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DIE MACHT DES DINGLICHEN SKULPTUR HEUTE! Herausgegeben von Marc Wellmann

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Diese Publilkation erscheint anlässlich der Ausstellung: Veranstalter: Freundeskreis der Bernhard-Heiliger-Stiftung, Die Macht des Dinglichen – SKULPTUR HEUTE! in Kooperation mit der Bernhard-Heiliger-Stiftung im Georg-Kolbe-Museum, , 11. Februar bis 28. Mai 2007 Konzeption und künstlerische Leitung: Marc Wellmann Wir danken unseren Partnern: Dussmann - das KulturKaufhaus, monopol - Magazin Organisatorische Leitung: Jan Frontzek für Kunst und Leben, RBB Kulturradio, zitty - das Hauptstadtmagazin Technische Leitung: Hartmut Stielow Öffentlichkeitsarbeit: Achim Klapp Die Ausstellung wurde realisiert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds Fundraising / Sponsoring: Brigitte Sonnenschein

© 2007 Wienand Verlag Köln, Künstler und Autoren Künstlertexte: Marc Wellmann Lektorat: Esther Sophia Sünderhauf Redaktionelle Mitarbeit: Silke Neumann Titelabbildung: Kataloggestaltung: Christian Mathis, stickfish productions Iris Schieferstein Gesamtherstellung: primeline.print Ohne Titel, 2000 (Detail) ISBN 978-3-87909-912-2 Katalog S. 105. www.wienand-verlag.de Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 3

DIE MACHT DES DINGLICHEN SKULPTUR HEUTE!

Ursel Berger Katalog Grußwort ...... 4 Axel Anklam...... 24 Angelika Arendt...... 28 Klaus Schütz Bara...... 32 Vorwort und Dank...... 5 Florian Baudrexel...... 36 Oliver van den Berg...... 40 Marc Wellmann Stefanie Bühler ...... 44 Einführung...... 6 Birgit Dieker ...... 48 Berta Fischer...... 52 Jessica Ullrich Harry Hauck...... 56 Die Macht des Stofflichen. Thomas Helbig ...... 60 Bildhauermaterialien im 21. Jahrhundert...... 12 Tony Matelli ...... 64 Reiner Maria Matysik...... 68 Constanze von Marlin Anna-Kavata Mbiti ...... 72 Neue Formen. Jonathan Meese ...... 76 Der erweiterte Skulpturbegriff in den 60er Jahren...... 18 Anke Mila Menck...... 80 Katharina Moessinger ...... 84 Joel Morrison ...... 88 Nadine Rennert...... 92 Thomas Rentmeister ...... 96 Anselm Reyle ...... 100 Iris Schieferstein...... 104 Hans Schüle...... 108 Matthäus Thoma...... 112 Marcus Wittmers...... 116

Verzeichnis der Exponate und Bildnachweis...... 120 Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 4

Grußwort Ursel Berger Direktorin des Georg-Kolbe-Museums

4 Das Georg-Kolbe-Museum, 1950 im ehemaligen Atelier des Bild- lichen Wachsplastiken vom Ende des 20. Jahrhunderts. Mit der Bern- hauers Georg Kolbe eröffnet, hat sich in den letzten dreißig Jahren zu hard-Heiliger-Stiftung ist seit zehn Jahren in Berlin neben der Georg- einer Plattform der Bildhauerei des 20. Jahrhunderts entwickelt. Über Kolbe-Stiftung eine weitere Institution tätig, die, ausgehend von dem einhundert Sonderausstellungen fanden in dieser Zeit statt. Gezeigt wur- Nachlass eines großen Bildhauers, sowohl dessen Werk wie auch den den überwiegend Bildhauerarbeiten, dabei bildete die erste Hälfte des Nachwuchs pflegt. Vielfältig ist die freundschaftliche Zusammenarbeit 20. Jahrhunderts den Schwerpunkt. Immer wieder jedoch wurden auch der beiden Stiftungen, die mit dem Start der erfolgreichen Ausstellung Positionen der Gegenwartskunst vorgestellt. Damit steht das Museum Bernhard Heiliger – Die Köpfe im Jahr 2000 einen ersten Höhepunkt keineswegs im Widerspruch zu den Intentionen seines Stifters. In sei- erlebte. Nun ist der Freundeskreis der Bernhard-Heiliger-Stiftung mit der nem Testament bestimmte Kolbe einerseits sein Haus als Sammelort Ausstellung Die Macht des Dinglichen – SKULPTUR HEUTE! zu Gast im seines Werkes; er dachte andererseits aber auch an die nächste Gene- Museum. Damit hält das 21. Jahrhundert Einzug in die historischen Räu- ration, indem er einen Preis für junge Bildhauer stiftete. In den Jahren me. Diese Ausstellung ist deshalb besonders erfreulich, weil sie belegt 1950-1967 wurde der Georg-Kolbe-Preis dreizehn Mal vergeben. Zusam- – was in den letzten Jahrzehnten des öfteren bezweifelt wurde – dass men mit dem Verein Berliner Künstler gab es den Versuch, diesen Preis die künstlerische Auseinandersetzung mit den plastischen Materialien wiederzubeleben: 2001-2003 wurde er erneut dreimal vergeben. Fast nicht abgerissen ist. Natürlich ist es kein gedankenloses Weitermachen wichtiger als das Preisgeld war dabei die Möglichkeit eine Ausstellung in den alten Bahnen; gerade die Anfeindungen haben zu neuartigen in den Räumen des Georg-Kolbe-Museums zu zeigen. Auch in den Ansätzen geführt. Im Namen des Georg-Kolbe-Museums danke ich der Jahren, in denen keine Preise verteilt worden sind, wurden junge Künst- Bernhard-Heiliger-Stiftung und ihrem Freundeskreis, stellvertretend sei- ler – meist in Einzelausstellungen – vorgestellt. Der bisherige Höhepunkt en Dr. Marc Wellmann als Kurator und Dr. Klaus Schütz genannt, dass sie in der Präsentation moderner Plastik war 2002 die Ausstellung mit figür- im Georg-Kolbe-Museum die Macht des Dinglichen vorführen. Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 5

Vorwort Klaus Schütz Vorsitzender des Freundeskreises der Bernhard-Heiliger-Stiftung

Am 17. Dezember 2003 wurde der Freundeskreis der Bernhard-Heili- Bildhauer, von denen allerdings einige erst vor kurzem in die Stadt gezo- 5 ger-Stiftung gegründet, um deren Arbeit ideell und materiell zu unter- gen sind, die momentan weltweit auf Künstler wieder eine große stützen, insbesondere bei der Förderung des künstlerischen Nachwuch- Anziehungskraft ausübt. Dank dieses Umstandes konnte der Kurator ses. Seit 1996 vergibt die Bernhard-Heiliger-Stiftung ein Stipendium an gewissermaßen aus dem Vollen schöpfen, doch wurde die Auswahl besonders begabte Bildhauerinnen und Bildhauer aus den Meisterklas- unter anderem ergänzt durch den New Yorker Tony Matelli und die sen der beiden Berliner Kunsthochschulen. Das Vorschlagsrecht liegt Karlsruherin Angelika Arendt. bei den Professoren für Bildhauerei der Universität der Künste und der Der Freundeskreis der Bernhard-Heiliger-Stiftung hat die Träger- Kunsthochschule Weißensee. Aus diesem Förderprogramm ist auch die schaft der Ausstellung übernommen, um sein Engagement für die junge Idee zur Ausstellung Die Macht des Dinglichen – SKULPTUR HEUTE! Bildhauerei in die Öffentlichkeit zu tragen und den aktuellen Positionen erwachsen, die Dr. Marc Wellmann als Vorstand der Bernhard-Heiliger- ein Forum zu ermöglichen. Ein besonderer Dank gilt dem Hauptstadt- Stiftung mit Augenmaß und fundiertem ästhetischen Urteil konzipiert kulturfonds, durch dessen großzügige Förderung das Projekt erst ermög- und kuratiert hat. Aus dem größeren Kreis der Stipendiaten wurden licht wurde. Eine zusätzliche Spende von Prof. h. c. Hartwig Piepenbrock Birgit Dieker (Heiliger-Stipendium 2001), Harry Hauck (1997), Anna- wurde dankend angenommen. Danken möchte ich auch Frau Dr. Ursel Kavata Mbiti (2002), Katharina Moessinger (2005) und Marcus Witt- Berger, der Direktorin des Georg-Kolbe-Museums, für die Gastfreund- mers (2004) für die Ausstellung ausgewählt und hier in einen umfas- schaft in ihrem Haus und die engagierte Hilfe ihrer Mitarbeiter. Nicht senden Kontext der zeitgenössischen Skulptur gestellt. Neben einigen zuletzt seien die Autorinnen des Kataloges für ihre erhellenden Beiträge bekannteren Positionen handelt es sich dabei vor allem um so genann- hervorgehoben. Schließlich gilt ein besonders herzlicher Dank allen te emerging artists, die bereits auf dem Kunstmarkt Fuß gefasst haben, Leihgebern sowie allen beteiligten Künstlern und ihren Galerien, die ohne jedoch etabliert zu sein. In der Mehrzahl sind es in Berlin lebende aktiv an der Realisierung der Ausstellung mitgeholfen haben. Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 6

Einführung Marc Wellmann

„Das Dinghafte am Werk ist offenkundig der Stoff, aus dem es besteht. Der Stoff ist die Unterlage und das Feld für die künstlerische Formung.“ 1 (Martin Heidegger)

6 1 Martin Heidegger, Der Die Ausstellung Die Macht des Dinglichen – SKULPTUR HEUTE! Plastik zu verdrängen scheint“.3 Beim Gang durch die Documenta-Aus- Ursprung des Kunstwerkes, versteht sich als eine Standortbestimmung des Plastischen in der zeit- stellungen und Biennalen der letzten Jahre konnte man ihm nur Recht Stuttgart 1960, S. 19. genössischen Kunst. Sie vereint 24 unterschiedliche bildhauerische Po- geben. Doch hat die Rentmeister-Ausstellung 2002 anscheinend ein 2 Vgl. Rosalind E. Krauss, sitionen unter den Stichworten des Haptischen, Konkreten, Abgeschlos- Zeichen gesetzt. Seit dieser Zeit hat sich in den Ateliers ein regelrech- „ in the Expanded senen und Beständigen. Die Gattung der Skulptur hat in den vergange- ter Paradigmenwechsel unter dem Motto „Zurück zum Objekt“ als Field“, in: The Originality of nen fünfzig Jahren eine enorme konzeptionelle Erweiterung erfahren. Sie Antwort auf den momentanen Mainstream von installativen, raumbezo- the Avant-Garde and Other umfasst seit den 1960er Jahren alle künstlerischen Formungen, Setzun- genen, performativen oder gänzlich ephemeren Kunstrichtungen mani- Modernist Myths, Cambridge gen und Handlungen im dreidimensionalen Raum. Dazu gehören Land festiert. 1986, S.276-290, hier: S.277. Art, Environment, Performance, Rauminstallationen, Videokunst oder Als beispielhaft für diese Rück- und Neubesinnung auf das Plas- 3 Laudatio anlässlich der soziale Interventionen, ja sogar Architektur wie etwa jüngst Frank tisch-Dingliche lässt sich das Werk des 1976 geborenen Amerikaners Eröffnung der Ausstellung Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao.2 Inmitten dieser extremen Aus- Joel Morrison anführen, der in Los Angeles und Berlin arbeitet und im Thomas Rentmeister. weitung der Kategorie Skulptur bleibt dennoch ein fester, sozusagen Kreis von Jason Rhoades seine ersten schöpferischen Impulse erfuhr. WerkRaum.10, wesenhafter Kern, der seine Faszination nicht eingebüßt hat, auch Während Rhoades die Dinge des alltäglichen Lebens zu großflächigen Nationalgalerie im wenn er seit einiger Zeit vom Kunstbetrieb in den Hintergrund gedrängt Installationen ausbreitete, presst und komprimiert Morrison Fundstücke Hamburger Bahnhof am wurde. Als Thomas Rentmeister 2002 für seine klar konturierten und aus seiner näheren Umgebung mittels Klebeband zu plastischen Gebil- 26. 7. 2002, in: hochglanzpolierten Polyesterskulpturen den Piepenbrock-Nachwuchs- den, die er anfänglich in Fiberglas und Polyester abformte und mittler- www.thomasrentmeister.de. preis für Bildhauerei erhielt, sprach Lothar Romain – der 2005 verstor- weile in Bronze und Edelstahl gießen lässt. Morrisons organisch-bio- bene Präsident der UdK Berlin und Vorsitzende der Bernhard-Heiliger- morphe Gebilde sind nur oberflächlich von Anleihen der Klassischen Stiftung – in seiner Laudatio von „einer Zeit, da die Installation die Moderne und der Nachkriegsmoderne geprägt. Sie stellen keinen blo- Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 7

ßen Rückschritt in die 1950er Jahre mit ihren größtenteils um sich stellungen, ist der Mut – so muss man es tatsächlich nennen – zur plas- selbst kreisenden Diskursen über die reine Form und den Raum dar. Ihr tischen, körperlichen Formung eines beständigen Materials sowie der Bezugspunkt sind vielmehr die jüngeren Entgrenzungstendenzen der durchweg hohe handwerkliche Anspruch an das fertige Werk. Seit der Kunst, denen der Künstler einen intelligenten Kommentar entgegensetzt. Erweiterung des Kunstbegriffes in den 1960er Jahren haben wir uns da- Auf ganz ähnliche Weise sind die Werke der hier ausgewählten ran gewöhnt, die Verwendung von provisorischen oder vergänglichen Künstler in ein weit reichendes Netzwerk von konzeptuellen Bezügen Materialien als Metaphern für die Unberechenbarkeit und Instabilität eingebunden, die sie überformen und über ihre schiere Präsenz hinaus der Gesellschaft zu interpretieren. Die Skepsis gegenüber der Dauerhaf- erweitern können. Harry Hauck bildet mit 70 Litern Luft gefüllte Gummi- tigkeit, Stabilität und Geschlossenheit eines Kunstwerkes war mithin kissen, deren Inhalt exakt seinem Körpervolumen entspricht und deren eine kritische, wenn nicht gar politische Position. Im Zuge der Einbin- Oberfläche an die Verletzlichkeit und Porosität des menschlichen Leibes dung vormals kunstfremder Werkstoffe in der Minimal Art, Arte Povera denken lässt. Katharina Moessinger schneidert lebensgroße Kuschel- oder bei Joseph Beuys – was Gegenstand des Textbeitrages von Con- tiere aus echten Tierhäuten in den Proportionen von Stoffspielzeug, die stanze von Marlin ist – wurde vor allem der Bronze- oder Metallguss als den Betrachter auf seine eigene, von Konsum und Nutzerwägungen ge- Inbegriff des Ehernen und Klassischen diskreditiert. Mittlerweile gehen prägte Beziehung zum Tier zurückwerfen. Anselm Reyles Bronzen sind die Künstler wieder gänzlich unbefangen mit derartigen bildhauerischen vergrößerte und verchromte Versionen von afrikanischen Speckstein- Materialien um. Joel Morrison, Jonathan Meese und Anselm Reyle be- skulpturen, deren Formenkanon offensichtlich von Künstlern der Nach- ziehen sich ganz bewusst auf die historische Konnotation der Bronze. kriegszeit wie Moore oder Arp beeinflusst wurde, und die als schrille, Hans Schüle formt aus Metallen hochgradig komplexe organische Ge- übersteigerte Version der organischen Abstraktion nun wieder in das bilde. Selbst ein Material wie Beton, das in den 1950er Jahren für die Kunstsystem eingespeist werden. Ein derartiges Crossover unterschied- Bildhauer der Nachkriegsgeneration eine besondere Bedeutung als licher Idiome ist für die hier gezeigte Bildhauer-Generation typisch, die preiswerter Bronze-Ersatz hatte, erlebt heute eine Renaissance und 7 mit sämtlichen Formen des Samplings in der Musik groß geworden ist. erhält in den Arbeiten von Bara eine verblüffend spielerische Dimen- Tony Matelli vermischt kunstgeschichtliche Bezüge mit herber Gegen- sion. Auch ist Holz als Werkstoff nach wie vor aktuell. Entweder in roher wärtigkeit, Marcus Wittmers kreuzt die Comic-Ästhetik mit der Monu- Form wie bei Matthäus Thoma oder bei den aus großen Blöcken heraus- mentalität des klassischen Standbildes, Jonathan Meese konstruiert geschnitzten Sumo-Ringern von Anna-Kavata Mbiti. In einer jüngeren einen ganzen Kosmos aus Versatzstücken von high und low culture, der Werkserie versiegelt diese Künstlerin das zu windschnittigen Formen auch seine Bronzeplastiken prägt. Auch die Mischwesen von Thomas geschliffene Holz unter einer dicken Lackschicht, was auch die Arbeiten Helbig und Iris Schieferstein sind hier zu nennen, die ebenfalls aus aus MDF-Platten von Anke Mila Menck auszeichnet. Äußerst plastisch gesampeltem Ausgangsmaterial bestehen. Im Fall von Helbig sind es gebildet ist auch das zu räumlichen Ornamenten gebogene farbige Plastikfiguren, die er fragmentiert und mit natürlichen Fundstücken zu Acrylglas von Berta Fischer oder der zu biomorphen Massen aufgetürm- halbamorphen Gebilden kombiniert. Schieferstein verwendet präparier- te und farbig gefasste PU-Schaum von Angelika Arendt. Mit Rückbezug te Tierkadaver, um sie in Objektkästen zu neuartigen Kreaturen zusam- auf die abstrakte Formensprache der Klassischen Moderne nutzt Florian menzusetzen, welche vor der Hybris neuzeitlicher Gentechnologie zu Baudrexel gefundene und ‚arme‘ Werkstoffe, die er im Umformungspro- mahnen scheinen. Auch Oliver van den Bergs Skulpturen sind in einem zess zu einem Kunstwerk gewissermaßen recycelt. Die semantischen größeren konzeptuellen Zusammenhang zu begreifen, in dem es um die Ebenen der Materialien werden im folgenden Beitrag von Jessica Ulrich plastischen Werte alltäglicher und technischer Dinge geht, die im noch ausführlicher behandelt, doch fällt in diesem Zusammenhang die Nachbau von imaginären Prototypen bloßgelegt werden. häufige Verwendung von empfindlichen Materialien auf, die aus- Das wesentliche gemeinsame Merkmal der hier ausgestellten Ar- schließlich im Innenraum präsentiert werden können. In der Ausstellung beiten, völlig unabhängig von ästhetischen oder thematischen Frage- ist dies insbesondere der Fall bei den vorrangig aus Textilien bestehen- Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 8

4 G. W. F. Hegel, Vorlesungen den Skulpturen von Birgit Dieker und Nadine Rennert, den farbig gefas- dern dem Abgebildeten. Auch wurde ein Unterschied zwischen über die Ästhetik, Zweiter sten Skulpturen von Tony Matelli und Stefanie Bühler, den mit pigmen- Verehrung und regelrechter Anbetung gemacht und im selben Zuge der Teil, „Vom Symbol über- tiertem Latex bespannten bionischen Objekten von Axel Anklam sowie Glaube an ‚heidnische’ Objekte wie Talismane und Amulette verboten. haupt“, zitiert nach der den lebensgroßen Kuscheltieren von Katharina Moessinger. Der öffent- Reliquienschreine, Altarbilder und Darstellungen des Gekreuzigten Reclam-Ausgabe, Stuttgart liche Raum scheint für diese Bildhauergeneration, von wenigen Aus- waren demnach lediglich Mediatoren des Transzendenten, wobei die 1971, S. 423. nahmen abgesehen, zur Zeit kein Thema zu sein. Grenze zur so genannten orendistischen Verehrung von Kultobjekten, 5 Vgl. Karl-Heinz Kohl, Die Die Frage nach dem Dinglichen der plastischen Kunst führt zu den die den Gegenstand als materielles Gefäß des Göttlichen auffasst und Macht der Dinge. Geschichte Ursprüngen menschlicher Objekt-Beziehungen. Gottfried Wilhelm Hegel dadurch auf eine unmittelbare Teilhabe an der übersinnlichen Kraft und Theorie sakraler Objekte, schrieb das Entstehen der Naturreligionen einer Situation zu, „wo der hofft, nicht immer scharf zu ziehen war. Im Mittelalter kam es vor, dass München 2003. Mensch losgerissen von dem unmittelbarsten, ersten Zusammenhang Reliquienschreine oder vollplastische Nachbildungen der Heiligen bei 6 Unterschiedliche Aspekte mit der Natur und von der bloß praktischen Beziehung der Begierde, Niederlagen in kriegerischen Auseinandersetzungen, Seuchen oder der Pygmalion-Geschichte geistig zurücktritt von der Natur und seiner eigenen singulären Existenz Hungersnöten als Strafe für ihre Unfähigkeit ausgepeitscht oder sogar sind behandelt in: Pygmalion. und in den Dingen nun ein Allgemeines, Ansichseiendes und Bleibendes verstümmelt wurden.5 Auf ähnliche Weise bestrafte man auch Mörder Die Geschichte des Mythos sucht und sieht. Dann erst fallen ihm die Naturgegenstände auf, sie oder angebliche Tyrannen, denen man nicht habhaft werden konnte und in der abendländischen sind ein anderes, das doch für ihn sein soll und worin er sich selbst, deren Repräsentationen in Form lebensgroßer Nachbildungen gehängt Kultur, hg. v. Mathias Mayer Gedanken, Vernunft, wiederzufinden strebt.“ 4 Die Dinge würden sich in oder auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Für derart magische und Gerhard Neumann, diesem Vorgang vom Menschen „abstoßen“ und in ihrer Eigenart des Bild-Objekt-Beziehungen hat sich der Begriff „Voodoo“ eingebürgert; Freiburg 1997. „Anderen“ staunende Verwunderung, Neugierde oder Anbetung stimu- ihre Aktualität erlebt man unter anderem auf antiamerikanischen De- 7 Zit. nach Filippo Baldinucci, lieren. Der Mensch projiziert also sich selbst auf die Dinge der Welt, um monstrationen in der islamischen Welt. 8 Vita des Giovanni Lorenzo seine Ängste, Wünsche und seine Wissbegierde über den Ursprung sei- Mit dem Wissen über die Tücken menschlicher Objekt-Beziehungen Bernini, mit Übers. und nes Seins zu kompensieren. Die Vorstellung des allumfassenden Belebt- erhält auch Ovids Geschichte von Pygmalion – dem Bildhauer-Mythos Kommentar von Alois Riegl, seins der Dinge im Sinne eines Animismus bzw. Pantheismus wird, so schlechthin – eine durchaus andere Bewandtnis. Der zypriotische Künst- hg. v. Arthur Burda und Oskar Hegel, von einem zweiten Schritt abgelöst, in dem sich der Mensch ma- ler Pygmalion verliebt sich darin in eine von ihm selbst nach dem idea- Pollak, Wien 1912, S. 9. terielle Repräsentationen des Göttlichen als Gegenstände der Anbetung len Vorbild der Aphrodite geschaffene Statue aus Elfenbein, die schließ- 8 Immanuel Kant, Kritik der schaffe, denen auch eigene Wirkmächte zugesagt werden. Alle Religio- lich durch sein inständiges Bitten an eben diese Göttin lebendig wird. praktischen Vernunft, hg. v. nen kennen Meidungsregeln gegenüber sakralen Objekten. Die Polyne- Der kalte Stoff verwandelt sich in eine reale Frau, die in späteren Fas- Otfried Höffe, Berlin 2002 sier nannten die Zone des Schweigens und des Verbotes entweihender sungen Galatea genannt wurde und mit der er sogar Kinder zeugt. Die (Transzendentale Ästhetik §3). Berührung von bestimmten Dingen „Tabu“. Dieser geschützte Bereich, eigene Schöpfung gebärt neues Leben. Diese vielfach adaptierte Ge- 9 Das Wort „Fetisch“ leitet der in ähnlicher Form auch um die Objekte in heutigen Museen errich- schichte behandelt den Traum des Bildhauers von der Beseelung und sich aus dem portugiesischen tet wird, ist sozusagen der Vorhof des Transzendenten, als dessen Mitt- Verlebendigung unbelebter Materie durch den schöpferischen Akt.6 In feitiço (von lat. factitus ler oder Gefäß der heilige Gegenstand verstanden wird. Im Unterschied diesem Sinne trat auch der alttestamentarische Gott im Buch Genesis „künstlich hergestellt“) ab zum Judentum oder Islam ist das christliche Abendland wesentlich in Erscheinung, als er aus Ton (hebr. adhama) den ersten Menschen und wurde erstmals im 16. durch die Übertretung des alttestamentarischen Idolatrie-Verbotes ge- formte und ihm den Odem einhauchte. So gehörte es zur Topik neuzeit- Jahrhundert von den prägt worden, also dem in der Bibel eigentlich unmissverständlich for- licher Kunstkritik, wenn ein Künstler wie Bernini von seinen Apologeten Kolonisatoren Westafrikas mulierten Satz aus Exodus 34,17 „Du sollst dir keine gegossenen Bilder dafür gefeiert wurde, dass Marmorblöcke dank seines Meißels „leben für die religiösen Praktiken machen“. Das von der Kaiserin Irene im Jahr 787 einberufene Zweite und sprechen“ (vivono e parlano) würden.7 Doch diese Überwindung der der dortigen Ureinwohner Konzil von Nicäa gestattete die Bilderverehrung mit dem Argument, Künstlichkeit ist nicht allein eine Leistung des Urhebers, sondern ist im gebraucht. Siehe dazu u. a. dass ja nicht dem Bild selbst, also dem Götzen die Verehrung gelte, son- zutiefst imaginären Verhältnis des Betrachters gegenüber den Objekten Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 9

aufbewahrt. Immanuel Kant schrieb in seiner Kritik der praktischen Ver- tor für enorme Projektionen auf das geliebte Objekt. Nicht der Künstler Kohl, Macht der Dinge (wie nunft (1788) – ausgehend vom englischen Sensualismus in der Folge Pygmalion, sondern die Göttin bewirkt letztlich durch äußere Einwir- Anm. 5). John Lockes – dass das, was wir „äußere Gegenstände nennen“, nur kung die Überwindung der Künstlichkeit des Kunstwerkes. Der schöpfe- 10 Erstmals verhandelt Freud „bloße Vorstellungen unserer Sinnlichkeit“ seien, deren „wahres Kor- rische Akt ist eine Sache, der rezeptionsästhetische eine andere. den Begriff in Drei Abhand- relatum“, das „Ding an sich selbst“, unerkennbar sei.8 Der eigentliche Zu der Zeit, als Rainer Maria Rilke Privatsekretär von lungen über die Sexualität substanzielle Kern der Dinge ist gemäß dieses Denkens nicht zugäng- war (1905-1906), hielt er einen Vortrag, in dem er sich einem Phänomen von 1905 und ausführlicher lich, sondern kann nur mittelbar durch das menschliche Sensorium als der Plastiken des Künstlers zu nähern versuchte, das er mit dem Begriff dann in der kleinen Schrift ein Komplex von Empfindungen und kognitiven Leistungen erschlossen des „Dinges“ fasste. Rodin hätte der Skulptur wieder zur Bedeutung Fetischismus von 1927. werden. In welchen Ausmaßen die menschliche Einbildungskraft die verholfen, so Rilke, da er den Grundströmungen einer Zeit, die innerlich 11 Karl Marx, „Der Fetisch- Dinge überformt und dadurch erst als Objekte verfügbar macht, davon zerfließe und vom Vagen, Sich-Wandelnden geprägt sei, eine dauerhaf- charakter der Ware und sein zeugt eine gemeinhin als korrupt verstandene Ding-Beziehung, die Har- te Form verliehen hätte: „Als ob einer ein dahinstürzendes Metall auf- Geheimnis“, im ersten Band tmut Böhme in seiner jüngsten Studie Fetischismus und Kultur als hielte und es erstarren ließe in seinen Händen.“ 14 Zur Illustration von des Kapitals von 1867. Signatur unserer Epoche herausgestellt hat. Der Fetischist projiziert auf Rodins Fähigkeit der plastischen Verdichtung des Transitiven führt Rilke 12 Vgl. Hartmut Böhme, einen Gegenstand Bedeutungen und Kräfte und verbindet mit ihm sein Publikum in eine Sphäre ursprünglicher Erfahrungen: „Dinge. Fetischismus und Kultur. Eine Verehrungs-, Furcht- oder Wunschmotive, ohne zu erkennen, dass er Indem ich das ausspreche (hören Sie?) entsteht eine Stille; die Stille, andere Theorie der Moderne, selbst es ist, der den Fetisch und die Beziehung zu ihm hervorbringt. Der die um die Dinge ist. Alle Bewegung legt sich, wird Kontur, und aus ver- Reinbek b. H. 2006. seit dem 16. Jahrhundert gebrauchte Begriff war lange Zeit lediglich gangener und künftiger Zeit erschließt sich ein Dauerndes: der Raum, 13 Siehe www.boros.de. Gegenstand ethnologischer Betrachtungen, die einen Vorwand für die die große Beruhigung der zu nichts gedrängten Dinge.“ Und etwas spä- 14 Rainer Maria Rilke, „Rodin. Missionierung heidnischer Völker boten,9 doch wurde er seit der Mitte ter: „Wenn es Ihnen möglich ist, kehren Sie mit einem Teile Ihres ent- Ein Vortrag“ (1907), in: des 19. Jahrhunderts auch auf die europäische Kultur selbst appliziert. wöhnten und erwachsenen Gefühls zu irgendeinem Ihrer Kinder-Dinge Rainer Maria Rilke. Werke in 9 Sigmund Freud beschrieb mit ihm bestimmte sexuell geprägte Objekt- zurück, mit dem Sie viel umgingen. Gedenken Sie, ob es irgend etwas sechs Bänden, Bd. 6, Beziehungen.10 Doch bereits Karl Marx sprach von Fetischismus im Hin- gab, was Ihnen näher, vertrauter und nötiger war als so ein Ding.“ 15 Der a. M. 1984, S. 422. blick auf die Entfremdung des Menschen von den Produkten seiner Bezug von Skulpturen zu „Kinder-Dingen“ oder überhaupt zur profanen 15 Ebd., S. 419. Siehe zu die- Arbeit und zielte damit auf die sich verselbständigende Macht des Dingwelt mag im Hinblick auf das Pathos Rodinscher Standbilder be- ser Stelle Dieter Rahn, Die Geldes sowie auf eine Art Eigenleben der Produkte, die den Konsumen- fremdlich wirken, doch ist hier ein Denken dokumentiert, das begann, Plastik und die Dinge. Zum ten zunehmend beherrschen.11 Diese Karriere eines ursprünglich rand- sich von den darstellerischen und formalen Ebenen der plastischen Streit zwischen Philosophie ständigen Konzeptes bewertet Böhme als Produkt einer sich seit der Kunst zu lösen. Rilkes Reflexionen markieren einen Epochenwandel, der und Kunst, Freiburg 1993, Industrialisierung exponential vermehrenden Dingwelt.12 Mittlerweile sich im Kubismus, Surrealismus und Dadaismus fortsetzt und in dem die S. 239 f. und jüngst Robert ist der Begriff „Warenfetischismus“ in die Umgangssprache eingewan- Dinge des alltäglichen Lebens in den Bereich der Kunst integriert wur- Kudielka, „Arbeit am Ding – dert. Ein ganzer Dienstleistungszweig lebt davon, eigentlich ganz bana- den: Entweder als Spolien wie bei den Collagen oder Assemblagen von Überlegungen zu Tony Craggs le Gebrauchsdinge wie etwa Schuhe, Handtaschen oder Personenkraft- Picasso und Braque oder als disfunktionalisierte Ensembles wie bei Plastiken“, in: Tony Cragg. In fahrzeuge als Markenprodukte imaginär aufzuladen oder ikonisch zu Lautréamonts Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regen- and out of Material, verklären. Bei diesem Gewerbe geht es vor allem darum, die Dinge schirms auf einem Seziertisch 16 oder durch Betitelung und Versetzung in Ausst.kat. Akademie der begehrenswert zu machen. In der Selbstdarstellung einer bekannten einen Ausstellungskontext wie bei Duchamps Ready Mades. Gegenüber Künste, Berlin 2006, S. 194- deutschen Werbeagentur heißt es: „Werbung ist parasexuelles Balzver- dem seit dem 19. Jahrhundert immer stärkeren Andrängen der Artefak- 209, hier: S. 198. halten. Marken, die das berücksichtigen, flirten mit dem Kunden und te und Gebrauchsgegenstände in unser alltägliches Leben reagierte der 16 Aus dem sechsten Gesang versuchen langfristig seine Liebe zu gewinnen.“ 13 Die Liebe, deren Göt- Surrealismus und Dadaismus am Beginn des 20. Jahrhunderts mit ver- der 1869 erstmals gedruckten tin Aphrodite ist, führt bekanntlich auch zur Verblendung und ist der Mo- schiedenen Strategien der Ent- und Disfunktionalsierung. „Der industri- Chants de Maldoror, die Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 10

nach dem 1. Weltkrieg alisierte Gegenstand ist das Resultat der gewaltsamen menschlichen was den Dingen ihr Ständiges und Kerniges gibt, aber zugleich auch die große Wirkung auf die Besitzergreifung“, so der Dadaist Raoul Hausmann. „Schon das Wort Art ihres sinnlichen Andranges verursacht, das Farbige, Tönende, Harte, Pariser Surrealisten um Gegenstand sollte misstrauisch machen. Gegenstand heißt: etwas, was das Massige, ist das Stoffliche der Dinge. […] Das Ständige eines André Breton ausübten. dem Menschen entgegensteht und das stets zu seiner Besitzergreifung, Dinges, die Konsistenz, besteht darin, daß ein Stoff mit einer Form 17 Raoul Hausmann, Brief an zu seiner Vergewaltigung führen muss, will man es besitzen.“ 17 Im zusammensteht. Das Ding ist ein geformter Stoff.“ 18 Dabei seien wie- Willy Rotzler vom 3.10.1970, Geiste dieser surrealistischen Kritik an der rationalen Beherrschung und derum die Naturdinge wie etwa ein Stein von den Artefakten bzw. zit. nach: Willy Rotzler, utilitaristischen Knechtschaft der Dinge betitelte der Schriftsteller und Gebrauchsdingen zu unterscheiden, welche Heidegger „Zeug“ nennt. Objekt-Kunst. Von Duchamp Essayist Erhart Kästner 1973 sein Buch Vom Aufstand der Dinge. Es Das Kunstwerk sei einerseits dem „Zeug“ als einem „von Menschen- bis Kienholz, Köln 1975, handelt in Teilen davon, dass die Dinge den Dienerschafts-Vertrag mit hand Hervorgebrachten“ verwandt und andererseits gleiche es aber Quellen. den Menschen kündigen, sich von ihnen absondern und in einen Streik „durch sein selbstgenügsames Anwesen eher wieder dem eigenwüch- 18 Heidegger, Der Ursprung treten. Sowohl das Besitzen von Dingen als auch deren Beherrschung in sigen und zu nichts gedrängten bloßen [Natur-]Ding“.19 Hier ist ein des Kunstwerkes, S. 18 f. Form einer eindeutigen Zweck- oder Gebrauchszuweisung ist von nicht- Reflex auf Rilke zu vernehmen, der die „Kinder-Dinge“ inmitten einer (wie Anm. 1). rationalen, afunktionalen und imaginären Kräften durchdrungen, die seltsam eingeschlossenen Sphäre voller Ruhe und Abgeschiedenheit 19 Ebd., S. 21. unkontrolliert hervorbrechen und die Gegenstände überwuchern kön- beschrieb. Die Intimität, die im kindlichen Umgang mit den Dingen und 20 Ebd., S. 40. nen. Dabei mag man sich wie Rilke auch an die eigene Kindheit erin- ihrer Verlebendigung angelegt ist, entspricht bei Heidegger dem für das nern, als die Dinge tatsächlich noch voller Leben waren. Zwischen uns Kunstwerk postulierten „Aufstellen einer [eigenen] Welt“.20 und den Dingen bestehen Beziehungen außerhalb von Nutzerwägungen Der Begriff „Ding“ stammt ursprünglich aus der germanischen Rechts- auf der Basis uralter magisch-animistischer Objekt-Beziehungen. Die sprache. Thing oder Dinc bezeichnete die Versammlung freier Männer Freilassung dieser Kräfte, so lehrt uns schon Goethes Zauberlehrling zu einer Rats- oder Gerichtssitzung. Die dort entschiedene öffentliche 10 (1797), ist nicht ungefährlich und bedarf der erfahrenen Macht des alten Angelegenheit, die Gerichtssache (nach gotisch sakan: „streiten“), führ- Hexenmeisters. te zur Bedeutungsverschiebung und -verallgemeinerung des Wortes, Als erster befasste sich Martin Heidegger in seiner Schrift Der das ursprünglich nur das urteilende Gremium benannte und sich dann Ursprung des Kunstwerkes, die auf zwei 1935 gehaltenen Vorträgen auf den Streit selbst, den Gegenstand einer Verhandlung übertrug. In fußt, ausführlich mit der Beziehung der Kunst zur Dingwelt. Bevor ein diesem juristischen Bedeutungshof, der noch in den Redewendungen Kunstwerk irgendetwas ist, so Heideggers darin formuliertes wichtigs- „dingfest machen“ und „unverrichteter Dinge“ aufbewahrt ist, aber bei tes Axiom, ist es zunächst immer ein Ding. Ohne seinen Kunstbegriff der „Sache“ als Übersetzung des lateinischen Wortes res viel stärker hier weiter auszuführen, der das Wesen des Kunstwerkes dahingehend ins Rechtsdeutsch eingewandert ist (vgl. Sachlage, Sachverhalt, Sach- fasste, dass sich in ihm eine Wahrheit (griech. aletheia) im Sinne einer verständiger, Ansichtssache, Haupt- und Nebensache, Widersacher), Unverborgenheit oder Lichtung einstelle, so unterscheidet er mehrere geht es also um konkrete Fälle, welche die Beteiligten angehen, sie Definitionen des Begriffes „Ding“. In der allgemeinsten fasst er das bewegen, die im Raum stehen und gemeinsam geklärt werden müssen. Ding im Sinne des griechischen ens als etwas Anwesendes. Alles, das Die Gerichtssituation weist auf eine Konzentration von Gedanken und nicht nichts ist. Und dies könne sowohl ein abstrakter Begriff wie Gott Empfindungen im Zusammenhang eines Konfliktes, jenen inneren Wider- sein als auch etwas derart großes wie der gesamte Kosmos. In der stand, den das Wort „Ding“ letztlich als Bezeichnung für Objekte der zweiten Definition wird das Ding als Ort und Träger sinnlicher Merkmale Realität kennzeichnet. Diese Bezeichnung ist in diesem Sinne primärer gemäß Kants Scheidung von Substanz und Akzidenz begriffen. Die drit- und unbestimmter als „Gegenstand“ und „Objekt“, bei denen es sich um te beruht auf dem Bemühen, die „Dinge in eine größtmögliche Unmittel- relationale Begriffe handelt, die sich auf ein Subjekt beziehen, dem der barkeit zu uns zu bringen“. Dazu müsse man das Wesen der Dinge zu- Gegenstand gegenüber steht oder dem das Objekt sogar entgegenge- nächst und vor allem als plastisch gebildete Materie begreifen: „Jenes, worfen wird (nach lat. iacere: „werfen“). Wenn man fragt: „Was ist das Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 11

für ein Ding?“, so kann man es nicht benennen, es entzieht sich den nach den einmaligen Dingen, wie Jean Baudrillard in seiner Studie Das 21 The Thing war 1982 der Begriffen, ist ohne eigene Identität, merkwürdig oder sogar etwas un- System der Dinge von 1968 betonte: „Der Mensch wird in der funktio- Titel von John Carpenters heimlich.21 Doch gleichzeitig reden wir vom „Lauf der Dinge“, erfragen nellen Umwelt nicht heimisch, er benötigt ein Zeichen, einen Splitter Remake des gleichnamigen den „Stand der Dinge“, plädieren dafür, die „kleinen Dinge“ im Leben zu vom echten Kreuz, der die Kirche heiligt, einen Talisman, ein Stück Science-Fiction-Films von schätzen oder hören in der Kirche von den „letzten Dingen“. 22 „Er macht unbedingter Echtheit aus dem Innersten der Realität des Lebens, um 1951, in dem es um eine sein Ding“, heißt es umgangssprachlich, und gemeint ist die Unbeirrbar- eine Rechtfertigung zu haben.“ 25 Das Dingliche setzt eine Nähe voraus, außerirdische Spezies ging, keit einer Person, ihre Konsequenz oder auch Störrigkeit – etwas, das eine konkrete Beziehung zum Gegenstand, die sich als beständig gegen- welche die Organismen von jemanden auszeichnet, das von innen kommt und schwer verändert über den immer schneller aufeinander folgenden Gebrauchszyklen des Tieren und Menschen perfekt werden kann. Konsums und der Verflüchtigung des Realen im Zeitalter der Informa- imitieren kann, ohne selbst Am Beginn eines seiner späteren Vorträge, Das Ding von 1950, for- tionsgesellschaft erweist. Genau diesen Aspekten war auch Walter je in Erscheinung zu treten. muliert Heidegger eindringlich die zeitgenössischen Phänomene von Benjamin auf der Spur, als er 1935 im Pariser Exil – etwa zur selben Zeit 22 Das sind Tod, Apokalypse, Entgrenzung und Beschleunigung: „Alle Entfernungen in der Zeit und im als Heidegger an seinem Kunstwerk-Vortrag arbeitete – sein viel zitier- Himmel und Hölle. Raum schrumpfen ein. Wohin der Mensch vormals wochen- und mona- tes Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzier- 23 Vortrag gehalten in der telang unterwegs war, dahin gelangt er jetzt durch die Flugmaschine barkeit schrieb. Darin befasst sich Benjamin mit der „Aura“ des Kunst- Bayerischen Akademie der über Nacht. Wovon der Mensch früher erst nach Jahren oder überhaupt werkes, die durch seine unbeschränkte mediale Vervielfältigung in Schönen Künste am 6. Juni nie eine Kenntnis bekam, das erfährt er heute durch den Rundfunk Gefahr sei. Der aus der Mystik entlehnte Begriff „Aura“ ist an das kon- 1950, hier zitiert nach Martin stündlich im Nu. Das Keimen und Gedeihen der Gewächse, das die kret Dingliche des Kunstwerkes gebunden und nur im „Hier und Jetzt“ Heidegger, Vorträge und Jahreszeiten hindurch verborgen blieb, führt der Film jetzt öffentlich in als eine eigene Ausstrahlung zu empfinden. Die am Original haftende Aufsätze, Pfullingen 1954, einer Minute vor. Entfernte Stätten ältester Kulturen zeigt der Film, als „Aura“ ist als ein Abglanz der früheren kultischen Funktion des künstle- S. 163-181, hier: S. 163. stünden sie eben jetzt im heutigen Straßenverkehr.“ Den „Gipfel der Be- rischen Gegenstandes zu verstehen, aus dem er durch die Versetzung in 24 Ebd., S. 164. 11 seitigung jeder Möglichkeit der Ferne“ sieht Heidegger in der „Fernseh- ein Museum bzw. im Zuge des säkularisierten Kunstschaffens entfernt 25 Jean Baudrillard, Das apparatur“ erreicht – heute würde er das Internet dazugerechnet ha- wurde. Sie ist eine wirkliche Eigenmacht des Kunstwerkes, die, wie System der Dinge. Über ben.23 Doch das „hastige Beseitigen aller Entfernungen“ bringe keine Bertolt Brecht 1938 in seinem Arbeitsjournal nach einer Begegnung mit unser Verhältnis zu den all- Nähe. Nähe als solches sei nicht zu erfahren, nur das, was sich tatsäch- Walter Benjamin vermerkte, „mit dem träumen zusammenhängt (dem täglichen Gegenständen, lich in unserer Nähe befindet: „In der Nähe ist uns solches, was wir wachträumen). er sagt: wenn man einen blick auf sich gerichtet fühlt, Frankfurt a. M. und New Dinge zu nennen pflegen.“ 24 Das Dingliche der Kunst und die Skulptur auch im rücken, erwidert man ihn (!). die erwartung, daß, was man York 2001, S. 102. als angestammte Gattung des Dinglichen sind deshalb von Bedeutung, anblickt, einen selber anblickt, verschafft die aura.“ 26 Gegen Benjamins 26 Bertolt Brecht, Eintrag vom weil sie sich gegen die zunehmende Distanz und Verflüchtigung des Setzung eines atavistischen Begriffes lässt sich einwenden, dass die 25.7.1938, in: Arbeitsjournal Realen in einer Gesellschaft stemmen, die der medial vermittelten Welt massenweise Reproduktion eines Kunstwerkes, etwa Leonardo da 1938-1955, hg. v. Werner so großen Glauben schenkt. Die immer komplexer werdende Welt er- Vincis Mona Lisa im Louvre, die Faszination für das Original eher noch Hecht, Berlin und Weimar fahren wir hauptsächlich durch Interpretationen und Surrogate, die uns steigert. Durch die Vervielfältigung wird es eben nicht entzaubert, son- 1977, S. 11. einseitig durch Fernsehen, Kino, Internet oder Computerspiele vermit- dern geradezu ins Numinose erhöht und von seinem eigenen Abbild ver- telt werden. Zudem sind wir derart stark von einem Verlust der Vertraut- stellt. Doch Benjamins „Aura“ ist der Begriff für die eigentümliche heit durch rasante ökonomische, soziale und technische Veränderungen materielle Präsenz des Kunstwerks und die in das Original eingeschrie- betroffen, dass die Tendenz zur Wiederbegegnung mit dem Authenti- bene Gegenwart des Künstlers. Das Dingliche des Kunstwerkes ist die schen, Haptischen, Dinglichen nachvollziehbar erscheint. Gegenüber Voraussetzung seiner „Aura“. Zusammen formen sie einen Ort der Wie- dem von der Werbung geförderten Begehren und der immer größer wer- derverzauberung inmitten unserer durchrationalisierten und von media- denden Menge designter technischer Objekte treibt uns eine Suche len Spektakeln geprägten Welt. Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 12

Die Macht des Stofflichen Bildhauermaterialien im 21. Jahrhundert Jessica Ullrich

12 1 Siehe hierzu Thomas Raff, In der Analyse und Bewertung eines Kunstwerks erscheint dessen nicht kannte, wie Bauschaum. Einige sind wertvoll und korrosionsbe- Die Sprache der Materialien. materielle Substanz traditionell oft weniger wichtig als die künstleri- ständig, andere ‚arm‘ und vergänglich. Anleitung zu einer Ikonologie sche Ausformung oder gar die kreative Idee, die ihm zugrunde liegt. So In der traditionellen Bildhauerei spielten bei der Wahl des Materials der Werkstoffe, München wird die Qualität einer Skulptur häufig gerade an der Überwindung oder dessen Kostbarkeit, Dauerhaftigkeit, Seltenheit und Herkunft eine große 1994. Vernichtung des Materials gemessen. Rolle.1 Die Wertschätzung eines Materials gründete sich auf diese 2 Begriff nach Leopold Nach Platons Ideenlehre verunreinigt das Material gleichsam das Kategorien, auf den Schwierigkeitsgrad der Bearbeitung, den Spolien- Schmidt, Heiliges Blei in Kunstwerk, das in seiner reinsten Form nur vor seiner Verwirklichung, charakter oder sonstige zugeschriebene Merkmale wie z. B. die „Stoff- Amuletten, Votiven und an- also nur als Idee, vorhanden ist. Diese Vorstellung findet sich noch im heiligkeit“ eines Werkstoffs.2 So waren etwa die Edelmetalle und -stei- deren Gegenständen des Mittelalter bei Thomas von Aquin und dann wieder im Neuplatonismus ne mittelalterlicher Goldschmiedekunst von einer differenzierten se- Volksglaubens in Europa und des 16. sowie im deutschen Idealismus des 19. Jahrhunderts. Die sich mantischen Bedeutung, die sich dem modernen Betrachter kaum noch Orient, Wien 1958. zunehmend verbreitenden stofflosen Kunstformen wie Concept Art oder erschließt und die über die intuitive Wahrnehmung der Kostbarkeit der 3 Für die Gegenwartskunst ist Netart erscheinen wie ein verspäteter Reflex auf Platons Konzept. verwendeten Stoffe weit hinausging. vor allem die Forschung von Dennoch behaupten sich in der entmaterialisierten, virtuellen (Kunst-) Heutige Konnotationen sind zunächst durch die bisherige bildhaue- Monika Wagner zu erwäh- Welt Positionen, deren künstlerischer Gehalt sich in optisch und hap- rische Verwendung eines Materials bedingt, die ihm eine Aura von nen: Monika Wagner, Das tisch konkret erfahrbarer Materialität manifestiert. ‚Kunstgeschichtlichkeit‘ verleiht.3 Zuweilen ist es eine Künstlerpersön- Material der Kunst. Eine Die Ausstellung Die Macht des Dinglichen – SKULPTUR HEUTE! ver- lichkeit und deren Bevorzugung eines Materials, die für nachfolgende andere Geschichte der sammelt Skulpturen aus verschiedenen Werkstoffen: natürliche wie Generationen diesen Werkstoff eindeutig, oft auch einseitig, besetzt.4 Moderne, München 2001. Holz und Tierkörper, künstliche wie Polyester oder Plexiglas, traditionel- Traditionelle Materialien können genauso wie neuartige, instabile 4 Joseph Beuys’ Verwendung le wie Bronze und schließlich solche, die man im Kunstkontext bisher Stoffe programmatische Bedeutung haben: So ideologisierten die Na- Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 13

tionalsozialisten Granit als ‚deutschen’ Werkstoff und die Verwendung lichkeit Ekel erregt. Auf diese schwer erträgliche Ambivalenz sowie auf von Filz und Fett kann hier von Abfall bei Beuys stand für eine politische Erweiterung des Kunst- die tagtäglich von Menschen auf Tiere projizierten Vorstellungen be- als Paradebeispiel gelten. begriffs.5 Oft war auch die jeweilige Alltagsverwendung für die seman- zieht sich sowohl Schieferstein mit ihren organischen Assemblagen als Aber vgl. auch Andrea El- tische Aufladung verantwortlich. Gips wird beispielsweise für die Her- auch Moessinger mit ihren Kuscheltiern aus gegerbten Tierhäuten. Danasouri, Kunststoff und stellung von medizinischen Verbänden und Totenmasken benutzt, so Provokativ wirkt, dass tote Tiere als solche erkennbar bleiben. Das Müll. Das Material bei Naum dass in der Rezeption einer Gipsplastik Vorstellungen von körperlicher kitschige Motiv, das dem Leichenmaterial zu einer verniedlichten Form Gabo und Kurt Schwitters, Verletzlichkeit und Vergänglichkeit mitschwingen können. Außerdem seines früheren Selbst zurückverhilft, thematisiert allerdings weniger München 1992. wird er zum Anfertigen preiswerter Repliken herangezogen, was zu sei- Tod und Vergänglichkeit als vielmehr die Heuchelei im menschlichen 5 Vgl. zur Ideologisierung von nem Ruf als billiges und ‚unehrliches’ Material beiträgt, das edlere Stof- Umgang mit dem Tier: Einerseits als Kuscheltier verhätschelt, wird ihm Granit Christian Fuhrmeister, fe nur nachahmt. In einer globalisierten Welt mit immer neuen industri- andererseits als bloße Ware das Fell über die Ohren gezogen. Beton, Klinker, Granit. Die ell hergestellten Werkstoffen und vor dem Hintergrund eines gewandel- So widersetzt sich auch Schiefersteins Hundskerl, der in einer Vitri- politische Bedeutung des Ma- ten Kunstbegriffs sind tradierte Ordnungsprinzipien wie die Unterschei- ne zu schweben scheint, einer eindeutigen Lesart. Durch die haarlose terials von Denkmälern in dung unedler und edler Stoffe weitgehend überholt, ebenso die Wert- Haut wirkt er nackt und verletzlich; der Titel verleiht ihm allerdings eine der Weimarer Republik und schätzung, zu welcher der Verweis auf deren Herkunft einst beitrug. Die beinahe machohaft-menschliche Identität, die durch die angenähten im Nationalsozialismus, meisten Materialien sind zumindest in den Industrienationen weit ver- Flügelchen wiederum transzendiert wird: Als engelsgleiches Fabelwe- 1998, S. 10 und zur breitet und allgemein verfügbar; auch stellt ein schnell zerfallendes sen verkündigt er ironisch die Auferstehung des Fleisches. Besetzung von Abfall bei Kunstwerk keinen Skandal mehr dar. Technisch aufwändige oder kör- Die Taxidermie eines Tierleibes schließt den Schaffensprozess be- Beuys Dietmar Rübel, „Reini- perlich herausfordernde Arbeitsschritte können an Spezialisten dele- treffende Implikationen ein. Dadurch, dass der Begriff des Materials gungsverfahren in West und giert werden. sich aus „Materie“ ableitet, ist er traditionell weiblich kodiert – eine Ost. Müll bei Joseph Beuys Angesichts dessen kommt der Entscheidung für ein bestimmtes Ma- Bedeutungsschicht, die durch die Verwendung von Tieren als Material und Ilya Kabakov“, in: 13 terial größeres Gewicht zu. Auch wenn für die symbolische Bedeutung potenziert wird, da Tiere traditionell ohnehin der Natur und damit eher Material im Prozess. Strate- oder die sozialen Funktionen eines Materials keine eindeutigen Les- der Sphäre des Weiblichen zugeordnet sind, während der das Material gien ästhetischer Produktion, arten mehr vorliegen, liefern doch die vom Kunstwerk ausgehenden beherrschende Künstler zum männlich konnotierten Schöpfergott oder hg. v. Andreas Haus (u. a.), optischen, taktilen und olfaktorischen Reize sowie persönliche Erinne- hybriden Dr. Frankenstein wird. Diese Rollenverteilung wird produktiv Berlin 2000, S. 285-299. rungen neue Deutungsansätze. umgekehrt, wenn Bildhauerinnen mit Tierkörpern arbeiten. 6 Man denke nur an die Vor allem bei so ungewöhnlichen und ‚kunstunwürdigen‘ Materiali- Auch ohne motivische Eindeutigkeit kann organisches Material Leib- empörten Medienkommenta- en wie Tierkörpern ist der Betrachter gefordert. Tierpräparate kamen liches nahe legen. Nadine Rennerts Einbeinige beispielsweise impliziert re und Proteste von Tier- traditionell in biologischen Sammlungen oder Kunst- und Wunderkam- nicht nur durch die Titelgebung und die gespannte Form ein anthropo- schützern, die beispielsweise mern vor, in der ‚Hochkunst’ stellen sie aufgrund ihrer als abstoßend morphes Kürzel, sondern stellt vor allem durch die Verwendung von Damien Hirsts Präsentatio- empfundenen Materialität einen Affront dar.6 Iris Schieferstein und Ka- (Tier-)Haut Assoziationen an grotesk sexualisierte Weiblichkeit oder nen von Kuhkadavern immer tharina Moessinger arbeiten mit organischem Material, das in neue, doch zumindest obszöne Fleischlichkeit bereit. Leder wird als körperli- wieder auslösen. aber wieder tierische Gestalt gebracht wird, wodurch ein selbstreferen- cher Grundstoff erkannt, selbst wenn es in futuristischer Formgebung tieller Materialbegriff propagiert wird. Tiere als Werkstoff verfügen und bunter Färbung daherkommt. Der rasante Mad Max von Birgit Die- über keine gewachsene ‚Kunstgeschichtlichkeit‘ und keine klare Materi- ker erinnert an die Verwendung von Leder für (Motorrad-)Sport und alsemantik, sie belegen keinen Platz in der traditionellen Hierarchie der (Ball-)Spiel; die aneinandergenähten, prall gepolsterten Rundungen er- Bildhauermaterialien. Man könnte den Tierkörper als besonders kostba- scheinen wie die Momentaufnahme eines nach allen Seiten gleichzei- ren Stoff beschreiben, da er einstmals zu einem beseelten Lebewesen tig beschleunigten Wurfgeschosses – andererseits evozieren sie eben- gehörte, aber auch als verworfenes Leichenmaterial, dessen Vergäng- so wie Rennerts Objekt sado-masochistische Praktiken. Während in Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 14

7 Vgl. Norberto Gramacini, Rennerts Arbeit das Leder Assoziationen an Weibliches weckt, er- Für Verkörperungen des Konsum-Gedächtnisses unserer Zeit setzt „Zur Ikonologie der Bronze scheint Diekers glattes Science-fiction-Objekt eher männlich besetzt. Joel Morrison Edelstahl als eine Art ‚neue Bronze’ ein. Durch die Politur im Mittelalter“, Städel- Ihre Herstellung aus organischem Material, der charakteristische Ge- entsteht eine eigene Materialästhetik, die einen banalen und niederen Jahrbuch N. F. II (1987), ruch und die sichtbaren Nähte bei Dieker bzw. die prothesenhafte Kom- Gegenstand wie den Abfall eines Kollegen auratisch auflädt. Morrisons S. 147-170. ponente bei Rennert lassen die Werke monströs erscheinen. Bei den ironische Nobilitierung von Trivialia, die für ‚Kunstgläubige‘ durchaus 8 Vgl. Raff 1994, 21 f. prall gepolsterten Objekten überwiegt der aggressiv-erotische Fetisch- einen Wert haben können, erinnert an die Heiligenverehrung des Mit- (wie Anm. 1). charakter, der den Rezipienten in die Rolle des Voyeurs drängt. telalters. Damals wurde die kostbare Ausgestaltung von Reliquiaren oft 9 Bis ins 20. Jahrhundert hin- Aber auch die Verwendung traditioneller Werkstoffe kann den Be- dafür kritisiert, dass die äußere Pracht vom wahren immateriellen Wert ein existierte eine regelrech- trachter gerade aufgrund der historischen Aufladung des Stoffes in Ver- des Inhalts, beispielsweise dem Fingernagel eines Heiligen, ablenke.8 te Materialhierarchie, die wirrung stürzen: Jonathan Meese verwendet für das Bildnis des Dr. Fu Axel Anklam und Hans Schüle verwenden ebenfalls Edelstahl, spie- etwa Marmor eindeutig über Manchu Bronze, ein Material, das lange der Herstellung von Standbil- len aber nicht mit dessen Autorität, sondern transzendieren seine Dich- Gips ansiedelte, was u. a. dern und Denkmälern vorbehalten war. Bronze galt als Inbegriff der Ewig- te und Massivität. Die Durchlässigkeit von Anklams filigranen Objekten, mit der Auffassung einer keit.7 Meese nutzt jedoch das ursprünglich Fließende des Materials, etwa des an ein bionisches Fluggerät erinnernden Wagens, hebt moti- Materialgerechtigkeit bzw. indem er den für seine Maskierungen bekannten Fu Manchu in einem visch die dem Stahl zugeschriebenen Materialeigenschaften auf und Materialwahrhaftigkeit ein- Zwischenzustand einfriert und den Bronzeguss damit als überkommene gibt ihm eine lichthafte und damit spirituelle Qualität. Die kunstvoll ge- herging, die von Gottfried Verkörperungsstrategie von idealisierten und dadurch stereotypisierten schmiedeten transparenten oder halbdurchsichtigen Edelstahlnetze Semper und John Ruskin ge- Personen vorführt. Das Pathos des Materials betont Meese durch die konterkarieren die Schwere des Ausgangsmaterials. Anklam führt mit fordert wurden. Eine materi- Präsentationsform der Büste, die ein konventionelles Herrscherporträt solcherart leichtgewichtigen, durchbrochenen Stahlskulpturen die algerechte Behandlung ver- nahelegt. So verleiht er dem banalen Motiv eine museale Autorität, die Forderung nach Materialgerechtigkeit ad absurdum und weist seinem 14 langte vom Bildhauer die als ironischer Kommentar auf die Hochkultur gelesen werden kann. Werkstoff neue, nur in der Welt der Kunst mögliche Eigenschaften zu.9 spezifischen Eigenschaften Anselm Reyle gebraucht Bronze auf ähnlich ironisierende Weise. Damit behauptet er die Potenz der ars poetica, die Stoffe dem künstle- der zu bearbeitenden Mate- Motivisch bedient er sich bei Ethnosouvenirs vom Flohmarkt, um Ideen rischen Willen gemäß zu unterwerfen vermag. rialien bei der Formgebung der modernen Abstraktion in neue Zusammenhänge zu überführen. Da- Der Einsatz von Stahl kann auch als Zeichen eines historischen zu berücksichtigen. Siehe bei transponiert er seine Gegenstände von einem Material in ein ande- Fortschritts gelesen werden, steht doch diese Eisenkohlenstofflegie- u. a. Günter Bandmann, res – so etwa die von und Brancusi inspirierte Statue rung den Bildhauern im Unterschied zu den Metallen Gold, Silber, Kup- „Der Wandel der Material- einer Mutter mit Kind vom Speckstein in futuristisch glänzende, violet- fer, Eisen, Zinn und Blei erst seit dem letzten Jahrhundert zur Verfügung. bewertung in der Kunsttheo- te Bronze. Die unnatürliche Farbigkeit und die glatte, hochspiegelnde Hans Schüles Hybriden assoziieren die konstruktive Ingenieurskunst, rie des 19. Jahrhunderts“, Oberfläche laden das Objekt pseudo-sakral auf und riegeln es nach die Überwindung der Schwere und die ‚Unmenschlichkeit’ von Stahl. in: Beiträge zu einer Theorie außen ab. Der harte Werkstoff und die weich gerundete Formgebung Das landläufig mit Technik in Verbindung gebrachte Metall gewinnt bei der Künste im 19. Jahr- kontrastieren auf ähnliche Weise wie das andächtige Thema und seine Schüle rudimentäre organische Formen, welche die Herstellung künstli- hundert, Bd. 1, hg. v. H. science-fictionartige Ausführung. chen Lebens aus artifiziellen Stoffen nahelegen. Auch heute noch kann Koopmann und J. A. Mittels der trivialisierenden Aneignung eines bereits zur Banalität die Materialwertigkeit eine Rolle spielen. So lebt Oliver van den Bergs Schmoll, gen. Eisenwerth, erstarrten Klischees der Klassischen Moderne überführt Reyle parado- Spielhölle von ihrer von Spielzeug oder billiger Dekoration her bekann- Frankfurt a. M. 1971, xerweise das Sujet wieder in die Sphäre der Hochkunst. Dabei hinter- ten Aluminiumoptik, die durch die grelle Farbigkeit und die aufgeregt S. 129-157. fragt er die Authentizität des Objekts nicht allein durch den Material- zackigen Formen unterstrichen wird. Van den Bergs skulpturale Objekte wechsel, sondern auch durch die Produktionstechnik: Aus dem handge- sind häufig funktionslose Mimikry: Als pure Fassade baut er komplizier- schnitzten Objekt wird eine nicht mehr vom Künstler selbst gefertigte te technische Apparaturen nach und macht so auf ihre plastischen Qua- Auftragsarbeit. litäten aufmerksam. Dass er keine hochwertigen Materialien, sondern Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 15

‚unedles’ Aluminium verwendet, ist folgerichtig. Die blecherne, wenig Ebenfalls ein Holzprodukt, nämlich Pappe, nutzt Florian Baudrexel. Er 10 Gottfried Korff, „Holz und standfeste Spielhölle kündet von einer unsoliden, schnelllebigen Welt arrangiert virtuos schon benutzte Materialien, Verpackungen und alte Hand. Überlegungen zu einer der billigen Illusion – mit dem verlockenden Anschein des Spektakels. Kartons zu rhythmisch-architektonischen Formen. Das flache Material ‚deutschen’ Werkstoffkunde Generell gelten Metalle als Grundlage der technischen Zivilisation, wird in gefaltetem und collagiertem Zustand plastisch. Die vergilbte der Zwischenkriegszeit“, in: auf ihrem Einsatz beruht ein großer Teil der menschlichen Kultur. Ande- Altpapierfarbe kündet von der Vergänglichkeit des Werkstoffs und ver- Monika Wagner, Material in rerseits wirken sie im Gegensatz zum gewachsenen Holz eher kalt und stärkt dessen nostalgische Wirkung. Die Kartons weisen durch ihren Kunst und Alltag (= Hambur- ‚unpersönlich‘. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Blech- und provisorischen Pappmodellcharakter in die Zukunft und, durch ihre Auf- ger Forschungen zur Kunst- Aluminiumspielzeug als kulturbarbarischer ‚französischer’ Gegensatz ladung mit Spuren individueller und kollektiver Geschichte, zugleich in geschichte; 1), Berlin 2002, zum ‚gemütvollen’ deutschen Holzspielzeug stilisiert.10 In einer globali- die Vergangenheit. S. 163-183, hier: S. 163. sierten Welt haben solche topographischen, im Sinne von ‚fremd’ oder Bei der Verwendung von Alltagsgegenständen spielen generell Fra- 11 Benjamin sieht im Holz ein ‚heimisch’ immer wertend gemeinten Zuschreibungen kaum noch Sinn. gen nach Kunst und Nichtkunst und die Umwertung bestehender Werte „Sehnsuchtsmaterial“, das er Holz wird aber nach wie vor gerne mit Handarbeit assoziiert und Holz- eine Rolle. So auch bei Thomas Helbig, der ebenfalls mit Fundstücken in der „Primitive“ (eine Wort- skulpturen tragen häufig Reste des Benjaminschen „primitiven“ „Sehn- für Assemblagen aus zersägten Plastikfiguren agiert. Dabei entfalten schöpfung in Analogie zur suchtsmaterials“.11 Auch die chemisch-physikalischen Eigenschaften seine Materialien eine ambivalente Wirkung zwischen abstrakter Ano- Moderne) beheimatet sieht. des Holzes als organischer Stoff sind für diese Materialauffassung ver- nymität und intimer Privatheit. Der Werkstoffmix aus vorgefertigten Vgl. Walter Benjamin, antwortlich. Im Gegensatz zu Metall oder Plastik ‚arbeitet‘ verwendetes Fragmenten kontrastiert mit einem handgemachten Sockel und reflek- „Kulturgeschichte des Spiel- Holz noch jahrelang weiter. tiert das Hybride und Gebrochene der Skulpturen, die wie ruinöse To- zeugs“, in: ders., Über Matthäus Thoma, Anna-Kavata Mbiti und Anke Mila Menck setzen tems erscheinen. Kinder, Jugend und Erzie- auf die dem Holz innewohnende Gleichzeitigkeit von Dynamik und Ruhe Motivisch ambivalent bleiben auch einige der reinen Kunststoffob- hung, Frankfurt a. M. 1969, und den Anschein von Handarbeit. Thoma bringt Holz in wirbelnde Be- jekte. Die amorphen Antiformen Thomas Rentmeisters etwa begreifen S. 61-65, hier: S. 63. 15 wegungen und visualisiert physikalische Modelle von Raum und Zeit. die Eigenschaftslosigkeit des beliebig formbaren Polyesters als dessen Sein Material besteht aus Brettern, die als industrieller Baustoff herge- Potenz. Sie bleiben undefiniert in einem Stadium zwischen flüssig und stellt wurden, die jedoch in seinen architektonischen Kon- struktionen fest, zwischen Designobjekt und billiger Wegwerfware, zwischen Magie etwas Naturhaftes und Monumentales zurückgewinnen. Statik in der und Banalität. Es sind überlegt reduzierte, weder geometrisch noch orga- Bewegung zeigt auch Mbitis Skulptur Rematch, die etwas von der Kraft nisch erscheinende Formen. Sie wirken massiv, bestehen aber nur aus und Spiritualität japanischer Sumo-Ringer einfängt. Sie bedient sich einer dünnen Hülle. Durch ihre Farbigkeit, die irgendwo zwischen Scho- des roh gehauenen, rissig zerklüfteten Materials, wobei das Motiv der kolade und Kot angesiedelt ist, faszinieren sie ebenso, wie sie abstoßen. baumstarken, schweren Kerle mit dem rudimentären Stamm korrespon- Rentmeisters futuristische Techno-Amöben erscheinen so charakter- diert, aus dem sie hervorgehen und zu dem sie wieder verschmelzen. los wie der Stoff, aus dem sie bestehen und erfüllen damit die Forde- Eine beinahe zenartige Ruhe strahlt auch die puristische, trichterförmi- rung nach Materialgerechtigkeit scheinbar vorbildlich. Doch wird dieser ge Petite Mère von Anke Mila Menck aus. Ihre Herstellung aus mittel- Anspruch wieder aufgehoben, handelt es sich doch um handwerklich dichter Faserplatte (MDF) wird im Aufbau des Werkes gespiegelt. Für aufwändige Bildhauerarbeiten und nicht um Imitate eines teureren oder MDF-Platten werden geringwertige Nadelhölzer verwendet, die aus widerständigeren Materials, was eine übliche Bestimmung von Poly- kleinen Teilen mit absolut gleichmäßigem Gefüge zusammengesetzt ester wäre. In der Sphäre der Kunst beheimatet, geben sie eher Aus- werden. Auch Petite Mère beherrscht das präzise Gleichgewicht aller kunft über die unbegrenzten Möglichkeiten plastischer Gestaltung als Bausteine zueinander. Damit wird der Charakter des Ausgangsmaterials über materielle Beschränkungen. einerseits konstruktiv aufgegriffen, andererseits aber durch die Lackie- Während Naturstoffe auf etwas Ursprüngliches, Unverfälschtes ver- rung wieder zunichte gemacht. weisen, gelten die chemisch hergestellten materia composta aufgrund Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 16

12 „Das Plastik ist weniger ihrer Beziehung zur Arbeitswelt und zu mechanischen Produktionspro- wird mit dem wörtlich genommenen Spannungsverhältnis von Inhalt eine Substanz als vielmehr zessen eher als Symbole für Kultur und Technik und werden als Aus- und Äußerem ein Grundproblem der Bildhauerei ausgelotet. Außer mit die Idee ihrer endlosen Um- druck der Naturbeherrschung verstanden. So bringt Roland Barthes in Gummi, das als aufwändig abgegossene Membran inszeniert wird, ar- wandlung, es ist, wie sein seinen Mythen des Alltags den Kunststoff mit der Alchemie und einer beitet Hauck in Werken wie der Säulenkonstruktion Turgor 9 vor allem gewöhnlicher Name anzeigt, Art modernem Fetischismus in Zusammenhang und bezeichnet ihn als mit Luft als bildnerischem Werkstoff.14 Dieses ‚immaterielle‘, unsicht- die sichtbar gemachte Allge- „Spur einer Bewegung“.12 bare Material deutet metaphorisch auf den kreativen Geist. Die Hand genwart. Und gerade darin Fast wie eine Illustration dazu wirken Berta Fischers Bewegungs- des Künstlers nämlich ist nicht verleugnet, alle Arbeitsspuren bleiben ist es ein wunderbarer Stoff: protokolle aus grellem Plexiglas. Ihre tänzerische Leichtigkeit trägt zu erhalten und nehmen die Täuschung zurück, die durch das schweren das Wunder ist allemal eine einem Gefühl materieller Fragilität bei, die nicht nur den Werkstoff Marmor imitierende Gummi hervorgerufen wurde. plötzliche Konvertierung der betrifft: Durch das blitzartige Hineinragen in den Raum bedeuten die Bara hingegen involviert mit rohem Beton tatsächlich einen Werk- Natur.“ (Roland Barthes, Objekte auch eine potentielle Gefährdung des Betrachters, den sie auf stoff des industrialisierten Bauens: Der Kunststein war in seiner Ver- „Plastik“, in: ders., Mythen aggressive Weise leiblich konfrontieren und noch nach dem Schließen wendungsgeschichte wechselnden, oft gegenläufigen politischen Impli- des Alltags, Frankfurt a. M. der Augen mit retinalen Nachbildern bedrängen. Plexiglas, ein splitter- kationen unterworfen.15 So galt Beton in der ersten Hälfte des 20. Jahr- 1964, S. 79). sicherer, in heißem Zustand verformbarer Kunststoff, erscheint auf den hunderts als Inbegriff der Moderne und „Produkt neuester technischer 13 Begriff nach Leopold ersten Blick profan und diesseitig. Es hat aber in Verbindung mit der Errungenschaften“. Später wurde er als „menschenverachtend“, trist Schmidt (wie Anm. 1). strahlenden, laserartigen Farbigkeit von Fischers Wandobjekten nicht und hässlich gebrandmarkt und heute, nach einer erneuten Umwertung Zur sakralen Kodierung von nur an der tradierten „Stoffheiligkeit“ von Glas teil, sondern auch an zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wird er wegen seiner rauen Poesie und Plexiglas vgl. Dorothee einer spirituellen Lichtmetaphorik.13 Das industriell gefertigte Material Anpassungsfähigkeit wieder geschätzt.16 Böhm und Paul Theks, ruft durch seinen üblichen Verwendungszusammenhang zwar Assozia- Baras in Beton gegossene rudimentäre Schädel- oder Helmformen 16 ‘Technological Reliquaries’, tionen an kurzlebige Neonwerbung hervor, andererseits erscheint es würde man aufgrund ihrer Präsentation wohl eher in Gips erwarten. unveröffentlichte Magister- durch seine Transparenz und die kryptische Narration, die das dreidi- Scheinbar geordnet auf einem Regal gruppiert, wirken sie wie Fund- arbeit, Kunstgeschichtliches mensionale Gekritzel nahelegt, mystisch aufgeladen. stücke einer archäologischen Ausgrabung – eine paradoxe Anmutung Seminar der Universität Angelika Arendt zeigt ein im Barthes’schen Sinne alchemistisches für Objekte aus dem im Gegensatz zu Naturstein ‚ursprungslosen‘ Hamburg, 2001. Verständnis von Material als ‚Allteig‘. Sie setzt einen kunstfernen Stoff Material. 14 Als Turgor bezeichnet man aus der männlich besetzten Handwerker- und Baumarktwelt bildplas- Anthropomorphes weckt entsprechend dem verwendeten Werkstoff die Oberflächenspannung tisch in ‚weiblicher‘ Plastikpop-Farbigkeit ein. So nobilitiert Arendt ein ohnehin jeweils andere Assoziationen: Holzskulpturen wirken aufgrund der Haut oder der Zellwand. profanes Hilfsmittel zur Abdichtung von Fugen durch Überführung in des lebendigen Materials vital, während Betonobjekte als kühl und ‚tot’ 15 Vgl. Fuhrmeister, Beton, den Kunstkontext und verhilft dem sonst streng zweckgebundenen aufgefasst werden. Figurationen in Bronze werden in der heutigen Klinker, Granit, 1998 Schaum, auch durch die ungewohnt kitschige Farbgebung, zu ungeahn- Kunst eher als konservativ, fast schon als reaktionär empfunden, es sei (wie Anm. 5). ter, spielerisch-nutzloser Schönheit. Die ebenso süßlich wie giftig wir- denn, das Material wird wie bei Meese oder Reyle durch Ironisierung 16 Christian Fuhrmeister, kenden Strukturen überwuchern virengleich die Wände. Rein formal einer Umwertung unterzogen. „Cement“, Blätter des befindet sich der von Arendt benutzte Bauschaum ebenso wie Rent- Figürliche Bildhauerei aus Kunststoffen ist ebenfalls ambivalent Archivs zur Erforschung der meisters ‚Ursprungs-Polyester‘ in einem Zustand des Chaotischen, konnotiert: Tony Matellis Wanderer und Marcus Wittmers Glückliche Materialikonographie, hg. v. Amorphen, Noch-Nicht-Seienden und damit des Anderen. Die Objekte verleugnen durch Hyperrealität zunächst das Material, aus dem sie Monika Wagner (1998), o. S. scheinen von der Selbstorganisation des Materials zu leben und auch bestehen. Im Bestreben, eine lebensechte Abbildung zu erreichen, gibt 17 Während viele Betrachter ohne Eingriff des Künstlersubjekts ihre Gestalt zu finden. der Werkstoff hier seinen eigenen Charakter auf.17 Den Versuch der die Kunstfertigkeit bewun- Auf andere Art und Weise arbeiten Harry Hauck und Bara mit Kunst- Täuschung unterstreicht Matelli durch die Kombination von Fiberglas dern, mit der das Material stoffen. In den monumentalen pneumatischen Gummiskulpturen Haucks bzw. Silikon mit Kunsthaar und echter Kleidung. Doch durch die grotes- Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 17

ke Disproportion von Kopf und Körper kippt die Illusion und entlarvt die von Körper oder Identität. Damit vertreten gerade die Kunststoffplasti- überwunden wird, bemän- romantisierende Pose als Karikatur. ken der Ausstellung einen postmodernen Ansatz innerhalb der oft als geln Kunstkritiker oft eine Wittmers wählt mit Polyester ebenfalls einen gefügigen Kunststoff konservativ empfundenen Gattung der Skulptur. für die Hochkunst als zu für seinen schaufensterpuppenartigen Akt, erreicht aber vor allem durch In der heutigen Bildhauerei werden unmanipulierte und manipulier- groß empfundene Natur- die egalisierende Einfarbigkeit eine ironische Brechung. Seine martiali- te, natürliche und künstliche Stoffe verwendet, Industrieprodukte und nähe. Dabei gerät das ver- sche Comic-Schönheit ist nicht darauf aus, als Kunstwerk entlarvt zu Rohstoffe, gefundene und selbst hergestellte Bauteile. Die Akzeptanz wendete Material gleich mit werden. Sie präsentiert sich als reine Plastikphantasie und kommentiert von früher als kunstunwürdig aufgefassten Werkstoffen wie Körper- in Verruf. Vgl. zu dieser so gleichsam Roland Barthes’ Befund: „Die Hierarchie der Substanzen flüssigkeiten oder Hausmüll hat sich die Bildhauerei in der zweiten Hälf- Diskussion: Karina Türr, ist zerstört, eine einzige ersetzt sie alle: die ganze Welt kann plastifi- te des 20. Jahrhunderts so hart erkämpfen müssen, dass die Verwen- Farbe und Naturalismus in ziert werden.“ 18 dung von Bronze und Marmor nach dieser Zeit geradezu reaktionär wirk- der Skulptur des 19. und 20. Künstler, die hyperreale Wesen kreieren, seien sie menschlich, tie- te. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts jedoch haben Künstler eine neue Jahrhunderts, Mainz 1994, risch, pflanzlich oder wie bei Wittmers in der Comicwelt beheimatet, Freiheit bei der Wahl ihrer Materialien. Jenseits jeder eindeutigen Ko- S. 147 ff. thematisieren damit Mythen des künstlichen Lebens. Während Pygmali- dierung kann Bronze oder Beton zum Einsatz kommen – ob dabei Affir- 18 Barthes, Plastik, 1964, on seine artifizielle Geliebte noch aus Elfenbein bildete, sind heute syn- mation oder Kritik mitschwingt, entscheiden auch Motiv und Technik. S. 81 (wie Anm. 12). thetische Stoffe viel eher geeignet, als perfekter ‚Fake’ durchzugehen. Traditionelle und neue Werkstoffe koexistieren ganz selbstverständlich, Stefanie Bühlers Landschaftsauschnitte en miniature und Reiner Maria auch innerhalb eines individuellen Œuvres oder gar in einem einzelnen Matysiks postevolutionäre Hybridwesen sind, entgegen dem Augen- Kunstwerk. Der Aspekt der Kunstwürdigkeit ist nicht mehr normativ. schein, nicht aus organischer Materie aufgebaut. Häufig werden gerade solche Materialien gesucht, die nicht primär im Bühlers Urwald ist ein möglicher und gerade deshalb so irritierender Kunstumfeld angesiedelt sind. Befragt man Künstler nach den Kriterien Landschaftsentwurf. Durch die gewählten Materialien, u. a. Polyester ihrer Materialwahl, nennen sie oft äußere Bedingungen wie Preis, Ver- 17 und Epoxydharz, gerinnen dessen künstliche Pflanzungen und Bewüchse fügbarkeit, Formbarkeit, Statik, Korrosionsbeständigkeit oder Konser- zu Chiffren für Natur, die zum Nachdenken über die eigene Naturwahr- vierbarkeit. Bei einigen vorgestellten Arbeiten wird der Schaffenspro- nehmung anregen. Matysik arbeitet als ‚Künstlerforscher’ an der Schnitt- zess wesentlich von der Materialwahl beeinflusst, bei anderen verwirk- stelle zur Wissenschaft und stattet seine neuartigen Spezies sogar mit lichen Künstler mit beliebig formbaren Kunststoffen weitgehend mate- physiologischen Funktionen aus. Beide Künstler legen, das haben sie rialunabhängig vorgefasste Ideen. mit Wittmers und Matelli gemein, gerade durch ihren illusionistischen Schließlich entwickeln Bildhauer, die gewachsene Materialseman- Materialeinsatz die Konstruiertheit unseres Natur- und Kulturbegriffs tik hinter sich lassend, neue, nicht übertragbare Lesarten der von ihnen offen. Im Gegensatz zu den Arbeiten Schiefersteins und Moessingers, verwendeten Werkstoffe. Das Material bleibt aber in der Gegenwarts- die tatsächlich mit organischem Material neue, wenngleich als Phanta- bildhauerei Indikator für Raum und Zeit der plastischen Arbeit und siegeschöpfe kenntliche Wesen gestalten, bemühen sich Matelli, transportiert neben den ästhetischen semantische, soziale, historische, Wittmers, Bühler und Matysik mit künstlichen Werkstoffen um schein- symbolische und psychische Diskurse. Auch heute noch erklärt sich die bare Naturtreue. Die Kluft zwischen ‚echtem’ Aussehen und materiell Macht des Dinglichen zu einem guten Teil aus der Eigenmacht des ‚falscher’ Substanz manifestiert den Zweifel an jedweder Authentizität Materials. Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 18

Neue Formen Der erweiterte Skulpturbegriff in den 1960er Jahren Constanze von Marlin

18 1 Vgl. Donald Judd, Als der amerikanische Künstler Donald Judd 1965 seinen Text „Spe- der europäischen Skulpturentradition, insbesondere der Monumental- „Spezifische Objekte“, in: zifische Objekte“ veröffentlichte, befand sich das klassische Feld der und Denkmalplastik im Außenraum, deren Funktion es ist, an öffentliche Minimal Art. Eine kritische Skulptur in tief greifendem Wandel. Er definierte in seiner Abhandlung Ereignisse oder Personen zu erinnern, entstanden dreidimensionale Ob- Retrospektive, hg. v. Gregor einen Kunsttypus, der weder dem Kanon der Skulptur noch der Malerei jekte, die nichts anderes als sich selbst darstellen sollten. Dem tradi- Stemmrich, und zuzuordnen sei, also eine neue Art von Kunst außerhalb der traditionel- tionellen Kunstverständnis widersprach die Minimal Art in mehrfacher Basel 1995, S. 59-73. len Gattungen.1 Jede klassische Kunstgattung zeichnet sich durch we- Hinsicht. Der Verzicht auf einen Sockel, die Entpersönlichung in der Be- 2 Zu den Hauptvertretern der sentliche Übereinstimmungen ihrer Eigenschaften aus. Für die Skulptur arbeitung des Materials durch gleichsam industrielle Fertigungsmetho- Minimal Art gehören Carl gilt, dass sie sich dezidiert mit dem Problem der Form auseinandersetzt. den sowie der Rückgriff auf allgemein bekannte, einfache geometrische Andre, Dan Flavin, Donald Farbe, Licht und Atmosphäre hingegen werden als formale Mittel der Körper bei der Formfindung führten zu einer Reduktion der Kunsthaftig- Judd, Sol LeWitt und Robert Malerei angesehen. Seit der Antike waren Skulpturen überwiegend auf keit. Weitere Kennzeichen für ‚spezifische Objekte’ waren die nicht- Morris. figürliche Darstellungen beschränkt. In Bronze gegossen oder in Stein hierarchische Anordnung aller Elemente sowie der Verzicht auf illusio- gehauen, wurden sie ideell für die Ewigkeit geschaffen. Im Innen- und nistische Effekte. Raum war tatsächlicher Raum und nicht ein mittels Außenraum standen sie meist auf Sockeln, überhöht und ästhetisch klar der Perspektive konstruierter, deshalb war der Gebrauch von drei Di- von ihrer Umgebung abgegrenzt. mensionen wichtig. Das Kunstverständnis der amerikanischen Künstler der Minimal Art 2 Der von Donald Judd programmatisch gewählte Begriff des Objekts in den 1960er Jahren war von dem Versuch einer radikalen Abkehr von legt nahe, dass er an einer Kunst interessiert war, die als Gegenstand europäischen Kunsttraditionen gekennzeichnet. Hintergrund für diese erfahren werden kann, gleichwertig zu allen anderen existierenden drei- Haltung war der Wunsch einer Emanzipation von dem bis zum Zweiten dimensionalen Dingen, die uns umgeben, ohne jedoch deren Funktiona- Weltkrieg kulturell dominanten Europa. In der Auseinandersetzung mit lität und Nutzbarkeit zu besitzen. Folglich entstand ein neues Bezugs- Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 19

system zwischen Kunst und alltäglichen Gegenständen. Bereits Marcel dem Werkbegriff auf. Der herkömmliche Werkbegriff beinhaltet den 3 Vgl. Theodor W. Adorno, Duchamp hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Status von Anspruch an ein in sich geschlossenes und singuläres Kunstwerk, ge- Ästhetische Theorie, Objekten beschäftigt. Er demonstrierte mit seinem zum Kunstwerk erklär- schaffen von einem Autor, dessen Handschrift in den Spuren der Bear- Frankfurt a. M. 1995, S. 222. ten Pissoire, dass allein das ästhetische Interesse sowie ein bestimmter beitung des Materials und der spezifischen Formgebung sichtbar ist. institutioneller Rahmen alle Dinge in Kunstwerke verwandeln können. Darin manifestiert sich die Authentizität und Identität einer Arbeit. Im Judd beschritt konsequent den umgekehrten Weg: Die Kunst sollte als Verhältnis zwischen Materie und Form ist letztere insofern übergeord- Objekt und damit als alltägliches Ding erfahren werden können. net, als eine Skulptur nicht primär auf Grund der Materie, sondern der Judds neuer Skulpturbegriff war eine wohlüberlegte Reaktion auf ihr vom Künstler eingeprägten Form zum Kunstwerk erhoben wird. In kri- die Kunstentwicklung der Moderne. Zuallererst verabschiedete er sich tischer Haltung gegenüber dem herkömmlichen, geschlossenen Werk- von jeglicher Form der Repräsentation. Er verzichtete auf alle Narration begriff wollten Carl Andre und andere Künstler der Minimal Art ihre und somit klischeehaften Erwartungen im Sinne lesbarer Verweise. Die Arbeiten in der Realität verankern. Diese angestrebte Präsenz in der Kunstwerke wurden auf ihre sinnliche, materialhafte Eigenständigkeit Wirklichkeit sollte jedoch nicht geschichtslos sein, sondern sich be- reduziert. Von der Ungenauigkeit der Referenz verschont, lieferte die wusst an die industriellen Produktionsmethoden binden. Die Prinzipien Materialtreue eine objektive Basis für phänomenale Klarheit. industriellen Gestaltens bildeten die Grundlage der Ästhetik der Mini- Im Zuge der beschriebenen Reduktion auf der einen Seite erweiter- mal Art: ein ökonomischer Umgang mit Material, rechtwinklige Formen ten sich die gestalterischen Mittel auf der anderen Seite. Farbe und und einfache geometrische Objekte. Um den Umgang mit der Form in Licht, ursprünglich Domänen der Malerei, erfuhren in den Objekten eine der Minimal Art zu beschreiben, bietet Theodor W. Adornos Ästhetische eigene Wertigkeit. Donald Judd verwendete beispielsweise farbiges Theorie einen geeigneten Ansatz.3 Sein Materialbegriff umfasst neben Plexiglas als Alternative zu einer bemalten Oberfläche, weil er die Addi- Werkstoffen und Verarbeitungstechniken auch Formen, was für die tion zweier Elemente – wie den Farbauftrag auf der Leinwand – ablehn- Minimal Art insofern von Bedeutung ist, als diese hier nicht das 19 te. Aus ähnlichen Überlegungen, Materialien in ihrer spezifischen Ober- Ergebnis einer subjektiven Schöpfung darstellen, sondern aus einem flächenbeschaffenheit und eigenen Farbigkeit einzusetzen, arbeiteten kulturell entwickelten Bestand von einfachen geometrischen Körpern die Künstler der Minimal Art u. a. mit Aluminium, Stahl, Kupfer, Sperr- ausgewählt werden. Dieser Prozess der Auswahl – anstelle einer pro- holz oder Kalksteinen. Mit Ausnahme der von Dan Flavin benutzten zesshaften Entwicklung – legt nahe, im Fall der Minimal Art von Form Leuchtstoffröhren, die bereits vor ihrer künstlerischen Verwendung als als Material zu sprechen. Da die Erfindung einer Form hier nicht vorran- gebrauchsfertige Waren existierten, befanden sich die Werkstoffe mini- giges Bestreben künstlerischer Produktion ist, rücken umso mehr die malistischer Objekte in einem standardisierten, industriell verarbeiteten Prozesse der Herstellung und der Rezeption, mittels derer eine grundle- Zustand. Der Umgang minimalistischer Künstler mit dem Material be- gende Kritik an dem Status, der Funktion, der Existenzweise und dem schränkte sich in vielen Fällen auf das Arrangieren oder Zusammenstel- Kontext von Kunst artikuliert wurde, in den Vordergrund. Der Kubus len. Daraus resultierte ein künstlerischer Arbeitsprozess, der Tätigkei- beziehungsweise das Quadrat als fundamentale Module des Gestal- ten wie Legen, Stapeln, Schneiden, Schrauben oder Leimen im Gegen- tens, vollkommen ausgewogen und keine gestalterischen Überraschun- satz zum Modellieren, Schnitzen und Meißeln traditioneller Bildhauer- gen bergend, interessierten minimalistische Künstler, weil sie sich als tätigkeiten umfasste. rationales Mittel anboten, subjektive Erfindungen zu vermeiden. Bereits Carl Andre ging in seiner Konzeption von Skulptur so weit, dass er die Festlegung einer einzelnen Seitenlänge definiert das gesamte Ob- lediglich geschnittene Metallplatten oder Kalksteine unverbunden ne- jekt. In ihrer Präzision und Neutralität stellen sie einen universellen beneinander auf den Fußboden legte. Die temporäre Formierung ferti- Standard einer von Menschen erfundenen Form dar. ger Industrieprodukte zu einem Kunstobjekt und die damit verbundenen Als einziger Künstler der Minimal Art verwendete Carl Andre gele- zeitlichen und räumlichen Bezüge zum Umfeld werfen die Frage nach gentlich gefundenes Material in seinen Scatter Pieces. Diese übrig ge- Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 20

4 Vgl. Jeanne Siegel, „Carl bliebenen, unbeachteten oder weggeworfenen Dinge wie Kies, Holz- als, eines Zusammenhangs oder einer Handlung. Inhaltlich knüpften die Andre: Artworker. Interview“, oder Metallstücke besitzen ihre spezifische Form ohne das Zutun des geschichtsträchtigen Werke durch Zitate und Metaphern an ein italie- in: Artwords. Discourse on Künstlers, wodurch ihre Alltäglichkeit und materielle Wertlosigkeit nisch-europäisches Kulturerbe und regionale Alltagsbräuche an. Lucia- the 60s and 70s, hg. v. ders., offensichtlich bleiben. Andre richtete sich auf der Ebene des Materials no Fabro bezog sich in seiner Arbeit Pavimento tautologia (Fußboden- New York 1992, S. 129-139, gegen die Vorstellung von Kunst als etwas Wertvollem, Exklusivem, Tautologie) von 1967 beispielsweise auf den Brauch süditalienischer hier: S. 129. Perfektem. Gerade durch die ästhetische Differenz zwischen dem neu- Hausfrauen, den frisch geputzten Boden durch das Auslegen von Zei- 5 Hauptvertreter der Arte tralen, weißen Ausstellungsraum und den für eine ökonomische Ver- tungspapier vor unmittelbar erneuter Verschmutzung zu schützen. Tat- Povera waren Giovanni wertung unbrauchbar gewordenen Resten werden Bezüge zu einem sächlich konservierte er damit ein Stück seiner eigenen Arbeit, denn er Anselmo, Alighiero Boetti, außerästhetischen Verwendungszusammenhang hergestellt. Mit ande- hatte zuvor den Fußboden der Galerie gereinigt und verknüpfte das Pier Paolo Calzolari, Luciano ren Worten: Das Material unterliegt dem Prozess der Ästhetisierung künstlerische Schaffen zugleich mit einem profanen Tun. Das Werk ent- Fabro, Jannis Kounellis, durch die Institution, gleichzeitig leugnet es seine Herkunft nicht. Es sprach keinen Kriterien einer traditionellen Skulptur, denn es war weder Mario Merz, Giulio Paolini, schlägt die künstlerisch intendierte Brücke zwischen der Bezugnahme figurativ, noch aus dauerhaftem Material und seine Höhe bestand allein Pino Pascali, Guiseppe auf die alltägliche Gegenstandswelt und der Befreiung von einer illu- in der Stärke einer Zeitungsseite. Penone, Michelangelo sionistischen und analogischen Kunstauffassung. Andre betonte, dass Carl Andre hatte im gleichen Jahr ebenfalls begonnen, mit einem Pistoletto, Emilio Prini und seine Werkstoffe direkt mit ihrem konventionellen Gebrauch im Alltag ähnlichen Formenvokabular zu arbeiten. Seine ersten Quadrate bestan- Gilberto Zorio. verbunden seien. Diese Auffassung zielte darauf ab, den Rezeptions- den aus 144 lose auf den Boden gelegten einzelnen, quadratisch ge- 6 Nike Bätzner, „Arte Povera. prozess in der gesellschaftlichen Realität verankert zu wissen. Kunst schnittenen Platten aus Metall, die industriell zirka einen halben Zenti- Materialkonzepte und sollte nicht als hermetisch, als etwas von der Gesellschaft Entferntes meter stark gewalzt worden waren. Das Material stellte nichts dar, es Ideenprozesse“, in: La wahrgenommen werden, wie Andre äußerte, denn so würde der elitä- war nicht bearbeitet, nicht kunstvoll zusammengefügt, sondern zeigte 20 Poetica dell’ Arte Povera, re Aspekt von Kunst aufrechterhalten.4 Um die Kunst von ihrem bil- unverhüllt sein faktisches Wesen. Ausst.kat. Kunstmuseum dungsbürgerlichen Zugang zu befreien und zu demokratisieren, vermie- Dem bewusst gewählten, unpersönlichen Ausdruck der Minimal Art Kloster Unser Lieben Frauen, den die Künstler der Minimal Art jegliche Kunsthaftigkeit und stellten antworteten die Vertreter der Arte Povera mit einem individualisieren- Magdeburg 2003, S. 12-20, ihre Objekte in eine Analogie zum alltäglichen Erfahrungskontext. den Ansatz. Dabei erhielt die private Lebensgeschichte eine besondere hier: S. 16. Auf dem internationalisierten Kunstmarkt der 1960er Jahre blieb Bedeutung. Giuseppe Penone nahm von einem Balken schichtweise die die Minimal Art nicht lange unbeantwortet. In Italien etablierte sich die Holzringe bis auf den seinem Lebensalter entsprechenden Jahresring Arte Povera und zeigte gegenüber der amerikanischen Kunstrichtung ab. „Die Naturform wurde aus der rechtwinkligen, durch das technische ein neues europäisches Selbstbewusstsein. Der Begriff Arte Povera Sägegerät geprägten, ‚entfremdeten’ Form herausgeschält. Im Zuge der wurde 1967 von dem italienischen Kritiker Germano Celant geprägt. Er Reaktivierung ‚ursprünglicher Zusammenhänge‘ wurde die Natur als brachte damit auf einen Punkt, was damals eine Reihe junger Künstler ‚Verbündete im Kampf gegen die ausbeuterischen Gesellschaften‘ wie- in Turin, Mailand und Rom unabhängig voneinander beschäftigte.5 Wäh- der entdeckt.“ 6 rend ihre Kunstwerke zum Teil eine kritische und ironische Antwort auf Die Werke der Arte Povera bildeten die Welt nicht ab, sondern er- das axiomatisch benutze Formenvokabular der Minimal Art darstellten, schufen sie in poetischen Erzählungen und unerwarteten Konstellatio- verbanden sie dennoch einige Grundprinzipien mit der amerikanischen nen immer wieder neu. Der Einsatz gewöhnlicher Gegenstände ging mit Kunstrichtung. Ebenso wie die Künstler der Minimal Art strebten sie intuitiven, erlebnisorientierten, auf Emotionen fußenden Erfahrungen eine Kunst jenseits der traditionell gefestigten Grenzen von Malerei im Kunstwerk einher. Die Form der Arbeiten entstand fast ausschließ- und Skulptur an. Wie Donald Judd und seine Mitstreiter forderten sie lich in der Übertragung einer subjektiven Empfindung. Unmittelbarkeit einen Realitätsbezug in der Kunst ein. Statt auf die Repräsentation kon- und Unkalkulierbarkeit sowie die vermeintliche Ärmlichkeit der Materi- zentrierten sie sich in ihren Arbeiten auf die Präsentation des Materi- alien waren entscheidende Kriterien, um Kunstwerke zu schaffen, die Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 21

offen und veränderlich bleiben. Filz, Kohle, Zement, Eisen oder Stein text. Die Galerie befand sich in einer ehemaligen Tiefgarage für Autos, 7 Tobias Wall, wurden als beständige Materialien eingesetzt und mit veränderlichen welche die Pferde wie Vertreter von Transportmitteln vergangener Zei- Das unmögliche Museum, oder immateriellen Elementen wie Licht, Luft, Wachstum, Schwerkraft ten aussehen ließ. Dissertation, und Energie kombiniert. Feuer brennt und verbrennt, Wasser breitet sich Auch in anderen Arbeiten erschuf Kounellis durch das sorgfältig ge- http://elib.unistuttgart.de/ aus, verdampft und gefriert, Luft kondensiert zu Reif, Pflanzen wachsen sponnene Netz von Bezügen und Bedeutungen sinnliche Bilder aus Ma- opus/volltexte/2004/1928/ und vergehen. Das Spiel mit der Prozesshaftigkeit, mit der Fragilität und terialien unterschiedlichster Herkunft. Fundstücke, Rohstoffe und eigen- pdf/PDFDissWall2004.pdf, der Flüchtigkeit elementarer Stoffe wurde in diesen Werken ganz ständige Kunstwerke bildeten die Grundlage für umfassende Inszenie- S. 155. selbstverständlich mit Errungenschaften der Zivilisation verbunden. rungen. Die Verschmelzung von Natur und Technik, Antike und Gegen- 8 Ebd., S. 156. Energie war eine zentrale Kategorie in Giovanni Anselmos Œuvre. In wart erzeugte ein komplexes Geflecht voller Assoziationen. dem Kunstwerk Struttura che mangia (Struktur, die isst) untersuchte er Ebenso wie Jannis Kounellis gehörte Joseph Beuys zu jenen Künst- das Verhältnis von biologischer und physikalischer Energie. Die Arbeit lern, welche die grundsätzlichen Fragen künstlerischer Produktion ins von 1968 besteht aus einem großen, stehenden Granitblock, an dessen Zentrum ihres Schaffens rückten. Zu Beginn der 1960er Jahre wandte oberem Ende ein kleinerer Granitstein mit einem Kupferdraht angebun- sich Beuys von der klassischen Malerei bzw. Bildhauerei ab und betei- den ist. Zwischen den beiden Steinen klemmt ein Salatkopf. Würde der ligte sich an den neodadaistischen Aktionen der neu gegründeten Fluxus- Salat nicht erneuert, sobald er welkt, ginge die Spannung verloren und Bewegung. Daneben entstand ein äußerst vielschichtiges bildnerisches der kleine Stein fiele zu Boden. Die Form der Arbeit würde durch den Œuvre von Objekten, Installationen und Zeichnungen. Begleitet wurden Energieverlust folglich eine zentrale Veränderung erfahren. Um das zu seine Aktivitäten stets von konzeptuellen Überlegungen zu den Begrif- verhindern, muss die Skulptur – wie im Titel bereits postuliert – stets fen der Gestaltung und des Plastischen, mit denen er das herkömmliche mit frischem Salat ‚gefüttert’ werden. Verständnis von Kunst endgültig auflöste. „Gestalten bedeutet in der Als Kunstwerke der Minimal Art zu Beginn der 1960er Jahre erst- Kunst für Beuys nicht primär den bildnerischen Umgang mit künstleri- 21 mals in Galerien ausgestellt wurden, schockierten sie durch ihre Direkt- schen Werkstoffen, d. h. eine kreative Veränderung des Materials. Eben- heit und ihr Aussehen als Nicht-Kunst. Die Sockellosigkeit der Objekte so wenig meint Plastik bzw. Skulptur das dreidimensionale künstleri- überschritt die ästhetische Grenze des Kunstwerks zum Raum des sche Objekt. Gestaltung bzw. Plastik bedeutet einen Eingriff in die Betrachters. Doch diese Grenze war damit für die Minimal Art keines- lebensweltliche Wirklichkeit, sei es unmittelbar durch Aktionen oder wegs aufgehoben, sie hatte sich lediglich verschoben. Der Ausstel- mittelbar, indem in Objekten diese anthropologischen Veränderungspro- lungsraum selbst bildete nun einen institutionellen ‚Sockel’, der darüber zesse materialisiert werden. Der Inhalt der Arbeit des Plastikers sind die hinaus die definitorische Macht besaß, alles in ihm Gezeigte zur Kunst existenziellen Grundfragen des Menschen. [...] Sein Ziel ist es, andere zu erheben. Menschen zur bewussten Auseinandersetzung mit ihnen anzuregen. Die Um die Bedingungen von Kunstinstitutionen und die Vermarktbarkeit Werke der Kunst können, wenn sie so verstanden werden, nie abge- von Kunst auszuloten, zeigte Jannis Kounellis 1969 in der Galerie L’Atti- schlossen sein.“ 7 Unter dem Begriff der Sozialen Plastik verstand er co in Rom eines seiner bekanntesten Werke, Senza titolo (Dodici caval- eine Totalisierung des Kunstbegriffs, d.h. die Kunst müsse sich aus der li vivi) (Ohne Titel [Zwölf lebende Pferde]). Eine derartige Installation isolierten Kunstwelt in die gesellschaftliche Öffentlichkeit bewegen. war natürlich unverkäuflich. Gleichzeitig handelte es sich um eine „Kunst ist die Wirklichkeitsgestaltung, ja mehr noch, die Kunst wird die Kunst, die sowohl auf kunsthistorische Vorbilder als auch auf den kon- Wirklichkeit.“ 8 Bemühungen, Kunst und Leben auf unterschiedliche Art kreten Ausstellungsraum Bezug nahm. Kounellis hatte bei der Auswahl und Weise miteinander zu verknüpfen, lassen sich sowohl in der Arte der Tierart die jahrhundertealte Gattung der Historienmalerei mit hero- Povera wie auch in der Minimal Art erkennen. Doch allein Beuys ging ischen Pferdedarstellungen und Reiterstandbildern im Blick. Ein weite- als Konsequenz aus seinen Überlegungen neben seiner künstlerischen rer Aspekt des Werkes erschloss sich durch den architektonischen Kon- Tätigkeit den Schritt in die praktische Politik. Trotz dieser totalen Ent- Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 22

9 Vgl. dazu den manifest- grenzung der Kunst bewahrte er in seinem Œuvre die Betonung des Povera verstanden sich explizit als politische Künstler. Sie visualisierten artigen Text von Germano Haptischen. Materialien wie Honig, Fett, Filz und Kupfer fanden häufig das Verhältnis von Natur und Industrie mit entsprechenden Materialien Celant: „Arte Povera“ (1969), in objekthaften Präsentationen sowie ritualhaften Inszenierungen Ver- aus beiden Sphären, weil sie davon ausgingen, dass gerade kunst- in: Art in Theory 1900-1990, wendung. Sein Gebrauch von Kupfer als einer Elektrizität leitenden Sub- fremde Materialien eine politische Dimension besäßen. Der Minimal Art hg. v. Charles Harrison und stanz oder Fett und Filz als Energiespeicher erlangte eine aussagekräf- hielten sie entgegen, dass diese ausschließlich mit der Form beschäf- Paul Wood, Oxford 1996, tige Symbolik, die gleichzeitig auf persönlichen Erfahrungen basierte. tigt sei und poetische, historische sowie politische Bezüge ausklam- S. 886-889. Größer könnten die Differenzen in den künstlerischen Ansätzen von mere.9 Mit ihren metaphernreichen Werken lehnten die Vertreter der Beuys mit seinem dezidierten Bekenntnis zur Subjektivität und den Arte Povera den Ansatz der minimalistischen Künstler ab, weil diese Vertretern der Minimal Art mit ihrem Objektivitätsbedürfnis kaum sein. einen direkten Zugang zum Verständnis ihrer Objekte jenseits von bil- Doch verbindet sowohl diese beiden Positionen als auch die Arte Pove- dungsbürgerlichem Wissen anstrebten. Insofern war die Suche nach der ra die Intention, eine elementare, anti-elitäre Kunst zu schaffen. Im Form nicht allein ein Problem des künstlerischen Schaffensprozesses, Kern verbirgt sich darin ein politischer Gedanke. Die Künstler der Arte sondern ebenfalls ein Beitrag zur Neudefinition der Gattung Skulptur.

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Axel Anklam

24 Die Skulpturen Axel Anklams sind von einer geradezu aeronauti- 1971 geboren in Wriezen schen Dynamik und Eleganz gekennzeichnet, die Assoziationen an Flug- 1987-1990 Ausbildung zum Kunstschmied in Berlin apparate und Luftschiffe wecken. Die rasant geschwungenen Linien 1993-1998 Arbeit als Kunstschmied und Restaurator seiner klar begrenzten Objekte fußen auf innerer Ausgewogenheit und 1998-2006 Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein, einem musikalischen Verständnis der plastischen Form. Anklam hat sich Halle und Universität der Künste Berlin (Tony Cragg) intensiv mit tonaler Harmonielehre und den Proportionsgesetzen des lebt und arbeitet in Berlin Goldenen Schnittes befasst, die er auf seine Skulpturen in einem aus- geklügelten System überträgt, das von den Einzelelementen zur Ge- Ausstellungen (Auswahl) samtform reicht. Große Aufmerksamkeit schenkt er den Oberflächen, die oftmals diaphan ausgebildet sind, etwa als Edelstahlnetz beim 2006/2007 Galerie Gerken, Berlin (E) Wagen oder als pigmentierter Latex bei der Arbeit Muleta, der den kon- 2006 Galerie Rothamel, Erfurt (E) struktiven Kern der Skulptur als Haut umspannt. Dabei geht es ihm um 2005 Galerie Rothamel, Frankfurt a. M. (E) ein offenes Verhältnis von Hülle und Volumen, um die Leichtigkeit und Galerie Fine Art, Hamburg (E) räumliche Durchdringung der Gebilde, welche die Schwerkraft zu über- Summer Sculpture Series, Französische Friedrichstadt- winden scheinen. Dies ist insofern ganz wörtlich zu verstehen, als An- Kirche am Gendarmenmarkt, Berlin klam beispielsweise den Wagen auch in der Luft als eine Art Himmels- Subjektive Obsessionen, Art Frankfurt, Frankfurt a. M. gefährt aufhängt. In Berlin ist der Künstler bekannt geworden durch 2004 Schutzraum Glas, Marktschlösschen in Halle a. S. seine Skulptur Tanzende Berolina, die 2004 auf dem Hausvogteiplatz 2001 Industrie- und Handelskammer, Magdeburg (E) aufgestellt wurde. skulptur aktuell IV, Bielefeld Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:08 Uhr Seite 25 Axel Anklam

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Muleta, 2006 Edelstahl, Latex pigmentiert 90 x 130 x 247 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:09 Uhr Seite 26

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Flug, 2004 Gips, Stahl 100 x 100 x 110 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:10 Uhr Seite 27 Axel Anklam

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Der Wagen, 2004 Edelstahl, Latex pigmentiert 310 x 180 x 120 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:10 Uhr Seite 28

Angelika Arendt

28 Literatur: Die vegetabilen Gebilde von Angelika Arendt bestechen durch ihre 1975 geboren in Böblingen Kassandras Nakas, „Transfor- intensive Farbigkeit und starke plastische Autonomie. Sie leugnen nicht 1995-2000 Fachhochschule Reutlingen, Textildesign mationen. Zu den Werken den Bezug zu Naturformen wie etwa Korallen, Pilzen, Schwämmen oder 1998-2002 Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe von Philip Loersch, Wolfgang Tropfsteinen, aber gleichzeitig unterlaufen sie diese Konnotation durch (Helmut Dorner) Flad und Angelika Arendt“, die augenscheinliche Künstlichkeit des Materials, in dessen Verarbei- lebt und arbeitet in Karlsruhe in: Hoch drei, Ausst.kat. tung bereits die biomorph-quellenden Formen angelegt sind. Beim Auf- Kunstverein Esslingen, Villa tragen des Polyurethan-Montageschaums entweichen Gase, die den Ausstellungen Merkel, Esslingen 2005 Werkstoff anschwellen lassen und während der Trocknung noch bis zum Mehrfachen des Ausgangsvolumens auftreiben können. Dieser sozusa- 2006 Stichpimpulibockforcelorum, Galerie Denninger, Berlin gen ‚natürliche’ Wucherungsprozess ist von der Künstlerin nur bedingt Die Revolution frißt ihre Kinder, Kunstverein Metzingen kontrollierbar, so dass der Skulptur ein gewisses Maß an ‚Mitwirkung‘ Dem Affen Zucker geben, Karlsruhe, Markgrafenstr. 17-19 an der eigenen Formgebung zugestanden werden kann: Die poppigen, 2005 durchgegrenzt - trans border project, Alnatura, Karlsruhe bizarren Formen scheinen noch weiter zu wachsen und an den Wänden Argument, Kunstraum in der Zehntscheuer, Münsingen oder im Boden Wurzeln auszubilden. Auch wirken sie in ihrer Kompakt- Hoch drei, Kunstverein Esslingen, Villa Merkel, Esslingen heit und grellen Lackierung, die sie geradezu in Farbkörper verwandelt, 2004 Ein langhaariges Vergnügen, 150 Jahre Staatliche Akade- weitaus schwerer als sie in Wirklichkeit sind. Sie markieren einen tran- mie der Bildenden Künste Karlsruhe sitiven Zustand, der diese eigentümlich belebten Wesen in eine kunst- 2003 Frische Brise, Orgelfabrik, Durlach historische Linie zum Informel der 1950er und 60er Jahre und insbeson- Schwarz - Weiß, Universität im Schloss Mannheim dere zu den Migofs von Bernhard Schultze setzt. Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:10 Uhr Seite 29 Angelika Arendt

29 Ohne Titel, 2006 PU-Schaum, Acrylfarbe, verschiedene Materialien ca. 30 x 30 x 30 cm

Ohne Titel, 2006 PU-Schaum, Acrylfarbe, verschiedene Materialien ca. 30 x 20 x 20 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:11 Uhr Seite 30

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Ast, 2004 PU-Schaum, Acrylfarbe, verschiedene Materialien ca. 90 x 90 x 90 cm (Detail) Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:11 Uhr Seite 31 Angelika Arendt

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Ohne Titel, 2005 PU-Schaum, Acrylfarbe, verschiedene Materialien ca. 200 x 160 x 160 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:11 Uhr Seite 32

Bara

32 Literatur: Seit 2003 schafft der Maler Bara Betonplastiken. Ausgangspunkt 1968 geboren in Thomas Groetz, „Aufbruch dieser mit Vehemenz vorgetragenen Werkserie ist die Arbeit Forschung, 1991-1997 Akademie der Bildenden Künste München oder Neubeginn“, in: Bara. in der er sich in erschreckender Weise mit dem menschlichen Antlitz (Hans Baschang) Forschungen, Berlin 2005 auseinandersetzt. Aufgereiht in einem klobigen Regal, das Assoziatio- lebt und arbeitet in Berlin nen zu archaischen Schädelstätten weckt, stehen 16 mehr oder weniger kopfähnliche Gebilde. Neben abstrakten Formen begegnen dem Be- Ausstellungen (Auswahl) trachter verquollene Fratzen mit teilweise zu stummen Klagen geöffne- ten Mündern. Es sind traurige Kreaturen, die aus dem Inneren von Gum- 2007 Stufe 1, Galerie Ben Kaufmann, Berlin (E) mimasken stammen. Während des Gussvorganges wird die elastische 2006 Bara, René Luckhardt, Ulrich Wulff, Galerie Bernd Kugler, Form noch gestaucht oder umgestülpt, so dass ein doppelt entstelltes Innsbruck Gesicht entsteht – einerseits durch die Groteske der Karnevalsmaske La Boum II, Sies + Höke Galerie, Düsseldorf und andererseits durch den Eingriff des Künstlers. Die Wirkung ist ver- Ketzer & Co., der Stadt Brünn heerend, weil das Endzeitszenario einer Spezies evoziert wird, die nicht 2005 Goslar, Galerie Ben Kaufmann, München (E) mehr unsere eigene ist. In den jüngeren Arbeiten sind gegossene Ele- Schwarz, Brot, Gold, Kunstverein Oldenburg mente – größtenteils Köpfe, aber auch Hände, Füße, Gebisse, Gehirne 2004 Hallung, Autocenter, Berlin (E) und verschieden geformte Sphären – auf Eisenstangen gesteckt oder 2003 Das Alphabet, Galerie Guido W. Baudach, Berlin (E) aufgereiht. Die technoide Raumschiff-Orion-Anmutung einiger Skulptu- An American Funeral, EZ-Gallery, New York (E) ren steht im Kontrast zu irrwitzigen floralen Konnotationen wie bei einer 2001 Viva November, Städtische Galerie Wolfsburg Art Kopf-Strauch von einem anderen Planeten. 2000 Robinson Crusoe, TENT, Rotterdam (E) Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:12 Uhr Seite 33 Bara

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Forschung, 2004 Beton, Stahl, Holz 200 x 100 x 30 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:13 Uhr Seite 34

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S/E-Mast 4, 2006 Stahl und Beton 300 x 52,5 x 35 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:13 Uhr Seite 35 Bara

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1. Elfaktor, 2006 Stahl und Beton 198 x 123 x 123 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:13 Uhr Seite 36

Florian Baudrexel

36 Literatur: Florian Baudrexels raumgreifende Wandreliefs und Skulpturen ent- 1968 geboren in München Gesine Borcherdt, „Florian stehen in unmittelbarer Auseinandersetzung mit dem Werk und ohne 1991-1997 Kunstakademie Düsseldorf (Gerhard Merz) Baudrexel“, in: abstract art vorbereitendes Konzept. Sein Schaffen zielt auf einen Zustand, in dem lebt und arbeitet in Berlin now – strictly geometrical?, die plastischen Massen sich zu energiegeladenen, kraftvollen Verhält- Ausst.kat. Wilhelm-Hack- nissen fügen. Auf der Basis einer durchaus ökologisch zu nennenden Ausstellungen (Auswahl) Museum, Ludwigs- Haltung verwendet er ausschließlich gefundene oder billige Materialien hafen 2006 wie Pappkisten, Plakatreste, Styropor oder Gips, die im künstlerischen 2007 The Reliance, London (E mit Eva Berendes) Prozess einer magischen Veredelung unterzogen werden. Bei diesem Neuer Konstruktivismus, Bielefelder Kunstverein 7 Bücher der Weisheit und „Recycling“, das wiederum auf ökonomische Vorgänge verweist, führt 2006 abstract art now - strictly geometrical?, Wilhelm-Hack- Schönheit. Kölnerstraße 334 Baudrexel den kompositionellen Gedanken bewusst bis zu einem Punkt, Museum & Alexanderstraße 35 von an dem die abstrakte Form in ein gestisches Gebilde umschlägt und Arndt & Partner, Zürich (E) 1997 bis 2004, hg. v. figurative Assoziationen weckt. Diese geistige oder rhetorische Dimen- 2005 Menschensgladbach, Abteibergmuseum Alexander Jasch, Jens Ullrich sion manifestiert sich auch in der künstlerisch gleichwertigen Behand- Mönchengladbach und Florian Baudrexel, lung des Sockels als Bühne der darauf agierenden Skulpturen sowie in Galerie Jesco von Puttkamer, Berlin (E mit Lin May) Frankfurt a. M. 2005 den bezugreichen Titeln der Arbeiten. Seine bewusste formale Rückbe- 2004 Das Jahr 2004, adeline morlon, Düsseldorf (E) sinnung auf die Bildsprache der Klassischen Moderne in Form von Kon- 2003 Zirve, Platform Garanti Contemporary Art Center, struktivismus (Tatlin), Expressionismus (Schwitters) oder Futurismus 2002 Vorliebe, Kölnerstrasse, Düsseldorf (E) (Boccioni, Balla) wird durch die ‚armen‘ Materialien ironisch gebrochen 2001 Annale, HobbypopMuseum, Düsseldorf (E) und an die Gegenwart gebunden. Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:14 Uhr Seite 37 Florian Baudrexel Florian

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Halt mich fest, 2006 Pappe auf Holzrahmen 194 x 330 x 95 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:14 Uhr Seite 38

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K-Moment, 2005/2006 Skulptur: Styropor, Gips 85 x 100 x 60 cm Sockel: Holz, Glas, Lack 63 x 105 x 61 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:15 Uhr Seite 39 Florian Baudrexel Florian

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Vorzurück, 2005/2006 Skulptur: Papier (Plakatreste) 80 x 170 x 160 cm Sockel: Styropor, Holz 120 x 90 x 125 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:15 Uhr Seite 40

Oliver van den Berg

40 Literatur: Oliver van den Bergs künstlerisches Verfahren basiert auf der skulp- 1967 geboren in Essen Belinda Grace Gardner, in: turalen Aneignung technischer Objekte, die er zum Teil in Originalgröße 1988-1994 Hochschule der Künste Berlin (Wolfgang Petrick) Rückkehr ins All, Ausst.kat. weitgehend identisch nachbaut oder deren Wesensmerkmale er in frei- lebt und arbeitet in Berlin Hamburger Kunsthalle, er Neuschöpfung aufgreift. Letzteres ist bei der Arbeit Spielhölle der Hamburg 2006 Fall, die der Außenwerbung eines Automatenkasinos in Berlin-Neukölln Ausstellungen (Auswahl) nachempfunden ist. Was auf der Fassade als gezacktes Neon-Band er- Anne Haun, „Hölzerne scheint, hat van den Berg zu einem Kreis geschlossen, der als freiste- 2006 Mikros, Kuckei + Kuckei, Berlin (E) Stellungnahme“, in: artnet, hende Skulptur einen inhaltsleeren Bereich abzäunt. Bei der großen SNAFU. Medien, Mythen, Mindcontrol, Hamburger Kunst 30. August 2006 Gruppe von Mikros und bei Flugschreiber II ist der Bildhauer einem halle, Galerie der Gegenwart, Hamburg Prototypen oder Urbild der vom Menschen hergestellten Gegenstände We all win, but in time, Konsortium, Düsseldorf (E) auf der Spur. Im Nachbau aus Holz oder Metall werden einerseits die 2005 Rückkehr ins All, Hamburger Kunsthalle, Galerie der formalen und plastischen Qualitäten der Dinge bloßgelegt, andererseits Gegenwart, Hamburg ist auf konzeptueller Ebene ein Spiel mit der ursprünglichen Funktion Fraktale IV. Tod, Palast der Republik, Berlin der Objekte in Gang gesetzt. Das Wissen um die Nutzlosigkeit von Flug- 2004 Galerie FLEISCH im Café Moskau, Berlin (E) schreiber II und dessen innerer Leere macht ihn zu einer hermetischen 2003 Kuckei + Kuckei, Berlin (E) Blackbox, in der alles und nichts aufbewahrt werden kann. Auch bei den 2001 Versuchsanordnung I, Kuckei + Kuckei, Berlin (E) geschnitzten Mikrofonen ist man als Betrachter unmittelbar verführt, berlin_london_2001, ICA, London hineinzusprechen. Die Dinge treten bei diesen Skulpturen gleichsam 1999-2000 Vn-sending a doodlebug to ..., Kuckei + Kuckei, Berlin (E) deutlicher in Erscheinung als in ihrem alltäglichen Gebrauch. 1999 16 Räume, loop-raum für aktuelle Kunst, Berlin Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:15 Uhr Seite 41 Oliver van den Berg

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Spielhölle I, 2003 Aluminiumblech, Lack H. 125 cm, D. 140 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:16 Uhr Seite 42

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Flugschreiber II, 2006 Aluminiumblech, MDF, Holz, Stahl, Lack 170 x 120 x 40 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:17 Uhr Seite 43 Oliver van den Berg

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Mikros, 2006 Kiefern- und Fichtenholz Größe variabel Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:17 Uhr Seite 44

Stefanie Bühler

44 Literatur: Stefanie Bühler komprimiert optische und frei imaginierte Bilder zu 1976 geboren in Offenburg Susanne Altmann, „Stefanie dreidimensionalen farbigen Objekten. Dabei kann sich beispielsweise 1998-2004 Hochschule für Bildende Künste Dresden (Martin Honert) Bühler“, in: Ausst.kat. der Ausschnitt eines Regenwaldes aus einer Vielzahl von Abbildungen lebt und arbeitet in Dresden Stefanie Bühler. Marion- dieses Motivs aus naturkundlichen Büchern zusammensetzen. Oder sie Ermer-Preis 2005, hg. v. der bezieht sich auf gänzlich immaterielle Erscheinungen wie einen Blitz Ausstellungen Marion-Ermer-Stiftung und oder den Schatten einer Sonnenfinsternis. Der irritierende Reiz dieser der HfBK Dresden, Skulpturen besteht darin, die Flüchtigkeit sensorischer Eindrücke in eine 2006 Eklipse, Galerie Diskus, Berlin (E) Dresden 2005 fast naturalistische Gegenwärtigkeit zu überführen, mit allen daraus Full House. Gesichter einer Sammlung, Kunsthalle resultierenden formalen Brüchen gegenüber der Realität. Auch arbeitet Mannheim Bühler zur Markierung der Künstlichkeit eines Objektes bewusst mit Il Mondo Reale, Laden für Nichts, Leipzig Maßstabsverschiebungen. Darin unterscheiden sie sich auch von Dio- Sculpture, Black and White Gallery, New York ramen in naturkundlichen Museen, deren Anmutung sie teilweise über- Tales From the Travel Journal, Vol. I, CAC Vilnius nehmen, oder auch vom Bühnenbau des Theaters, wo die Künstlerin vor 2005 200 Millionen Jahre, Galerie Diskus, Berlin (E) ihrem Bildhauerstudium arbeitete. Der Illusionismus derartiger Bildin- Marion-Ermer-Preis, HfBK Dresden szenierungen fußt auf der feststehenden Perspektive der Zuschauer, die Open, Galerie Diskus, Berlin durch eine ästhetische Grenze von der Szenerie getrennt sind. Bühlers 2003 3rd international student trienal, Istanbul Skulpturen hingegen sind von allen Seiten und aus verschiedenen Dis- tanzen zu betrachten, wobei ihr Detailreichtum zu einer Nahsicht her- ausfordert. Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:17 Uhr Seite 45 Stefanie Bühler

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Urwald, 2006 Polyurethan, Styropor, Epoxidharz, Ölfarbe und diverse Materialien 20 x 87 x 54 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:18 Uhr Seite 46

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Blitz, 2007 Epoxidharz 320 x 100 x 130 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:19 Uhr Seite 47 Stefanie Bühler

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Sonnenfinsternis, 2006 Styroporkern, Drahtgeflecht, Epoxidharz, bemalt mit Ölfarbe 140 x 140 x 72 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:19 Uhr Seite 48

Birgit Dieker

48 Literatur: Birgit Diekers skulpturales Hauptthema ist der menschliche Körper, 1969 geboren in Gescher, Westfalen Kardio, mit Texten von Ellen wobei es ihr sowohl um seine Hüllen geht – insbesondere in Form von 1990-1999 Germanistik an der Tchnischen Universität Berlin, Kunst- Heider und Hendrik Rost, Textilien, Leder und Haaren – als auch um seine inneren plastischen erziehung und Bildhauerei an der Hochschule der Künste Ausst.kat. Junge Kunst, Qualitäten, bis hin zu den unter seiner Oberfläche befindlichen Organ- Berlin (Michael Schoenholtz) Wolfsburg und Galerie Volker en, die sie in eine irritierend sinnliche Form übersetzt. Mit hohem hand- lebt und arbeitet in Berlin Diehl, Berlin 2002 werklichen Aufwand behandelt Dieker die verschiedenen Materialien, denen im Vorgang der Bearbeitung ein reichhaltiges Beziehungs- und Ausstellungen (Auswahl) Assoziationsgeflecht eingeschrieben wird. Häufig zielt sie dabei auf das Verhältnis der Geschlechter sowie deren Rollenideale, die sie subtil 2006 Headhunting, AMT-Gallery, Como (E) unterläuft oder provoziert. In einer neuen Werkserie verarbeitet sie Les Belles de jour, Galerie Nadine & Tom Verdier, (E) getragene Kleidungsstücke zu Köpfen und Figuren, die durch gezielte 2005 Fraktale IV. Tod, Palast der Republik, Berlin Einschnitte ihr ‚Innenleben‘ offenbaren. Die Identität dieser Gestalten Glück auf, Galerie Volker Diehl, Berlin (E) erweist sich wie bei Ipsens Peer Gynt ohne festen Kern, als eine ge- 2004 departure arrival, Stadtgalerie Saarbrücken wachsene Struktur unzähliger Stoffschichten. Kleidung als Inbegriff der 2003 Blutsbande, Märkisches Museum, Berlin (E) ‚zweiten Haut‘ verweist hier nicht nur auf ihre Schutzfunktion, sondern 2002 Die Autopsie des Schönen, Junge Kunst, Wolfsburg (E) mehr noch auf die Inszenierung des Selbst. Wie bei früheren Arbeiten Kardio, Galerie Volker Diehl, Berlin (E) verdichten sich in der Wahl und Bearbeitung des Materials Innen und Fraktale III. Transzendenz, Reichstag U-Bahnhof, Berlin Außen, Verbergen und Aufdecken, privates Selbstverständnis und öf- 2001 Fraktale II. Mensch baut Mensch, Pfefferberg, Berlin fentliche Projektion. 1999 garde-robe, Busche Galerie, Berlin (E) Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:19 Uhr Seite 49 Birgit Dieker Birgit

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Olga, 2006/2007 Kleidung H. 189 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:20 Uhr Seite 50

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Mad Max, 2004 Leder 200 x 60 x 40 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:20 Uhr Seite 51 Birgit Dieker Birgit

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Innerer Schweinehund, 2003 Menschenhaar, Schafwolle 380 x 90 x 90 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:20 Uhr Seite 52

Berta Fischer

52 Literatur: Die Wand- und Bodenskulpturen von Berta Fischer entstehen auf 1973 geboren in Düsseldorf Paola Tognon, in: Die Farben stets gleiche Weise. Eine Platte Acrylglas wird entlang mäandrischer 1993-1998 Hochschule für Gestaltung Karlsruhe des Lebens. Hommage à Linien durchschnitten und mittels Hitze verformt. Der eigentlich banale, lebt und arbeitet in Berlin Piero Siena, Ausst.kat. industriell vorgefertigte Werkstoff erfährt durch dieses Verfahren eine Museion, Bozen 2004 geradezu magische Transsubstantiation. Auch wenn die Arbeiten aus Ausstellungen (Auswahl) einem einzigen Stück gefertigt sind, vermitteln sie den Eindruck hoher Klara Wallner, in: Der Zauber Fragilität und Komplexität. So lassen sie sich visuell auch auf zwei ver- 2006 Krobath Wimmer, Wien (E) des Verlangens, Ausst.kat. schiedene Arten begreifen: einerseits als räumliches Gebilde mit inein- Big city lab, Art Forum Berlin, Berlin Neuer Berliner Kunstverein, ander verschränkten und überlappenden Flächen, die sich korkenzieher- , Martin Asbaek Projects, Kopenhagen (E) Berlin und Kunstverein artig winden, andererseits als eine weitgehend flächig wahrgenomme- 2005 Lichtkunst aus Kunstlicht, ZKM, Karlsruhe Göttingen, Berlin 2002 ne Lineatur, die entlang der intensiv leuchtenden Schnittränder auf- Galerie Hammelehle & Ahrens, Projektraum, Köln (E) scheint und deren rokkokohafte Schleifen sich zu einer Art calligraphie 2004 Die Farben des Lebens. Hommage à Piero Siena, automatique steigern. Auch auf gestischer Ebene sind die Gebilde Museion, Bozen durchaus ambivalent, die entweder in changierendem Perlmutt oder in Galerie Diana Stigter, Amsterdam (E) grellen Neon-Farben gehalten sind und darin an den Farbgeschmack der 2003 Galerie Giti Nourbakhsch, Berlin (E) 1980er Jahre erinnern. So wechselt der Eindruck tänzerisch flirrender 2002 Ein Himmel wie blaues Porzellan,Villa Merkel, Esslingen Leichtigkeit mit einer durchaus aggressiven Bedrohlichkeit, die in flam- The Collective Unconsciousness, Migros Museum, Zürich menartigen Zacken zum Ausdruck kommt, welche auf den Betrachter Der Zauber des Verlangens, Neuer Berliner Kunstverein gerichtet sind. 2001 Galerie Reinhard Hauff, Stuttgart (E) Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:21 Uhr Seite 53 Berta Fischer

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Eubulo, 2007 Acrylglas 140 x 98 x 120 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:23 Uhr Seite 54

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Atalo, 2007 Acrylglas 120 x 80 x 73 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:24 Uhr Seite 55 Berta Fischer

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Installation Martin Asbaek Von links nach rechts: Projects, Kopenhagen, 2006 Alioth, Harpalus, Alkaid, Phoebe, alle 2005 Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:24 Uhr Seite 56

Harry Hauck

56 Literatur: Harry Haucks zentrales Thema ist der menschliche Körper, das er 1964 geboren in Düren Stefanie Bickel, seit 1996 mit aufblasbaren Gummi-Objekten umkreist. Die Pneus, wie er 1990-1999 Hochschule der Künste Berlin (Michael Schoenholtz) „Harry Hauck. Die Ent- sie nennt, entstanden aus der Beobachtung, dass feste Stoffe wie Mar- lebt und arbeitet in Berlin deckung des Körpers im visu- mor oder Holz die bei gewölbten Flächen vorausgesetzte innere Span- ellen Zeitalter“ nung lediglich imitieren. Die Pneus werden indes erst zur Skulptur, wenn Ausstellungen (Auswahl) (unveröffentlicht), der entsprechende Innendruck vorherrscht. Dies vollzieht sich bei den Courtesy Alexa Jansen kleineren Arbeiten in einer Art Urszene. Der Künstler bläst seine Schöp- 2005 sachgemäß, Galerieverein Leonberg Gallery, Köln fungen selbst auf und verleiht ihnen so durch seinen Atem (griech. 2004 Perspiration, Galerie Herrmann & Wagner, Berlin (E) pneuma) Leben. Die Weichheit und Elastizität des Materials sind Kon- 2003 Alexa Jansen Galerie, Köln (E) notationen für eine haptisch erfahrene, nicht optisch abgebildete Leib- Blickachsen 4, Bad Homburg lichkeit. Gleichermaßen sind deutliche Spuren handwerklicher Bearbei- 2002 Kunstforum Rottweil (E) tung und zum Teil tief ausgebildete Kerben ein Verweis auf die Verletz- querblick, Kölnisches Stadtmuseum barkeit menschlicher Haut. Bei der Serie 70 Liter 1-9 beginnt der Bezug 2001 Alexa Jansen Galerie, Köln (E) zum Körper bereits beim Schaffensprozess. So werden die Formen zu- Skulptur? Skulptur!, E-Werk-Hallen für Kunst, Freiburg nächst in Ton modelliert. Die Menge des verwendeten Materials be- 2000 being pneu, Constanze Pressehaus, Berlin (E) misst sich nach dem Körpergewicht des Bildhauers, das 70 Kilogramm 1999 SOMA denkt, Galerie SOMA, Berlin Ton und entsprechend 70 Litern Luft entspricht, weshalb er sie auch als 1998 Turgor, Reupke, Berlin (E) Selbstporträt begreift. Bei den Pyramiden und Säulen verweist Hauck auf Junge Akademie in der Galerie Buch, Akademie der archteypische plastische Formen. Künste Berlin-Brandenburg, Berlin (E) Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:24 Uhr Seite 57 Harry Hauck Harry

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Von vorne nach hinten: 70 Liter 9, 2002 70 Liter 7, 2002 70 Liter 6, 2002 alle Gummi, Luft, Ventil H. 32 cm, H. 44 cm, H. 36 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:25 Uhr Seite 58

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Von links nach rechts: 11 Liter, 2004 7 Liter (A), 2004 159 Liter, 2004 7 Liter (B), 2004 4 Liter, 2004 7 Liter, 2004 83 Liter, 2004 alle Gummi, Luft, Ventil H. 29 cm, H. 21 cm, H. 70 cm, H. 21 cm, H. 17 cm, H. 21 cm, H. 54 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:25 Uhr Seite 59 Harry Hauck Harry

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Turgor 9 (1047 Liter), 1999- 2000, Installation mit mehreren Exemplaren alle Gummi, Luft, Ventil H. je 330 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:26 Uhr Seite 60

Thomas Helbig

60 Literatur: Thomas Helbigs Skulpturen lassen sich als Ausdruck psychischer 1967 geboren in Rosenheim Berthold Reiß, „Thomas Kräfte lesen, die den motivischen Bestand des Un- oder Vorbewussten 1989-1996 Akademie der Bildenden Künste, München Helbig“, in: Thomas Helbig. zu organisch-biomorphen Zerrbildern verformen, zerstückeln und wieder Goldsmith College, London Rom, hg. v. Guido W. Baudach zusammensetzen. Der Eindruck von Gewalt, der sich dem Betrachter lebt und arbeitet in Berlin und Rüdiger Schöttle, Berlin vermittelt, ist bereits im Schaffensprozess angelegt. So bestehen Hel- 2005 bigs Mischwesen neben natürlichen Fundstücken aus den Fragmenten Ausstellungen (Auswahl) figürlicher Plastikfiguren. Diese disjecta membra fügen sich dann mit- Thomas Groetz, „Leben im tels PU-Schaum, Epoxidharz und einem weitgehend einheitlichen Lack 2006 Rings of Saturn, Tate Modern, London Stamm“, in: Thomas Helbig. zu verkrusteten Gebilden, bei denen Körperteile mit vegetabilen und tel- The Afternoon of a Faun, Eleni Koroneou Gallery, Athen Südseehausen, Ausst.kat. lurischen Elementen eine labile, stets transitorisch wirkende Einheit bil- Last World, Bortolami Dayan, New York (E) Maschenmode, Galerie Guido den. In pathetische Posen gebannt, scheinen sie von archaischen Ener- 2005 Rom, Galerie Guido W. Baudach und Galerie W. Baudach, Berlin 2004 gien durchdrungen und geformt zu sein. Das Thema Natur wird von Hel- Rüdiger Schöttle, München (E) big im Sinne der natura naturata als Bloßlegung von Prozessen des Galerie Modern Art, London (E) Wachsens, Formens und Vergehens behandelt, doch ist sein Blick dabei 2004 Galerie Ben Kaufmann, München (E) keinesfalls romantisch gestimmt. Seine aus dem Erd-, Tier- und Pflan- Südseehausen, Galerie Guido W. Baudach, Berlin (E) zenreich fusionierten Kreaturen evozieren zeitgenössische Horrorvisio- 2003 Hands up, baby, hands up!, Oldenburger Kunstverein nen gentechnischer Manipulation. In ihrer dramatischen Lebendigkeit 2002 Druidin, Menschenraum, Berlin (E) und Beseeltheit erscheinen sie als tragische Zeugnisse blinder wissen- 2001 Danke, Erwin, Galerie Nomadenoase, Hamburg (E) schaftlicher oder staatlicher Mächte. 2000 Malerei der Heiden, Montparnasse, Berlin (E) Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:27 Uhr Seite 61 Thomas Helbig

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Kniende, 2006 Mixed Media 57 x 34 x 88 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:27 Uhr Seite 62

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Homo Homini Lupus, 2006 Mixed Media 38 x 68 x 60 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:28 Uhr Seite 63 Thomas Helbig

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Hirn, 2006 Mixed Media 46 x 42 x 45 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:28 Uhr Seite 64

Tony Matelli

64 Literatur: Tony Matellis Skulpturen sind jenseits von Gut und Böse, jenseits 1971 geboren in Chicago Tony Matelli. Abandon, mit der alltäglichen kleinen Skrupel. Aus absurdem Blickwinkel erheben sie 1993 Milwaukee Institute of Art & Design, Wisconsin Texten von Gerald Matt, das Banale, Schräge, Abwegige ins Skulptural-Monumentale. Er plün- 1995 Cranbrook Academy of Art, Michigan Jason Schiedel und Bob dert mit sardonischem Humor sowohl Versatzstücke des visuellen Main- lebt und arbeitet in New York Nickas (dt./engl.), Ausst.kat. streams als auch der Kunstgeschichte und wurde aufgrund dieser hybri- Kunsthalle Wien, Project den Verschmelzung verschiedener Idiome unter anderem mit dem Musi- Ausstellungen (Auswahl) space, Wien 2004 ker Beck verglichen. So erweist sich beispielsweise das Selbsporträt Wanderer als eine Hommage an Gustave Courbets Bild Die Begegnung 2006 Andréhn-Schiptjenko, Stockholm (E) Tony Matelli, mit Texten von von 1854, bei dem sich Matelli als urbaner Außenseiter mit den typi- Into Me / Out of Me, PS1, Contemporary Art Center, Long Toby Kamps und Lisa Fisch- schen Sandalen amerikanischer Interrail-Touristen in eine Natursitua- Island City, New York man (engl./dt.), New York tion hineinprojiziert. Sein geradezu makelloser Realismus ist eine be- 5'000'000'000 d'années, Palais de Tokyo, Paris und Köln 2003 wusste Respektlosigkeit gegenüber gängigen Geschmackskriterien. Doch Galerie Charlotte Moser, Genf (E) geht es ihm nicht um die Nachahmung als solches, sondern um das 2004 Abandon, Kunsthalle Wien, Project space, Wien (E) Verhältnis des fertigen künstlerischen Objektes zur Wirklichkeit. Seine Kunstraum Dornbirn (E) Arbeiten sind entweder hyperreal oder gerade ausreichend real, um den Die zehn Gebote, Hygiene-Museum, Dresden Betrachter einzubeziehen, ihn zu entwaffnen und zu verwirren. Es ist ein The Uncanny, Tate, Liverpool bewusstes Spiel mit der machtvollen Unmittelbarkeit realistischer Kunst, 2003 Sies + Höke Gallerie, Düsseldorf (E) doch unterlaufen Matellis Werke eben diese Macht mit finsterem Hu- 2002 Galerie Emmanuel Perrotin, Paris (E) mor und beißender Ironie. 2001 Leo Koenig Inc., New York (E) Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:28 Uhr Seite 65 Tony Matelli Tony

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Wanderer, 2001 Mixed Media (Fiberglas, Silikon, Haare, Kleidung, Schaum, Draht, Seil, Holz) 285 x 210 x 210 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:29 Uhr Seite 66

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Lost and Sick, Winter Version, 1999-2000 Polyester, Urethan H. 305 cm, D. 274 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:29 Uhr Seite 67 Tony Matelli Tony

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Sleepwalker, 1998 verstärktes Gießharz H. 166 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:29 Uhr Seite 68

Reiner Maria Matysik

68 Literatur: Reiner Maria Matysiks biomorphe Plastiken sind eingebettet in 1967 geboren in Zukünftige Lebensformen, einen hochgradig komplex ausgearbeiteten Kosmos, der sich mit der 1993-1998 Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (Raimund hg.v. Reiner Maria Matysik, Entwicklung hybrider Organismen befasst. Seine Mischwesen aus nie- Kummer) und Ateliers Arnheim, Niederlande Berlin 2000 deren Tierarten und Pflanzen verstehen sich als Prototypen zukünftiger lebt und arbeitet in Berlin und Braunschweig Lebensformen, wobei sich die plastische Gestaltung der Modelle aus Fritz Emslander, „ Reiner Knetmasse oder aus beständigem PVC an biologischen Grundprinzipien Ausstellungen (Auswahl) Maria Matysik“, in: Park – wie Reproduktion, Fortbewegung und Nahrungsaufnahme orientiert. Bei Zucht und Wildwuchs in der der Konzeption der Hybriden bezieht Matysik Gentechniker, Mediziner 2006 Künstlerhaus Bethanien, Berlin (E) Kunst, Ausst.kat. Staatliche und Biologen mit ein. Er gründete 2003 an der Hochschule für Bildende Neue Kunst in alten Gärten, Obergut und Untergut Lenthe Kunsthalle Baden-Baden, Künste Braunschweig ein Institut für biologische Plastik (ibiop), um den Winterschlaf, Galerie Detterer, Frankfurt a.M. hg.v. Johannes Bilstein und Dialog zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und bildnerischem Den- 2005 Hätten sie gerne eine biologische oder philosophische Matthias Winzen, Nürnberg ken voranzubringen. Bei Matysik sind die Grenzen zwischen Labor und Antwort?, Galerie Heimspiel, Frankfurt a. M. (E) 2005 Atelier ebenso wenig definiert wie zwischen dem Anspruch, eine post- Park – Zucht und Wildwuchs in der Kunst, Staatliche evolutionäre Flora-Fauna hervorzubringen und der naturhistorischen An- Kunsthalle Baden-Baden mutung seiner Gebilde. Für die Ausstellung Die Macht des Dinglichen 2004 Phylogenetisches Driften, Galerie k+s, Projektraum führte Matysik eine im letzten Jahr begonnene Werkserie von PVC-Ob- Schloss Solitude, Berlin (E) jekten für den Außenraum fort – sozusagen freilebende Organismen –, 2001 junk-dna, Galerie Fons Welters, Amsterdam (E) die sich in der Loslösung vom musealen und theoretischen Kontext auch 2000 zukünftige lebensformen, Städt. Galerie, Delmenhorst (E) als autonome Skulpturen behaupten. 1999 anthropophilie, Ausstellungsraum Horten, Düsseldorf (E) Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:30 Uhr Seite 69 Reiner Maria Matysik Reiner Maria

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leukobiont, 2005 PVC 50 x 60 x 90 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:31 Uhr Seite 70

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captator involvens (Einhüllender Einschleicher), 2001/2006 PVC 80 x 80 x 40 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:31 Uhr Seite 71 Reiner Maria Matysik Reiner Maria

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Leukobionten, 2006 alle PVC von vorne nach hinten: 60 x 80 x 80 cm 50 x 90 x 105 cm 40 x 50 x 50 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:31 Uhr Seite 72

Anna-Kavata Mbiti

72 Literatur: Anna-Kavata Mbiti umkreist seit mehreren Jahren das plastische 1976 geboren in Nyon, Schweiz Manfred Eichel, in: Know Thema kämpfender Sumo-Ringer. Ihre Faszination für diesen Sport wur- 1998-2002 Universität für Angewandte Kunst Wien und Universität der Matter How, Ausst.kat. Haus de 2003 noch intensiviert durch einen Arbeitsaufenthalt in Japan, der Künste Berlin (Tony Cragg) am Lützowplatz, Berlin 2006 durch ein NaFöG-Stipendium ermöglicht wurde. Für die Arbeit Rematch lebt und arbeitet in Berlin erhielt sie 2002 den Präsidentenpreis der Universität der Künste Berlin. Aus großen miteinander verkeilten Pappelholzblöcken wurden die Rin- Ausstellungen (Auswahl) ger in Lebensgröße herausgeschnitten und ihre Urgewalt in dem nur grob behandelten Material zum Ausdruck gebracht. Bei dem ineinander 2006 Know Matter How, Haus am Lützowplatz, Berlin verschlungenen, sich umarmenden Ringerpaar ist aber auch ein zärtli- Gegen den schnellen Blick, Galerie Haldemann, Bern ches Moment spürbar und gerade diese Ambiguität macht den eigentli- 2005 Licht und Schatten, Galerie Seitz + Partner, Berlin chen Reiz dieser Arbeit aus. Die Skulptur Rekonstrukionen eines Porträts 219 km Berlin – Rostock, Kunsthalle Rostock zeigt einen erfolgreichen deutschen Sumo-Ringer, den Anna-Kavata Mbi- Reflexionen, artcenter, Berlin ti eine Zeit lang begleitet hat. Die realistisch dargestellten fleischigen 2004 Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen Massen sind in weißem Acrylat abgegossen und konfrontieren den Anhalt, Halle (E) Betrachter mit einem hierzulande fremden Körperideal. Seit 2005 be- Galerie Michael Schultz, Berlin schäftigt sich die Künstlerin in einer Serie von Rudern, wie sie sie Curraint d'ajer, Kunstzentrum Nairs, Scuol, Schweiz nennt, mit ungegenständlichen Formen, die ihre Anmut aus der Span- rêves et espaces, Galerie Margit Haldemann, Bern nung von rasanter Windschnittigkeit und bewusst eingearbeiteten Un- 2003 frozen flowers, Galerie Margit Haldemann, Bern ebenheiten gewinnen. Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:32 Uhr Seite 73 Anna-Kavata Mbiti

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Rematch, 2002 Holz H. 180 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:32 Uhr Seite 74

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Ruder I, 2005 Holz, lackiert 190 x 80 x 15 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:32 Uhr Seite 75 Anna-Kavata Mbiti

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Rekonstruktionen eines Porträts, 2004 Acrystal, Acryl 170 x 300 x 200 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:32 Uhr Seite 76

Jonathan Meese

76 Literatur: Seit 2003 arbeitet Jonathan Meese an einer Werkgruppe, die sich 1970 geboren in Tokyo Friedrich Meschede, „Es war auf fundamentale Weise von seinem bisherigen Schaffen unterschei- 1995-1998 Hamburger Kunsthochschule (Franz Erhard Walther) einmal im Meeseland, det. Gegenüber seinen stets als Gesamtkunstwerk konzipierten Installa- lebt und arbeitet in Berlin und Hamburg Meeseland ist abgebrannt. tionen und Performances aus überbordenden visuellen und schriftlichen Aspekte von Skulptur im Werk Botschaften, in deren Mitte Meese als Bilderzeuger und Bildzerstörer Ausstellungen (Auswahl) von Jonathan Meese“, in: zugleich agiert, bezeugen die Bronzen ein neues Selbstverständnis vom Jonathan Meese. Mamma Werk und seiner Autonomie. Beim Bronzeguss sind keine Veränderun- 2006/07 Mama Johnny, Deichtorhallen, Hamburg und Magasin – Johnny, Ausst.kat. gen mehr möglich: Der bis zu diesem Moment dialogische Prozess zwi- Centre National d’Art Contemporain, Grenoble (E) Deichtorhallen, Hamburg 2006 schen dem Ton-Original und dem Künstler erstarrt unter dem Einfluss 2004 Das Bildnis des Dr. Fu Manchu, CFA, Berlin (E) und Magasin – Centre fremder Hände (der Berliner Gießerei Noack). Das Aktionistische, Provo- Dr. No’s Son, Leo Koenig Inc., New York (E) National d’Art Contemporain, kative, Provisorische von Meeses Kunstbegriff ist hier ausgegrenzt. Képi blanc, nackt, Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. M. (E) Grenoble 2006/2007 Dennoch erscheinen die Motive der Bronzeplastiken vertraut. So stellt 2003 The Triumph of Painting II, The Saatchi Gallery, London sich der Künstler z.B. in der Arbeit Son im Typus der klassischen Büsten- 2002 L’Amour, Galerie Daniel Templon, Paris Ders., „Barocker Bösewicht form als eine barocke Schurkengestalt dar, die aus einem Mantel-und- 2001 Berlin – Moskau / Moskau – Berlin 1950-2000, Martin- auf dem Weg vom Idolfor- Degen-Film stammen könnte. Das Bildnis des Dr. Fu Manchu bezieht Gropius-Bau, Berlin scher zum Idolfinder“, in: sich auf die von Sax Rohmer (1883-1959) erschaffene Figur des ultima- 2000 Captaine Danjou – (Légion Étrangère) – Holzhand im Jonathan Meese. Das Bildnis tiven Bösewichts, der nach der Weltherrschaft strebt, was sein ewiger Saalysm, Kunst-Werke, Berlin (E) des Dr. Fu Manchu, Ausst.kat Gegenspieler, Nayland Smith von Scotland Yard, in insgesamt dreizehn 1999 German Open, Kunstmuseum Wolfsburg Galerie CFA, Berlin 2004 Romanen und noch viel mehr Verfilmungen verhindert. 1998 1. berlin biennale, Postfuhramt, Berlin Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:33 Uhr Seite 77 Jonathan Meese Jonathan

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Son, 2004 Bronze 44 x 29 x 25 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:33 Uhr Seite 78

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Das Bildnis des Dr. Fu Manchu, 2004 Bronze 113 x 54 x 64 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:34 Uhr Seite 79 Jonathan Meese Jonathan

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Dr. Pounddaddy, 2006 Bronze 140 x 244 x 100 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:34 Uhr Seite 80

Anke Mila Menck

80 Literatur: Anke Mila Mencks Arbeiten sind von puristischer Einfachheit, Klar- 1973 geboren in Ludwigshafen Anke Mila Menck. Zucker im heit und in sich ruhender Abgeschlossenheit gekennzeichnet. Letzteres 1993-1998 Hochschule der Bildenden Künste Saar, Saarbrücken Lack, mit Texten von Ivica vor allem durch eine der Perfektion nahe kommende Oberflächenbe- (Christina Kubisch) Maksimovic, Judith Scha- handlung bei den mehrfach lackierten MDF-Platten, hinter denen der lebt und arbeitet in Berlin lansky und Ernest W. Uthe- eigentliche Werkstoff verschwindet. Der hochgradigen formalen Reduk- mann, hg. v. der Stiftung tion und handwerklichen Präzision stehen jedoch auf inhaltlicher Ebene Ausstellungen (Auswahl) Saarländischer Kulturbesitz, eine spielerische, oft augenzwinkernde Leichtigkeit gegenüber. Dies Ausst.kat. Stadtgalerie zeigt sich bereits an Titeln wie Petite Mère für den aus konzentrischen 2007 Hülle und Fülle, Stedefreund, Berlin (E mit Anne Vorbeck) Saarbrücken, Bielefeld 2006 Holzringen aufgebauten Trichter, der den Betrachter mit einer mächti- 2006 Zucker im Lack, Stadtgalerie Saarbrücken (E) gen, raumfüllenden Geste konfrontiert. Oder auch bei der Serie von 2004 3027, Galerie 35, Berlin (E) Wolkenformationen, die nach amerikanischen Profi-Boxern benannt Departure Arrival, Stadtgalerie Saarbrücken sind, und deren comicartige Reduktion die tatsächliche Konsistenz der 2003 Emy-Roeder-Preis 2002, Wilhelm-Hack-Museum, Himmelsgebilde konterkariert. Die im letzten Jahr entstandene Arbeit Ludwigshafen Chanson des Jumelles, eine Wand aus über 20.000 schwarzen LEGO- 2002 Landpartie, Galerie Januar, Bochum (E) Steinen, zitiert Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat von 1915, in Fernsucht, 167c, Berlin dem die gesamte Kunstgeschichte ikonisch verdichtet und zu Grabe ge- Garten, Institut für aktuelle Kunst, Saarlouis (E) tragen wurde. Den toternsten Anspruch des Suprematismus unterläuft 1999 Junge Akademie in der Galerie Buch, Akademie der Künste Menck durch die Verwendung eines äußerst trivialen, in der Sphäre Berlin kindlicher Spielfreude beheimateten Materials. 1997 Schönwetterkunst, Altes Schloss, Dillingen Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:34 Uhr Seite 81 Anke Mila Menck

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Petite Mère, 2006 MDF und Möbellack H. 120 cm, D. 206 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:35 Uhr Seite 82

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Sonny, 2006 MDF und Möbellack 170 x 290 x 1 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:36 Uhr Seite 83 Anke Mila Menck

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Chanson des Jumelles, 2006 LEGO-Steine 250 x 250 x 1,6 cm Installation in der Stadtgalerie Saarbrücken Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:36 Uhr Seite 84

Katharina Moessinger

84 Katharina Moessinger befasst sich in ihren Arbeiten seit mehreren 1974 in Berlin geboren Jahren mit der imaginär überformten Beziehung des Menschen zu Nutz- 1997-2003 Universität der Künste Berlin (Michael Schoenholtz) oder Haustieren. Dabei geht es um das Spannungsfeld zwischen ihrer lebt und arbeitet in Berlin autonomen Natürlichkeit und zweckgebundenen Künstlichkeit. Ausgangs- punkt war die 1999 entstandene Skulptur Hundeskelett aus industriell Ausstellungen vorgefertigten Hundekuchen und -knochen. Bei diesen zur Kräftigung des Hundegebisses und als Nahrungsmittel hergestellten Produkten 2006 Preview, Galerie Martin Mertens, Berlin fällt ihre zum Teil abstruse Formgebung auf, die weit eher den Men- 2004 4+4, Berliner Kunstprojekt, Berlin schen ansprechen als den Vierbeiner. In einer neueren Werkserie, den 2003 London Biennale Pollinations, Berlin Kuscheltieren, bildete Katharina Moessinger die klassischen Bauern- 2002 Hotel Berlinische Galerie, Berlin, Jacobstraße hoftiere Kuh, Schwein, Ziege, Schaf in Lebensgröße und mit echten Fel- 1999 Schaustelle HdK 5, Galerie Manfred Giesler, Berlin len, jedoch mit den Proportionen von Stofftieren. Der aufwändige Her- 1998 Klasse Schoenholtz, Johannes Gutenberg- stellungsprozess dieser Skulpturen beginnt bereits mit dem Beschaffen Universität Mainz mehrerer vollständiger Häute für die unnatürlich aufgeblähten Körper. Schaustelle HdK 4, Galerie Michael Schultz, Berlin Auf irritierende Weise begegnen sich in diesen Arbeiten der unschul- 1997 Stadt Land Fluß, Symposium in Wittenberg dige Blick des Kindes mit der grausamen Realität dieser Tiere als Teil der Nahrungsmittelindustrie. Es sind im Grunde Mischwesen aus der natürlichen Erscheinungsform eines Lebewesens und einer den mensch- lichen Bedürfnissen angepassten Phantasieform. Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:36 Uhr Seite 85 Katharina Moessinger Katharina

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Hundeskelett, 1999 Diverse Hundekuchen, Kauknochen, Drahtgestell, Glasvitrine 90 x 120 x 60 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:37 Uhr Seite 86

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Kuh, 2005/2006 gegerbte Kuhfelle, Leder, Kunstharz, Füllwatte 83 x 255 x 160 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:37 Uhr Seite 87 Katharina Moessinger Katharina

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Schwein, 2004 gegerbte Schweinehäute, Kunstharz, Farbe, Füllwatte 100 x 185 x 105 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:37 Uhr Seite 88

Joel Morrison

88 Literatur: Joel Morrisons Plastiken aus Fiberglas, Edelstahl oder Bronze ent- 1976 geboren in Seattle Katja Blomberg, in: Joel stehen in einem durchaus eigentümlichen Vorgang. Ausgangspunkt sind 1997 Pont-Aven School of Art, Pont-Aven, Frankreich Morrison. Free Plastic alltägliche Dinge, Fundstücke und Abfall aus der näheren Umgebung, 1998 English Literature, Central Washington University Surgery. Ausst.kat. schultz die der Künstler akkumuliert und mit mehreren Schichten Klebeband zu 2001 Claremont Graduate University, California contemporary, Berlin 2005 amorphen Gebilden verfestigt. Der gegenständliche Kern ist noch in den lebt und arbeitet in Berlin und Los Angeles Ausbuchtungen der gespannten Oberfläche gegenwärtig, als wollten die Realien die Hülle zerreißen, die wie eine Haut oder ein Kokon über Ausstellungen (Auswahl) sie gelegt wurde. Damit evozieren die Arbeiten eine Art Verpuppung der Dinge zu einer abstrakten Plastik, aus der sie in einem anderen Zustand 2006 California Biennial, Orange County Museum of Art, wieder hervorkommen. Die organischen Formen sind ein ganz bewuss- Newport Beach ter Verweis auf die Klassische Moderne, ebenso die Verwendung ent- Anstoss Berlin, Haus am Waldsee, Berlin sprechender Metallgussverfahren, bei denen die vormals banalen Dinge Free Plastic surgery, Galerie Schultz, Berlin (E) ins Eherne transformiert werden. Eine neuere Werkserie beruht auf dem 2005 Thing: New Sculpture from LA, UCLA Hammer Museum, Prinzip der Assemblage bzw. der Kombination vorgefundener Gegen- Los Angeles stände. Der kitschige Gipsguss einer verkleinerten Version der berühm- 2004 New Works, Griffin Contemporary, Los Angeles (E) ten Venus von Milo, wie er in unzähligen Pizzerien Aufstellung findet, 2003 Santa Monica Museum of Art, Santa Monica (E) wird mit zwei aufgeblasenen Gummihandschuhen verfremdet und abge- 2002 Ace Gallery, New York (E) formt. Das Ergebnis ist eine ironische Mischung aus Hoch- und Popkul- Heads and Torsos, Ace Gallery, Los Angeles (E) tur, in der Morrison an das Werk von Jeff Koons anknüpft. Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:38 Uhr Seite 89 Joel Morrison

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Odium, Black, 2004 Gefundene Objekte, Fiberglas 96,5 x 157,5 x 122 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:39 Uhr Seite 90

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Venus / Lizard, 2006 Bronze, poliert 101 x 30,5 x 46 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:39 Uhr Seite 91 Morrison Joel

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Installationsansicht Griffin Contemporary, Los Angeles 2004 Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:39 Uhr Seite 92

Nadine Rennert

92 Literatur: Nadine Rennerts Objekte sind in hohem Maße semantisch aufgela- 1965 geboren in Neustadt/Weinstraße, aufgewachsen in Berlin Michael Hübl, „Ambigue den. Die Künstlerin spielt auf einer Klaviatur von Assoziationsfeldern, 1984-1990 Hochschule der Künste, Berlin Knautschzonen. Nadine die sowohl dem verwendeten Material eingeschrieben sind als auch lebt und arbeitet in Berlin Rennert: seiner Formgebung. Dabei sind jedoch die narrativen Ebenen nicht ein- ‚Funktionslandschaften‘“, in: deutig festgeschrieben, sondern in einem Zustand von Andeutungen Ausstellungen (Auswahl) Kunstforum, 157 (2001) und vagen Ahnungen belassen. Letztlich ist es der Betrachter selbst, der die Geschichten zu den Dingen erzählt, oder, anders gesagt, die jewei- 2004 European Spaces, Sculpture Quadrennial, Riga Alexander Braun, „Hybriden, lige Deutung erzählt viel über den Betrachter. Die mit Nylonstoff be- Rohstoff, Wasserspeicher, Berlin überall Hybriden“, in: spannten Watte-Wülste der Einbeinigen etwa lassen sich deutlich als Senatsstipendiaten stellen aus, Kunstbank, Berlin ‚…Schwerer werden. weibliche Abbreviatur lesen, doch werden sie durch die sattelartige 2003 One Xiantiandi, Shanghai Leichter sein‘. 3 Bildhaue- Lederapplikation und die phallische Beinprothese mit männlich konno- Between Spaces, Centro Cultural Andratx, Mallorca rinnen aus Berlin: Nadine tierten Elementen zu einer Art hermaphroditischem Fetisch verschmol- 2002 Passive Portraits, Kunsthaus Erfurt (E) Rennert, Daniela von zen. Das irritierend-erotische Objekt, das nicht selbständig stehen kann 2001 Intime Expeditionen. Das Intime, das Schöne und die Waberer, Andrea Zaumseil, und an der Wand lehnt, löst ganz unterschiedliche Reaktionen aus, die Neugierde, Badischer Kunstverein, Karlsruhe und Haus am Ausst.kat. Kunsthalle Erfurt, von der jeweiligen Disposition des Betrachters / der Betrachterin ab- Waldsee, Berlin Berlin 2000 hängen. Anderen Werken liegen Texte zu Grunde, die Rennert in der plas- 2000 ‚...Schwerer werden. Leichter sein‘, Kunsthalle Erfurt tischen Gestaltung verdichtet und zugleich dekonstruiert, wie etwa die 1999 Das Material des Bildhauers – TEXTIL, Nassauischer biblische Geschichte der Holofernes-Enthauptung bei Judith oder das Kunstverein, Wiesbaden Grimm-Märchen „Das Mädchen ohne Hände“ bei I drink your flower. 1994 Standpunkte, Galerie Rafael Vostell, Berlin Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:40 Uhr Seite 93 Nadine Rennert

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Einbeinige, 2001 Holz, Polyacryl, Kunstleder, Polyesterwatte 105 x 55 x 27 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:41 Uhr Seite 94

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Judith, 2003 Leder, Holz 94 x 31 x 29 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:41 Uhr Seite 95 Nadine Rennert

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i drink your flower, 2005 Stoff, Metall, Polyesterwatte 171 x 46 x 57 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:41 Uhr Seite 96

Thomas Rentmeister

96 Literatur: Das Werk von Thomas Rentmeister lässt sich in drei Gruppen teilen. 1964 geboren in Reken / Westfalen Annelie Pohlen, „Die Kunst Es beginnt in den 1980er Jahren mit Skulpturen und Installationen aus 1987-1993 Kunstakademie Düsseldorf (Alfonso Hüppi) der präzisen Abweichung bei vorgefundenen, alltäglichen Dingen, die ab den 1990er Jahren von hoch- lebt und arbeitet in Berlin der Zwischenlandung“, in: glanzpolierten Polyesterplastiken abgelöst werden. Parallel zu ihnen Zwischenlandung, Ausst.kat. verwendet er seit 1999 Pflege- und Nahrungsmittel als neuartige Mate- Ausstellungen (Auswahl) Kunsthalle Nürnberg und rialien, die vor allem mit der Sphäre kindlicher Hygiene respektive Ge- 2007 Mehr, Haus am Waldsee, Berlin (E) Museum zu Allerheiligen, nuss verbunden sind und die, wie etwa Penatencreme, Watte, Wasch- 2006 Die Löcher der Dinge, Museum am Ostwall, (E) Kunstverein Schaffhausen pulver, Nutella, Zucker oder Chips angenehme olfaktorische Empfindun- 2005 Minimal Pop, Museum Boijmans van Beuningen, 2004/2005 gen wecken. In bewusster Übertretung archetypischer Verbote schüttet Rotterdam (E) Rentmeister die Substanzen auf den Boden, schmiert sie auf Kühl- 2004/2005 Zwischenlandung, Kunsthalle Nürnberg und Museum zu Ursula Panhans-Bühler, schränke, Wandflächen und Regale oder formt sie diebisch zu kleinen Allerheiligen, Kunstverein Schaffhausen "Schwere Süße und Schwer- braunen Häufchen, die noch ein anderes Material des frühkindlichen 2002 WerkRaum10, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegen- kraftsüße", in: braun, Plastikers assoziieren. Auch die blasenförmigen Polyesterarbeiten, in wart, Berlin (E) Ausst.kat. Kölnischer denen sich Rentmeister als formstrenger Bildhauer in der Tradition der braun, Kölnischer Kunstverein, Köln (E) Kunstverein, Köln 2002 Minimal Art beweist, sind mit ihren pastellenen Farben und weichen, 2001 Villa Merkel, Galerien der Stadt Esslingen (E mit Hanspeter fließenden, schwellenden Formen durchaus mit kindlicher Greiferfah- Hofmann) rung verbunden. Im Versuch, ein hyperkünstliches, in der Realität fremd 2000 Kulturpaste, Galerie Otto Schweins, Köln (E) wirkendes Gebilde zu schaffen, lassen sie sich als Antwort auf die ent- 1998 Enkel, Kunstverein Heilbronn (E mit Helmut Brosch) materialisierte Bildwelt heutiger Computergraphik lesen. 1995 Städtisches Museum Abteiberg, Mönchengladbach (E) Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:42 Uhr Seite 97 Thomas Rentmeister

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Ohne Titel, 2001 Polyester 53 x 96 x 51cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:42 Uhr Seite 98

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Ohne Titel, 2005 Matratze, Bettzeug, Zucker ca. 45 x 205 x 102 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:43 Uhr Seite 99 Thomas Rentmeister

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Santo*, 2003 Kühlschränke, Penatencreme 340 x 530 x 240 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:43 Uhr Seite 100

Anselm Reyle

100 Literatur: Anselm Reyles Arbeiten sind ein greller, disharmonischer, psychede- 1970 geboren in Tübingen Dominic Eichler, lischer, hypermoderner Post-Pop-Kommentar auf die abstrakte Kunst 1991-1997 Kunstakademie Karlsruhe (Helmut Dorner) „Nachglühen“, in: Anselm des letzten Jahrhunderts. Seine Vorliebe für beißende Neonfarben, für lebt und arbeitet in Berlin Reyle. Ars Nova, Ausst.kat. jegliche bad taste-Ästhetik von der Glitzerfolie bis zum Western-Wa- Kunsthalle Zürich 2006 genrad und sein schreiender Eklektizismus aus Versatzstücken des mo- Ausstellungen (Auswahl) dernistischen Kanons zielen ganz bewusst auf die visuelle Verführung des Betrachters und das Ausschalten seines Urteilsvermögens. In sei- 2006 Anselm Reyle. Ars Nova, Kunsthalle Zürich (E) ner Haltung ist Anselm Reyle gänzlich ein Konzept-Künstler, der im Stil Mexican Mushrooms, kurimanzutto, Mexico City der Appropriation Art ein pervertiertes Best-of-Album der Vergangen- 2005 Life Enigma, Galerie Giti Nourbakhsch, Berlin (E) heit entwirft und dies von einer mittlerweile respektablen Anzahl von 2004 Trilogy Of Broken Light, The Modern Institute, Glasgow (E) Assistenten ausführen lässt. Auch an den Skulpturen, die erst seit weni- Licht und Farbe, Neuer Aachener Kunstverein (E) gen Jahren zu seinem vormals rein malerischen Werk hinzugetreten The Art Of Anselm Reyle, Gavin Brown's enterprise, New sind, hat er nicht selbst Hand angelegt. Vorlage für die schrill verchrom- York (E) ten Bronzeplastiken waren afrikanische Specksteinskulpturen von Floh- 2003 Deutschemalereizweitausenddrei, Kunstverein Frankfurt, märkten, die unter dem offensichtlichen Einfluss der europäischen Nach- Frankfurt a. M. kriegsmoderne geschaffen wurden und die nun als überzeichnete Ver- 2002 trust, Galerie Jennifer Flay, Paris (E) sionen von Henry Moores und Hans Arps Skulpturen wieder in den At the Edge of Forever, Galerie ROMAROMAROMA, Kunstkontext überführt wurden. Ein 3D-Scan ermöglichte die frei ska- Rom (E) lierbare Übersetzung des Modells in verschiedene Größen. 2001 beyond, Galerie Giti Nourbakhsch, Berlin (E) Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:43 Uhr Seite 101 Anselm Reyle

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Ohne Titel (life enigma), 2005 Bronze, Chromeffektlack 95 x 52 x 50 cm Sockel furniert (Makassaholz) 70 x 50 x 50 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:44 Uhr Seite 102

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Ohne Titel, 2006 Mischtechnik auf Leinwand, Acrylglas 300 x 141 x 20 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:44 Uhr Seite 103 Anselm Reyle

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Wagenrad, 2003 Fundstück Holz, Neon D. 100 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:44 Uhr Seite 104

Iris Schieferstein

104 Literatur: Seit 1992 verwendet Iris Schieferstein Tierfragmente als bildhaueri- 1966 geboren in Lich bei Gießen Iris Schieferstein. Hommage sches Material. Sie zerlegt in einem äußerst aufwändigen Schaffens- 1989-1996 Kunsthochschule Kassel und Kunsthochschule Berlin- an das Leben, mit Texten von prozess die Körper von Fischen, Reptilien und Säugetieren, um sie zu Weißensee Jessica Ullrich und Matthias fremdartigen Mischwesen zusammenzusetzen, die in formalinhaltigen lebt und arbeitet in Berlin Bleyl, Berlin 2004 Objektkästen zum Teil in größeren Kompositionen präsentiert werden. Eine der ersten Assoziationen ist möglicherweise eine Art Mad Scien- Ausstellungen (Auswahl) tist in der Tradition von Dr. Frankenstein bzw. die Selbstinszenierung der Künstlerin als gottähnlicher Demiurg. Missgeburten oder Monstren 2006 About Woman, Galeria Metropolitana, Barcelona (E) (nach lat. monstrare: „zeigen“) wurden seit der Antike als göttliche Tier ARTen: Das Tier im Fokus der Kunst, Stadtmuseum Zeichen der Vorhersehung verstanden. Auch tauchen sie ausgiebig in Oldenburg Höllendarstellungen, an romanischen Kapitellen und Kirchenportalen 2005 Underfucked and Oversexed, Galerie Bis Heute, Bern (E) oder als ornamentale Grotesken auf. Hier drängt sich jedoch eher die Die obere Hälfte – Die Büste von Rodin bis Funakoshi, Verbindung zur aktuellen Debatte über die Ziele und Grenzen der Gen- Kunsthalle Emden forschung auf. Iris Schiefersteins Chimären berühren uns als eine Mah- She imagined, Galerie Raffael Vostell, Berlin (E) nung gegenüber wissenschaftlichen Allmachtsphantasien. Trotz ihrer 2003 Like human beings, DNA-Galerie, Berlin (E) Morbidität und trotz des zunächst als Hybris empfundenen Eingriffs in 2002/2003 Mensch und Tier, Deutsches Hygiene-Museum, Dresden die Schöpfung erweisen sie sich bei genauerer Betrachtung als Wesen 2002 Wächserne Identitäten, Georg-Kolbe-Museum, Berlin von anrührender Grazie und Würde, denen durch die Umformung eine 2001 live can be so nice, DNA-Galerie, Berlin (E) eigentümliche Beseeltheit verliehen wird. 2000 Ab die Post, Postfuhramt, Berlin Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:45 Uhr Seite 105 Iris Schieferstein Iris

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Ohne Titel, 2000 Tierpräparate im Objektkasten 67 x 77 x 27cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:45 Uhr Seite 106

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Hundskerl Eins, 2000 Tierpräparate im Objektkasten 45 x 70 x 30 cm

Hundskerl Zwei, 2000 Tierpräparate im Objektkasten 86 x 64 x 26 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:45 Uhr Seite 107 Iris Schieferstein Iris

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Kopf Vier, 2002 Tierpräparate im Objektkasten 51 x 38 x 29,3 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:45 Uhr Seite 108

Hans Schüle

108 Literatur: Hans Schüles Skulpturen zeugen von einer erstaunlichen Kraftan- 1965 geboren in Neckarsulm Ralf F. Hartmann, „Natur und strengung im Ringen mit dem Material und der Form. Das Ergebnis ist 1991-97 Akademie der Bildenden Künste München (Jürgen Reipka) Technik in den Arbeiten von hochgradig durchgearbeitet, doch wird den verschiedenen Metallen wie und Hochschule der Künste Berlin Hans Schüle“, in: hans Stahl, Kupfer oder Aluminium auch eine Präsenz als Werkstoff zuge- schüle_hybride.membrane, standen. Plastische Gestalt, Material und handwerkliche Bearbeitung: Ausstellungen (Auswahl) Ausst.kat. Galerie sphn, In dieser Reihenfolge lassen sich Schüles Skulpturen lesen, die eine Berlin 2002 hohe Affinität zu einerseits biomorphen Formen und andererseits zur 2007 sediment, Hospitalhof Stuttgart (E) Technik und Wissenschaft aufweisen. Doch bleibt Schüle in seiner Innere Landschaft, Galerie Tobias Schrade, Ulm künstlerischen Haltung durchweg ein abstrakter, autonomer Bildhauer, 2006 Impact of Space, Galerie Hermann & Wagner, Berlin (E) dessen angestammte Sphäre weniger das Labor als die Werkstatt ist. 2005 Die Tücke des Objekts, Galerie Gruppe Grün, Bremen Sein Schaffen ist mit klassischen bildhauerischen Problemen wie der Dimension Raum, Columbus Art Foundation, Ravensburg Überwindung der Schwere, dem Widerstand des Materials und dem 2004 membrane, Galerie Manfred Rieker, Heilbronn (E) Aufbau von räumlich-plastischen Volumina befasst. Eine besondere Alexa Jansen Galerie, Köln (E) Aufmerksamkeit schenkt er der gegenseitigen Durchdringung von mit- 2003 Galeria Godot, Budapest (E) unter hoch komplexen Formen, wie bei der Arbeit Float. Auch fokussiert sculpturen 96-03, Galerie im Waschhaus, Potsdam (E) sein bildnerisches Denken die Oberflächen, die er entweder als halb- 2002 membrane, Credit Suisse, Berlin (E) transparente Membran oder als hermetische Hülle auffasst. In der jüngs- hans schüle_hybride.membrane, Galerie sphn, Berlin (E) ten Werkserie presst Schüle den Stahl in weich anmutende, kissenarti- Kunsthalle Wil, Schweiz (E) ge Gebilde, die sich vollständig von der Außenwelt abschotten. 2000 Kunststiftung Erich Hauser, Rottweil Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:46 Uhr Seite 109 Hans Schüle

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float, 2002 Stahl, brüniert 93 x 138 x 91 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:46 Uhr Seite 110

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curve, 2005 Stahl, geschmiedet 175 x 90 x 125 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:47 Uhr Seite 111 Hans Schüle

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pilot, 2000 Kupfer 135 x 170 x 150 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:47 Uhr Seite 112

Matthäus Thoma

112 Literatur: Matthäus Thoma baut aus ‚armen‘ und gefundenen Materialien – 1961 geboren in München Matthias Flügge, vor allem aus unbehandelten Brettern und Holzstücken – komplexe Ge- 1992-1998 Hochschule der Künste Berlin (Marwan) „Nachspiel“, in: Matthäus bilde, die den Raum durchdringen und sich ihm gleichzeitig öffnen. Man lebt und arbeitet in Berlin Thoma, Ausst.kat. Galerie assoziiert spontan das Oberflächennetz von Computergrafiken, doch Michael Sturm, Stuttgart holt der Künstler den Betrachter unversehens in die Realität zurück Ausstellungen (Auswahl) 2004 durch die physische Präsenz des harten, splitternden, genagelten und verschraubten Werkstoffes, der zu kraftgeladenen Formationen aufge- 2007 Bis jetzt ging alles gut, Anhaltischer Kunstverein Dessau türmt ist. Durch die Strukturen scheinen gewaltige Energien zu strömen, 2006 Einbruch, E.ON Energie, München (E) die Thoma in eine Form presst, welche jederzeit wieder bersten kann. 2005 Für die Nachwelt, Akademie der Künste, Berlin (E) Das plastische Bannen von Bewegungen vermittelt den Eindruck spon- Palais am Festungsgraben, Berlin (E) taner Hervorbringung. Tatsächlich fußen Matthäus Thomas großforma- Galerie Gerken, Berlin (E) tige Skulpturen auf durchdachter Kalkulation, Zeichnungen und kleine- jungthoma, Projektraum Brunnenstraße, Berlin (E) ren Modellen, die er jedoch als eigenständige Arbeiten versteht. Er 2004 Skulpturenprojekt Pankow-Kirche, Berlin befindet sich dabei an einer Nahtstelle zur Architektur, deren konstruk- Galerie Michael Sturm, Stuttgart (E) tive Prinzipien teilweise aufscheinen, wenngleich er dem Statischen Stadtgalerie Saarbrücken und Festgemauerten dieser Kunstgattung das Transitive, Spielerische Galerie Kunstagenten, Berlin und Provisorische entgegenstellt. Das Gemachtsein der Dinge ist ein 2003 Haus am Kleistpark, Berlin wesentlicher Aspekt seines Skulpturenbegriffes, der einem Zustand an 2001 Schweriner Kunst- und Museumsverein der Grenze zwischen Form und Nicht-Mehr-Form entgegenstrebt. 1999 Bundeskunsthalle, Bonn Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:47 Uhr Seite 113 Matthäus Thoma

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Ohne Titel, 2002 Douglasie 240 x 250 x 420 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:48 Uhr Seite 114

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Trichter, 2004 Holz 48 x 90 x 80 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:49 Uhr Seite 115 Matthäus Thoma

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Einbruch, 2006 Bauholz 500 x 500 x 500 cm Installation im E.ON- Gebäude, München Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:49 Uhr Seite 116

Marcus Wittmers

116 Marcus Wittmers’ Arbeiten greifen ironisch die Tradition des klassi- 1973 geboren in Berlin-Müggelheim schen Standbildes auf und sind in ihren Brechungen von der medialen 1993 Gesellenprüfung als Steinbildhauer Zeichenwelt geprägt. Auch sind Reflexe auf den Formenkanon des 1998-2004 Kunsthochschule Berlin Weißensee (Inge Mahn) Sozialistischen Realismus zu spüren, dessen Pathos ins hintersinnig lebt und arbeitet in Berlin Banale verkehrt wird. Seine nackten Frauen verkörpern Basistugenden wie Jugend, Stärke, Schnelligkeit und Durchsetzungsvermögen. Doch in Ausstellungen (Auswahl) ihnen steckt immer schon die Groteske, die das gesellschaftliche Feld unterminiert, auf dem sie gelten. Jede Macht ist lächerlich! Ähnlich 2006 Rendezvous mit Gitte Volume 6, Gitte Weise Galerie, Berlin provokant verfährt Wittmers bei einer Serie von Grabsteinen. In den Discovery, Kunsthalle Arnstadt schwarzen Granit meißelt der gelernte Steinbildhauer verschiedene Künstlergruppe Tennis-Elephant, Galerie Pankow, Berlin Handfeuerwaffen, häufig das als „Kalashnikov“ bekannte Sturmgewehr 2005 Kunst und Technik, Bremen AK 47, und setzt ihnen damit ein absurdes Denkmal. Zu einer Ikone der Internationale Biennale Miniaturen, Kleinsassen / Röhn jüngeren Berliner Kunstszene ist Wittmers gestürzter Superman, Auch Galerie U7, Frankfurt a. M. Helden haben schlechte Tage, geworden, der einige Zeit nahe dem 2004 Internationale Biennale Miniaturen, Tuzla Rosenthaler Platz in Berlin stand. Die Comic-Figur wurde von amerika- Darmstädter Sezession, Darmstadt nischen Zeichnern 1938 inmitten wirtschaftlicher und politischer Krisen Künstlergruppe Tennis-Elephant, Galerie Parterre, Berlin als Verkörperung nationaler Stärke geschaffen. Wittmers zeigt seinen 2003 Triade, Kulturbrauerei Berlin Superman in einer bemitleidenswerten Situation, in der er seine Ver- 2002 natürlich kann geschossen werden, Postfuhramt, Berlin letzbarkeit zeigt und sich erst dadurch als wahrer Held erweist. Darmstädter Sezession, Darmstadt Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:49 Uhr Seite 117 Marcus Wittmers Marcus

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Die Glückliche, 2006 Polyester und Ölfarbe 200 x 160 x 80 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:50 Uhr Seite 118

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Waffenruhe (AK 47), 2004 Belgisch Granit 90,4 x 105 x 13,5 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:50 Uhr Seite 119 Marcus Wittmers Marcus

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Auch Helden haben schlechte Tage, 2005 Polyester, Stahl, Acryl 420 x 120 x 120 cm Katalog_Layout_23.qxd 22.01.2007 19:50 Uhr Seite 120

Verzeichnis der Exponate Wenn nicht anders verzeichnet, so befinden sich die ausgestellten bzw. abgebildeten Rennert: Einbeinige, 2001, Holz, Polyacryl, Kunstleder, Polyesterwatte, 105 x 55 x 27 Arbeiten im Besitz der Künstler. cm (Abb. S. 93) – Thomas Rentmeister: Ohne Titel, 2001, Polyester, 53 x 96 x 51 cm, Sammlung DaimlerChrysler (Abb. S. 97) – Anselm Reyle: Ohne Titel (life enigma), Axel Anklam: Muleta, 2006, Edelstahl, Latex pigmentiert, 90 x 130 x 247 cm 2006, Bronze, Chromeffektlack, 95 x 52 x 50 cm, Sockel furniert (Makassaholz), 70 x (Abb.S.25); Der Wagen, 2004, Edelstahl, 310 x 180 x 120 cm (Abb. S. 27) – Angelika 50 x 50 cm (o. Abb.); Ohne Titel, 2006, Mischtechnik auf Leinwand, unter Acrylglas, Arendt: Ohne Titel, 2006, PU-Schaum, Acrylfarbe, verschiedene Materialien, ca. 30 x 143 x 121 x 18,5 cm (o. Abb.) – Iris Schieferstein: Ohne Titel, 2000, Tierpräparate im 30 x 30 cm (Abb. S. 29 links); Ohne Titel, 2006, PU-Schaum, Acrylfarbe, verschiedene Objektkasten, 67 x 77 x 27 cm (Abb. S. 105) – Hans Schüle: Hybride 8, 2002, 29 x 62 Materialien, ca. 30 x 20 x 20 cm (Abb. S. 29 rechts) – Bara: Forschung, 2004, Beton, x 31 cm, Stahl, brüniert, Courtesy Galerie Herrmann & Wagner, Berlin (o.Abb.) – Stahl, Holz, 200 x 100 x 30 cm, Privatsammlung, Berlin (Abb. S. 33) – Florian Bau- Matthäus Thoma: Ohne Titel, 2002, Douglasie, 240 x 250 x 420 cm (Abb. S. 113) – drexel: Halt mich fest, 2006, Pappe auf Holzrahmen, 194 x 330 x 95 cm, Courtesy Marcus Wittmers, Nike, 2004/2007, Polyester, Lack, 195 x 105 x 46 cm, Courtesy Arndt & Partner Berlin / Zürich (Abb. S. 37) – Oliver van den Berg: Spielhölle I, 2003, Galerie Gitte Weise (o. Abb.). Aluminiumblech, Lack, H. 125 cm, D. 140 cm, Courtesy Kuckei + Kuckei, Berlin (Abb. S. 41) – Stefanie Bühler, Urwald, 2006, Polyurethan, Styropor, Epoxidharz, Ölfarbe, diverse Materialien, 20 x 87 x 54 cm, Privatsammlung, Dresden (Abb. S. 45); Blitz, Bildnachweis 2007, Epoxidharz, 320 x 100 x 130 cm, Courtesy Galerie Diskus, Berlin (Abb. S. 46) – Stefan Altenburger, Courtesy Arndt & Partner, Berlin / Zürich: S.38-39; Angelika Birgit Dieker: Olga, 2006/2007, Kleidung, H. 189 cm, Courtesy Galerie Volker Diehl Arendt, Karlsruhe: S. 29-31 – Jürgen Baumann, Berlin: S. 57 und 59 – Jürgen Bau- (Abb. S. 49); Mad Max, 2004, Leder, 200 x 60 x 40 cm, Sammlung Jean-Luc Richard, mann, Courtesy Galerie Volker Diehl, Berlin: S. 51 – Anders Sune Berg, Kopenhagen: Paris (Abb. S. 50) – Berta Fischer: Eubulo, 2007, Acrylglas, 140 x 98 x 120 cm, S. 55 – Bernd Borchardt, Courtesy Arndt & Partner, Berlin / Zürich: S.37 – Bernd 120 Courtesy Galerie Giti Nourbakhsch (Abb. S. 53); Atalo, 2007, Acrylglas, 120 x 80 x 73 Borchardt, Berlin: S. 98 – Thomas Bruns, Berlin, Courtesy Galerie Kuckei + Kuckei: cm, Courtesy Galerie Giti Nourbakhsch (Abb. S. 54) – Harry Hauck: 70 Liter 6, 7, 9, S. 41-43 – Courtesy Gavin Brown's enterprise, New York: S. 103 – Tom Gundelwein, alle 2002, alle Gummi, Luft, Ventil, H. 36 cm, H. 44 cm, H. 32 cm (Abb. S. 57) – Thomas Courtesy Stadtgalerie Saarbrücken: S. 81-83 – Ricardo Henrique, Berlin: S. 58 – Tho- Helbig: Kniende, 2006, Mixed Media, 57 x 34 x 88 cm, Courtesy Galerie Guido W. mas Jautschus, Berlin, Courtesy Galerie Volker Diehl: S. 50 – Stephan Klonk, Berlin: Baudach, Berlin (Abb. S. 61) – Tony Matelli: Wanderer, 2001 (2/3), Mixed Media S. 25-27 und S. 73 – Courtesy Leo Koenig Inc., New York: S. 65-67 – Matthias Kolb, (Fiberglas, Silikon, Haare, Kleidung, Schaum, Draht, Seil, Holz), 285 x 210 x 210 cm, Berlin: S. 85-87 und 101-102 – Mathias Kolb, Courtesy Galerie Giti Nourbakhsch, Verzameling Vanmoerkerke, Oostende (Abb. S. 65) – Reiner Maria Matysik: leukobi- Berlin: S. 53, 54 – Christian Korth, Courtesy Galerie Diskus Berlin: S. 46 – Jochen ont, 2005, PVC, 40 x 70 x 70 cm (Abb. S. 69) – Anna-Kavata Mbiti: Rematch, 2002, Littkemann, Courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin: S. 77, 79 – Jochen Littkemann, Holz, H. 180 cm (Abb. S. 73) – Jonathan Meese: Son, 2004, Bronze, H. 44 cm, John Courtesy Galerie Haas, Berlin: S. 78 – Roman März, Courtesy Galerie Ben Kaufmann, und Esra Hartung, Berlin (Abb. S. 77); Das Bildnis des Dr. Fu Manchu, 2004, Bronze, H. Berlin: S. 33-35 – Courtesy China Art Objects, Los Angeles & Galerie Guido W. 113 cm, Courtesy Galerie Haas & Fuchs, Berlin (Abb. 78) – Anke Mila Menck: Petite Baudach, Berlin: S. 61-63 – Anna-Kavata Mbiti: Berlin: S. 74 – Reiner Maria Matysik, Mère, 2006, MDF lackiert, H. 120 cm, Courtesy Stedefreund, Berlin (Abb. S. 81) – Berlin: S. 69-71 – Stephan Rabold, Berlin, Courtesy Galeria Metropolitana, Barcelona: Katharina Moessinger: Kuh, 2005/2006, gegerbte Kuhfelle, Leder, Kunstharz, Füll- Titelabbildung und S. 105-107 – Philip von Recklinghausen, Berlin: S. 75 – Nadine watte, 83 x 255 x 160 cm (Abb. S. 86); Schwein, 2004, gegerbte Schweinehäute, Kunst- Rennert, Berlin: S. 93-95 – Courtesy Anselm Reyle, Berlin: S. 101-102 – Axel Schnei- harz, Farbe, Füllwatte, 100 x 185 x 105 cm (Abb. S. 87); Ziege, 2005, gegerbte Ziegen- der: S. 99 – Marcus Schneider, Courtesy Galerie Volker Diehl, Berlin: S. 49 – Hans felle, gegerbtes Euter, Leder, Kunstharz, Stahlgestell, Füllwatte, 128 x 125 x 57 cm Schüle, Courtesy Galerie Hermann & Wagner, Berlin: S.109-111 – Courtesy Galerie (o. Abb.); Schaf, 2006, gegerbte Schaffelle, gegerbtes Euter, Leder, Kunstharz, Füllwat- Michael Schulz: S. 89-91 – Uwe Seyl: S. 97 – Andreas Süß, Berlin: S. 113-115 – Uwe te, 80 x 185 x 120 cm (o. Abb.) – Joel Morrison: Venus / Lizard, 2006, Bronze, poliert, Walter, Courtesy Galerie Diskus, Berlin: S.45 und 47; Courtesy Gitte Weise Galerie, 101 x 30,5 x 46 cm, Courtesy Galerie Michael Schultz, Berlin (Abb. S. 90) – Nadine Berlin: S. 117-119.