:

78 Links: In Italien gingen die Verlage kreativ mit dem Anliegen des Staa- tes um, die Flut an US-Comics zu- rückzudrängen. Die Comic-Zeit- schrift Audace taufte 1939 Tarzan in Sigfrido um (hier Audace 297). Die Zeichnungen Burne Hogarths wurden Amedeo Martini (Text) und Ulterius (Zeichnungen) angedich- tet.

Die geschäftliche Spekulation drückte auf Ausstattung Mangel an Verlegerethos, spekulative Ausnützung des und Geschmack. Fast alle Kinderzeitungen gesunder Sensationstriebs im Kinde, ewige Wiederholung der Tendenz und harmlosen Inhalts gingen ein.69 Motive, Verherrlichung eines rassisch und geistig durch- aus unitalienischen »Helden«-Typus, schlechte Qualität Deshalb würde nun in Italien importiertes in Papier, Sprache, Zeichnung, Farbe und Druck, Über- Material zurückgedrängt und die eigenen sättigung mit Bildmaterial.71 Produktionen gefördert. Ein zentrales Argu- Hinzu kam »politisch-pädagogisch« moti- ment für die Ablehnung ausländischer vierte Kritik: Comic-Importe war die Devisenfrage. Die amerikanisierte Kinderpresse erzeugt eine Entartung Die Verlage, so sagte man, benützten für den größten Teil der kindlichen Phantasie, verdirbt den Geschmack für ihrer Bildgeschichten fertiges amerikanisches Klischee- wirkliche Literatur, lenkt von gesünderer Beschäftigung material, die sogenannten »flans«. In ihnen wurde der ab, vermeidet bildende und nationale Stoffe.72 Text ersetzt, manchmal wechselte man auch die Namen der handelnden Personen, um italienische Originalarbei- Eine ebenfalls in der Zeitungswissenschaft ten vorzutäuschen. Der Inhalt blieb deshalb doch dersel- veröffentlichte Untersuchung vom Januar be und kam in gleichem Stil in Paris, London und ande- 1938 zeigte, wohin die italienische »Reform« ren europäischen Großstädten zum Vorschein, wenn nicht bessere Tradition oder Verbote von oben her eine der Kinderpresse gehen sollte. Über die solche Überschwemmung durch Amerika verhinderten.70 katholische Zeitschrift Il Vittorioso hieß es

Nur der Verlag Mondadori, der seit 1934 in zum Beispiel: »Die Hälfte des Blattes in ame- einem direkten Vertragsverhältnis zu Walt rikanischem Stil, wenn auch inhaltlich bes- Disney stand, mache dabei eine Ausnahme. ser.« Zu Topolino: »Stofflich schon 1937 den Auch Mondadori importierte Klischees, die Reformwünschen entgegenkommend.« Zu erheblich kostengünstiger waren als Eigen- anderen Zeitschriften, darunter L’Aventuro- produktionen. Mayer schätzte das Kosten- so, die erste Zeitschrift in Italien, die ganz verhältnis von 160 bis 200 Lire für eine mit auf Comics setzte, mit dem Schwerpunkt auf importierten Klischees gestaltete Seite ge- importierte Abenteuercomics aus den USA, genüber 800 Lire für eine von Mondadori wurde kurz und knapp angemerkt: »Absolut selbstproduzierte Seite. Das Mondadori- abzulehnen«.73 Material sei aber im Niveau dem amerikani- Das Hauptinteresse der deutschen schen weit überlegen und stamme aus- Propagandamaschinerie galt aber weiter der 69 ebd., S. 172. schließlich von italienischen Zeichnern und politischen Karikatur. Als das Institut für 70 ebd., S. 176. Verfassern. Der Verlag könne die »Unkosten Zeitungswissenschaft in München im Früh- 71 ebd., S. 177. jahr 1939 eine Ausstellung über das interna- für die amerikanische Mitarbeit durch einen 72 ebd. gut entwickelten Export nach Frankreich, Eng- tionale Witzblatt in Vergangenheit und Ge- 73 ebd., S. 178. land, den Baltenstaaten usw.« ausgleichen. genwart plante und dafür über das Auswärti- 74 Neben wirtschaftlichen Argumenten sei ge Amt Informationen über Witzblätter der PA AA, Gesandtschaft Stockholm 367 Presse Versch. (1936-39), Bd. ganzen Welt anforderte, dachte niemand an in Italien die Kritik an Gehalt und Aufma- 19, AA, Vorgang Ausstellung, chung der Kinderpresse getreten, die von Comic Strips, sondern ausschließlich an Schreiben vom 17.3.1939 und Mayer schlaglichtartig beschrieben wurde: Witz- und Karikaturenblätter.74 Auch das 3.4.1939.

79 ein!« mit einem antisemitischen Angriff auf die Macher.76 Mit dem Jahreswechsel 1940/41 waren die deutschen Kontakte zu den USA schwie- rig bis unmöglich geworden, um mit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 völlig abzubrechen. Informationen über Amerika mussten nun über neutrale Staaten beschafft werden. Entsprechend an Bedeu- tung gewann die Presseüberwachung in den verbleibenden Auslandsmissionen mit Zugang zur US-Presse, darunter die deutsche Gesandtschaft in Stockholm. Dort wurden von der Presseabteilung täglich nicht nur schwedische Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch sämtliche in Stockholm «an- fallende englische und amerikanische Zeitungen und Zeitschriften« ausgewertet.77 Oben: Mehr vielleicht noch als Ein Kontaktfenster nach Amerika wurde die Zeitungscomics »warben« die Propagandaministerium zeigte starkes Comic Books für den Kampf gegen Interesse an Karikaturenzeitschriften. Über in Stockholm auch über Bulls offengehalten. Nazideutschland. das Auswärtige Amt ließ es Anfang 1940 die Ein Vertrag mit Hearsts International News deutschen Gesandtschaften beauftragen, Service, der deutschen Gesandtschaft in ausgewählte Karikaturenblätter für die Aus- Stockholm sowie der deutschen Agentur wertung in Berlin zu beschaffen.75 Skandinavisk Telegrambureau in Kopen- Auch sonst hielt sich das Propaganda- hagen machte es Bulls Presstjänst möglich, ministerium auf dem laufenden. Die Ent- auch während des Krieges den Vertrieb ame- wicklung antideutscher Stimmungen in den rikanischer Comics im besetzten Dänemark USA vor allem nach den antisemitischen und Norwegen fortsetzen zu können.78 Aktionen im November 1938 war nieman- Die in den deutschen Auslandsvertre- dem entgangen. Als die amerikanische tungen erarbeiteten Medien- und Stim- Illustrierte Look Ende Februar 1940 einen mungsbilder liefen bei der Presseabteilung 75 PA, Auswärtiges Amt, Gesandt- »Superman«-Comic abdruckte, der deutlich der Reichsregierung zusammen. Von dort schaft Stockholm 387 Schweden gegen die Entwicklung in Europa polemisier- wurden Kopien von Zeitungsausschnitten Presse (1939-41). Beanstandungen aus der betreffenden Presse zum jeweils in Presse und Propaganda P 6, te und einen Vorschlag zur Beendigung des Bd. 1. wenige Monate zuvor begonnenen Krieges interessierenden Thema verschickt. Späte- stens auf diesem Wege kamen auch Comics 76 Vgl. Ralf Palandt: »Blühender unterbreitete, kam keine zwei Monate darauf Blödsinn« an der Propagandafront. eine Antwort in der Wochenzeitschrift der aus Zeitungen und Zeitschriften aus den a. a. O. Der »Superman«-Strip wur- SS, Das schwarze Korps: »Jerry Siegel greift USA dem Propagandaministerium zur de vom McClure Syndicate vertrie- Kenntnis. ben. Die Comic-Beilagen der Zeitungen in 77 PA AA, R 29725, Büro des Staats- den USA waren seit 1940 immer stärker von sekretärs Schweden, Bd. 2, Tele- den Kriegsereignissen in Europa und Fernost gramm G- Schreiber, Pressebericht geprägt. Viele der neu hinzugekommenen von Wied, 6.6.1941. Serien handelten nun direkt von Krieg und 78 Vgl. Michael F. Scholz u. a.: Bet- ween Propaganda and Entertain- Militäreinsatz. Als die USA im Dezember ment: Nordic Comics 1930s–1950s : 1941 offiziell in den Krieg eintraten, domi- In: Stephan Packard (Hg.): Comics nierte das Kriegsgeschehen fast alle Comics. und Politik., Berlin 2014. S. 111- Auch Hearst setzte nun auf patriotische 132. Kriegscomics.79 Das konnte dem Propagan- 79 Vgl. Ron Goulart: The Funnies. daministerium in Berlin nicht entgehen. 100 Years of American Comic Zum Beispiel enthielt eine hier angefallene Strips. Holbrook (MA) 1995. Kapitel 8: Wartime, S. 143-166; ferner Bern- Ausgabe des Sunday Mirror vom 26. Mai hard Schaffer: Adolf und die Propa- 1942 unter anderem fünf Tagesstreifen, von ganda. Das Dritte Reich im Spiegel denen zwei direkt politisch-agitatorisch und der Zeitungscomics Amerikas. antinazistisch waren: »Joe Palooka« (»In Wien 1994. Enemy-held Country«) und »« 80 Die anderen waren »«, »Li’l (»Circling a Nazi Submarine«) – letzterer mit Abner« und »Mickey Finn«. BA 80 (Reichsministerium für Volksauf- dem Copyright von King Features. klärung und Propaganda) RA Ein wichtiges Flaggschiff der deutschen 55/20095. Zeitungswissenschaft und auch zentrale

80 Links »Barney Baxter« von Frank Miller (26. November 1941).

Darunter eine Folge von Roy Cranes »Wash Tubbs and Captain Easy« vom 5. Oktober 1942.

Unten »Wash Tubbs«, gezeichnet von Leslie Turner (5. Juni 1945).

Dokumentation ihrer Forschung stellt das begriff Karikatur abgehandelt. Einleitend von Walther Heide herausgegebene und von diskutierte Karl d’Ester den Begriff der Kari- Ernst Herbert Lehmann bearbeitete »Hand- katur und dessen Wandel in der Geschich- buch der Zeitungwissenschaft« dar. Hier fin- te.83 Die Rubrik »Karikatur als Kampfbild« den wir in der 7. Lieferung (Jugend und verantwortete Ernst Herbert Lehmann, der Presse) von 1943 Artikel über Karikatur und auch begründete, warum das Studium der Kinderliteratur von Emil Dovifat, Karl Karikatur von Interesse sei: d’Ester, Ernst Herbert Lehmann und ande- Da die politischen Zeichnungen – wie die Nachrichten- ren, in denen auch die Comics behandelt formung der Zeitungen – inhaltlich von der Pressepolitik werden.81 ihres Landes bestimmt werden, bieten diese Karikaturen Zum Beispiel fasste Dovifat hier zusam- in ihrer Gesamtheit einen vortrefflichen Überblick über 84 men, wie das faschistische Regime in Italien die Entwicklung der geistigen Kriegführung des Feindes. gegen die Comics aus den USA vorging. Da- Unter den im Handbuch vorgestellten füh- bei würdigte er das italienische Verbot des renden deutschen politischen Karikaturisten 81 Handbuch der Zeitungwissen- Abdrucks ausländischer Comics als » Kampf finden wir nicht wenige, die sich auch mit schaft. Hg. von Walther Heide, be- gegen die verflachende Form der Kinder und Bildgeschichten einen Namen gemacht hat- arbeitet von Ernst Herbert Leh- Jugendbeilage«, wie sie die »amerikanische ten, wie Gerhard Brinkmann, Olaf Gulbrans- mann (Bd. 2). Leipzig 1943. Emil Dovifat: Jugend und Presse – Kom- son, Horst von Möllendorff oder Erich Will Geschäfts- und Massenpresse« mit den munistische Presse. »comic strips« hervorgebracht habe. »Comic (Will-Halle).85 Über Erich Ohser hieß es hier 82 ebd., Sp. 2167. strips« charakterisierte Dovifat nun als »Se- zum Beispiel, dass er durch seine »Vater und rienwitzzeichnungen«, »in denen feststehen- Sohn«-Serie »als humorvoller, tiefsinniger 83 ebd., Karl d’Ester: Karikatur: Be- griffsbestimmung. Sp. 2223-2226. de Menschen- oder Tiertypen in dauernden Philosoph des Zeichenstiftes bekannt« ge- 84 Fortsetzungen allerlei Späße und Abenteuer« worden sei. Im Handbuch standen aber sei- ebd., Ernst Herbert Lehmann: Die Karikatur als Kampfbild. 82 ne politischen Karikaturen aus dem Wochen- erlebten. Damit hatte auch er die »Stehen- Sp. 2234-2242, Sp. 2240. de Figur« in die Definition der Comic Strips blatt Das Reich im Mittelpunkt. 85 ebd., Führende politische Karika- Unter den von Dovifat vorgestellten aufgenommen. Comics wurden im »Hand- turisten. Carl J. H. Villinger und buch der Zeitungwissenschaft«, wie zur sel- Karikaturisten aus dem Ausland finden wir Curt Hotzel: a) in Deutschland. ben Zeit auch in den USA, unter dem Ober- gerade solche, die für ihre antideutsche Hal- Sp. 2242-2251.

81 Rechts der Aufmacher des Artikels »Blühender Blödsinn« im Illustrier- ten Beobachter von 1944. Vollstän- dig abgedruckt in Eckart Sackmann (Hg.): Deutsche Comicforschung 2006. Hildesheim 2005. S. 88 ff.

tung bekannt waren, wie David Low oder stark ausgebaute Werbung bediene sich mit Louis Raemaekers. Der fehlerhafte biografi- großem Geschick und gutem Erfolg der Kari- sche Eintrag zu Walt Disney zeigt, dass man katur. Die amerikanische Karikatur bevorzu- von ihm eigentlich nichts wusste.86 Unter ge die auch in den skandinavischen Ländern der Rubrik »Die außerdeutsche Karikatur« besonders beliebten »comic strips«, die für behandelte Karl d’Ester auch die Karikatur in politische Zwecke ebenso wie für geschäftli- 86 »Walt Disney, geb. 1901 in Majo- den Vereinigten Staaten, wo sie eine heraus- che Werbung (dabei sogar im Mehrfarben- car, wurde mit 17 Jahren Presse- zeichner bei der Chicago Tribune ragende Bedeutung habe und den Amerika- druck) eingesetzt würden. Durch Walt Dis- und am Kansas City Star. Er ging ner durch das ganze Leben begleite. An den ney seien die »comic strips« selbst in den später zum Film und wurde durch bunten »lustigen Karikaturen-Reihen« lerne amerikanischen Film vorgedrungen, so dass seine Micky-Mouse-Filme [sic] be- die amerikanische Jugend das Lesen. auf diesem Wege die amerikanische Karika- rühmt.« ebd., Emil Dovifat: b) Im Zahllose »Cartoons« politischen und tur den Geschmack des Durchschnittsameri- Ausland. Sp. 2252. unpolitischen Inhalts würden als »nie versa- kaners in zahlreichen zivilisierten Ländern 87 ebd., Die außerdeutsche Karika- gende Lockmittel« in dem Ringen um die populär machte.87 In dem umfangreichen tur. Karl d’Ester: g) Vereinigte Staa- ten. Sp. 2288. Gunst der breiten Masse verwandt und be- Quellen- und Literaturverzeichnis zum sonders zur Zeit innen- und außenpolitischer Thema Karikatur in der Presse wird für die 88 ebd., Kinderzeitschriften. Mar- garete Diederich: Die ausserdeut- Kämpfe in international kaum vergleichba- Vereinigten Staaten für das 20. Jahrhundert schen Kinderzeitschriften. rem Umfang eingesetzt. Auch die in den USA auf die oben erwähnten Artikel von Boden-

82 siek (1929) und Wehling (1932) verwiesen. In das Handbuch hatten unter anderem Kinderzeitschriften Aufnahme gefunden. Margarete Diederichs, die 1932 in München über die deutsche Kinderpresse der Gegen- wart promoviert hatte, behandelte auch außerdeutsche Kinderzeitschriften. Von den aktuellen Entwicklungen in den USA, wo die »comic books« deutlich an Raum gewannen, ist von ihr aber nichts zu erfahren. Was Bild- geschichten in den Kinderzeitschriften anbe- langt, erwähnt Diederichs die französischen, von denen einige »zur Gattung der in Frank- reich sehr häufigen Bilderbogen-Zeitschrif- ten« gehörten. Die italienischen Kinderzeit- schriften beschrieb sie als »meist sehr reich- lich und grellfarbig bebildert«. Bis Ende 1936 seien 14 der 29 Kinder- und Jugendzeitschrif- ten mit »›amerikanisierter‹ Aufmachung« erschienen.88 Mit dem Kriegseintritt der USA 1941 waren Comics, Comic Strips und Comic Books auch offiziell Teil der psychologischen Kriegführung der USA geworden. Das »Office of War Information« (OWI) und »The Wri- ters’ War Board« übernahmen die Aufgabe, die Comics optimal einzusetzen. Wie alle anderen Medien sollten die Comics helfen, die amerikanische Moral zu stärken. Sie ermunterten zur Teilnahme an den Kriegs- anstrengungen, sie halfen, Feind und Freund zu erkennen, und informierten über die Fortschritte der alliierten Streitkräfte.89 Diese Arbeit war im Comic-Bereich sehr erfolg- reich; das zunächst für den amerikanischen Oben: Superman trifft auf die Riege Leser bestimmte Propagandamaterial er- Münchener Ausstellung »Der ewige Jude« der Nazi-Größen, die ihrerseits reichte über internationale Pressesyndikate (1937) und 1941 die Bilddokumentation »Die Superman-Kostüme angelegt ha- wie Bulls auch das Ausland. Juden in USA« veröffentlicht und so gezeigt ben (1945, McClure Newspaper Eine deutsche Reaktion auf die Angriffe hatte, dass er die »Technik der denunziatori- Syndicate). der Comics gegen das Nazi-Regime erfolgte schen Collage« beherrschte.91 Der Leser die- erst im August 1944 in der Wochen-Illustrier- ses Naziblattes erfuhr, dass in den USA täg- ten der NSDAP, Illustrierter Beobachter.90 lich viele Hunderte der sogenannten »Comic Unter der Überschrift »Blühender Blödsinn« Strips« erschienen. Dabei handle es sich um wurden die Comic Strips als ein in Deutsch- eine ganz bestimmte Art von Presseerzeug- land »unbekanntes, Amerikas Kultur schlag- nissen, die in Europa so ziemlich unbekannt 89 artig beleuchtendes Gebiet der USA-Publizi- seien, weil ihr Inhalt »auf der geistigen Ent- Vgl. Ron Goulart: The Funnies. a. a. O., S. 143-166; Steve M. Barkin: stik« abgehandelt. An den Pranger gestellt wicklungsstufe etwa zehnjähriger Kinder« Fighting the Cartoon War. Informa- wurden unter anderem »The «, stehe und die »Primitivität des Gebotenen tion Strategies in World War II. In: »Flash Gordon«, »«, »King of und der Darstellung auch den einfachsten Journal of American Culture, Vol. 7 the Royal Mounted«, »Tiny Tim«, »Red Menschen unseres Kontinents zu wenig bie- (1984). Hefte 1-2, S. 113–117; Tho- Ryder« und vor allem »Smilin’ Jack«. Die ten würde«.Vielleicht war es dem Artikelver- mas Howell: The Writers’ War Board: U.S. Domesitic Propaganda beschränkte Auswahl aus The Comic Weekly fasser tatsächlich unbekannt, dass damals in in World War II. In: Historian 59 (Baltimore), Baltimore American und The den nordeuropäischen Staaten diese Comics (1997), S. 795–813. Standard (Montreal, Kanada) offenbart die sehr wohl weite Verbreitung fanden. Im 90 Blühender Blödsinn. »Comic Probleme des Zugangs zur US-Presse. Die übrigen Europa war dies durch Verbote und Strips«. Ein bei uns unbekanntes, neuen Comic Books fanden vielleicht aus die Schwierigkeiten des Transports im Krieg Amerikas Kultur schlagartig be- diesem Grund nicht Erwähnung. Als Verfas- jedoch kaum noch der Fall. leuchtendes Gebiet der USA-Publi- zistik. In: Illustrierter Beobachter ser des Artikels ist der stellvertretende Haupt- Im Illustrierten Beobachter wurden vom 24.8.1944; vgl. Ralf Palandt: schriftleiter des Blattes, Hans Diebow, anzu- »Comic Strips« definiert als »gezeichnete »Blühender Blödsinn« an der Pro- nehmen, der die Begleitpublikation der Fortsetzungsgeschichten ganz ohne jede pagandafront. a. a. O.

83 91 Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch Bildunterschriften«. Lediglich hin und wie- Diese Sicht auf die amerikanischen Comics des Antisemitismus. Bd. 2/1. Berlin der würden Dialoge oder erklärende Text- sollte das Kriegsende überleben und in der 2009, S. 171. stellen mit großen Lettern in die Bilder hin- Anti-Comic-Debatte in den 50er Jahren in 92 Blühender Blödsinn. »Comic eingeschrieben. Die Bilder sein in »grellen, ähnlicher Form auftauchen. Dovifat und Strips«. a. a. O. bilderbogenbunten Farben« koloriert, wie sie d’Ester behielten auch nach 1945 Einfluss 93 Ilse Glietenberg: Die Comics. dem »Geschmack der Primitiven« entsprä- auf die deutsche Sichtweise. Karl d’Ester, Wesen und Wirkung. Dissertation chen. Die Zeitungsbeilagen hätten einen Philosoph. Fakultät der Ludwig- zunächst suspendiert, 1947 durch die Mili- Maximilian-Universität München Umfang von 24 Seiten zu 30 Bildern. Solche tärregierung wieder eingestellt, betreute in 1956. 200 Seiten und Bild-Anhang. Zeitungen würden wöchentlich zu Hunder- den 1950er Jahren in Deutschland die erste Glietenberg war 1951/52 als Stipen- ten gedruckt, manche mit Auflagen von über Dissertation über Comics.93 diatin in den USA gewesen. zwei Millionen Exemplaren – ein Geschäft, Emil Dovifat gehörte 1948 zu den 94 Henry Ladd-Smith: Die Comics: das Millionengewinn abwerfe. Gründern der Freien Universität in Berlin Wesen, Herkunft und Entwicklung Der Inhalt spezialisiere sich auf drei und wurde dort zum Leiter des »Instituts für in den USA. In: Emil Dovifat (Red.), Hauptgebiete: 1. Sexualität, 2. der Traum Handbuch der Publizistik, Bd. 2. Publizistik« und auf den Lehrstuhl für All- Praktische Publizistik, 1. Teil, Ber- vom starken Mann und 3. Humor. Im Krieg gemeine Publizistik berufen. Er lehrte auch lin (West) 1969. S. 116-126; ferner hätten sich die »Comic Strips« inhaltlich an der ebenfalls neu gegründeten Deutschen Alfred Clemens Baumgärtner: Co- stark auf antideutsche Propaganda um- Hochschule für Politik, dem späteren Otto- mics in Deutschland. In: ebd., gestellt. Die Abenteuerserie (hier auch »Bil- Suhr-Institut der Freien Universität. Als Her- S. 127-132. derbogen« genannt) »Smilin’ Jack« (der ausgeber des »Handbuchs der Publizistik«, 95 Vgl. Horst Leinweber: Der Comic- »Lächelnde Jack«) wurde als »primitivste das auch zwei Beiträge zum Thema »Comics« Strip als publizistisches Phänomen. Hasspropaganda gegen Deutschland« be- 94 Seine Entwicklung und Bedeutung, enthielt , nahm er noch Ende der 1960er unter besonderer Berücksichtigung zeichnet. Der junge Amerikaner würde als Jahre Einfluss auf die deutsche Comic- der amerikanischen Tagespresse. Held, Frauenbeschützer und edler Vater- Rezeption. Phil. Dissertation. Wien 1958. Lein- landsverteidiger hingestellt, die Deutschen Die deutsche Zeitungs- bzw. Kommu- weber verzeichnet die damaligen als fette, hässliche, lüsterne und auch dum- Standardwerke Martin Sheridan: nikationswissenschaft nach 1945 versäumte Comics And Their Creators. Boston me Erpresser, Verbrecher und Frauenschän- eine vorurteilsfreie Betrachtung der amerika- 1942 und Coulton Waugh: The Co- der. Womit »die Tendenz dieses Machwerkes nischen Comics und nahm auch die Erkennt- mics, New York 1947. eindeutig klargestellt« sei: nisse der internationalen Forschung dazu Inhalt und Aufmachung dieser Zeitungen, die außer den nicht wahr. Anders war es offenbar in Öster- grellbunten Bildchen nichts enthalten, was nach europä- reich.95 Dass die amerikanische Sekundär- ischen Maßstäben zu einer Zeitung gehört, stellen jeden- literatur in der Bundesrepublik nicht rezi- falls ein Kuriosum dar, das bezeichnend ist für die ganze amerikanische Kultur- und Geisteswelt. Erst wenn man piert wurde, mag lediglich eine Wissenslücke sich so recht darein vertieft, wird einem die Primitivität sein; vielleicht ist der Verzicht auf ausländi- der große amerikanischen Massen so recht verständlich. sche Quellen aber auch mit dem Einfluss der [...] »alten« deutschen Zeitungswissenschaft zu Der primitive Stumpfsinn dieser »Comic Strips« stellt für erklären. Millionen Menschen jenseits des Ozeans mehr noch als der Film die einzige geistige Kost dar. Danach läßt sich Unten Emil Dovifat mit Studenten der Horizont des Dur[ch]schnittsamerikaners ausmessen. der FU Berlin 1952. Er ist von einer Enge, die in Europa unbekannt ist.92

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