Carsten Schröder Der NS-Schulungsstandort Lockstedter Lager

Carsten Schröder

Der NS-Schulungsstandort Lockstedter Lager Von der „Volkssportschule" zur SA-Berufsschule „Lola I"

1. Vorbemerkung

Dieser Beitrag zur nationalsozialisti- Als Quellen für diesen Text wurden schen Vergangenheit im Kreis Stein- vor allem die Ausgaben der Jahrgänge burg ist auf Grundlage der Recherche 1929 bis 1939 der nationalsozialisti- für eine Examensarbeit zur ersten schen Schleswig-Holsteinischen Tages- Staatsprüfung im Lehramt an beruf- zeitung (SHT) ausgewertet, die mikro- lichen Schulen entstanden und als über- verfilmt u.a. im Itzehoer „Gemeinsamen arbeiteter Auszug dieser Hausarbeit zu Archiv der Stadt und des Krei- bezeichnen.' Schwerpunkt und Titel der ses " vorliegt. Auch der auto- Arbeit waren „Institutionen nationalso- biografische Roman Söldner und Soldat zialistischer Jugenderziehung in einer von Bodo Uhse,3 eines damaligen ländlichen Region". Neben den hier in Redakteurs der Zeitung, lieferte einige Lockstedter Lager beschriebenen Ein- Impulse sowie eine Observationsalcte richtungen wurden die NSKK-Motor- des preußischen Inneruninisteriums,4 sportschule in Itzehoe-Nordoe und das die sich heute im Landesarchiv Schles- Landjahrlager in Wacken untersucht. wig befindet. Zu letzteren Einrichtungen gibt es aber Wissenschaftliche Erwähnung fand bereits neuere Veröffentlichungen2, so die SA-Berufsschule Lockstedter Lager dass sich der hier vorliegende Text aus in einem Aufsatz des Berufspädagogen regionalhistorischer Perspektive auf Teil- Martin Kipp, der in dieser Einrichtung aspekte in der Entwicklung des SA- vor allem eine Maßnahme zur Privile- Standortes Lockstedter Lager beschränkt. gierung alter „SA-Kämpfer" sieht.5

2. Der Ort

Lockstedter Lager — , Wiese einen Schießplatz ein, der sich oder in Kurzform, auch heute noch nach 1895 zu einem der bedeutendsten verwendet, „Lola" und ‚Hob": Das sind Truppenübungsplätze des Deutschen Rei- zwei Namen derselben Gemeinde im ches entwickelte. Einschließlich der kai- Kreis Steinburg, etwa acht Kilometer serlichen Soldaten zählte das Locksted- nordöstlich von Itzehoe. Im Jahr 1865 ter Lager in Spitzenzeiten vor dem Er- richtete Preußen hier auf der grünen sten Weltkrieg bis zu 20.000 Bewohner.

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Abb. I: Das Gebäude der Volkssportschule in einer Aufnahme aus der Kaiserzeit

Diese Anfangsphase der Ortsge- sozialistischen Parteien einen Stimmen- schichte, die als „Glanzzeit" regional- anteil von über 70% erreichten und die geschichtlich breit, allerdings überwie- Revolution von 1918 ihre Spuren hin- gend unkritisch dokumentiert ist,6 en- terließ.9 Doch um so deutlicher fiel der dete mit dem Friedensvertrag von Umschwung nach rechts aus: Bei der Versailles, der eine starke Reduzierung Reichstagswahl im Juli 1932 kam die der Reichswehrtruppen vorsah. Danach NSDAP auf nahezu 80% der Stimmen, wurden die Flächen der Gemeinde, die dagegen lag sie in den umliegenden auch heute noch die größte Landfläche Bauerndörfern deutlich niedriger.10 Als aller Landgemeinden Schleswig-Hol- Erklärung kann unter anderem ange- steins aufweist, an Siedler aus den in- nommen werden, dass die Soldaten, die folge des Ersten Weltkriegs verlorenen sich hier nach dem Ersten Weltkrieg als Ostgebieten und an rückkehrende Sol- Siedler versuchten, enttäuscht ein star- daten7 zur landwirtschaftlichen Nutzung kes Missverhältnis zwischen ihren wirt- übergeben. Ein Teil der militärischen schaftlichen Erwartungen und den mäßi- Einrichtungen wurde geschleift. Die gen Ergebnissen feststellen mussten. Umwandlung des Militärgeländes in Aber auch das militaristische Gehabe Ackerland nach dem Ersten Weltkrieg der Nationalsozialisten wird hier auf dem soll sehr mühsam gewesen sein, einige alten Truppenübungsplatz unter den gaben das Vorhaben auf.8 ehemaligen kaiserlichen Soldaten und Einer der ersten SA-Stürme der Freikorpskämpfern seine prädestinierten Provinz Schleswig Holstein entstand in Anhänger leicht gefunden haben. Lockstedter Lager, dort wo 1919 die In der Zeit des „Dritten Reiches" wur-

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Carsten Schröder Der NS-Schulungsstandort Lockstedter Lager den die noch vorhandenen Militärbau- Leidenschaftlich war in den fünfziger ten aus der Kaiserzeit beispielsweise für Jahren die Diskussion um die Ortsbe- die SA erneut genutzt und an deren nennung: Einige Gewerbetreibende und Bedürfnisse angepasst; außerdem ent- Teile der Bevölkerung befürworteten stand zusätzlich eine Rüstungsproduk- die Umbenennung in „Hohenlockstedt", tionsstätte. In der „Heeres-Munitionsan- um den Begriff „Lager" loszuwerden, stalt" (MUNA) arbeiteten bis Kriegs- da das überregionale Ansehen durch ende ca. 4.000 Menschen, vor allem diesen Begriff, der die Assoziation zum Frauen, Zwangsarbeiterinnen und -ar- KZ nahe legt, beeinträchtigt sei und der beiter verschiedener Nationen. 11 Nach Geschäftsumsatz sinken könnte. Tradi- dem Zweiten Weltkrieg wiederholte tionalisten („Alteingesessene") beriefen sich die starke Inanspruchnahme der sich auf die längst verblichene Militär- vorhandenen Struktur (leerstehende Ge- kultur des Kaiserreiches und wollten bäude, große Landflächen) durch Men- das „Lager" behalten. Die Freiwillige schen aus zerstörten Städten und durch Feuerwehr beispielsweise hat die Na- Flüchtlinge aus dem Osten. Diesmal mensänderung von 1956 bis heute nicht kamen auch Gewerbebetriebe, weil die vollzogen. Die Andersartigkeit der Ge- Gebäudesubstanz aus der Kaiserzeit und meindesozialstruktur in Hohenlockstedt die in der NS-Zeit errichteten MUNA- (1994: ca. 5.800 Einwohneri2) war noch Bauten noch intakt und reichlich war. vor wenigen Jahren zu spüren.13

3. „Volkssportschule Lockstedter Lager" (1925 — 1934)

Bereits im Frühjahr 1929, so erinnerte Lockstedter Lager — Itzehoe zu schla- sich Bodo Uhse, war er zu Besuch bei gen." Herbert Selle war einer der er- der SA des Lockstedter Lagers, die als sten, mit denen Uhse in seiner Itzehoer kampferprobteste und erfahrenste Trup- Zeit in Kontakt kam; der spätere pe der Provinz galt: „Sie wurde überall Kommunist, Emigrant und DDR-Kul- eingesetzt, wo es hart auf hart ging." In turfunktionär Uhse vermittelt in seinem „Herbert Selles Sportschule" sammelten ersten Roman ein plastisches Bild vom sich „die jungen Idealisten aus den „Sozialverhalten" in der frühen „NS- Bünden der bürgerlichen Jugendbewe- Bewegung". gung zu Übungswochen voll harter Hauptmann a.D. Herbert Seile, der Zucht." Uhse selbst wurde als Redner die Geländesportschule in Räumen des für die Freistunden der Lagerteilnehmer örtlichen „Hotel Kaiserhof' betrieb, engagiert, um „politische Aufklärungs- wurde 1962 vom Ortschronisten Gliß- arbeit"14 zu leisten; er vergaß nicht, mann erst für den November 1932 seine von der Münchener Parteilinie erwähnt: „Einsichtsvolle Männer aus abweichende Meinung darzulegen, und militärischen und politischen Kreisen schilderte eines der exzessiven Trink- hatten erkannt, daß die ungenutzte Kraft gelage, die in einer wilden Fahrt mit der deutschen Jugend [...] zu verküm- Herbert Selles Auto gipfelten, „um mern drohte. Es fanden sich daher jedesmal den Rekord auf der Strecke einige ideal-denkende Männer bereit,

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Abb. 2: Herbert Seile

Die Frage, welche po- litische Bedeutung die- se „Sportschule" hatte, stellte sich aber schon 1928/29 das preußi- sche Innenministerium in Berlin.16 Die „Sport- schulen Mirow GmbH", die in Mirow (Meck- lenburg), Lockstedter Lager und in Hochburg (bei Neubrandenburg)17 Einrichtungen betrieb, hatte für ihre „Volks- sportbewegung", die vorgab, in der Tradi- tion von Fichte und John zu stehen, finan- zielle Zuschussmittel beantragt. Doch offen- bar hatte man Gerüchte gehört, Herbert Seile sei NSDAP-Mitglied, und er würde nicht [...] die der Jugend innewohnende Kraft allein nur zur „körperlichen Ertüchti- in geordnete Bahnen zu lenken. Daß gung" ausbilden. Außerdem war dem darüber hinaus die Ausrichtung der Gei- preußischen Innenministerium die Finan- steshaltung auf allgemein-ethische Be- zierung der Einrichtungen völlig unklar, griffe, verbunden mit der Hinlenkung an und so führte man Observationen durch, die alten deutschen Ideale der Ehre, der wobei die Berichte aus Lockstedter Freiheit, der Manneszucht, der Kame- Lager von der schleswig-holsteinischen radschaft und der Verbundenheit zum Provinzialverwaltung in Schleswig re- Deutschtum schlechthin erstes und daktionell bearbeitet wurden. Die Geld- oberstes Ziel war, ist aus den Zuständen quellen der Volkssportschule waren für und Verhältnissen jener Jahre durchaus die Regierung nicht nur wegen des erklärlich. [...] Es kann nicht schaden, Zuschusses interessant, sondern man an dieser Stelle festzustellen, daß diese vermutete auch, dass hier die Reichs- Geländesportschulen keinen parteipoli- wehr unter Umgehung des Versailler tischen Charakter hatten, sondern aus- Vertrages verkappt militärische Ausbil- 18 schließlich nationalpolitische Ziele ver- dung durchführen ließ und fmanzierte. folgten. Die Parteipolitik wurde erst in Die Observationsberichte führten zu späteren Jahren dort hineingebracht. '15 dem Ergebnis, dass Herbert Selle ehe-

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Abb. 3: Die Berufsschule mit Appellplatz in einer ehemaligen kaiserlichen Kaserne maliges Parteimitglied (1920 — 1924) ge- ßend über den Parteitag Vorträge. wesen war und dass im Umfeld der Aufgrund der detaillierten Observa- Sportschulen eine ganze Reihe rechts- tionen konnte auch einiges über die radikaler Personen festgestellt werden Lehrgangsteilnehmer herausgefunden konnte. Auch fanden in der Freizeit der werden. 1929 wurden insgesamt 192 Sportschulteilnehmer Vortragsveranstal- männliche Teilnehmer an den jeweils tturgen mit Personen statt, die „fana- dreiwöchigen Lehrgängen gezählt. 101 tische NSDAP-Anhänger" seien.19 Da „Sportschüler" (52,6%) waren im Alter Seile im Winterhalbjahr an der land- zwischen 16 und 20 Jahren, 76 zwi- wirtschaftlichen Schule in Itzehoe als schen 21 und 30, 14 zwischen 31 und Sportlehrer beschäftigt war, wurde er 40 und einer über 40. Die Berufe wie- auch hier — ohne disziplinarische Folgen sen aus: 6 Beamte, 31 Landwirtssöhne, — überprüft. Die Untersuchung der 66 Angestellte, 9 Selbstständige, 9 Stu- Teilnehmerlisten der Sportschule ergab, denten, 28 Schüler und 17 Lehrlinge.21 dass ein erheblicher Teil NSDAP- Der größte Teil der Teilnehmer kam aus Nahestehende die Schule besuchte. Schleswig-Holstein, einige wurden von Seile wurde angeblich bei einem Be- ihren heimatlichen (Sport-)Vereinen22 gräbnis von SA-Männern im Frühjahr zur Geländesportschule „einberufen". 1929 in Dithmarschen zusammen mit Keiner der Teilnehmer konnte „linken" Hitler gesehen.20 Eine Fahrt zum Organisationen zugeordnet werden. Ein Reichsparteitag desselben Jahres habe Lehrgang des Jahres 1930 fand als er unterschlagen, er sei auf Fortbildung „Ausbildung zum SA-Gruppenführer" gewesen; dennoch hielt Seile anschlie- statt, die Ausbildung von Turn- und

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Sportwarten soll jedoch in dieser „Füh- zeichnet würden. Seile hatte sich auch rerschule"23 die vorrangige Aufgabe ge- einmal eine Menge Sprengstoff besorgt, wesen sein. angeblich um ein Bauwerk zu sprengen. Die Lehrgänge umfassten ca. 25 Per- Die an dem — nahezu umzerstörten — sonen, die in Zwei- bis Vierbettzim- Objekt vorgefundenen Spuren ließen mern in dem Hotelgebäude unterge- jedoch den Schluss zu, dass nicht eine bracht waren. In militärischem Stil ging große, sondern viele kleine Sprengun- es morgens um sechs mit Wecken und gen vorgenommen worden seien, even- Frühgymnastik („Morgengebet") noch tuell um „Dritte" darin zu unterwei- vor dem Frühstück los. Danach wurden sen,24 nicht um wirklich ein altes „volkstümliche" Übungen wie „Kugel- Bauwerk zu entfernen. Auch hatte sich stoßen, Laufen, Springen, Werfen" Seile möglicherweise weiteren Spreng- durchgeführt; besonderer Wert wurde stoff illegal besorgt, und man hegte den aber auf Geländeübungen gelegt, die Verdacht, er sei eventuell an Spreng- 25 „die beste Wirkung auf den Gesamt- stoffanschlägen beteiligt gewesen. menschen auslösen". Auch der „ver- Die Schleswiger Provinzregierung be- nünftige Boxsport", von dem es hieß, fürchtete offenbar, dass sich unter dass „nur durch einen solchen Kampf- Selles Anleitung terroristische Gewalt- sport die für das Leben notwendige tätigkeit entwickeln könnte. Selbstsicherheit geschaffen werden" Seile war aber so vorsichtig, dass er könne, und das Kleinkaliberschießen, während seiner Zeit in Lockstedter das „Körperbeherrschung, Selbstzucht Lager nicht belangt wurde. Auch war er und unbedingte Ruhe" erfordere, gehör- nur der Übungsleiter der Schule, wäh- ten zum Trainingsprogramm. rend formal die Verantwortung für die Zum Abschluss musste jeder Teilneh- Anstalt bei dem Oberst a.D. Graßmann mer selbst den Übungsbetrieb anleiten in Kiel lag, der später einer der regio- und damit seine Führerqualitäten unter nalen Funktionäre des „Dritten Reiches" Beweis stellen. Dazwischen gab es war.26 Manchmal wurden ausgerechnet theoretischen Unterricht in den Fächern die Gruppen, in denen sich die Infor- „Körperlehre, Übungslehre, Geschichte manten der Provinzregierung befanden, der Leibesübungen und Volkskunde in besonderen körperlichen Strapazen aus- großen Zügen", am Abend wurden dann gesetzt, ohne dass eine Schießübung gemeinsam im Freien „alte und neue stattfand. Aufgrund der Indizien, der Marschlieder" gesungen. Am Ende Presseberichterstattung und des Umfel- stand die Erfahrung, „was es heißt, in des im Lockstedter Lager mit seinem aufrichtiger Kameradschaft einem Man- hohen Stimmenanteil für die NSDAP nes- und Führerttun entgegen[zu]stre- erscheint eine parteipolitische Neutrali- ben, für das zu leben es wert erscheint". tät der Volkssportschule wenig denk- Der Tagesablauf wies für einige bar. Ein Hinweis darauf ist auch die Gruppen auch Kartenübungen aus; ins- belobigende NSDAP-Presse, die Her- gesamt waren es Inhalte, die nach bert Seile erhielt, als er mit Wirkung vom heutigem Maßstab als paramilitärische 1. März 1931 zum Polizeikommandeur Ausbildung in Wehrsportgruppen be- in Braunschweig berufen wurde.27

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Der Sportschulbetrieb schlief durch Nach der so genannten Machtergrei- den Fortgang des Übungsleiters zu- fung übernahm die SA die Geschäfte nächst ein. Aber noch im selben Jahr des Reichskuratoriums am 21. Septem- ergriff die örtliche SA unter ihrem ber 1933 und damit ebenfalls die Schule Gruppenführer Schoene28 die Gelegen- in Lockstedter Lager, die mit der schon heit und nutzte die Gebäude nunmehr vorhandenen, ehemals von Herbert Seile ausschließlich für die „Geländesport- betriebenen SA-Einrichtung fusionieren ertüchtigung" von SA-Leuten. Somit musste.33 Die SA-Volkssportschule kann die formale Übernahme der wurde im Herbst 1934 geschlossen und Volkssportschule durch Nationalsozia- nach Leck bei Flensburg verlegt.34 listen auf Sommer bis Herbst 1931 Die Beweislast, es habe sich bei der datiert werden.29 Sportlicher Leiter war „Volkssportschule" des Herbert Selle der NSDAP-Parteigenosse Seegers.30 um eine verkappte Einrichtung der Na— Da die Belegung stark intensiviert wer- tionalsozialisten gehandelt, wiegt schwer: den konnte, wurden fortan auch leer- Die sehr frühe Parteimitgliedschaft des stehende Gebäude31 aus der Kaiserzeit Leiters seit 192035, die mehrfach nach- genutzt und mit Hilfe des freiwilligen gewiesenen Kontakte zur NSDAP, die Arbeitsdienstes der SA „hergerichtet". wohlwollenden Presseberichte der Itze- Es konnten 150 „Mann" gleichzeitig hoer NS-Zeitung, die Hinweise auf Sel- untergebracht werden, die an acht- bis les Teilnahme am Reichsparteitag 1929, 14-tägigen Lehrgängen teilnahmen. die vielfache Belegung der Sportschule Im Herbst 1932 — die NSDAP war in- mit der NSDAP nahestehenden Perso- zwischen an mehreren Landesregierun- nen, die Auftritte von Parteirednern in gen beteiligt, und die Arbeitslosigkeit oder bei der Sportschule und die Be- im Deutschen Reich erreichte ihren rufung Selles zum Polizeipräsidenten in Höhepunkt — erging vom Reichspräsi- Braunschweig, wo die NSDAP bereits denten der Erlass über das „Reichskura- mitregierte. torium für Jugendertüchtigung", das nun Es bleibt die Frage, warum die Partei Träger der Geländesportschulen werden nicht viel eher offen die Schule über- sollte.32 Auch in Lockstedter Lager nommen hat. Ursache könnte die Finan- wurde eine entsprechende Einrichtung zierung gewesen sein, da die Vermu- geschaffen, die nun zusätzlich zur mitt- tung naheliegt, dass das „Hotel Kaiser- lerweile etablierten SA-Volkssport- hof' zu der Zeit weitgehend durch die schule existierte. Zielgruppe waren 16- Sportschule getragen wurde, zumal bis 26-jährige junge Männer. Wenig Lockstedter Lager wahrscheinlich we- später wurden die Finanzierungsricht- der touristisch noch wirtschaftlich ein linien neu geordnet, die Sportschulen Anziehungspunkt für potenzielle Hotel- erhielten täglich 1,35 RM pro Teilneh- gäste war. Vielleicht erhoffte man sich mer (zzgl. der Kosten für -Heizung, Be- aber durch die scheinbare Neutralität kleidung und Personal). Die Teilnehmer stärkeren Einfluss auf junge Menschen, wurden ausdrücklich aufgefordert, äußer- die mit der Partei vorläufig nichts zu tun lich die politische Neutralität zu wahren, haben wollten, aber bereitwillig an sie sollten „nicht in Uniform erscheinen." „sportlichen" Lehrgängen teilnahmen.

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Die Entstehung der Sportschule um fall der Jugend", dem durch freiwillige 1925 wird — neben den möglichen Ab- Wochen „voll harter Zucht" begegnet sichten der Reichswehr — ihre Ursache werden sollte. Nicht nur konservative in erster Linie in dem Wandel der Kreise vertraten diese Meinung; es Einstellung der Menschen zum Sport, schloss sich 1932 auch das sozial- zur körperlichen Ertüchtigung und zum demokratische Reichsbanner zeitweise Wettkampf gehabt haben. Der Sport als dem „Reichskuratorium für Jugender- die „Weltreligion des 20. Jahrhun- tüchtigung" al1.37 Nach der Machtüber- derts"36 wurde erst durch das Bedürfnis nahme der Nationalsozialisten stellten nach Freizeitgestaltung möglich, zudem die konkurrierenden Organisationen — musste Freizeit natürlich auch vorhan- Hitler-Jugend (HJ), Deutsche Arbeits- den sein. Der in Lockstedter Lager an- front (DAF), Nationalsozialistischer gebotene Geländesport war' dabei eine Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) Variante der Abkehr vom klassischen und die SA — Machtansprüche auf Kon- Turnen hin zu technokratischen Formen trolle des Sports, wobei letztere den der Sportausübung, die auch militaristi- Wehrsport im Vordergrund sah. sche Aktivitäten in die Sportausübung Obwohl die SA nach der sogenannten integrierten. Röhm-Affäre an Einfluss verlor, gelang Ein weiterer Aspekt war das Men- eine Aufteilung der Zuständigkeiten: schenbild der 1920er Jahre. Man be- Die SA für den Wehrsport, „Kraft durch fürchtete insbesondere durch die — im Freude" (KdF als Abteilung der DAF) Vergleich zum Kaiserreich — fast feh- für den Volkssport und NSRL für den lende militärische Ausbildung den „Ver- Leistungssport.

4. Hilfswerklager und Berufsschule der SA (ab 1933/34)

Die sogenannte Röhm-Affäre bedeutete Lager zurückgreifen konnte, die auch auch für die SA in der Provinz eine die strukturellen Voraussetzungen für Neuorientierung von der Revolutions- „Verpflegung, Betreuung und Überwa- zur „gezähmten" Parteiarmee. Hatte chung von Mannschaften" boten, und man zuvor als eigene Einrichtungen da „es ringsum an Gelände für die bereits seit 1930 SA-Heime und -Kü- Übungen und den Sport" nicht fehlte, chen38 betrieben, um die Einsatz- begann man wie im ganzen Reich schon fähigkeit der Mitglieder zu stärken, vor der Röhm-Affäre Ende 1933 mit mussten nun für die „alten Kämpfer", dem Aufbau des SA-Hilfswerklagers die „nichts [...] als ihr Braunhemd" Lola.41 Damit fand der SA-Betrieb besaßen, neue Aufgaben gefunden zeitweise gemeinsam im Hilfswerklager werden,39 denn bei der Aufnahme einer und in der Sportschule statt.42 Berufstätigkeit war ein SA-Mann trotz In einem Bericht über einen Besuch der veränderten politischen Situation der Lokalzeitungsredaktion im Hilfs- ein eher unangenehmer Mitarbeiter:10 werklager hieß es: „Die Sorge um die Da man auf die alten, zum Teil leerste- Unterbringung ihrer arbeitslosen Kame- henden Heeresanlagen in Lockstedter raden, ihre Wiedereinführung in den

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Abb. 4: Ein Schultor mit Wachhütte und Parteiabzeichen

Arbeitsprozeß gehört zu den vornehm- beruflichen Qualifikationen und der Ge- sten Aufgaben unserer SA. In den un- wöhnung an das Arbeitsleben dienen.44 ruhigen und unsteten Jahren des Kamp- Im August 1935 mussten schon 860 fes [...] haben viele [...] deutsche Ar- Männer von der Lagerküche, die für den beiter unfreiwillig für lange Zeit ihre Eigenbedarf auch 36 Schweine hielt, Plätze räumen müssen. [...] Die Jahre versorgt werden. Die Finanzierung aus des Feiems ließen die Fähigkeiten des öffentlichen Mitteln sah einen Verpfle- einzelnen verkümmem."43 Zunächst gungssatz von 0,80 RM, einen weiteren wurden die in Lockstedter Lager vorge- Tagessatz von zwei RM einschließlich fundenen Räumlichkeiten saniert, dann Kleidung, Wohnung, Licht und Heizung im Februar 1935 Spendenaufrufe an die sowie ein tägliches Taschengeld von Industrie für die technische Ausstattung 0,35 RM pro Teilnehmer vor. der Werkstätten durch den Lagerleiter Der Tagesablauf gliederte sich in drei Standartenführer Witzel gestartet. praktische Arbeitsschichten zu je sechs Nach sehr kurzer Zeit nahm dann das Stunden, da nicht genügend Geräte und Hilfswerklager den Betrieb als Umschu- Maschinen für alle Umschüler zur Ver- lungseinrichtung auf, und es ging damit fügung standen. In der übrigen Zeit erheblich über die ursprüngliche Ziel- wurde der „SA-Dienst"45 absolviert und setzung der Hilfswerldager hinaus; die- „theoretische[r] Unterricht nach Art der se hatten nämlich allgemein nicht die Berufsschulen" erteilt. Der Bezug zum Aufgabe, an neue berufliche Abschlüsse erprobten Geländesportstandort Lock- heranzuführen, sondern sollten mehr der stedter Lager kam in der Berichter- Weiterbildung in bereits erworbenen stattung deutlich zum Ausdruck: „Der

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sportliche Ertüchtigungsbetrieb in straf- „Fürsorgeabteilung" war ‚jedem einzel- fer Disziplin und soldatischer Ordnung nen Mann in sozialer Hinsicht behilf- in Feld und Wald wird natürlich sehr lich", die Familien erhielten für die Lager- geschätzt als Ausgleich für die Arbeit in zeit die volle Wohlfahrtsunterstützung.49 den Werkstätten an den Maschinen."46 Die SA-Flilfswerklager wurden im Die Ausbildung bezog sich in erster Reich bis 1937 aufgelöst, weil die Zahl Linie auf Metallberufe: Schmied, der noch immer arbeitslosen SA-Män- Schlosser, Schweißer, Autoschlosser, ner, die schon vor der so genannten Kfz-Mechaniker. Die älteren Teilneh- Machtergreifung dabei waren, immer mer erhielten hingegen Unterricht in geringer wurde.50 In Lockstedter Lager Kurzschrift und Maschinenschreiben. konnte sich das SA-Hilfswerldager of- Es wurden vierteljährliche Lehrgänge fenbar durch eine erneute Änderung der angeboten, die mehr der Einarbeitung, Zielsetzung einer Auflösung entziehen. der Schulung und der Gewöhnung an Hatte man bereits 1935 Kurse durch- das Arbeitsleben dienten. Außerdem geführt, die mit der Gesellenprüfung gab es drei einjährige Lehrgänge. Diese endeten, stieg das „SA-Umschulungs- führten nach weiterer sechsmonatiger lager Lola" nun voll in den Bereich der Ausbildungszeit in Kieler Betrieben,47 beruflichen Qualifikation ein. 1938 mel- die sich übrigens auch in der Ausstat- dete die Regionalpresse bereits über tung des Lagers stark engagiert hatten, 1.100 Lehrgangsteilnehmer.51 zur Gesellenprüfung. Die Einrichtung wurde als sozialer Die „weltanschauliche Prüfung" war und wirtschaftlicher Faktor der Gemein- ein wichtiger Faktor dieser „Lernkon- de offenbar immer wichtiger, denn auch trollen", weil nicht nur sogenannte er- die Gewerbetreibenden profitierten in- lernbare Kenntnisse („Was lehrt uns das zwischen davon.52 Das SA-Lager stellte Leben des Führers ftir die Zukunft?") den Spielmannszug fürs Kinderfest, abgefragt wurden, sondern auch das erheiterte mit der Artistengruppe, betei- Verhalten des Einzelnen während der ligte sich an Umzügen, half bei Auftritte beim „Marsch" oder danach, Bränden, bei Hochwasser (wobei auf der „Kampfgeist bei den sportlichen Fehmarn vier SA-Leute aus dem Um- Wettkämpfen", die „Glaubensstärke bei schulungslager ums Leben kamen), der weltanschaulichen Prüfung", „allge- machte Theaterlaienspiel und richtete meine" und „kameradschaftliche Hal- die örtliche Sonnenwendfeier aus.53 tung".48 Der „prüfende Sturmbannführer" Die aus verschiedenen Berufen (z.B. hatte durch diese objektiv nicht greif- Glaser, Bäcker) stammenden Kursteil- baren Kriterien eine erhebliche Macht. nehmer — 1938 als Jungarbeiter be- Ein Widerspruch gegen seine Überzeu- zeichnet, die kurz nach der Gesellen- gung hätte eventuell gleich eine entspre- prüfung arbeitslos geworden seien54 — chend negative Bewertung provoziert. durchliefen nun eine einjährige theoreti- Für die Dauer des Aufenthaltes im sche und praktische Ausbildung im Hilfswerldager wurden die „Insassen und Umschulungslager, die mit einer theo- seine Familie" umfassend versorgt. Sie retischen Prüfung abschloss. Die wei- waren kranken- und unfallversichert, eine tere einjährige praktische Ausbildung

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fand in den Betrieben statt und endete lichen Arbeiten wurden Kenntnisse auf mit der Gesellenprüfung. Die Schles- „arithmetischen und geometrischen Ge- wig-Holsteinische Tageszeitung folger- bieten" abgefragt. Der Berichterstatter te, dass aus dem „ehemaligen Hilfs- schloss mit der Feststellung, dass diese werklager [...] in Lockstedter Lager von Ausbildung „oft die Ergebnisse einer der SA ein Werk geschaffen" worden dreijährigen Lehrzeit übertraf." sei, „das einzigartig in der Welt da- Das etwas höhere Alter, eine vorhe- steht". Die Werkstätten seien modern rige berufliche Qualifikation und Grün- eingerichtet gewesen, die Ernährung sei de, die in höherer Motivation der SA- gut, und auch für Freizeitgestaltung Umschüler gesucht werden könnten, („Kinovorführungen und Vorträge") war mögen vielleicht zu dieser positiven gesorgt. Als Unterrichtspersonal waren Bewertung im Vergleich zu normalen ein Diplom-Ingenieur, Gesellen und Auszubildenden geführt haben. Es Meister eingesetzt gewesen, Gesellen- scheint jedoch wenig glaubhaft, dass prüfungen wurden für die Abschlüsse die hier getroffene Feststellung einen „Schlosser, Dreher, Feinmechaniker seriösen Hintergrund hatte, weil gerade oder Elektro-Schweißer" angeboten. in der praktischen Ausbildung die zur Die Vermittlung an die Kieler Indu- Verfügung stehende Zeit knapp bemes- strie funktionierte offenbar ohne Proble- sen war.55 Die Behauptung verfolgte me, ebenso wie die spätere Übernahme wohl eher den Zweck, diesen auch für als Facharbeiter in fester Anstellung. die damalige Zeit unüblichen Ausbil- Die Industrie- und Handelskammer zu dungsweg für Lehrlinge propagandi- Kiel nahm die theoretische Prüfung stisch aufzuwerten. zusammen mit Meistern der Betriebe Das Beispiel des Umschulungslagers ab, die den zweiten Ausbildungsteil Lockstedter Lager hatte einen so gro- anboten. Inhaltlich lag der Schwerpunkt ßen Vorbildcharakter, dass noch weite- auf „fachktmdliche[n] Fragen", wobei re SA-Berufsschulen entstanden, die selbst diese mit „weltanschaulichen" sich ebenfalls „Lola" nannten und deren Aspekten verbunden werden konnten Höchstbelegungszahl 1941 auf 5.500 („Jeder kannte die fremden Rohstoffe, Männer festgelegt wurde. Hier war es mit denen ganz besonders sorgfältig um- offenbar gelungen, den Prototyp eines gegangen werden muß."). In den schrift- „Exportschlagers" zu entwickeln:

Nr. SA-Berufsschule Ort max. Zahl der Lehr- (Beginn) gangsteilnehmer Lola 1 Nordmark (s. Text) Lockstedter Lager 1.800 Lola 2 Ostland (ab 1. April Contiennen bei 800 1939) Königsberg Lola 3 Nordsee (ab 1941) Westerstede 1.400 Lola 4 Weichsel (1941 noch Schulitz bei Bromberg/ 1.500 nicht fertiggestellt) Danzig

Abb. 5: Verzeichnis der SA-Berufsschulen56

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,$)^ NORDMARK VORAN H 50-/OENE 1934

ES 11193 manfilial el-F".27:4

. Nordmark voran, H. Schöne, 1934

Abb. 6: Offenkundige Politisierung aus dem Schulhof— Erinnerung an einen „alten Kämpfer"

Nach der offiziellen Bildungsselbst- gangsteilnehmer erhielten (1943) einen darstellung des Dritten Reiches wurden täglichen Lohn von 0,50 RM, dazu freie in den vier SA-Berufsschulen „streb- Verpflegung, Unterkunft, Kleidung, same deutsche Männer in 40wöchigen Wäsche und Arbeitszeug. Außerdem Lehrgängen zu Facharbeitern (Schlos- wurden weitere 0,50 RM täglich einem sern, Feinblechnem, Schmieden, Schiff- Sparkonto gutgeschrieben. Dieser Spar- bauern u.a.) für die Werften der betrag, der bei der Überstellung ins Kriegsmarine ausgebildet."57 Die tägli- Werk ausgezahlt wurde, sollte zur Aus- che Ausbildungszeit betrug mindestens stattung mit Arbeitskleidung und zur sieben Stunden, die so genannte SA- Überbrückung der Tage vor der ersten mäßige Ausbildung mindestens einein- Lohnzahlung dienen.59 halb Stunden, dazu kamen Appelle und Die Industriebetriebe, vor allem Sonntagsdienst.58 Die weltanschauliche Werften und sonstige metallverarbei- Schulung nahm einen relativ hohen tende Betriebe, finanzierten den gesam- Rang ein, weil nicht nur die personelle ten Lagerbetrieb, angefangen von der Ausstattung ansehnlich war, sondern Besoldung des Lagerstammpersonals, auch die Einrichtung als „Lager" den der Ausbilder und der Lager-Vertrags- Parteiführern den Zugriff auf die jungen ärzte, über Material, technische Aus- Männer in der „Freizeit" ermöglichte. stattung, Reisekosten der Lehrgangs- Rekrutiert wurden die Umschüler auf- teilnehmer bis zu deren SA- und grund ihrer freiwilligen Meldungen bei Berufsbekleidung. Dafür bekamen sie den Arbeitsämtern; der Bedarf wurde stark disziplinierte Arbeitnehmer, denen von der Industrie gemeldet. Die Lehr- allerdings schon nach zwei Ausbil-

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dungsjahren der volle Facharbeiterlohn Unterlagen bei den abnehmenden Wer- gezahlt wurde. Die fachliche Leistung ken rekonstruiert werden, um eine Aus- und Qualifikation der Facharbeiter mit sage über die Qualität der Ausbildung Lola-Ausbildung müsste jedoch mit in der SA-Berufsschule treffen zu Hilfe eventuell noch vorhandener können.

5. SA-Umschulung: Privilegien für „alte Kämpfer"?

Die Idee, die Berufsausbildung in eine gestaltung der Berufsausbildung von einjährige theoretische und eine sich Facharbeitem.61 anschließende ebenfalls einjährige be- Die Gesellenprüfungen, die schon triebliche Phase zu teilen, war eine Ent- 1935 im Hilfswerklager Lola angekün- wicklung, die sich im Zusammenhang digt wurden, hatten einen nach heuti- mit den vier SA-Berufsschulen ergab; gern Verständnis inoffiziellen Charak- eine 1/12 -jährige Variante wurde vorher ter. Der Prüfungsausschuss setzte sich bereits seit 1935 im SA-Hilfswerklager „zu gleichen Teilen aus Vertretern der Lola praktiziert. Diese Neuerungen Industrie und des Handwerks" zusam- schienen zunächst nicht auf Kritik ge- men und arbeitete nach den Richtlinien stoßen zu sein. Allerdings setzte mehr des „Deutschen Ausschusses für das als zwei Jahre später eine Auseinan- technische Schulwesen" (DATSch).62 dersetzung wegen der ungewöhnlich Die IBK Kiel hatte noch nicht den kurzen Lehrzeiten ein. Verwaltungsapparat für das Prüfungs- Bevor auf diesen Konflikt näher ein- wesen aufgebaut, die Handwerkskam- gegangen wird, soll zunächst die Situa- mern sahen sich als eigentlich nicht zu- tion der industriellen Berufsausbildung ständig an, offerierten aber die Dienst- und die spezielle Lage der Industrie- leistung des Prüfungswesens. Ihr Motiv und Handelskammern (IHK) als Träger für diese Verfahrensweise wird darin zu der nicht-handwerklichen Ausbildungs- suchen sein, dass sie sich nicht ihre organisation in Schleswig-Holstein dar- nach eigener Meinung existierende gestellt werden. Wenn auch in den alleinige Kompetenz für Fragen der 1920er Jahren bereits eine geordnete Lehrlingsausbildung streitig machen las- gewerbliche Berufsausbildung in der sen wollten.63 Industrie für notwendig gehalten wur- Noch ein weiterer Faktor wird einen de,60 begann man im Bereich der Einfluss gehabt haben: Infolge des damals für den Kreis Steinburg zu- „Groß-Hamburg-Gesetzes"64 wurde die ständigen „IHK zu Altona" erst im LFIK Altona zum 31. März 1937 auf- Frühjahr 1936 mit einem eigenen Prü- gelöst, die Kammerzuständigkeiten in- fungswesen für gewerbliche Auszubil- nerhalb Schleswig-Holsteins veränder- dende. Es wurde vielfach über die Not- ten sich damit. Der Kreis Steinburg wendigkeit und Form der zukünftigen gehörte nun zur IHK Kiel, die für den Nachwuchsvorsorge in der Industrie südlichen Teil ihres Bezirkes eine diskutiert; aber man hatte eher vage Zweigstelle in Elmshom betrieb.65 Im Vorstellungen von der konkreten Aus- Bereich des Handwerks wurde ähnlich

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verfahren, nur dass hier die Handwerks- „für Lehrlinge aus mittleren industriel- kammer Lübeck den Bereich südlich len Betrieben im Bereich der Hand- des Nord-Ostsee-Kanals übemahm,66 werkskammer Altona" durchgeführt.67 weil die Hansestadt Lübeck ab 1937 Das Umschulungslager hatte bei dieser zur preußischen Provinz Schleswig- Prüfung vom 18. Februar 1937 verwal- Holstein gehörte, während die Hand- tungsmäßig vorgearbeitet und die „Män- werkskammer Altona aufgelöst wurde. ner für Hagenuk und Krupp-Germania" Die ersten Prüfungslisten für 48 in eigene Listen eingetragen. Dadurch Kupferschmiede, 274 Schlosser und 55 ergibt sich die Möglichkeit, die altersmä- Dreher der IHK Kiel beziehen sich auf ßige Zusammensetzung, den SA-Dienst- eine Prüfung in Lockstedter Lager im grad, Ehestand, Dauer der Lehrzeit September 1936, die an den Tagen des (damit die Verweildauer in Lola) bis zur Nürnberger Reichsparteitages stattfand. theoretischen Prüfung und die vorher Im Februar 1937 wurden 70 Prüfungen ausgeübten Berufe zu ermitteln.

Geburtsjahrgang Dienstgrad Beginn Lehrzeit Vorberufe 1920 — 1921 3 SA-Anwärter 17 Oktober 1935 1 Arbeiter 25 1918— 1919 10 SA-Mann 20 November 1935 14 Bäcker 5 1916— 1917 9 Sturmmann 6 Januar 1936 10 Kaufleute 2 1914— 1915 10 Scharfahrer 1 Februar 1936 11 Auszubildende 3

1912— 1913 7 Oberscharführer 3 März 1936 5 sonstige Berufe 9 1906— 1909 5 Rottenführer 2 April 1936 8 ohne Angabe 5 1900 — 1905 5 Summe 49 49 49 49

Abb. 7: Zuteilung der „ltifänner fiir die Germania-Weift", Kiel, theoretische Prüfling 18.2.1937. Von diesen 49 Auszubildenden waren 44 ledig, fünf über Dreißigjährige verheiratet

Geburtsjahrgang Beginn Lehrzeit Vorberufe 1919 — 1920 3 November 1935 3 Arbeiter 6 1917 — 191`8 5 Januar 1936 3 Auszubildende 2

1915 — 1916 2 Februar 1936 10 sonstige Berufe 6 1912 — 1914 3 April 1936 1 ohne Angabe 3 1909 1 1899 — 1904 3 Summe 17 17 17

Abb. 8: Bei den 17 Mechanikern (theoretische Prüfung 18.2.1937, wahrscheinlich für Hagenuk) war der SA-Dienstgrad nicht vermerkt. Zwei „alte Kämpfer" und ein 2I-Jähriger waren verheiratet 16

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Geburtsjahrgang Dienstgrad Beginn Lehrzeit Vorberufe 1920— 1921 4 SA-Anwärter 13 April 1936 26 Arbeiter 26

1918— 1919 12 SA-Mann 13 Mai 1936 3 sonstige Berufe 7 1915 — 1917 2 Sturmmann 3 Juni 1936 4

1907 1 Oberscharführer 1

1898 — 1902 6 Rottenführer 3

bis 1896 7

ohne Angabe 1 Summe 33 33_ 33 33

Abb. 9: Die „Männer für die Lübecker Firmen", theoretische Preung 23.3.1937

Die persönlichen Angaben wurden ent- Kinder waren.68 Interessant bleibt aller- sprechend ihrer späteren Betätigung dings die Tatsache, dass 27% der zusammengestellt und die Leute an- Teilnehmer wirklich schon 30 Jahre und scheinend schon vor der Prüfling den mehr zählten. In dieser Gruppe werden Betrieben zugeteilt, die sich für die sich die „alten Kämpfer" befunden weitere praktische Ausbildung bereiter- haben, die Jahre nach der sogenannten klärt hatten. Die Facharbeiterprüfung im Machtergreifung trotz boomender Wirt- Frühjahr 1937 ist die einzige, für die schaft noch immer keine Arbeit auf- entsprechende Aufstellungen im Archiv nehmen konnten, während die mittlere der IHK Kiel vorlagen. Sie ermöglichen Gruppe, die 25- bis 30-Jährigen, die nur einen Einblick in die Sozialstruktur der sehr schwach in Lola vertreten waren, Lagerinsassen, wenn auch die Angaben wahrscheinlich auch ohne die SA einen von 99 Personen bei einer Gesamtzahl Arbeitsplatz gefunden hatte. von angeblich jährlich mehr als tausend Die Karriere nach SA-Dienstgraden Schülern nur Tendenzen sichtbar ma- kann die vorgenommene Interpretation chen können. Da die Daten aus der unterstützen; auch hier finden sich viele Frühphase des Umschulungslagers einfache Dienstgrade unter den jungen stammen, kann angenommen werden, Männern, während die „alten Kämpfer" dass die Zahl der „alten Kämpfer" spä- bereits höhere Posten erreicht hatten. ter noch weiter abnahm. Die Lehrzeit in den SA-Berufsschulen 70% der aufgeführten 99 Auszubil- war an keinen konkreten Starttermin denden waren 1937 unter 25 Jahre alt, gebunden, sondern die Schüler traten zu fast 45% unter 20. Die These, es habe unterschiedlichen Zeitpunkten auch sich bei den SA-Berufsschulen vorran- innerhalb eines Monats in das Lager gig um Einrichtungen für „alte Kämp- ein. Trotz der Vorgabe der einjährigen fer" gehandelt, kann schon hier als theoretischen Lehrzeit schwankte die widerlegt gelten, weil viele dieser Aus- tatsächliche Verweildauer zwischen neun zubildenden vier Jahre zuvor noch fast und 16 Monaten. Die Kieler Betriebe

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bekamen Teilnehmer, die eher längere Obersten SA-Führung handelte, der Verweilzeiten aufweisen konnten, im Reichsgruppe Industrie und der Reichs- Gegensatz zu den Lübecker Firmen, de- gruppe der IHK geschlossen. Die Aus- ren zukünftiges Personal eher kürzer als bildung dauerte nun formal drei Jahre. ein Jahr in Lola war. Nach dem ersten Jahr in den SA- Als vor dem Lageraufenthalt ausgeüb- Schulungslagern mit abschließender te Berufstätigkeit der Prüflinge wurde theoretischer Prüfung folgte ein weite- bei 57% (ungelernte) „Arbeitee ge- res Ausbildungsjahr in den Betrieben, nannt, weitere 20% trugen Berufsbe- das mit der praktischen Prüfung endete. zeichnungen des Handwerks. Mögli- Der Facharbeiterbrief wurde erst nach cherweise wurde (schon) in den frühen Ablauf des dritten — betrieblichen — 30er Jahren im Handwerk (z.B. Bäcker) Jahres ausgehändigt, auf Grundlage der erheblich über dem tatsächlichen Bedarf beiden Prüfungen und der „Bewährung" der einzelnen Gewerbe ausgebildet. im dritten Jahr. Die Vereinbarung wur- Da für die später folgenden prakti- de als Ausnahme für „Alt-Lehrlinge" schen Prüfungen die Kammer zuständig deklariert, die aufgehoben werden soll- war, in deren Bereich der betriebliche te, wenn „Bedürfnis" oder „Möglichkeit" Teil der Ausbildung absolviert wurde, fehlten.70 Aufgrund der nachgewiese- gab es dennoch — wenn auch mit zwei- nen Altersstruktur der Prüflinge für jähriger Verspätung — Auseinanderset- Frühjahr 1937 kann angenommen wer- zungen über die kurze Lehrzeit, aller- den, dass die SA die Fixierung auf „Alt- dings nicht mit der IHK Kiel, sondern lehrlinge" eher als Argumentationshilfe mit der IHK für Ost- und Westpreußen. zur Rechtfertigung des Vorhabens ver- Sie stand der Neuerung zunächst skep- wendete, denn das reale — relativ niedri- tisch gegenüber und verweigerte die ge — Lebensalter des größten Teils der Abnahme der Prüfungen, weil die drei- Teilnehmer entsprach den Anforderun- jährige Lehrzeit nicht eingehalten wor- gen des Abkommens von 1938 nicht. den sei. Dies betraf 70 Lehrlinge, die in Die II-EK für Ostpreußen beschwerte Lola den theoretischen Teil und in einer sich später noch einmal über die alters- Elbinger Werft die betriebliche Ausbil- mäßige Zusammensetzung der Bele- dung absolviert hatten. Sie sollten im gung in der SA-Berufsschule Ostland, Sommer 1937 die praktische Prüfung da etwa die Hälfte der Prüflinge jünger ablegen, nachdem der theoretische Teil als 21 gewesen sei; sie konnte sich aber von der IHK Lübeck69 abgenommen gegen ihre eigene Vertretung in der worden war. Reichswirtschaftskammer nicht durch- Erst als der Leiter des Lola 1, der SA- setzen. Man hielt nunmehr ein Eintritts- Oberführer Witzel, direkt in Berlin in- alter von 18 Jahren für angemessen.71 tervenierte, schwenkte die Haltung der Das hohe Engagement der Industrie und „Reichsgruppe der IHK" um, und es das Interesse der SA, den eigenen wurde ein Abkommen zur Umschulung Nachwuchs heranzuziehen, ergänzten und Ausbildung von erwachsenen Ar- sich und führten dazu, dass die bis- beitskräften in den SA-Schulungslagern herigen Regeln (des Handwerks) über zwischen Witzel, der im Auftrage der Dauer und Art der Berufsausbildung im

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Metallbereich weitgehend übergangen In der SA-Berufsschule wird der werden konnten. Die Betriebe verfügten Aspekt der beruflichen Sozialisation schneller über Arbeitskräfte für die Pro- verbunden mit der relativ sicheren Per- duktion, ohne auf weitere theoretische spektive, einen Arbeitsplatz zu erhalten, Unterweisung Rücksicht nehmen zu eine wichtige motivierende Rolle ge- müssen, und sie mussten weder für die spielt haben. Die namhaften Industrie- „Rekrutierung" ihres Personals noch für unternehmen, die aufgrund ihrer Rü- die Organisation der außerbetrieblichen stungsproduktion — beispielsweise im Ausbildungseinrichtung sorgen. Die SA Schiffbau — sehr medienwirksam waren, konnte ein volles Jahr agitatorisch auf und die große staatstragende Institution die jungen Männer einwirken. SA, in deren Obhut man sich begab, „Alte Kämpfer" waren aber schon werden die Anziehungskraft auf die 1936 immer seltener in den „Lolas" an- Jugendlichen noch verstärkt haben. zutreffen. Die Entstehung von „Privi- Bei der SA-Berufsschule ließen sich legien für alte Kämpfer", wie Martin die Teilnehmer aufgrund freiwilliger Kipp seinen Beitrag betitelt, war im Meldung auf die Integration in die Zusammenhang mit der SA-Berufs- „braunen Bataillone" ein. In der SA- schule Lola eher eine zufällige Folge, Berufsschule Lockstedter Lager führten weil in Schleswig-Holstein die Organi- alle Auszubildenden — soweit die Quel- sation des Prüfungswesens noch in den len darüber Auskunft geben — einen Anfängen steckte; denn erst ab 1936 formalen SA-Rang. Die spätestens mit sind für den Kreis Steinburg Fachar- dem Eintritt in die Einrichtung erfolgte beiterprüfungen der Industrie nachzu- eigenständige Integration der jungen weisen. Es kann daher weniger ange- Männer in die SA muss daher von einer nommen werden, dass von der SA und vorher bereits vorhandenen Überzeu- der Industrie auf die bestehenden gung getragen worden sein. Dem steht Strukturen Einfluss genommen wurde, lediglich entgegen, dass es eventuell um Privilegien zu installieren, sondern Jugendliche gegeben haben könnte, die vielmehr wurden die sich innerhalb der sich in erster Linie zur Erlangung eines schwach organisierten Prüfungsstruktur aus damaliger Sicht attraktiven Berufs- im Bereich der (ehemaligen) IHK ziels — beispielsweise im Schiffbau — in Altona ergebenden Chancen für die die SA begaben und die Organisation eigene Einrichtung geschickt genutzt. als notwendiges Übel akzeptierten.

6. Entwicklung der Einrichtung

Die SA-Berufsschulen wuchsen — unter- durch ihre häufige Umbenennung:72 stützt von der stark auf die eigenen Hilfswerklager (III), Schulungslager, Interessen fixierten Wirtschaft — in ihre Umschulungslager, Werkschule, Be- Rolle als bedarfsorientierte, privilegier- rufsschule,73 teilweise noch ergänzt mit te Spezialausbildungsstätte für einige „Lola" und „SA". Weist die Bezeich- metallverarbeitende Betriebe. Begleitet nung „Hilfswerldager III" darauf hin, wurde die Entwicklung der Einrichtung dass es mehrere davon gegeben hat,74

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deuten die übrigen Begriffe eine innere mit etwa 150 Facharbeitern gering, an- Steigerung der Zielsetzung an. gesichts der angeblich 1938 über tau- In der Abkehr vom Terminus „Lager" send gezählten Schüler in Lola. als Ort der Indoktrination und Diszipli- Der Krieg wirkte sich auf die Perso- nierung und der Übernahme des Be- nallage aus, etliche Auszubildende griffs Schule als seriöse, eventuell trugen bereits in der Prüfungsliste den hoheitliche Institution spiegelt sich die Vermerk: Einberufung. Zur Prüfung im Entwicklung der SA-Berufsschule wi- Frühjahr 1944 mussten die Lehrlinge der. Dabei bleibt anzumerken, dass der am Anreisetag die Verpflegung mitbrin- Begriff Berufsschule auch 1940 etwas gen, für die zwei folgenden Prüfungsta- anderes bezeichnete, als in Lola prak- ge auch die Lebensmittelmarken für tiziert wurde. Als Definition ist (ab ca. Brot, Fett und Fleisch abgeben, wäh- 1936) am ehesten die „Werkschule" rend Essbesteck und eine Wolldecke zutreffend, weil damit eine Schule ge- gestellt wurden. Ein Auszubildender meint war, die als Teil der betrieblichen eines optisch-feinmechanischen Betrie- Ausbildung theoretische und grundle- bes, der an dieser Prüfung teilgenom- gende praktische Kenntnisse vermitteln men hatte, konnte zu seinen Erinne- sollte. Ob die Auszubildenden, die in rungen befragt werden.77 Sein Betrieb der Sonderform der SA-Berufsschulen hatte kriegswichtige Erzeugnisse herge- beruflich qualifiziert wurden, daneben stellt (Zielfernrohre, Entfernungsmes- noch die „normale" 'Berufsschule be- ser, etc.), deshalb war dort die perso- suchten, konnte nicht geklärt werden; nelle Ausstattung fast bis zum Ende des es ist aber unwahrscheinlich, weil die Krieges noch relativ gut. Die Auszu- Berufsschulpflicht bei anerkannten bildenden waren in ihren Betrieben für Werkschulen aufgehoben war.75 den Schichtdienst und bei Überstunden Ab 1939 wurden vermehrt Facharbei- fest mit eingeplant. terprüfungen von „regulären" Auszubil- In Lola hatte er von anderen Auszu- denden aus Betrieben in den Kreisen bildenden außerhalb seiner aus etwa 20 Steinburg und Pinneberg im Auftrag der Personen bestehenden Prüfungsgruppe IHK Kiel, Zweigstelle Elmshorn, in nichts bemerkt, offenbar war die Akti- Lola abgehalten. Dabei beschränkte vität der SA-Berufsschule durch Kriegs- sich das Prüfungswesen nicht auf Me- einwirkung bereits stark reduziert wor- tallbenife,7 sondern auch Technische den. Die schriftliche Prüfung hatte er in Zeichner, Feinoptiker, Schiffszimmerer, seiner Berufsschule in Pinneberg ab- Möbeltischler, Stuhl- und Gestellbauer gelegt, in Lola folgte die praktische und wurden zunehmend, 1943/44 überwie- die mündliche Prüfung, in deren Verlauf gend nach Lola zur Prüfung geschickt. die „politischen" Fragen gegenüber dem Auch sind drei weibliche Auszubil- fachlichen Bereich deutlich überwogen. dende nachweisbar, davon zwei Teil- Der Zeitzeuge hatte den Eindruck, vor zeichnerinnen (1942, 1944) und eine einem „Tribunal" zu stehen, das sich aus Gestellbauerin (Prüfung Frühjahr 1945). zwei „Zivilisten" und vier „Uniformier- Die Gesamtzahl der Prüftingen von ten" zusammensetzte. Sein mündlicher Auszubildenden aus der Umgegend war Prüfungsbeitrag bezog sich auf die The-

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se: „Räder müssen rollen für den Sieg!" mal etwa 70 Prüfungen vorzeitig abge- Einige seiner Mitauszubildenden waren halten (Juli statt September wegen der extra vom Kriegseinsatz beurlaubt wur- Einberufung zum 1. August 1944). Die den, um in Form von „Notprüfungen" IHK Kiel, die 1943 in „Wirtschaftskam- den Facharbeiterbrief zu erlangen. mer Kiel"80 umbenannt worden war, Nach den Erinnerungen des Zeitzeu- führte noch Ende April 1945 Facharbei- gen machte die Anlage in Lola 1944 terprüfungen durch, die unter „Kriegs- einen gepflegten Eindruck, die techni- bedingungen" wieder in Kiel stattfan- sche Ausstattung sei allerdings veraltet, den. Die SA-Berufsschule in Lock- stark verschlissen und fast nicht mehr stedter Lager stagnierte offenbar durch geeignet gewesen, darauf noch ein or- die mittelbaren Kriegseinwirkungen, dentliches Werkstück als Prüfungser- weil sich der akute Mangel an Auszu- gebnis anfertigen zu können. bildenden stark bemerkbar machte. Die Auszubildenden, die aus Betrie- Die Entstehung und Entwicklung der ben der Region kamen, waren alle bis SA-Berufsschule wurde wesentlich ge- auf eine Ausnahme („Altlehrling") im prägt von den örtlichen Rahmenbedin- normalen Ausbildungsalter; sie waren gungen, den vorhandenen Gebäuden, zum Prüfungszeitpunkt 17 bis 18 Jahre dem starken Engagement einzelner Per- alt. Die Prüfungen wiesen (nach heuti- sonen vor Ort, dem Personalbedarf der gern Verständnis) eher schwache Noten Wirtschaft und den organisatorischen aus, insbesondere fiel eine starke Diffe- Besonderheiten im industriellen Ausbil- renz zwischen den guten Vorzensuren dungsbereich. Trotz der Integration der für Leistungen im Betrieb und dem Einrichtung auch in das reguläre Prü- relativ „schwachen" Endergebnis der fungswesen ist die Erinnerung an die Abschlussprüfung in Lola auf.78 Als SA-Berufschule auf regionaler Ebene mögliche Ursache für diesen Sachver- fast vollständig ausgelöscht.81 halt könnten die Prüfungsbedingungen Die Gebäude, in denen die SA-Ein- oder eine zu positive Vorbewertung in richtungen in Lockstedter Lager, dem Betracht kommen. Ebenso unklar ist, ob heutigen Hohenlockstedt, untergebracht der bereits feststehende — in den Listen waren, wurden nach Kriegsende von angegebene — Einberufungstermin even- der Bevölkerung ausgeplündert. Sie be- tuell die heimatliche Prüfungskommis- herbergten dann zeitweise die örtliche sion milde gestimmt haben könnte. Volksschule, später größere Gewerbe- Der Zeitzeuge hatte die Einrichtung betriebe, und sie werden auch heute erst 1944 kennengelernt, als der Krieg noch — zum Teil zu Wohnzwecken — sich schon im SA-Standort Lockstedter genutzt. Lager stark bemerkbar machte. Hatte Die kurze Geschichte der SA-Berufs- man in den Vorkriegsjahren sehr viele schule Lockstedter Lager zeigt auf, in Teilnehmer gehabt,79 vermutlich aller- welch hohem Maße die Zusammenar- dings weniger, als offiziell verlautbart beit zwischen den Rüstungsbetrieben, oder planerisch festgesetzt, gingen die hier vor allem der Schiffbaubetriebe, Zahlen bis zum Sommer 1944 zurück. und den Funktionären der Partei in der Zu diesem Zeitpunkt wurden noch ein- Provinz gedeihen konnte. Nur leichte

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Reibung - eher formale Probleme - gab Innenansicht aus der Perspektive der es mit den Kammern, die zwar die SA-Werkschüler zuwenden oder auf kurzen Ausbildungszeiten kritisierten, der Ebene der Industriebetriebe den letztlich aber die Lagererziehung, die praktischen Einsatz dieser jungen Män- Internierung als Mittel der beruflichen ner in den Kieler Werken untersuchen. Sozialisation, als grundlegendes Prinzip Interessant könnte auch die Frage sein, der SA-Berufsschulen scheinbar wider- inwieweit MUNA und SA-Berufsschule spruchslos hinnahmen, ebenso wie die miteinander verknüpft waren. Über die- Eltern und die Angehörigen der SA- se mögliche Verbindung könnte even- Werkschüler. tuell der bisher unerforschte Bereich der Die weitere Forschung könnte sich Rüstungsproduktion in Lockstedter beispielsweise der bisher fehlenden Lager erschlossen werden.

7. Anmerkungen

1. Schröder, Carsten: Institutionen nationalso- Aus der Geschichte Hohenlockstedts. Itzehoe zialistischer Jugenderziehung in einer ländlichen 2. erw. Aufl. 1983 (?), S. 7ff. Diverse Beiträge Region. Hausarbeit im Fach Erziehungswissen- in: Steinburger Jahrbuch 1994. Garnisons- schaft, Hamburg 1996. standorte und Militärgeschichte (Itzehoe 1993). 2. Zur NSKK-Motorsportschule in Itzehoe- 7. Uhse, S. 173: Reste des Freikorps Brigade Nordoe vgl. Schröder, Carsten: „Wir bleiben Ehrhardt, das unter anderem im „Kapp-Putsch" was wir waren, des Führers Motorscharen", in: (1920) engagiert war. Nach Glißmann (5. 59) Steinburger Jahrbuch 1996. NS-Zeit: Politik waren die „Freikorpskämpfer" 1919 daran be- und Alltag (Itzehoe 1995), S. 115-131. Zum teiligt, „Lettland von den Bolschewiken zu Landjahrlager Wacken vgl. Leppien, Anne- säubern", und gründeten in Lockstedter Lager marie und Jörn-Peter: Mädel-Landjahr in „Soldatensiedlungsgenossenschaften" (S. 71). Schleswig-Holstein. Einblicke in ein Kapitel 8. Glißmann, S. 70: „Mancher Siedlungswillige nationalsozialistischer Mädchenerziehung [...] versagte kläglich bei den körperlichen Stra- 1936- 1940. Neumünster 1989. pazen [...] und machte einem Besseren Platz." 3. Uhse, Bodo: Söldner und Soldat (1935), in: Nach Uhse (S. 173) „soll [einer] in dieser Zeit Caspar, Günter (Hg.): Bodo Uhse, Gesammel- verhungert sein". Auch wurde z.B. von Auswan- te Werke, Bd. 1. Berlin (0) 1974. Neuausgabe: derern und Selbstmord berichtet (SHT Aufbau-Taschenbuch Verlag. Berlin 1992. 23.1.1929). 4. LAS Abt. 301, Nr. 4694 (Akte des Ober- 9. vgl. Papke, S. 90 ff. Demnach fand hier un- präsidiums der Provinz Schleswig-Holstein be- mittelbar nach dem „Kieler Matrosenaufstand" treffend rechtsgerichteter Sportschulen 1929 - ebenfalls ein „Revolutiönclien" statt. Lock- 1934). stedter Lager wird als einer von fünf Orten in 5. Kipp, Martin: Privilegien für „alte Kämpfer". Schleswig-Holstein erwähnt, in denen „bis zum Zur Geschichte der SA-Berufsschulen, in: Kipp, 7. November 1918 Arbeiter- und Soldatenräte Martin und Miller-Kipp, Gisela: Erkundungen die Macht übernommen" hatten. Vgl. Illustrierte im Halbdunkel. Einundzwanzig Studien zur Be- Geschichte der Deutschen Revolution, Frank- rufserziehung und Pädagogik im Nationalsozia- furt/Main 1970 (Reprint von 1929), S. 191. lismus. Frankfurt/M. 2. Aufl. 1995, S. 65-77. 10. vgl. Heberle, Rudolf Landbevölkerung und 6. vgl. Glißmann, H. A.: Die Geschichte des Nationalsozialismus. Eine soziologische Unter- Truppenübungsplatzes Lockstedter Lager und suchung der politischen Willensbildung in seine Entwicklung zum Industriestandort Ho- Schleswig-Holstein 1918- 1932. Stuttgart henlockstedt. (Hohenlockstedt) 1962, S. 42ff.; 1963, 5. 87. Bei der folgenden Reichstagswahl Papke, Erwin: Pickelhauben und Kartoffeln. vom November 1932 erreichte die NSDAP in 22

Carsten Schröder Der NS-Schulungsstandort Lockstedter Lager

Lola 77,5%, bis zu 25% mehr als in den um- 19. Hier könnte der Redakteur und Propaganda- liegenden Gemeinden, die allerdings damit auch redner Uhse gemeint sein. durchgehend mehr als 50% der Stimmen für 20. Begräbnis nach der „Blutnacht von Wöhr- die Nazis auswiesen (SHT 8.11.1932). den" am 7. März 1929, bei dem Hitler die Trau- 11. Glißmann, S. 88/89, vgl. auch Hoch, Ger- errede hielt. Vgl. Kopitzsch, Wolfgang: Politi- hard und Schwarz, Rolf (Hg.): Verschleppt zur sche Gewalttaten in Schleswig-Holstein in der Sklavenarbeit. Kriegsgefangene und Zwangs- Endphase der Weimarer Republik, in: Hoff- arbeiter in Schleswig-Holstein. Alveslohe und mann, Erich und Wulf, Peter (Hg.): „Wir bauen Nützen 1985, S. 188. Danach waren knapp 200 das Reich". Aufstieg und erste Herrschaftsjahre Kriegsgefangene hier beschäftigt; eine Zahl, die des Nationalsozialismus in Schleswig Holstein. angesichts der bis zu 4.000 Beschäftigten als zu Neumünster 1983, S. 27. niedrig scheint. Zur MUNA gibt es noch keine 21. Da hier gegenüber der Gesamtzahl 26 Perso- Forschungsbeiträge, obwohl dies regionalge- nen fehlen, könnten diese evtl. Arbeitslose sein. schichtlich sehr wünschenswert wäre, um die 22. Z.B. Kyffhäuserbund, Deutsche Turner- aktive Beteiligung der ländlichen Region an der schaft, Stahlhelm, Hamburger Sportverein, Rüstungsproduktion zu dokumentieren. Auch Vereinigte Stadtringe von Hamburg-Altona. städtebaulich und bezogen auf die Sozialstruktur 23. Die folgenden Zitate und Angaben aus SHT des Ortes ist die MUNA für Hohenlockstedt 3.10.1930. meiner Meinung nach wichtiger, als viele es 24. LAS Abt 301, Nr. 4694. Selle hatte bereits heute sehen wollen. im ersten Weltkrieg als Pionier mit Sprengarbei- 12. Angaben für die Zeit nach 1945 aus: Nau- ten zu tun. Die Sprengungen fanden unter ande- diet, Rainer (u.a.Verf.): Atlas des Kreises rem am 29. Mai 1929 statt. (vgl. SHT Steinburg. Innenansichten einer Region. Itzehoe 31.5.1929). 1994,S. 55, 132. 25. LAS Abt 301, Nr. 4694. Die Folgenlosig- 13. Der Verfasser war in den 1980er Jahren in keit dieser Vermutungen legt den Schluss nahe, einem Gewerbebetrieb beruflich tätig, der in dass Observationsberichte schon damals einen einer alten MUNA-Baracke angesiedelt war. teilweise spekulativen Charakter hatten. Even- 14. Uhse, S. 173-179, z.B. als Redner zum tuell sollten auch die Informanden nicht aufge- Thema „Volk ohne Raum" (SHT 12.5.1929), deckt werden. allerdings nicht in Räumen der Geländesport- Die hohe Sensibilität in diesem „explosiven" schule. Bereich lässt sich möglicherweise dadurch erklä- 15. Glißmann, S. 86/87. ren, dass im Frühjahr 1929 mehrere Spreng- 16. Belegt durch LAS Abt 301, Nr. 4694, er- stoffanschläge (durch Anhänger der Landvolk- gänzt durch Zeitungsberichte, die einzeln nach- bewegung) in Schleswig-Holstein unter ande- gewiesen sind. rem auch auf das Itzehoer Landratsamt verübt 17. Hochburg mit handschriftlichem Vermerk wurden. Vgl. Priewe, Friedrich: Vor 50 Jahren: (1929): „eingegangen". Bombenanschlag auf das Landratsamt in Itze- 18. vgl. Papke, S. 135. Hier ist von „sogenann- hoe, in: Norddeutsche Rundschau (Itzehoe) ten geheimen Reichswehrschulen" die Rede. Da 22./23.5.1979. die Basis der Veröffentlichung Erinnerungen 26. Z.B. Organisationsleiter der SA (SHT älterer Ortseinwohner sind, ist zumindest das 11.9.1936). „Gerücht" bestätigt. Die Existenz derartiger 27. SHT 6.3.1931. Vor der Berufung zum Poli- illegaler Militarisierungsalctivitäten in Form von zeikommandeur war der Pionieroffizier Seile Geländesport, unter anderem durch das „Reichs- innerhalb weniger Jahre als Lübecker Polizei- kuratorium für Jugendertüchtigung" von 1932, hauptmann, Landwirt, Hotelpächter und „Sport- ist vielfach belegt, z.B. in: Wohlfeil, Rainer und lehrer" tätig. In Braunschweig war seit 1930 Dollinger, Hans: Die Deutsche Reichswehr, die NSDAP an der Landesregierung beteiligt, Bilder. Dokumente. Texte. Zur Geschichte des laut Pressebericht (SHT 7.5.1933) folgte Her- Hundertausend-Mann-Heeres 1919 — 1933. bert Seile dem Befehl seines Führers. Zum Frankfurt/M. 1972, S. 162. 27.11.1933 schied er auf eigenen Wunsch aus

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INFORMATIONEN Zur Schleswig-Holsteinischen ZEITGESCHICHTE Heft 37 (2000) dem Polizeidienst aus. Seine Parteimitglied- sant ist hier die Tatsache, dass der weitere Fort- schaft nach 1925 kann durch die Erwähnung gang, einschließlich des Engagements des beim zehnjährigen Jubiläum als „Gründer der Reichspräsidenten bis zur Übernahme der Schu- Ortsgruppe" Lola als erwiesen gelten (SHT len durch die SA in der Schleswiger „Observa- 23.4.1935). Die Spur von Herbert Seile ver- tionsakte" dokumentiert ist. liert sich hier zunächst. Im Zweiten Weltkrieg Vielleicht bezog sich der Chronist Glißmann taucht er als Oberst der Wehrmacht, der auf das Reichskuratorium, als er an den nicht inzwischen mit Hitler „gebrochen" hat, wieder „parteipolitischen Charakter" dachte; der Bezug auf. Seile wird sogar wegen „Wehrkraftzerset- auf Herbert Seile, die Übernahme durch die SA zung" inhaftiert, weil er offen Kritik an Hitlers und die Datierung sind dennoch nicht zutreffend. Kriegsführung, insbesondere an „Stalingrad" (Glißmann, S. 87). äußerte, darf sich aber dann nach einem Jahr 33. Glißmann, S. 87. Haft „an der Front bewähren". Aufgrund der 34. SHT 15.8.1934. Ob die Schließung even- Haftzeit führte er nach dem Krieg ein Verfah- tuell im Zusammenhang mit der sogenannten ren als „Verfolgter des NS-Regimes" und ver- Röhm-Affäre zu sehen ist oder andere Gründe fasst später eine ganze Reihe von Berichten über hatte, konnte nicht geklärt werden. Das „Hotel seine Kriegserlebnisse (z.B. Seile, Herbert: Kaiserhof' wurde von der Eigentümerin, der Wofür? Erinnerungen eines Führenden Pioniers Schwiegermutter von Herbert Seile, im Frühjahr vom Bug zur Wolga. Neckargemünd 1977), 1935 verkauft (SHT 23 .5.1935). die zwar seine kritische Haltung bezüglich der 35. Beim 10-jährigen Jubiläum der NSDAP- Eroberungs- und Völkermordpolitik der Ortsgruppe Lola wird Polizeihauptmann Seile Deutschen beinhalten, andererseits jedoch für als Gründungsmitglied gefeiert. Demnach war er heutiges Verständnis unerträglich militaristisch seit 1925 wieder Mitglied, sein undeutliches Ver- erscheinen. Dennoch ist Seile eine Person, der halten als Volkssportlehrer hatte nur taktische — ähnlich wie Bodo Uhse — die Beschreibung Gründe (SHT 23.4.1935). nur als früher Nazi-Anhänger nicht gerecht 36. vgl. Reichel, Peter: Der schöne Schein des wird, da sein Lebenslauf viele verschieden- Dritten Reiches. Wien 1991, Frankfurt/M. 1993, artige Facetten aufweist, die für eine weitere S. 255. Forschung interessant wären. (Teile dieser 37. LAS Abt. 301, Nr. 4694 (Zeitungsaus- Informationen stammen von einem „Insider" schnitt). der Braunschweiger Polizei.). 38. Z.B. in Itzehoe (SHT 13.10.1932). 28. Schoene galt als Gründer der „SA der Nord- 39. Longerich, Peter: Die braunen Bataillone. mark". Er wurde 1934 mit „höheren Aufgaben" Geschichte der SA. München 1989, S. 126-130, betraut und nach Ostpreußen versetzt. Seine 223/224. Besuche bei den „alten Kameraden" in Lola 40. Longerich, S. 225. Erschwerend kam neben wurden in der NS-Presse zelebriert (z.B. SHT der Gewaltbereitschaft und vielfach belegter 18.6.1934). Trinkgelage der SA-Männer noch hinzu, dass 29. SHT 7.5.1933 In diesem Bericht wird auch nach dem 30. Juni 1934 das Ansehen der SA das Verhältnis zum Reichskuratorium beschrie- in der Öffentlichkeit deutlich abnahm. ben und die Gründung der Volkssportschule 41. Erste nachgewiesene örtliche Erwähnung: auf 1925 datiert. SHT 27.1.1934; Zitat aus SHT 31.8.1935. 30. Seegers stieg 1933 vom „Volkssportlehrer" 42. Vielleicht hat es im August 1934, nach dem zum „Sportbeauftragten in S.-H." auf (SHT verordneten Urlaub der SA (vgl. Longerich, S. 22.6.1933). 210) und kurz vor der offiziellen Stilllegung der 31. Angaben und Zitatworte aus SHT 7.5.1933. SA-Sportschule wirklich eine Phase gegeben, Die Gebäude trugen die Bezeichnung M-Kaser- in der in Lola kaum noch SA-Aktivitäten zu ver- nen in der Gravelotte-Straße, heute Finnische zeichnen waren, weil nur anlässlich des Aufmar- Allee (SHT 7.5.1933; 13.1.1938). sches für den Reichsparteitag „in Lockstedter 32. LAS Abt. 301, Nr. 4694: 13.9.1932: Erlass Lager auf einige Tage wieder ein reges Leben" des RP über das „Reichskuratorium". Interes- herrschte (SHT 25.8.1934).

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Carsten Schroder Der NS-Schulungsstandort Lockstedter Lager

43. SHT 31.8.1935. Mit der „Zeit des Feierns" Geschäftsstelle [der Beamtenbank] gehörten, wurden die mit dem Mythos des nationalsozia- mußte zwangsläufig eine Erweiterung erwogen listischen edlen Herrenmenschen wenig zu ver- werden." einbarenden Sauf- und Raufaktivitäten der SA 53. SHT4.7.1935; 6.8.1935; 31.2.1938; bis Ende 1933 bezeichnet. So verkündete ein 12.4.1938; 9./10.4.1938; 16.4.1937; 22.6.1938. Erlass von Rudolf Heß im November 1933: „Die 54. Folgende Angaben und Zitate aus SHT Zeit des Feierns ist abgeschlossen." Eigenmäch- 26./27.2.1938. tig von „nationalsozialistischen Führern" ange- 55. vgl. Gress, Werner u.a.: Die Handwerker- setzte Feiern, Auftritte und Umzüge wurden fibel. Bad Wörishofen 27. Aufl. 1987, S. 90-92. verboten (SHT 8.11.1933). In der praktischen betrieblichen Ausbildung ist 44. Im Jahr 1935 befanden sich bis zu 17.000 die zur Verfügung stehende Zeit ein wesentlicher Personen im Reich gleichzeitig in SA-Hilfswerk- Faktor des Lernens, weil sich beispielsweise lagern, die von der Arbeitsverwaltung pauschal manuelle Tätigkeiten erst nach angemessener finanziert wurden. Vgl. Longerich, S. 226, 199. Einübung und Wiederholung festigen. Glißmann (S. 87) datiert den Beginn des Um- 56. Kipp, S. 66 (Quellen aus dem BA: R 11/653, schulungslagers auf 1938 und erwähnt nicht das BI. 227; Sammlung Schumacher, Bd. 409). seit 1933/34 vorhandene Hilfswerklager. Im 57. Benze, Rudolf Erziehung im Großdeutschen Bundesarchiv findet sich die erste Erwähnung Reich. Frankfurt/M. 1943, S. 94. 1937 mit Hinweis auf die Existenz „schon in 58. Angaben, soweit nicht einzeln nachgewiesen, der Kampfzeit". Vgl. Kipp, S. 66 (Quelle: BA aus: Kipp, S. 67ff. R 11/653, BI. 227). 59. LAS Abt. 456, Nr. 4. 45. Unter SA-Dienst war nach dem 30. Juni 60. Vgl. Wolsing, Theo: Untersuchungen zur 1934 nicht mehr kämpferischer oder propagan- Berufsbildung im Dritten Reich, Kastellaun/ distischer Einsatz, sondern vor allem körperliche Düsseldorf 1977, S. 70ff. und militärähnliche Ausbildung zu verstehen. 61. Ewald Diercks: Industrielles Ausbildungs- Daneben gab es noch die Sonderaktivitäten der und Prüfungswesen, in: IHK-Altona (Hg.): Nazis: Luftschutzübungen, Schrottsammlung, Wirtschaftliche Nachrichten der schleswig-hol- Winterhilfswerk und Ähnliches, aber auch Ein- steinischen Industrie- und Handelskammern. satz bei Bränden und sogenannten Naturkata- 10. Jg., Altona 1936, S. 77-83. strophen. Vgl. Longerich, S. 224. 62. SHT 11.9.1936. Der DATSch erarbeitete Eventuell überzeichnete hier die Parteipresse als von der Wirtschaft getragene Organisation mit dem Bericht (SHT 31.8.1935) die Neuorien- (gegr. 1908) bis 1933 alle Ausbildungsunter- tierung der SA nach dem 30.6.1934, weil in für Schule und Betrieb. Mit der . lagen Angabe, dem Bericht der Aufbau des Hilfswerklagers nach DATSch-Richtlinien zu verfahren, stellte deutlich in die „Nach-Röhm-Zeit" fällt, obwohl sich die SA in Lola (ungewollt) gegen die Posi- die erste Erwähnung als „Hilfswerkschule" für tion der DAF, die den DATSch als zuständige Januar 1934 nachgewiesen werden kann. kompetente Organisation fiir die Gestaltung der 46. SHT 31.8.1935. Ausbildung in der Industrie verdrängen wollte. 47. Werften und mechanisch-technische Betrie- Vgl. Seubert, Rolf Berufserziehung und Natio- be, vgl. Kipp, S. 73/74. nalsozialismus. Das berufspädagogische Erbe 48. Angaben aus SHT 20.7.1935. und seine Betreuer. Weinheim 1977, S. 99, 49. SHT 31.8.1935. S. 110ff. 50. Longerich, S. 226. 63. Wolsing, S. 73. 51. SHT 5.5.1938. 64. Der Hansestadt Hamburg wurden 1937 52. Glißmann, z.B. S. 147; S. 139: „Doch als größere Teile preußischer Städte und Gemein- die ersten SA-Schüler das Lager bevölkerten, den zugeschlagen, die faktisch schon mit der war bei A. eine spürbare Steigerung des Um- Stadt zusammengewachsen waren. Da Altona satzes zu verzeichnen." S. 180: „Als dann die wichtige Einrichtungen für die Provinz Schles- Ausbilder der inzwischen gegründeten „SA- wig-Holstein vorhielt (z.B. Kammern, Gerichte), Werkschule" auch noch zum Kundenkreis der musste vieles neu geregelt werden.

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INFORMATIONEN zur Schleswig-Holsteinischen ZEITGESCHICHTE Heft 37 (2000)

65. Wirtschaftliche Nachrichten der schleswig- wurden, bleibt unIclar, ob es sich um eigene oder holsteinischen Industrie- und Handelskammern. um pressemäßig-redaktionelle Bezeichnungen Nr. 3, 11. Jg. (Altona 1937) S. 57. handelte. 66. Ein Hinweis auf Prüfungen in Lola durch die 73. Vgl. SHT: 17.4.1935, 21.1.1935, 2.7.1935, Handwerkskammer Lübeck liegt im Archiv der 26./27.2.2938; H1(1-1; Benze, S. 94. Handelskammer Hamburg, es könnte aber die 74. Vgl. Longerich, S. 226. HWK Altona gemeint sein, als deren anteilige 75. Vgl. Benze, S. 54. Rechtsnachfolgerin die HWK Lübeck anzusehen 76. Z.B. Betriebselektriker, Former, Form- ist. Laut HWK Lübeck existieren aufgrund von schmied, Kupferschmied, Rohr-Installateur, Kriegseinwirkung keine Unterlagen mehr. Dreher, Schiftbauer, Werkzeugmacher, Maschi- 67. Leider wurden die Listen oft unvollständig nenschlosser, Feinmechaniker, Blechschlosser, ausgefüllt, daher lässt sich die Zuordnung zu Silberbesteckschmiede (Prüfungslisten 1938 — Lockstedter Lager nicht immer einwandfrei 1945 der IHK Kiel, Zweigstelle Elmshom). Ob vornehmen. Es wurde vielfach nicht mehr ein- die Berufsvielfalt der Prüfungen in Lola wirklich getragen als Beruf, Name und Noten. IHK Kiel: gegeben war oder die Listen bei den Prüfungs- Gewerbliche Prüfungen vor 1945 orten zu wenig differenzierten, kann nicht nach- 68. Die Definition für „alte Kämpfer" bezieht gewiesen werden. sich hier auf Aktivitäten vor 1933. In der NS- 77. Befragung des Zeitzeugen am 7.11.1996 Legende wird häufig auch ein Zeitraum vor 1932 (Begriffe, die er wörtlich verwendete, sind als genannt. Vgl. Longerich, S. 199. Zitat gekennzeichnet.) 69. Kipp, S. 69. Eigentlich ist für Lockstedter 78. Prüfungslisten 1938 — 1945 der IHK Kiel, Lager bzw. den Kreis Steinburg die IHK Kiel Zweigstelle Elmshorn. Subjektiver Eindruck zuständig und in der Presse auch als prüfende nach Durchsicht der Listen. Die Beweisftihrung Stelle genannt (SHT 26./27.2.1938: „Die müsste — soweit mit den Daten möglich — mit theoretische Prüfung wird von der Industrie- und Hilfe statistischer Auswertung erhärtet werden. Handelskammer Kiel und den Meistern der 79. Die Prüfungslisten der 111K wiesen für Werke abgenommen."). Ob daneben durch die 1937 ca. 300, für 1938 ca. 350 Prüfungen aus. IHK Lübeck auch Prüfungen abgenommen 80. Beig, A. (Hg.): 125 Jahre IHK. Pinneberg wurden, konnte nicht geklärt werden. Bei der 1996, S. 8 (Beilage des Pinneberger Tage- IHK Kiel befinden sich Prüfungslisten über Lola blattes). ab 1936. 81. Beispielsweise findet die SA-Berufsschule 70. Kipp, S. 68-71. Die Handelskammer Ham- in der Jubiläumsschrift der Kreisberufsschule burg hat Quellen ähnlichen Inhalts archiviert. keine Erwähnung. Vgl. Berufliche Schulen des 71. Kipp, S. 75. Kreises Steinburg (Hg.): 100 Jahre Berufliche 72. Da einige Nennungen der Presse entnommen Schulen des Kreises Steinburg. Itzehoe 1980.

Abbildungsnachweise:

Abb. 1, 3, 4, 6: Gemeinsames Archiv der Stadt Itzehoe und des Kreises Steinburg, Itzehoe. Abb. 2: Privat Abb. 5, 7, 8, 9: Carsten Schröder

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