George Harrison Der Stille Beatle © Berndt Rieger, Bamberg 2
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Berndt Rieger George Harrison Der stille Beatle © Berndt Rieger, Bamberg 2. Auflage, korrigiert und redigiert Januar 2012 Einleitung Man nannte ihn automatisch den „stillen“ Beatle, weil er bei den Auftritten der Band aus Liverpool auf der Bühne immer im Hintergrund stand und hier kompetent und ruhig nach dem Rechten sah. Manchen hat diese Beschreibung nicht gefallen, weil George privat sehr gesprächig, fast geschwätzig, sein konnte. Doch seine Fähigkeit, Gespräche zu dominieren und dabei auch sehr lustig zu sein, konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass George Harrison Zeit seines Lebens alles mit sich selbst ausmachte. Wenn es um Tieferes ging, sprach er nur selten darüber. So hat auch sein stiller Groll gegen Paul McCartney bewirkt, dass die Beatles nach ihrer Trennung nie wieder zusammen kamen. Seine Schweigsamkeit und Duldsamkeit war aber zugleich auch verantwortlich dafür gewesen, dass sie so lange zusammen geblieben waren. In seinen letzten Jahren wird George zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung zum Einsiedler, zum Schlossherrn, dem der Garten mehr bedeutet als der Kontakt mit anderen Menschen. Er wird als älterer Mann so still, wie er in seiner Jugend immer geschienen hat. George Harrison war ein Suchender. Er hat die Beatles und ihre Musik durch seine spirituelle Reise in die indische Mythologie beeinflusst und war dabei auch einer der Wortführer der 1968er- Bewegung, die glaubte, in das Zeitalter des Wassermanns einzutreten. Der George der frühen 1970er Jahre, der vom Glauben erfüllt war, hat viele spirituelle Lieder geschrieben, und damit die Hitparaden gestürmt. Aber auch bei den Beatles trugen die charakteristische Art seines Gitarrenspiels, die er sich hart erarbeitet hatte, und seine sanft harmonisierende Stimme zum typischen Beatles-Sound bei. George wurde von den anderen Beatles, aber auch von den Fans und von der Öffentlichkeit als Komponist unterschätzt. Bekannt geworden ist hier vor allem die Aussage von Frank Sinatra, das Lied Something von „Lennon/McCartney“ sei eines der schönsten Liebeslieder der letzten fünfzig Jahre. Geschrieben aber hatte es George - neben zahlreichen anderen Klassikern vor allem der späteren Periode wie While My Guitar Gently Weeps, Taxman oder Here Comes The Sun. In den 1970er und 1980er Jahren lag dann der Hauptverdienst von George darin, die englische Filmindustrie mit Produktionen seiner Firma „Handmade Films“ zu beleben. Monty Python's Das Leben des Brian und viele andere Werke aus dem Umfeld der Komikertruppe wären ohne George nicht entstanden. Sein wichtigster Beitrag zur Popkultur bleibt aber die Verbreitung indischer Musik, darunter vor allem der Sitar und der Tabla-Rhythmen, und die Popularisierung der Meditation in Westeuropa. Wenn man das Leben von George betrachtet, fällt dabei vor allem seine Spiritualität ins Auge. Er war ein Suchender. Auf dem Weg zur Erlösung schrieb er seine schönsten Lieder. Zugleich aber blieb er zeitlebens ein Zerrissener. Seine Suche nach Erlösung würde seine erste Ehe zerstören – ebenso wie der gemeinsame Hang zur Mystik den Kitt seiner zweiten Ehe bilden sollte. Sein Leben lang schwankte George zwischen den Polen der Gleichheit und Gleichwertigkeit mit anderen Menschen, der angestrebten Besitzlosigkeit, der Negation aller Interessen und der gewollten Auflösung seiner Person einerseits und dem Leben eines steinreichen Superstars andererseits, der in einem Schloss residierte, nur die teuersten Sportwägen fuhr und sich einen Transatlantikflug bald nur mehr in einem Privatjet vorstellen konnte, da er meinte, in einer Linienmaschine nicht genug „Platz“ zu haben. Die Vorstellung von seinem eigenen Platz im Leben steht dabei schon in der Frühphase der Beatles im Zentrum. George möchte wissen, warum er auf der Erde ist, was das Leben für einen Sinn hat. Er spricht im Alltag wie auch bei öffentlichen Auftritten gern vom Sinn des Lebens und vom Reichtum spiritueller Erfahrungen. Was ihn der Glaube lehrte, versuchte er auch zeitlebens in die Tat umzusetzen. Im Weg stand ihm dabei seine musikalische Begabung, sein Geschäftssinn und die Tatsache, dass er in den Augen der Menschen immer ein Popstar und Multimillionär bleiben würde, der einmal ein Beatle gewesen war. Diese Zerrissenheit zwischen dem Ruhm und dem Wunsch nach Anonymität, und einer starken Persönlichkeit, die immer davon sprach, sich durch innere Betrachtung aufzulösen, macht das Wesen des „stillen“ Beatle aus. Kindheit und Jugend George wird am 24. Februar 1943 um 23:42 in Wavertree, einem Stadtteil von Liverpool, geboren. George pflegte mit seinem Freund Derek Taylor später über seine Herkunft zu scherzen: „In Liverpool geboren zu sein – das verpflichtet.“ Gemeint ist damit der typische Humor, der zum Charme und letztlich auch viel zum Ruhm der Beatles beitragen würde, und mit dem auch George reichlich gesegnet ist. Man nimmt sich nicht so ernst, und hat dabei auch immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Die Beatles der Frühzeit – zumindest, bevor sie mit Drogen Kontakt hatten - waren in der Öffentlichkeit immer gut drauf, weil das eine Wesensart war, die in der weltoffenen Hafenstadt gepflegt wurde. Auch dass George später die Filme der Monty Python Truppe finanzieren würde, hängt damit zusammen, dass er Liverpooler war und nichts mehr liebte als einen Witz, der Autorität und Klassenbewusstsein in Frage stellt. Gut drauf zu sein war bei den Harrisons zu Hause normal. George ist der einzige Beatle, der eine sehr schöne Kindheit hatte. Er wuchs in einer Großfamilie mit Eltern auf, die einen sehr engen, verständnisvollen Umgang mit ihren Kindern pflegten. George hat zeitlebens diese Nähe zu seinen Eltern und seinen Geschwistern beibehalten, und die Geborgenheit, die er erlebte, hat seinen Charakter geprägt. Im Zuge seiner Begeisterung für den indischen Kulturkreis wird George später erfahren, dass seine Mutter während der Schwangerschaft häufig Radio India gehört hat. Louise hätte jeden Sonntag das Radio aufgedreht, um beruhigende Sitar- und Tabla-Klänge für das Baby zu hören. Für ihn erklärt sich so nachträglich seine Hinwendung zu einer zweiten Heimat, die er schon vor seiner Geburt wahrgenommen haben könnte. George wird als letztes von vier Kindern im Haus der Eltern in Wavertree, einem Stadtteil von Liverpool im Westen Englands, geboren. Es ist eine Hausgeburt, die im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs stattfindet. Die Harrisons sind einfache Leute, der Vater Harold Hargreaves Harrison ist Busfahrer, und die Mutter Louise Harrison arbeitet zwischendurch immer wieder als Verkaufshilfe. Die Familie ist durchaus musikalisch, und als man merkt, dass George Musiker werden will, unterstützt ihn gerade die Mutter sehr intensiv. Musik hat in der Familie ein gutes Prestige. George stellt sich schon als Kleinkind auf einen Stuhl, um seiner Familie One Meatball vom Folksänger Josh White vorzusingen, und erntet dabei frenetischen Applaus. George ist überhaupt ein kleiner Schauspieler. Seine Schwester Louise erinnert sich: „Wir hatten Tierpuppen und er machte kleine Stücke mit ihnen, die sehr lustig waren. George war ein offenes, freundliches Kind, das gerne im Mittelpunkt stand.“ Das Haus Arnold Grove Nr. 12 ist denkbar bescheiden. Warmwasser gibt es nicht. George erinnert sich später trotzdem ganz gern daran, dort gelebt zu haben: „Es gab keinen Garten, die Eingangstür ging direkt auf die Straße. Die Treppe führte im hinteren Zimmer in den ersten Stock hoch, wo noch zwei Schlafzimmer waren. Das Haus war in Ordnung für die damaligen Verhältnisse. Es gab dort einen kleinen eisernen Ofen, wo man den Tee aufstellte. Im Winter war es dort ziemlich kalt. Eine Heizung gab es nicht. Im Winter waren die Fenstern vereist, und man bekam abends eine Wärmflasche ins Bett, um sich aufzuwärmen und dann lag man ganz still und es dauerte bis zum Morgen, bis man warm war, und dann hieß es schon wieder: Aufstehen, ab in die Schule. Aber es war in Ordnung dort, sehr gemütlich, und sehr sonnig in der warmen Jahreszeit. Mir ist erst vor kurzem aufgefallen, dass John und ich in die gleiche Grundschule gegangen sind, in der Dovedale Road.“ Später wird es von den Beatles heißen, dass sie in der Unterschicht aufgewachsen sind. Das wird für John so nicht stimmen, weil er bei seiner Tante Mimi in einer gutbürgerlichen Villa groß wird. Und auch Paul kennt als Sohn eines Handelsvertreters und einer Hebamme keine Armut. George und Ringo aber sind wirklich arm und ohne Zukunftsperspektiven aufgewachsen. Bei George gibt es kein Warmwasser und die Toilette ist ein Plumpsklo im Freien. Louise, die Schwester von George, erzählt später: „Unsere Mutter brachte uns bei, dass wir keine Bauern waren, dass wir Kultur hatten und im Leben weit kommen konnten, wenn wir das denn wollten und bereit waren, dafür hart zu arbeiten. Sie brachte uns bei, über Dinge nachzudenken, Fragen zu stellen, freundlich zu sein, aber nie unterwürfig. Wir hatten einen starken Familiensinn und teilten alles. Wenn es nur einen Apfel gab, dann bekam jeder von uns ein Viertel davon.“ Als die Familie 1950 in einen neuen Sozialbau im Stadtteil Speke an der Upton Green Nr. 25 umzieht, ist das für den siebenjährigen George auf den ersten Blick keine große Verbesserung, obwohl Sozialwohnungen damals sehr begehrt sind. Sie haben jetzt Warmwasser, alles ist neu und es gibt auch ein WC. Doch der Lärm ist hier weit größer als im Arnold Grove. Wenn man hier im Neubaugebiet vor die Tür geht, sieht man Flugzeuge über die Dächer streifen, die am Flughafen von Liverpool landen. Nebenan stoßen Industrieschlote Rauch aus. Und hinter der Wohnanlage hört man die Autobahn. Die ganze Familie fühlt sich in Speke nicht wohl. Nachts hat George neuerdings Alpträume. Er träumt davon, winzig zu sein, und unendlich schwach. Diese Träume werden Ende der 1960er Jahre in den Abbey-Road Studios wieder auftauchen, weil ihm dort Paul McCartney immer wieder das Gefühl geben wird, mit den Genies John und Paul nicht mithalten zu können. Auch andere Dinge, die die Kindheit von George in dieser Zeit bestimmen, werden im Erwachsenenalter wichtig sein. Als Junge fährt George gerne Rad und liebt dabei vor allem die Geschwindigkeit. Diese Faszination wird bleiben. Kaum wird er später zu Geld gekommen sein, wird er schnelle Autos kaufen und im irrwitzigen Tempo darin unterwegs sein.