POLNISCHE SENSENMÄNNER

»Gewaltige Kraft, die im Volke steckt«* Daniela Fuchs-Frotscher

Als polnische Sensenmänner werden freiwillige Kampfabteilungen, vor allem Bauern, bezeichnet, die mit Kampfsensen bewaffnet waren. Sie sind seit dem Ko´sciuszko-Aufstand von 1794, mit der siegreichen Schlacht bei Racławice gegen russische Truppen, zu einem Symbol für Heldentum, Tapferkeit und Mut gewor- den, obwohl der Aufstand letztlich mit einer Niederlage endete. Traditionell be- stand ihre Kleidung aus einem langen hellen Bauernkittel. Ihre Fahne mit der Devise Sie ernähren und sie verteidigen (Z˙ ywią i bronią) weist auch auf ihre gesell- schaftliche Rolle hin. Am 24. März 1794 hatte Tadeusz Ko´sciuszko (1746-1817) mit regulären Einheiten und Sensenmännern einen letzten Versuch gewagt, die polnische Unabhängigkeit zu sichern. Die Niederschlagung des Aufstandes führ- te zur dritten Teilung und zur Auflösung des polnischen Staates. Sensenmänner kämpften auch bei den späteren Erhebungen von 1830 / 1831, 1848 und 1863 / 1864. Die Sensenmänner, auch Sensenträger genannt, benötigen große physi- sche Kraft und Geschicklichkeit. Piotr Aigner (1758-1841) entwickelte eine Anlei- tung zum Gebrauch einer Kampfsense, die im Jahre 1794 unter dem Titel Eine kurze Lehre über Piken und Sensen erschien. Darin beschreibt Aigner u.a. das Um- schmieden des Sensenmessers um einen Winkel von 90 Grad, so dass es mit dem langen Sensenschaft eine Linie bildet, und erklärt weiterhin, wie ein einzel- nes Teil, z.B. der Griff, zu verstärken ist. In Deutschland gab es Sensenmänner vor allem zu Zeiten der Bauernkriege von 1524 / 1525.

Der Zufall wollte es, dass zwei berühmte Schlachten in Deutschland und Polen, an denen Sensenmänner einen entscheidenden Anteil hatten, in großen Panoramabil- dern dargestellt wurden. Im Jahre 1987 beendete der ostdeutsche Maler Werner Tübke (1929-2004) das Monumentalbild Frühbürgerliche Revolution in Deutschland im eigens geschaffenen Panorama-Museum in Bad Frankenhausen. In dem thürin- gischen Ort fand 1525 eine der bedeutendsten Schlachten des Deutschen Bauern- krieges statt, die mit einer Niederlage für die aufständischen Bauern unter der Füh- rung von Thomas Müntzer (1489-1525) endete. Über 100 Jahre vor Tübkes Werk gestalteten die Maler (1858-1925) und Wojciech Kossak (1857-1942), die das Panorama der Schlacht bei Racławice 1794 schufen, jenen Moment, der für den Sieg der Polen entscheidend war. Zu sehen sind vorwärts stürmende Sensenmänner, angeführt von Tadeusz Ko´sciuszko, der mit erhobenem Säbel auf das Angriffsziel weist. Das Panoramabild ist 1894 in Lem- berg der Öffentlichkeit übergeben worden und gehört heute zu den touristischen 312 Polnische Sensenmänner

Attraktionen → Wrocławs. Der Unterschied in der Bedeutung der beiden Bildern beruht darauf, dass der Sensenmann von Tübke sich auf eine »klassische« Bot- schaft des Bauernkrieges beschränkt, während das Werk von Styka und Kossak für viele Jahre zum Inbegriff des heldenhaften Kampfes polnischer Bauern für die Frei- heit des Vaterlandes wurde. Maler und Bildhauer schufen eine symbolische Verbin- dung zwischen dem Volk und Tadeusz Ko´sciuszko, indem sie den Feldherrn häufig in einem Bauernkittel darstellten. Auch im erwähnten Panoramabild trägt er diese Kleidung, obwohl Ko´sciuszko erst nach der siegreichen Schlacht seine Generalsuni- form mit diesem bäuerlichen Gewand vertauscht hatte. Ein namentlich bekannter Sensenmann war der Bauer Wojciech Bartosz (1756-1794), später Głowacki ge- nannt, der während der Schlacht bei Racławice ein russisches Geschütz eroberte und die noch brennende Lunte mit seiner Mütze löschte. Der deutsche Dichter Johann Gottfried Seume (1763-1810) erlebte als Sekretär des russischen Generals Otto Heinrich von Igelström (1737-1817) die Kämpfe in Warschau hautnah mit. Obwohl auf der gegnerischen Seite, zollte er Ko´sciuszko Respekt. Über dessen Sensenmänner notierte er: »Den Nutzen seiner Sensenträger hat noch kein Militär gehörig einsehen können. Die Pike ist eine fürchterliche Waffe, und wenn sie gut und zweckmäßig gebraucht wird, von schrecklicher Wirkung.«1 Nach der Niederlage des Aufstands, nach Gefangenschaft und Emigration nach → Amerika starb Ko´sciuszko 1817 in der Schweiz. Seinen Sarkophag in der Wawel- Kathedrale in Krakau zieren sich kreuzende Sensen und Piken. Den Schnittpunkt verdeckt die typisch polnische Mütze, die Rogatywka. Dieses Motiv findet sich auch im Wappen der heutigen Gemeinde Racławice wieder. Ungezählt sind die romantischen Gedichte und Lieder, die auch noch in späteren Jahren an den polnischen Nationalhelden und seine Sensenmänner erinnern. In einer Zeile eines Gedichts der Schriftstellerin Maria Konopnicka (1842-1910) heißt es: »Es fliegen die Adler, es blinken die Sensen ...«2 Und (1838-1893) vereinte in einem seiner Monumentalbilder (1888) die Sensenmänner, Ko´sciuszko und Głowacki mit der Mütze auf der eroberten Kanone, aber auch die nur halbher- zig dem Aufstand gefolgten Vertreter der . In Janowiczki, auf dem ehemali- gen Schlachtfeld von Racławice, schuf im Jahre 1994, zum 200. Jahrestag des Sie- ges, der bekannte polnische Bildhauer Marian Konieczny (*1930) ein Denkmal für den Helden Głowacki, der, auf einer Kanone stehend, die Arme hoch erhoben, in der linken Hand eine umgeschmiedete Sense hält. In ähnlicher Pose ist er auf dem bereits 1904 eingeweihten Denkmal des Krakauer Bildhauers Władysław Korpala im Zentrum der Stadt Tarnobrzeg zu sehen. Polinnen und Polen aus allen drei polni- schen Teilungsgebieten und dem Exil hatten damals dafür Geld gespendet. Sensenmännern begegnet man auch in Stanisław Wyspia´nskis (1869-1907) 1901 in Krakau uraufgeführtem Drama Die Hochzeit. Das Universaltalent Wyspia´nski, ein führender Vertreter des polnischen Jugendstils (Młoda Polska), widmete sich neben der Malerei dem Schauspiel. In der Hochzeit mischen sich Realität und Phantasie. Es ist ein Spiel voller Symbolik und gleichzeitig eine Abrechnung mit nationalen