Figuren Der Übertragung. Adalbert Stifter Und Das Wissen Seiner Zeit
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Michael Gamper Karl Wagner (Hg.) «Wissensübertragung» in der Zeit zwischen 1830 und 1870, also der Epoche nach der Konjunktur romantischer Wissens poetiken und vor dem Aufkommen und der Verbreitung der Neuen Medien und den innovativen wissenschaftli chen und technischen Errungenschaften des ausgehenden 19. Jahr hunderts, ist Thema des vorliegenden Bandes. Die methodisch theoretische Schärfung des Konzepts von «Wis Figuren der sen» und das Interesse an den Verfahren und Regeln der «Wissensübertragung» werden in den einzelnen Beiträgen Übertragung in der intensiven Auseinandersetzung mit Stifter und dessen Werk profiliert. Die analysierten Texte Stifters und einiger Adalbert Stifter und seiner Zeitgenossen beschäftigen sich mit verschiedenen das Wissen seiner Zeit Praktiken der Übertragung und halten zudem eigene und spezifische Theorien der Wissensübertragung bereit, die auch heute noch weitergehende Reflexionen provozieren. Stifter hat Einbildungskraft, scharfen Verstand und wissen schaftliche Ausbildung insbesondere in Philosophie, Ge schichte und Naturwissenschaft als Zulassungskriterien für Figuren der Übertragung den öffentlich Wirkenden gefordert; es sind dies Qualitäten, die nicht nur für die zahlreichen Künstler und Wissen schaftlerfiguren in seinen Texten bestimmend sind. Michael Gamper (Hg.) Karl Wagner Figuren der Übertragung Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen Veröffentlichungen des Nationalen Forschungsschwerpunkts »Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen. Historische Perspektiven« Herausgegeben von CHRISTIAN KIENING und MARTINA STERCKEN in Verbindung mit ELVIRA GLASER, JÜRG GLAUSER, MARTIN-DIETRICH GLESSGEN, BARBARA NAUMANN und ANDREAS THIER Band 9 Michael Gamper, Karl Wagner (Hg.) Figuren der Übertragung Adalbert Stifter und das Wissen seiner Zeit Redaktionsassistenz: Christian van der Steeg Weitere Informationen zum Verlagsprogramm: www.chronos-verlag.ch Umschlagabbildung: Stifter, Adalbert: Die Mappe meines Urgroßvaters. Faksimileausgabe der Dritten Fassung. Transkription von Alois Hofman. Leipzig: Edition Leipzig 1998 (= Manu /scripta/ 3) © 2009 Chronos Verlag, Zürich ISBN 978–3-0340-0938–6 Inhaltsverzeichnis MICHAEL GAMPER, KARL WAGNER Einleitung 7 Umsätze im Wissen der Zeit CHRISTIAN BEGEMANN Das »Titelblatt der Seele«. Stifters Gesichter und das Dilemma der Physiognomik 15 STEFAN WILLER Grenzenlose Zeit, schlingender Grund. Genealogische Ordnungen in Stifters Nachkommenschaften 45 MONIKA RITZER Zur Formierung von Stifters Naturbegriff im Kontext der zeitgenössischen Philosophie 63 SASKIA HAAG Versetzt. Restaurierung als Entortung in Stifters Nachsommer 77 CHRISTIAN VAN DER STEEG Stifters Erzählen für Neuseeländer. Wissenstransport und Kunstwerk in der Biedermeierzeit 87 HANS-GEORG VON ARBURG Neues von der Narrenburg? Stifters Architekturen zwischen Historismus und Neuem Bauen 109 Übertragung schreiben CORNELIA HERBERICHS Grenzen des Wissens. Übertragung mittelalterlicher Historiographie im Witiko 137 JOHANNES JOHN Äußerungen eines »Gefertigten«. Edition und Interpretation am Beispiel von Adalbert Stifters Amtlichen Schriften zu Schule und Universität 155 5 DANIEL MÜLLER NIELABA »Wehen«: Zur Figur des »Gesezes« 175 Naturwissenschaftliche Korrespondenzen ULRICH JOHANNES BEIL Sterne und Fußnoten. Medialität, Physik und Phantastik in Stifters Der Condor 187 MICHAEL GAMPER Stifters Elektrizität 209 PETER SCHNYDER Schrift – Bild – Sammlung – Karte. Medien geologischen Wissens in Stifters Nachsommer 235 SABINE SCHNEIDER Kulturerosionen. Stifters prekäre geologische Übertragungen 249 Komparatistische Transgressionen SONJA OSTERWALDER Trostlose Wissenschaft, schreckliches Leben. Adalbert Stifter und Edgar Allan Poe 273 ROBERT LEUCHT Ordnung, Bildung, Kunsthandwerk. Die Pluralität utopischer Modelle in Adalbert Stifters Der Nachsommer 289 WERNER MICHLER Die Studie als Zweck. Stifter und die Präraffaeliten 307 KARL WAGNER George Eliot und die deutsche Wissenschaftskultur 327 Zu den Autorinnen und Autoren 341 6 Einleitung MIcHAEl GAMpEr, KArl WAGNEr Adalbert Stifter ist in vielerlei Hinsicht ein Autor der Übertragung. Dies ma- nifestiert sich in seiner Biographie und in seinen Schriften. So beschäftigte sich Stifter in seiner Tätigkeit als Hauslehrer und vor allem später als Schulrat in Linz praktisch und theoretisch mit den Möglichkeiten von Bildungstransfers innerhalb der sozialen Gruppierungen und über deren Grenzen hinweg – und zielte damit auf eine innere politische Versöhnung des von zentrifugalen Kräften strapazierten body politic. Als naturwissenschaftlich gebildeter Schriftsteller strebte er, im Wissen um die Unterschiedlichkeit der Wissensformen, eine Inte- gration von Wissenschaft und Literatur an, und als passionierter Maler bemühte er sich in seiner Schriftsteller-Existenz um einen Austausch der poetologischen Leistungen der Künste. Die Organisation des Transfers von Wissen zwischen den Medien, Ständen und Diskursformen war also eines der wichtigen Anliegen Stifters. ›Wissensübertragung‹, also die zeitliche und räumliche De- und Rekontextua- lisierung von kognitiven Elementen und dabei vor allem: deren unhintergehbar eigensinnige mediale Effekte, ist auch die Thematik, mit der sich das Teilprojekt E4 des Nationalen Forschungsschwerpunkts »Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen: Historische Perspektiven« beschäftigt. Das Projekt erarbeitet diese Thematik methodisch und inhaltlich in zwei Zeiträumen: einerseits in der Periode zwischen 1830 und 1870, also in der Epoche nach der Konjunktur ro- mantischer Wissenspoetiken und vor dem Aufkommen und der Verbreitung der Neuen Medien und den innovativen wissenschaftlichen und technischen Errun- genschaften des ausgehenden 19. Jahrhunderts, anderseits in der Zeit zwischen 1900 und 1940, in der die Auswirkungen der technischen und wissenschaftlichen Revolutionen ein neues System der Medien und der Medialitäten ins Werk setz- ten und damit auch der Literatur und den Künsten neue Funktionen zuwiesen. Als erster Kristallisationspunkt, der diese komplexen Neuordnungen an kon- kreten Phänomenen sichtbar machen soll, wurden die Arbeiten von Stifter gewählt, dessen Tätigkeit ja genau in den ersten Zeitabschnitt fällt. Dabei wird davon ausgegangen, dass Stifters Werk, trotz der irreduziblen Eigensinnigkeit seiner Texte, auch symptomatisch Problematiken seiner Epoche zu reflektieren vermag. Diese Annahme erlaubt es, dieses Œuvre als Ausgangspunkt für eine 7 Analyse der wissenspoetologischen Paradigmatik der Epoche zu nehmen, die deshalb auch, mit einem Augenzwinkern, ›Stifter-Zeit‹ genannt werden kann. Ein analog angelegter Band zu Robert Musil und der ›Musil-Zeit‹ soll folgen. Dies bedeutet, dass sich der vorliegende Band mit einer doppelten Thema- tik beschäftigt. Zum einen geht es um Stifter, um dessen Werk und darum, wie Diskurse und Praktiken des Wissens darin zirkulieren, wie diese in neue Verhältnisse gesetzt und in narrativen Konstruktionen neue Funktionen über- nehmen können. Zum anderen wird aber auch, in einer allgemeiner gefassten Perspektive, nach den methodisch-theoretischen Rahmenbedingungen gefragt, unter denen sich ›Wissensübertragung‹ in literarischen Texten manifestiert – ein Anliegen, das im Rahmen dieser Einleitung skizziert und dann in den einzelnen Beiträgen konkretisiert werden soll. Will man von ›Wissensübertragung‹ sprechen, muss zuerst gesagt werden, was man unter ›Wissen‹ versteht. Für unser Vorhaben definiert sich ›Wissen‹, im An- schluss an die Arbeiten von Michel Foucault, nicht als Inhalt der Wissenschaften, auch nicht als Ausdruck von subjektiver Gewissheit und auch nicht als Merkmal objektiver Wahrheit. Vielmehr wird der Terminus als Bezeichnung für ein Ag- glomerat lose zusammenhängender, aber nicht notwendigerweise synthetisierter Aussagegebilde gefasst, die Kenntnisse von Sachgegenständen ermöglichen, begrenzen, vermitteln und gleichermaßen Textgattungen, Diskurse und Dis- ziplinen durchqueren. Dabei werden Optionen und Implikationen installiert, die jede Aktualisierung von Wissensobjekten prägen. Das solcherart erzeugte ›Wissen‹ ist die Ermöglichungsbedingung von diskursiven Gegenständen, von diskursiven Praktiken und Subjekten sowie von deren Rede und Handeln. Es stellt die Regeln zur Subordination und Koordination von Aussagen bereit und bildet einen Raum für diskursive Verhandlungen, der den Grenzziehungen zwi- schen verschiedenen Wissensweisen voraus liegt. ›Wissen‹ stellt so ein Arsenal von bedeutungshaltigen Elementen bereit, hat aber prinzipiell keinen definierten disziplinären Status.1 ›Wissen‹ ist deshalb zunächst unpersönlich und disziplinär unspezifisch, es wird aber von Individuen zu bestimmten Zeiten und an gewissen Orten aufgenom- men, verknüpft und aktualisiert, und es wird durch die Integration in Fachberei- che und Redeweisen spezifiziert und formalisiert. Es sind also erst die konkreten Kontexte und die spezifischen Weisen der Inszenierung und Darstellung von ›Wissen‹, etwa von ›Autoren‹ in ›Texten‹, die darüber entscheiden, in welche disziplinäre Register diese Elemente wie, wann und wo eintreten. Der Terminus ›Wissen‹ bezeichnet deshalb einen Kenntnisbestand, der sich in spannungs- reichen und dynamischen Konstellationen und unter spezifischen historischen und sozialen Bedingungen präsentiert, die dann in Disziplinen und Dispositiven auf je besondere Weise spezifiziert werden. ›Wissen‹ kann damit gleichermaßen, 8 wenn auch in anders formalisierter Art, in Wissenschaft, Literatur und Publizis- tik präsent sein. Formiert sich ›Wissen‹ so zunächst gleichursprünglich und parallel in ver- schiedenen