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-Museum in der Alten Nikolaischule Foto: Bertram Kober, Der junge punktum FOTOGRAFIE, Eine neue Dauerausstellung in der Alten Nikolaischule zu Leipzig

Wolfgang Hocquél

Der 200. Geburtstag Richard Wagners am 22. bäude der Stadt. Bereits 1395 hatte Papst Bo- Mai 2013 bot die einmalige Chance, seinen nifatius IX. auf Anfrage des Stadtrates die Geburtsort Leipzig in den Blickpunkt der in- Schulgründung bei der Stadtpfarrkirche St. ternationalen Musikwelt zu rücken und ei- Nikolai durch ein Privileg genehmigt. Noch nen neuen Ansatz der Musikrezeption des heute wird die päpstliche Stiftungsbulle im lange vernachlässigten Frühwerkes in die Leipziger Stadtarchiv aufbewahrt. Von 1828 musikwissenschaftliche Diskussion einzu- bis 1830 besuchte auch Richard Wagner die- bringen. Diesem Anliegen diente auch die se Schule. Einrichtung einer Dauerausstellung in der Wer den jungen Wagner kennenlernen und Alten Nikolaischule durch die Kulturstiftung verstehen will, muss nach Leipzig kommen. Leipzig, die das Gebäude in den Jahren 1991 „Richard ist Leipziger“, lautet das Motto des 1 Die Planungsvoraussetzun- bis 1994 mit Mitteln der Stadt Frankfurt am Richard-Wagner-Verbandes Leipzig. Die Kul- gen schuf seinerzeit die Ar- chitektengemeinschaft Eh- Main, Fördermitteln des Bundes, des Frei- turstadt Leipzig definiert sich zunehmend als lers & Storch aus Hannover staates Sachsen und Eigenmitteln saniert hat- Stadt einer großen Musiktradition. Hierfür sowie Rüdiger Sudau aus te.1 Die 1512 ad ecclesiam Sancti Nicolai er- stehen so klangvolle Namen der Vergangen- Leipzig. Das denkmalpfle- öffnete Nikolaischule ist die erste Bürger- heit wie Johann Sebastian Bach (1685– gerische Konzept erarbeite- te Dr. Sabine Schneider aus schule Leipzigs, ihr Schulhaus am Nikolai- 1750), Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809– Leipzig. kirchhof das älteste erhaltene profane Ge- 1847), Robert Schumann (1810–1856) und

Sächsische Heimatblätter · 1 | 2016 44 Der junge Richard Wagner. Eine neue Dauerausstellung in der Alten Nikolaischule zu Leipzig

Die Alte Nikolaischule am Leipziger Nikolaikirchhof heute Foto: Mahmoud Dabdoub, Leipzig

Clara Wieck (1819–1896), Edvard Grieg begabte Ludwig Geyer den Knaben in die (1843–1907) oder aber Gustav Mahler (1860– Anfangsgründe der Malerei ein. Ludwig Gey- 1911), die alle in Leipzig mehr oder weniger er starb bereits im Jahre 1821. Richard kam lange gewirkt haben. nun zu seinem Stiefonkel nach Eisleben und Richard Wagner wurde am 22. Mai 1813, im kaum ein Jahr später für kurze Zeit zu sei- Jahr der Völkerschlacht, im Haus „Zum Ro- nem Leipziger Onkel Adolf Wagner, der im ten und Weißen Löwen“, am Leipziger Brühl Königshaus am Markt wohnte. Dieser dräng- 3 als neuntes Kind der Familie Wagner gebo- te darauf, dass der junge Richard, um später ren. Am 16. August 1813 wurde er in der studieren zu können, die Dresdner Kreuz- Thomaskirche getauft. Sein Geburtshaus schule besuchte, was ab 2. Dezember 1822 wurde schon 1886 abgebrochen. Vater Karl geschah. Griechisch, Latein und Mythologie Friedrich Wilhelm Wagner (1770–1813) war ein gebildeter, angesehener Polizeibeam- ter am Leipziger Stadtgericht, dessen Interes- se besonders dem Theater galt. Nur ein hal- bes Jahr nach der Geburt Richard Wagners starb der Vater unerwartet an den Folgen ei- ner während der Völkerschlacht ausgebro- chenen Seuche, dem Lazaretttyphus. Zu Os- tern 1814 heiratete die Witwe Johanna Rosine Wagner (1774–1848) den Schauspie- ler Ludwig Geyer (1779–1821), einen engen Freund der Familie seit dem Jahre 1801. We- nig später siedelte man nach über, wo Geyer Hofschauspieler war. In Dresden verbrachte Wagner den größten Teil seiner Porträt des jungen Richard Jugend. Geyer nahm den jungen Richard Wagner, Öl auf Leinwand, Geyer – wie er seit der Verheiratung der Ausschnitt, unsigniert, 1833, im Besitz von , Mutter nunmehr hieß – des Öfteren zu Thea- Urenkelin von Richard Wagner terproben mit und weckte dessen Interesse Foto: Fotostudio Thomas Köhler, für dieses Metier. Auch führte der vielseitig Bayreuth

Sächsische Heimatblätter · 1 | 2016 45 Der junge Richard Wagner. Eine neue Dauerausstellung in der Alten Nikolaischule zu Leipzig

da an alle Liebe zu den philologischen Stu- dien fahren ließ. Ich ward faul und lieder- lich, bloß mein großes Trauerspiel lag mir noch am Herzen.“ Im Rahmen des Projektes „Leipziger No- tenspur“, das wichtige Stätten der Musikge- schichte miteinander vernetzt und touris- tisch erschließt, entstand in der denk- malgeschützten Alten Nikolaischule ein Ort der Erinnerung an den jungen Richard Wag- ner. Aus diesem Grunde wurde in den Aus- stellungsräumen des Untergeschosses eine Dauerausstellung geschaffen, die sich erst- mals in Deutschland ausführlich mit dem Wirken des jungen Richard Wagner beschäf- tigt. Der besondere Wert der Ausstellung be- steht darin, dass Leben und Werk des jungen Wagner umfassend dargestellt und einer mu- sikwissenschaftlichen Neubewertung unter- Einweihungsveranstaltung in waren seine Lieblingsfächer. In Dresden zogen werden. Ein Begleitband ergänzt die der klassizistischen Richard- machte Richard Wagner die Bekanntschaft Ausstellung. Er lässt den jungen Wagner in Wagner-Aula am 21. Mai 2013. mit (1786–1826) einem ganz neuen Licht erscheinen. Mit der Links am Flügel: Prof. Rolf- und dessen Meisterwerk, dem „Freischütz“. Ausstellung erhält die über 500-jährige Alte Dieter Arens, Präsident der Kulturstiftung Leipzig, rechts: 1829 nahm seine Schwester Rosalie Wag- Nikolaischule eine weitere kulturgeschichtli- Oberbürgermeister Burkhard Jung ner (1803–1837) ein Engagement am Leip- che Facette, die beispielhaft auch für das und ziger Theater an. Schon Ende 1827 zog sei- Wirken vieler weiterer bedeutender Schüler ne Mutter, die bei Rosalie in Prag gewohnt wie Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) hatte, zurück nach Leipzig. Ihr folgte kurz oder aber Johann Gottfried Seume (1763– darauf Richard aus Dresden, wo er bei der 1810) steht. Familie Böhme Aufnahme gefunden hatte. Erstmals widmet sich eine Ausstellung aus- Wagner verbrachte wesentliche Teile sei- schließlich der Persönlichkeit des jungen Ri- ner Jugendzeit in Leipzig und erfuhr hier chard Wagner. Erstmals werden seine Ju- seine Ausbildung als Musiker. Hervor- gend, sein Umfeld, seine musikalische zuheben ist der Kompositionsunterricht Ausbildung, die prägenden Bildungseindrü- beim angesehenen Thomaskantor Christi- cke und sein Frühwerk in der Tiefe durch- an Theodor Weinlig (1780–1842). Große drungen. Die Ausstellung ist eine notwendi- Teile seines heute wenig bekannten Früh- ge Ergänzung des Wagnermuseums in werkes gelangten hier zur Aufführung. Die Bayreuth, das den Fokus auf den reifen Kom- Ausstellung zeigt, in welchem Umfeld der ponisten legt. Die Ausstellung macht deut- junge Wagner aufwuchs, durch welche Er- lich, wie ein junger Mann mit ausgeprägtem eignisse und Persönlichkeiten er geprägt Sendungsbewusstsein auch unter schwieri- wurde und welche künstlerische Reife er gen sozialen Bedingungen seinen Weg sucht bereits als junger Mann erlangte. und findet. Damit möchte die Ausstellung ge- Von 1828 bis 1830 besuchte er die hiesige rade auch ein jüngeres Publikum ansprechen, Alte Nikolaischule am Nikolaikirchhof, die in dem sie zeigt, dass Ausdauer und Beharr- 1827 eine neue Aula mit einer schlichten lichkeit wichtige Voraussetzungen für beruf- klassizistischen Ausmalung erhalten hatte. lichen Erfolg sind. Sie verdeutlicht, dass der Diese Anfang 2012 erneut restaurierte 21-jährige Wagner, als er im Juli 1834 seinen Aula ist heute der einzige authentisch er- Wohnsitz in Leipzig aufgab um eine Stellung haltene Ort der Erinnerung an diesen be- als Kapellmeister am Magdeburger Stadtthe- deutenden Komponisten des 19. Jahrhun- aters anzutreten, ein weitgehend ausgebilde- derts in Leipzig. Wagner schrieb: „Ich ter Komponist und Dirigent war, der auf eine verließ […] Dresden und die Kreuzschule, erstaunliche Zahl von Kompositionen ver- und kam nach Leipzig. Auf der dortigen Ni- weisen konnte, die überwiegend auch schon kolaischule setzte man mich nach Tertia, in Leipzig zur Aufführung gelangt waren. 2 Wagner, Richard: Autobio- nachdem ich auf der Dresdner Kreuzschule Auch war er bereits mit allen für seine Ent- graphische Skizze. In: Sämt- liche Schriften und Dichtun- schon in Sekunda gesessen; dieser Um- wicklung wichtigen neuen und klassischen gen, Leipzig o. J., S. 5 f. stand erbitterte mich so sehr, daß ich von Werken der Musik und Literatur vertraut.

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Wagner-Museum in der Alten Nikolaischule Foto: Bertram Kober, punktum FOTOGRAFIE, Leipzig

Obwohl sein Wirken in Leipzig im Mittel- Vertiefungsinformationen ergänzt werden. Dauerausstellung punkt steht, werden auch andere Stationen Hörstationen erlauben das Erleben Wagners „Der junge Richard Wagner, seiner Jugend beleuchtet, so seine Kindheit früher Werke. Hierbei denke man z. B. an 1813 bis 1834" Nikolaikirchhof 2, 04109 Leipzig in Dresden und der Besuch der Kreuzschule Ausschnitte seiner 1832 vollendete Konzert- Tel. 0341 2118518 ab 1822. Ouvertüre Nr. 2 in C-Dur, die am 30. April [email protected] Die konzeptionelle Leitung des Gesamtpro- des gleichen Jahres im Leipziger Gewand- jektes lag in den Händen von Professor Rolf- haus aufgeführt wurde. Dazu werden Zitate Öffnungszeiten: Dieter Arens, Konzertpianist und langjähri- aus seinem umfangreichen autobiografischen Dienstag bis Donnerstag und Samstag/Sonntag von 12.00 ger Rektor der Hochschule für Musik „Franz Werk und Äußerungen von Zeitgenossen bis 17.00 Uhr, an Feiertagen Liszt“, sowie von Dr. Wolfgang Hocquél, Ge- über ihn eingespielt. Im letzten Ausstellungs- geschlossen. schäftsführer der Kulturstiftung Leipzig. Für raum kann man seine 1833 bis Januar 1834 die Erarbeitung des musikwissenschaftlichen in Würzburg entstandene, erste vollendete Konzepts zeichnete Prof. Werner Wolf, einer Oper „“, die allerdings erst nach sei- der führenden Wagnerexperten Deutsch- nem Tode im Jahre 1888 in München zur Ur- lands, verantwortlich. Für die Ausstellungs- aufführung gelangte, in einem Trailer der gestaltung konnte der erfahrene Leipziger Oper Leipzig von 2013 kennenlernen. In der Ausstellungsmacher Heinz-Jürgen Böhme klassizistischen Aula können mit modernster gewonnen werden, dem beim Neuaufbau des Technik akustische Tonbeispiele aller frühen Grassimuseums für angewandte Kunst in Werke unter den Bedingungen eines Kon- Leipzig eine viel beachtete Ausstellungs-In- zertsaales gehört werden. Das Vorhanden- szenierung gelang. sein eines modernen Blüthner-Flügels be- Ein nicht unbedeutender Aspekt der Ausstel- günstigt die Aufführung von Wagners lung besteht darin, Wagners Leipzig als Stadt Werken. Zu denken ist dabei vor allem an die des Biedermeiers in attraktiven historischen Wesendonck-Lieder oder aber an sein wenig Abbildungen möglichst anschaulich werden bekanntes Klavierwerk. Hier kann ein Stück zu lassen, denn das Leipziger Stadtzentrum Zeitkolorit unmittelbar und authentisch ver- ist heute derart gründerzeitlich überformt, mittelt werden. Die historische Unmittelbar- dass man sich nur schwer das malerische, keit des Ortes wird dadurch noch erhöht, noch mit Stadtmauern und Wassergräben dass ein restauriertes, um 1835 gefertigtes befestigte Stadtbild des ersten Drittels des Broadwood-Klavier in der Aula dauerhaft in- 19. Jahrhunderts vorstellen kann. Die sehr tegriert wurde, das in der Schweiz erworben modern anmutende Ausstellung arbeitet vor und in Wien restauriert wurde. Es dient der allem mit audio-visuellen Mitteln. Das Bild- zeitgemäßen Interpretation von Klavierwer- material in den nur spärlich belichteten, in ken aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhun- Autor dunklem Blau gehaltenen Gewölben wird auf derts, unter anderem Wagners wenig be- Dr. Wolfgang Hocquél Leuchttafeln präsentiert, die durch LCD- kannter frühen Klaviersonate in A-Dur Leipzig Bildschirme und Touchscreens für Bild-Text- (1832).

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