Ausgabe 4 | 2016 | Schutzgebühr 2,50 €

BLICK WECHSEL Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa

Mutterstädte Von großen und kleinen Metropolen im östlichen Europa

Orte Menschen Werke Szene Breslau/Wrocław 2016: Janosch und sein Reval/Tallinn: Kleindeutsch 1866: Das »Viertel der vier »Niemandsland«: Die Geschichte der Die Schlacht von Bekenntnisse« in der Eine neue Biografie über estnischen Hauptstadt Königgrätz – ein oft unter- Kulturhauptstadt Europas den Zeichner und Autor im Spiegel ihrer Skyline schätzter Wendepunkt ➀ Ausgabe 4 BLICKWECHSEL EDITORIAL 2016

Liebe Leserinnen, liebe Leser, hat Sie der Untertitel dieses Heftes stutzig gemacht? »Von großen und kleinen Metropolen« – das klingt paradox, denn beim Stichwort Metropole denkt man erst einmal an die Glitzerfassaden und das Getümmel der Millionenstädte. Das Titelbild zeigt eine Fenstereinfassung im Innenhof der Nie- Wir haben das altgriechische mētropolis wörtlich genom- pold-Passage/Pasaż Niepolda und im Hintergrund das Haus Reu- schestraße/ul. Ruska 20/21, Breslau/Wrocław (© Katarzyna Salanyk). men und möchten Ihnen einige »Mutterstädte« vorstellen Die Passage gehört zum »Viertel der vier Konfessionen«, das auf – Orte mit einer besonderen Strahlkraft, von denen nach- der Rücktitelgrafik aus der Vogelperspektive zu sehen ist (© Jan haltige Impulse ausgehen. Und das können Großstädte wie Jerzmański). Lesen Sie dazu auch den Beitrag auf den Seiten 8 bis 10. Prag/Praha, Tiflis/Tbilissi oder Pressburg/Bratislava ebenso sein wie die kleine fränkische Gemeinde Bubenreuth, die durch die Aufnahme von 2 000 Musikinstrumentenbau- Auch abseits der Metropolen hält das Jahr 2016 viele span- ern aus dem böhmischen Schönbach/Luby zur Planstadt nende Themen bereit: Wir erinnern an den 700. Geburtstag für eine ganze Berufsgruppe wurde. Dass John Lennon als Karls IV., den 400. Geburtstag von Andreas Gryphius, den Ikone einer westlich geprägten Popkultur den Weg in den 150. Jahrestag der Schlacht von Königgrätz, den 100. Todes- BLICKWECHSEL gefunden hat, ist nur eine der Überra- tag der deutschmährischen Schriftstellerin Marie von Ebner- schungen, die das Titelthema bereithält. Eschenbach und den 50. Todestag des sudetendeutschen Metropolen im östlichen Europa beschäftigen uns schon Sozialdemokraten Wenzel Jaksch. Und natürlich gibt es wieder seit Jahren, werden sie doch immer wieder zu Europäischen Neuigkeiten aus unseren Partnereinrichtungen zu berichten. Kulturhauptstädten gekürt – Reval/Tallinn, Kaschau/Košice, So länderübergreifend wie unser Themenspektrum ist Riga/Rīga und Pilsen/Plzeň in den letzten Jahren, Breslau/ auch unsere Autorenschaft, die in diesem Jahr aus Deutsch- Wrocław im Jahr 2016. Aktuell sprach noch ein weiterer land, Estland, Italien, Polen, Tschechien, Ungarn und der Grund dafür, diesen BLICKWECHSEL den Metropolen zu kommt. Und weil ein Bild oft mehr sagt als tausend widmen. Es wird derzeit viel darüber spekuliert, wie die Worte, haben wir auch der Fotografie, der Malerei und der Zuwanderer aus Syrien und anderen Krisengebieten das Graphic Novel einen gebührenden Platz eingeräumt. Gesicht unserer Städte verändern werden. Der Vergleich Zur schönen Gewohnheit sind inzwischen die Gastbei- zwischen den Flüchtlingsströmen von heute und den Milli- träge unserer Georg Dehio-Preisträger geworden. In diesem onen Deutschen, die einst aus dem östlichen Europa fliehen Heft verdanken wir ihr einen Essay von Petro Rychlo und – als mussten oder vertrieben wurden, ist oft diskutiert worden. Auftakt unserer neuen Reihe »Literatur im BLICKWECHSEL« Wir möchten hier daran erinnern, dass Metropolen schon – eine Kurzgeschichte von Jaroslav Rudiš. Und das ist nicht immer Schmelztiegel verschiedenster kultureller Einflüsse die einzige Premiere, die es zu annoncieren gilt: Zeitgleich waren und dass Veränderungen zu ihrem Alltag gehören. mit diesem Heft ist der Film Blickwechsel. Deutsche im öst- Wenn Sie in diesem Heft blättern, werden Sie feststellen, wie lichen Europa – eine Entdeckung entstanden. Mehr dazu viele Nuancen dieser Wandel haben kann. Der Bogen reicht erfahren Sie auf Seite 58. von Prag mit seinem tradierten und doch spannungsreichen Sie sehen: Nicht nur die Metropolen im östlichen Europa, Zusammenleben von Deutschen und Tschechen über Czer- sondern auch wir sind im ständigen Wandel. In diesem Sinne nowitz/Tscherniwzi, das trotz aller inneren Verwerfungen wünschen wir Ihnen einen anregenden BLICKWECHSEL. gerade seine eigene Sprache wiederfindet, bis nach Bres- lau, wo heute das »Viertel der vier Konfessionen« unter dem Mit herzlichen Grüßen aus Potsdam Zeichen von Toleranz und Lebensfreude steht. Ihr Team des Deutschen Kulturforums östliches Europa

Die Bilder auf der linken Seite wurden dem Bildband ƒ Der Dom. Kaliningrad. 2000 Кёнигсберг, прости – Königsberg, verzeih – Atonement for ƒ Медовый мост/Honigbrücke. Kaliningrad. 2003, Königsberg von Dmitry Vyshemirsky (2007) entnommen. beide Fotos: © Dmitry Vyshemirsky Mehr dazu erfahren Sie auf Seite 40/41. 6

Orte

6 »In der ul. Miernicza ist wieder 1945« Für viele Filmregisseure ist die schlesische Metropole Breslau/Wrocław das authentischere Von Raimund Wolfert

8 Ein Stück New York in Breslau Im »Viertel der vier Bekenntnisse« herrscht religiöse Toleranz – und abends Partystimmung 17 Von Maria Luft

11 Die »Große Sonne« in Maczków an der Ems Von 1945 bis 1948 existierte in Deutschland eine polnische Enklave mit einem kompletten Gemeinwesen Von Jacek Barski

12 Breslau – Europäische Kulturhauptstadt 2016 Gespräch mit Maciej Łagiewski, Direktor des Museums der Stadt Breslau Interview: Nicola Remig

14 Prag und die Deutschen Wie die tschechische Hauptstadt mit ihrem multikulturellen Erbe umgeht 26 Von Peter Pragal

16 Musik verstehen alle Wie die vertriebenen Schönbacher Geigenbauer in Bubenreuth ein neues Zuhause fanden Von Christian Hoyer

18 Die Welt diesseits der Kastanien Alte Pracht und neue Misere: Czernowitz ist heute ein Freilichtmuseum vergangenen Handwerks Von Jurko Prochasko

21 Leben und leben lassen Die multikulturelle Bukowina als Modell für eine 44 friedliche Koexistenz vieler Völker Von Petro Rychlo

22 Vinkovci zu Gast in Ulm • »Abschied, Ankunft, Neubeginn« Eine Gastausstellung im Donauschwäbischen Zentralmuseum erzählt 8 000 Jahre Geschichte • Das Museum Friedland als Ort des Dialogs über Flucht, Vertreibung, Migration und Integration Von Leni Perenčević und Matthias Weber Menschen

23 Fluchtpunkt Tiflis Bertha und Arthur von Suttner in der georgischen Metropole 30 Von Ariane Afsari

24 Der Regent als Schöpfer Durch die Gründung von Neustadt und Universität etablierte Karl IV. Prag als Metropole Von Thomas Wünsch 25 »Nieder mit den Deutschen!« 46 Eine europäische Kulturzeitschrift • Der Kampf gegen die »deutsche Vorherrschaft« in Moskau Küstriner Bilderbogen und die antideutschen Pogrome im Mai 1915 Das traditionsreiche Journal Sudetenland Von Victor Dönninghaus mit neuem Konzept und Layout • Eine Zeitreise auf dem 25. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus 26 Janosch und sein »Niemandsland« Von Peter Becher und Vera Schneider Eine grandiose Biografie des »Papstes der Kinderliteratur« ist erschienen Szene Von Marcin Wiatr 47 Spitzwegerich 28 Kein unbeschriebenes Blatt Ein Performance- und Kunstfilmprojekt über Die Literaten von Pressburg/Bratislava zwischen Erinnerung und Identität Lokalpatriotismus und Opposition Von Verena Stenke Von Renata SakoHoess 48 »Wie Wien, nur im Osten« 30 Das Doppelgesicht der Zeit Die fast vergessene deutsche Geschichte zweier Der jüdische Künstler Heinrich Tischler (1892–1938) westukrainischer Metropolen und sein Breslauer Kreis Von Markus Albuschat Von Johanna Brade 50 Kleindeutsch 1866 32 Ein großer Geist aus Glogau Die Schlacht von Königgrätz – Andreas Gryphius zum 400. Geburtstag ein unterschätzter Wendepunkt Von Klaus Garber Von Harald Roth

33 Ein Vordenker Europas • 52 Barock aus Bits und Bytes Eine Europäerin aus Mähren Die 3D-Rekonstruktion von Schlössern im ehemaligen Zum 50. Todestag von Wenzel Jaksch • Zum 100. Todestag Ostpreußen zeigt eine untergegangene Welt von Marie von Ebner-Eschenbach Von Piotr Kuroczyński Von Marek Pršín und Eleonora Jeřábková 53 Symbol für Freiheit und Selbstverwaltung Werke Das Magdeburger Stadtrecht als Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas 34 Max, Lucie und Hurrikan D aus Kolín Von Katalin Gönczi Von Jaroslav Rudiš 54 Stadtschreiberin trifft Stadtschreiber 36 Claudiopolis – Transilvaniæ civitas primaria? Wolftraud de Concini über Johannes von Saaz, seinen Was der Titel eines Kupferstichs von 1617/18 über die Geburtsort und den »Ackermann aus Böhmen« Machtverhältnisse in Siebenbürgen verrät Von Markus Lörz 55 Russlanddeutsche Forschungen • Eine unbeschwerte Jugend? 38 Die Türme von Tallinn Juniorprofessur in Osnabrück zur Migration und Poeten, Künstler und Fischfabrikanten preisen die Integration von Spätaussiedlern • Zeitzeugenprojekt zur Silhouette der estnischen Hauptstadt Lebenswelt des ostpreußischen Adels Von Jaan Undusk Von Jannis Panagiotidis und Wolfgang Freyberg

40 »Ich weiß, Königsberg, dass du gehst« 56 Ein Thema mit vielen Facetten Die Fotografien von Dmitry Vyshemirsky zeigen das heutige Bund und Länder fördern Institutionen, Kaliningrad als Einheit von Widersprüchen die sich der deutschen Kultur und Geschichte Von Anna Brixa im östlichen Europa widmen

42 Mehr als eine Fotostory Der serbische Fotograf Dragoljub Zamurović dokumentiert den Alltag von Donauschwaben in vier Ländern Von Christian Glass

44 Eingebrannte Erinnerungen Wie ich dazu kam, die Geschichte meiner Banater Großmutter in einer Graphic Novel zu erzählen Von Annemarie Otten 6 ORTE BLICKWECHSEL

»IN DER UL. MIERNICZA IST WIEDER 1945« Für viele Filmregisseure ist die schlesische Metropole Breslau/Wrocław das authentischere Berlin

Eine Hauptrolle unter eigenem Namen war ihr in deutschen tragischen Liebe zweier Frauen im Berlin der Nazi-Zeit. Hier Spielfilmen noch nicht vergönnt. Gemäß dem alten Spruch lodern Flammen aus Wohnungsfenstern, obdachlos gewor- »Jeder echte Berliner kommt aus Breslau« gibt sie sich meist dene Menschen irren an Schuttbergen vorbei und klam- als eine andere aus. Gerade in Qualitätsproduktionen, die mern sich an ihre letzten Habseligkeiten. Neun Jahre spä- sich der deutschen Geschichte widmen, mimt die nieder- ter kehrte Färberböck für Anonyma nach Breslau zurück. schlesische Odermetropole Breslau/Wrocław gern die RO Diesmal verfilmte er die Tagebuchaufzeichnungen T P

deutsche Reichshauptstadt. So überrascht auch E O einer Journalistin, die wie viele andere Frauen in

M L nicht, dass erst kürzlich Steven Spielberg hier E Berlin kurz vor Kriegsende Opfer von Vergewalti-

drehte. 2014 »spielte« die Stadt das geteilte Berlin N gungen durch Soldaten der Roten Armee wurde. der Nachkriegszeit, an dessen Grenze Amerikaner und Für beide Filme drehte Färberböck in der ul. Miernicza Sowjets ihre Agenten miteinander austauschten. Für sei- (Lützowstraße), die heute als die »deutscheste Straße« im nen Thriller Der Unterhändler (Bridge of Spies) ließ Spielberg polnischen Breslau gilt. in Breslau sogar Teile der Berliner Mauer wiedererrichten. Denn die Filme Färberböcks sind kein Einzelfall. In Einer der ersten deutschen Regisseure, der die filmischen der ul. Miernicza bzw. ihren »kleinen Schwestern«, der Qualitäten Breslaus zu nutzen wusste, war Max Färberböck ul. Kurkowa (Schießwerder Straße) und der ul. Ptasia (Große mit seinem Kinodebüt Aimée & Jaguar (1999). Basierend Dreilindengasse), entstanden Bilder für die TV-Produktion auf wahren Begebenheiten, erzählt das Melodram von der Die Luftbrücke und andere Filme. Hier spielten neben Juliane

Szene aus Anonyma (D 2008) mit Nina Hoss in der Hauptrolle, im Hintergrund die ul. Miernicza (Lützowstraße). © 2007 Constantin Film GmbH Ausgabe 4 BLICKWECHSEL ORTE 7 2016

unter ambivalenten Schlagzeilen wie »In der ul. Miernicza ist wieder 1945« oder »Breslau unter dem Beschuss deutscher Kameras«. In diesen Über- schriften kommt nur bedingt Stolz zum Ausdruck. Schon 2007 beklagte der polnische Journalist Mariusz Urbanek, dass die Ausländer mit Vor- liebe in den »schlechten« Stadtteilen Breslaus drehen, in denen es so aus- sieht wie in »ihren schönen europäi- schen Städten« vor deren Zerstörung im Krieg. Die Renovierung der maro- den Mietshäuser würde Unmengen verschlingen – Geld, das die Stadt Breslau als Eigentümerin der Gebäude nicht hat. Während der Dreharbeiten zu Anoyma an der Breslauer Jahrhunderthalle (Hala Stulecia). Raimund Wolfert Foto: © Agnieszka Kłos, 2007 Raimund Wolfert arbeitet und lebt als freier Autor und Dozent in Berlin. Köhler, Maria Schrader und Nina Hoss Gegensprechanlagen an den Gebäu- auch Heino Ferch, Matthias Schweig- defassaden abmontiert oder über- höfer und Bettina Zimmermann. Die deckt werden. Straßen bildeten die Kulisse für Fern- Die Breslauer Tagespresse kom- sehspiele wie Der 17. Juni, Nicht alle mentiert die sich wiederholenden Mehr unter waren Mörder und Die Mauer, und Dreharbeiten in der Stadt bisweilen www.kulturforum.info hier ließ für Mein Leben auch Dror Zahavi Szenen aus den Jugendjah- Ein beliebter Drehort: die ul. Miernicza, hier im Jahr 2007. Foto: © Raimund Wolfert ren des deutsch-polnischen »Lite- raturpapstes« Marcel Reich-Ranicki einspielen. Ein Grund für die Beliebtheit Bres- laus bei Filmschaffenden sind die geringen Produktionskosten, die hier entstehen. Ins Gewicht fällt dabei, dass Breslau ein ähnliches Erscheinungs- bild aufweist wie Berlin und die Stadt die richtige »Patina« hat. Hier bedarf es vergleichsweise weniger Hand- griffe, um aus bewohnten Straßenzü- gen von heute das Berlin von damals auferstehen zu lassen. Im Grunde müssen nur die Autos in Nebenstra- ßen verbannt und moderne Rekla- meschilder, Satellitenschüsseln und 8 ORTE BLICKWECHSEL

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E EIN STÜCK NEW YORK IN BRESLAU N Im »Viertel der vier Bekenntnisse« herrscht religiöse Toleranz – und abends Partystimmung

Das »Viertel« (dzielnica) liegt im Herzen Breslaus, der pol- den Pfarrern der katholischen und der evangelischen sowie nischen Stadt Wrocław: fünf Minuten von Ring, Salzring dem Popen der orthodoxen Kirche beschloss er, sich gegen und Rathaus, gleich neben kulturellen Highlights wie dem die Angriffe zu wehren. Das waren die Anfänge des »Vier- neu eröffneten Nationalen Musikforum oder dem Histori- tels der gegenseitigen Achtung«, in dem in wenigen hun- schen Stadtmuseum im ehemaligen Stadtschloss der preu- dert Metern Entfernung vier Gotteshäuser liegen: ßischen Könige. Tagsüber herrscht dort ein lebhaftes Kommen und Gehen:  die katholische Klosterkirche St. Antonius des Pauliner- Cafés und Restaurants, kleine Läden, Ateliers und Galerien ordens in der Antonienstraße, ul. św. Antoniego 30, ziehen die hier wohnende oder arbeitende Bevölkerung ebenso an wie Touristen. Zeitungen und Verlage, Rechtsan- die evangelisch-augsburgische Gemeinde der göttli- waltskanzleien haben hier ihren Sitz. Die Breslauer kommen chen Vorsehung (der ehemaligen reformierten Hofkirche), auch bei besonders freudigen und traurigen Anlässen ins ul. Kazimierza Wielkiego 29, Viertel – zum Standesamt an der Stadtpromenade. Braut- paare und Hochzeitsgesellschaften gehören daher ebenso ☦ die heutige orthodoxe Kirche der Geburt der Allerheiligs- zum Bild wie die zahlreichen Bestattungsunternehmen mit ten Gottesmutter, seit 1963 Kathedrale der Diözese Breslau- sprechenden Namen wie Gloria, Amen, Styx oder Pietät. Stettin, die ehemals katholische und später evangelische Nachts wird das »Viertel« zur Partymeile: In den restaurier- Barbarakirche, ul. św. Mikołaja 40 ten Innenhöfen der Niepoldpassage (Pasaż Niepolda) oder des Pokoyhofs und in den umliegenden Straßen öffnen Dis-  und die Synagoge »Zum Weißen Storch«, ul. Włodkowica 5a. cos und Nachtclubs, Bars und Kneipen, junge Leute aus der ganzen Stadt kommen zum Feiern hierher. Die Gemeinden gingen von da an bewusst aufeinander zu, Die attraktive Lage in der Nähe des Königshofes zog lernten die anderen Gotteshäuser, ihre Traditionen und heili- schon in früheren Jahrhunderten jüdische Kaufleute an, die gen Schriften kennen und nahmen an den jeweiligen Feier- zu den Märkten in Breslau kamen und mit Pelzen, Leder und tagen teil. Projekte (»Kinder eines Gottes«), Bildungsveran- Textilien handelten. So waren Straßen wie die Wallstraße staltungen, Workshops oder ein gemeinsamer Chor wurden (ul. Włodkowica) und die Reuschestraße (ul. Ruska) traditio- ins Leben gerufen. Steine warf seitdem niemand mehr. Die nell vom Handel geprägt. Am Gebäude der »Neuen Börse« vier Gemeinden gründeten die »Stiftung des Viertels der (Ecke Graupenstraße/ul. Krupnicza) zeigten im 19. Jahrhun- gegenseitigen Achtung« oder »der vier Bekenntnisse«, um dert allegorische Darstellungen die Bedeutung Breslaus als die Aktivitäten gemeinsam besser fortsetzen zu können. Handelsplatz. Heute spielt man gerne mit dem ehemaligen Im »Viertel« beruft man sich auf den »genius loci« auch in Namen »Wallstraße« – so wird eines der modernen Büroge- ökumenischer Hinsicht: Schon vor dem Zweiten Weltkrieg bäude »Wall Street House« genannt. Ein Stück New York in hatten hier ökumenische Gespräche stattgefunden, die auf Breslau? ➀ Die evangelisch-lutherische Kirche im Breslauer »Toleranzviertel« Gegenseitige Achtung und Toleranz ➁ In der renovierten Synagoge zum Weißen Storch: Anna Blaut in Das Beispiel New Yorks hatte Jerzy Kichler von der jüdischen »Mendel Rosenbusch«. Foto: Joanna Stoga Gemeinde im Kopf, als er Anfang der 1990er Jahre nach ➂ Der orthodoxe Geistliche erklärt einer deutsch-polnischen einem längeren USA-Aufenthalt zurückkam. Nach der anti- Jugendgruppe die Besonderheiten des orthodoxen Kirchen- raums. Foto: Jerzy Babiak semitisch geprägten Atmosphäre der kommunistischen Zeit ➃ Der Eingang zur orthodoxen Kathedrale war es in Wrocław noch nicht vorstellbar, als Jude öffentlich eine Kippa zu tragen wie in New York. Als kurz danach erst ➄ Durch das Portal in der ul. Antoniego betritt man die katholische Antoniuskirche und das Kloster des Paulinerordens. ein Stein durch ein Fenster der katholischen Kirche geworfen wurde und Kichler dann selbst Zeuge wurde, wie ein zweiter ➅ »Gloria« nennt sich ein Bestattungsunternehmen im »Viertel« eine Ikone auf dem Gelände der orthodoxen Kathedrale der Hintergrundbild: Die vier Bekenntnisse, symbolisch in Bronze Diözese Breslau-Stettin traf, wurde er aktiv: Gemeinsam mit gegossen. Alle Fotos, sofern nicht anderes angegeben: Maria Luft ➀

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➅ den Breslauer Theologen Hermann Hoffmann und die über- konfessionelle Una-Sancta-Bewegung zurückgingen.

Multikulturalität Nach 1989 veränderte sich in Breslau/Wrocław die Sicht auf die Geschichte der Stadt, die piastisch, böhmisch, habsbur- gisch, preußisch, jüdisch und polnisch geprägt ist. Diese Multikulturalität zeigt sich auch im »Viertel der vier Bekennt- nisse« mit jüdischen und verschiedenen christlichen Glau- bensgemeinschaften, die seit mehreren Jahrhunderten mit der Geschichte der niederschlesischen Stadt verbunden sind.

»Ein jüdisches Herz für Breslau« Die einzige erhaltene Synagoge Breslaus wurde 1829 nach Plänen von Carl Ferdinand Langhans jun., dem Sohn des Architekten des Brandenburger Tors, errichtet. Sie entstand auf dem Grundstück des Gasthauses »Zum Weißen Storch«, von dem der Name auf die Synagoge überging. Die vor dem Zweiten Weltkrieg drittgrößte jüdische Gemeinde Die Schauspielerin und Sängerin Bente Kahan, © Łukasz Giza Deutschlands (nach Berlin und Frankfurt) hatte seit Beginn des 19. Jahrhunderts ihren Sitz in der Wallstraße. Hier befan- erfolgten dank vieler Unterstützer, vor allem der norwegi- den sich jüdische Wohltätigkeitsorganisationen, eine Schule schen Schauspielerin und Sängerin Bente Kahan. Sie grün- mit Klassenraum und eine Mikwe, das Ritualbad, das der- dete eine Stiftung, um die Synagogen-Restaurierung zu zeit restauriert und zu einem Multimedialen Zentrum umge- realisieren und hier ein »lebendiges, jüdisches Herz für Bres- staltet wird. lau« zu schaffen. Das Jüdische Kultur- und Bildungszentrum 1872 bauten die liberalen Juden die »Neue Synagoge« organisiert Ausstellungen, Filmvorführungen, Hebräisch- Am Anger, heute ul. Łąkowa, die damals zweitgrößte in Sprachkurse, Workshops zur jiddischen Sprache und Kul- Deutschland nach Berlin. Sie wurde in der Pogromnacht tur, Vorträge, Wettbewerbe, Konzerte und Festivals sowie vom 9./10. November 1938 völlig zerstört. Alljährlich erinnern viele Bildungsveranstaltungen, um jüdische Kultur und die Breslauer mit dem »Marsch der gegenseitigen Achtung« Geschichte bekannter zu machen. zum Gedenkstein der ehemaligen Synagoge »Am Anger« an Am 6. Mai 2010 konnte die Synagoge »Zum Weißen diese Ereignisse. Die Synagoge »Zum Weißen Storch« blieb Storch« feierlich neueröffnet werden, zugleich mit der Aus- erhalten. Auf ihrem Innenhof mussten sich die Juden ver- stellung Zurückgewonnene Geschichte – das jüdische Leben sammeln, die zwischen 1941 und 1943 von hier aus in Todes- in Breslau und Niederschlesien. Die Jüdische Gemeinde Bres- lager deportiert wurden. lau hat heute etwa 300 Mitglieder, Gemeindevorsteher ist In der Wallstraße befand sich seit 1854 auch das nicht seit 2012 Aleksander Gleichgewicht. mehr erhaltene Jüdisch-Theologische Seminar, nach des- Maria Luft sen Vorbild Schulen in Berlin, Budapest, Wien und New York Maria Luft ist Mitarbeiterin des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte gegründet wurden. Hier arbeiteten Gelehrte wie die Histo- der Deutschen im östlichen Europa in Oldenburg (ž S. 56/57). Anfang 2015 riker Heinrich Graetz und Markus Brann, zu den Schülern erschien in der Reihe DuMont direkt Reiseführer ihr Buch Breslau (120 S., gehörte auch Leo Baeck. mit Cityplan, 9,99 €). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Breslau für einige Jahre zum neuen Zentrum für tausende von überlebenden Fundacja »Dzielnica Wzajemnego Szacunku Czterech Wyznań« Juden aus Lagern oder aus den ehemaligen polnischen Ost- Stiftung »Viertel der gegenseitigen Achtung der vier Bekennt- nisse« • ul. Kazimierza Wielkiego 29 • 50-077 Wrocław gebieten. Antisemitische Kampagnen in Polen, vor allem www.fundacja4wyznan.pl • [email protected] im Jahr 1968, führten zu Wellen der Emigration. 1974 wurde  die Synagoge verstaatlicht. Ihr Bauzustand verschlechterte Fundacja Bente Kahan • Bente Kahan-Stiftung sich zunehmend, schließlich fehlte sogar das Dach. Wieder- ul. Pawła Włodkowica 5 • 50-072 Wrocław aufbau und Restaurierung des stark verfallenen Gebäudes  http://fbk.org.pl • [email protected] Ausgabe 4 BLICKWECHSEL ORTE 11 2016

DIE »GROSSE SONNE« IN MACZKÓW AN DER EMS Von 1945 bis 1948 existierte in Deutschland eine polnische Enklave mit einem kompletten Gemeinwesen

Als »Große Sonne« oder »Klein-Polen« hat Józef Szajna, einer wenig Zeit, ihre persönlichen Sachen mitzunehmen, und der Titanen des polnischen Theaters und der polnischen wurden meist in den umliegenden Bauernhöfen unterge- Kunst in der Nachkriegszeit, die norddeutsche Kleinstadt bracht. In ihre Häuser und Wohnungen zogen rund 5 000 Haren bezeichnet. Sie trug von April 1945 bis September Polen ein. Ein Großteil von ihnen waren junge Soldatin- 1948 den Namen Maczków – als eine der merkwürdigsten nen und Soldaten, die sich im benachbarten Kriegsgefan- und gleichzeitig fast unbekannten Folgen des Zweiten Welt- genenlager Oberlangen kennengelernt hatten. Die meis- krieges in Deutschland. ten der 1 700 Inhaftieren waren junge Frauen, die während des Warschauer Aufstandes Kommunikations- und Sanitäts- Szajna, der Auschwitz und Buchenwald überlebte, hatte dienste übernommen hatten. Nach der grausamen Nieder- gute Gründe für diese Bezeichnung. Er wohnte selbst zwei schlagung des Aufstands wurden sie ins Emsland deportiert. Jahre lang in Maczków und hat dort offenbar das erlebt, wonach sich die meisten Polen sehnten, die nach dem Ironie der Geschichte: eine Redewendung, die selten so Zweiten Weltkrieg in Deutschland geblieben waren: ein angebracht ist wie in diesem Fall. Denn das Lager Oberlan- Aufatmen in Freiheit. Ein Bedürfnis, das nach den Entbeh- gen wurde ausgerechnet von Polen befreit, genauer gesagt rungen, Grausamkeiten und Absurditäten des von Deutsch- von den unter den Briten kämpfenden Panzerverbänden land ausgehenden Krieges nur allzu verständlich war, auch des Generals Stanisław Maczek. Die Überraschung und die – oder möglicherweise sogar gerade – weil die neu ent- Freude müssen gewaltig gewesen sein, als die jungen polni- standene Nachkriegsordnung in Europa kein freies Polen schen Soldaten völlig unerwartet auf junge polnische Mäd- vorsah. Die Konsequenzen dieser neuen Ordnung für die chen stießen und gemeinsam das Kriegsende feiern konn- in Deutschland verbliebenen polnischen Zwangsarbeiter, ten. Nur einige Monate später gab es eine Massenhochzeit Kriegsgefangenen, KZ-Häftlinge und Mitglieder der alliierten mit über achtzig Paaren, der später ein Babyboom folgte. Die Kampfverbände dürfte ihnen aus der Geschichte bekannt Stadt Haren bekam schnell – zu Ehren des Generals Maczek vorgekommen sein: Das Fehlen einer freien Heimat und das – den polnischen Namen Maczków sowie eine komplette damit verbundene Dilemma, sich zwischen Rückkehr und polnische Verwaltung und Infrastruktur. Die Straßennamen Auswanderung entscheiden zu müssen, das unweigerlich wurden polnisch. Es gab Kindergärten, Schulen – darunter zu innerer Zerrissenheit führte. ein Gymnasium –, zwei Theater, polnische Zeitschriften und Bibliotheken; das gesellschaftliche Leben war sehr rege. Die Unter solchen Voraussetzungen geschah in Haren an der Menschen schienen dort glücklich zu sein. Maczków, nun Ems ein kleines Wunder, das nach wenigen Monaten bereits eine Art polnisches Kurzzeitparadies in der Fremde, wirkte den Rang einer Legende hatte. Im April 1945 beschlossen die auf die anderen Polen in Deutschland wie ein Magnet. zuständigen Behörden der britischen Alliierten die vollstän- dige Räumung der Stadt zugunsten der in der Umgebung Auch Józef Szajna hat hier Entspannung gefunden. Doch gestrandeten Polen. Die etwa 3 000 Bewohner hatten nur seine »Große Sonne« ist 1948 untergegangen: Die Mehrzahl der polnischen Maczków-Bewohner emigrierte nach Groß- britannien; viele gingen, meist aus familiären Gründen, in das nun kommunistische Polen. Die deutschen Bewohner durften im September 1948 in ihre Stadt zurückkehren. Jacek Barski

Dr. Jacek Barski ist Kulturwissenschaftler und Leiter der Porta Polonica in Bochum, der Dokumentationsstelle zur Kultur und Geschichte der Polen in Deutschland des LWL-Industriemuseums Dortmund.

Eine polnische Pfadfindergruppe in den Nachkriegsjahren in Macz- ków (heute wieder Haren), im Hintergrund die Kuppel der St.-Martini- Kirche. Foto: Archiv A. Sękowska 12 ORTE BLICKWECHSEL

BRESLAU – EUROPÄISCHE KULTURHAUPTSTADT 2016 Gespräch mit Maciej Łagiewski, Direktor des Museums der Stadt Breslau

Wratislavia, Breslau, Wrocław – unter deutsche und polnische Geschichte HS Welche Bedeutung hat Breslau Piastenherrschaft, böhmisch, habsbur- ganz offen – als Kulturhauptstadt im in Ihren Augen heute als viertgrößte gisch, preußisch, deutsch, polnisch – Herzen Europas. Stadt Polens in kultureller und wirt- Knotenpunkt wichtiger Handelswege, Einer der Protagonisten des rasan- schaftlicher Hinsicht? Stadt an der östlichen Peripherie – ten Aufstiegs Breslaus in den letzten Seit 1989 baut Breslau seine internatio- boomende Metropole, in Trümmern 25 Jahren ist der Direktor der Städti- nale Bedeutung durch Investitionen im liegende Stadt – Handelsplatz, Bistum, schen Museen, zu denen sieben große kulturellen Bereich ständig aus. Weltbe- Wissenschaftsstandort, Kulturstadt – Institutionen gehören. Dr. Maciej kannt ist das Musikfestival Wratislavia katholisch, evangelisch, jüdisch – … Łagiewski verfolgt unbeirrt sein Ziel: Cantans, das Filmfestival Nowe Hory- europäische Kulturhauptstadt 2016! die Erforschung und Vermittlung der zonty, die WRO-ART und das internatio- 2016 wird ein ereignisreiches Jahr Stadtgeschichte. Er blendet weder die nale Theaterfestival DIALOG. Sie ziehen in der Odermetropole. Die Haupt- habsburgische noch die preußische jedes Jahr viele Liebhaber verschiede- stadt Niederschlesiens will dieses Jahr Vergangenheit der Stadt aus, sondern ner Kunstbereiche sowie Kunstkritiker nutzen, von ihrer Vergangenheit und macht sie in einer Fülle von Publikatio- und Kunstmanager in die niederschle- Gegenwart zu erzählen. »Davon, wie nen und Sonderausstellungen einem sische Hauptstadt. Es kommen Künst- aus Ruinen und menschlichen Tragö- breiten Publikum bekannt. ler aus dem Ausland und ermöglichen dien neues Leben erwächst. Wir werden Eine Synthese dessen bietet die den Austausch von Erfahrungen zwi- diese Geschichte das ganze Jahr 2016 stadtgeschichtliche Ausstellung 1 000 schen polnischen und internationalen weiterspinnen, ohne Komplexe, dafür Jahre Breslau im ehemaligen preußi- Künstlern. Dank dieses praktischen Aus- im Bewusstsein des eigenen Selbst- schen Königsschloss. tauschs wächst ständig das »kreative wertgefühls«, sagt Rafał Dutkiewicz, Kapital« der Stadt und macht sie zu Oberbürgermeister der Stadt Breslau. Das Interview mit Maciej Łagiewski einer Kulturmetropole. Lange hat man sich in Breslau mit der führte Nicola Remig, Leiterin des Doku- eigenen Vergangenheit und Kultur mentations- und Informationszentrums HS Worin liegt die Zukunft von Bres- schwergetan. Heute erzählt die nieder- von HAUS SCHLESIEN in Königswinter lau als Europa-Stadt?

schlesische Metropole ihre spannende (ž S. 56/57). Wirtschaftswissenschaftler weisen seit langem darauf hin, dass eine Stadt, die Eröffnung des renovierten Breslauer Stadtschlosses mit der neuen Dauerausstellung ein reiches kulturelles Angebot auf- 1 000 Jahre Breslau im April 2009 weist, für Investoren und den Tourismus besonders attraktiv ist. Die wachsende Bedeutung von Breslau als Kulturstadt ist von großer Wichtigkeit für ihre Bür- ger und die gesamte Region. Als Haupt- stadt Niederschlesiens hat sie die Ver- pflichtung, neue Standards zu setzen und Antriebskraft zu sein. Das in der Nähe zweier Grenzen liegende Bres- lau kann eine Brücke zwischen polni- scher, deutscher und tschechischer Kul- tur sein. Die Stadtverwaltung wurde zur Schaffung neuer Objekte gedrängt, die zur Kulturentwicklung beitragen. Im Jahr 2009 wurde die Restaurierung und Modernisierung des alten preußischen Ausgabe 4 BLICKWECHSEL ORTE 13 2016

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E Königsschlosses abgeschlos- N ganzen Gesellschaft ist, son- Nationalgalerie in Berlin. Angesichts sen, das ein modernes Ausstel- dern auch das Image des Schen- unserer bisherigen Erfahrungen habe lungzentrum der Stadt bildet. Die kers positiv beeinflusst. Ich denke ich keine Zweifel, dass die Zusammen- Bauten des Nationalen Musikforums dennoch, dass von einer echten Fort- arbeit zwischen dem Stadtmuseum in und des neuen Capitoltheaters wurden setzung der früheren Gepflogenhei- Breslau und deutschen Institutionen fertiggestellt. 2016 werden ein Theater- ten noch keine Rede sein kann. Man weiterhin erfolgreich verläuft. museum sowie das Modell-Stadtvier- muss dabei auch berücksichtigen, dass tel WuWA 2 in Breslau-Neukirch/Nowe wir in Zeiten leben, in denen die klas- Museum der Stadt Breslau Żerniki vollendet. sische Kultur mit vielen verwandten Muzeum Miejskie Wrocławia Die Vergangenheit lehrt, dass Städte Bereichen wie etwa Sport oder Unter- Sukiennice 14/15 mit starker kultureller Ausstrahlung die haltungsmusik konkurrieren muss, die Wrocław (Polen) Entwicklung verschiedener Bereiche oft attraktiver zu sein scheinen. Tel: +48 71 347 16 90 des Gemeinwesens gefördert und muzeum.miejskie.wroclaw.pl ihren Namen verewigt haben, so wie HS Welche Rolle spielen mittlerweile etwa Paris, Florenz und Antwerpen. die Verflechtungen mit deutschen Wenn ich die Entwicklung der Stadt- und internationalen Institutionen kultur von Breslau sehe, glaube ich, für Ihre Arbeit und für Ihre Ausstel- dass dies auch für die Zukunft der lungen? Hauptstadt Niederschlesiens gilt. Als Ergebnis unserer gemeinsamen Geschichte sind deutsche Institutio- HS Sehen Sie eine Kontinuität zwi- nen seit Jahren natürliche Partner. Sie schen dem bürgerlichen Selbst- unterstreichen dies gegenüber dem bewusstsein der Kulturförderung Museum der Stadt Breslau immer wie- während des 19. und Anfang des 20. der durch wohlwollende Hilfestellun- Jahrhunderts und dem heutigen Kul- gen und Zusammenarbeit. Jeweils Der 1955 in Breslau/Wrocław geborene turbewusstsein in Breslau? zwei Museen in Berlin und Dresden – Jurist und Historiker Dr. Maciej Łagiewski Ähnlichkeiten gibt es viele, doch die als Partnerstadt Breslaus –, aber auch wurde für seine Verdienste um die kultu- Förderung, die der Kultur während des das Schlesische Museum zu Görlitz, relle Entwicklung der Stadt unter anderem 19. und am Anfang des 20. Jahrhun- das HAUS SCHLESIEN in Königswin- mit dem Kulturpreis Schlesien des Landes derts zuteil wurde, war im Rückblick ter oder die Breslauer Sammlung in Niedersachsen, mit dem Polnischen Ver- beispiellos. Dank der Ideen der Aufklä- Köln gehören zu unseren dauerhaf- dienstorden, mit mehrfachen Preisen der Stadt Breslau und drei Mal mit dem Bun- rung und der industriellen Revolution ten Partnern. Zu einer Zusammen- desverdienstkreuz ausgezeichnet. wurden damals kulturelle Aktivitäten arbeit kam es zum Beispiel bei der durch das reiche Bürgertum mitfinan- Konzipierung der Ausstellung 1 000 Das Dokumentations- und Informations- ziert, was man nicht nur als bürger- Jahre Breslau. Die Organisation die- zentrum von HAUS SCHLESIEN arbeitet seit vielen Jahren mit ihm zusammen. Neben liche Pflicht ansah, sondern auch als ser Dauerausstellung wäre ohne die Leihgaben aus dem musealen Sammlungs- ein Element der Schaffung eines posi- Unterstützung deutscher Institutio- bestand für die historische Dauerausstel- tiven Images für Kunst-Mäzene. Durch nen erheblich schwieriger und in man- lung im Breslauer Stadtschloss wurden die tragischen Ereignisse in der Mitte chen Teilen gar unmöglich gewesen. mehrere Ausstellungs- und Katalogprojekte des 20. Jahrhunderts war eine pri- Auch im Kulturhauptstadtjahr pla- gemeinsam realisiert. Auch an der großen vate Kulturförderung lange Zeit nicht nen wir Ausstellungen in Zusammen- Auftakt-Ausstellung zum Kulturhauptstadt- möglich; diese Rolle übernahm – mit arbeit mit deutschen Museen. Eine jahr Breslau 2016 mit Weihnachtskrippen unterschiedlichen Auswirkungen – der den verfolgten jüdischen Künstlern aus aller Welt ist HAUS SCHLESIEN beteiligt. HAUS SCHLESIEN nimmt das Kulturhaupt- Staat und verstaatlichte Unternehmen. aus Breslau gewidmete Ausstellung stadtjahr zum Anlass, mit Ausstellungen Heute, 25 Jahre nach der politischen wird zusammen mit dem Schlesischen und Vorträgen Breslau in den Fokus zu Wende, entdecken wir erneut, dass ein Museum zu Görlitz organisiert (siehe rücken. Vom 11. bis 17. September 2016 freiwilliger materieller oder finanzieller S. 30/31, Anm. d. Red.). Nach Breslau bietet HAUS SCHLESIEN eine Studienreise Beitrag im Bereich der Kultur nicht nur kommt auch eine besondere Samm- nach Breslau an. Informationen unter eine Investition in die Entwicklung der lung europäischer Malerei aus der +49 2244 886 232 und www.hausschlesien.de. 14 ORTE BLICKWECHSEL

PRAG UND DIE DEUTSCHEN Wie die tschechische Hauptstadt mit ihrem multikulturellen Erbe umgeht

Das Haus Nr. 11 an der verkehrsreichen Ječná (Gerstengasse) Nationalitäten haben hier ihre Büros. Die Deutschen sind in der Prager Neustadt würde im Vergleich zu den benach- mit etwa 20 000 in der tschechischen Republik gemelde- barten Wohn- und Geschäftshäusern kaum auffallen, gäbe ten Bürgern eine der kleineren Minderheiten. Die Prager es da nicht einen Hinweis auf eine besondere, etwas ver- Gruppe zählt etwa dreißig aktive Mitglieder. Es sind »Hei- steckt liegende Einrichtung. Durchschreitet man den Durch- matverbliebene«, Kinder aus gemischten Ehen oder Nach- gang des Vorderhauses und öffnet die Tür zum Hof, steht kommen von Deutschböhmen, die berufsbedingt nach dem man vor einem eingeschossigen, einem Pavillon ähnlichen Zweiten Weltkrieg in Tschechien bleiben durften. Häuschen. Es beherbergt, abgeschirmt vom Großstadtlärm, das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren in Böh- Als nach dem Ersten Weltkrieg aus dem zerfallenen Habs- men, Mähren und Schlesien. burgerreich die Tschechoslowakische Republik entstand, waren Deutsche mit einem Bevölkerungsanteil von etwa drei- Als sich das Haus nach seiner Gründung im Jahre 2004 ßig Prozent auf dem Gebiet des heutigen Tschechien die bei erstmals öffentlich präsentierte, erregte dies weit über die weitem bedeutendste Minderheit. Viele dieser Deutschböh- städtische Kulturszene hinaus Aufsehen. Denn die Initiato- men wurden in der tschechisch dominierten Republik nicht ren – der Journalist und Botschafter a. D. František Černý, heimisch und jubelten, als Hitler den Anschluss des Sudeten- die letzte, 2008 verstorbene deutschsprachige Prager Auto- landes ans Deutsche Reich erzwang. Der brutalen NS-Okku- rin Lenka Reinerová sowie die Kafka-Gesellschaft – hatten pation der »Rest-Tschechei« und der Ausrufung eines »Protek- sich etwas vorgenommen, was über lange Zeit vernachläs- torats« folgte nach Kriegsende die bis auf wenige Ausnahmen sigt worden war: die in den böhmischen Ländern entstan- vollständige, von Gewalttaten begleitete Vertreibung derje- dene deutschsprachige Literatur als Kulturerbe zu pflegen nigen Menschen, die Präsident Tomáš G. Masaryk einst »naši und durch Ausstellungen, Lesungen und Diskussionsabende Němci« (»unsere Deutschen«) genannt hatte. wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Seither ist das Die meisten Tschechen empfanden das als gerechte Strafe Literaturhaus mit seinem Vortragsraum und seiner umfang- für die von den Nazis verübten Verbrechen. Das änderte reichen Bibliothek zu einem viel besuchten Begegnungsort sich erst nach der Samtenen Revolution 1989. »Das war geworden, in dem sich Deutsche und Tschechen gedank- keine Strafe, das war Rache«, stellte Präsident Václav Havel lich austauschen. fest und verurteilte die Vertreibung als Unrecht. In gebilde- ten Kreisen ist diese Einsicht heute unumstritten. Gleich- Nicht weit vom Literaturhaus entfernt, in der Vocelova wohl gibt es immer noch Tschechen, die sich gegen eine Nr. 3, steht das »Haus der nationalen Minderheiten.« 14 öffentliche Debatte über die an Deutschen begangenen

Rekonstruiertes Prager Straßenschild aus der Zeit um 1900, Aufnahme von 2002, Foto: Vera Schneider Ausgabe 4 BLICKWECHSEL ORTE 15 2016

Vertreibungsverbrechen sperren. Einer der Gründe könnte ein schlechtes Gewissen sein. Denn es waren in vielen Fäl- len tschechische Kollaborateure, die sich nach dem Ende der NS-Herrschaft als skrupellose Rächer an wehrlosen Zivi- listen hervortaten. Die Thomasgasse (Tomášská) auf der Prager Kleinseite hatte einst ein überwiegend deutsches Gesicht. Vor allem nichtjüdische Deutschböhmen lebten hier. Im Haus Nr. 6 tra- fen sich Mitglieder der katholischen deutschen Studenten- vereinigung »Staffelstein«. Von dieser Gasse führt ein kurzer Fußweg zum tschechischen Abgeordnetenhaus und zum Senat. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Sudetendeutsche Landsmannschaft gerade in dieser Gasse eine Kontaktstelle David Stecher, Direktor des Prager Literaturhauses deutschsprachi- ger Autoren, bei einem Vortrag über Max Brod, 2014 unterhält. Als das kleine Büro 2002 eröffnet wurde, hatte ihr Leiter Peter Barton keinen leichten Stand. Es hagelte Pro- teste, aus dem nationalistischen ebenso wie aus dem poli- Gedenktafel für Louis Fürnberg. Auch Bertha von Suttner, tisch extrem linken Spektrum. Rainer Maria Rilke und Johannes Urzidil werden auf diese Die Zeit der Anfeindungen ist inzwischen vorbei. Der Weise geehrt. Der deutsche Friedhof an der Weinbergstraße Büroleiter pflegt vielfältigen Kontakt zu tschechischen Poli- (Vinohradská) ist bereits teilweise restauriert worden. Und tikern. Der früher verpönte Umgang von Tschechen mit dennoch: »Unsere Deutschen«, wie sie bis zur Vertreibung Vertretern der Vertriebenenorganisationen ist zur Norma- hießen, gibt es nicht mehr. Als Václav Havel Anfang der lität geworden. Das hat auch mit den veränderten Positio- 1990er Jahre der Bundesregierung anbot, rückkehrwilligen nen der Landsmannschaft zu tun, etwa dem Beschluss, For- Sudetendeutschen ihre tschechoslowakische Staatsbür- derungen nach »Wiedergewinnung der Heimat« und nach gerschaft zurückzugeben, falls sie auf Forderungen nach »Restitution oder gleichwertiger Entschädigung« aus der Eigentumsrückgabe verzichteten, reagierte Bonn nicht. Das Satzung zu streichen. multikulturelle Mit- und Nebeneinander von Tschechen, Deutschen und Juden ist Vergangenheit. Im Prager Hauptbahnhof werden die Zeiten abfahrender Was bleibt, ist der Wunsch, die Erinnerung an diese Zeit und ankommender Züge, wie international üblich, auf elekt- lebendig zu erhalten. So wie es sich das Prager Literatur- ronischen Tafeln angezeigt. Zusätzlich werden Reisende über haus deutschsprachiger Autoren zur Aufgabe gemacht hat. Lautsprecher informiert, gewöhnlich in der Landessprache. Peter Pragal Wenn aber Züge aus Nürnberg kommen oder nach Dresden Der Journalist und Buchautor Peter Pragal (*1939 in Breslau) schrieb unter fahren, ertönt die Ansage auf Deutsch. Ein Service, den Polen anderem für die Süddeutsche Zeitung, den Stern und die Berliner Zeitung. und Tschechen auf Berliner Bahnhöfen vermissen. Deutsche Über sein Verhältnis zur Heimat berichtet er in Wir sehen uns wieder, mein sind an der Moldau willkommen – als Menschen, die hier auf Schlesierland – Auf der Suche nach Heimat (2012). Zeit oder auf Dauer leben und arbeiten, vor allem aber als Touristen. Sie haben kaum Verständigungsschwierigkeiten. Informationen Viele Kellner und Hotelangestellte sprechen Deutsch, Spei- Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren sekarten sind mehrsprachig und neuerdings gibt es Stadt- Pražský literární dům autorů německého jazyka pläne, auf denen die Sehenswürdigkeiten auch in deutscher Ječná 11 • CZ–120 00 Praha 2 Öffnungszeiten: Sprache verzeichnet sind. Dienstag und Donnerstag 10.30 bis 12.30 und 13 bis 16.30 Uhr sowie nach telefonischer Absprache Lange hat Prag die öffentliche Würdigung früherer deut- Telefon/Fax: + 420 222 540 536 scher Bürger vernachlässigt. Inzwischen ist das anders.  www.prager-literaturhaus.com Im Mai 2015 enthüllte Kulturminister Daniel Herman eine [email protected] 16 ORTE BLICKWECHSEL

MUSIK VERSTEHEN ALLE Wie die vertriebenen Schönbacher Geigenbauer in Bubenreuth ein neues Zuhause fanden

Sudetendeutschen bei ihrer Ankunft in Bayern selten. Latenter Fremdenhass und offenkundige Feindseligkeit waren in der Bevölkerung verbreitet. Die Ansiedlung der Schönbacher Musik- instrumentenmacher war zu Beginn ein trauriges Beispiel dafür. Als eine Ansiedlung in Tennenlohe bei Erlan- gen scheiterte, nahm München 1947 das Heft in die Hand: Viele Schönba- cher wurden in Waggons verfrachtet und ins oberbayerische Mittenwald abtransportiert. Dort noch weniger erwünscht, reisten sie wenige Monate später zurück in den Landkreis Erlan- gen. Ein konkretes Ansiedlungsprojekt zerschlug sich erneut, nachdem sich die Bevölkerung einer Kreisgemeinde in einer Bürgerversammlung im Herbst 1949 eindeutig gegen das Vorhaben ausgesprochen hatte. Das Projekt einer zentralen Ansiedlung der Schönbacher Saiteninstrumenten-Industrie schien damit endgültig gescheitert zu sein. Doch Landrat Willi Hönekopp ließ nicht locker. Einen Monat nach der verhee- renden Niederlage konnte die Grund- Himmel voller Gitarren: Werkstatt in den frühen 1950er Jahren. © Bubenreutheum e. V. steinlegung für die Siedlung im Nach- barort Bubenreuth erfolgen. »Aus Böhmen kommt die Musik«: Das Nachkriegsjahren 1945/1946 beschloss ist spätestens seit dem gleichnami- der Gemeinderat 1949 einstimmig, wei- Know-how wandert nach Franken gen Schlager zu einem gängigen Kli- tere 2 000 Musikinstrumentenbauer aus Noch heute ist die 4 500-Einwohner- schee geworden. Für die fränkische dem Sudetenland aufzunehmen. Eine Gemeinde der Mittelpunkt eines ein- Gemeinde Bubenreuth wurde das Planstadt für eine ganze Berufsgruppe zigartigen Produktionsclusters: Die geflügelte Wort in der Nachkriegszeit entstand in wenigen Jahren auf Buben- weltweit größte Instrumentenbau- Realität. Durch den Zuzug von Musik- reuther Gemarkung. In der Rückschau Innung hat hier ihren Sitz. Die Breite instrumentenbauern stieg der ländlich darf das Projekt als ein positives Beispiel des Sortiments ist enorm: Geigen, Brat- geprägte Ort zum Zentrum des euro- für gelungene Integration gewertet wer- schen, Celli und Kontrabässe gehen von päischen Saiteninstrumentenbaus auf. den, in seinen Dimensionen ist es sicher hier aus in alle Kontinente; Gitarren und einmalig in Deutschland. deren elektronisches Zubehör, aber Erfolgreiche Integrationsleistung auch Mandolinen, Lauten, Zithern oder Die zwischen Erlangen und Bamberg Ausdauernder Landrat Hackbretter gehören zur Produktpa- gelegene Gemeinde zählte 1939 genau Zunächst stieß der Ansiedlungsplan lette der Firmen der Musikregion rund 415 Einwohner. Nach der Aufnahme von allerdings auf zähen Widerstand. um Bubenreuth. Flüchtlingen und Vertriebenen in den Gut aufgenommen fühlten sich die Ausgabe 4 BLICKWECHSEL ORTE 17 2016

Frösche für die Streicher den 1960er Jahren mehr als eine halbe Million Instrumente Bestandteileproduzenten wie Wirbeldreher, Stegschnitzer jährlich hergestellt wurden. Spätestens ab den 1970er Jah- oder Griffbrettmacher organisieren sich in hochspezialisier- ren war der industriell orientierte Gitarrenbau den günsti- ten Firmen. Sie statten nicht nur die Bubenreuther Meister- ger produzierenden Mitbewerbern, vor allem aus Fernost, geigen aus, sondern liefern ihrerseits Exportprodukte, die nicht mehr gewachsen. Der Konkurs einiger Großunterneh- von Geigenbauern weltweit verwendet werden. Im gleichen men leitete die Talfahrt ein. Seit den späten 1990er Jahren Atemzug sind Kolophoniumgießer, Lackerzeuger und Ton- stabilisierte sich die Zahl der Betriebe in Bubenreuth bei holzhändler zu nennen. etwa 25 Werkstätten mit rund 120 Beschäftigten. Für jedes nur denkbare Saiteninstrument liefert die Firma Pyramid die benötigten Saiten – mit 165 Jahren ist sie Great Performance: Elvis, John und Paul RO

einer der traditionsreichsten Erzeuger im Musikin- T P Prominenz belebt das Geschäft: Als »Endorser« hatte

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strumentenbau überhaupt. Für erstklassige Tonab- M L man Peter Kraus, Vico Torriani und Jan & Kjeld

E nehmer zeichnet die Firma Shadow verantwortlich. N gewinnen können; dies ließ auf einen guten Absatz Wegen seiner Einzelbauteile ist der Streichbogen ein hoffen. Auch der King of Rock’n’Roll war hier. Eben- Kunstwerk für sich und kommt von Anfang an recht inter- falls als Werbebotschafter des guten Tons wirkten die Rol- national daher: Das Bogenhaar stammt aus der Mongolei, ling Stones, deren Konterfeis die Broschüren einer Gitarren- die Fernambuk-Stange aus Brasilien und der Ebenholzfrosch schmiede ab 1964 ganz offiziell zierten. Mit den Beatles gab aus Afrika. Gebaut wird er von Spezialisten in Bubenreuth. es einen solchen Vertrag nicht. Und doch waren sie es, die den fränkischen Instrumenten zu Weltruhm verhalfen. Zur Zenit, Umbruch und Konsolidierung Legende on stage wurde der Beatles-Bass von Paul McCart- Die Zahl der Mitgliedsbetriebe der Innung ist seit den 1970er ney, der bis heute ein Verkaufsschlager geblieben ist. Jahren konstant. Und doch ist seitdem ein Strukturwandel zu verzeichnen. Allein Bubenreuth zählte Ende der 1950er Musik und Integration Jahre knapp 100 Betriebe im Musikinstrumentenbau, in Ein von Sir Paul handsignierter Beatles-Bass, eine in Kriegs- denen weit über 2 000 Arbeitskräfte Beschäftigung fanden. gefangenschaft gebaute Violine oder das kleinste spiel- Damals wurden Etuis und Gitarren für den Massenmarkt bare Miniatur-Quartett der Welt – mehr als zweihundert gefertigt. Der Gitarrenboom machte Bubenreuth zum Mekka Exponate werden in der Dauerausstellung im Bubenreuther der Beat-Generation. So verwundert es kaum, dass im Ort in Rathaus gezeigt. Was hier geschah und wofür Bubenreuth noch heute steht, ist die Verbindung von Musik und Inte- gration. Sie macht den Ort so einzigartig. Seit 2009 hat es sich daher der Museumsverein Bubenreutheum e. V. zur Auf- gabe gemacht, dieses kulturhistorische Erbe zu bewahren. Als Träger der Ausstellung Musik und Integration sieht er diese als Ausgangspunkt für ein touristisch attraktives Musik- erlebnismuseum und ein regional bedeutsames Kulturzen- trum. Musik als Sprache aller Völker kann hier den idealen Tenor für ein Museumskonzept abgeben und integrativ das tägliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft fördern. Christian Hoyer Dr. Christian Hoyer arbeitet beim Stadtmuseum Herzogenaurach und lebt in Bubenreuth.  www.bubenreutheum.de

John Lennon mit seiner Framus Hootenanny, mit der er auch die Ballade You’ve got to hide your love away einspielte. © Framus Museum Markneukirchen DIE WELT DIESSEITS DER KASTANIEN Alte Pracht und neue Misere: Czernowitz ist heute ein Freilichtmuseum vergangenen Handwerks

Es hat etwas Ideales, wie Czernowitz/Tscherniwzi auf seinen dem vollständigen Katalog der k. u. k. Architektur und dem Hügeln liegt, wie es sich darauf zurechtlegt, sich biegt und Lexikon der mitteleuropäischen Semantik zu einer Bilder- neigt, sich schmiegt und sträubt, wie es im Auf und Ab sei- sprache verbindet. ner Anhöhen und Senken auftaucht und wieder versinkt. Wie Eine nicht-habsburgische Stadt dieser Art ist das gar nicht sich diese Stadt auf Gegebenes stützt und doch das Eigene weit von Czernowitz entfernte Odessa, ebenfalls eine imperi- behauptet, im Sinn hat und im Schilde führt, unabhängig in ale Kopfgeburt, ebenfalls eine ideale, auf dem Reißbrett geo- Idee und Ausdruck, doch im Einklang mit der Geologie. So metrisch entworfene Großstadt des späten 18. Jahrhunderts, ideal ist sie, dass es scheint, als wäre ihre Vision, ihre ganze als imperialer Hafen mit dem Zugang zum südländischen Idee schon vollständig vorhanden, vollkommen gewesen, Gewässer allerdings viel mehr eine wahlverwandte Cou- lange bevor die Stadt selbst zustande kam. sine von Triest als vom räumlich viel näheren, aber meerlo- sen Czernowitz. Seinen stillen Meerestagtraum scheint aber Die Leichtigkeit des Auftragens auf die geologische Unter- auch dieses zu träumen, wie es von seinen steilen Hügeln ins lage, die »Leuchtigkeit« des Auftrags. Der Auftrag war: Sie Land schaut, das mehr verheißt, das Meer hätte sein können. sollte eine ideale habsburgische Stadt sein. Wie es Ideal- städte der Renaissance gibt, so gibt es auch habsburgische Ein brüchiges, zierliches Lissabon mit dem Pruth statt Idealstädte. Diese kamen immer dann zustande, wenn die dem Ozean, mit dem Meer des Sommers statt Sommer am habsburgische Zivilisation schon weit genug gediehen war, Meer, eine Stadt am Horizont, an der Grenze, nicht am gren- um ein Spektrum an Angeboten und Institutionen mit einem zenlosen Meer, eine Stadt, die weder ihre Straßenbahnen, reifen Katalog von Baustilen, Raumgestaltungskonzepten die einst zart heulend wie junge Wölfinnen die Hügel hin- und Ausstattungslösungen zu vereinen und dem ganzen aufkrochen, noch ihre Dichter bewahren konnte. Eine Stadt einen einheitlichen Ausdruck, eine Manifestation und Reprä- allerdings, wo es niemals einen Fado gab und keinen gibt, sentation zu verleihen. Der Instinkt für das Erschaffen von höchstens eine leichte, lichte Sehnsucht, welche nie das Maß Räumen, Parzellen, Ecken, die Anpassung der Urbanistik einer Melancholie erreicht, wo vor allem Heiterkeit herrscht an die Beschaffenheit der Landschaft und gleichzeitig ein und gesunde Vernunft und ein bescheidener, aber äußerst von Anfang an, vom Kopf her, aus der Idee, aus dem Prinzip entschlossener, sehr tüchtig und sehr ernsthaft kultivierter genährter Wille, Institutionen und Einrichtungen zu schaf- provinzieller Hedonismus. fen, die der Stadt ihre Zielrichtung und Ganzheit, ihre Ord- Von uns aus gesehen, aus Lemberg, ist es der Südosten, es nung verleihen. Alles natürlich in Einklang mit diesen Bie- ist unser Eingang von der Mitte her zum Süden, es sind unsere gungen, Erhebungen und Vertiefungen. Prolegomena ins Südosteuropäische, ist unser Zutritt zum Bal- kan, unser Eintritt in den Balkan, ein Wehen Moldawiens, ein Eine Stadt, die paradoxerweise sowohl allmählich, nach Windzug Rumäniens, ein Hauch des Südens. Besonders im und nach entstand, als auch mit einem Mal ganz, als Kopf- Hochsommer wird der Impetus der nicht mehr kakanischen geburt, als die Projektion der leuchtenden Idee auf der Höh- Czernowitzer Zwischenkriegsarchitektur deutlich, dieser heiße lenwand der Karpatenhänge. Wo ein türkisches Dorf war, ist und hitzige, wildweinumrankte Konstruktivismus, der an die eine österreichische Stadt geworden. Je später eine Stadt sonnengebräunten und abgebrannten Architekturgesichter entsteht, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie ideal hinter brandneuen Hornbrillenrahmen erinnert. Das klein- wird. Czernowitz als Stadt ist sehr spät entstanden. Eine bürgerlich-großrumänische Pathos dieser Häuser und die- andere ideale Stadt ist beispielsweise Triest. Eine ideale Stadt ser Architekten der Zwischenkriegsordnung, die zum Krieg entsteht dann, wenn die reife habsburgische Idee sich mit geführt hat und vom Krieg zerstört wurde, dieser Ingenieure Ausgabe 4 BLICKWECHSEL ORTE 19 2016

der waghalsigen politischen Konstruktionen und Architekten Trotz ungeheurer Menschenvernichtungen, Deporta- der Größe, Konstrukteure des Größenwahns. tionen und Umsiedlungen ist Czernowitz als materielles Massiv, als Bausubstrat unglaublich unversehrt geblieben. Weitläufige Nussbaumgärten, gemütliche und gesetzte Man kann sich nur ausmalen, was im Inneren der Stadt vor- Schatten, rote Buchen, reife Eicheln, die Üppigkeit der Blu- ging, nach außen ist sie offensichtlich fast intakt, weder von men und dann Früchte, hohes Licht und Gärungsgeruch, Krieg zerstört noch von übermäßigen Umbauten der Nach- Unmengen von herabgefallenen, in der Hitze von Flie- kriegszeit unangemessen entstellt, nur von anderen Verän- genschwärmen befallenen dunkelblauen Pflaumen und derungen gezeichnet, denen der ständigen, unaufhörlichen Zwetschgen, und dies alles in der unmittelbaren Nachbar- Anpassung an neue Lebensweisen, neue Lebensläufe, neue schaft zu dem schon reifbedeckten Hochland der Huzulei. Umstände, Bedingungen und Bedürfnisse. Große Gärten und Blumenbeete, Rabatten und Rhabar- Es ist so, als hätte man aus der Stadt, wo Menschen und ber mitten in der Stadt, man kann sich hier satt sehen und Bücher lebten, die Menschen deportiert, und ihre Bibliothe- satt essen. Würde man die bebauten und die angebauten ken seien in den leeren Wohnungen zurückgeblieben, wie Flächen in dieser Stadt vermessen und vergleichen, all Zimmerpflanzen. Aber selbst wenn man diese Bücher RO

die Grünflächen zwischen den Häusern, von Zäu- T P dort belässt, gehen sie eine Weile später auch ein,

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nen, Mauern und Häuserkarrees umgebene Gär- M L weil sie nicht mehr gelesen und nicht mehr ver-

E ten und Innenhöfe gewännen zweifelsohne die N standen werden, wie die Pflanzen, die nicht mehr Oberhand. Es ist eine regelrechte Gartenstadt, ganz gegossen und nicht mehr genossen werden. Des- anders allerdings, als es sich die Sozialutopisten des halb waren auch die Bücher lange Zeit tot, bis diejeni- 19. Jahrhunderts vorstellten, vielmehr durch und durch bür- gen kamen, die sie wieder zu beleben wussten durch Über- gerlich, so gemütlich bürgerlich, dass es schon postbürger- setzungen. Lange noch nicht alle, aber schon erstaunlich lich wirkt. Und tatsächlich ist das meiste in dieser Stadt der- viele Bücher haben wieder Sprossen getrieben und machen zeit postbürgerlich. sogar Anstalten, wieder Wurzeln zu schlagen, die übersetz- Es liegt eine gewisse Poesie darin, dass der Czernowit- ten Bücher in Czernowitz. zer Mikrorajon Sadagora ukrainisch Sadhora heißt, Garten- berg, Garten auf dem Hügel, Park am Hang. Wie es so oft ist Leichtigkeit und Zierlichkeit und Zerbrechlichkeit die- mit der Poesie, verdrängt sie die Wahrheit. Und die Wahr- ser habsburgischen Provinzstädte. Bequemlichkeit und heit von Sadagora ist wenig poetisch. Dafür ist seine Poesie Geordnetheit der selbst und nur für sich selbst geschaffenen groß. Oft kann die Poesie nicht mehr sein als ein Trost, wenn Lebenswelt. Solche intimen Stadträume sind verständlich, auch ein schwacher. Der Klang der sadagorischen Poesie beruhigend, nachvollziehbar und lesbar. Diese Welten sind übertönt die Tragödie von Sadagora. Vielleicht ist es auch überschaubar, strukturiert und gerade deshalb inspirierend. das Beste, was sie tun kann, diese Poesie. Das ist die Welt diesseits der Kastanien, dieser nördlichen, nordbukowinischen Verwandten der Maronen, der südli- Die Geometrie von Nationalvierteln und Volkshäusern cheren Delikatessen, aus denen Bergeller Torten entstehen, basiert auf der tadellosen Arithmetik der Gleichheit, Kon- eine Welt, die selbst zwar keine hat, über der jedoch schon gruenz und Proportionalität. Keine Mehrheit, lauter Minder- immer ein Hauch von Gebratenem schwebt. Dafür hat sie die heiten, lauter Wenigkeiten, Proportionen der Minderheiten. Buchen, eigentlich auch schon süd- Groß waren stets nur Idee und Ideal. Und diese schützen vor liche Bäume, jede Menge, ein gan- Minderwertigkeiten und schürten sie. Diese habsburgische zes Meer von Buchen, ein Dialektik, diese kakanische Dynamik, diese splendide Ambi- ganzes Buchen- valenz von Herrschaft und Herrlichkeit. land. Erst große Gelehrte der kleinen Universität, dann kleine Gelehrte der großen Universität. Alte Traditionen von immer neuen Institutionen. Nicht immer traditionsgetreu, doch immer traditionsbewusst. z Oleh Lubkiwskyj: Die Stadt, die einmal Czernowitz hieß, 2007 (Ausschnitt) „ Oleh Lubkiwskyj: Stillleben aus unnützen Dingen, 2007 20 ORTE BLICKWECHSEL

Solche Städte entstehen aus der Überzeugung von Gesamtkomposition ihrer Keramik. Die Erschütterungen der grundsätzlichen Fähigkeit, die Welt einzurich- unserer Zeiten haben sie nicht gebrochen, sondern ledig- ten, sich in der Welt einzurichten, sie auszustatten mit lich gerissen, sie wurden nicht unter Lava und Asche ver- gutem Handwerk und schönen Künsten, aus dem Ver- schüttet, sondern lediglich im Feuer gebrannt und und von trauen in die Zweckmäßigkeit des Handwerks und Ruß geschwärzt. Ein feines Netz von Rissen trägt die Stadt. der Kunst selbst, deren Erwerb, Bewahrung, Weiter- Auseinandergefallen ist sie nicht, und die Entfernung zwi- gabe und Vervollkommnung deshalb wesentlich sind. schen den Artefakten ist nicht so groß und bar des Kontextes, dass man sie als stumme Torsos ahnungs- und zusammen- hangsloser, entfremdeter, von Tod angehauchter Schönheit Man kann sich nur ausmalen, was im Inneren der Stadt ansehen müsste. Es ist keine Ansammlung zum Untergang vorging. Nach außen ist sie weder von Krieg zerstört geweihter, von Sinnlosigkeit gezeichneter Monaden, deren noch von Umbauten der Nachkriegszeit entstellt. Einsamkeit von ihrer unbegreiflichen Aura überstrahlt wird.

Heute ist diese Stadt, besonders wenn sie von jähen Son- Solche Städte sind Ausdruck der Überzeugung nicht nur nenstrahlen beleuchtet wird, ein Freilichtmuseum vergan- von der Lesbarkeit der Welt, sondern auch von deren basa- genen Handwerks, überall alte Pracht und neue Misere. In ler Beschreibbarkeit, der Tragfähigkeit ihrer Strukturen, der einer Zeit, da es scheint, Czernowitz habe seine eigene Spra- Fähigkeit, als Stadt in dieser Welt gleichzeitig Form und che wiedergefunden, selbst wenn das eine Übersetzung aus Inhalt zu sein, welche die Voraussetzung für Gehalt schaf- dem Früheren in die Sprachen der Gegenwart ist, braucht es fen. Es geht ja nicht um die Welt an sich, nicht um die ganze dringend die neue Hand zum alten Werk. Hände sind lang- Welt. Es handelt sich lediglich um die Lebenswelt, um die samer als Zungen. Aber in der Stadt, die neue Beziehungen Ausstattung, nicht die Gestaltung, um Ein-, nicht Ausrich- zum eigenen Körper eingeht, Sinn findet in den Inhalten, tung, um das, was diesseits der Kastanien ist. lernt, mit den eigenen gerissenen Fliesenwänden so umzu- gehen, dass sie nicht bröckeln, sondern in sich gefestigt wer- Die Welt vor den Kastanien baut Vertrauen auf für die, den und nicht nur angepasst, kann es auch nicht mehr lange die dahinter, jenseits ist. Und diese hat sich als keineswegs dauern, dass sich zu den Künsten auch das Handwerk gesellt. so zuverlässig, mitnichten so zugeneigt und wohlwollend Die neue Einheit entsteht gerade. Nur: Sie will auch gesehen, erwiesen. Die große Erfahrung von Czernowitz besteht darin, geschätzt und gedeutet werden. Denn dieses Ideale ist nicht dass die Stadt Vertrauen weckt, dass sie den Eindruck ent- abstrakt, sondern einbezogen in einen neuen Lebenskreis. stehen läßt, die ganze Welt sei so. Und gerade dieser Ein- Czernowitz heute ist eine durchaus gelungene Übersetzung. druck wurde im 20. Jahrhundert schrecklich, irreparabel Diese Stadt will entdeckt und erschlossen werden, nicht enttäuscht. Selbst diejenigen, die die Vertreibung aus der nur eine Zeitmaschine sein, zurück für die Besucher aus dem Stadt überlebt haben, scheiterten dann, wie Paul Celan, an Westen, nach vorn für die Ankömmlinge aus dem Umland. der durch diese Enttäuschung verursachten Spaltung. Er ist Sie sehnt sich nach Öffnung, diese Stadt, die zu einem Schiff jedenfalls daran zugrunde gegangen. auf dem Trockenen geworden ist, gestrandet in der toten Und doch ist die »Wohltemperiertheit« der eigenen Per- europäischen Ecke, festgefahren an einem bewaldeten Ufer, son ein Kennzeichen und eine Auszeichnung vieler Czerno- Czernowitz öffnet sich gern, will aber auch geöffnet werden. witzer und ehemaligen Czernowitzer weltweit. In die enttäu- Und dazu müssen wir auch selbst Offenheit aufbringen, der schend wirre und verwirrende Welt tragen sie ihre Struktur Stadt gegenüber. Denn dass sie sich auf ihre Vergangenheit und ihre Zuversicht. Sie haben von dieser Stadt eine Aura ent- bezieht und beruft, ist nicht nur ein Beweis für und ein Ver- liehen, die weit stärker leuchtet, als die heutige Stadt es tut. weis auf Nostalgie, sondern vor allem eine lebensbejahende Die Fertigkeiten und Geläufigkeiten des Handwerks schaf- und sogar pragmatische Haltung. fen Vertrauen: das Zimmern der Rahmen, die Bedachung mit Jurko Prochasko Blech, das Pflastern der Straßen, die Bearbeitung von Glas, das Zuschneiden, Falzen und Vergolden. Das Ätzen der Fens- Der Essayist, Germanist, Schriftsteller und Übersetzer Jurko Prochasko ist am Institut für Literaturforschung der Ukrainischen Akademie der Wissen- terscheiben, das Schmieden der Balkongitter, das Kneten des schaften in Lemberg/Lwiw tätig. Dekorstucks, das Auftragen der Wand- und Deckenmalereien. Die BLICKWECHSEL-Redaktion dankt Georg Aescht und dem Institut für Die gefliesten Wände der Stadt haben Risse, doch deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. (ž S. 56/57) für ihre der Ton der Fliesen selbst ist fest, und robust ist die freundliche Unterstützung. Ausgabe 4 BLICKWECHSEL ORTE 21 2016

LEBEN UND LEBEN LASSEN Die multikulturelle Bukowina als Modell für eine friedliche Koexistenz vieler Völker Kulturpreis 2015 Etwa 150 Jahre lang – von 1775 bis 1918 – gehörte die Buko- Studien, doch hält schon der heutige For- GEORG wina, das am Vorfuße der Karpaten liegende kleine Kronland schungsstand eine große Zahl von Bei- DEHIO der Habsburgermonarchie mit seiner Hauptstadt Czerno- spielen für engste interkulturelle und witz, zum deutschsprachigen und somit zum europäischen intertextuelle Bezüge auf der Ebene gegenseitiger Entleh- geistigen Raum. Sie war der Vorposten der deutschen Kul- nungen von Motiven und Figuren, literarischer Formen, tur im Osten Europas: mit deutschen Institutionen wie Schu- Übersetzungen und Nachdichtungen, Sprachinterferen- len und Gymnasien, Universität und Theater, Pressewesen zen und Ähnlichem bereit. Diese Erscheinungen waren vor und Vereinen, die in mancher Hinsicht vorbildlich waren. allem für die österreichische Zeit kennzeichnend, aber auch Friedliche Koexistenz und schöpferische Rivalität der Ukra- in der rumänischen Periode blieben sie trotz der ungüns- iner und Rumänen, Deutschen und Juden, Polen und Arme- tigen politischen Bedingungen erhalten. Nicht selten sind nier, die sich dank der liberalen Verfassung der Donaumon- auch typologische Ähnlichkeiten festzustellen, die aus ver- archie relativ frei entwickeln konnten, führten hier zu einer gleichbaren sozial-historischen Umständen resultieren. Die beispiellosen intellektuellen und kulturellen Blüte. interkulturellen Merkmale prägen nicht nur die Entwicklung der multinationalen Literatur des Landes, sondern auch die In der Zwischenkriegszeit wurde die Bukowina zu einer bildende und die angewandte Kunst, die Volksarchitektur, Provinz des königlichen Rumänien und geriet deswegen das Alltagsleben, die Wohnungseinrichtungen, die Volks- in eine Art Inselsituation, in der die nationalen Minderhei- trachten, Riten und Bräuche – alles Zeugnisse für den syn- ten mit allen Kräften um ihre Rechte kämpfen mussten. Die kretistischen Charakter der bukowinischen Kultur. Region war eine kleine geschlossene Welt, die ihres eige- nen Selbstbewusstseins wegen universal sein musste. Die Trotz der historischen Turbulenzen in der Entwicklung Universalität wurde hier nicht zuletzt durch die Multikultu- der Bukowina und der daraus resultierenden nationalen ralität und die Mehrsprachigkeit erreicht, auf die die Buko- Konfrontationen lässt sich behaupten, dass das Prinzip der wina trotz des rumänischen Drucks nicht verzichten wollte. bukowinischen Eintracht vorherrschte. Dies ermöglichte es, Der unerwartete Aufschwung der nationalen Kulturen, ins- mit dem sogenannten Bukowiner Ausgleich von 1910 ein besondere der Literaturen, die etliche Autoren von überre- höchst gelungenes Modell für eine friedliche Koexistenz gionaler Bedeutung hervorbrachten – Jurij Fedkowytsch, vieler Völker zu entwickeln, das sich als eine äußerst pro- Mihai Eminescu, Olga Kobylanska, Karl Emil Franzos, Gre- duktive Option für die Regulierung interethnischer Bezie- gor von Rezzori, Rose Ausländer, Paul Celan, Itzig Manger, hungen bewährte und heute als Prototyp des vereinten Aharon Appelfeld und viele andere – , war der Ausdruck die- Europa gelten kann. ses Strebens nach Universalität. Hier musste in der Minia- Petro Rychlo tur, auf engstem Raum, die ganze Palette des Kulturlebens vieler Nationen wiedergegeben werden, da die Bukowina Der Literaturwissenschaftler, Übersetzer schon immer ein kleines, in sich geschlossenes Universum und Essayist Prof. Dr. Petro Rychlo ist Profes- war und durch ihre Toleranz und ihren Kosmopolitismus sor am Lehrstuhl für fremdsprachige Lite- dem Prinzip »leben und leben lassen« huldigte. Dass die- ratur und Literaturtheorie der Nationalen ses bunte kulturelle Amalgam bald zerstört wurde, ist die Jurij-Fedkowytsch-Universität Czernowitz Folge politischer Katastrophen und Verbrechen totalitärer und Mitglied des ukrainischen PEN-Clubs. Seine Veröffentlichungen thematisieren Regime. Sie setzten dem harmonischen Zusammenleben deutsche und österreichische Autoren des ein jähes Ende, indem einzelne Ethnien und Völkerschaften 20. Jahrhunderts, deutsch-ukrainische Lite- des Landes durch Umsiedlungen, Deportationen und Mas- raturbeziehungen und die deutschspra- senmorde ausgelöscht wurden. chige Literatur der Bukowina. Er ist Mitbegründer des Internationa- len Lyrikfestivals Meridian Czernowitz. Lebhafte Diskussionen der letzten Jahre münden oft in Für sein Gesamtwerk wurde Petro Rychlo 2015 mit dem Georg Dehio- Erwägungen, ob die Bukowina nur multi- oder auch inter- Kulturpreis ausgezeichnet. kulturell war. Die Lösung dieser Frage bedarf noch weiterer Foto: privat VINKOVCI ZU GAST IN ULM 22 Eine Gastausstellung im Donauschwäbischen Zentralmuseum erzählt 8 000 Jahre Geschichte

Winkowzi/Vinkovci offenbart seine Vinkovci präsentiert sich in Ulm mit Ori- Schätze nicht auf den ersten Blick. Die ginalexponaten und zahlreichen Rep- typisch pannonische Stadt im Osten liken aus seiner Sammlung. Darun- Kroatiens mit rund 35 000 Einwohnern ter ein Gefäß aus der Kupferzeit, schmiegt sich an die Ufer des gemäch- verziert mit geheimnisvollen lich fließenden Bosut. Langweilig? Von Symbolen. Vielleicht ein früher wegen! Das Besondere dieses Ortes liegt Kalender? Die Exponate erzäh- in seinem Erdreich. Archäologen bergen len von den ersten Ackerbau- hier Zeugnisse längst vergangener Kul- ern in Südosteuropa, vom Alltag turen mit so fremd klingenden Namen in der römischen Colonia Aurelia wie Sopot-, Vučedol- oder Belegiš-Kultur. Cibalae und von der Besiedlung Aber auch die hierzulande bekanntere durch Slawen im frühen Mittelalter. Badener und die Latènekultur waren In Vinkovci finden sich auch Spuren aus am Ufer des Bosut zu Hause. In Vin- der Zeit der Türkenkriege und Zeug- kovci leben seit 8 000 Jahren kontinuier- nisse der deutschen Bevölkerung, die Der Orion von Winkowzi/Vinkovci, ein lich Menschen. Das können nicht viele seit dem 18. Jahrhundert bis zum Ende Zeugnis der Vučedol-Kultur, entstand um 2600 vor Christus. Städte in Europa von sich behaupten. des Zweiten Weltkrieges hier lebte.

Das Donauschwäbische Zentralmu- Leni Perenčević Die Ausstellung Vinkovci – Schnittpunkt der seum stellt erstmals seine Räume für Leni Perenčević ist wissenschaftliche Mitarbeite- Kulturen. 8 000 Jahre Geschichte aus Kroa- die Gastausstellung eines Partnermuse- rin am Donauschwäbischen Zentralmuseum in tien ist vom 22. April bis zum 18. Septem- ums zur Verfügung. Das Stadtmuseum Ulm (žS. S. 56/57). ber 2016 in Ulm zu sehen.

»ABSCHIED, ANKUNFT, NEUBEGINN« Das Museum Friedland als Ort des Dialogs über Flucht, Vertreibung, Migration und Integration

Mit der Eröffnung des Museums Friedland im März 2016 »Grenzdurchgangslager Friedland«, das oft als das »Tor zur hat die Erinnerungslandschaft in Deutschland eine neue Freiheit« bezeichnet wurde. Facette erhalten. Die größte Zahl bildeten die Vertriebenen und Flücht- Im September 1945 hatte die britische Militäradministration linge nach dem Zweiten Weltkrieg. Friedland war aber auch das Flüchtlingslager an der Grenze zur sowjetischen und Aufnahmestätte für Kriegsheimkehrer, für Aussiedler und amerikanischen Besatzungszone errichtet. Seitdem erreich- Spätaussiedler vor allem aus Polen und der UdSSR und für ten über vier Millionen Menschen, Flüchtlinge, Vertriebene, Menschen auf der Flucht vor Krieg und Not aus der ganzen Evakuierte, Displaced Persons, entlassene Kriegsgefangene Welt. Bis heute ist es ein Ort der Emotionen: des Abschied- und Aussiedler die Bundesrepublik Deutschland über das nehmens von einem bisherigen Leben, der Ankunft, des Wiedersehens, der Hoffnung auf eine bessere Zukunft und des Übergangs in einen oft ungewiss erscheinenden Neu- beginn in Deutschland. Das Museum ist im eigens umgebauten historischen Bahnhof Friedlands untergebracht. Es schildert die Ereig- nisse im Lager und erklärt die historischen und gegenwär- tigen Hintergründe von Flucht, Vertreibung, Migration und Integration. Dabei werden die unterschiedlichen Perspekti- ven der mit dem Lager verbundenen Menschen, ihre Lebens- wege und Schicksale anschaulich erzählt. Matthias Weber

Prof. Dr. phil. Matthias Weber ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Bei- rats des Museums Friedland und Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa in Oldenburg (žS. S. 56/57).

t Vor einem britischen Armeezelt 1945/46, © Museum Friedland FLUCHTPUNKT TIFLIS Bertha und Arthur von Suttner in der georgischen Metropole

Bis heute können Besucher die Polari- Georgien hatte Zar Alexander I. Anfang tät der georgischen Hauptstadt nach- des 19. Jahrhunderts genehmigt. Er vollziehen, die Bertha von Suttner versprach sich davon positive Impulse (1843–1914) vor über 130 Jahren in ihren für die Wirtschaft. In Tiflis waren sie Memoiren festhielt: »Tiflis ist eine halb vor allem in kleinen Betrieben, Fabri- orientalische, halb westliche Stadt.« ken und Handelsunternehmen tätig. Gerade in der ehemaligen deutschen Carl von Siemens war das erste Mal elf Kolonie Neu-Tiflis, die heute auf dem Jahre vor den Suttners nach Tiflis gezo- Gebiet des Stadtteils Tschughureti am gen, um die gewinnbringende Aus- linken Ufer des Flusses Mtkwari liegt, beutung der in der Nähe gelegenen sieht man häufig typisch (nord-)euro- Kupfermine voranzutreiben. Auch die päische Architekturelemente wie Gie- Suttners, die von ihren Familien keiner- tarium einer Seele – auf dem deutsch- bel, die Bauweise in Ziegeln oder baro- lei Unterstützung zu erwarten hatten, sprachigen Markt zu platzieren. Ihr gro- cke bzw. klassizistische Stilelemente: suchten sich Arbeit. Arthur war tags- ßes Übersetzungsprojekt scheiterte Dachaufsätze, Geländer, Säulen. Dazwi- über für 150 Rubel monatlich bei einem jedoch: Mithilfe des georgischen Jour- schen: eine zweistöckige Villa mit von Tapetenfabrikanten tätig, und Bertha nalisten Jonas Meunargia wollten sie der Straße zurückgesetztem Mittelteil gab Musikstunden. Die Abende ver- das Nationalepos Der Recke im Tiger- und vorragenden Seitenflügeln, brachten sie jedoch meist in vor- fell zunächst ins Französische, dann RO

auf dem rechten eine geor- T P nehmsten Kreisen. Die Einla- ins Deutsche übertragen. Dass es an E O

dieser Literatur ein lebhaftes Interesse gisch-deutsche Gedenkta- M L dungen dorthin hatten sie

E fel. Hierher, in die Usnadse- N Berthas bereits 1864 in Hom- gab, beweist die 1889 und damit nur Straße 54, war im Winter 1882 burg geschlossener Bekannt- vier Jahre später erschienene deutsche das Ehepaar von Suttner gezogen. schaft mit Jekaterina Dadiani zu ver- Übersetzung der Dichtung durch den Die Liebe zwischen Arthur von Sutt- danken. Die Witwe des letzten Fürsten Journalisten Arthur Leist, der jahrelang ner und der sieben Jahre älteren Gräfin von Mingrelien und die spätere Frie- Chefredakteur der deutschsprachigen Kinsky war schuld, dass das von Arthurs densnobelpreisträgerin mochten sich Zeitung Kaukasische Post in Tiflis war. Familie nicht anerkannte Paar in den auf Anhieb, und so war denn auch die Im Gegensatz zu den Suttners sprach er Kaukasus floh. Die Liebe half den bei- am Schwarzen Meer gelegene georgi- Georgisch und blieb bis an sein Lebens- den aber auch, die Mittellosigkeit ihrer sche Provinz 1876 erster Anlaufpunkt ende in der quirligen Kaukasus-Metro- neun georgischen Jahre zu meistern. der Flüchtenden gewesen. pole, die für die Suttners die letzte Sta- tion ihrer georgischen Jahre sein sollte. Zu dieser Zeit zählte Tiflis/ Insgesamt blieb der Kontakt der Sutt- Als sie 1885 nach Österreich heimkehr- rund 100 000 Einwohner und war eine ners zur einheimischen Bevölkerung ten, hatten sie sich nicht trotz, sondern Stadt zahlreicher Völker und Konfessio- oberflächlich. Ihre Zeit verbrachten wegen dieser Zeit in der intellektuellen nen, darunter auch etwa 2 000 pietisti- sie in selbstgewählter Isolation beim Zunft einen Namen gemacht. scher Deutscher. Die Zuwanderung der gemeinsamen Studium von Büchern Ariane Afsari aus Schwaben stammenden Siedler in und Zeitschriften oder teilten sie mit Ariane Afsari ist beim Deutschen Kulturforum Ausländern vor Ort. Und sie pflegten östliches Europa e. V. in Potsdam (žS. 56/57) als ihre Kontakte zu einflussreichen Publi- wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. zisten und Verlegern in der Heimat, wie die umfangreiche Korrespondenz mit Leopold Sacher-Masoch, Balduin Grol- ler, Friedrich von Bodenstedt, Hermann

Conradi und vielen anderen zeigt. Bei- p Martin Maack, Bertha von Suttner um 1896, den gelang es, einige Veröffentlichun- Quelle: Wikimedia Commons gen – etwa Bertha von Suttners Inven-

 Hamann, Brigitte: Bertha von Suttner, 3. Aufl., München/Zürich 1991 Enichlmair, Maria: Abenteurerin t Das Wohnhaus der Suttners in der Usnadse-  Straße in Tiflis (Georgien). Foto: Wikimedia Bertha von Suttner. Die unbekannten Geor- Commons/Traubenberger gien-Jahre 1876 bis 1885, Wien 2005 24 MENSCHEN BLICKWECHSEL

DER REGENT ALS SCHÖPFER Durch die Gründung von Neustadt und Universität etablierte Karl IV. Prag als Metropole

War der Stauferkaiser Friedrich II. für seine Bewunderer ein festigte: Hier entstand 1348 die erste Universität nördlich »Staunen der Welt« (stupor mundi), so hat hundert Jahre der Alpen und östlich des Rheins. Es war das erste »Studium später der Chronist Franz von Prag den aus luxemburgischer generale« in ganz Mittel- und Osteuropa. Was für eine Ini- Dynastie stammenden Karl IV. sogar als »Nachahmer Gottes« tialzündung damit für das ganze europäische Bildungswe- (summum regem imitatus) bezeichnet: »Im Jahre des Herrn sen verbunden war, sieht man nicht zuletzt daran, dass die 1348 nämlich, am 26. März, hat der vorhin genannte Herr unmittelbar folgenden Universitäten in den anderen mit- König die Prager Neustadt gegründet, indem er mit RO teleuropäischen Metropolen Krakau und Wien ohne T P

eigener Hand den ersten Stein gelegt hat.« E O das Prager Vorbild nicht denkbar sind. Karl knüpft

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E N in seinem Gründungsdiplom an die Errichtung der Die vom Chronisten so herausgehobene Gründung Universität Neapel durch Friedrich II. an – nur mit der Prager Neustadt erweiterte nicht nur die städtische umgekehrten Vorzeichen: Wollte der Staufer mit sei- Agglomeration »Prag« um einen weiteren rechtlich auto- ner Gründung ein klares antipäpstliches Zeichen setzen, nomen Bestandteil neben der Altstadt und der Kleinseite. so ging es Karl ganz im Gegenteil um eine Bildungsstätte Die Neustadt bescherte Prag durch die erweiterten Sied- für das gesamte christliche Europa. lungs- und Arbeitsmöglichkeiten einen wahren Auftrieb. Die gesamte Stadt wurde flächenmäßig zur größten Stadt Der Hang zur Präsentation, ja zum »Herrschaftskult« (so Europas, nach Rom und Konstantinopel, und sie wurde zu der Historiker und Publizist Ferdinand Seibt), kennzeich- einer Metropole im wirtschaftlichen, politischen und auch nete Karl IV. – und näherte ihn ein weiteres Mal Friedrich II. symbolischen Sinn: Denn die Anlage der Prager Neustadt an. Karl ist der einzige Herrscher, von dem wir eine aukto- folgte dem Plan von Jerusalem, womit rial gesicherte Autobiografie besitzen; und er ist der erste Karl ein spirituelles Programm urba- Herrscher, von dem die Forschung mit Sicherheit annimmt, nistisch umsetzte. dass seine Darstellungen keine Idealbildnisse sind, sondern tatsächliche Porträts. Karl ließ mit Burg Karlstein unweit von In der Stadt Prag situiert war eine Prag nicht nur einen Hort für den Reichsschatz erbauen, son- weitere dauerhafte Leistung Karls IV. dern auch ein herausragendes Denkmal königlicher Selbst- Mit seiner Regierung verbindet sich darstellung. Seine Stilisierung als Mäzen und Gläubiger im die Erhebung des Bistums Prag zum Kontext einer ganz spezifischen Heiligenverehrung (mit dem Erzbistum (1344) – womit Böhmen zum heiligen Wenzel im Mittelpunkt) ist außergewöhnlich. Der ersten Mal seit Beginn seiner Christiani- Frühhumanismus, den er in der Person Petrarcas schätzte, sierung im 9. Jahrhundert eine kirchliche setzte zu dieser typisch mittelalterlichen Spiritualität einen Eigenständigkeit erreichte. Es war nun modernen säkularen Kontrapunkt – und ergänzt doch nur nicht mehr Teil (und damit abhängig) das Bild eines Königs, der »Imitator Gottes« ist. von deutschen Erzbistümern, allen Thomas Wünsch voran Mainz, sondern bildete Prof. Dr. Thomas Wünsch ist Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neu- selbst eine Kirchenprovinz. este Geschichte Osteuropas und seiner Kulturen an der Universität Passau. Damit zog Böhmen nach, verglichen mit Polen und t Denkmal Karls IV. (1851) auf dem Prager Kreuzherrenplatz Ungarn, die diesen Sta- tus bereits seit der Jahr- Den 700. Geburtstag Karls IV. im Jahr 2016 nehmen der Frei- tausendwende erreicht staat Bayern und die Tschechische Republik zum Anlass für eine hatten. gemeinsame Landesausstellung in Prag und Nürnberg.  Die Prager Universität Karls IV.: Von der europäischen Und schließlich war die neue Uni- Gründung bis zur nationalen Spaltung. Beiträge v. Georg Gimpl, versität ein Werk Karls IV., das den Hans Lemberg, Alena Míšková, Jiří Pešek u. a., Rang Prags als einer Metropole Potsdam: Deutsches Kulturforum östliches Europa 2010 Ausgabe 4 BLICKWECHSEL MENSCHEN 25 2016

»NIEDER MIT DEN DEUTSCHEN!« Der Kampf gegen die »deutsche Vorherrschaft« in Moskau und die antideutschen Pogrome im Mai 1915

Um die Jahrhundertwende war Moskau das zweitgrößte Randalierer fernzuhalten; abends aber zerstörte man sein städtische Zentrum der Deutschen im Russischen Reich. Geschäft. Um den »Feind« aufzuspüren, sollten verdäch- Einer Zählung im Jahr 1912 zufolge gaben 28 500 der mehr tige Personen das Porträt Wilhelms II. bespucken. Wer es als 1,5 Millionen Einwohner Deutsch als Muttersprache an. bespuckte, dessen Geschäft ließ man in Ruhe, und abends Die Deutschen bildeten die zahlenmäßig zweitgrößte eth- trugen die Demonstranten ein völlig bespucktes Porträt nische Gruppe Moskaus. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs nach Hause. Schnell wurde schamlos geplündert, das Die- aber baute sich eine antideutsche Stimmung auf, die RO besgut offen abtransportiert oder gleich verkauft. »Rus- T P

von der Presse angefacht wurde. Die Behörden E O sen mit deutschen Namen« raubte man aus und ver-

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E stellten die Deutschen unter besondere Kon- N prügelte man, weil sie »im Geiste Deutsche« seien. trolle: politische, kulturelle, ökonomische Repressi- Die Polizei aber verhielt sich vollkommen passiv. Sie onen, Diskriminierung ihrer Sprache und Konfession, sei in der Minderheit gewesen und ihr sei verboten wor- Enteignungen. Die »inneren«, im Russischen Reich leben- den, Waffen einzusetzen. Die Plünderungen wurden erst am den Deutschen galten als Spione, Parasiten des russischen 29. Mai von regulären Truppen gestoppt. Volkes. Angeheizt von der Presse, begannen viele Moskauer mit der Verwüstung deutscher Geschäfte, was auch in Städ- Für den Ausbruch der Pogrome war die Presse wesentlich ten wie Petrograd, dem 1914 umbenannten St. Petersburg, verantwortlich, zudem trugen Meldungen von den Nieder- geschah. 732 Geschäfte und Wohnungen wurden in Moskau lagen der Armee zur Frustration bei. Die Moskauer mach- zerstört, Waren wie Medikamente und Lebensmittel vernich- ten keinen Unterschied zwischen ihren Opfern, für die meis- tet. Zugleich griff man nicht nur Unternehmen von Deutschen ten waren alle Fremden »Deutsche«, die mit einem einzigen an, sondern sogar häufiger von russischen Staatsangehöri- Bild assoziiert wurden – Feind. Nach den Pogromen waren gen deutscher Abstammung und von Untertanen neutraler Schritte in Richtung eines Separatfriedens mit Deutsch- oder verbündeter Staaten. Man ließ sich von einer einfachen land nicht mehr durchzusetzen. Unbestritten profitierten »Freund-Feind«-Formel leiten, wobei unter die Kategorie russische Unternehmer, deren Konkurrenten verschwun- »Feind« alle fielen, deren Namen ausländisch klangen. den waren. Gleichzeitig bedeutete dies für viele den Ver- lust ihres Arbeitsplatzes und einen Preisanstieg. Die Zuspit- Die Unruhen begannen am 26. Mai 1915 mit der Forderung zung der antideutschen Stimmung resultierte auch aus der von Arbeitern einer Kattundruckerei, alle deutschen Kolle- verschlechterten Versorgungslage, und die »deutschen« gen zu entlassen, und der Erklärung, die Arbeit bis dahin Waren wurden geplündert. Insofern handelte es sich um niederzulegen – die »Deutschen« waren eigentlich Elsässer. eine Form des nationalen, sozialen Protestes, wenn unter Abends begab man sich in einer Gruppe, Fahnen und Zaren- dem Bild des »Deutschen« auch die selbst »russisch-deut- porträts schwenkend, die Nationalhymne und »Nieder mit sche, käufliche«, für die Armut verantwortlich gemachte den Deutschen!« schreiend, zu einer anderen Fabrik, in der Regierung verstanden wurde. die Stimmung bereits gereizt war, da es zu Fällen von Cholera Victor Dönninghaus gekommen war – schuld seien die Deutschen. Am 27. Mai Prof. Dr. Dr. h. c. Victor Dönninghaus ist stellvertretender Direktor des marschierten immer mehr Demonstranten zur Manufaktur Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa (IKGN)/ Emil Zündel, in der viele »Deutsche« beschäftigt waren. Im Nordost-Institut in Lüneburg (ž S. 56/57). »deutschen« Unternehmen zerstörten sie alles und schlu- gen den »deutschen« Geschäftsführer Karlsen zusammen, der eigentlich Russe schwedischer Abstammung war. Neben Arbeitern waren auch Vertreter der Intelligenzija, Soldaten, Angestellte, Studenten beteiligt. Es kam vor, dass ein Aus- länder vor seinem Geschäft die Nationalhymne sang, um die

28. Mai 1915: Volksversammlung vor dem Pogrom auf dem Roten Platz. Aus Victor Dönninghaus: Die Deutschen in der Moskauer Gesell- schaft. Symbiose und Konflikte (1494–1941), München 2002, S. 466. 26 MENSCHEN BLICKWECHSEL

JANOSCH UND SEIN »NIEMANDSLAND« Eine grandiose Biografie des »Papstes der Kinderliteratur« ist erschienen

Dieses Kind hatte Angst vor seinen Eltern und vor dem zor- Grenze zerschnitten, Hindenburg verblieb auf deutscher nigen Gott, der für jede böse Tat bestrafte. Der Vater war ein Seite. Das zweistöckige, ziegelrote Arbeiterhaus, in dem der Säufer, die Mutter trank ebenfalls. Eines Tages sperrte sie den kleine Horst aufwuchs, stand unweit des schmalen Flusses Jungen zur Strafe in einem Zimmer ein. Sie sagte nur, jetzt Scharnaffka, hinter dem Polen begann. In diesem Haus erfuhr werde er IHM Auge in Auge begegnen. Der schmächtige und der Junge alles über die Menschen und die Welt, hier wurde sensible Junge sah IHN dann tatsächlich. ER war schwarz, gelebt, gefeiert und gestorben – immer im Visier der zahlrei- hatte einen Pferdeschwanz, einen Pferdehuf und zwei Hör- chen Nachbarn. Dieses »Niemandsland« an der Scharnaffka ner. Danach stank es im Zimmer noch lange nach Schwefel. behielt Janosch als eine magische Welt in Erinnerung, als ein Wenn Janosch, das Kind von damals, nun als weltberühm- Land dazwischen, wo auch Gefahren lauerten. Der Junge ter Kinderbuchautor nach Oberschlesien kommt, besucht er konnte sehen, wie Grenzschützer ohne Warnung auf Leute seine Geburtsstadt Zabrze. Er treibt sich dort herum. Dabei schossen, die als Schmuggler den Grenzfluss passierten. setzt er sich zu einem Lumpensammler am Straßenrand. Janosch war ein Kind mit Fantasie, die sein Großvater, ein Schweigend starren beide eine ganze Weile vor sich hin. Und Invalide nach einem Unfall auf der Grube, noch zusätzlich dann gehen beide ihres Weges. Es ist reine Metaphysik. beflügelte. Dieser ließ den Enkel stundenlang auf seinem Schoß sitzen, erzählte einfache Geschichten und rauchte Eine Kindheit in Oberschlesien dabei seinen billigen Tabak. Er schrie den Kleinen niemals an, »So etwas kann mir nur hier passieren«, berichtete mir Janosch selbst wenn dieser, in Geschichten versunken, Opas einzige begeistert. Hier, im damals deutschen Hindenburg, kam er Hose vollpinkelte. Janosch meint, Großvaters Erzählungen am 11. März 1931 als Horst Eckert zur Welt. Einige Jahre zuvor seien sein größtes literarisches Kapital, er schreibe sie nur auf. wurde die Industrieregion durch eine deutsch-polnische Sie vermitteln etwa, dass es unnötig sei, sich um materielle

Janosch im Juni 2006 in Kattowitz/Katowice nach der Aufführung des Theaterstücks Cholonek. © agencjagazeta.pl Ausgabe 4 BLICKWECHSEL MENSCHEN 27 2016

Dinge zu kümmern, denn man wisse Staatsgrenzen oft wechselten und der Schöpfer der Tigerente persönlich als sowieso nicht, was der nächste Tag mit einfache Mensch irgendwie weiter- Schutzherr vorsteht. sich bringt; dass die Zeit, die einem nur zuleben hatte. Deshalb liest sich sein Heute lebt der Schriftsteller und einmal gegeben ist, ein Schatz sei und Buch nicht als Anklage seiner Lands- Zeichner auf Teneriffa und verbringt ein Besitzloser sich zu nichts gezwun- leute. Die Oberschlesier im Cholonek seine Tage entspannt in der Hänge- gen sehe. Der Junge durfte manchmal sind zwischen Polen und Deutschland matte. sogar Großvaters Tabakpfeife probie- hin- und hergerissen. Sie treffen nicht *** ren. Dann schien es ihm, er könne flie- selten fatale Entscheidungen, denn sie Wer mehr über die oberschlesische gen. Es waren die Zaubermomente, in können sich andere nicht leisten. Dem Kindheit und das abenteuerliche Leben denen er sich geborgen und glücklich Urteil der großen Geschichte ausgelie- Horst Eckerts erfahren möchte, sollte fühlte. fert, verheimlichen sie vor dem Krieg nach dem 2015 publizierten Buch der Sie waren jedoch selten. Zu Hause polnische Vorfahren und nach 1945 polnischen Germanistin Angela Bajo- ging es unsagbar elend zu. Der Vater, ihre deutschen Wurzeln. Ihr Ziel ist das rek greifen – Heretyk z familoka. Bio- soeben aus der Haft entlassen, trat in bloße Überleben. grafia Janoscha, die bislang einzige die SA ein, um die erbärmliche finanzi- von Janosch autorisierte Biografie. Die elle Lage etwas zu verbessern. Mit dem deutsche Ausgabe ist im Februar 2016 gleichen Ziel schnappte er sich Hunde, Das »Niemandsland« an der im Berliner Ullstein-Verlag unter dem bemalte sie und verkaufte sie als rein- Scharnaffka behielt Janosch als Titel Wer fast nichts braucht, hat alles rassig. Zu Hause gab es nur Sauer- eine magische Welt in Erinnerung, erschienen. Zu seinem 85. Geburtstag kraut und Kartoffeln zu essen. Vielleicht in der auch Gefahren lauerten. am 11. März 2016 gibt es wohl kein schö- erklärt das, warum die Hauptfiguren neres Geschenk an Janoschs deutsch- aus Janoschs bekanntester Kinder- sprachige Leser. buchreihe Der kleine Bär und der kleine Janosch ist dieses Kunststück gelungen. Marcin Wiatr Tiger keine Forellen mit Mandelsoße Nach seiner Vertreibung aus Zabrze Marcin Wiatr, Literaturwissenschaftler und Über- und Toast verzehren, sondern lediglich im Sommer 1946 fuhr er in einem Vieh- setzer, arbeitet im Georg-Eckert-Institut für Inter- selbst gefangene Fische, Pilze und Hüh- waggon Richtung Westen und stieg nationale Schulbuchforschung in . nerbrühe. Wer weiß, ob Janosch, oft über verschlungene Wege zum mit hungrig, nicht von solch raren Köstlich- Preisen überhäuften Kultautor für Kin- keiten träumte. Der Schriftsteller sagt der auf – auch in Polen, wo es lange häufig, er esse auch heute manchmal dauerte, bis erste Kindergeschichten trockenes Brot. Einfach aus Freude, dass von Janosch erscheinen durften. Bis er Brot habe. Manchmal denke er, dass 1989 waren die Werke der auf Deutsch die Armut damals schön war, weil man schreibenden oberschlesischen Auto- sich über jeden Dreck gefreut habe. ren, die als »Vertreter des deutschen Kulturerbes« der Region galten, mit Der Überlebenskünstler einem Publikationsverbot belegt. Diese Aber Armut bringt auch Unglück. So Zeiten sind glücklicherweise vorbei, zeigt Janosch in seinem Kultbuch Cho- Janoschs Bücher sind heutzutage auch lonek oder Der liebe Gott aus Lehm, in seiner Heimat zu Bestsellern gewor- wie die Oberschlesier dem National- den und Zabrze ist stolz auf den ersten sozialismus gegenüberstanden. Sehr Janosch-Kindergarten Polens, dem der viele haben Hitlers neue Ordnung eif- rig befürwortet. Andere wiederum Die deutsche Ausgabe der Janosch-Biogra- fie von Angela Bajorek, aus dem Polnischen schauten weg. Janosch erzählt, dass übertragen von Paulina Schulz. in dieser Region Obrigkeiten und © Ullstein Verlag 2016 28 MENSCHEN BLICKWECHSEL

KEIN UNBESCHRIEBENES BLATT Die Literaten von Pressburg/Bratislava zwischen Lokalpatriotismus und Opposition

Es fällt nicht leicht, Pressburg/Bratislava/Pozsony literarisch europäische Vorbilder des Aufklärungsromans anlehnt, ohne zu denken. Die slowakische Metropole ist eine der unschein- hier einen originellen Beitrag zu leisten. Nicht zu vergessen baren Hauptstädte Europas. Zur peripheren Wahrnehmung sind auch die vielen am Pressburger evangelischen Lyzeum trägt bei, dass es bisher keine Schriftstellerinnen oder Lite- ausgebildeten Studenten wie der prominenteste, Ľudovít raten gibt, die typischerweise mit der Stadt in Verbindung Štúr. Sie verfassten hier philologische und national erbauli- gesetzt werden könnten. Bei Dublin denkt man an Joyce, che Werke, die maßgeblich zur Nationwerdung der Slowa- Danzig knüpft sich an Grass. Und dennoch: Auch wegen ihrer ken beitrugen – wohlgemerkt in einer deutschsprachigen sprachlichen Vielfalt rückt die Literaturstadt Pressburg nach Bildungsanstalt. den Verwerfungen und Verschüttungen des Zweiten Welt- In diesem Zusammenhang taucht die Familie Schröer auf kriegs heute wieder ins Bewusstsein, wenngleich vor dem dem literarischen Stadtplan auf. Tobias Gottfried Schröer war 20. Jahrhundert nur wenige Werke erster Güte vorlagen. als angesehener »Professor« am Lyzeum tätig und eigentlich in die entsprechenden kirchlichen Strukturen eingebunden, Ein Lyzeum als Hort der Dichter doch es drängte ihn zu kritischen Stellungnahmen unter Hier würde sich zunächst von slowakischer Seite vehemen- Pseudonym. Er verfasste auch höchst erfolgreiche pädagogi- ter Widerspruch regen. Entstand doch der erste slowaki- sche Handreichungen. Die literarische Facette seines Œuvres sche Roman im damaligen Pressburg. Der katholische Pries- enthält das eine oder andere Theaterstück sowie Novellen ter Jozef Ignác Bajza rang 1784 der Zensur seinen später und Gedichte, letztere unter dem einladenden Titel Teestun- zur schulischen Pflichtlektüre erhobenen René mládenca den im Lindenhain 1846 herausgegeben. Literarisch vielleicht príhody a skúsenosti (»René. Eines Jünglings Abenteuer und interessanter sind die wenigen feinen Schriften seiner Ehe- Erfahrungen«) ab. Doch ist dies ein Werk, das sich stark an frau, die sich erst nach seinem Tod an eine Veröffentlichung wagte. Auch aus heutiger Sicht besticht an ihrer Briefprosa Briefe und Blätter von Frau Therese von 1868 deren geistige Frische. Mit erhellendem Blick vermittelt sie Pressburger All- tag der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Ungarische ist zwar durchaus mit literarischen Grö- ßen wie Sándor Petőfi oder Mór Jókai an die Stadt geknüpft, doch weilten sie eher als Gäste in Pozsony (ungarisch für Pressburg), das sich marginal in ihrem Werk wiederfindet.

Vom beschaulichen Pressburg zur Metropole Bratislava Nach dem Zerfall des Habsburgerreichs 1918 erhielt Press- burg einen ganz neuen Namen mit entsprechender poli- tischer Mission. Es sollte fortan Bratislava genannt wer- den, auch wenn es in der Zwischenkriegszeit vorbildlich dreisprachig funktionierte. Deutsch schreibende Lokalpa- trioten wie Elsa Grailich oder Karl Benyovszky präsentier- ten urbanes Leben ebenso wie den Blick in die Tiefen der Geschichte anschaulich und stilistisch ausgefeilt. Grailichs Preßburger Interieurs und eine Reihe von Benyovszkys Pu- blikationen – wie etwa Sagenhaftes aus Alt-Preßburg oder Preßburger Ghettobilder – gerieten durch die Nachkriegs- ereignisse in Vergessenheit. Inzwischen liegen sie für die

Ján Rozner war einer der herausragenden Intellektuellen im Bratislava der Nachkriegszeit. Foto: © Martin Marenčin Ausgabe 4 BLICKWECHSEL MENSCHEN 29 2016

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heutige Bevölkerungsmehrheit auf Slowakisch E O reflektiert ihre Geschicke. Als er einmal die Sinnhaf-

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E vor; bemerkenswert ist die Wiederauflage der ori- N tigkeit radikaler historischer Umschwünge erwägt ginalen deutschen Version. hat, heißt es: Zunehmende literarische Qualitäten sind tatsäch- Er erinnerte sich an den Installateur, der ihm diesen Sinn lich verstärkt in der »Bratislaver Epoche« der Stadt zu ver- aus seiner Perspektive darlegte. Sie hatten ihn oft in ihre alte zeichnen, obwohl sich die meist zugezogenen Slowaken das Wohnung in der Stadtmitte bestellt, und der Installateur hatte urbane Terrain erst erobern mussten. Pressburg hatte kei- Vertrauen zu ihm gefasst, da er hörte, wie er selbst mit seiner nen Metropolencharakter, dennoch wurde es von den nun Mutter deutsch sprach; jener behauptete, Ungar zu sein, in hier höchst produktiven Lyrikern wie Laco Novomeský, Ján Wahrheit war er ein dreisprachiger Pressburger, […] und erläu- Smrek, Emil Boleslav Lukáč oder Ivan Krasko mit diesem terte ihm seine Interpretation der historischen Umbrüche aus weltläufigen Beinamen belegt. Sie und andere bilden den slowakischer Sicht. [S. 133] Auftakt einer hoffnungsfrohen Avantgarde, die erst durch Renata SakoHoess den Zweiten Weltkrieg und dann durch die Niederschla- Renata SakoHoess studierte Germanistik und Slawistik in München, wo sie gung des Prager Frühlings im August 1968 zum Verstum- als Publizistin und Übersetzerin tätig ist. Im Verlag des Deutschen Kulturfo- men gebracht wurde. rums östliches Europa (ž S. 56/57) ist ihr Literarischer Reiseführer Press- burg in Vorbereitung. Ideologischer Druck und künstlerische Höchstleitung Es folgte die Spaltung des literarischen Lebens in eine meist mittelmäßige offizielle Linie und eine ambitionierte Dissi- dentenkultur. Die Jahre bis zur Wende 1989 breiteten einen bleiernen Teppich über der Stadt aus, unter dem es einem Schriftsteller von Staats wegen unmöglich gemacht wurde, gehaltvoll literarisch zu wirken. Zeitgenössisch kam diese Atmosphäre durchaus zum Ausdruck, da sei an Namen wie Ladislav Mňačko oder Dominik Tatarka erinnert. Doch eine wahre Sensation in der künstlerischen Darstel- lung der sogenannten Normalisierungszeit Bratislavas bil- dete die erst 2009 publizierte Autofiktion Ján Rozners Sedem dní do pohrebu (»Sieben Tage bis zum Begräbnis«), die 1974 bis 1986 zum Teil schon im deutschen Exil entstanden war. Der Sohn eines mährischen Juden und einer Sudetendeut- schen wurde auch als nicht Angestammter fast zu einem Pressburger (slow. Prešporák), da Deutsch im Wortsinn seine Muttersprache war. Geschrieben hat er allerdings immer nur auf Slowakisch. Auslöser seines literarischen Schaffens war der Tod seiner Ehefrau Zora Jesenská im Dezember 1972, einer angesehenen Übersetzerin, die wie er mundtot gemacht worden war. Daraus entfaltet sich eine radikal ehr- liche Analyse sowohl des eigenen Lebens als auch der am zivilisatorischen Tiefpunkt stehenden Gesellschaft der 1970er Jahre. Der Protagonist ist häufig in der Stadt unterwegs und

Der Eingang des ältesten erhaltenen Lyzeumsgebäudes in Press- burg/Bratislava, das heute Handschriften und alte Drucke der Aka- demiebibliothek beherbergt. Foto: © Anton Sládek, 2015 30 MENSCHEN BLICKWECHSEL

DAS DOPPELGESICHT DER ZEIT Der jüdische Künstler Heinrich Tischler (1892–1938) und sein Breslauer Kreis

»Die Zeit will ich malen«, beschrieb der in Cosel/ Koźle gebo- harten Kriegszeiten erschöpft und verarmt. Viele Flücht- rene Maler und Architekt Heinrich Tischler 1921 sein künst- linge aus Ostoberschlesien und der Provinz Posen sorgten lerisches Anliegen, »nicht unsere Zeit, sondern die ›Zeit‹, für soziale Unruhe; vor allem die vielen osteuropäischen RO

das ›Jetzt‹, das schon ein ›Gestern‹ ist. […] Das Erbar- T P Juden, die vor Pogromen flohen, waren unerwünscht.

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mungslose an ihr, das mit der Gefühllosigkeit des M L Noch 1929 charakterisierte die Schriftstellerin Ilse

E Gesetzes über alles Hinweggehende, das will ich N Molzahn Breslau in der Deutschen Allgemeinen festhalten. Ihr Doppelgesicht will ich lesen: die grellen Zeitung als »Metropole der Heimatlosen, Herberge Klänge, mit denen sie im Antlitz des Lasters wühlt, mit der Fantasten, Abenteurer und Bettler aus dem Osten denen sie der Freude schon im Nacken sitzt, in denen sie und dem Westen«. über die Trauer höhnt – und die tiefen frommen Akkorde, in welchen sie uns Menschen als Ewigkeit versöhnt. Ihre Häß- Tischler schloss sich 1919 der neu gebildeten Kulturpo- lichkeit und ihre Schönheit.« litischen Arbeitsgemeinschaft an, um zur allgemeinen kul- turellen Erneuerung beizutragen. Doch eine Karriere als 1918 war der junge Nachwuchskünstler aus dem Krieg Künstler war trotz seiner Aufnahme in den tonangebenden nach Breslau zurückgekehrt, wo er seit 1897 aufgewachsen Künstlerbund Schlesien 1921 schwierig. Angesichts der Infla- war und ab 1910/11 an der Breslauer Akademie Architektur tionsjahre war das Kaufinteresse gering. Außerdem interes- und Malerei studiert hatte. Was er vorfand, war eine Stadt sierten sich viele Breslauer Bürger nur wenig für moderne im Wandel. Die einst stolze Bürgerstadt war überbevölkert, Kunst. Tischlers düster-phantastische Bilder der äußerlich viele Häuser heruntergekommen, die Menschen nach den wie innerlich zerrissenen Nachkriegsgesellschaft und seine

Heinrich Tischler: ohne Titel, um 1924, Öl/Leinwand, 70 x 130 cm, Schlesisches Museum zu Görlitz, © Foto: Jürgen Matschie, Schlesisches Museum zu Görlitz vom Expressionismus beeinflussten exaltiert-pathetischen Zukunftsvisionen wurden überdies von der Presse sehr kri- tisch besprochen. Unterstützung erhielt er hauptsächlich von Seiten jüdischer Kreise, die den tief im jüdischen Glau- ben verwurzelten Tischler als vielversprechendes Nach- wuchstalent förderten.

Mitte der 1920er Jahre entschloss sich Tischler, vermut- lich aus finanziellen Gründen, den Schwerpunkt seiner Tätig- keit auf den Bereich der Architektur zu verlagern. Sein Cousin Moritz Hadda war hier bereits lange Jahre erfolgreich tätig. Schon bald war Tischler ebenfalls durch seine erfolgreichen Modernisierungen von Fassaden und Einrichtungen verschie- dener Wohn- und Geschäftsbauten in- und außerhalb Bres- laus ein gefragter Gestalter. Vor allem sein Entwurf für die viel- gerühmte Inneneinrichtung des Kaufhauses Petersdorff in Breslau, das der bekannte Architekt Erich Mendelsohn 1927/28 umbaute, ist durch zahlreiche Fotos gut dokumentiert. Die Auftragslage verschlechterte sich jedoch schon wenige Jahre später infolge der Weltwirtschaftskrise 1929, sodass Tischler viele Entwürfe nicht mehr realisieren konnte. Heinrich Tischler: ohne Titel, 1935, Lithografie/Gouache, 30 x 10,5 cm, Schlesisches Museum zu Görlitz, © Foto: Janos Stekovics, Schlesi- sches Museum zu Görlitz Der Sieg der Nationalsozialisten 1933 bedeutete für Tisch- ler wie für seine jüdischen Künstlerkollegen schließlich das endgültige Aus für seine Karriere. Er war zwar weiterhin nach Breslau zurück und lädt im Stadtmuseum nach Jahr- künstlerisch aktiv, durfte aber nicht mehr ausstellen oder zehnten des Vergessens zur Wiederentdeckung ein. Neben Bauvorhaben nichtjüdischer Auftraggeber ausführen. Tisch- Tischler gilt es auch, auf eine Reihe anderer Künstler wie ler kommentierte diese Ausgrenzung in Bildern, die Ohn- Isidor Aschheim, Käte Ephraim-Marcus, Paula Grünfeld oder macht, Verzweiflung und das Aufbegehren gegen diese Willy Braun aufmerksam zu machen. Auf eigenwillige und Situation spiegeln. Es folgten schwierige Jahre, in denen vielschichtige Weise entsteht dadurch ein lebendiges Bild er immer wieder Pläne zur Emigration fasste. Dazu sollte es der Hauptstadt Schlesiens während der 1920er und 1930er nicht mehr kommen. Am 11. November 1938, kurz nach der Jahre; zudem wird die Problematik jüdischer Existenz in die- »Kristallnacht«, wurde der Künstler mit vielen anderen Bres- ser Zeit vermittelt. lauer Juden verhaftet und ins KZ Buchenwald transportiert. Johanna Brade Da seine Familie eine Schiffspassage nach Shanghai nach- Dr. Johanna Brade ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Schlesischen weisen konnte, kam er zwar einen Monat später wieder frei, Museum zu Görlitz und Kuratorin der Ausstellung. (ž S. 56/57). starb jedoch wenige Tage später, am 16. Dezember 1938, an den Folgen der Inhaftierung. Tischlers Frau flüchtete mit den beiden Söhnen nach London und rettete dabei auch den künstlerischen Nach- Die Ausstellung Verfolgte Kunst. Der jüdische Künstler Heinrich Tischler und sein Breslauer Kreis, eine Ausstellung des Schlesischen lass ihres Mannes. Museums zu Görlitz in Zusammenarbeit mit dem Museum der Stadt Breslau/Muzeum Miejskie Wrocławia, ist vom 20. März bis 2002 gelangten große Teile dieses Konvoluts über den Ende Juli 2016 im Museum der Stadt Breslau (Königsschloss/Pałac Privatsammler Hans Peter Reisse (Kassel) ins Schlesische Królewski) zu sehen. Sie wird anlässlich des Kulturhauptstadtjahres Museum zu Görlitz. Vieles davon kehrt Anfang 2016 zeitweilig Breslau 2016 gezeigt. EIN GROSSER GEIST AUS GLOGAU Andreas Gryphius zum 400. Geburtstag

Zwei Jahre vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges kam Andreas Gryphius im böhmischen Erbfürstentum Glogau in Schlesien zur Welt. Am grandiosen Aufschwung der Spät- humanisten in Schlesien und der Pfalz um 1600 im Zeichen des reformierten Bekenntnisses hatte er – im Gegensatz etwa zu seinem Landsmann Martin Opitz – nicht mehr teil. Ihr Ethos aber teilte er.

Gryphius wurde Zeuge eines von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sich intensivierenden Ringens der politischen wie der kon- fessionellen Mächte auf deutschem Boden. Und als end- lich Frieden eingekehrt war, verschärfte das katholische Kaiserhaus im Bündnis mit den Jesuiten den Druck auf die auf den Brettern des Theaters beschert. Wo Shakespeare und Evangelischen im Lande. Nur in Enklaven wie Breslau und auf andere Weise auch Lope de Vega und Calderón oder unter dem Schirm der Piastenherzöge in Liegnitz, Brieg und Corneille und Racine auf den Bühnen fortlebten, da ist die Wohlau durften sie sich sicher fühlen. theatralische Stimme des Gryphius – wie die seines großen Zeitgenossen und Landsmannes Daniel Caspar von Lohen- stein – verstummt. In den illustren Gymnasien zu Breslau »Was sind wir Menschen doch! vor allem waren sie zur Aufführung gekommen. So war es Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen, ihre Bestimmung, im Akt besinnlicher Lektüre fortzuleben. Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit, Was die Zeit religiös, politisch, staatsrechtlich beschäf- Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid, tigte, findet einen eigenständigen Niederschlag in seinem Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.« Werk. Auch ein Gryphius gehört hinein in die große Bewe- Aus dem Sonett Menschliches Elende (1637) gung, die vom Humanismus zur Aufklärung führt. Diese wird als frühneuzeitliches Vermächtnis lebendig bleiben – Nicht nur der Krieg, sondern auch die religiöse Entzweiung so lange, wie es in Europa ein Bewusstsein seiner geistigen der Christenheit hat tiefe Spuren in seinem Werk, der Lyrik, Wurzeln gibt. In den 47 Jahren, die dem Dichter vergönnt den Dramen, den Leichabdankungen hinterlassen. Wie so waren, kam ein Werk von einer Tiefe und einem inneren viele Zeitgenossen wendete sich auch Gryphius ab von Reichtum zustande, das gewaltige geistige Potenzen birgt den nicht endenden Konflikten zwischen Katholiken und und nicht aufhören wird, seinen Lesern Freude und Berei- Protestanten, aber auch von den – womöglich noch ver- cherung zu verschaffen. hängnisvolleren – Auseinandersetzungen zwischen Luthe- Klaus Garber ranern und Reformierten. An den praktischen Glauben eines Prof. em. Dr. Drs. h. c. Klaus Garber lehrte als Professor für Literaturtheorie Johann Arndt und an das mystisch-spiritualistische Gedan- und Geschichte der Neueren Literatur an der Universität Osnabrück und kengut, das in seiner Heimat blühte wie nirgendwo sonst, war Direktor des dortigen Interdisziplinären Instituts für Kulturgeschichte heftete sich seine Hoffnung. Das Los der Evangelischen aber der Frühen Neuzeit. suchte er als Syndikus der Glogauer Landstände tatkräftig und mutig zu mildern.  Andreas Gryphius auf einem Kupferstich von Philipp Kilian (1628– 1693), Quelle: WikiCommons Als einem der Wenigen seiner Zeit blieben seine großen Zeitgedichte und Zeitklagen wie seine von tiefem Glauben Glogau/Głogów gehört heute zur polnischen Woiwodschaft geprägten religiösen Gedichte über die Epochen hinweg Niederschlesien. Andreas Gryphius – eigentlich Andreas Greif lebendig. In den Katastrophen des 20. Jahrhunderts fanden – wurde hier am 2. Oktober 1616 geboren und verstarb am sie dankbare und ergriffene Leser. Seinen ebenso anspruchs- 16. Juli 1664 ebenda. Die Stadt wird den 400. Geburtstag ihres vollen wie tiefgründigen Dramen war indes keine Heimstatt berühmten Sohnes feierlich begehen. EIN VORDENKER EUROPAS Zum 50. Todestag des sudetendeutschen Sozialdemokraten Wenzel Jaksch

Als Wenzel Jaksch am 27. November Republik als Vorsitzender der sude- 1966 an den Folgen eines Verkehrsun- tendeutschen Sozialdemokratie bis falls starb, traf dieser Verlust nicht nur zuletzt auf der Seite der Prager Regie- die Sozialdemokratie und die Vertrie- rung stand, traf auch ihn die Geltend- benenverbände, sondern das gesamte machung der Kollektivschuld: Nach demokratische Europa. In der tsche- dem Krieg wurde ihm die Einreise in chischen Gesellschaft ist der aus Lang- seine alte Heimat verwehrt. strobnitz/Dlouhá Stropnice in Südböh- Als Föderalist akzeptierte Jaksch men stammende Politiker dennoch offensichtlich nie den Zusammen- praktisch unbekannt. Die kommunis- bruch der Donaumonarchie. tische Propaganda verbannte ihn aus In seinen Erwägungen über dem Gedächtnis der Bevölkerung. Dabei die Ordnung in Europa, die er hatte er eine Annäherung seiner Partei in der Vorkriegszeit und im Lon- an breite Bevölkerungsschichten ange- doner Exil anstellte, spielte ein vom strebt und damit versucht, seine Lands- Nationalsozialismus befreites Deutsch- leute von der gefährdeten demokrati- land eine zentrale Rolle. Aus dieser Per- schen Ordnung zu überzeugen. Dieser spektive kann Jaksch heute als ein Vor- Aspekt seiner Botschaft gewinnt gerade denker Europas gelten. in letzter Zeit wieder an Bedeutung. Marek Pršín Jakschs wechselvolles Leben spie- Marek Pršín legte 2015 an der Südböhmischen gelt die Umbrüche im Europa des Wenzel Jaksch (1896–1966), sozialdemokra- Universität in Budweis/České Budějovice die tischer Politiker und ab 1964 Präsident des 20. Jahrhunderts wider. Obgleich er Bachelorarbeit Wenzel Jaksch und seine poli- Bundes der Vertriebenen. © Archiv der sozi- in der Ersten Tschechoslowakischen tischen Diskurse vor. alen Demokratie/Friedrich-Ebert-Stiftung

EINE EUROPÄERIN AUS MÄHREN Marie von Ebner-Eschenbach zum 100. Todestag »Wir sind in Todesangst, dass die Nächstenliebe sich zu weit ausbreiten könnte, und richten Schranken gegen sie auf – die Nationalitäten.« Marie von Ebner-Eschenbach

Marie von Ebner-Eschenbach wurde 1830 auf Schloss Zdi- fast alle ihre realisierten Theaterstücke begleiteten. Die Situ- slawitz/Zdislavice in Mähren geboren. Bekannt wurde sie ation änderte sich erst, als sie mit ihrem Prosawerk berühmt durch ihre auf Deutsch verfassten Erzählungen und Romane. wurde. Als erste Frau bekam sie den Ehrendoktortitel der Wenn man aber nach ihrer Nationalität fragen würde, müsste Wiener Universität. In ihrem Werk erfasst sie die verschie- man heute sagen: eine Europäerin. Ihre Mutter stammte densten Menschenschicksale und hält durch feine Psycho- aus Sachsen, ihr Vater war Repräsentant eines vor allem in logie das Ewige im menschlichen Leben fest. Unglücklich der Renaissancezeit bedeutenden tsche- über die politische und gesellschaftliche Situation in Europa, chischen Adelsgeschlechts. Im Som- starb sie am 12. März 1916 in Wien und wurde in der Famili- mer lebte sie auf dem mährischen engruft der Grafen Dubský in Zdislawitz beigesetzt. Lande, im Winter in Wien. Zu ihren Eleonora Jeřábková Freunden gehörten Persönlichkeiten PhDr. Eleonora Jeřábková leitet die Abteilung für Literaturgeschichte im aus vielen Kulturbereichen und Nati- Mährischen Landesmuseum Brünn/Brno. onalitäten. Ihr Schaffen wurde weithin mit Sympathie aufgenommen, große  Die mährische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach und Zdislavice. Hrsg. v. Eleonora Jeřábková, Martin Reissner u. Stanislav Unterstützung fand sie schon früh bei Sahánek, Brünn/Brno 2015 dem hochgeachteten Franz Grillparzer. Schwieriger war ihre Position in der Fami-  Strigl, Daniela: Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschen- lie: Selbst ihr Mann reagierte nega- bach. Eine Biographie, Wien 2016 tiv auf die Zeitungskritiken, die t Ausschnitt aus einem Porträt von C. Blaas, 1873 LITERATUR IM BLICKWECHSEL

Kulturpreis 2015 GEORG MAX, LUCIE UND HURRIKAN D AUS KOLÍN DEHIO

Es ist heiß. Ich sitze in einer Kneipe in Prag-Letná und Tschechische Kreativität in Taifunstärke! Ich seh das richtig warte auf Max. Er hat Verspätung. Sein Rechner auf Arbeit vor mir, wie die dort in ihrem Büro sitzen, direkt nach dem wollte ihn nicht weglassen. Als er kommt, ist er schweiß- Krieg, und sich sagen: Was machen wir jetzt damit, weiter gebadet. Er macht sein Handy aus, damit ihm die Welt produzieren oder nicht, oder ist das blöd? Am Ende beschlie- nicht auf den Wecker geht. Das erste Bier trinkt er auf ex. ßen sie, zu produzieren und die heimische Chemieindus- Und dann legt er auch gleich los, wie immer. trie zu retten und die Nachkriegstschechoslowakei von allen Ratten zu befreien. Bloß, der ursprüngliche Name ist ihnen »Hast du dich schon mal von einer getrennt, noch bevor du dann doch ein bisschen dämlich vorgekommen. Und einem angefangen hast, mit ihr zu gehen?« von denen ist Hurrikan eingefallen, ist ja meteorologisch ver- wandt. Hurrikan B wäre aber wieder zu nah dran gewesen, »Nein.« C auch, aber Hurrikan D, das ging in Ordnung.«

»Lucie, weißt du, die Hübsche, Kleine, Tiefergelegte, die ich »Genau das nennen meine deutschen Freunde manchmal dir gezeigt hab. Die wollt ich auf ’n Wein einladen. Und sie ›tschechischen Humor‹. Echt brutal. Sie lachen bloß nicht so: voll gern, aber sie muss gerade nach Frankreich. Einen wirklich darüber«, füge ich hinzu. ganzen Monat haben wir uns geschrieben. Haben uns Film- und Buchtipps geschickt, dauernd ist was durch die Luft »Es ist furchtbar, aber wenn du nicht drüber lachst, dann gezwitschert zwischen Prag und Paris. Große Verbindung drehst du womöglich durch. Ich weiß, wovon ich rede. Keine und großes Bibbern. Als sie zurück war, hab ich sie ins Bla- Ahnung, ob ich in Kolín wohnen könnte und auf die Fabrik touch in Vinohrady eingeladen. Und sie so: Hurra, lass uns gucken. Meine Uroma und mein Uropa sind von den Nazis gleich treffen und drei Flaschen Weißwein trinken. Im Bla- irgendwo in Polen umgebracht worden, wo genau, weiß touch fällt sie mir um den Hals: Dass ich gar nicht weiß, wie niemand.« glücklich sie ist, dass sie sich in Frankreich wahnsinnig ver- liebt hat … in einen Kollegen aus dem Projekt, ein junger »Ansonsten ist aber Kolín gar nicht so übel. Überhaupt ist Spanier …« die Gegend entlang der Elbe wunderschön. Aber für mich wär eher Nymburk was.« »Und?« »Ich weiß, du denkst an die Züge, an den Rangierbahn- »Nix und. Die drei Flaschen haben wir getrunken und ich hof. Bloß, ich würde dort auf dem Bahnhof auch dauernd hab sie dann noch zur Straßenbahn begleitet. An der Hal- meine Urgroßeltern sehen, wie sie im Zug nach Polen her- testelle hat sie mich nach meiner Meinung über Fernbezie- umrangiert werden. Züge tun mir nicht gut, aber erst seit hungen gefragt, ob die halten.« dem einen Moment, wo mir das bewusst geworden ist. Je älter ich werde, desto mehr denk ich irgendwie an sie. Ich Wir trinken auf die schöne Lucie und ihren Spanier. bin froh, dass ich in Prag lebe, dass ich hier total verloren bin, alleine, und meine Ruhe hab. Ich geh bloß nicht gern »Aber das ist noch gar nichts, alles Kleinkram, dieses Bezie- zum Bahnhof Bubny, da haben die Nazis sie damals verla- hungsgedöns«, palavert Max weiter. »Mir hat einer erzählt, den. Dort verliert sich ihre Spur. Und sonst so?« dass sie in einer Chemiefabrik in Kolín bis heute Zyklon B her- stellen, als Rattengift. Nur dass das jetzt ›Hurrikan D‹ heißt. »Bestens.« 35

GEORG DEHIO

»Mädels?« »Die Möglichkeit gefällt mir. Weniger Aspirin, mehr Heroin. Die Leute unter Kontrolle. Frieden auf Drogen.« »Bestens.« »Umso größer wär das Chaos, wenn das irgendwann auf- »Na is’ ja bestens.« fliegen würde, oder?«

»Neulich bin ich in Wuppertal gewesen. Wim Wenders hat »Hm, aber die Möglichkeit gefällt mir trotzdem.« dort Alice in den Städten gedreht, kennst du den?« Max trinkt sein fünftes Bier aus. Macht sein Handy an. Checkt »Klar. Schwarzweiß-Roadmovie. Ein Klassiker.« SMS, E-Mails, Neuigkeiten.

»Und Tom Tykwer ist dort geboren und hat dort Der Krieger »Alles okay in der Welt. Bloß Lucie schreibt: Fernbeziehun- und die Kaiserin gedreht.« gen sind Scheiße. Gehen wir was trinken?«

»Den hab ich auch gesehen. Großartig, die Franka Potente, »Du gehst doch, oder?« von der war ich total begeistert. Die wird von einem Las- ter angefahren, ein durchgeknallter Ex-Soldat rettet ihr das »Weiß nicht.« Leben, er bohrt ihr einen Strohhalm in den Hals.« Jaroslav Rudiš »Genau. Die Kreuzung, wo das passiert ist, hab ich gesehen.« Aus dem Tschechischen übertragen von Mirko Kraetsch Foto: Paul-Georg Meister/pixelio.de »Du bist wegen der Kreuzung da hin?«

»Ich hatte dort zu tun, eine Lesung halt. Aber das hat mich interessiert, den Film find ich echt klasse. Die alte Schwebe- bahn über dem Fluss. Herrlich. Und wo du schon von der Fabrik in Kolín redest – in Wuppertal haben sie das Aspirin und das Heroin erfunden. Als Heilmittel. Heute ist nur noch eins davon ein Medikament.«

»Vielleicht, wenn das andere das Medikament wär und man Der tschechische Autor und Musiker den Leuten ihr ganzes Leben lang ein bisschen was davon Jaroslav Rudiš wurde 1972 in Turnau/Tur- nov geboren. Für seinen Debütroman verabreichen würde – kontrolliert natürlich –, dann wür- Nebe pod Berlínem (dt. Der Himmel unter den die nicht so’n Scheiß machen und es gäb keinen Krieg, Berlin, 2002) erhielt er den Jiří-Orten- meine Urgroßeltern wären nicht in Polen verschwunden und Preis. Viele seiner Werke, etwa Grand in Kolín hätten sie kein moralisches Problem.« Hotel, Die Stille in Prag oder die Graphic- Novel-Trilogie Alois Nebel, wurden auch auf Deutsch publiziert. Er »Schwer zu sagen.« verfasst, teilweise mit Co-Autoren, Theaterstücke, Hörspiele und Opern-Libretti. Zudem spielt er bei Jaromír 99 & The Bombers und in der Kafka Band. Rudiš lebt und arbeitet in Tschechien und Deutschland. Zuletzt erschien sein Roman Národní třída (2013; dt. Nationalstraße, 2016). Bild: privat

Das Filmprojekt Alois Nebel, an dem Jaroslav Rudiš als Drehbuch- autor mitgewirkt hat, wurde 2015 mit dem Georg Dehio-Ehren- preis ausgezeichnet. Joris Hoefnagel (nach Aegidius de Rijde): CLAVDIOPOLIS, 1617/18, kolorierter Kupferstich auf Papier, Siebenbürgisches Museum, Inv. 11417

CLAUDIOPOLIS – TRANSILVANIÆ CIVITAS PRIMARIA? Was der Titel eines Kupferstichs von 1617/18 über die Machtverhältnisse in Siebenbürgen verrät

Inspiriert durch den 1570 vom Antwerpener Geografen Abra- Nordwesten, auf die Stadt gerichtet. Markant zeichnen sich ham Ortelius veröffentlichten AtlasTheatrum Orbis Terra- die Hauptkirche St. Michael sowie die südöstlich gelegene, rum, gab der Kölner Humanist und katholische Theologe turmlose Kirche des ehemaligen Minoritenklosters, damals Georg Braun 1572–1617 die sechs Bände des Städtebuchs wie heute die reformierte Kirche, ab. Während die Häuser Civitates Orbis Terrarum heraus. In Zusammenarbeit mit innerhalb der Stadtmauern aus Stein gebaut und mit Ziegeln dem flämischen Kupferstecher Frans Hogenberg und weite- gedeckt sind, besteht die nördliche Vorstadt größtenteils ren Grafikern beschrieb er darin 543 Metropolen der damals aus strohgedeckten Holzhäusern. Dieser Zustand entspricht bekannten Welt in Wort und Bild. Der 6. Band stellt wegen der Beschreibung Klausenburgs durch den Venezianer Gio- des zeitgenössischen Interesses für die Schauplätze der »Tür- vanni Andrea Gromo von 1565. Auch die Weinberge, die sich kenkriege« viele Städte Ostmitteleuropas vor. Aus einer sel- diagonal im Mittelgrund erstrecken, entsprechen den örtli- tenen französischen Ausgabe dieses Bands besitzt das Sie- chen Gegebenheiten, wie sie noch in der sogenannten Jose- benbürgische Museum als Einzelbogen die Ansicht von phinischen Landesaufnahme (1769–1773) verzeichnet sind. Klausenburg/Cluj. Im Vordergrund sind drei vornehme Damen in die Szene- rie eingefügt, damit, wie Braun im deutschen Vorwort des Der kolorierte Kupferstich wurde, wie das Schriftfeld 1. Bands anführt, die »Turcken, welche keine […] gemahlte links unten verrät, von Georg (Joris) Hoefnagel (1542–1600) Bilder [von Menschen; d. A.] leiden, diß buch nummer […] geschaffen, der bereits am Ortelius-Atlas als Illustrator mit- zulassen werden«. So sollte also durch das islamische Bil- gewirkt hatte. Die Grafik entstand nach einem Gemälde des derverbot verhindert werden, dass die feindlichen Osma- Egidius van der Rye (Aegidius de Rijde) und wurde 1617 pos- nen Brauns Werk zur Eroberung der Städte nützen konnten. tum unter Mitarbeit des Sohnes Jacob Hoefnagel gedruckt. Sie ist, wie der gesamte 6. Band, Erzherzog Ferdinand II. von In der Bildüberschrift wird »Claudiopolis« (Klausenburg) Innerösterreich (ab 1619 Kaiser Ferdinand II.) gewidmet. als »Transilvaniae civitas primaria«, Hauptstadt Sieben- Wie die Inschrift »Occidens« (lat. Westen) am mittleren bürgens, bezeichnet. Eine Benennung, die heute verwun- unteren Bildrand zeigt, ist der Blick von Westen, konkreter dert: Offizielle Residenz des Fürsten war ab der Mitte des Ausgabe 4 BLICKWECHSEL WERKE 37 2016

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E 16. Jahrhunderts Weißenburg/Alba Iulia. N Stiftung Kirchenburgen – eine Neugründung in Rumänien Dennoch wurde Siebenbürgen nicht zen- tral regiert. Der Landtag tagte an wechselnden Die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien gründete im Herbst 2015 die Stiftung Kirchenburgen, die zum Jahresbeginn 2016 Orten. Neben dem ungarischen Adel hatten die bei- ihre Arbeit in Hermannstadt/Sibiu aufgenommen hat. Ziel ist den weiteren Landstände, Szekler und Siebenbürger Sach- es, eine Fachinstitution für den Erhalt des kirchlichen Erbes sen, auf ihren Gebieten zudem weitgehende Autonomie. zu schaffen. Die Rechtsform einer Stiftung eröffnet die dafür Johannes Hertelius, der Sohn des Klausenburger Refor- erforderlichen langfristigen Perspektiven. Besonders erfreu- mators Franz Davidis, nennt in seinem Beitrag zu Giovanni lich ist die Übernahme der Doppelschirmherrschaft durch Maginis Neuauflage der Geographia des Ptolemäus (Vene- den deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck und den dig, 1596) Hermannstadt/Sibiu als Hauptstadt; ebenso der rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis, die damit zum Hermannstädter Humanist und königliche Rat Georg von Ausdruck bringen, dass der Erhalt des siebenbürgischen Kul- Reicherstorffer in seiner Landesbeschreibung Chorogra- turerbes eine deutsch-rumänische Gemeinschaftsaufgabe ist. phia Transylvaniae (Wien 1550). »Coloswaria« (Klausenburg) Die zukünftige Arbeit der Stiftung baut auf dem knapp schildert er dagegen nicht als »metropolis«. Dies ist inso- zehnjährigen Wirken der »Leitstelle Kirchenburgen« auf. Die fern bemerkenswert, als dass die Texte zwei Hauptquellen geplanten Aktivitäten gehen weit über den baulich-konser- für Georg Brauns Beschreibung auf der Rückseite des Kup- vatorischen Bereich hinaus und schließen auch die Bildungs- arbeit, das Management von Kulturveranstaltungen und die ferstichs darstellen. Tourismusförderung mit ein. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Einwerbung von Fördermitteln, Zustiftungen und In Brauns Text wird Klausenburg, im Unterschied zur Vorder- Spenden, mit denen die laufende Arbeit finanziert und der seite, nur als »ville Saxonicque«, als von Siebenbürger Sach- Kapitalstock der Stiftung ausgebaut werden soll. sen gegründete bzw. erweiterte Stadt betitelt, die wie die Philipp Harfmann Reichsstädte Deutschlands als Stadtrepublik regiert werde. Was hat Braun aber veranlasst, Klausenburg als einzige Philipp Harfmann ist Geschäftsführer der Stiftung Kirchenburgen siebenbürgische Stadt in sein Werk aufzunehmen? Wie Peter in Hermannstadt/Sibiu. van der Krogt feststellt, war die Aufnahme in das Buch wohl  www.kirchenburgen.org von verfügbaren Abbildungen abhängig. Dies erklärt jedoch noch nicht die Betitelung als »civitas primaria«. Mögliche Gründe hierfür könnten sein, dass Klausenburg Ende des 16. Jahrhunderts, von Kriegsereignissen weitgehend ver- schont, als Fernhandels- und Wirtschaftszentrum florierte, während Handel und Gewerbe in Hermannstadt und Kron- stadt/Braşov teilweise stagnierten. Zwar blieb Klausenburg eine königliche Freistadt mit ab etwa 1570 überwiegend ungarischsprachigem Bürgertum. Jedoch konnten der Ein- fluss des Adels in der Stadt, häufige Landtage, lange Aufent- halte des Fürsten sowie die Krönung Gabriel Báthorys (1608) und Gabriel Bethlens (1613) in der Michaelskirche den Ein- druck einer de facto Residenzstadt entstehen lassen, was den Titel der Grafik für die Zeitgenossen wohl plausibel machte. Allerdings hatte die Stadt erst 1790–1867 als Sitz der Landesregierung echte hauptstädtische Funktionen, musste sich diese Rolle aber wiederum mit Hermannstadt teilen. Markus Lörz Dr. Markus Lörz ist Kurator des Siebenbürgischen Museums in Gundels- Westportal der evangelischen Kirche von Tarteln/Toarcla, heim (ž S. 56/57). © Stiftung Kirchenburgen 38 WERKE BLICKWECHSEL

DIE TÜRME VON TALLINN Poeten, Künstler und Fischfabrikanten preisen die Silhouette der estnischen Hauptstadt

Nur wenige Städte haben sich mit einer so charakteristi- stützt sich auf die ähnlich geartete Meereslandschaft bei- schen Silhouette verewigt wie Tallinn (dt. Reval) mit seiner der Städte, das Ufer der Tallinner Bucht mit seinem tiefen Ansicht vom Meer aus. Für die Menschen aus dem nordeu- Dekolleté und ein paar Inseln. ropäischen Raum stellt sie eine ähnlich unverwechselbare Das Meer war auch immer das Symbol der Freiheit. »Kein Visitenkarte dar wie für den Rest der Welt die Skyline von Staat mit Anbindung an das Meer ist klein«, war eine der Manhattan. Die estnische Metropole ragt direkt aus dem Lieblingsmaximen des estnischen Schriftstellers, Filme- Meer empor und zeichnet sich auf der horizontalen RO machers und Staatspräsidenten Lennart Meri. Auf T P

Fläche gegen den Himmel deutlich ab. E O dem Meer können keine Mauern errichtet werden

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E N – weder eine Chinesische noch eine Berliner. Tallinn, so heißt es in einem bekannten Lied, sei die Stadt der Türme. Von den ehemals vierzig Türmen Die »Revaler Killos«, frisch in würziger Marinade ein- der Stadtbefestigung sind heute noch ein Viertelhundert gelegte kleine Sprotten, werden heute als eine estnische erhalten. Tonangebend in der Silhouette sind die Türme der Nationalspeise gefeiert. Schon im 18. Jahrhundert waren Gotteshäuser – Domkirche, Nikolaikirche, Heiliggeistkirche, die »berühmten Killoströmlinge«, wie der Reiseschriftstel- Karlskirche –, das Rathaus mit seinem eigenartigen Minarett- ler Johann Georg Kohl sie 1841 bezeichnete, ein estländi- Turm und der höchste Schutzturm der Domberg-Festung, scher Exportartikel. Die Einwohner von Reval nannte man der Lange Hermann. Die Dominante des Ensembles ist und im örtlichen Jargon auch »Killoheimer«. Beim Bewahren bleibt die Olaikirche mit ihrem gotischen Spitzhelm, der zu der Silhouette von Tallinn im kulturellen Gedächtnis spiel- Anfang des 16. Jahrhunderts einer der höchsten der Welt ten die »Killos« eine wichtige Rolle: Das Etikett schmücken gewesen sein soll. Heute misst der Turm 124 Meter, damals mindestens seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts Ansich- war er angeblich noch höher. Auch wenn alle Revalenser auf ten der Stadt Tallinn vom Meer aus, auf denen der Turm der der Turmspitze der Olaikirche stünden, könnten sie doch ihr Olaikirche meistens den Ehrenplatz einnimmt. Unglück nicht überblicken: So beschrieb Balthasar Russow in seiner Livländischen Chronik (1578) die Not der mittelal- Das Stadtpanorama Tallinns hat empfindlich auf die sich terlichen Stadtbevölkerung. ändernden Zeiten reagiert. In ihm zeigten sich Tiefschläge wie Blütezeiten. Jeder Fehler in seiner Vollkommenheit fällt Das Meer ist ein wichtiger Teil des Stadtpanoramas, denn ins Auge und erregt die Stadtbevölkerung. Die Schlüssel- es macht das Ganze erst sichtbar. Oft wurde Tallinn mit ital- figur der Tallinner Skyline, die Olaikirche, wurde 1820 von ienischen Städten wie Venedig, Catania oder Genua und vor einer schweren, durch Blitzschlag verursachten Feuers- allem mit Neapel verglichen. Der letztgenannte Vergleich brunst erfasst und hatte daraufhin für anderthalb Jahrzehnte

Tallinner Panorama im Jahr 2010, Foto: Toomas Tuul 39

Dreisprachige Etiketten von Konservendosen mit Sprotten der Marke »Revaler Killos«, © Estnisches Meeresmuseum Tallinn keinen Turm. Die Tallinner Panoramen dieser Zeit, etwa die ihre Erinnerungszeichen nur auf dem Grab des estnischen Gouachezeichnungen von Johannes Hau oder die Ölge- Königs errichtet, sozusagen ihm zu Ehren. So steht ein Grab mälde von Karl Ferdinand von Kügelgen, lösen seltsame am Anfang dieser Stadt, schreibt auch Werner Bergengruen Empfindungen aus: Man erkennt die Stadt kaum mehr – es in seinem berühmten Erzählband Der Tod von Reval (1939). fehlt der musikalische Grundton der Komposition. Moderne Türme schossen erst in der Sowjetzeit in die Höhe. Der größte Schlag in der Geschichte traf Tallinn am 9. März Das 1972 errichtete Hotel »Viru«, eine Frucht der estnisch- 1944, als bis zu 300 sowjetische Flugzeuge die Stadt zwischen finnischen Kulturarbeit, wurde zugleich eine Goldgrube halb sieben abends und drei Uhr morgens bombardierten. für den sowjetischen Geheimdienst KGB. Für die Besucher Es wurden 1 500 Häuser zerstört, fast ein Drittel der der olympischen Segelregatta wurde 1980 ganzen Wohnfläche. Das Rathaus und die Niko- das Hotel »Olümpia« gebaut, aber auch laikirche verloren ihre Turmspitzen. Letztere ihm war wegen des politischen Boykotts stand in der Silhouette der Stadt jahrzehn- der Moskauer Spiele eine ambivalente telang wie ein Riese mit geteiltem Schädel Rolle beschieden. Die Hochhäuser von – ein Sinnbild der sich immer wieder verlän- Lasnamäe sollten vor allem die aus Russland gernden Sowjetzeit. stammenden Gastarbeiter beherbergen. Nach Die Türme waren nie rein ästhetische Bauwerke, son- 1991 wurden der Silhouette das SEB-Bank-Hochhaus, das dern auch Zeichen der irdischen Macht. Der vom Dom- Radisson-Hotel und das Swissotel als »Gedenkstätten« des berg aus weithin sichtbare Lange Hermann und die Domkir- internationalen Finanzkapitals hinzugefügt. che verkörperten die Präsenz des herrschenden Hochadels. Das Rathaus war die Selbstvertretung der freien Bürger- Die Türme von Tallinn hatten also fast immer ambivalente schaft; die drei anderen Kirchtürme standen für die Über- Ursprünge. Sie sind nie als rein funktionelle Bauten entstan- legenheit der lutherischen Konfession. Erst 1900 verewigte den, sondern spiegelten die Machtansprüche verschiedener sich auch das Russische Kaiserreich durch die Alexander- Völker, Klassen und Konfessionen. Man kann sogar behaup- Newski-Kathedrale, die in die schlanke Silhouette der Stadt ten: Je größer die Ansprüche, desto höher der Turm. eine füllige Ziebelform einfügte. Als Elemente der Stadtsilhouette haben wir sie jedoch durch unseren ästhetisierenden Blick domestiziert. So macht Die Esten haben auf dem Domberg keine Türme errich- die Silhouette von Tallinn auf uns heute einen eher beruhi- tet. Aber durch die Volksüberlieferung und ganz besonders genden Eindruck. durch das Nationalepos Kalevipoeg (1857/1861) wurde eine Jaan Undusk Vorstellung entwickelt, der Domberg sei das Grab des mythi- Der Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Übersetzer Jaan Undusk ist schen Estenoberhauptes Kalev gewesen – des Vaters des Direktor des Under-und-Tuglas-Literaturzentrums der Estnischen Akade- Nationalhelden Kalevipoeg. Alle anderen Herrscher haben mie der Wissenschaften in Tallinn. 40

Kaliningrad. 2001. Aus Кёнигсберг, прости – Königsberg, verzeih – Atonement for Königsberg von Dmitry Vyshemirsky. © Dmitry Vyshemirsky

»ICH WEISS, KÖNIGSBERG, DASS DU GEHST« Die Fotografien von Dmitry Vyshemirsky zeigen das heutige Kaliningrad als Einheit von Widersprüchen

Wie gelingt die fotografische Annäherung an einen Ort, in einer Welt aus mindestens zwei Welten aufwuchsen, spielt dessen Identität schichtweise auf- und abgetragen wurde, dabei eine erhebliche Rolle. Der Fotograf Dmitry Vyshemirsky wie es mit Königsberg/Kaliningrad geschah? Einst war die macht noch nicht einmal den Versuch, eine bestimmte Per- Stadt die kulturelle und geistige Metropole Ostpreußens, spektive einzunehmen oder solche Widersprüche zu über- eine reiche Handelsstadt mit prachtvollen Fassaden – prä- brücken. In seinem Bildband Кёнигсберг, прости – Königs- gendes Umfeld für ihre berühmten Söhne und Töchter berg, verzeih – Atonement for Königsberg (2007) porträ- wie Immanuel Kant, Käthe Kollwitz, Hannah Arendt RO tiert er eine russischsprachige Bevölkerung vor den

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und viele andere. Auf ihre starke Zerstörung durch Überresten einer ehemals deutschen Landschaft:

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E die Kriegseinwirkungen folgten der Zuschlag des N Wo hört das Eigene auf, wo beginnt das Fremde? Gebiets zur Sowjetunion, der beinahe komplette Vyshemirsky sieht in seiner Heimatstadt Kaliningrad Austausch der Bevölkerung und lange Jahrzehnte des überraschenderweise gerade das, was vielen aufgrund Sozialismus, in denen die Vergangenheit des Ortes größ- ihrer eingeschränkten Perspektiven verborgen bleibt – das tenteils negiert wurde. Ganze. Eine Einheit von Widersprüchen, »ein Mosaik aus den Symbolen des weiten Russland und der Nostalgie über Wohin das Auge heute auch blickt, überall sieht es Wider- Ostpreußen«. sprüche – städtebaulicher wie kultureller Art. Und ob es die Augen einst Vertriebener auf Entdeckungsreise in die Ver- Schwarz und Weiß, Licht und Schatten. Verfallene Rui- gangenheit sind, die Augen interessierter und familiär »nicht nen, offensichtliche Armut. Kabelgewirr und schrille Werbe- vorbelasteter« Besucher oder die Augen Einheimischer, die botschaften vor erhabenen, trotz fragwürdigen Zustands in Ausgabe 4 BLICKWECHSEL WERKE 41 2016

ihrem Stolz ungebrochenen Fassaden. Personen, Tiere und farbintensiven Zyklus post-… inmitten ihrer Transformati- Gegenstände scheinen wie hineingestreut in diese Szene- onsprozesse festgehalten. rie; manche der Gestalten verschwimmen vor dem Auge des Betrachters. Sie wirken kaum greifbar, geradezu geis- Auch örtliche Initiativen, Künstler und Einwohner entde- terhaft, ihre Umgebung dagegen beinahe statisch. Sowje- cken die Stadt heute als ein kulturelles und historisches Kon- tische Denkmäler stehen im spannungsreichen Dialog mit glomerat; als wahrhaftes Mosaik, in dem keines der noch so Kopfsteinpflaster, Storchennestern und der witterungsge- unterschiedlichen Steinchen fehlen dürfte. Dennoch war plagten Aufschrift »Kaiserliches Restaurant«. Nicht selten sich Vyshemirsky, der sich stets für eine Bewahrung und ergeben sich daraus äußerst skurrile Kombinationen. »Ich Vermittlung der von Deutschen geprägten Stadtgeschichte bin dankbar für dieses Thema, denn es hat mein Leben mit engagierte, bereits im Jahr 2000 sicher: »Ich weiß, Königs- einem besonderen Sinn erfüllt. Das ist ein großes Glück«, berg, dass du gehst. Mit jedem meiner Fotos verabschiede resümiert Vyshemirsky. ich mich von dir. […] Was soll ich ohne dich tun? Vielleicht sollten wir zusammen fortgehen? Uns beide, scheint mir, Sein fotografischer Blick ist nicht tastend und nicht kom- braucht niemand hier.« binierend. Er stellt dar, er bildet ab. Vollzieht die schwan- kende Rhythmik von Stadt und Raum, schwingt in ihr mit. 2015 sitzt der russische Fotograf mit dem wallenden Haar Und fängt gerade damit die so schwer greifbare Magie des in einem Café seiner neuen Wahlheimat Berlin. Die politi- Ortes ein. Auffallend ist, dass Vyshemirskys Bilder trotz der schen Umstände und schwindenden Nischen für Freigeister so offensichtlichen Melancholie ihres Gegenstands keines- wogen schwerer als der künstlerische Erfolg – neben groß- falls deprimierend wirken; im Gegenteil liefern sie eine große formatigen Ausstellungen gab es Pläne für die Gründung Bandbreite an Assoziationen, geben durchaus auch Komik eines Museums seiner Kunst in Kaliningrad –, schwerer auch und Zukunftsahnungen Raum. Das mag daran liegen, dass als die enge emotionale Bindung zu seiner Heimatstadt. »Ich der Künstler das untergegangene Königsberg durchaus habe mich schon länger von Grenzen freigemacht. Spätes- als eine Art Sehnsuchtsort begreift. Doch er teilt weder die tens mit dem Machtantritt Gorbatschows haben Grenzen womöglich nostalgische Perspektive eines Angelus Novus, für mich aufgehört zu existieren. In meiner Heimat entwi- noch lässt er zu, dass der Sturm des Fortschritts ihm den ckelt sich gerade alles zum Schlechtesten, und dazu gehört Gegenstand seiner Betrachtung entreißt. Im Ergebnis ent- auch die Schließung von Grenzen – also eine Abgrenzung steht eine faszinierende Gleichzeitigkeit, die beruhigend nach innen«, sagt Vyshemirsky. Nach einer Pause fügt er mit zeitlos wirkt. Bedacht hinzu: »Ich bin nicht weggegangen aus Kaliningrad. Ich wohne jetzt einfach nur in Berlin.« Und Königsberg? Ist ein ganzes Stück mit ihm mitgegangen. »Ich bin dankbar für dieses Thema, denn es hat mein Anna Brixa

Leben mit einem besonderen Sinn erfüllt. Das ist Anna Brixa beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Erinnerungsräumen im ein großes Glück.« Kaliningrader Gebiet. Sie promoviert an der Freien Universität Berlin im Fach Neuere deutsche Literatur.

Königsberg und Kaliningrad liegen heute längst nicht mehr so weit auseinander wie einst, als durch politisch- ideologische Eingriffe eine künstliche Distanz aufrechterhal- Die Fotos für Königsberg, verzeih und post-… nahm Dmitry Vyshemirsky von ten wurde. Die durch äußere Kräfte aufgetragenen Schich- 1999 bis 2005 in der Region Kaliningrad ten temporärer Identität blättern zusehends ab, und nach auf. Er zeigte seine Arbeiten bereits auf der ostpreußischen tritt nun auch die sowjetische Epoche zahlreichen Solo- und Gruppenausstel- langsam in den Hintergrund. Vyshemirsky hat beide Phä- lungen in Russland, Polen, Litauen und nomene in den nüchternen Schwarz-Weiß-Aufnahmen Deutschland. von Königsberg, verzeih und dem darauffolgenden, äußerst Foto: Inna Vyshemirskaya ➀

➁ ➃ Ausgabe 4 BLICKWECHSEL WERKE 43 2016

MEHR ALS EINE FOTOSTORY Der serbische Fotograf Dragoljub Zamurović dokumentiert den Alltag von Donauschwaben in vier Ländern

Im 18. Jahrhundert waren sie nach Ungarn ausgewandert, Fotografen war die deutsche Geschichte von Knićanin eine insgesamt um die 400 000 Menschen. Mitte des 20. Jahr- Entdeckung, denn im Jugoslawien der Nachkriegszeit wurde hunderts mussten viele ihrer Nachkommen die Heimat an dieses Kapitel verschwiegen. »Vor dem Fotografieren frage der Donau infolge des Zweiten Weltkrieges wieder verlas- ich sie nach ihrem Leben, ihren Vorfahren und ihrer Her- sen. Als Spätaussiedler kam nach 1989 die letzte Welle mit kunft; auch nach Verfolgung, den Lagern und den vielen Auswanderern aus Rumänien nach Deutschland. Toten nach dem Zweiten Weltkrieg. Jeder von ihnen hat Donauschwaben – gibt es die überhaupt noch? Bei einer seine eigene Geschichte, die ich aufgeschrieben habe. Man- 2011 durchgeführten Volksbefragung in Ungarn bekannten che von ihnen sprechen offen über alles, andere trauen sich sich 132 000 Menschen zur deutschen Nationalität, zudem das nicht. Manche wollen sich auch nicht an die schweren gaben 32 000 Ungarn Deutsch als ihre Muttersprache an. Momente in ihrem Leben erinnern.« In Rumänien lebten 2012 noch 36 000 Deutsche. In dieser Zahl sind nicht nur die Banater Schwaben, sondern auch die Dragoljub Zamurović, der sonst für internationale Maga- Siebenbürger Sachsen enthalten. Auf die Suche nach den zine wie GEO, TIME und LIFE fotografiert, hat sich für dieses Donauschwaben begab sich im vergangenen Jahr der ser- Projekt mit dem Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm bische Fotograf Dragoljub Zamurović. Er fertigte eine Bild- zusammengetan. Dabei entstand eine Wanderausstellung, dokumentation der Donauschwaben in den Siedlungsge- die den Alltag der an der Donau verbliebenen deutschen bieten zwischen Budapest und Belgrad an. Minderheit dokumentiert – in Rumänien, Ungarn, Kroatien und in Zamurovićs Heimat Serbien. Dort lernte er in der Stadt Zamurović ist eigentlich bekannt für seine spektakuläre Apatin, einst die größte deutsche Gemeinde in der Batschka, Landschaftsfotografie, die er aus der Vogelperspektive mit Boris Mašić kennen. Er stammt aus der Familie Probst; sein einem Ballon oder einem Leichtflugzeug aufnimmt. »Als Großvater, ein Donaufischer, kam nach 1945 in einem Lager ich vor einigen Jahren an meinem Buch über die Region ums Leben. Mašić kümmert sich um das Inventar der zahl- Vojvodina arbeitete, besuchte ich den Ort Knićanin. Es reichen verlassenen und zerfallenden evangelischen und war das erste Mal in meinem Leben, dass ich etwas über katholischen Kirchen in der Vojvodina, der Region zwischen die Donauschwaben erfahren habe. Das hat mich so stark Belgrad und der ungarischen Grenze. Er sichert Bücher und berührt, dass die Idee zu einer Fotostory über die deutsche Protokolle aus den alten Pfarrbibliotheken, er rettet Skulptu- Minderheit entstand.« In der Gemeinde Knićanin, die sech- ren und kirchliches Inventar vor Kirchenräubern – so gut es zig Kilometer nördlich von Belgrad im serbischen Banat eben geht. Im vergangenen Jahr eröffnete er ein Museum in liegt und früher Rudolfsgnad hieß, lebten vor dem Zwei- der leerstehenden Herz-Jesu-Kirche in Apatin. Für den Foto- ten Weltkrieg etwa 3 000 Deutsche. Von 1945 bis 1948 war grafen Zamurović ist die Begegnung mit solchen Menschen hier eines der größten Lager für die deutsche Zivilbevölke- etwas ganz Besonderes: »Bei keiner meiner Fotoreportagen rung im ehemaligen Jugoslawien. Über 11 000 Menschen bin ich zuvor in so engen Kontakt mit den Menschen gekom- sind dort umgekommen, darunter viele Kinder. Für den men. Mit einigen der Donauschwaben, besonders mit den Älteren, sind freundschaftliche Beziehungen entstanden.« ➀ Boris Mašić mit einer Heiligenfigur aus der katholischen Kirche Christian Glass in Kolut (Serbien). Wie viele andere katholische und evangeli- sche Kirchen in der Batschka wurde auch die 1825 erbaute Kir- Christian Glass ist Museumsdirektor und Geschäftsführer der Stiftung che in Kolut im Jugoslawienkrieg 1991 ausgeraubt und teilweise Donauschwäbisches Zentralmuseum in Ulm (ž S. 56/57). zerstört. Boris Mašić sammelt die Überreste für sein Kirchenmu- seum in Apatin.  www.serbia-photo.com/index_en.php ➁ Auf dem verlassenen Familiengrab der deutschen Familie Grä- ber in Sonta (Serbien) haben Störche ihr Nest gebaut. ➂ Hugo Bemiler (Bömüller) und sein gleichnamiger Sohn in ihrer Das Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm zeigt die Ausstel- Schmiede in Karlowitz/Sremski Karlovci (Serbien) lung »Unter Anderen – Donauschwaben im südöstlichen Europa« ➃ Pfarrer Ignaz Fischer auf dem Stadtfriedhof von Temeswar/ Fotografische Momentaufnahmen von Dragoljub Zamurović Timișoara (Rumänien) bei der Beerdigung eines im Adam- vom 14. Oktober 2016 bis zum 17. April 2017. Müller-Guttenbrunn-Altersheim Verstorbenen Die Eröffnung findet am 13. Oktober um 19 Uhr statt.

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EINGEBRANNTE ERINNERUNGEN Wie ich dazu kam, die Geschichte meiner Banater Großmutter in einer Graphic Novel zu erzählen

Heimat kennenlernen. Während unserer Treffen erzählte mir meine Oma, woran sie sich erinnerte, von ihrer Flucht als kleines Kind bis hin zur Auswanderung nach Deutschland. Ich begann mich zu fragen, warum ich bisher so wenig über ihr Leben erfahren hatte – und auch über das meiner Mut- ter. Zum ersten Mal wurde mir klar, dass sie einen unvorstell- bar schweren Weg hinter sich hatten. Wie schwierig muss es gewesen sein, Unrecht und Entbehrung zu ertragen und fern der Heimat unter widrigen Umständen ein neues Leben zu beginnen?

Die Stärke der Frauen in meiner Familie beeindruckte mich sehr. Ich spürte aber auch, dass diese Stärke aus der Not ent- standen sein und eine gewisse Verschwiegenheit mit sich gebracht haben musste. Wer überleben will, hat keine Zeit für Trauer und Trauma. Wer seine Kinder schützen will, belas- tet sie nicht mit den Schrecken der Vergangenheit. Aber irgendwann kommt sicher der Moment, in dem Kinder wis- sen wollen, was damals passiert ist. Die Geschichte meiner Oma zu dokumentieren, hat mich ihr sehr nahe gebracht. Ich hoffe, dass das Wiedererleben der Geschichte, egal ob als Buch, Film oder Gespräch, für die Älteren heilsam und für die Jungen lehrreich ist. Gerade Als meine Uroma noch lebte, hat sie oft Geschichten aus jetzt, wo wieder viele Menschen auf der Flucht sind und in dem Banat erzählt, von dem Haus, in dem meine Oma und unserem Land ein sicheres Zuhause suchen, ist es notwen- auch meine Mutter aufgewachsen sind. Aber auch von Krieg dig, dass wir einander zuhören. Die eigene Geschichte kann und Entbehrung. An die meisten Geschichten kann ich mich man nicht ablegen. nicht erinnern, denn ich war noch sehr jung und wusste Annemarie Otten nicht, was Krieg bedeutet. Mit dem Älterwerden änderte sich das. Ich begann, mich für die Geschehnisse in der Welt zu interessieren. Meine Leidenschaft galt jedoch Büchern und Zeichnungen. So entdeckte ich die erzählerische Kraft von Annemarie Otten, 1989 in Hamburg Comics, denen es gelang, Vergangenheit lebendig werden geboren, hat Kommunikationsdesign zu lassen. Ich las Maus von Art Spiegelman und S von Gipi, und Animation in Kiel, München und Wales studiert. In ihrer Bachelor-Arbeit, beides Geschichten, in denen die Protagonisten die Erinne- der Graphic Novel Elternerde (2014), rungen ihrer Väter zum Leben erwecken. Mich berührte vor erzählt sie die Geschichte ihrer 1938 in allem das persönliche Schicksal der Figuren. Und ich meinte, Perjamosch/Periamoş geborenen Groß- in diesen Geschichten einen Zweck zu erkennen: den Ver- mutter. such, die eigenen Eltern zu begreifen, auf der Suche nach Annemarie Otten arbeitet als freiberuf- Herkunft und Identität. liche Illustratorin und Designerin. Außer- dem hat sie ein Studium der Kunstpädagogik an der Akademie Die Lebensgeschichte meiner Oma wollte ich erzählen, der Bildenden Künste in München aufgenommen. um zu verstehen, in welcher Familie ich aufgewachsen bin – Foto: Katharina Netolitzky und weil ihre Erinnerungen an das Banat mir so eingebrannt Alle Zeichnungen auf dieser Doppelseite: © Annemarie Otten sind, als seien es meine eigenen. Ich wollte diese andere  www.annemarieotten.de/elternerde/ EINE EUROPÄISCHE KULTURZEITSCHRIFT Das traditionsreiche Journal »Sudetenland« mit neuem Konzept und Layout

Der Adalbert Stifter Verein die Samtene Revolution von 1989, die Europäische Kultur- hat die seit mehr als fünfzig hauptstadt Pilsen und das Jahr 1945. Außerdem wurde die Jahren bestehende Viertel- Rubrik Forum jüngerer Übersetzer eingeführt, in der Texte jahresschrift zu Beginn des tschechischer Autoren in deutscher Sprache publiziert wer- Jahres 2014 mit dem Ziel den – etwa von Michal Ajvaz, Jan Balaban, Ondřej Buddeus, übernommen, sie zu einem Josef Čapek und Alena Zemančíková. Die Rubrik Orte der Ver- Forum des deutsch-tsche- mittlung stellt kulturelle Einrichtungen in Deutschland und chischen Kulturaustauschs Tschechien vor, darunter das Prager Literaturhaus deutsch- auszubauen. Sie wurde sprachiger Autoren, das Sudetendeutsche Musikinstitut in äußerlich und inhaltlich neu Regensburg und die Arbeitsstelle für deutschmährische Lite- konzipiert: Jedes Heft enthält ratur in Olmütz. Die Rubrik Diskussion lädt zum Meinungs- das Porträt einer überregio- austausch über kontroverse Auffassungen ein. nal bekannten Persönlich- Für das Jahr 2016 sind Porträts von Kaiser Karl IV. und der keit und einen thematischen Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach geplant. Schwerpunkt mit aktuellem Peter Becher oder historischem Bezug. Bislang wurden unter ande- Dr. Peter Becher ist Geschäftsführer des Adalbert Stifter Vereins München. rem der Schriftsteller Peter Kurzeck, der Dirigent Rafael Kubelik, der Komponist Bohuslav Martinů sowie die Maler Das Einzelheft kostet 9 € plus Versand, das Jahresabo 20 € ein- schließlich Versand in Deutschland. Bestellungen sind beim Hel- Oskar Kokoschka und Otto Herbert Hajek gewürdigt. Thema- mut Preußler Verlag in 90482 Nürnberg, Dagmarstr. 8 möglich. tische Schwerpunkte waren das Attentat von Sarajevo und

KÜSTRINER BILDERBOGEN Eine Zeitreise auf dem 25. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus

Es begann 1991 mit einer Filmschau, die der befürchteten Hauptstadt der Neumark auferstehen. Die knapp vierminü- Verdrängung osteuropäischer Filme aus den Kinos ent- tige Zeitreise kommt ganz ohne Worte aus, getragen einzig gegenwirken sollte. Heute ist das FilmFestival Cott- durch historische Stiche, Postkarten, Fotografien und die RO

bus einer der fünfzig renommiertesten Branchen- T P Musik von Abel Korzeniowski. Die statischen Vorlagen E O

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treffpunkte weltweit. Die 25. Edition wartete im E werden mit sparsam, aber wirkungsvoll gesetzten November 2015 mit mehr als 200 Filmen auf. Neben N Animationen zum Leben erweckt: Ein Schmuck- »großem Kino« wurde auch das Kurzfilmgenre gewür- stück blitzt auf, Fin-de-Siècle-Schönheiten neigen ihre digt. So lief im Vorprogramm der erfolgreichen deutsch- sorgsam frisierten Köpfe, ein Dampfer tuckert die Oder polnischen Koproduktion Unser letzter Sommer der Anima- entlang. Das nostalgische Behagen weicht einer wachsen- tionsstreifen Cüstrin – dzisiejszy Kostrzyn/Cüstrin – heute den Beklemmung, wenn im schneller werdenden Rhythmus Kostrzyn (2014). Aufmärsche, Panzer und Soldaten ins Bild kommen. Schließ- Natalia Oliwiak, geboren 1986 in Słubice, lässt hier die im lich liegt Küstrin in Schutt und Asche; die letzte Einstellung Zweiten Weltkrieg zu neunzig Prozent zerstörte ehemalige zeigt ein Kreuz inmitten von Ruinen. Der melancholische Schlussakkord einer eindrucksvollen Miniatur, die beispiel- Filmstill aus Cüstrin – dzisiejszy Kostrzyn, © Natalia Oliwiak haft für die Annäherung jüngerer polnischer Künstlerin- nen und Künstler an unsere gemeinsame Geschichte steht. Vera Schneider

Dr. Vera Schneider ist am Deutschen Kulturforum östliches Europa in Pots- dam als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig (ž S. 56/57).

Vom 8. bis 13. November 2016 findet das 26. FilmFestival Cottbus statt. Das Deut- sche Kulturforum östliches Europa ist dann Partner der Reihe Spuren suchen – deutsch- tschechisch-polnische Geschichte(n) im Wandel.  www.filmfestivalcottbus.de 47

SPITZWEGERICH Ein Performance- und Kunstfilmprojekt über Erinnerung und Identität

Das Performance- und Kunstfilmprojekt Spitzwegerich (eng- lisch: Plantain) wurde vom deutsch-italienischen Künstler- duo VestAndPage – Verena Stenke und Andrea Pagnes – im Zeitraum vom 6. Mai bis 13. Juni 2015 realisiert. Die Perfor- mance-Wanderung fand entlang der Fluchtstrecke der Groß- eltern von Verena Stenke im Januar 1945 aus Ostpreußen nach Schleswig-Holstein statt. Diese Strecke wurde von den Künstlern siebzig Jahre später in entgegengesetzter Rich- tung gelaufen. Den Weg und die begleitenden Kunstper- formances dokumentierte das Duo in einem Kunstfilm, der voraussichtlich im Frühjahr 2016 veröffentlicht wird. Auftraggeber war das Kulturzentrum Ostpreußen in Ellin- gen, das Projekt wurde durch die Staatsministerin für Kul- tur und Medien gefördert. Kooperationspartner während der Performance waren das Planungsbüro Heart of the City (Königsberg/Kaliningrad), die Stiftung Dom Samok (Inster- burg/Tschernjachowsk) und der Verein Georgenburg (Geor- genburg/Majowka). VestAndPage arbeitete außerdem mit dem amerikanischen Sound-Designer Douglas Quin und dem Berliner Violinisten Stephan Knies zusammen. Verena Stenke

»Das Projekt Spitzwegerich ist von Schönheit durchdrun- gen, ich bin sehr bewegt und danke Euch dafür, dass ihr es mit mir geteilt habt. Es lässt mich an meine eigenen Wege denken; an Pfade, die ich mich entschieden habe zu gehen und daran, wer mit mir auf diesen Pfaden ging, wer nicht mehr da ist, und wer in Zukunft da sein wird. Der Erinnerung, Liebe und Neugier nach unseren Wur- zeln auf diesem Wege zu huldigen ist sehr inspirierend.« Jessica Berlanga-Taylor, Kuratorin Stiftung Alumnos47, Mexiko-Stadt

»Ich gratuliere euch beiden zu eurer neuen Arbeit Spitzwe- gerich. Ich bin sicher, dass diese Aktion viele weitere kraft- volle Aktionen hervorrufen wird, da der Boden, auf dem ihr gehen werdet, so viele potente Erinnerungen enthält.« Quin Dukes, Journalistin, New York, April 2014

 Mehr Informationen zum Projekt: www.vest-and-page.de

 Wanderroute von VestAndPage während des Projekts u Stationen einer Reise: Lübeck, Zierow und Schloss Insterburg/ Tschernjachowsk (v. o. n. u.). © VestAndPage »WIE WIEN, NUR IM OSTEN« Die fast vergessene deutsche Geschichte zweier westukrainischer Metropolen

»In Stanislau ist die Geschichte der Deutschen immer weni- Wohl nur diejenigen, die um die Geschichte der Deut- ger sichtbar«, so Dieter Brüggemann, Mitglied des Hilfsko- schen in Galizien wissen, werden die beiden westukraini- mitees der Galiziendeutschen, über das heutige Iwano- schen Metropolen mit solchen Augen sehen. Für die meis- Frankiwsk in der Westukraine. In der Tat sorgt oft schon der ten anderen bleibt die Siedlungsgeschichte dieser beiden Name des Landstrichs für Irritationen. Gemeint ist nämlich Städte heute verborgen. Denn die deutschen Enklaven nicht das bekanntere spanische Galizien, sondern das ehe- gerieten ab 1939 in die Mühlen der internationalen Politik. mals zu Österreich-Ungarn gehörende namensgleiche Kron- Mit der Umsiedlung der Galiziendeutschen endete dieses land. Dorthin siedelten im 18. Jahrhundert, einem Ruf aus Kapitel ihrer Geschichte abrupt. Zwar blieben die Stadtbil- der Habsburgermonarchie folgend, vor allem Deutsche aus der ebenso davon geprägt wie die der Heimat beraubten der Pfalz über. Entweder wurden sie dort in bereits beste- Menschen, aber der Zahn der Zeit nagte an den histori- henden Ortschaften angesiedelt oder ihnen wurde die Neu- schen Städten – und die Erinnerungen der Galiziendeut- gründung eines Dorfes ermöglicht. schen drohten allmählich zu verblassen.

Stanislau war zu dieser Zeit bereits eine Stadt, die in Um diesem Umstand entgegenzuwirken, fasste das Hilfs- der Region die Ausstrahlung einer Metropole hatte. So ver- komitee der Galiziendeutschen schon 1951 den Entschluss, wundert es auch nicht, dass Theodor Zöckler dort die nach mit der Dokumentation der eigenen Geschichte zu begin- ihm benannten Zöckler’schen Anstalten gründete. Durch nen. Er wurde in der nachfolgenden Zeit sehr erfolgreich diese Diakonieeinrichtung wurde Zöckler zur Leitfigur vie- umgesetzt. Das Resultat war eine umfängliche Sammlung ler Galiziendeutscher. Noch heute sind einige Gebäude der an Archivalien – von Postkarten über Kirchenbücher bis hin Anstalten in Stanislau zu finden. Doch nicht nur Stanislau, zu Erinnerungsliteratur. Doch dieser reiche Schatz brachte sondern auch Lemberg – ukrainisch Lwiw – war ein Zen- alle Bemühungen um seine Erschließung an ihre Grenzen, trum des deutschen Lebens in Galizien. Von dort finden zumal im Hilfskomitee das Personal für eine professio- sich etwa Postkarten, die sowohl einen deutschen RO nelle Betreuung fehlte.

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als auch einen polnischen Aufdruck aufweisen, Die Lösung für das Fortbestehen des »Galizien-

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E aber auch Kuriositäten wie die ebenfalls zweispra- N deutschen Heimatarchivs« stellte die Aufnahme chigen Weihnachtsgrüße der Kaminfeger. An diesen in die Martin-Opitz-Bibliothek dar. Durch die fach- Einzeleindrücken lässt sich wunderbar das funktionie- kundige Betreuung vor Ort wird das Archiv systema- rende Nebeneinander der verschiedenen Identitätsgrup- tisch aufgearbeitet. Es kann so der Wissenschaft und der pen ablesen. So wurde auch das Stadtbild durch deutsche Öffentlichkeit immer besser zugänglich gemacht werden. Einflüsse mitgeprägt, weshalb Dieter Brüggemann die Stadt als »eine Besonderheit in der Ukraine« betrachtet, die sich Markus Albuschat dem Betrachter »wie Wien, nur im Osten« darstellt. Markus Albuschat studiert Geschichte und evangelische Theologie an der Hintergrundbild: Neujahrsgrußkarte der Kaminfeger aus Lemberg/ Ruhr-Universität Bochum. Diesen Artikel verfasste er unter Mitarbeit von Lwiw. Alle Abbildungen auf dieser Doppelseite stammen aus dem Dr. Arkadiusz Danszczyk im Zuge seines Praktikums an der Martin-Opitz- Galiziendeutschen Heimatarchiv in der Martin-Opitz Bibliothek. Bibliothek in Herne (ž S. 56/57). ➁ ➀

➀ Haus Bethlehem der Zöckler’schen Anstalten in Stanislau/ Iwano-Frankiwsk, Postkarte ➁ Übersicht der Gebäude der Zöckler’schen Anstalten, Postkarte ➂ Theater in Lemberg/Lwiw, Postkarte ➃ Weihnachtsgrüße aus den Zöckler’schen Anstalten ➃ ➃ Hetmanski-Wallen/Wały Hetmański in Lemberg/Lwiw, Postkarte

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KLEINDEUTSCH 1866 Die Schlacht von Königgrätz – ein unterschätzter Wendepunkt

Das vermeintlich glorreiche Jahr der »Reichsgründung« 1871 Ein Nebenkriegsschauplatz führte schließlich zur Kulmi- stellt weite Teile des 19. Jahrhunderts in den Schatten, jeden- nation des Konfliktes zwischen den beiden deutschen Groß- falls aus deutscher Sicht. Im Vorfeld aber spielte sich ein mächten. Als der dänische König noch Ende 1863 Schles- Drama ab, das eine vielhundertjährige Entwicklung end- wig seinem Königreich einzuverleiben trachtete, ließ sich gültig abschloss. Das 150. Gedenkjahr dieses Ereignisses soll Österreich auf einen gefährlichen diplomatischen Handel Anlass sein, daran zu erinnern. mit Preußen ein, sodass dieses Schleswig, jenes Holstein besetzte. Daraus resultierten vielerlei Konfliktfelder, zumal Schon während des Wiener Kongresses konnten die zwei die preußische Aspiration auf beide Länder klar war. Alles deutschen Großmächte Österreich und Preußen keinen rech- deutete auf Krieg als Ausweg aus diesem Dilemma. Ber- ten gemeinsamen Nenner finden und boten so den ande- lin rüstete dafür eifrig auf, Wien hingegen rüstete bereits ren Großmächten wiederholt Einflussmöglichkei- seit Jahren massiv ab und setzte auf Diplomatie. ten. Der eher provisorischen Charakter Dabei wollte weder Preußen die poli- tragende Deutsche Bund bildete tischen Zwänge des Vielvölker- zumal nach 1848/49 kei- staats Österreich nachvollzie- nen zufriedenstellenden hen noch vermochte sich Rahmen. Kaiser Franz letzteres dem National- Joseph von Öster- staatsprinzip anzu- reich lud in sei- nähern ohne sich ner Eigenschaft selbst in Frage zu als Vorsitzender stellen. Die Wie- 1863 zu einem ner Politik zielte deutschen Fürs- auf den Erhalt tentag nach des Deutschen Frankfurt am Bundes, während Main – ein letzter Preußen und die Versuch, den Deut- deutsche National- schen Bund zu refor- bewegung ihn als mieren und »Deutsch- überlebt ansahen. »In land zu einigen, um es Wien war man der Über- der Aufgabe gewachsen zu zeugung, das Recht einer machen, die es zum Gleichge- Nation auf den Nationalstaat sei wicht und zum Frieden Europas erfül- nicht höher einzustufen als das Recht len sollte« – wie der Kaiser selber schrieb. Ver- der Staatengemeinschaft auf institutionalisier- bunden war die Initiative mit dem Vorschlag einer deutschen ten Konsens.« (Helmut Rumpler) Es gab zudem beiderseits Regierung (Direktorium) und einer Art Volksvertretung. 28 Befindlichkeiten, die eine Verständigung unmöglich mach- Vertreter deutscher Länder und freier Städte kamen in Frank- ten: Während Wien schlichtweg seine jahrhundertealte Posi- furt zusammen, also eine nahezu vollständige Versamm- tion anerkannt und seine Ehre gewahrt wissen wollte, war lung. Aber Preußen fehlte. König Wilhelm I. hatte sich von Berlin nicht dazu bereit, sich vom hohen Ross der kräftigen, Bismarck gegen seine eigentliche Absicht von der Teilnahme aufstrebenden, die nationale Führung beanspruchenden abhalten lassen. Der Kanzler wollte das österreichische Vor- Macht zum Kompromiss herabzulassen. haben scheitern lassen und stellte Wien unannehmbare Bedingungen. Und die kleineren Staaten wollten ohne ein Die österreichisch-preußische Auseinandersetzung um Votum Preußens keine Entscheidung fällen. Somit war auch Schleswig-Holstein in der Bundesversammlung im Juni 1866 dieser letzte Vorstoß vergebens, den Deutschen Bund auf führte zunächst zum Einmarsch Preußens in Holstein, als eine neue Grundlage zu stellen. Folge zum Ausschluss Preußens aus dem Bund aufgrund Ausgabe 4 BLICKWECHSEL SZENE 51 2016

seines Rechtsbruchs, schließlich zur Rücktrittserklärung innerlich so geschwächt, dass er 1867 einem »Ausgleich« vom Bundesvertrag. Damit war der Deutsche Bund mit dem ungarischen Reichsteil zustimmen musste, der gesprengt, der »Deutsche Krieg« der beiden Großmächte längst nicht mehr nur nach liberaler Unabhängigkeit strebte. folgte auf dem Fuße. Die meisten deutschen Staaten stan- Rund die Hälfte des Vielvölkerstaates war damit dem chau- den auf der Seite Österreichs, das allerdings in der entschei- vinistischen Nationalismus der magyarischen Elite ausge- denden Schlacht im nördlichen Böhmen nur von sächsi- liefert, einschließlich des deutschsprachigen Zehntels die- schen Truppen unterstützt wurde. Am 3. Juli 1866 bereiteten ses Reichsteils. Österreich-Ungarn hatte zwar seinen Platz drei preußische Armeen den Truppen der österreichischen im europäischen Gleichgewicht und wurde zum wichtigs- Nordarmee in der Nähe von Königgrätz/Hradec Králové die ten Verbündeten des Deutschen Reiches, aber die visionäre entscheidende Niederlage. Preußen besetzte währenddes- Idee eines nicht-national definierten Europa wurde in König- sen Sachsen, Hannover und Kurhessen und schlug süddeut- grätz für die Dauer vieler Generationen zu Grabe getragen. sche Verbände. Zwar wurden Österreich und die süddeut- Die 150. Wiederkehr dieses Datums am 3. Juli 2016 ist also schen Länder in den folgenden Friedensverträgen verschont. durchaus (ge)denkwürdig. Preußen verleibte sich jedoch neben Schleswig-Holstein Harald Roth auch Hannover, Hessen-Kassel, Nassau und Frankfurt am Dr. Harald Roth ist Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa Main ein, vor allem aber zwang es Österreich zur Aner- e. V. (ž S. 56/57) kennung der Auflösung des Deutschen Bundes und damit t q Pickelhaubenverehrung auf der einen und Monarchieseligkeit zum Austritt aus dem Verbund der deutschen Länder. Der auf der anderen Seite: der ikonographische Umgang mit »König- Weg war frei für den Norddeutschen Bund unter preußi- grätz 1866« in Preußen – Bismarck und Moltke vor Schlachtenge- tümmel – und in Österreich – folkloristisch-feierliches Gedenken scher Vormacht und schließlich für einen deutschen »Nati- ohne Niederlage (S. 50: Farbillustration von Carl Röhling, Berlin onalstaat«. Der österreichische Kaiserstaat aber war nach 1897; S. 51: kolorierte Federlithographie von Franz Kollarz). Königgrätz und der Abtretung Venetiens auch © akg images 52 SZENE BLICKWECHSEL

BAROCK AUS BITS UND BYTES Die 3D-Rekonstruktion von Schlössern im ehemaligen Ostpreußen zeigt eine untergegangene Welt

Die Region des ehemaligen Ostpreußen stellt einen span- Das Projekt fördert die Zusammenarbeit zwischen Infor- nenden und lange Zeit vernachlässigten Forschungsgegen- matikern, Computergrafikern, Kunsthistorikern, Historikern, stand dar. Die Folgen von Kriegszerstörungen, Flucht, Ver- Architekten, Museumskuratoren, Filmproduzenten und Zeit- treibung und politischen Umbrüchen erschweren dabei den zeugen, außerdem projektbegleitende Seminare an den Erhalt und die Pflege des kulturellen Erbes. Besonders prekär Universitäten in Gießen, Greifswald und Posen sowie den ist die Situation im Falle der prominenten »Königsschlösser«. Technischen Universitäten in Darmstadt und in Warschau.

Am Herder-Institut in Marburg wird zurzeit das innova- Einen spannenden Teil der Arbeit bilden die Interviews tive Forschungsprojekt »Virtuelle Rekonstruktionen in trans- mit den einstigen deutschen und heutigen polnischen Ein- nationalen Forschungsumgebungen – das Portal Schlösser wohnern von Schlodien/Gładysze (Polen) und Friedrich- und Parkanlagen im ehemaligen Ostpreußen« im Bereich stein/Kamenka (Russland). Dank der projektbegleitenden Digital Humanities koordiniert. Das von der Leibniz-Gemein- Förderung seitens der Bundesbeauftragten für Kultur und schaft geförderte Projekt vereint neun Institutionen über Medien liegt seit dem Sommersemester 2015 ein Fokus auf Fachdisziplinen und Ländergrenzen hinweg, die neue Wege dem Schloss in Schlodien und seiner Parkanlage. Hierbei der Erschließung, Bewahrung und Vermittlung von Wissen werden Architekturstudenten in Darmstadt und in Warschau im digitalen Zeitalter erkunden und neue Dokumentati- sowie Studenten der Kunstgeschichte in Posen/Poznań an onsstandards für die digitalen 3D-Modelle rekonstruierter die Herausforderungen der virtuellen Forschungsumge- Kunst- und Bauwerke etablieren wollen. bung und der semantischen 3D-Modellierung herangeführt. Kernaufgabe ist die Entwicklung einer virtuellen For- Das Dokudrama Ostpreußens vergessene Schlösser im Auf- schungsumgebung, die eine webbasierte »Wiederauferste- trag der öffentlich-rechtlichen Sender begleitete das Projekt hung« der Schlösser in Bits und Bytes ermöglicht und die im Frühjahr 2015. Die Filmproduktion soll 2016 – ausgehend Ergebnisse nachhaltig sichert. Das Fehlen von Dokumen- von der virtuellen Rekonstruktion der beiden Barockschlös- tationsstandards für digitale 3D-Rekonstruktionen gefähr- ser – einer breiten Öffentlichkeit die Kultur- und Naturland- det den Erhalt des bereits erworbenen und zur Verfügung schaft in ehemaligen Ostpreußen vor Augen führen. gestellten Wissens. So führten die virtuellen Rekonstruk- Das Projekt wird von drei Museen in Lüneburg, Allen- tionen der letz- ten 25 Jahre zu »digitalen Ruinen«, stein/Olsztyn (Polen) und Königsberg/Kaliningrad (Russland) die heute – wenn überhaupt – nur mühsam begleitet. Eine Wanderausstellung zur Kultur des Hochadels zugäng- lich sind. im ehemaligen Ostpreußen wird gerade für das Jahr 2018 konzipiert. Geplant ist die Einbindung der virtuellen Rekon- struktion und der semantischen Datenbank in den Prototyp eines »Virtuellen Museums«, das den Besucher das interak- tive Eintauchen in eine untergegangene Welt am Bei- spiel der Schlösser in Schlodien und Friedrich- stein ermöglicht. Piotr Kuroczyński

Dr.-Ing. Piotr Kuroczyński ist beim Herder- Institut für historische Ostmitteleu- ropaforschung in Marburg (ž S. 56/57) als Projektko- ordinator tätig.

Digitales 3D-Modell des Schlosses Schlodien/Gładysze, © Herder-Institut 2015 SYMBOL FÜR FREIHEIT UND SELBSTVERWALTUNG Das Magdeburger Stadtrecht als Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas

Im östlichen Europa galt das Magdebur- Wichmann durch ein Privileg das Stadt- zum Beispiel in ger Recht über Jahrhunderte als Modell recht verbesserte, waren die Normen Breslau/Wrocław, für die Freiheiten einer Stadt des okzi- der städtischen Rechtsordnung, nach Posen/Poznań, Krakau/Kraków, Prag/ dentalen Europa. Es stellt zugleich, wie Gerhard Dilcher »eine bürgergemeind- Praha, Wilna/Vilnius, Kaunas/Kowno, es der Rechtswissenschaftler Heiner liche Stadtverfassung«, bereits aus- Ofen/Budapest, Minsk, Lemberg/ Lück ausdrückte, eine »Grundlage für geprägt. Gerade diese Stadtverfas- Lwiw und Kiew/Kyjiv. Die Kiewer Bür- das moderne Europa« dar. sung mit dem Dualismus von Rat und ger haben 1802 zu Ehren des Magde- Schöffenstuhl wurde ein Vorbild für die burger Stadtrechts sogar ein Denkmal Das Magdeburger Recht war eine rati- Städte in Mittel- und Osteuropa. errichtet, als der Zar ihre alten Privile- onale und verkehrsfreundliche Rechts- Seit dem Ende des 12. Jahrhun- gien auf der Grundlage des Magdebur- ordnung. Es brachte städtische Freihei- derts breitete es sich im Rahmen der ger Rechts bestätigte. ten mit sich, die zur Herausbildung der Siedlungsentwicklung nach Mit- RO Die Städte im Verbreitungsgebiet T P

Städte mit einem Bürgerverband führ- tel- und Osteuropa aus. Die- E O des Magdeburger Rechts leb-

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E ten. Seine Normen bewahr- ser Rechtstransfer erfolgte N ten nicht nur danach, son- ten die städtische Friedens- zusammen mit dem Sachsen- dern holten in juristischen ordnung und sorgten für spiegel, der Aufzeichnung des Fragen vom Magdeburger Schöf- Rechtssicherheit – sowohl ostfälischen Sachsenrechts von Eike fenkollegium Rechtsauskünfte ein. für die handel- und hand- von Repgow aus dem 13. Jahrhundert, Durch die Rechtsauskünfte seines werktreibenden Bürger sodass man heute im Hinblick auf die Schöffenstuhls entwickelte sich Mag- als auch für die auswärti- europäische Bedeutung beider Rechts- deburg zu einer Rechtsmetropole euro- gen Kaufleute. Das Mag- quellen vom sächsisch-magdeburgi- päischen Ranges. deburger Recht enthielt schen Recht spricht. Katalin Gönczi viele Gemeinsamkeiten Dr. jur. habil. Katalin Gönczi ist als wissenschaft- mit den modernen Kom- Zum Verbreitungsgebiet des säch- liche Mitarbeiterin an der Sächsischen Akademie munalverfassungen. Bis sisch-magdeburgischen Rechts ge- der Wissenschaften zu Leipzig tätig. heute hat es im östlichen hören die historischen Landschaften Osteuropa eine Art Sym- der heutigen Länder Polen, Tsche- bolcharakter; es steht für chien, der Slowakei, Ungarn, Rumä- p Siegel des Magdeburger Schöffenstuhls, persönliche Freiheit und nien, der Ukraine, Litauen und Weiß- © Landesarchiv Sachsen-Anhalt Selbstverwaltung. russland. Fast sechs Jahrhunderte lang galt das Magdeburger Recht in Mittel- t Denkmal des Magdeburger Rechts in Kiew, Foto: Thomas Nawrath Das Stadtrecht der und Osteuropa. Die Zahl der Siedlun- ursprünglichen Erzbi- gen, in denen es die Rechtsordnun- schofsstadt Magdeburg gen prägte, schätzt man auf 1 000. Das Das kulturelle Erbe des sächsisch- entwickelte sich im Laufe Magdeburger Recht förderte die Stadt- magdeburgischen Rechts wird seit des 12. Jahrhunderts. Im entwicklung in vielen heutigen Me- 2004 im Rahmen eines interdisziplinä- Jahre 1188, als Erzbischof tropolen in Mittel- und Osteuropa, so ren Projekts an der Sächsischen Aka- demie der Wissenschaften zu Leipzig unter der Leitung von Prof. Dr. Heiner Lück (Universität Halle-Wittenberg) erforscht. Unter Mitwirkung von Exper- ten vor Ort wird dabei der Rechts- und Sprachtransfer nachweisbar und es werden die Merkmale einer »europäi- schen Stadt des Mittelalters« auch im östlichen Europa transparent. STADTSCHREIBERIN TRIFFT STADTSCHREIBER Wolftraud de Concini über Johannes von Saaz, seinen Geburtsort und den »Ackermann aus Böhmen«

Freitag, 12. Juni 2015 In Saaz schrieb er um das Jahr 1400 die Dichtung, die ihm Da bin ich ja als Stadtschreiberin in allerbester Gesellschaft. bis heute einen Platz in der Literaturgeschichte sichert: den Auch Johannes von Saaz war Stadtschreiber. Eben im nord- Ackermann aus Böhmen. In 34 Kapiteln hadert ein Acker- böhmischen Saaz, das heute Žatec heißt, zur Freude der mann mit dem Tod, der ihm seine junge Frau genommen (nicht nur) böhmischen Biertrinker viel Hopfen anbaut und hat. Mit Klagen und Anklagen gelingt dem Johannes von gerade plant, ein Museum zum deutsch-tschechisch-jüdi- Saaz, von Tepl und besonders von Schüttwa hier eines der schen Zusammenleben nach ihrem illustren Bürger Johan- bedeutendsten Werke der spätmittelalterlichen deutschen nes von Saaz zu benennen. Stadtschreiber war er allerdings Literatur. schon im 14./15. Jahrhundert. Er wurde auch nicht mit einem Das Dorf Schüttwa wird heute nur an Wochenenden und Stipendium honoriert wie ich, sondern mit Hühnern, Eiern, im Sommer lebendig, die 300 Einwohner der Vor-Vertrei- Ferkeln, Gänsen und Käse (was in Krisenzeiten wohl allen bungszeit sind auf etwa 70 gesunken. Auf eine Neubele- Stadtschreibern gelegen käme), durfte Wein, Bier und Met bung wartet auch noch die nahe, ebenfalls verlassene Ort- ausschenken und den Fleischhauerzins erheben. Und das schaft Pivoň. Eine touristische Attraktion könnte hier das alles brachte ihm immerhin soviel ein, dass er in Saaz und mittelalterliche, ehemalige Augustinerkloster werden, das später in Prag ein Haus erwerben konnte. Was diese Stadt- mit spätgotischen, allerdings recht lädierten Fresken auf- schreiber-Einkünfte des Mittelalters mit Pilsen zu tun haben? warten kann. Aufwarten könnte. Zur Zeit ist die baufällige Der Dichter und Notar Johannes, von dem hier die Rede Anlage eingezäunt und abgeriegelt. ist, war nicht nur als Johannes von Saaz bekannt, sondern Wolftraud de Concini ist auch als Johannes von Tepl in die Geschichte eingegan- gen. Und als Johannes von Schüttwa. Und Schüttwa heißt p Fassade des ehemaligen Augustinerkloster von Stockau/Pivoň auf Tschechisch Šitboř, hat an die 70 Einwohner und liegt im Plzeňský kraj, in der Region Pilsen, im Südwesten der Kultur- Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Stadtschreiberblog von hauptstadt Europas 2015 und in der Luftlinie nur ein Dutzend Wolftraud de Concini. Die Autorin wurde 1940 in Trautenau/Trut- Kilometer von der tschechisch-deutschen Grenze entfernt. nov im nordöstlichen Böhmen geboren und von dort 1945 mit Wahrscheinlich war Johannes um das Jahr 1350 hier in ihrer Familie zwangsausgesiedelt. Sie studierte Philosophie, Schüttwa geboren, vielleicht als Johannes, Sohn des Henslin, Kunstgeschichte, vergleichende Literaturwissenschaft, Romanistik oder als Johannes Henslini. Wer wird das heute noch nach- und Volkskunde. Seit 1964 lebt sie in Italien und ist als Publizistin weisen können. Es muss aber eine recht einträgliche Ort- und Fotografin tätig. Foto: © Matteo Lorenzi schaft gewesen sein; denn Adelige und Klöster der Umge- Das Projekt »Stadtschreiberin Pil- bung machten sie sich streitig. Johannes dürfte dann die sen/Plzeň 2015« wurde vom Deut- schen Kulturforum östliches Lateinschule des Stifts Tepl, des heutigen Prämonstratenser- Europa in Zusammenarbeit mit klosters Teplá, besucht haben (daher sein zweiter Name dem Künstlerresidenzprogramm Johannes von Tepl). Ab 1383 wird er als Stadtschreiber in Open A.I.R. der Kulturhauptstadt- Saaz/Žatec bezeugt, wo er eben all die oben angeführten gesellschaft Plzeň 2015 – Evropské Privilegien genoss, von denen heutige StadtschreiberInnen hlavní město kultury durchgeführt. nur träumen können.  stadtschreiberin-pilsen. blogspot.de 55 RUSSLANDDEUTSCHE FORSCHUNGEN Juniorprofessur in Osnabrück zur Migration und Integration von Spätaussiedlern

Eine Juniorprofessur für die Migra- meiner Mitarbeiterin Anna Flack, die die Studierenden mit tion und Integration der Russland- sich als Nahrungsmittelethnologin mit der russlanddeut- deutschen? So etwas gibt es? Solche den Essgewohnheiten der Russland- schen Thematik ver- oder ähnliche Fragen werden mir gele- deutschen in Sibirien und Deutschland traut. Unser Ziel gentlich gestellt, und das Erstaunen ist befasst. Dass die Professur am Institut ist es dabei, das verständlich: Diese von der Bundesbe- für Migrationsforschung und Interkul- Thema Spätaus- auftragten für Kultur und Medien geför- turelle Studien (IMIS) der Universität siedler als fes- derte Professur, welche ich seit Septem- Osnabrück angesiedelt ist, ist dabei ten Bestandteil ber 2014 innehabe, ist die erste ihrer Art kein Zufall: Es ist die führende inter- von Forschung in der Bundesrepublik. Sie ist Ausdruck disziplinäre Forschungseinrichtung in und Lehre und der Notwendigkeit, mehr über eine der Deutschland für Fragen der Migration. letztlich der deutschen Zeitgeschichte größten und doch am wenigsten sicht- Im Rahmen des Masterstudien- und Migrationsgesellschaft zu eta- baren Zuwanderergruppen in Deutsch- gangs Internationale Migration und blieren. land zu erfahren. Interkulturelle Beziehungen (IMIB) Jannis Panagiotidis Thematisch steht die Professur auf fließen unsere aktuellen Forschungen Jun.-Prof. Dr. Jannis Panagiotidis ist Historiker zwei Standbeinen: der historischen auch direkt in die Lehre ein. Durch akti- und Migrationsforscher. Er wurde 2012 am Euro- und der ethnologischen Migrations- ves forschendes Lernen mit schriftli- päischen Hochschulinstitut in Florenz promoviert. forschung. Ein besonderer »Leckerbis- chen Quellen und bald auch in Feld- p Russlanddeutscher Riebelkuchen, sen« ist dabei das Forschungsprojekt forschungsprojekten machen sich © Anna Flack

EINE UNBESCHWERTE JUGEND? Das Zeitzeugenprojekt des Kulturzentrums Ostpreußen zur Lebenswelt des ostpreußischen Adels

Derzeit besteht die letzte Gelegen- daher mit der Realisierung eines neuen Bis ins Jahr 2015 sind 16 Interviews heit, durch persönliche Befragungen Zeitzeugenprojekts unter dem Titel geführt worden. Die interessantesten die besondere Lebenswelt des ostpreu- Unbeschwerte Zeit!? – Jugendjahre auf Passagen fanden Platz auf zwei CDs. ßischen Adels zu dokumentieren, die ostpreußischen Gütern und Landschlös- Dazu entstand ein Begleitheft mit zahl- 1945 unwiderruflich zu Ende ging. Im sern. reichen Abbildungen und kurzen Tex- Frühjahr 2014 begann das Kulturzen- Vertreter von adligen Familien, um ten zu den Wohnsitzen und Familien. trum Ostpreußen in Ellingen/Bayern 1945 im jugendlichen Alter, wurden zu Bei der Vermittlung von Interviewpart- zahlreichen Themen befragt, etwa zu nern war Hans-Heinrich v. Knobloch ihren Wohnsitzen, zu Kindheitserlebnis- und der von ihm geleitete Verband sen oder zum Alltagsleben. Aber auch »Der Historische Ostpreußische Adel« die Stellung der Familie zur damaligen behilflich. Finanzielle Unterstützung Politik und die Flucht aus Ostpreußen stellte das Bayerische Staatsministe- waren Gegenstände der Interviews. rium für Arbeit und Soziales, Familie Die unterschiedlichen Perspektiven der und Integration zur Verfügung. Gesprächspartner zeichnen ein facet- Wolfgang Freyberg tenreiches Bild Ostpreußens und sei- Wolfgang Freyberg ist Direktor des Kulturzen- nes dort oft schon jahrhundertelang trums Ostpreußen in Ellingen/Bayern (ž S. 56/57). lebenden Adels. Bewertungen der the- matisierten Handlungen und Ereignisse wurden von den Herausgebern nicht Die CDs mit Begleitheft können zum Preis vorgenommen, sie bleiben dem Nut- von 9 € zuzügl. Versandkosten beim Kul- zer selbst vorbehalten. turzentrum Ostpreußen bestellt werden. EIN THEMA MIT VIELEN FACETTEN Bund und Länder fördern Institutionen, die sich der deutschen Kultur und Geschichte im östlichen Europa widmen

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Ⓘ Ⓙ ⓯ Ⓕ ❿ ⒶⒷ ⓰ Ⓞ Ⓒ ❽ Ⓖ ❸ ❻ Ⓓ ⒽⓀⓂⓃ Ⓛ Ausgabe 4 BLICKWECHSEL SZENE 57 2016

Vom Bund geförderte Einrichtungen

Förderung nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG), bei ❷ nach Artikel 91b des Grundgesetzes

• Die Beauftragte der Bundesregierung Einrichtungen der Kulturvermittlung ⓭ Pommersches Landesmuseum* für Kultur und Medien Rakower Straße 9 • D–17489 Greifswald ❻ Adalbert Stifter Verein e. V.* Willy-Brandt-Straße 1 • D–10557 Berlin Telefon: +49 (0)3834 8312-0 Hochstraße 8 • D–81669 München Referate K 44 und K 45 www.pommersches-landesmuseum.de Telefon: +49 (0)89 622716-30 (Kultur und Geschichte der Deutschen [email protected] www.stifterverein.de im östlichen Europa) [email protected] Graurheindorfer Straße 198 ⓮ Schlesisches Museum zu Görlitz* Schönhof, Brüderstraße 8 D–53117 Bonn ❼ Deutsches Kulturforum D–02826 Görlitz [email protected][email protected] östliches Europa e. V. Telefon: +49 (0)3581 8791-0 Berliner Straße 135 | Haus K1 www.schlesisches-museum.de Bundesinstitut D–14467 Potsdam [email protected] ❶ Bundesinstitut für Kultur und Telefon: +49 (0)331 20098-0 Geschichte der Deutschen im östlichen www.kulturforum.info ⓯ Siebenbürgisches Museum Europa (BKGE) [email protected] Schloss Horneck Johann-Justus-Weg 147 a D–74831 Gundelsheim/Neckar D–26127 Oldenburg Museen Telefon: +49 (0)6269 90621 Telefon: +49 (0)441 96195-0 ❽ Donauschwäbisches www.siebenbuergisches-museum.de www.bkge.de Zentralmuseum* [email protected] [email protected] Schillerstraße 1 • D–89077 Ulm ⓰ Stiftung Kunstforum Telefon: +49 (0)731 96254-0 Ostdeutsche Galerie Forschungseinrichtungen und www.dzm-museum.de Dr.-Johann-Maier-Straße 5 Bibliotheken [email protected] D–93049 Regensburg ❷ Herder-Institut für historische ❾ Haus Schlesien Telefon: +49 (0)941 29714-0 Ostmitteleuropaforschung Dollendorfer Straße 412 www.kunstforum.net Institut der Leibniz-Gemeinschaft D–53639 Königswinter-Heisterbacherrott [email protected] ⓮ Gisonenweg 5–7 • D–35037 Marburg/Lahn Telefon: +49 (0)2244 886-0 Telefon: +49 (0)6421 184-0 ⓱ Westpreußisches Landesmuseum* www.hausschlesien.de www.herder-institut.de Franziskanerkloster [email protected] [email protected] Klosterstraße 21 • D–48231 Warendorf ❿ Kulturzentrum Ostpreußen Telefon: +49 (0)2581 92777-0 ❸ Institut für deutsche Kultur und Schlossstraße 9 www.westpreussisches-landesmuseum.de Geschichte Südosteuropas e. V. (IKGS) D–91792 Ellingen/Bayern [email protected] an der Ludwig-Maximilians-Universität Telefon: +49 (0)9141 8644-0 München www.kulturzentrum-ostpreussen.de Stiftung Flucht, Vertreibung, Halskestraße 15 • D–81379 München [email protected] Versöhnung Telefon: +49 (0)89 780609-0 ⓲ Stiftung Flucht, Vertreibung, www.ikgs.de • [email protected] ⓫ Museum Europäischer Kulturen Versöhnung Staatliche Museen zu Berlin ❹ Institut für Kultur und Geschichte der Mauerstraße 83/84 • D–10117 Berlin Preußischer Kulturbesitz Deutschen in Nordosteuropa e. V. Telefon: +49 (0)30 2062998-0 Koordinierung Ostmittel- und (IKGN)/Nordost-Institut www.sfvv.de • [email protected] Südosteuropa an der Universität Hamburg Im Winkel 8 • D–14195 Berlin Conventstraße 1 • D–21335 Lüneburg Telefon: +49 (0)30 2664 26813 Telefon: +49 (0)4131 40059-0 www.smb.museum/mek www.ikgn.de • [email protected] [email protected] * = Einrichtung mit Kulturreferent/in. ❺ Stiftung Martin-Opitz-Bibliothek Kulturreferenten entwickeln mit eigenen ⓬ Ostpreußisches Landesmuseum* Förderetats Projekte der kulturellen Berliner Platz 5 • D–44623 Herne Heiligengeiststraße 38 Bildung und sind Ansprechpartner der Telefon: +49 (0)2323 162805 D–21335 Lüneburg Heimatvertriebenen. www.martin-opitz-bibliothek.de Telefon: +49 (0)4131 75995-0 [email protected] www.ostpreussisches-landesmuseum.de [email protected] 58 Von den Ländern getragene oder geförderte Einrichtungen*

BADEN-WÜRTTEMBERG BAYERN Ⓝ Sudetendeutsches Museum ➞ ❽ Donauschwäbisches ➞ ❿ Kulturzentrum Ostpreußen (im Aufbau) Hochstraße 8 Zentralmuseum ➞ ⓰ Stiftung Kunstforum Ostdeutsche Galerie D–81669 München Ⓐ Donauschwäbische Kulturstiftung Telefon: +49 (0)89 480003-0 des Landes Baden-Württemberg Ⓖ Bukowina-Institut an der www.sudetendeutsche-stiftung.de Schlossstraße 92 Universität Augsburg Ⓞ Sudetendeutsches Musikinstitut D–70176 Stuttgart Alter Postweg 97a Ludwig-Thoma-Straße 14 Telefon: +49 (0)711 66951-26 D–86159 Augsburg D–93051 Regensburg www.dskswb.de Telefon: +49 (0)821 577067 Telefon: +49 (0)941 9100-1341 www.bukowina-institut.de Ⓑ Haus der Heimat des Landes www.bezirk-oberpfalz.de Baden-Württemberg Ⓗ Collegium Carolinum Schlossstraße 92 Hochstraße 8 HESSEN D–70176 Stuttgart D–81669 München Ⓔ Kulturstiftung der deutschen Telefon: +49 (0)711 66951-0 ➞ Telefon: +49 (0)89 552606-0 Vertriebenen www.hdhbw.de www.collegium-carolinum.de MECKLENBURG-VORPOMMERN Ⓒ Institut für donauschwäbische Ⓘ Egerland-Museum Pommersches Landesmuseum Geschichte und Landeskunde Fikentscherstraße 24 ➞ ⓭ Mohlstraße 18 D–95615 Marktredwitz NIEDERSACHSEN D–72074 Tübingen Telefon: +49 (0)9231 3907 Telefon: +49 (0)70719992-500 www.egerlandmuseum.de ➞ ⓬ Ostpreußisches Landesmuseum www.idglbw.de Ⓙ Haus der Heimat Nürnberg NORDRHEIN-WESTFALEN Ⓓ Institut für Volkskunde der Imbuschstraße 1 ➞ ⓱ Westpreußisches Landesmuseum Deutschen im östlichen Europa D–90473 Nürnberg Goethestraße 63 Telefon: +40 (0)911 8002638 Gerhart-Hauptmann-Haus D–79100 Freiburg/Breisgau Ⓟ www.hausderheimat-nuernberg.de Bismarckstraße 90 Telefon: +49 (0)761 70443-0 D–40210 Düsseldorf www.jkibw.de Ⓚ Haus des Deutschen Ostens Telefon: +49 (0)211 1699111 Am Lilienberg 5 www.g-h-h.de Ⓔ Kulturstiftung der deutschen D–81669 München Vertriebenen Telefon: +49 (0)89 449993-0 Oberschlesisches Landesmuseum Kaiserstraße 113 Ⓠ www.hdo.bayern.de Bahnhofstraße 62 D–53113 Bonn D–40883 Ratingen Telefon: +49 (0)228 91512-0 Ⓛ Isergebirgs-Museum Neugablonz Telefon: +49 (0)2102 9650 kulturportal-west-ost.eu Bürgerplatz 1 www.oberschlesisches-landesmuseum.de D–87600 Kaufbeuren Ⓕ Siebenbürgen-Institut an der Telefon: +40 (0)8341 96 50 18 SACHSEN Universität Heidelberg www.isergebirgs-museum.de Schloss Horneck ➞ ⓮ Schlesisches Museum zu Görlitz D–74831 Gundelsheim am Neckar Ⓜ Sudetendeutsche Akademie der Telefon: +49 (0)6269 4210-0 Wissenschaften und Künste SCHLESWIG-HOLSTEIN www.siebenbuergen-institut.de Hochstraße 8/III Ⓡ Academia Baltica D–81669 München Akademieweg 6 Telefon: +49 (0)89 48000348 D–24988 Oeversee www.sudetendeutsche-akademie.de Telefon: +49 (0)4630 550 * = Ergänzungen und Korrekturen dieser Übersicht werden an die Redaktion erbeten. www.academiabaltica.de

Blickwechsel. Deutsche im östlichen Europa »Die deutsche Vergan- – eine Entdeckung genheit im Osten Euro- Dokumentarfilm mit Animations- und Spielszenen pas war für mich ein Länge: 10‘ • Buch und Regie: Die Kulturingenieure, abgeschlossenes Kapi- Berlin • Eine Produktion im Auftrag des Deutschen tel, eine fremde Welt. Kulturforums östliches Europa, Potsdam 2016. Der Film kann auf dem YouTube-Kanal des Deut- Und ich hätte nie geglaubt, dass sie schen Kulturforums östliches Europa abgerufen für mich irgendeine Bedeutung haben werden und ist als DVD kostenfrei bestellbar unter könnte. Bis ich Menschen traf, die [email protected]. meinen Blick veränderten.« Marcin Wiatr Literarischer Reiseführer Oberschlesien 424 S., Integralbroschur m. Lesebändchen Mit zahlr. farb. u. S.-W.-Abb., Kurzbiogr., ausführl. Registern u. zweispr. Karten € 19,80 ISBN 978-3-936168-71-6 Deutsches Kulturforum östliches Europa, Potsdam 2016

Roswitha Schieb Breslau/Wrocław Ein kunstgeschichtlicher Rundgang durch die Stadt der hundert Brücken Mit zahlr. farb. u. S.-W.-Abb., 64 S., gebunden. € 12,95 ISBN 978-3-7954-2951-5 Deutsches Kulturforum östliches Europa, Potsdam in Kooperation mit dem Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2015

Breslau/Wrocław. Ein kunstgeschichtlicher Rundgang durch die Stadt der hundert Brücken von Roswitha Schieb wird am 20. März 2016 um 12 Uhr auf der Leipziger Buchmesse, Café Europa, Halle 4, Stand E401 präsentiert. Der Literarische Reiseführer Oberschlesien von Marcin Wiatr wird ebenfalls am 20. März 2016 um 12.30 Uhr am selben Ort vorgestellt. Hintergrundfoto: Jahrhunderthalle/Hala Stulecia, erbaut 1911–1913 von Max Berg, © Stanisław Klimek

Impressum Herausgeber: Deutsches Kulturforum östliches Europa e. V. Berliner Straße 135, Haus K1 D–14467 Potsdam www.kulturforum.info [email protected] © 2016. Alle Rechte vorbehalten. Diese Publikation wurde gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa e. V. dankt allen Institutionen und Privatpersonen für die erteilten Reproduktionsgenehmigungen und die freundliche Unterstützung bei der Realisierung dieser Zeitschrift. Die Abbil- dungen haben die beitragenden Institutionen zur Verfügung gestellt, externe Bildgeber und Rechteinhaber wurden in den Bildunterschriften vermerkt. Personen und Institutionen, die darüber hinausgehende Rechte an den verwen- deten Bildern beanspruchen, werden gebeten, sich nachträglich mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa e. V. in Verbindung zu setzen. Redaktion: Dr. Vera Schneider V. i. S. d. P.: Dr. Harald Roth Die namentlich gekennzeichneten Beiträge geben die Meinung der Autorin/des Autors wieder, nicht die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers. Gestaltung und Satz: Hana Kathrin Stockhausen Druck und Bindung: Druckerei ARNOLD, Großbeeren Das Journal Blickwechsel erscheint einmal im Jahr beim Deutschen Kulturforum östliches Europa e. V. Es kann gegen eine Schutzgebühr von 2,50 € zzgl. Porto beim Stuttgarter Verlagskontor bezogen und abonniert werden (Bestel- lungen per Mail unter [email protected] oder per Telefon unter 0711/6672 1483, unter Angabe der Bestellnummer DF111). Ein kostenfreier Download der digitalen Version ist unter www.kulturforum.info möglich. ISSN 2195-9439 Deutsches Kulturforum östliches Europa Berliner Straße 135, Haus K1 14467 Potsdam Tel. +49(0)331 20098-0 Fax +49(0)331 20098-50 www.kulturforum.info [email protected]

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