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Kultur

Hause. Er hat alles am liebsten hier zu Hause in Childwickbury gemacht. FILM SPIEGEL: Fürchtete Ihr Mann – als Kon- trollfreak berüchtigt – Situationen, die er nicht selbst ganz im Griff hatte? „Er war einfach schüchtern“ Kubrick: Nein, er hatte einfach Angst, etwas Blödes zu sagen. Er litt. Warum sollte er Christiane Kubrick über ihre Ehe mit dem sich so etwas immer wieder antun? SPIEGEL: Vielleicht um der Legendenbil- Filmregisseur , dessen Öffentlichkeitsscheu dung entgegenzuwirken. Ihr Mann galt im- und seinen letzten Film „“ mer mehr als ein misanthropischer Eremit. Kubrick: Stanley meinte: „Wenn ich das Maul halte, dann hört das irgendwann auf.“ SPIEGEL: Aber es hörte nicht auf. Kubrick: Nein, die Erfindungen wurden im- mer grotesker. Irgendein Magazin hat sogar behauptet, er sei im klinischen Sinn abso- lut verrückt geworden. Darüber hat er sich wirklich geärgert. Und deshalb fing er schließlich an, darüber nachzudenken: „Wie kann ich der Welt mitteilen, wie rei- zend ich in Wirklichkeit bin? Dass ich kein solches Arschloch bin, das seinen Garten mit Insektiziden besprüht, auf Touristen schießt, nicht schneller als 30 Meilen mit J. LEIGHTON / NETWORK LEIGHTON J. RONALD GRANT ARCHIVE dem Auto fährt und nur Fetzen trägt?“ Das Ehepartner Christiane Kubrick (1999), Stanley Kubrick (1980) war ein paar Monate vor seinem Tod. Und deshalb rede ich jetzt mit Ihnen. Die Schauspielerin der am 7. März im Alter von 70 Jahren SPIEGEL: Reden wir über das Jahr 1957.Wa- Christiane Kubrick, die sich damals Su- starb. Sein letzter Film „Eyes Wide Shut“ ren Sie damals eine erfolgreiche, aufstre- sanne Christian nannte, galt in den fünf- wird am Mittwoch die Filmfestspiele bende Schauspielerin? ziger Jahren als talentierte Film- und in Venedig eröffnen und läuft nächste Kubrick: Ich selber meinte das, ja. Theaterdarstellerin. 1932 in Braunschweig Woche in den deutschen Kinos an. Chris- SPIEGEL: Und von heute aus betrachtet? geboren, heiratete sie 1958 den US-Re- tiane Kubrick, 67, lebt mit der ältesten Kubrick: Ich habe in ein paar guten Insze- gisseur Stanley Kubrick („2001: Odyssee ihrer drei Töchter und drei Enkelkindern nierungen an den Münchner Kammerspie- im Weltraum“, „A Clockwork Orange“), bei St. Albans nördlich von London. len mitgewirkt – und in ein paar sehr schlechten Filmen. SPIEGEL: In Deutschland wurden ja damals SPIEGEL: Frau Kubrick, hätte es Ihrem Mann darüber zu banalisieren, im Fall Stanley eigentlich nur schlechte Filme gedreht. gefallen, dass Sie mit Journalisten reden? Kubrick nicht noch eine eigentümliche Kubrick: Und die habe ich alle mitgemacht. Kubrick: Nein, Stanley mochte keine Inter- Angst vor der Öffentlichkeit dazu? Aber ich war noch sehr jung und sehr doof. views. Er empfand sich selbst als unge- Kubrick: Er war einfach schüchtern. Es fing SPIEGEL: Kubrick hat Sie damals im Fern- heuer langweilig. damit an, dass er nicht gern ausging. Er sehen gesehen. Was haben Sie gespielt? SPIEGEL: Mit dieser Einschätzung stand er empfand das als Unterbrechung seiner Ar- Kubrick: Eine Rolle in einer Bearbeitung ziemlich allein da. beit. Er gab aber gern Gesellschaften zu von Tschechows „Drei Schwestern“, glau- Kubrick: Langweilig im Ver- be ich. Ich musste mit einer gleich zu seinen Filmen wohl- Espressomaschine hantieren. gemerkt. Er meinte, was er zu SPIEGEL: Die kommt aber bei sagen hatte, könnte er nicht Tschechow nicht vor. besser ausdrücken als durch Kubrick: Nein, es war moder- seine Filme, über die er so nisiert – oder was man da- lange nachgedacht hatte. Als mals dafür hielt. Stanley such- er 1997 eine Dankesrede hal- te eine deutsche Schauspiele- ten sollte zur Verleihung des rin für seinen Film „Wege Griffith Awards, hat er sich zum Ruhm“, den er damals selbst hier im Haus gefilmt. in München vorbereitete, mit Er hatte Lampenfieber, es war Kirk Douglas in der Haupt- eine Katastrophe – und wir rolle. Wir haben uns im Stu- haben ihn auch noch ausge- dio in Geiselgasteig getroffen, lacht. Als er sich das Video und er hat mich engagiert. später ansah, ist er selbst fast Noch vor Beginn der Drehar- erstickt vor Lachen. Er war beiten, es war Faschingszeit, ein sehr humorvoller Mensch. wurde das Kammerspiel- Aber wenn er eloquent über Ensemble für einen bunten seine Filme sprechen sollte, Abend ausgeliehen – eine fiel ihm nichts ein. Riesenhalle voller betrunke- SPIEGEL: Kam zu der notori- ner kostümierter Leute. Stan-

schen Angst von Künstlern, BROS. WARNER ley hatte von einem Freund ihre Werke durch das Gerede „Eyes Wide Shut“-Stars Cruise, Kidman: Ehequal aus Seelenschlamperei gehört, dass ich dort sei; so

196 der spiegel 35/1999 Kultur hat er mich gefunden.Als die Dreharbeiten Kubrick: Ganz so war es nicht. Ich habe SPIEGEL: Was Kubricks Filme teuer gemacht anfingen, waren wir längst ein Paar. Weih- ihm damals gesagt, ich fände das ein ganz hat, waren aber nicht die Sofas, sondern die nachten 1957 sind wir dann nach Kalifor- schreckliches Thema. Er wollte wissen war- extrem langen Drehzeiten. Und dass im- nien gezogen. um, und schon ging es los ... mer wieder Projekte scheiterten. Wie weit SPIEGEL: Und die Idee, Ihre Karriere als SPIEGEL: Gab es noch mehrere Anläufe, die waren zum Beispiel die Pläne für seinen Schauspielerin mit ihm oder ohne ihn in „Traumnovelle“ zu verfilmen? Holocaust-Film gediehen? Amerika fortzusetzen, kam Ihnen nie? Kubrick: Ja, aber von Beginn an stand fest, Kubrick: Sehr weit. Es gab ein Drehbuch Kubrick: Ich wollte eigentlich schon immer dass die Geschichte nicht wie bei Schnitz- nach dem Bestseller „Lügen in Zeiten des Malerin werden, konnte damit aber kein ler im Wien der Jahrhundertwende spielen Krieges“ von Louis Begley. Der Film soll- Geld verdienen. In Amerika habe ich sofort soll, sondern im New York von heute. Und te in Bratislava und vor allem in Brünn ge- angefangen, Malerei zu studieren. Das ist Woody Allen sollte die Hauptrolle spielen. dreht werden – man brauchte eine Stadt, bis heute mein Beruf geblieben. SPIEGEL: Woody Allen für die Rolle, die die so aussah wie Warschau vor dem Krieg. SPIEGEL: Stanley Kubricks letzter Film schließlich übernommen hat? Es war bereits genehmigt, das Stadtzen- „Eyes Wide Shut“ beruht auf Arthur Kubrick: Ja, aber Allen trum für ein Wochenen- Schnitzlers „Traumnovelle“ und wird die- sollte nicht komisch sein, de zu sperren und überall se Woche die Filmfestspiele in Venedig sondern ganz ernsthaft ei- Nazi-Fahnen aufzuhän- eröffnen. Angeblich hat Ihr Mann diese nen jüdischen Arzt spie- gen. Aber dann haben Idee seit Jahrzehnten verfolgt. len. Doch dann hat Stan- Stanley und Warner Bro- Kubrick: 1968, nach der Premiere von „2001: ley die Idee fallen lassen. thers das Ganze abge- Odyssee im Weltraum“, schwankte Stanley Im Nachhinein war das blasen. für sein nächstes Projekt zwischen zwei gut so, denn die Lösung SPIEGEL: Warum das? Büchern: Anthony Burgess’ „A Clockwork mit und Kubrick: Der Erfolg von Orange“ und Schnitzlers „Traumnovelle“. Tom Cruise ist ideal. Stan- „Schindlers Liste“ hat SPIEGEL: Wer hat ihn darauf gebracht? ley wollte ein Ehepaar eine große Rolle gespielt. Kubrick: Er hat sich seine Stoffe immer sel- zeigen, bei dem beide Es wäre schwierig gewe- ber gesucht. Manchmal hat er zum Spaß in Partner in jeder Hinsicht sen, ein oder zwei Jahre einen Haufen Bücher blind hineingegrif- erfolgreich sind und de- später mit dem gleichen fen und gesagt: Das ist es! nen eigentlich nichts im Thema herauszukom- SPIEGEL: Haben Sie die beiden Bücher da- Wege steht. Trotzdem fan- men. Zumal Stanley so mals auch gelesen? gen sie an, sich zu quälen etwas schon einmal erlebt

Kubrick: Ja, mir gefiel „A Clockwork – aus Seelenschlamperei. TELEBUNK hatte, als Oliver Stones Orange“ besser. Für Schnitzler war ich SPIEGEL: Die in „Eyes Darsteller Christian, Douglas (1957) Vietnam-Film „Platoon“ noch zu dumm. Ich habe nicht gemerkt, Wide Shut“ von Nicole 1986 kurz vor Stanleys wie gut der ist.Aber Stanley hat’s gemerkt. Kidman gespielte Alice hat nicht überall „“ in die Kinos kam. Das SPIEGEL: Trotzdem hat er sich erst einmal Erfolg, ihre Kunsthandlung ist Pleite ge- hatte natürlich den Erfolg beeinträchtigt. für „A Clockwork Orange“ entschieden. gangen. Jetzt hängen die unverkäuflichen SPIEGEL: Hat Kubrick auch andere Stoffe Kubrick: Schnitzler ist besser geeignet für Bilder in der Wohnung des Paares – Bilder, aus der Nazi-Zeit erwogen? jemanden, der schon ein bisschen älter und die in Wirklichkeit Sie gemalt haben. Kubrick: Er hatte so viele Projekte. Eine reifer ist. Schließlich geht es in der „Traum- Besonders charmant von Ihrem Mann war Zeit lang wollte er einen Film über Veit novelle“ um die Ehe, um Treue. das nicht. Harlan machen. SPIEGEL: Nicole Kidman erzählt, Sie hät- Kubrick: Ja, ich war ungeheuer beleidigt SPIEGEL: Wie sind eigentlich Sie, eine ge- ten Ihren Mann damals gebeten, die Finger (lacht). Ich habe nicht mal ein Honorar borene Harlan, mit dem Regisseur des von der „Traumnovelle“ zu lassen – weil bekommen. Auch unsere roten Sofas, auf Hetz-Films „Jud Süß“ verwandt? Sie Angst um Ihre Ehe gehabt hätten. denen wir jetzt sitzen, standen in der Film- Kubrick: Er ist mein Onkel. wohnung von Tom und Nicole. Stanley hat SPIEGEL: Haben Sie ihn noch erlebt? * Vor dem Kubrick-Anwesen bei St. Albans. gespart, wo er konnte. Kubrick: Natürlich. Auch Stanley hatte durch mich Veit damals in München ken- nen gelernt. Doch Stanley hat sich nicht nur für ihn interessiert. Er hätte gern einen Film gedreht über das absolut normale Le- ben unter der Schirmherrschaft von Joseph Goebbels. Leider hat sich das ganze Mate- rial aber nie zu einem Filmstoff zusam- mengefügt. SPIEGEL: Hat ihn die monatelange Postpro- duktion von „Eyes Wide Shut“ sehr er- schöpft? Kubrick: Am 1. März hat er den Film in New York den Warner-Brothers-Chefs so- wie Nicole und Tom vorführen lassen, und alle waren sehr begeistert. Insofern hatte Stanley eine ganz besonders glückliche Woche vor seinem Tod. SPIEGEL: Und Sie hatten sich auch sonst nie Sorgen gemacht über seine Arbeitswut? Kubrick: Nein, eigentlich nicht. Es hat ihn nur angestrengt, wenn er nicht arbeiten

J. LEIGHTON / NETWORK LEIGHTON J. konnte. Dann war er wirklich unglücklich. Kubrick-Grab*: „Stanley hatte vor seinem Tod eine besonders glückliche Woche“ Interview: Urs Jenny, Martin Wolf

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