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REX FEATURES Fuller-Band 21st Century Girls: Attacke aufs Gemüt der Clearasil-Generation

TEENAGERIDOLE Komplott des Mädchenprinzen Er machte die zu einem Welterfolg und verpaßte ihnen den Kampfruf nach „Girlpower“ – und doch behielt Manager Simon Fuller immer absolute Macht über seine Schützlinge. Nun tritt er mit einer neuen Mädchentruppe an, um abermals Teenie-Herzen zu erobern.

er Mann beteuert, er selbst habe Seine Zusammenarbeit mit den mittler- nie ein Rockstar werden wollen weile zu Idolen verklärten jungen Britin- Doder ein Fußballgott – so sehr ihn nen ,Victoria Adams, Emma diese Jobs bis heute faszinieren und be- Bunton, Melanie Chisholm und Melanie schäftigen. Denn seit er denken kann, Brown, verehelichte Gulzar, hat sich als träumt Simon Fuller vom Ruhm. Bereits goldene Liaison erwiesen: eine Erfolgsko- im Kindergarten will er sich vorgenommen operation, die den Namen Fuller in der haben, dereinst seinen Familiennamen als Entertainmentwelt als Edelmarke etablier- Weltmarke zu etablieren: „Als Standard te und ihn in der Galerie legendärer Er- so wie ,Tesa‘ oder ,Tempo‘ sollte da einfach folgsmanager wie Colonel Tom Parker (El- ,Fuller‘ stehen. Tja, ich war wohl ein selt- vis Presley), Brian Epstein (Beatles) und sames Kind.“ Albert Grossman (Bob Dylan) verewigte. Seit damals befindet sich Simon Fuller, Selbst die Trennung der Spice Girls von 38, nach eigener Auskunft auf einer Fuller vor eineinhalb Jahren wurde von Mission. Als Manager schafft und verwal- den Medien mit angemessenem Spektakel tet er Ruhm. Als Schattenmann in den Ku- als Sensationsgeschichte zelebriert – größ- lissen hat er Musiker wie tenteils mit dem Tenor: Tapfere Popmädels betreut und den britischen Ballkünstler setzen nach jahrelanger Unterjochung Steve McManaman. Vor allem aber gilt er ihren Sklaventreiber vor die Tür. als der große Strippenzieher in der Kar- Nun ist Fuller wieder da – und präsen- riere der Spice Girls – Fuller ist der Orga- tiert ein neues Entertainment-Produkt na-

nisator eines der erfolgreichsten und ein- mens „21st Century Girls“. So heißt die in ALPHA träglichsten Popunternehmen der neunzi- diesen Tagen erscheinende Debütsingle Manager Fuller ger Jahre. eines Mädchenquartetts aus der britischen „Ich will globale Ikonen schaffen“

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Provinz, und so nennen sich die vier eher der 21st Century Girls schon mindestens nommen. In Wahrheit haben sich die mittelhübschen Heldinnen der neuen Ful- tausendmal gehört. „Na und? Aber nicht Mädchen, als sie noch unter dem Namen ler-Story auch. Denn um eine Fuller-Story diese Kinder!“ wird ihnen der Chef dann She-Devil (Teufelin) auftraten, lange handelt es sich: Nicht die durchaus passa- erwidern. durch Provinzspelunken und Talent- blen musikalischen Fähigkeiten der neuen Trotz allen Boygroup-Rummels um wettbewerbe gequält, bis schließlich eines Band garantieren einen Knüller, sondern Backstreet Boys und Konsorten, so be- ihrer Demobänder bei Simon Fuller lan- allein der Name Fuller. hauptet Fuller, würden gerade die Pophö- dete. So aber lieferten sich, wenn man den rer im Pubertätsalter schon viel zu lange Der Name Fuller sei an englischen Schu- Berichten der britischen Musik- und Kra- sträflich vernachlässigt von den Mächtigen len so bekannt wie der der Spice Girls, wallmedien glaubt, erst einmal diverse der Musikindustrie. Damit er die Clearasil- berichtet Schlagzeugerin Mim. Und mit große Plattenfirmen ein Wettbieten um die Zielgruppe mitten ins Herz trifft, hat er bezaubernder Frechheit fügt sie hinzu: neue Mädchentruppe. Nun erscheint das seine neuen Protagonistinnen gleich aus „Jeder wußte, daß er bei den Spice Girls 21st-Century-Girls-Debüt – eine keines- ihr rekrutiert: Die 21st Century Girls sind der Chef war, aber keiner hatte ihn je ge- wegs brillante, aber effektive und sehr selbst 14 bis 16 Jahre jung, „also erst in sehen. Wenn man ihn dann trifft, ist man vergnügliche Rock’n’Roll-Nummer – als zehn Jahren so alt wie die Spice Girls“, fast enttäuscht, daß er so unscheinbar ist.“ allererste Veröffentlichung der Im übrigen zollen die 21st Cen- neuen, Fuller-eigenen Plattenfir- tury Girls den Spice Girls brav ma im Haus des Respekt; in erster Linie natur- Konzerns EMI. gemäß für deren geschäftlichen Und zum Stapellauf seines Erfolg. „Mit der Musik können neuen Mädchenwunders hat sich wir wenig anfangen“, sagt Mim, nun auch Fuller selbst bereit er- „aber die sind ja nun auch bald klärt, auf Fragen von Journalisten 30, oder?“ Also reif für den Vor- zu antworten – erstaunlich vor ruhestand im Popgeschäft. allem deshalb, weil er nach sei- „Dieser Job ist ein Spiel. Das nem Spice-Girls-Rauswurf im Ziel ist herauszufinden, wie weit November 1997 erst mal unterge- man den Kampf um Ruhm trei- taucht war und jede Auskunft ge- ben kann. Die weltweite Rezes- genüber Magazinen wie „Forbes“, sion der Musikindustrie schert „Time“ und „Newsweek“ ver- mich wenig; globale Ikonen zu weigerte, obwohl ihm jedes dieser schaffen – das ist mein Traum“, Blätter Titelgeschichten angebo- fabuliert Fuller, den die „Sunday ten hatte. Times“ den „Guru der Mädchen- Er sei eben ein „sehr auf seine power“ nannte. Der Mann be- Privatsphäre bedachter Mensch“, rauscht sich gern selbst an der rechtfertigt sich der Unternehmer Legende von seinem magischen für sein langes Schweigen – und Gespür für die Erfordernisse des deutet damit an, daß ihn sein Ge- Musikmarktes. In solchen Mo- spür fürs Geschäft zum Schritt menten lehnt er sich zurück in in die Öffentlichkeit zwang: seinem Ledersessel, inmitten all Seine jüngsten Klienten bedürfen der goldenen Platten, die um ihn im Augenblick noch in einem herum an den Wänden verstau- Maß der Unterstützung, daß er ben, und auf sein höhensonnen- offenbar zu persönlichen Opfern gebräuntes Gesicht legt sich eine bereit ist. tiefe Zufriedenheit. Die Teenager der Welt, so klagt Glücklich sei er immer dann, der 38jährige nun mit Veteranen- so erzählt Fuller, wenn er sicher weisheit und versonnener Miene, sei, etwas besser zu können als seien heutzutage leider viel kon- alle anderen. Das Gitarrespielen servativer als ihre Eltern. Es hand- gehörte nicht dazu. Deshalb ließ le sich um eine verschnarchte Ge- er schon damals in seiner Schul- neration, die zum großen Teil Mu- zeit in Sussex die Finger davon.

sik höre, welche auch 40jährigen / INTER-TOPICS ALL-ACTION Statt dessen organisierte er gefällt. Und er sieht drein, als Fuller-Band Spice Girls (1997)*: Drill wie in der Kadettenschule Auftrittsmöglichkeiten für die habe er in eine Zitrone gebissen, Bands seiner beiden Brüder und wenn er am Ende seines Lamentos die wie Fuller bemerkt, vor allem aber seien für Schulfreunde. Auf dem College ver- älteste aller Branchenklagen wiederholt: sie „echt“ und „pur“. waltete er den Kulturetat und erwirt- „Die Popmusik hat allen Biß verloren.“ Bei allen Reinheits- und Echtheitsga- schaftete soviel Gewinn, daß ihn die Di- Fullers Heilsbotschaft gegen die Lahm- rantien – genial erschwindelt ist allerdings rektoren aus Angst um ihre Zuschüsse heit der Jugend und die Langeweile im Un- die in vielen Medienberichten verbrei- zurückpfiffen. terhaltungsgeschäft aber lautet: Rock’n’ tete Legende von der Entdeckung seiner Sein Erfolg, so verrät Fuller, basiere vor Roll! Und selbstverständlich sind die 21st neuen Frolleintruppe. Demnach hat Ful- allem auf seiner Fähigkeit zu aufmerksa- Century Girls deren stolze Überbringer. ler die aus dem Provinznest Dudley bei mem Zuhören. Als er noch in der Talent- Dabei weiß er selbst, daß er den Popfans Birmingham stammenden 21st-Century- abteilung einer Londoner Plattenfirma ar- nichts Neues bietet – neu sei der Rock’n’ Kinder bei einem Schulkonzert bestaunt beitete, seien seine Kollegen Nacht für Roll allein für die von Fuller anvisierte und anschließend sofort unter Vertrag ge- Nacht auf der Suche nach der nächsten Zielgruppe der 8- bis 14jährigen. Sensation durch die Clubs der Stadt ge- So dürfe ihm jeder grauhaarige Schlau- * Melanie Chisholm, Victoria Adams (vorn); Emma streift. „Ich habe morgens Kaffee gemacht meier getrost vorhalten, er habe die Musik Bunton, Melanie Brown, Geri Halliwell. und gut zugehört, was ihnen aufgefallen

der spiegel 23/1999 77 Gesellschaft war“, sagt Fuller. „Das spart Zeit und Ener- geblich mehr Geld und mehr Freiraum für gie und ist doch nicht unfair, oder?“ ihr Liebesleben: Sie habe seit neun Mona- Fuller warb vor allem Songschreiber an, ten keine Zeit mehr für Sex gehabt, klagte von denen eines Tages einer mit einem Geri Halliwell alias „Ginger Spice“ damals. Lied namens „Holiday“ ankam, das eine Schließlich sorgte das Gerücht, „Baby Amerikanerin namens singen Spice“ habe sich mit Fuller sollte: Fuller setzte sich gegen Widerstän- in Südfrankreich amourös vergnügt, für de in seiner Firma für das Projekt ein: weitere Unruhe in der Band. Es kam zur „Mein Instinkt sagte mir sofort: Die wird Trennung. Angeblich 20 Millionen Pfund ein Superstar.“ linderten Fullers Schmerz über den Raus- 1985 machte er sich selbständig – und schmiß, dafür hat er sich verpflichtet, kei- taufte das eigene Unternehmen „19 Ma- ne Details über die Zeit mit dem Quintett nagement“ nach seinem ersten, längst ver- auszuplaudern. gessenen Solocoup, Paul Hardcastles Viet- Er selbst sei seinen ehemaligen Schütz- namsong und Discohit „19“. Damals war lingen heute nicht im mindesten böse, be- Fuller 24 Jahre alt, „der Song brachte es in hauptet Fuller. Mehr sei mit den Spice Girls 14 Ländern zur Nummer eins – und ratz, ohnehin nicht drin gewesen. „Ich habe al- fatz waren 4,5 Millionen Platten verkauft“. les für sie erreicht und hätte sie gern noch Seitdem verwaltet er prominente Klienten in Würde absteigen lassen“, sagt er. So und einen Stab von Top-Autoren und Pro- müssen sie nun eben alleine abstürzen – duzenten, die „aus dem Nichts Giganten oder auch nicht: Denn Fullers Autoren ver- zaubern können, manchmal zumindest!“ sorgen bis heute die Spice-Mädchen und Sein Meisterstück gelang ihm 1995, als fünf noch weitgehend unbekannte Popmädchen in sein Büro tanzten. Die Spice Girls hatten gerade ihre ersten Mana- ger vor die Tür gesetzt, und, so berichtet Fuller, „sie hatten Sex und Energie. Dafür wollten sie Ruhm und Reichtum. Wunder- bar“, schwärmt der Manager noch heute. Fuller sah seine Chance, die Welt zu erobern, und legte los. Als er die Mädchen unter Ver- trag hatte, verpaßte er erst mal jeder von ihnen eine halbwegs unverwechselbare Identität samt Spitznamen – und ließ sich den PR-Schlachtruf „Girlpower“ ein-

fallen. Dann besorgte er einen EMPICS Plattenvertrag und entwickelte Ex-Fuller-Schützling McManaman: Kampf um Ruhm ein Marketing-Konzept, „wie es andere vor mir auch getan haben – auch die abtrünnige Geri Halliwell mit neu- aber wohl kaum mit dem Feuer, das ich em Songmaterial. Geschäft ist Geschäft. entfacht habe“. Neulich hat Fuller eine Statistik in die Also gab es bald Spice-Girls-Cola, -Deos, Finger bekommen, die besagt, daß 80 Pro- -Puppen, -Lollies, -Chips, -Videospiele und zent aller arbeitenden Menschen ihren Job einen Spice-Girls-Kinofilm. „Der Deal, den hassen. „Die wollen unterhalten werden“, ich mit Pepsi aushandelte, war sensationell hat er erkannt, „und das ist mein Job: En- lukrativ“, so Fuller. „Aber unbezahlbar tertainment.“ war die weltweite PR. Allein in den USA Vermutlich werde seine große Zeit erst haben die Pepsi-Leute 20 Millionen Dollar noch kommen, prahlt Fuller: „Ich explo- in Werbung investiert. Das Musikgeschäft diere vor Ideen.“ Die 21st Century Girls allein ist einfach zu mickrig. Mein Ziel ist, seien da nicht mal sein Haupttrumpf im das Spielfeld zu erweitern.“ Ärmel. „Garantiert gigantisch“ etwa wer- Für die fünf Spice Girls selbst wurde das de sich sein Projekt entwickeln, Star-Dasein bald so amüsant wie der Drill ein tanzendes und singendes Septett mit ei- in einer Kadettenschule, woran Fuller die gener TV-Show. „Die werden das fürs näch- Hauptschuld trug: „Wer mich engagiert, ste Jahrtausend, was die Monkees in den muß mit meiner Einmischung leben“, sagt sechziger Jahren waren, jede Wette.“ er achselzuckend. Von Girlpower war im Ansonsten würde er gern mal einen Geschäft mit der Band keine Rede – und so Formel-1-Piloten managen. Schon der hatten die Spice Girls 1997 endgültig kei- Klang der Worte „Ferrari“ und „Schuma- nen Spaß mehr an dieser Erfolgsdiktatur. cher“ läßt ihn verzückt mit den Armen Obwohl das Unternehmen nach Experten- rudern. „Mein Gott“, seufzt er, „was für schätzungen für jedes der Mädchen rund Namen – die sind noch nicht mal halb aus- 70 Millionen Mark abwarf, wollten sie an- gereizt.“ Christoph Dallach

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