Wolfgang Muthspiel Lay.Indd 1 29.10.18 09:53 Coverstory
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Das Schweizer Jazz & Blues Magazin Nov./Dez. N r . 6 /2018 S Schweiz CHF 11.00 / Deutschland € 5.90 / Österreich € 6.10 , ROOT ‚ N BLUES ‘RE‘RENN 'M'MOO WAYNE SHORTER DIANA KRALL/ TONY BENNETT SIMON SPIESS RONIN LABEL ANTHONY BRAXTON/ GERRY HEMINGWAY KAOS PROTOKOLL MUD MORGANFIELD GENE PERLA OM FRANCO AMBROSETTI DAVE KEYES GÜNTER BABY SOMMER TOMAS SAUTER FEE STRACKE WOLFGANG PETER SCHÄRLI BERND ALOIS ZIMMERMANN MUTHSPIEL RICCARDO DEL FRA WHERE THE RIVER GOES MANUEL TROLLER SPECIAL: JAZZHOCHSCHULEN DER SCHWEIZ JNM_06_18_01_Cover_Wolfgang Muthspiel_lay.indd 1 29.10.18 09:53 COVERSTORY Mit Wolfgang Muthspiel am Bach: WHERE THE RIVER GOES Nach ”Rising Grace” 2016 mit Brad Mehldau, Ambrose Akinmusire, Larry Grenadier und Brian Blade hat Wolfgang Muthspiel eben sein neustes ECM-Opus mit fast identischem Quintett veröffentlicht. Passend zum CD-Titel sprach JNM darüber mit ihm am Rhein. Von Steff Rohrbach Meist mit Hut oder Schirmmütze, winters Grace” auch schon auf Tournee mit dabei war anderen. Das gibt es so ja nur im Jazz. Auch auch mal mit Kappe: Wolfgang Muthspiel und mir sehr gefiel. was sich harmonisch abspielt und sich verän- trägt als einer der weltweit profiliertesten Gi- JNM: Wie unterscheiden sich ihre Persön- dern kann, selbst wenn ein Akkordsymbol da- tarristen, als Bandleader, Komponist, Label- lichkeiten in deiner Musik? steht: Es liegt alles in der Hand der Musi- chef a. D., Professor und Focusyear-Leiter – WM: Es sind natürlich beides ganz grosse ker, in der Unmittelbarkeit, im Momentum, ein beides in Basel – wahrlich viele Hüte. Drummer. Eric setzt am Schlagzeug vielleicht hochkomplexer Vorgang, der letztlich völlig etwas stärker einen Kontrapunkt zum Ge- intuitiv geschieht, auf den man sich aber le- JAZZ’N’MORE: Bei deinen vielen Hüten: schehen, was der Musik in meinem Fall, wie benslang vorbereitet. Das ist für uns Musiker Wann kommst du überhaupt zum Kompo- ich meine, ganz gut bekommt. Er kreiert in total faszinierend und beglückend. nieren und passiert das vor allem aus dem seinem Spiel gewissermassen fast architekto- JNM: Du hast dich für die Trompete und Üben heraus? nisch etwas dazu oder dagegen, während Bri- nicht für ein Saxophon in der Band entschie- Wolfgang Muthspiel: Es geschieht eigentlich an eher derjenige ist, der sich auf die Schwin- den. ständig, mein iPhone ist voll von spontanen gungen von mir und der Musik einstellt und WM: Aus ästhetischen Gründen. Der Entscheid Aufnahmen. Es passiert in einer fliessenden einlässt. Eric lässt einen bestimmten Zugriff hat aber auch mit Ambrose Akinmusire zu tun, Zone von Spielen, Üben und Schreiben, die walten und sich vom ganz Introvertierten, das für den ich jetzt zum zweiten Mal geschrie- ich mehr oder weniger täglich betrete. meine Musik haben kann, kaum beeinflussen, ben habe. Mir gefällt der Ton der Trompete in JNM: In der Masterarbeit von Martin Scha- er nimmt es nicht auf wie Brian. Insofern hat der klanglichen Verbindung mit der E-Gitarre berl hegst du 2004 den Wunsch nach einer das mit Eric eine gute Energie ergeben. extrem gut – und ganz besonders der durch- "wirklichen", einer fixen Band von langer JNM: Täuscht der erste Eindruck, dass dei- lässige Wunderton von Ambrose. Ich liebe Dauer und mit vielen Proben. Ist die Wor- ne Musik noch nachdenklicher geworden sein lyrisches, aber auch sein risikofreudiges, king Band anderen Zielen gewichen? ist? dieses Inside-Outside-Spiel, das songartig, WM: Meine Ensembles ändern sich immer WM: Nachdenklich ist meine Musik wohl oft, nicht abstrakt meine Stücke fast in einer Ge- wieder, aber es gibt einen Pool von Musikern, aber für mich ist sie energetischer, weniger genwelt führen kann, und was er über das mit denen nun schon eine lange Kontinuität introvertiert und hat viele ganz unterschiedli- Ursprüngliche hinaus (er)findet. Ich bewun- herrscht, etwa mit Larry Grenadier, Brian Bla- che, im Moment und in der Gruppe entstan- dere, wie er in vielen Momenten völlig furcht- de, Jeff Ballard, Scott Colle. Mit denen habe dene Entwicklungen. los überraschende, teilweise auch witzige ich schon Hunderte Konzerte gespielt. JNM: Wenn du das Energetische ansprichst: Entscheidungen fällt. In seinem Solo im Stück JNM: Du hast Brad Mehldau, Ambrose Ihr habt das Album räumlich voneinander "For Django" etwa, nach dem von Bates-Kom- Akinmusire, Larry Grenadier und Eric Har- getrennt, also nicht "Old School" aufgenom- positionen beeinflussten Thema, dem Klavier- land im Voraus die Stücke geschickt, dann men. Entsteht dabei nicht eine andere Ener- Gitarren-Duo, wo in einer Schostakowitsch- habt ihr mal kurz geprobt und aufgenom- gie oder Spannung? artigen Harmonik der Faden wiederaufge- men? WM: Bass und Schlagzeug waren akustisch nommen wird, bewegt er sich zuerst ganz in WM: So ist es. Diese Musiker sind natürlich abgetrennt, Brad, Ambrose und ich waren dieser Welt, alsbald spiralförmig nach aus- super schnell im Erfassen und Erlernen neuer aber im selben Raum. Das heisst: Nach dem sen und umkreist es wie ein Planet, ohne die Stücke. Und da wird jeweils auch sehr effek- jeweiligen Take sind keine Änderungen oder Grundatmosphäre des Stücks zu zerstören: tiv geprobt, damit alles zeitlich hinkommt. Ausbesserungen möglich. extrem inspirierend, beglückend. Ein heikles JNM: Bei ”Rising Grace” hast du die Songs JNM: Es gibt mit dem siebenminütigen Unterfangen, man kann so dagegen spielen, mit Hans Feigenwinter und einer Studen- "Clearing" einen aus der Gruppenimprovi- dass das Stück tot ist, oder man kann mit der tenband konzertant ausprobiert – hast du sation entstandenen Song auf der CD – han- Idee so kreativ umgehen, dass das Stück im- für ”Where the River Goes” darauf verzich- delt es sich wirklich um instant composed mer besser wird. Das beherrscht Ambrose tet? Musik, vollkommen ohne thematische Vor- einfach unglaublich. WM: Keineswegs. Ich hatte das Quintett beim gabe? JNM: Mehldaus bekannt romantisches Pia- Schreiben für die Focusyear-Band und bei WM: Ja, "Clearing" ist total free, ein gemein- nospiel, begründet in seiner Liebe zur deut- Konzerten mit ihr stets im Hinterkopf, etwa sames "Schreiben", der höchste Punkt über- schen Romantik, passt ebenfalls zu deiner bei "Django" (Bates gewidmet) und ”Descen- haupt, der leider manchmal verwechselt wird Gitarre, zumal auch bei dir klassische Musik dants”. mit "irgendwas machen". Da geschehen sehr eine grosse Rolle spielt. JNM: ”Rising Grace” spieltest du mit dem viele Dinge, die man kaum erklären und über WM: Total, sein Spiel ist stark von klassischer Drummer Brian Blade ein, das neue, im Feb- die man nur schwerlich sprechen kann. Auch Literatur beeinflusst, und es gibt zahlreiche ruar in Südfrankreich aufgenommene Al- einer Komposition muss man trauen und sich gemeinsame Favoriten, Lieblingsstücke und bum mit Eric Harland. Hatte der Wechsel von ihr leiten lassen – oder eben dem Mo- Aufnahmen der Klassik, die wir beide sehr terminliche oder musikalische Gründe? ment, dem, was man hört, nachgehen: ”Whe- schätzen. Klavierstücke von Brahms, vor allem WM: Einerseits hat es Brian tatsächlich zeit- re The River Goes”. Man steuert mit, ergreift die Balladen, aber auch Richard Strauss und lich nicht gepasst. Andererseits war es aber manchmal die Initiative, hängt sich wo an Bach. Ich habe als Jugendlicher die Bach- so, dass Eric nach den Aufnahmen zu ”Rising oder überlässt das Feld auch mal ganz den Lautenstücke rauf und runter gespielt, und 20 JAZZ JNM_06_18_20-21_Muthspiel.indd 20 28.10.18 22:26 COVERSTORY ER F EI L FOTO: PD/ZVG/LAURA P WOLFGANG MUTHSPIEL Brad hat kürzlich ”Three Pieces After Bach” zu setzen. Dadurch wird der Sound grösser als 1965 in Judenburg in der Steiermark geboren, be- veröffentlicht. So gibt es viele geteilte Lieben, wenn, was auch schön sein kann, bloss mit gann Wolfgang Muthspiel in einer musikalischen es ist zwar nicht der Grund, ihn zu engagieren, Besen zart untermalt wird. Familie sechsjährig mit der Geige, wechselte mit aber unsere DNA stimmen erstaunlich über- JNM: Mit Larry Grenadier arbeitest du ja vierzehn zur Gitarre, absolvierte die Musikhoch- ein. Hinzu kommt natürlich dieser Touch, sein schon lange. schule Graz in der Begabtenklasse und fand in Pat Anschlag, ein besonderer, und andererseits WM: Erstmals, als er zur Band Gary Burtons Metheny sein grosses Idol. 1986 ging er mit einem seine Rhythmik, in der er sehr flexibel und stiess, in den 1980er-Jahren. Wir spielten zwei Berklee-Stipendium nach Boston und übernahm 1988 den – seit Methenys Abgang zwölf Jahre genau ist und wunderbar mit dem Drummer Jahre in dieser Band und seither immer wie- zuvor verwaisten – Gitarrenpart bei Gary Burton. spielt, gewissermassen seine Anti-Brahms- der und in unterschiedlichster Besetzung, et- Von 1995 bis 2002 lebte er in New York, arbeitete Seite. Die ist bei ihm auch extrem stark. Es wa in Trios mit Brian Blade, Jeff Ballard, Don mit Rebekka Bakken eher popmässig, mit Trilok sind diese beiden Pole, die er zusammen- Alias oder Andy Scherrer, in Hunderten Kon- Gurtu, Brian Blade, Youssou N’Dour, Maria João, bringt, für mich eine "mission accomplished", zerten. Larry hat handwerklich eine unglaub- Dave Liebman, Peter Erskine, Paul Motian, Marc etwas, das die Klassik nicht hat und etwas, liche Kreativität und ein totales Verständnis Johnson, Bob Berg, Gary Peacock, Larry Grenadier und vielen mehr. 1997 wurde er in Österreich mit das der Jazz nicht hat. für die Rolle. Man fühlt sich mit ihm so wohl dem renommierten Hans-Koller-Preis ausgezeich- JNM: Und Harlands Akzente unterstützen und aufgehoben. Er unterstützt, treibt die Mu- net, 2003 gar als ”European Jazzmusician