100 Jahre MIKROKOSMOS

Zeitung des Deutschen Kulturrates

Nr. 03/07 • Mai - Juni 2007 www.kulturrat.de 3,00 € • ISSN 1619-4217 • B 58 662

Erinnerungskultur Rolle der Verbände Streitfall: Computerspiele Jahresbericht Kultur Kompetenz Bildung Was bedeutet die Erinnerung und Welche Rolle spielen Verbände im Die letzte Ausgabe von Kultur Kom- Welche Themen wurden vom Deut- Welche Wechselbeziehungen beste- die Erinnerungskultur für eine Ge- demokratischen Rechtsstaat? Wer- petenz Bildung mit dem Schwer- schen Kulturrat im Jahr 2006 beson- hen zwischen Naturwissenschaften sellschaft? Welche Formen der Er- den Meinungen einzelner Experten punkt Computerspiele löste ein gro- ders verfolgt? Mit welchen Fragen be- und den Künsten? Aus Anlass des innerung gibt es? Wie verändert den Verbandspositionen, die einen ßes Echo aus. Die Debatte soll in die- fassten sich die Sektionen? Wie haben hundertjährigen Bestehens der Zeit- sich Erinnerung? Mit diesen Fragen Kompromiss darstellen müssen, vor- ser Ausgabe vertieft werden. Sollte die entsandten Vertreter die Kultur- schrift MIKROKOSMOS wird sich setzen sich Aleida Assmann, Klaus gezogen? Diese Fragen stehen im die Produktion und der Vertrieb von politik in anderen Gremien begleitet? mit Fragen der naturwissenschaftli- von Beyme und Insa Eschebach Mittelpunkt des Beitrags von Max Computerspielen gefördert oder ein- Dazu gibt der Jahresbericht des Deut- chen und der kulturellen Bildung auseinander. Fuchs. geschränkt bzw. verboten werden? schen Kulturrates Auskunft. auseinandergesetzt. Seiten 1 bis 5 Seiten 5 bis 6 Seiten 7 bis 16 Seiten 29 bis 35 Beilage Seiten 1 bis 12

Editorial Die unabgeschlossene Vergangenheit Kunstgeschmack Deutsche Erinnerungskultur nach dem 2. Weltkrieg • Von Aleida Assmann in Erfolg, ein Erfolg!“, so über- wird, da sich die Abgabelast auf mehr Bis vor einiger Zeit war man sich da- Die Rede ist von einer Vergangen- E schrieb Birgit Walter ihren Arti- Schultern verteilt als bisher. rin weitgehend einig, dass die Ver- heit, die mehr als 60 Jahre zurück- kel in der Berliner Zeitung über die In den europäischen Nachbarlän- gangenheit jener Bereich unseres liegt. Es geht um den von den Deut- gerade abgeschlossene Reform der dern wird das deutsche System der Lebens und unserer Geschichte ist, schen begonnenen zweiten Welt- Künstlersozialversicherung. Und sie Künstlersozialversicherung gerade der abgeschlossen und unabänder- krieg, der eine Phase extremer Ge- hat Recht. Die dritte Reform des auch deshalb als Vorbild gesehen, weil lich hinter uns liegt. Die Geschichte, walt entfesselt hat, die ihren Höhe- Künstlersozialversicherungsgesetzes es an der berufsmäßigen Ausübung so hat es Virginia Woolf einmal for- punkt in der Vertreibung und Ermor- ist äußerst erfolgreich abgeschlossen einer künstlerischen Tätigkeit und muliert, ist das, „was ein für alle mal dung der europäischen Juden fand. worden. Die Künstlersozialversiche- nicht an der Qualität des Werkes an- dem Zugriff und der Kontrolle der Das ganze Ausmaß dieses Verbre- rung, das sicherlich wichtigste Ele- setzt. In der Künstlersozialkasse sind Lebenden entzogen ist“. Die Zukunft chens lag nach Kriegsende zwar vor ment der sozialen Künstlerförderung sowohl Unterhaltungskünstler als dagegen galt als ein offener Horizont, aller Augen, doch ist es keineswegs in Deutschland, wurde zukunftsfes- auch Künstler so genannter „Ernster in dem das Neue erscheint und ent- sofort zu einem kollektiven Bewusst- ter gemacht. Werke“ versichert und dieses Modell scheidende Veränderungen zu erwar- seinsinhalt geworden. Es bedurfte Dabei ist es erst wenige Jahre her, hat sich bewährt. Ebenso hat sich in ten sind. Diese Veränderungen wa- einer langen Latenzphase des Be- als starke Steigerungen der Künstler- den mehr als 20 Jahren ihres Beste- ren vom Prinzip Hoffnung getragen; schweigens und Verdrängens, bis sozialabgabe, die von Unternehmen, hens als richtig erwiesen, dass der man war im Grunde davon überzeugt, man auf Seiten der Opfer und Täter Kultureinrichtungen und Vereinen, die Gesetzgeber bewusst keine Definition dass Veränderungen mit Verbesse- begann, sich dieser Vergangenheit Leistungen freiberuflicher Künstler der versicherten Berufsgruppen vor- rungen einhergehen würden. zu stellen. Die Vergangenheit liegt als und Publizisten in Anspruch nehmen, nimmt. Es findet jeweils eine fundier- Studienobjekt und Bewusstseinsge- gezahlt werden muss, die Künstlerso- te Einzelentscheidung der Künstlerso- on diesem Geschichtsoptimis- genstand niemals ganzheitlich vor zialversicherung in akute Gefahr zialkasse gegebenenfalls unter Ein- V mus, der bis in die 70er Jahre hi- uns, sondern ist immer nur in Aus- Aleida Assmann. Foto: Lerch Ascona brachten. Der Deutsche Kulturrat und schaltung der Widerspruchsausschüs- nein herrschte, ist heute nicht mehr schnitten und Phasen zugänglich das Bundesministerium für Arbeit und se, in denen Experten aus dem jewei- viel übrig geblieben. Die Zuversicht nach Maßgabe unser gegenwärtigen andererseits. Im außenpolitischen Soziales haben mit der Einrichtung ligen künstlerischen Feld vertreten in stetigen Fortschritt oder ruckarti- Geistes- und Bedürfnislage. Das „Er- Diskurs übernahm die Bundesrepu- eines Runden Tisches „Stärkung der sind, und notfalls der Gerichte statt. ge revolutionäre Veränderungen ist kennen“ von historischen Ereignis- blik Deutschland als Nachfolgerin Künstlersozialversicherung“ schnell Das Ansinnen einiger Politiker der nicht nur der Einsicht in die Endlich- sen hat etwas mit „Anerkennen“ zu des NS-Staats die Verantwortung für auf die Gefahr reagiert. Am Runden Union, der FDP und von Bündnis 90/ keit des Globus und dem alarmie- tun und ist deshalb immer schon die historischen Verbrechen ein- Tisch wurden in den letzten beiden Die Grünen die Zahl der versicherten renden Raubbau an unseren natür- eingebettet in mentale, emotionale schließlich der Entschädigungs-Zah- Jahren die Vorschläge zu Stabilisierung Künstler und Publizisten durch eine lichen Ressourcen gewichen. Sie und ethische Kontexte. Diese Ver- lungen an jüdische Opfer im Rah- der Künstlersozialversicherung disku- Neudefinition des Künstlerbegriffs geht einher mit einer neuen Hin- gangenheit ist eben nicht ein für alle men einer so genannten „Wiedergut- tiert. Der Vorschlag des Staatssekretärs im Künstlersozialversicherungsge- wendung zur Vergangenheit, die wir mal fixiert und abgeschlossen, son- machungs“-Politik, während innen- im Bundesministerium für Arbeit und setz zu verringern, ist ein gefährlicher – nicht nur in Deutschland – seit zwei dern zeigt in Abhängigkeit von psy- politisch Schuld abgewehrt wurde Soziales Heinrich Tiemann, durch die Weg. Politiker sollten bei der Defini- bis drei Jahrzehnten beobachten kön- cho-sozialen Haltungen und politi- durch kollektive Amnestie (Wieder- Einschaltung der Deutschen Renten- tion „Wer ist ein Künstler?“ äußerste nen. Diese hat mit dem wachsenden schen Interessen der jeweiligen Ge- eingliederung der NS-Täter) und versicherung alle Unternehmen mit Zurückhaltung üben. Sehr schnell Bewusstsein zu tun, dass wir im genwart immer wieder ein anderes Amnesie (Vergessen). Die Probleme Beschäftigten im Rahmen der übli- kann ansonsten der eigene Kunstge- Schatten traumatischer Ereignisse Gesicht. von Schuld und Verantwortung wur- chen Prüfung über die ordnungsge- schmack zur Richtschnur werden. leben, einem Schatten, der sich nicht den „kommunikativ beschwiegen“, mäße Entrichtung der Sozialversiche- Die gerade abgeschlossene Re- von selbst auflöst und aus dem wir Gedächtnisgeschichte während es einen regen sozialen rungsbeiträge auch zu kontrollieren, form der Künstlersozialversicherung nicht so einfach nach unserem eige- Diskurs über die deutsche Opferer- inwiefern Leistungen von freiberufli- wird selbstverständlich nicht zur Lö- nen Willen heraustreten können. Die „Gedächtnisgeschichte“ des fahrung durch Bomben und Vertrei- chen Künstlern und Publizisten in sung aller Probleme in und mit der Statt allmählich zu verblassen und Zweiten Weltkriegs und des Holo- bung gab. Die zweite Phase der Ver- Anspruch genommen wurden und ob Künstlersozialversicherung führen. vergessen zu werden, bzw. „histo- caust lässt sich im westlichen Teil gangenheitsbewältigung (ca. 1958- die Künstlersozialabgabe ordnungsge- Doch sollte jetzt erst einmal in Ruhe risch“ zu werden und in die Domä- Deutschlands grob drei Phasen un- 1984) war bestimmt durch die Kritik mäß abgeführt wurde, hat die Lösung abgewartet werden, wie die Reform ne professioneller Historiker über- terscheiden. In der ersten Phase der an der Vergangenheitspolitik der ers- gebracht. Man kann jetzt, nachdem wirkt, bevor schon wieder über eine zugehen, ist diese Vergangenheit Vergangenheitspolitik (ca.1945- ten Phase. Diese Kritik beruhte auf der Vorschlag Eingang in das Künstler- Reform der Reform gesprochen wird. überhaupt erst mit zeitlicher Verzö- 1960) kam es zu einer Spaltung zwi- einem Generationenkonflikt, bei dem sozialversicherungsgesetz gefunden gerung in unser Bewusstsein zurück- schen offizieller Übernahme von die Diskursmacht von der Gründer- hat, davon ausgehen, dass mittelfris- Olaf Zimmermann, Herausgeber gekehrt und hat sich dort inzwischen Schuld einerseits und gesellschaftli- Generation der Bundesrepublik tig die Künstlersozialabgabe sinken von politik und kultur immer breiter gemacht. cher Verweigerung von Schuld Deutschland, die ihre Laufbahn im Nationalsozialismus begonnen hat- te und den Krieg – und Schlimmeres – mitgemacht hatten, auf die zweite Generation der 68er überging, die Kultur-Mensch sich in dieser Sache mit Vertretern Elmar Weingarten der so genannten „skeptischen“ oder „Flak-Helfer“-Generation verbünde- Elmar Weingarten ist ein Vermittler. Ein in Herrenhausen, Intendant des Radio Die Kunst wird von den Künstlern ge- te. War die erste Phase durch eine Vermittler zwischen Künstlern und Pu- Symphonie-Orchesters Berlin, Inten- macht und nicht vom Kurator. Das tut starke persönliche Kontinuität zwi- blikum, ein Vermittler zwischen künst- dant der Rundfunk-Orchester und -Chö- dem Hauptstadtkulturfonds sichtbar schen NS-Staat und Bundesrepublik lerischem Anspruch und finanziellen re-GmbH, Intendant der Berliner Phil- gut. Dass Elmar Weingarten auf seine Deutschland in Ämtern und Institu- Möglichkeiten, ein Vermittler zwischen harmoniker, Hauptgeschäftsführer des Art durchaus Akzente zu setzen ver- tionen bestimmt, wurde diese nun Institutionen. Nachdem sein beruflicher Ensemble Modern und seit Mai 2006 steht, wird jeder, der seine berufliche zum Gegenstand der Kritik und An- Weg zunächst in Richtung Universität Kurator des Hauptstadtkulturfonds. Laufbahn kennt, sofort wahrnehmen. stoß für historische Durchleuchtung. wies und er unter anderem Leiter der Seit Elmar Weingarten diese Position Für den Hauptstadtkulturfonds, der Bruch und Aufklärung war das poli- Forschungsgruppe „Patientenorientier- innehatte, sind die Diskussionen um den immer wieder von politischer Seite in te Intensivmedizin“ an der Freien Uni- Hauptstadtkulturfonds verebbt und der Frage gestellt wird, ist ein erfahrener versität Berlin war, hat er sich seit 1985 Fonds ist in ruhigere Fahrwasser gera- Fahrensmann wie Elmar Weingarten Weiter auf Seite 2 der Kultur verschrieben. Stationen die- ten. Nach der Kuratorin Adrienne Göh- genau richtig. Leider wird Elmar Wein- ser Tätigkeit waren u.a. Leiter der Mu- ler, die selbst künstlerische Akzente set- garten zum August dieses Jahres den sikabteilung der Berliner Festspiele, zen wollte, hat nun mit Elmar Weingar- Hauptstadtkulturfonds verlassen und Foto: Wonge Bergmann Leiter des Festivals der Neuen Musik ten wieder ein Vermittler das Amt inne. Intendant der Tonhalle Zürich. 4:V;Y ERINNERUNGSKULTUR politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 2

schlossen wurde, die Einweihung über all auf der Welt hat die Bedeu- Fortsetzung von Seite 1 des Berliner Holocaust-Mahnmals tung von Erinnerung dramatisch zu- im Mai 2005 sowie die großangeleg- genommen. Warum das so ist, soll Unabgeschlosse te Sicherung von Überlebenden- hier abschließend unter dem Stich- und Zeitzeugen-Berichten in Form wort „ethische Wende“ noch kurz Vergangenheit von Video-Zeugnissen. erläutert werden. Anders als beim tische Projekt der zornigen jungen Seit 2000 hat die Vergangenheit Sachwissen, das rein kognitiv gelernt Männer und Frauen, die ihre Eltern noch ein weiteres Gesicht gezeigt: und angeeignet wird, handelt es sich und Lehrer samt den Institutionen, die Deutschen entdeckten sich als bei Erinnerungen um menschliche die sie vertraten, in großem Stil an- Opfer des Krieges. Nun ging es dabei Erfahrungen, die mit Emotionen be- klagten und zur Rechenschaft forder- allerdings nicht mehr um Verdrän- laden sind und aus denen sich zum ten. Die dritte Phase der Vergangen- gung oder Leugnung der jüdischen Teil moralische Verpflichtungen ab- heitsbewahrung (ca. 1985-heute) Opfer – wie in den 50er Jahren – son- leiten. Diese Emotionen umfassen steht im Zeichen der Erinnerung. Sie dern um die emotionale Auseinan- Glück und Schmerz, Stolz und wurde eingeleitet durch eine Reihe dersetzung mit individuellen und Scham, Trauer und Rache. Erinne- von Gedenkveranstaltungen, die mit familiären Erfahrungen. Nach dem rungen sind deshalb durchaus zwei- der Rede des Bundespräsidenten Abtreten der ersten „Erfahrungsge- schneidig; der Satz: „Das werde ich Richard von Weizsäcker begann, der neration“ ist diese Erinnerung zum dir nie vergessen!“ kann als Ausdruck 40 Jahre nach Kriegsende die jüdi- Teil auf die zweite „Bekenntnisgene- bleibender Dankbarkeit, aber auch schen Opfer explizit in sein Geden- ration“ übergegangen, die sich als Androhung von Rache verstan- Bis 1942 wohnte Getrud Aron in der Dieffenbachtraße 70 in Berlin Kreuzberg. ken einschloss und Erinnerung zu ei- derzeit dafür einsetzt, auch der Er- den werden. Gefühlsträchtige Erin- Mit seinen aus Messing ins Trottoir eingelassenen Gedenktafeln erinnert der ner moralischen und zivilen Pflicht fahrung der Vertreibung eine blei- nerungen bilden einen wichtigen Künstler Gunter Demnig an die Opfer der NS-Zeit. „Ein Mensch ist erst verges- erhob. In den 90er Jahren haben Sym- bende symbolische Gestalt zu ge- Teil unserer Identität und damit un- sen, wenn sein Name vergessen ist“, sagt Gunter Demnig. Bis Ende 2006 hat er bolsetzungen in Form von Museen, ben. Die Vergangenheit kehrt also seres Selbstverständnisses und un- ca. 9000 Steine in über 190 Ortschaften verlegt. Foto: Kristin Bäßler Ausstellungen und Denkmälern weiterhin in neuen Erscheinungen seres Verhältnisses zu anderen. Das ebenso wie Anlässe für offizielles Ge- wieder. Weil der Schrecken dieser schließt Mechanismen der (unbe- Wiedergutmachung und symbolische Welt entstehen, wo sich eine Gesell- denken deutlich zugenommen. „gestauchten Zeit“ nicht auf einmal wussten) Selbst-Zensur ein; Erinne- Anerkennung zukommen ließ. In je- schaft von ihrem politischen Un- Diese Phase ist bestimmt durch das ins Bewusstsein zu treten vermag, rungen werden in der Regel so ge- dem Krieg ist die Wahrheit das erste rechtsregime lösen will. Der Wunsch, allmähliche Aussterben der Überle- verteilt er sich auf zeitliche Etappen. wendet, dass sie ein positives Selbst- Opfer, das zu beklagen ist. Unter den dass sich Auschwitz nicht wiederho- benden und Zeitzeugen. Während In dieser jüngsten Phase kommt es bild stützen oder den eigenen Vorlie- Bedingungen gesteigerter asymmetri- le, ist leider ein frommer Wunsch ge- im letzten Moment noch Entschädi- zu einer Ausdifferenzierung und Ver- ben und Handlungsinteressen Vor- scher Gewalt gegen zivile Opfer, deren blieben. Ethnische Säuberungen, gungen an ehemalige Zwangsarbei- vielfältigung der Erinnerungen, was schub leisten. Die Anerkennung von Inbegriff ein Genozid ist, ist die Wahr- Massenverbrechen an wehrlosen Op- ter ausgezahlt werden, sind anderer- keineswegs bedeuten muss, dass die Schuld zum Beispiel ist mit einem po- heit oft das Einzige, was überhaupt fern und Genozide sind keineswegs seits Maßnahmen im Gange, um Anerkennung deutscher Schuld sitiven Selbstbild des Individuums noch wiederhergestellt werden kann. aus der Welt geschafft. Die Menschheit dem abrupten Abbrechen von Erin- wieder rückgängig gemacht wird. Im oder der Gruppe schwer vereinbar Auf dieser ethischen Wende beruhen ist nicht besser geworden, aber sie hat nerung vorzubeugen. Dazu gehören Gegenteil sind die Weichen der deut- und noch viel weniger mit einem star- sowohl die Schuldbekenntnisse, die – zumindest in der westlichen Welt – Aktivitäten wie die Umrüstung der schen Erinnerungskultur für die Zu- ken Begriff von sozialer Ehre. Aber viele Vertreter von Regierungen für die einen Sprung getan zu einer neuen ehemaligen Konzentrationslager zu kunft politisch, pädagogisch, kultu- auch traumatische Opfer-Erfahrun- historischen Verbrechen ihrer Vorgän- Wertordnung und Sensibilität, für die Gedenkstätten und Museen, die Ein- rell gestellt; es wird allerdings von gen sprengen die Kategorien von Iden- gerregierungen – wie z.B. Sklaverei, es fortan offizielle und inoffizielle führung des Holocaust-Gedenktags den kommenden Generationen ab- tität, Sinn und kultureller Verarbei- Ausrottung der Eingeborenen und ko- transnationale Appellationsinstanzen am 27. Januar 1997 durch Roman hängen, was sie daraus machen. tung. Hier bedurfte es einer ethischen loniale Ausbeutung – seit den 90er Jah- gibt, die nicht mehr aus der Welt zu Herzog, die Holocaust-Konferenz Wende, die die traumatisierende Ge- ren aussprechen, als auch die so ge- schaffen sind. am 27. Januar 2000 in Stockholm, bei Ethische Wende walt als Menschheitsverbrechen äch- nannte „Truth-and-Reconciliation- der eine transnationale „task-force“ tete und ein gesellschaftliches Klima Commissions“, die in der Folge der Die Verfasserin ist Professorin für zur Durchsetzung einer einheitli- Der lange Schatten der Vergangen- schuf, das diesen Erinnerungen Gehör Aufarbeitung des Apartheid-Regimes Literaturwissenschaft an der chen Holocaust-Pädagogik be- heit betrifft nicht nur Deutschland; schenkte und den Opfern juridische in Südafrika derzeit überall auf der Universität Konstanz Inhaltsverzeichnis EDITORIAL Rote Teppiche für die Spielebranche Zeitgenössische Kunst und der kore- Stellungnahme des Deutschen Kultur- BEILAGE KULTUR KOM- Von Olaf Zimmermann und Gabrie- anische Markt rates zum Entwurf eines Gesetzes zur PETENZ BILDUNG Kunstgeschmack le Schulz 11 Stefanie Ernst interviewt Michael Verbesserung der Durchsetzung von Von Olaf Zimmermann 1 Schultz 20 Rechten des geistigen Eigentums 28 Naturwissenschaften und Künste Förderung von Computerspielen gehören zusammen Von Christoph Pries 12 KULTURMENSCH FÖDERALISMUSREFORM KULTUR UND KIRCHE Von 1 Kulturgut: Computerspiele!? Elmar Weingarten 1 Beim Geld hört die Freundschaft Pietismus und Kultur – ein spannen- Welten der Entdecker Von Kristin Bäßler 12 bekanntlich auf des Verhältnis Von Olaf Zimmermann 1 LEITARTIKEL Von Olaf Zimmermann 21 Von Hartmut Spiesecke 28 Das Land der Verbote Zwischen Praxis und Wissenschaft Von Dorothee Bär 13 Die unabgeschlossene Vergangen- EUROPA JAHRESBERICHT Von Klaus Hausmann 2 heit Bedeutendes Kultur- und Wirt- Von Aleida Assmann 1 Deutsche Ratspräsidentschaft: Work Jahresbericht des Deutschen Kultur- Leser, Autoren und Themenbereiche schaftsgut in Progress rates e.V. über seine Tätigkeit im Jahr Von Renate Radek 3 Von Jörg Tauss 13 ERINNERUNGSKULTUR Von Barbara Gessler 21 2006 29 Ein Exot bei Elsevier? Deutscher Verbotsaktionismus scha- Bericht aus den Sektionen des Deut- Von Bernd Rolle 4 Kunst und Politik in der postkoloni- det der kulturellen Vielfalt KULTURREGIONEN schen Kulturrates 32 alen Erinnerungskultur Von Hans-Joachim Otto 14 Von Klaus von Beyme 3 Grundlagen und Prinzipien – Die Kul- Zur Förderung wissenschaftlicher Vertretung des Deutschen Kulturra- Bildung Im Fokus von Kulturkritik turarbeit der bayerischen Bezirke tes in externen Gremien 34 Von Klaus Hausmann und Sakralisierung des Gedenkens und Marktinteresse Von Werner Kraus 22 Klaus Henkel 4 Von Insa Eschebach 4 Von 15 Fotografierte Heimaten KULTURELLE BILDUNG Mikroskopie und Internet ZUR DISKUSSION Massenmedium Computerspiele Von Karin Hanika und Von Klaus Hausmann 5 Von Grietje Bettin 15 Wiebke Trunk 22 Ein Ort für neue Lerngelegenheiten Die Verbände im Fokus Von Kristin Bäßler 36 Mikroskopie als Hobby Von Max Fuchs 5 Es gibt ein Recht auf Schund KOMMUNALE Von Wolfgang Bettighofer 6 Jürgen Kleindienst interviewt Olaf KULTURPOLITIK KULTURELLES LEBEN Zimmermann 16 STREIFALL Schulmikroskopie Designer Müllers „nachhaltige“ Er- COMPUTERSPIELE Stadtumbau als bauliche und frei- Von Erich Lüthje 6 JAHR DER räumliche Kulturleistung: Stellungnah- fahrungen Von Kai Ehlert 37 Amokläufer, Nachahmer und Männ- GEISTESWISSENSCHAFT me des Deutschen Kulturrates 24 Wege in den Nanokosmos lichkeitsnormen Von Wilhlem Barthlott und Anna J. Von Günther Beckstein 7 Mit dem Abgrund der Unwissenheit ARBEITSMARKT KULTUR PORTRAIT Schulte 7 leben Jugendschutz und Verbotsnormen Von Stephan Schaede 17 Ein wichtiger kultur- und sozialpoli- Ein Reporter, der sich einmischt Hautgeschichten – Hauttopographie Von 8 tischer Fortschritt Von Andreas Kolb 37 Von Zane Berzina 8 KULTURELLE VIELFALT Von Olaf Zimmermann und Gabrie- Warum ich gerne Online-Rollenspie- le Schulz 25 REZENSIONEN Kann man davon leben? – Mikrosko- le spiele Herausforderung Kulturelle Vielfalt pie und Mikrofotografie Von Peter Michael Ehrle 8 Von Max Fuchs 18 Arbeit der Künstlerdienste der Bun- Ein Kulturpapst blickt auf 50 Jahre Von Klaus Hausmann 9 desagentur für Arbeit stärken – Re- Kulturpolitik Wie Jugendliche Computerspiele re- AUSWÄRTIGE solution des Deutschen Kulturrates Von Jan Büchel 38 Rasterungen des Mikroskopischen zipieren 27 Von Olaf Breidbach 10 Von Wilfried Kaminski 9 KULTURPOLITIK Gute Kunst ist nicht genug WERT DER KREATIVITÄT Von Stefanie Ernst 39 Mit Superlupen in den Nanokosmos Kulturtechnik Computerspiel Kunst im interkulturellen Dialog Von Annett Burzlaff 11 Von Hans-Georg Knopp 19 Von Lothar Mikos 10 Digital Rights Management und Ver- KURZ-SCHLUSS braucherinteressen Lernen mit Computerspielen Von Patrick von Braunmühl 27 Von Theo Geißler 40 Von Hartmut Warkus 10 ERINNERUNGSKULTUR politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 3

Kunst und Politik in der postkolonialen Erinnerungskultur Zu den Schwerpunkten der Kassler Documenta 12 • Von Klaus von Beyme Eine neue Documenta 12 steht be- anzunähern. Einerseits wird in den lerInnen werden zu autonomen Agen- vor, und wir sind gespannt, welchen Katalogen eine auf Selbstreferenz an- ten sozialer Prozesse, zu Partisanen Akzent ihr Programm setzen wird. Hält gelegte autopoietische Systemtheorie des Realen“ (Peter Weibel: Kontext sich die Synthese von künstlerischer bemüht, nach der die verschiedenen Kunst. Köln, 1994: 57). Der Konstruk- Erinnerungskultur und politischer Erinnerungskultur, die Systeme wie Kunst und Politik aus- tivismus, der aus solchen Sätzen Erinnerungs-Orte und Denkmäler oder wird so das, was in seiner Dimension seit 1997 angestrebt wurde? einanderdriften und sich allenfalls spricht, ist in der Regel eher nicht Überbleibsel einer längst vergangenen nicht fassbar oder rational erklärbar noch beobachten, aber kaum beein- handlungsorientiert angelegt. Im Kon- Kultur haben eine ganz besondere gemacht werden kann, mit Hilfe von n der Kunstpublizistik – vor allem flussen können. Andererseits wird text der Postkolonialismus-Debatte, Funktion, denn sie können als lang- Kunst greifbar. So erinnern die 1995 in I bei großen Weltkunstausstellun- eine übertriebene Hoffnung genährt, die vor allem die Dokumenta 11 be- lebige Medien des Gedächtnisses fun- den Boden des Bebelplatzes in Berlin gen wie Documenta in Kassel und wie weit Kunst zur Veränderung der fruchten wollte, werden aber aktionis- gieren. Diese Pfeiler des Erinnerns Mitte eingelassenen leeren Regale von Biennale in Venedig – vollzog sich im Gesellschaft beitragen könnte. „Kon- tische Untertöne laut. Ein „Partisan“ versinnbildlichen das kollektive Ge- Micha Ullmann nicht nur an die Bücher- ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhun- text“ ist das Schlüsselwort. Kontext- kann schwerlich bloß ein selbstrefe- dächtnis einer Gesellschaft. In ihnen verbrennung vom 10. Mai 1933, son- derts eine bemerkenswerte Vermi- kunst wurde als neue Form prokla- rentieller Beobachter bleiben. konserviert sich das Gedenken an die dern indirekt auch an die verfolgten und schung von theoretischen Paradig- miert, um die Kunst zur Teilhabe an Mit dem Pathos einer „spektakulären Vergangenheit: die politische und kul- getöteten Menschen zur Zeit des Nati- men, um die politische und künstle- der sozialen Konstruktion der Wirk- Andersartigkeit“ wurde in der Docu- turelle Geschichte. onalsozialismus. Gedenkstätten wie Ra- rische Erinnerungskultur einander lichkeit werden zu lassen: „Die Künst- menta 11 die herkömmliche Ausstel- Manches nehmen wir eher beiläufig, vensbrück sind mahnend, warnend und quasi als vorhandenes aber nicht immer wegweisend. Von Zeit zu Zeit bringt uns beachtetes Relikt einer längst vergan- die plötzliche Konfrontation mit der Ver- genen Zeit wahr, wie etwa Meilenstei- gangenheit – denkt man an die Stol- ne oder „sozialistische Mosaike“ an persteine des Künstlers Gunter Dem- Häuserfassaden. Anderes hingegen ist nig – buchstäblich aus dem Tritt und dezidiert entstanden, um die Menschen regen so wiederum zum Erinnern an. an Vergangenes zu erinnern. Oftmals Die Redaktion

lungslogik auf den Kopf gestellt: die Politikwissenschaft studiert, und das Ausstellung ist nicht mehr das zen- blieb in seinen Texten und Inter- trale Anliegen, sondern es sind die views nicht ohne positive Folgen. Diskurse, die dezentralisiert von Politikwissenschaft ist mehr als die Kassel bis Indien und Nigeria orga- verwandte Soziologie einer Hand- nisiert worden sind. Schon die 10. lungstheorie verbunden und auf Po- Documenta hatte mit ihrem Band litikberatung geeicht. Der politikwis- „Politics Poetics“ (1997: 24f, 803) zu senschaftliche Forschungszweig einer Wiederentdeckung des politi- über „defekte Demokratien“ hielt schen Kontextes geführt, um die überraschender Weise Einzug in „postmoderne Bequemlichkeitsäs- Kunstkataloge. Wichtig war die Er- thetik“ aufzubrechen. In beiden Do- kenntnis, dass zu einer konsolidier- cumentas waren die ersten Beiträge ten Demokratie nicht nur die Parti- einem politischen Thema gewidmet, zipation in Wahlen, sondern auch der Demokratietheorie. Schon 1997 der Rechtsstaat gehört. Beiden As- geriet die „Postdemokratie“ – eine pekten wurde eine Plattform gewid- Pseudodemokratie, die ohne Subjekt met. Beide hatten mit Erinnerungs- auszukommen glaubte und die De- kultur insofern zu tun, als die harmo- Bauarbeiten am Aue-Pavillon für die Documenta12. Der 12 000 Quadratmeter große Ausstellungspavillon der französi- mokratie auf den „Konsens“ redu- schen Architekten Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal fungiert als mobiles Gartenhaus. Im Hintergrund zu sehen: ziert – ins Visier. Der Kurator der 11. Weiter auf Seite 4 die barocke Orangerie. © documenta GmbH, Foto: Heiko Meyer Documenta, Enwezor hatte auch ERINNERUNGSKULTUR politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 4

Lebenspraxis. Es hatte in den euro- anderem Zusammenhang als „neue tionellen Lügner, Wahrsager, Eroto- der Politik nicht gerade realistischer Fortsetzung von Seite 3 päischen Erinnerungskulturen im- Unübersichtlichkeit“ benannte. Der manen, Humoristen, Verwandlungs- erscheinen lässt. Seit der klassischen mer zwei Elemente gegeben: Erinne- voreilige Konsens in der doppelt hy- künstler, „bricoleur und agent pro- Avantgarde hat es immer eine Ten- Kunst und Politik in der rung an eine heile archaische Welt, briden Erinnerungskultur (Kunst vocateur“. Er manipuliert die Spra- denz gegeben, die Gegenwart zwi- Erinnerungskultur die man vielfach in die „edlen Wil- verbunden mit Politik, Dritte Welt che und operiert im Zwischenraum schen der Erinnerung an kulturell den“ anderer Erdteile projizierte, verbunden mit erster Welt) wurde der „Andersheit“ wie Hermes im Al- fruchtbare Tendenzen der Vergan- nische Abstimmung von Rechtsstaat und eine ethnozentrische Ableh- von immer neuen Thesen in der sich ten Griechenland, Kojote in Nord- genheit und der Projektion einer und Demokratie in den kommunis- nung des Fremden. Der postkoloni- überschlagenden Postkolonialismus- amerika, der Affenkönig in China, lichten Zukunft verschwinden zu tischen Diktaturen und in der nord- ale Diskurs hat es in der Kunst leich- Debatte aufgebrochen. Die „Hybridi- Genesha in Indien, Loki in Skandi- lassen. Nur der Futurismus hat sich atlantischen Demokratiedebatte der ter als in der Politik, die nationalen tät“ wurde nun selbst der Verdingli- navien oder Pulcinella in Italien radikal von jeder Erinnerungskultur Radikalen seit der Studentenrevolte „Leitkulturen“ zu überwinden. Es chung verdächtigt, die nicht aus dem (Jean Fischer, in: Documenta 11, abgewandt und den „Passéisme“ er- 1967 unterbelichtet geblieben war mehren sich die Doppelstaatsbür- „Dualismus des Eigenen und des An- 2002, S. 63, 67f). bittert bekämpft. Bei der postkolo- und aus den verschütteten Tiefen gerschaften und Migranten, die ihre deren“ herausführe (Jean Fisher in: Empirische Studien (Stefan Lüd- nialen Variante einer Hybridisierung des frühen Kampfes um Verfas- Wurzeln in der Dritten Welt nicht Peter Weibel (Hrsg.): Inklusion: Exklu- demann: Kunstkritik als Kommnika- von Kunst und Politik kam nicht sel- sungsstaatlichkeit wieder ans Licht verleugnen, aber in Paris, London, sion, Köln, 1997, S. 83). Um postmo- tion, Wiesbaden, 2004; Ariane Hel- ten eine Mischung heraus, die „Er- gebracht werden musste. Berlin oder New York leben. Sie er- derne Beliebigkeit zu überwinden, linger: Die Bewertung der documen- innerung an die Zukunft“ (Koselleck) Erinnerungskultur heißt aber im scheinen als die Hoffnungsträger ei- haben Theoretiker die Möglichkeiten ta 11 in der Kunstkritik, Mag. Diss., genannt worden ist. Aber es bleibt postkolonialen Diskurs – der endlich nes neuen Bewusstseins, das die Er- der Kooperation von Kunst und Poli- Heidelberg, 2006) über das Echo sol- nicht mehr biblisch: die Mauern von „Weltkunst“ zur Darstellung bringen innerungskulturen Europas und der tik überstrapaziert. Angesichts der cher Programme zeigen die Verblüf- Jericho sind nicht wieder von Trom- will, wenn „Weltpolitik“ schon nur in Dritten Welt zur Synthese bringen. Folgen der Globalisierung von Müll- fungsfestigkeit der Medien und ihrer petenstößen lauterer Überzeugun- der rudimentären Form selektiver Aber Multikulturalismus – die bergen und Ödland wird eine „Meta- postmodernen Gesellschaft: any- gen zum Einsturz gebracht worden. UNO-Aktionen möglich erscheint – Patentlösung der 80er Jahre – wird physik der Scheiße“ ausgerufen, um thing goes. Grundsätzliche Kritik wird Sinnlos ist das muntere Theorietrei- eine Besinnung auf die Hybriden. nicht mehr für ausreichend erachtet. die Wahrheitssuche der karnevales- kaum noch laut. Zweifel beziehen ben hybrider Erinnerungskulturen Das „Lob der Kreolisierung“ hatten Kulturelle Praxis muss sich laut Homi ken Provokation zuzuführen. Aber sich auf Details: auf die gestelzte gleichwohl nicht. Mit Habermas zu schon seit den 90er Jahren Theoreti- Baba (The location of culture, Lon- auch dabei wurde Erinnerungskultur Begrifflichkeit, die bei Foucault, Ha- sprechen: „Wenn die utopischen ker aus Martinique wie Jean Bernabé don, 1994) „inbetween“ abspielen. bemüht, die auf eine Strömung zu- bermas oder Luhmann „abgefüllt“ Oasen austrocknen, breitet sich eine (Éloge de la créolité, Paris, 1990) ge- Das Konzept versucht eine Quadra- rückging, die schon einmal Kunst wurde, welche den Erinnerungsdis- Wüste der Banalität und Ratlosigkeit sungen. War Kreolisierung anfangs tur des Kreises: gefordert wird die und Politik in ihren Provokationen kurs der Kunst behindert, und auf aus.“ das Produkt des Imperialismus mit „Enzyklopädie einer Weltgesell- zu vereinen trachtete, und damit ge- die Attitüde des Kurators der letzten einer machtgenerierten Homogeni- schaft, die fragmentiert ist wie ‚Ba- scheitert ist: der Dadaismus. Erinne- Documenta als eine Art „Generalse- Der Verfasser ist Ordinarius sierung, so wurde sie zu seinem Ge- bel‘“. Kanon und Hierarchie sollen rungskultur aber reicht auch weiter kretär globaler kritischer Netzwerke“ für Politikwissenschaft an genpol: Fragmentierung und Durch- vermieden werden. Das Resultat zurück – auf die hoffnungsvolle Fi- zu fungieren (NZZ, 31.8/1.9.2002), der Ruprechts-Karls-Universität mischung wurden vorherrschende dürfte das sein, was Habermas in gur des „Tricksters“, den unkonven- welche die Zukunftsprojektionen Heidelberg Sakralisierung des Gedenkens Indizien für die große Bedeutung religiös tradierter Praktiken • Von Insa Eschebach Heilige Stätte, geweihte Erde, Opfer, räle und Lieder, das Glaubensbe- lungen des Heils sind ohne Erfah- stätten nach dem Ende des Zweiten und derselben Gemeinschaft imagi- Märtyrer, Wallfahrt – die Praxis öffent- kenntnis der Versammelten in Form rungen des Unheils nicht denkbar; Weltkrieges zeigen, dass Rückgriffe niert werden, wobei sich die Vorstel- lichen Gedenkens ist häufig mit reli- eines Eides oder Gelöbnisses. Unab- vor diesem Hintergrund kann man auf religiöse Praktiken auch in säku- lung einer idealtypischen Gemein- giös tradierten Begriffen verknüpft. hängig von den politischen Verfaßt- das Heil auch als einen Modus der larisierten Gesellschaften immer schaft, die post mortem durch das Seit den napoleonischen Kriegen bis heiten hat man sich der nationalen Unheilsbewältigung bezeichnen. wieder stattfinden. Ein Beispiel ist der Mischen von Erde oder auch Asche hin zu den beiden Weltkriegen, der Sprache des Gedenkens auch im 20. Beim „Heiligen“ handelt es sich also christlich tradierte Transfer von hei- beglaubigt wird, auch in anderen Vernichtung der europäischen Juden Jahrhundert immer wieder bedient. um keine autonome Größe, keine liger Erde von einem Ort zum ande- politischen Systemen behauptet hat. und darüber hinaus sind Massentö- Sakralisierung kann man als eine substantielle Kategorie, sondern um ren, eine Praxis, derer sich nach 1945 Doch nicht nur in unterschiedli- tungen immer wieder mit Hilfe eines Kulturtechnik zur Erzeugung des eine Kategorie der Deutung. völlig unterschiedliche soziale und chen Staaten in der zweiten Hälfte sakralisierenden Vokabulars und sa- Heiligen beschreiben, die sowohl Als der Erste Weltkrieg in der nationale Gruppen bedienten. des 20. Jahrhunderts war die Trans- kralisierender Praktiken thematisiert von religiösen Institutionen als auch Rückschau zu einem nachgerade lozierung von Erde verbreitete Pra- worden. Woran liegt das? als auch von anderen sozialen Grup- heiligen Ereignis verklärt wurde, ging Erdrituale xis, sondern auch im Nationalsozia- pen als eine spezifische Bearbei- es darum, wie George L. Mosse for- lismus: Die „Totenburg“, die Wil- ie Formensprache öffentlichen tungsform historischen Geschehens muliert, „eine an sich unerträgliche Im Hof der Berliner Gedenkstätte helm Kreis 1943 für das Ufer des D Gedenkens hat sich im Kontext praktiziert wird. Gerade in Hinblick Vergangenheit erträglich zu ma- Plötzensee steht seit 1956 eine gro- Dnjepr entwarf, hätte Erde von allen der Entstehung von Nationalstaaten auf ein Unheil – auf Krisen, Kriege, chen“. Insofern ist Sakralisierung ße Urne, die mit Erde aus unter- Schlachtfeldern in Rußland, auf de- heraus gebildet. In diesem Prozeß ist Bedrohung und Tod – stellen Sakra- immer auch ein Angebot zur Kon- schiedlichen Lagern gefüllt ist. In der nen Deutsche zu Tode gekommen ein „Symboltransfer“ (Friedrich Wil- lisierungsprozesse ein Repertoire fliktbewältigung: Eine Geschichte nationalen Gedenkstätte für die De- waren, aufnehmen sollen. In der helm Graf) aus kirchlichen oder spe- von Handlungsmustern und ein Vo- soll als vollständige, nicht traumati- portierten auf der Ile de la Cite in Langemarckhalle des Berliner zifisch religiösen Kontexten in ande- kabular zur Verfügung, das das Un- sche gesichert werden, sie soll sich Paris (1960) ist neben Asche auch Reichssportfeldes (1936) wurde in re, politisch konstruierte Sinnhori- heil gewissermaßen „bändigt“ und von einem alle Negativitätserfahrun- Erde aus vielen Konzentrationsla- einem sarkophargartigen, steiner- zonte zu beobachten. Die nationale in einer sinnvollen, scheinbar über- gen transzendierenden „Sehepunkt“ gern aufbewahrt. In der Nationalen nen Kasten Erde von dem Schlacht- Sprache des Gedenkens, die den mi- irdisch begründeten Ordnung aufge- aus als sinnvoll erschließen. Mahn- und Gedenkstätte Buchen- feld bei Langemarck aufbewahrt. litärischen Tod zu einem Opfer für Va- hen läßt. Aus religionswissenschaft- Diesem Ziel dient nicht zuletzt wald wurde im Innern des Glocken- Das Gemeinsame der hier exem- terland verklärte, nahm Elemente der licher Perspektive bezeichnet der auch die Schaffung von Orten des Ge- turms eine Gruft mit Erde aus ande- plarisch genannten Erdtranslationen tradierten christlichen Liturgie auf Begriff des Heiligen etwas, das dem denkens. Die Entstehungsgeschich- ren Konzentrationslagern eingerich- ist die Vorstellung, dass die Erde von wie die Predigt/Festansprache, Cho- Bereich des Heils angehört. Vorstel- ten von Denkmälern und Gedenk- tet. Aber auch ehemalige Wehr- den Schlachtfeldern, Friedhöfen und machtsangehörige bedienen sich aus den nationalsozialistischen La- dieser Form des Gedenkens: Das im gern blutgetränkt sei. Sie ist durch Jahr 1975 geweihte „Jägerdenkmal“ menschliches Blut geweihte Erde und auf dem Grünten im Allgäu, das den aus diesem Grund heilig. In dieser Gefallenen einer Gebirgsdivision ge- Funktion wird, wie Monika Wagner widmet ist, enthält Erde aus einem schreibt, „die Erde zum Inbegriff ei- „Gebirgsjägergrab im Kaukasus“. ner weiblichen ‚Urmaterie‘“, die die Erden von Schlachtfeldern des toten Krieger in sich aufnimmt und Zweiten Weltkrieges und den natio- sie transformiert. Diese in der Memo- nalsozialistischen Lagern sowie zwei rialkultur des Ersten Weltkrieges po- Urnen mit Asche eines unbekannten pularisierte Vorstellung präfiguriert deutschen Soldaten und eines unbe- die Praxis der Erdtranslationen aus kannten deutschen Widerstands- den nationalsozialistischen Lagern kämpfers sind 1969 im zentralen und Vernichtungsstätten, wobei das „Mahnmal für die Opfer des Faschis- Bild des toten Kriegers durch das des mus und Militarismus“ der DDR in toten Häftlings umstandslos ersetzt der Berliner „Neuen Wache“ beige- werden konnte. setzt worden. Das national tradierte Erdritual Anlässlich der Grundsteinlegung verweist auf ältere, religiöse Prakti- des United States Holocaust Muse- ken. Über das Grabmal in der Gra- ums in Washington D.C. 1985 wurde beskirche in Jerusalem berichtet die „heilige Erde“ nationalsozialisti- beispielsweise der Pilger von Piacen- scher Konzentrations- und Vernich- za (um 570), dieses sei stets erneut tungslager und des jüdischen Fried- mit Erde von außerhalb gefüllt wor- hofs in Warschau mit „heiliger Erde“ den, damit die Gläubigen davon mit der Vereinigten Staaten von Ameri- nach Hause nehmen konnten. ka gemischt und beigesetzt. Als der „Wenn das Grab Christi ein großer Bau fertig gestellt war, fand ein ver- Berg wäre“, schrieb der Pilger Ludolf gleichbarer Akt statt: Erde aus 39 eu- von Ludheim im Jahr 1335, so wäre ropäischen Vernichtungsstätten wur- es längst verschwunden, „dass kein de mit der Erde des Arlington Natio- Körnchen mehr übrig geblieben“. nal Cemetery gemischt und unter Das (leere) Grab Christi wie über- der Ewigen Flamme in der Hall of Re- haupt das „Heilige Land“ ist in Am 10.5.1933 verbrannten die Nationalsozialisten auf dem Bebelplatz die Werke u.a. von Thomas Mann, Erich Kästner, membrance des Museums beige- christlicher Perspektive durch den Karl Marx und Kurt Tucholsky. An die Bücherverbrennung erinnert das 1995 errichtete Denkmal von Micha Ullmann, setzt. Der Akt signalisiert, daß die eine in den Boden eingelassene Bibliothek mit leeren Regalen, die von oben durch eine Kunststoffscheibe betrachtet NS-Verfolgten und die US-amerika- Weiter auf Seite 5 werden kann. Foto: Kristin Bäßler nischen Befreier als Mitglieder ein ZUR DISKUSSION GESTELLT politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 5

Die Verbände im Fokus Zum politischen Mandat zivilgesellschaftlicher Organisationen in der Kulturpolitik • Von Max Fuchs Im Folgenden will ich mich mit ei- In einem kürzlich gesendeten Ge- nem Segment der Zivilgesellschaft, spräch teilte er auf eine völlig unauf- den Verbänden und ihrer Rolle im geregte Weise mit, dass die Gewal- politischen System unserer Gesell- tenteilung ohnehin schon längst schaft, auseinandersetzen. Bei sol- passé sei. Er bezog dies nicht bloß chen Verbänden unterscheidet man auf das politische Prozedere in in der Regel mindestens drei Auf- Deutschland, bei dem vieles eben gaben und Funktionen, die sie ha- nicht in den vorgesehenen Organen ben: eine politische Funktion, bei entschieden wird, sondern in dem der sie als Lobbyisten bestimmter etwa die Parteien viele Funktionen Interessen ihrer Mitglieder fungie- innehaben, die ihnen vom Grundge- ren, eine sozialintegrative Funktion setz her eigentlich nicht zustehen für ihre Mitglieder und eine Dienst- sollten. Auch wird die Trennung zwi- leistungsfunktion, die sie sowohl schen Exekutive und Legislative oft gegenüber Mitgliedern als auch genug nicht eingehalten. Ein beson- gegenüber anderen Institutionen deres Problem war ihm die politi- haben. Mein Fokus wird in diesem sche Ordnung der Europäischen Feld vor allem die politische Funk- Union, die er ebenso wie viele ande- tion von Verbänden betreffen. re Bürgerinnen und Bürger durch eine exzessive Bürokratie der Ver- Zum Zustand der Demokra- waltung bestimmt sieht. tie: einige Beobachtungen Wir alle können beobachten, dass ein Abbau der Demokratie schon nfang der 90er Jahre gab es längst stattgefunden hat. Man muss A mindestens zwei große, welt- etwa feststellen, dass entgegen den weit debattierte Bestseller aus den Vorschriften unseres Grundgesetzes Vereinigten Staaten. Samuel Hun- die Dominanz der Exekutive und des tington beschrieb die zukünftige Verwaltungsapparates des Staates Weltpolitik unter der Perspektive ei- immer größer wird. Meine These ist, nes Kampfes der Kulturen. Sein Kol- dass inzwischen längst nicht mehr lege und hochrangiger Berater der die Ministerien von den jeweilig po- amerikanischen Regierung, Francis litisch Führenden gesteuert werden, Fukuyama, proklamierte das Ende sondern dass der Ministerialapparat der Geschichte. Beide reagierten auf das Heft des Handelns fest in der ihre Weise auf die Tatsache, dass mit Hand behält. Parlamentarier können dem Zusammenbruch des Sozialis- zudem mit ihrem einen wissen- mus nunmehr der die Nachkriegs- schaftlichen Mitarbeiter überhaupt zeit prägende Konflikt zweier politi- nicht mehr überblicken, worum es scher Systeme beendet war. Fukuya- bei bestimmten Gesetzesvorschlä- ma ging davon aus, dass sich die gen geht und wie die technische Mitgliederversammlungen sind ein Ort demokratischer Willensbildung von Verbänden: Blick in die Mitgliederver- Demokratie weltweit durchgesetzt Umsetzung dann funktionieren soll. sammlung des Deutschen Kulturrates. Foto: Marleen Mützlaff hat und von daher ein gewisses Ende Mein drittes Beispiel betrifft die zumindest der Geschichte der Sys- Akzeptanz der politischen Ordnung. darin spielt, findet sich Deutschland nationale Ebene nur noch die Ver- tischen Überlegungen zum aktivie- temauseinandersetzungen gekom- Ich will dies hier nur auf die Gruppe in der Gruppe solcher Länder, in de- pflichtung hat, diese Richtlinien in renden Staat etwas relativ Banales men sei. Seine Perspektive war, dass der Jugendlichen beziehen. Zu erin- nen der Staat eine zentrale Rolle nationales Recht umzusetzen. Man an: Nämlich der Gedanke, dass der in Zukunft alle Staaten der Welt eine nern ist hier an eine große internati- spielt. Der Fachbegriff dafür ist „Eta- spricht in einzelnen Politikfeldern Staat in Zukunft weniger Geld aus- demokratische Grundordnung ha- onale Vergleichsstudie über „civic tismus“, und in der Tat hat Deutsch- von 70 bis 80 % der Entscheidungen, geben wird, aber trotzdem seinen ben würden. Offensichtlich handelt education“, die kurz vor PISA statt- land eine sehr starke politische und die auf diese Weise von der EU ge- Einfluss beibehalten möchte. Dies es sich hierbei um ein so genanntes gefunden hat. Deutschland war in philosophische Tradition, Politik aus troffen werden. Kulturpolitik gehört war etwa bei vielen Trägern der Ju- „teleologisches“ Geschichtsver- diesen Studien noch dramatischer der Perspektive des Staates zu den- zu diesen Feldern dazu. Denn die gend-, Sozial- und Kulturarbeit zu ständnis, demzufolge die gesamte Schlusslicht im Hinblick auf die po- ken. Eine wichtige Rolle spielt zentrale rechtliche Regelung in der Beginn der ersten rot-grünen Koali- Menschheitsgeschichte als linearer litische Bildung der Jugendlichen, hierbei sicherlich die Spätphiloso- Kulturpolitik, das Urheberrecht, wird tion zu spüren. Denn ausgestattet Prozess hin zu dem Ziel der Durch- doch hat dies anscheinend nieman- phie Hegels, der in seiner Rechtsphi- inzwischen maßgeblich von der Eu- mit der neuen Staatsideologie glaub- setzung der bürgerlich-parlamenta- den interessiert. Immer wieder wur- losophie den Staat als Verkörperung ropäischen Union bestimmt. Neben ten nunmehr auch die niedrigstran- rischen Demokratie zu sehen ist. de und wird – gerade auch wieder in des Sittlich-Allgemeinen dargestellt der Europäischen Union, die ja gigen Mitarbeiter der Fachreferate in Leider, so muss man feststellen, hat aktuell vorliegenden Studien – fest- hat. Eine wichtige Traditionslinie bil- zumindest noch ein staatsähnliches Ministerien und anderen staatlichen sich diese Perspektive von Fukuya- gestellt, dass nicht bloß die Distanz det dabei der Protestantismus, der Gebilde ist, muss man registrieren, Behörden, unmittelbar Einfluss auf ma nicht realisiert. zu unserem politischen System und seit den Schriften Luthers („Gebt dem dass es Weltorganisationen gibt, die das politische und fachliche Geba- Man muss sich nur einmal die seinen Akteuren wächst, sondern Kaiser, was des Kaisers ist“) eine aus- zunächst einmal nur zur Lösung ei- ren von Zuwendungsempfängern, politischen Absichten der letzten dass geradezu ein Misstrauen gegen- gesprochen staatsfreundliche Positi- nes sehr speziellen Problems über darunter eben auch politische und deutschen Innenminister anschau- über den Zielen und der Umsetzung on innehatte. Solche Traditionen prä- einen zwischenstaatlichen Vertrag kulturelle Träger, nehmen zu dürfen. en, die immer wieder aus Gründen dieser Ziele besteht. Stark ist das gen sich über die Jahrzehnte und entstanden sind. Hier ist in erster Es war z. B. spürbar, dass es seit die- der inneren Sicherheit, aus Gründen Gefühl einer Machtlosigkeit verbun- Jahrhunderte tief in die Mentalitäten Linie die Welthandelsorganisation ser Anfangszeit der rot-grünen Koa- der Terrorabwehr oder aus welchen den mit dem Empfinden einer De- von Bevölkerungen ein und werden WTO zu nennen, die von der Form lition bis heute einen sehr starken Gründen auch immer relativ leicht moralisierung. Vor diesem Hinter- zu einem wichtigen Bestandteil der her lediglich eine Geschäftsstelle für Drang von Mitarbeitern staatlicher bereit waren, grundgesetzlich gesi- grund ist daran zu erinnern, was ge- jeweiligen politischen Kultur. drei große internationale Wirt- Behörden in die Steuerungsgremien cherte Bürgerrechte einzuschränken rade der Münchner Sozialpsycholo- Trotz dieser Dominanz des Staa- schaftsverträge (GATT, GATS und öffentlich geförderter Freier Träger oder sogar abzuschaffen. ge Heiner Keupp bei einer BKJ-Ta- tes im politischen Denken gab es TRIPS) ist. gibt. Und dieses Engagement ge- Ein zweiter Hinweis bezieht sich gung in Magdeburg (Teile-Habe- immer wieder Theorien, die sein Vor dem Hintergrund dieser Ab- schah trotz der Warnungen des Bun- auf den Altbundespräsidenten und Nichtse) eindrucksvoll ausgeführt Absterben voraussagten. Das sozia- gesänge an den Staat ist es durchaus desrechnungshofes, der dies beob- Verfassungsrechtler Roman Herzog. hat: Demoralisierung ist aufs engste listische Denken ist hier zu erwäh- überraschend, dass neue Konzepte achtet hat und der feststellte, dass verbunden mit dem Ausschluss von nen, in dem die Hoffnung auf ein des Staates entwickelt werden. Zum eine solche Vermischung von Zu- Teilhabe. Eine solche Demoralisie- Absterben des Staates deshalb be- einen teilen viele die Thesen vom wendungsgeber und Zuwendungs- rung macht nicht bloß auf Dauer die stand, weil irgendwann eine ent- Ende des Nationalstaates nicht, da nehmer zu erheblichen Loyalitäts- Fortsetzung von Seite 4 Menschen krank, sie ist zudem auch sprechende politische Aktivität der immer noch eine Menge an Gestal- konflikten führen müsse. Nährboden für einen aktiven Kampf Gesellschaft ein solches Extra-Organ tungskompetenzen bei dem Staat In der Kulturpolitik ist der Gipfel Opfertod Jesu im Ganzen geheiligt gegen unser politisches System. überflüssig machen würde. Der So- liegt. Es gibt zudem immer wieder dieser Entwicklung eines neuen worden. Ähnlich verhält es sich mit Mein Fazit aus diesen drei, vier ziologe Ulrich Beck schreibt seit vie- (politisch wirksame) Konzepte, die Staatsverständnisses die Proklama- der Erde aus den Konzentrations- Beobachtungen über den gegenwär- len Jahren immer wieder sehr dicke am grünen Tisch von Soziologen und tion eines „aktivierenden Kulturstaa- und Vernichtungslagern, die ihrer- tigen Zustand der Demokratie be- Bücher darüber, dass der National- Politikwissenschaftlern entwickelt tes“. Zur ideologischen Bedeutung seits durch das Blut der „Märtyrer steht darin, dass nicht nur kein Grund staat an sein Ende gekommen ist. worden sind und die dann von der der Rede von einem aktivierenden der Nationen“ geweiht wurde. Wo zur Zufriedenheit besteht, sondern Hier gibt es durchaus eine Koalition Politik aufgegriffen werden. Ein sol- Staat ist bereits einiges ausgeführt. die Erde der loca santa zu anderen höchste Alarmbereitschaft vorherr- mit dem Neoliberalismus, der ches Konzept ist das Konzept des Die Rede von einem Kulturstaat Orten transferiert wird, wird deren sa- schen müsste. Man muss daran er- ebenfalls die steuernde Rolle des „aktivierenden Staates“, für das sich macht diesen hochideologischen krale Qualität mit übertragen. Die ge- innern, dass eine politische Ordnung Nationalstaates bestreitet. Hierbei Soziologen wie Antony Giddens (Be- Begriff noch weiter kompliziert. weihte Erde kann jetzt dazu dienen, nicht einmal installiert ist und dann muss man allerdings sehr genau den rater von Tony Blair) und Ulrich Beck Denn das Konzept des Kulturstaates neue heilige Stätten zu begründen. auf Dauer bleibt, sondern auch Unterschied zwischen einer empiri- (Berater von Gerhard Schröder). En- stammt aus dem 19. Jahrhundert Der bis heute verbreitete Transfer von immer wieder bewusst von der Be- schen Beschreibung und einer poli- de der 90er Jahre stark gemacht ha- und hatte eine große Konjunktur ge- Erde aus Stätten der Massentötungen völkerung gewollt werden muss. tischen Wunschvorstellung im Blick ben. Hierbei muss man allerdings gen Ende des 19. Jahrhunderts. Es wie u.a. auch des Ground Zero in New Diesen Prozess nennt man Legitima- behalten. zwei Ebenen unterscheiden: Zum war aufs engste verbunden mit dem York City ist ein weiteres Indiz für die tion, so dass man feststellen kann, Wichtig sind in dieser Debatte einen die ernstzunehmende politik- so genannten Kulturprotestantis- zentrale Bedeutung religiös tradierter dass auch Demokratien unter einem supranationale Institutionen. So ist und sozialwissenschaftliche An- mus, einer durchaus unheilig zu Praktiken in der Geschichte des Ge- Legitimationsdruck stehen. es inzwischen in Bezug auf die Eu- strengung, einen Akteur wie den nennenden Allianz zwischen dem denkens. ropäische Union, ebenfalls ein völ- Staat unter sich verändernden ge- Protestantismus der evangelischen Zur Rolle des Staates lig neuartiges staatsähnliches Gebil- sellschaftlichen Bedingungen erneut Kirche und dem preußischen Staat. Die Verfasserin ist Religionswissen- de, üblich, darauf hinzuweisen, wie theoretisch zu bestimmen, und zum Es handelte sich bei dem deutschen schaftlerin und Leiterin der Ge- In allen internationalen Vergleichs- viele früher national zu treffende anderen die politische Übertragung denkstätte Ravensbrück/Stiftung studien über politische Ordnungen Entscheidungen heute von der Kom- in die Praxis. In der Praxis kam aus Weiter auf Seite 6 Brandenburgische Gedenkstätten und die Rolle, die jeweils der Staat mission getroffen werden und die den durchaus interessanten theore- ZUR DISKUSSION GESTELLT politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 6

· Kulturpolitik ist staatliche Politik, beziehung der (organisierten) Zivil- sondern es sollten sogar Strategien de in das vielleicht sonst allzu glatt Fortsetzung von Seite 5 · sie besteht aus verschiedenen Fel- gesellschaft geben. Auf der Ebene entwickelt werden, wie die Verbin- ablaufende politische Geschäft ein- dern, der Europäischen Union ist es seit dung der Vereinten Nationen zu den bringen könnten, dem ganzen nur Die Verbände im Fokus · sie hat eine klare Aufgabenstellung langem eine Tradition, vor der For- internationalen zivilgesellschaftli- dienen kann. Jeder Gruppenpsycho- (neben Integration auch die Her- mulierung von verbindlichen Richt- chen Organisationen intensiviert loge weiß, dass zuviel (falsche) Har- Kaiserreich um einen autoritären stellung von Massenloyalität), linien Konsultationen durchzufüh- werden kann. Im Vorwort schreibt monie letztlich dem Zusammenhalt Staat, der gerne auch die Sinnhaus- · sie dient der Herstellung nationa- ren. Wir alle kennen die berühmten der Generalsekretär, dass es ohne die der Gruppe nur schadet. Man muss halte seiner Bürgerinnen und Bürger ler Identität. Braun-, Grün- und Weißbücher, die Hilfe großer Organisationen über- sich abarbeiten an widersprüchli- (besser: der Untertanen) bestimmen etappenweise den in diesen Konsul- haupt nicht dazu gekommen wäre, chen Interessen, die mit guten Grün- wollte. Zusätzlich zu der politischen Die Rolle der organisierten tationsprozessen herausgefundenen dass Fragen des Umweltschutzes, den in die politische Debatte einge- und ökonomischen Macht, die die- Zivilgesellschaft: Konsens so verdichten, dass zum der Folter, der Frauenunterdrückung bracht werden können. ser Staat hatte, wollte er auch noch Schluss entschieden werden kann, oder der Kinderarbeit und Armut Neben den drei in der politischen eine kulturelle und ideologische Verbände und Vereine ob ein bestimmter Sachverhalt eine Rolle in den UN hätten spielen Theorienbildung immer wieder ge- Macht über die Köpfe und Herzen durch eine Richtlinie geordnet wer- können. Warum braucht also der nannten Gewalten (Legislative, Exe- der Menschen. Man hat diese Stra- Wir befinden uns zurzeit offensicht- den soll oder auch nicht. Zudem UNO-Generalsekretär dieses NGOs? kutive, Judikative) gibt es nämlich tegie als „Sinngebung von oben“ be- lich in einer Situation, in der die Rol- kann man feststellen, dass es unter Zur Beantwortung muss man sich inzwischen längst eine etablierte schrieben. le des Staates und des Politischen den drei ständigen Ausschüssen der nur einmal die Zusammensetzung vierte Gewalt, die sicherstellt, dass Diese Linie ist aufs engst verbun- generell neu bestimmt wird. Ein- Europäischen Union immerhin ei- der UNO-Vollversammlung an- eine umfassendere politische Parti- den mit der Tradition der Kulturpä- flussreiche Konzeptionen – wie etwa nen Ausschuss gibt, den Ausschuss schauen. Zum einen: Es sind aus- zipation ermöglicht wird. Und diese dagogik. Denn es gab bereits in den die Habermassche Konzeption einer für Wirtschaft und Soziales, an dem schließlich Regierungsvertreter vierte Gewalt ist die von den Medi- 20er Jahren einen Versuch, „Kultur- „deliberativen Demokratietheorie“ – Organisationen der Zivilgesellschaft (Macht der Exekutive!). Und ent- en hergestellte politische Öffentlich- pädagogik“ zu etablieren. Der Ver- bezieht ausdrücklich zivilgesell- als stimmberechtigte Mitglieder be- gegen den Anfang der 90er Jahre for- keit. Verbände haben hierbei die such war verbunden mit den Namen schaftliche Akteure nicht bloß als teiligt sind. Soweit ist dieses politi- mulierten Hoffnungen auf eine um- Funktion, nicht bloß den Sachver- Eduard Spranger und Ernst Tro- einflusslose Berater, sondern als Mit- sche Prozedere auf der Ebene der fassende Ausdehnung demokrati- stand ihres punktuellen Mandates, eltsch. Ernst Troeltsch, hochangese- gestalter und Beteiligte am politi- Europäischen Union sehr positiv zu scher Staaten sitzen doch immer die Kenntnisse also derer, die von hener evangelischer Theologe und schen Steuerungsprozess mit ein. bewerten. Allerdings gibt es einige noch überraschend viele Vertreter den Regelungen später betroffen Kollege und Freund von Max Weber, Mir scheint, die Mehrzahl der poli- Wermutstropfen. Zum einen müss- ausgesprochen unappetitlicher po- sein werden, in die Gesetzgebungs- insbesondere im Hinblick auf das tischen Theorien der Gegenwart te man sich sehr genau die Mitglie- litischer Regimes in der UNO-Voll- maschinerie einzubringen. Sie kön- Studium der „Kulturbedeutung des (Brodocz/Schaal 2001) hat ein „po- der des Ausschusses für Wirtschaft versammlung. Will man also die All- nen auch dafür sorgen, dass die Protestantismus“ (in Fortführung lyzentrisches“ Verständnis von und Soziales und ihre Berufung an- gemeine Erklärung der Menschen- dann getroffenen Entscheidungen der Protestantismusstudien von Max Macht, bei dem neben dem Staat sehen. Die deutschen Organisatio- rechte und die Charta der Vereinten Akzeptanz an der Basis finden, so Weber) war zeitweilig Unterstaatsse- viele andere Akteure mitwirken. nen werden vom Bundeskanzleramt Nationen ernst nehmen, dann kann dass die Legitimität der politischen kretär im Kulturministerium von Insbesondere gilt die Zivilgesell- handverlesen ausgesucht und in die- man sich auf dieses Organ der Ver- Ordnung gesteigert wird. Es gibt also Preußen. Zwar war er vornehmlich schaft oft genug als Hoffnungsträger sen Ausschuss geschickt. Konsulta- einten Nationen überhaupt nicht zwei Wirkungen, die eine Verbands- damit beauftragt, einen neuen für die Zukunft der Demokratie. Gilt tionen finden zudem in einem verlassen. Vor diesem Hintergrund partizipation erzielen können: Zum Staatsvertrag zwischen der evange- dies auch für Deutschland? immer engeren Zeitrahmen statt, so nutzte der UNO-Generalsekretär ex- einen die Steigerung der Qualität des lischen Kirche und dem Staat auszu- Zunächst einmal ist daran zu er- dass eine Meinungsbildung insbe- tensiv und intensiv die Möglichkeit, Regierungshandelns, zum anderen arbeiten. Er entwickelte allerdings innern, dass – etwas salopp gesagt – sondere bei solch komplexen Organi- über solche Panels aus ausgewählten die Ausdehnung und Vertiefung der auch Sympathie für den Gedanken, Vereinsmeierei in Deutschland ein sationen wie etwa dem Deutschen Persönlichkeiten, in der Regel elder Legitimation der politischen Ord- nunmehr zentral ein bestimmtes Grundrecht ist. Es ist sogar ein höchst Kulturrat – und dies gilt auch für an- statesmen oder angesehene Wissen- nung. Konzept von Kultur in die Köpfe der abgesichertes Grundrecht, weil die dere Spitzenverbände – nur in unge- schaftler, die demokratische Legiti- Daher komme ich zu dem Ergeb- angehenden Gymnasiallehrerinnen entsprechenden Artikel zu dem Teil nügender Form stattfinden kann. mität der Weltorganisation zu ver- nis, dass bei aller notwendigen Kri- und Lehrer zu bringen. Dazu sollte des deutschen Grundgesetzes gehö- Man muss zudem auch feststellen, größern. tik, die an Verbänden mit ihren zum der Nachfolger von Eduard Spranger ren, der nicht verändert werden darf. dass solche verbandsmäßigen Positi- Teil verkrusteten Strukturen zu Recht auf der Pädagogik-Professur in Leip- Etwas weniger salopp formuliert: Es onierungen, hinter denen dann auch Zur derzeitigen Situation geübt wird, sie gerade im Moment zig eine strategische Funktion ein- geht um das Recht auf Versamm- sehr viele Mitglieder stehen, so er- völlig unverzichtbar sind. Sie sind nehmen. Diese Stelle hat der Philo- lungsfreiheit und das Recht auf Zu- wünscht nicht sind. Oft genug glaubt Zunächst einmal muss man feststel- eine weitere Möglichkeit, eine soph und Pädagoge Theodor Litt sammenschluss. Diese sind in der man, dass die Beteiligung „der Zivil- len, dass heute Verbände wieder schrumpfende politische Partizipa- eingenommen, der allerdings recht Tat Fundamente einer demokrati- gesellschaft“ an bestimmten politi- einmal mit einem heftigen Gegen- tion zumindest in ihrem Zuständig- schnell feststellen musste, dass der schen Grundordnung, was man schen Entscheidungsprozessen auch wind konfrontiert sind. Bei den Ver- keitsbereich und in ihrer Mitglieder- Gedanke einer autoritär verabreich- nicht zuletzt daran erkennen kann, schon dadurch erreicht wird, dass tretern des Staates, insbesondere bei schaft zu verbreitern. Demokratie ten „Leitkultur“ schon in den 20er dass beide als erstes von einem au- man willkürlich ausgesuchte Einzel- den Menschen aus den Staatsappa- kann es sich heute überhaupt nicht Jahren nicht mehr möglich war. toritären Regime verboten oder be- personen in die Beratung einbezieht. raten und den Ministerialbürokrati- leisten, auch nur auf einen kleinen Die Rede von einem Kulturstaat grenzt werden. Doch nun zu den Ver- Gelegentlich sind diese ausgesuchten en, darf man durchaus immer noch Zuwachs an Legitimität, die auf die- ist bis heute ausgesprochen attraktiv bänden. Auch hier muss man wieder Einzelpersonen auch Antragsteller die Überzeugung von der Allmacht se Weise entstehen kann, zu verzich- auch in kulturpolitischen Kreisen. zwei Ebenen unterscheiden: Eine bestimmter Projekte, so dass sich des Staates unterstellen. Selbst dort, ten. Angesichts der Vorgeschichte dieses theoretische Analyse, die möglicher- über Jahre kaum eine Bewegung bei wo NGOs (freie Träger) ausdrücklich Begriffs erscheint es mir als zweifel- weise von einer wahrhaftigen Sorge diesen Beratungspersonen ergibt und durch ein Gesetz als Partner vorge- Der Verfasser ist Vorsitzender des haft, ihn für einen demokratischen um die Zukunft unseres politischen sie zudem zu den zuverlässigsten schrieben sind, so ist es etwa bei Deutschen Kulturrates Gebrauch noch retten zu können. Gemeinwesens getragen ist, und Geldabnehmern der Kommission dem Kinder- und Jugendhilfegesetz Damit komme ich zu dem dritten eine politische Indienstnahme theo- gehören. (KJHG) der Fall, versucht man, sich Literatur Punkt. retischer Analysen für vordergründi- Ein zweites Beispiel aus dem in- der Präsenz der zivilgesellschaftli- · Brodocz, A./Schaal, G. (Hg.): Politische ge Interessen. Das zentrale Stichwort, ternationalen Kontext ist die chen Organisationen zu entziehen. Der Staat in der Theorien der Gegenwart I u. II. Leske unter dem Verbände in der Regel kri- UNESCO. Dort gilt es seit einigen Jah- Ein einfaches, in den letzten Jahren Kulturpolitik und Budrich/UTB 2001/2002. tisch diskutiert werden, ist „Korpora- ren als Leitprinzip, bei allen Aktivitä- immer häufiger praktiziertes Mittel · Brunnengräber, A./Klein, A./Walk, H.: Auch hier will ich nur einen kleinen, tismus“, auf Deutsch: „Verbändede- ten die Zivilgesellschaft einzubinden. besteht etwa darin, dass man be- NGOs im Prozess der Globalisierung. etwas provokativen Blick auf die De- mokratie“. Selbstverständlich ist jede Dies geschieht auch in Deutschland. stimmte gesetzlich vorgeschriebene Wiesbaden: VS 2005. batte werfen. Der Kulturanthropolo- Kritik an demokratisch nicht legiti- Ich selber durfte mich einige Male als Beratungsorgane einfach nicht be- · Fuchs, M.: Kultur macht Sinn. Wiesba- ge Wolfgang Reinhard hat nicht bloß mierten Entscheidungen, die unter offizielles Mitglied einer Regierungs- ruft. So ist es etwa auch in dieser den: VS 2007 (i.V.). eine hochinteressante „Geschichte einem massiven Einfluss von Lobby- delegation an UNESCO-Weltkongres- Legislaturperiode geschehen, als · Fuchs, M.: Kulturpolitik. Wiesbaden: VS der Lebensformen“ verfasst, er hat Organisationen getroffen werden, sen bzw. der Generalversammlung in man das vorgeschriebene jugend- 2007 (i.V.). auch eine preisgekrönte „Geschich- berechtigt. Zu einem großen Teil Paris beteiligen. Natürlich ist es so, politische Beratungsorgan, das · Fukuyama, F.: Das Ende der Geschich- te der Staatsgewalt“ geschrieben. Als wurde und wird allerdings die Rede dass bei den entscheidenden Abstim- Bundesjugendkuratorium, erst ein- te. Wo stehen wir? München: Kindler Ergebnis seiner empiriegesättigten von einer Verbändedemokratie von mungen der Vertreter des Auswärti- mal ein ganzes Jahr lang überhaupt 1992. Studien darüber, wie sich dieses Po- bestimmten Interessensgruppen ge- gen Amtes die Stimmkarte hebt, aber nicht berufen hat. Eine zweite Stra- · Gerhardt, V.: Partizipation. Das Prinzip litikfeld entwickelt hat, kommt er zu speist. Dabei waren es vor allen Din- immerhin konnte man etwa durch tegie, zuviel an Mitsprache zu ver- der Politik. München: Beck 2007. der folgenden Definition: „Kulturpo- gen die Gewerkschaften, die den Formulierungsvorschläge auf die hindern, besteht darin, dass man · Habermas, J.: Faktizität und Geltung. litik als Machtpolitik gehört zwar zur Zorn konservativer Kräfte auf sich deutsche Positionierung einwirken. nicht mehr auf organisierte Verbän- Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts politischen Kultur eines Gemeinwe- zogen. So hat man bereits zu der In diesem Zusammenhang ist es de zurückgreift, sondern willkürlich und des demokratischen Rechtsstaats (v.a. Kap. VIII: Zur Rolle von Zivilgesell- sens, stellt aber nur einen engen Zeit, als Kurt Biedenkopf Geschäfts- besonders wichtig, dass in der neuen ausgesuchte Einzelpersonen mit schaft und politischer Öffentlichkeit). Ausschnitt daraus dar, nämlich die führer der CDU war, eine Arbeits- Konvention zur kulturellen Vielfalt, einbezieht. Dies ist sehr viel kom- Frankfurt: Suhrkamp 1993. bewusste Kontrolle und Instrumen- die Mitte März durch den UNESCO- fortabler, da deren demokratisches gruppe eingerichtet, die sich zum · Hardt, M./Negri, A.: Empire. Die neue talisierung bestimmter kultureller Ziele setzte, die „Macht“ der Gewerk- Generaldirektor in Kraft gesetzt wur- Mandat ohnehin äußerst schwach Weltordnung. Frankfurt/M./New York: Felder durch und für die Staats- schaften zu brechen. Man hat dies de, ein Artikel 11 existiert, der aus- oder gar nicht vorhanden ist und sie Campus 2002. macht. 1919 hat sie der preußische allerdings eingebettet in einen Fron- drücklich bei der Umsetzung dieser daher beim Ignorieren ihrer Vor- · Hardt, M./Negri, A.: Multitude. Frank- Kulturminister Carl-Heinrich Becker talangriff gegen Verbände generell. UNESCO-Konvention – immerhin schläge relativ wenig Öffentlichkeit furt/M.: Campus 2004. zeitbedingt definiert als ‚bewusste Später hat unter dem Generalsekre- handelt es sich um die „Magna Char- herstellen können. Und natürlich · Hegel, G. F. W.: Werke. Band 7: Grund- Einsetzung geistiger Werte im Diens- tär Heiner Geißler ein Abteilungslei- ta der Internationalen Kulturpolitik“ gehört zu der Strategie, eine Verbän- linien der Philosophie des Rechts. te des Volkes und des Staates zur Fes- ter gearbeitet, der einige Zeit darauf – verbindlich die Zivilgesellschaft ein- defeindschaft zu schüren, auch Frankfurt/M.: Suhrkamp 1983. tigung im Innern und zur Auseinan- Abteilungsleiter für Jugend im Bun- bindet. dazu, immer wieder den Topos des · Huntington, S. P.: Der Kampf der Kultu- dersetzung mit anderen Völkern desjugendministerium wurde. Dort Man kann sich nun fragen, war- „Verbändestaates“ ins Feld zu füh- ren (The Clash of the Civilizations). Die nach außen.’ Heute betrifft Kultur- hat er seinen Feldzug gegen Verbän- um in diesem internationalen Kon- ren. Neugestaltung der Weltpolitik im 21. politik die fünf Felder Religion, de und Fachorganisationen fortge- text soviel Wert auf die Mitarbeit der Zuzugeben ist allerdings, dass Jahrhundert. München/Wien: Europave- Kunst, Medien, Bildung und Wissen- führt dadurch, dass er immer wieder so genannten NGOs gelegt wird. Eine Verbände erheblich eingeschränkt rlag 1996. schaft, Freizeit und Sport“ (Reinhard neue Studien in Auftrag gegeben hat, Antwort auf diese Frage gibt ein Pa- sind in ihrer politischen Vertretungs- · Leif, Th./Speth, R. (Hg.): Die fünfte Ge- walt. Lobbyismus in Deutschland. Wies- 1999, Seite 88). die die Nutzlosigkeit und Dysfunk- pier, das ein Panel von so genannten aufgabe, etwa dann, wenn sie selber baden: VS 2006. Im Gegensatz zu vielen vollmun- tionalität etwa der Jugendverbände Eminent Persons unter der Leitung nicht durch Mitgliedsbeiträge, son- · Mann, M.: Geschichte der Macht. 2 digen und herzblutgesättigten Ver- haben nachweisen sollen. Dabei soll des ehemaligen brasilianischen Prä- dern nur durch staatliche Zuwen- Bde. Frankfurt/M.: Campus 1994. ständnisweisen von Kulturpolitik in gar nicht bestritten werden, dass es sidenten Cardoso im Auftrag des dungen existieren können. Mein Ziel · Reinhard, W.: Geschichte der Staatsge- der Praxis wird hier knapp, pragma- engstirnige Interessensvertretungen UNO-Generalsekretärs (damals war besteht hierbei darin, den Vertretern walt. München: Beck 1999. tisch und illusionslos ein offenbar in gibt. es noch Kofi Annan) erstellt hat. Das des Staates in der Exekutive und im · Troeltsch, E.: Die Bedeutung des Pro- der historischen Realität dominie- Ich will nun einige Hinweise auf Papier hat den Titel „We the peop- Parlament immer wieder zu verdeut- testantismus für die Entstehung der rendes Verständnis von Kulturpolitik nationale und internationale Ent- les“ und beschäftigt sich nicht bloß lichen, dass gerade der Sand im Ge- modernen Welt. München/Berlin: Ol- beschrieben: wicklungen im Hinblick auf eine Ein- mit der Rolle der Zivilgesellschaft, triebe, den möglicherweise Verbän- denbourg 1911. STREITFALL: COMPUTERSPIELE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 7

Streitfall: Computerspiele

Die letzte Beilage Kultur Kompetenz tern schilderten, wie ihre inzwischen er- hilfswerk (DKHW), der Landesvereini- „Spieleentwicklung – Kunst mit neuen Inhalt dieses Schwerpunktes ist: Bildung der Zeitung politik und kultur wachsenen Kinder, einst begeisterte gung kulturelle Jugendbildung Sach- Mitteln?“, “Lernen mit Computerspie- war dem Thema Computer- und Vi- Spieler, heute als Informatiker, Grafi- sen e.V. (LKJ Sachsen), der Leipzi- len“, „Computerspiele im Ensemble der · Günther Beckstein und Armin deospiele gewidmet. Zu Wort kamen ker, Webdesigner oder Spieleentwick- ger Messe GmbH, der Sächsische konvergenten Medienwelt“. Außerdem Laschet mit der Frage des Herstel- u.a. Vertreter der Kinder- und Jugend- ler tätig sind. Es gab aber auch kriti- Landesanstalt für privaten Rundfunk wird es für die Teilnehmer geführte lungsverbots von gewalttätigen bildung, der freiwilligen Selbstkontrol- sche Stimmen. Es wurde davor ge- und neue Medien (SLM) und der Messerundgänge und angeleitete Computerspielen, le Unterhaltungssoftware, der Wissen- warnt, Computerspiele als Kunst zu be- Universität Leipzig bei der nächsten Spielzeit, z.B. an dem Spiel „Anno · Peter Michael Ehrle, Wilfried schaft und zweier Fachverbände aus zeichnen. Es wurde angemahnt, dass Games Convention in Leipzig im Au- 1701“ geben. Zum Abschluss ist eine Kaminski, Lothar Mikos, Hart- dem Bereich PC- und Videospiele, des gerade kulturelle Bildung dazu dienen gust 2007 einen Workshop zum The- hochkarätig besetzte Podiumsdiskussi- mut Warkus und Kristin Bäßler Bundesverbandes Interaktive Unter- solle, Kinder und Jugendliche zu be- ma „Computerspiele im Spannungs- on in der Messe mit dem Titel „Compu- mit der Nutzung von Computer- haltungssoftware (BIU), in dem die wegen, keine Computer- oder Video- feld von Unterhaltung, Lernen und terspiele im Spannungsfeld von Unter- spielen, Hersteller von Computerspielen zu- spiele zu spielen. Der nordrhein-west- Kultur“ durchführen, um die Diskus- haltung, Lernen und Kultur“ geplant. · Olaf Zimmermann und Gabriele sammengeschlossen sind und des fälische Kulturstaatsminister Grosse- sion vor Ort während der größten Das Feld Computer- und Videospiele ist Schulz mit der Qualitätsförderung GAMES, dem Zusammenschluss der Brockhoff warf sogar die Frage auf, wie Computer- und Videospielemesse nicht nur angesichts der bestehenden von Computerspielen, Entwickler von Computerspielen. Die- der Deutsche Kulturrat als öffentlich ge- Deutschlands zu vertiefen. Der zwei- Kontroversen längst noch nicht ausgelo- · Christoph Pries, Dorothee Bär, se Beilage rief ein sehr großes Echo förderte Institution Wirtschaftsverbän- tägigen Workshop ist speziell für Mul- tet. In dieser Ausgabe soll sich daher mit Jörg Tauss, Hans-Joachim Otto, hervor. Dabei überwogen die positi- den wie der BIU oder GAMES ein Fo- tiplikatorinnen und Multiplikatoren der Spielebranche als Teil der Kulturwirt- Lothar Bisky und Grietje Bettin ven Stimmen. Viele Emails, Zuschrif- rum bieten könne. aus den Bereichen kulturelle Kinder- schaft auseinandergesetzt werden, es mit den rechtlichen Rahmenbedin- ten von Pädagogen, von Eltern, von Der Deutsche Kulturrat wird gemein- und Jugendbildung, politische Bil- wird auf die Rezeption von Computerspie- gungen, erwachsenen und von jugendlichen sam mit der Bundesvereinigung Kultu- dung, Kultur und Politik gedacht. The- len durch Kinder und Jugendliche einge- · Olaf Zimmermann mit dem Spielern erreichten uns, die die sach- relle Kinder- und Jugendbildung e.V. men des Workshops sind: „Spiele- gangen und es wird die Frage nach dem „Recht auf Schund.“ liche Auseinandersetzung mit dem (BKJ), der Bundeszentrale für politische Genre und Spieleplattformen“, „Ju- Verbot oder der Förderung von qualitativ Thema schätzten. Insbesondere El- Bildung (bpb), dem Deutsches Kinder- gendmedienschutz in Deutschland“, hochwertigen Computerspielen erörtert. Die Redaktion

Amokläufer, Nachahmer und Männlichkeitsnormen Innere Sicherheit und die Angst vor dem Computerspiel • Von Günther Beckstein Innere Sicherheit ist zwingende Vor- Je mehr dieser Faktoren gleichzeitig me haben, die Unterschiede zwi- aussetzung für Freiheit und für ein wirksam sind und sich wechselseitig schen virtueller und realer Welt zu stabiles demokratisches Gemeinwe- verstärken, desto höher ist das Gewalt- verwischen drohen. Wir müssen un- sen. Der Schutz vor Gewalt gehört potential des Einzelnen. Erschwerend sere Gesellschaft vor diesen Men- ebenso wie der Schutz von Men- kommt hinzu, dass insbesondere bei schen, aber auch diese Menschen schenwürde, Freiheit und Eigentum Kindern, Jugendlichen und Heran- selbst vor solchen Spielen schützen. zu den elementarsten Grundbedürf- wachsenden eine Nachahmungs- und Die geltenden gesetzlichen Ver- nissen jedes Einzelnen. Abstumpfungsgefahr besteht. Dass botsregelungen, die sich in einem diese empirischen Ergebnisse mit der dreistufigen Bewertungsverfahren n Bayern sehen wir aus diesen Realität weitgehend übereinstimmen, bei Computerspielen niederschla- I Gründen Innere Sicherheit als so- zeigen leider auch die polizeilichen Er- gen, werden den Erfordernissen ei- ziales Grundrecht an und schützen fahrungen. nes ausreichenden Schutzes vor es mit größten Anstrengungen. Frei- Die rasante Entwicklung des menschenverachtenden virtuellen heit und Sicherheit sind untrennbar Computerspielmarktes ist eine logi- Gewaltspielen nicht hinreichend ge- miteinander verbunden. Innere Si- sche Folge des technischen Fort- recht. Weder das Verfahren der Al- cherheit als Zustand sozialer Ord- schrittes und der weltweiten Mög- terskennzeichnung durch die Obers- nung und sozialen Friedens inner- lichkeiten für eine Verbreitung der ten Landesjugendbehörden bzw. die halb der Gesellschaft ist ein wesent- hergestellten Software. Dazu kommt USK noch die Indizierung durch die licher Garant für die Willens- und eine Steigerung der so genannten On- Bundesprüfstelle haben bislang zu Handlungsfreiheit jedes Individu- linespiele, die allein in Deutschland einer nachhaltigen Verdrängung die- ums. Deshalb stehen Sicherheit und einen Umsatz von rund 100 Millionen ser Spiele vom Markt geführt. Keines Freiheit nicht im Widerspruch zu- Euro erzielen; eine Entwicklung, die der Verfahren bietet eine Grundlage einander, sondern bedingen sich es weder aufzuhalten noch einzu- für ein umfassendes Verbreitungs- vielmehr gegenseitig. Sie sind zwei dämmen gilt; würde man damit doch verbot oder für ein Herstellungsver- Seiten ein– und derselben Medaille. sowohl einen wichtigen Wirtschafts- bot. Auch zeigt die bisherige Praxis, Echte Freiheit setzt einen funktionie- motor, der jedes Jahr Wachstumsra- dass durch die USK oder die Bundes- renden Rechtsstaat mit effektivem ten im zweistelligen Bereich aufweist, prüfstelle ausgesprochene Ein- Handlungsinstrumentarium voraus. begrenzen, als auch in eine der schränkungen der Verbreitungswege Innere Sicherheit ist dabei kein stati- derzeit wesentlichsten kulturellen oder Altersbeschränkungen erst sches Gebilde. Sie muss ständig – mit Entwicklungen unserer postmoder- greifen, wenn die Produkte bereits Augenmaß und in Anlehnung an un- nen Gesellschaft eingreifen. auf dem Markt sind. Zudem können UKS Prüfsiegel Sticker „Freigegen ab 16 Jahren“. sere Grundwerte – den aktuellen Ge- Bei aller Sinnhaftigkeit dieser diese Beschränkungen von kommer- gebenheiten angepasst und neu erar- Entwicklung dürfen wir allerdings ziellen Anbietern ohne großen Auf- Verletzung unter Einsatz von Schuss- wortung, zur Eindämmung dieser beitet werden; denn eine stabile und nicht außer Acht lassen, dass medi- wand umgangen werden. Seit lan- waffen oder ähnlichen Gegenstän- Problematik beizutragen. Wir wollen wehrhafte Demokratie zeichnet sich ale Gewalt immer dann zum Verstär- gem setze ich mich daher für ein im den als Haupt- oder Nebeninhalt si- mit unserer Initiative nicht den auch dadurch aus, dass sie sich kungsfaktor eigener Gewaltbereit- Strafgesetzbuch verankertes Herstel- muliert werden. Darüber hinaus be- „User“ kriminalisieren, sondern mit schnell auf neue Gefahrensituationen schaft wird, wenn weitere Belas- lungs- und Verbreitungsverbot ge- fasst sich unsere Bundesratsinitiati- einer Freiheitsstrafe von bis zu ei- einstellt; Gefahren für unser Gesell- tungsfaktoren hinzukommen. Insbe- waltverherrlichender Spiele ein. ve auch mit Anpassungen im Ju- nem Jahr eine Abschreckung für schafts- und Wertesystem, wie wir sie sondere durch das bei Computer- Selbst wenn nur in einem Bruchteil gendschutzrecht. Wir fordern bei- kommerzielle Hersteller und Vertrei- seit einigen Jahren beispielsweise bei spielen geforderte persönliche Enga- aller verfügbaren Computerspiele spielsweise deutliche Verbesserun- ber erreichen. Ich betone im Übri- der Gewalt- und Jugendkriminalität gement steigt der Spieler als domi- Menschen geschlachtet oder syste- gen bei der Indizierung von Medien gen ausdrücklich: Es ist nicht das Ziel feststellen müssen. So stiegen in den nant Handelnder intensiver in das matisch und brutal getötet werden – und bei der freiwilligen Selbstkont- unserer Bemühungen, die Grund- letzten 10 Jahren die Gewaltdelikte fiktive Geschehen ein, als dies bei- diese Killerspiele sind unverantwort- rolle, ein Vermiet- und Verleihverbot rechte auf Kunst- Publikations- und allein in Bayern um 20% an. Rund spielsweise bei passiven Filmzu- liche und indiskutable Machwerke; für indizierte jugendgefährdete Fil- Informationsfreiheit oder den Ver- 80% der einschlägigen Straftaten sind schauern der Fall ist. Schließlich för- und als solche müssen sie in unse- me und Computerspiele, ein Verbot trieb von Computerspielen generell schwere und gefährliche Körperver- dert das Identifizieren mit der Rolle rer Gesellschaft geächtet werden. für Kinder und Jugendliche, an Bild- einzuschränken. Unser Ziel ist es, letzungen. Die Polizeien der Länder des rücksichtslosen, brutalen Kämp- Die Bayerische Staatsregierung schirmgeräten ohne Gewinnmög- zum Schutz unserer Bürgerinnen und des Bundes stellen darüber hin- fers die Akzeptanz von gewaltlegiti- hat zur Verbesserung des Kinder- lichkeit in der Öffentlichkeit zu spie- und Bürger und ganz besonders un- aus insbesondere bei Jugendlichen mierenden Männlichkeitsnormen. und Jugendschutzes eine Bundes- len, aber auch eine Erhöhung des serer Kinder und Jugendlichen vor eine zunehmende Bereitschaft fest, Ich bin mir bewusst, dass nicht je- ratsinitiative eingebracht. Kernstück Bußgeldrahmens im Jugendschutz- Gewalt oder gewaltverherrlichenden Konflikte mit Gewalt auszutragen. der dieser Spieler eine Gefahr dar- dieser Initiative ist ein neuer Straf- gesetz auf 500.000 Euro. Spielen zu handeln. Hierzu halte ich Namhafte Wissenschaftler haben stellt. Aber polizeiliche Praktiker tatbestand in § 131a des Strafgesetz- Unsere Kinder und Jugendlichen – neben unseren nationalen Bemü- die Auswirkungen der Medien auf können Fälle nennen, in denen Men- buches, der die Herstellung und Ver- rechtzeitig aufzuklären und ihnen hungen – auch ein konzertiertes Vor- die Gewaltbereitschaft Jugendlicher schen in der Realität nachzumachen breitung von Killerspielen verbietet, gezielte Hilfestellung zu geben, da- gehen auf europäischer Ebene und analysiert und einen Schwerpunkt versuchen, was sie auf dem Bild- nicht jedoch den Besitz solcher Spie- mit sie für die in den Medien lauern- eine europaweite Harmonisierung ihrer Arbeiten beim Einfluss gewalt- schirm bzw. Monitor gesehen oder le. Er betrifft Spielprogramme, die den Gefahren gewappnet sind, ist für der Rechtslage für notwendig; denn verherrlichender Spiele auf die ausprobiert haben. Der Mörder der grausame Gewalttätigkeiten gegen mich eine äußerst wichtige Aufgabe. die Globalität des Internets und die „Usergruppen“ gesetzt. Sie kommen kleinen Vanessa im bayerischen Menschen darstellen und dem Spie- Der Staat kann dabei den lückenlo- internationale Vernetzung der Ange- übereinstimmend zu dem Ergebnis, Gersthofen orientierte sich bei- ler eine entsprechende Beteiligung sen Schutz nicht allein sicherstellen. bote erfordern ein vergleichbares dass gewalthaltige Medien die Be- spielsweise an den Abläufen eines ermöglichen. Zudem ist vorgesehen, Es bedarf eines gesamtgesellschaft- Schutzniveau auf gesamteuropäi- reitschaft zum gewalttätigen Han- Horrorfilms. Auch die Amokläufer so genannte „reale Killerspiele“, wie lichen Miteinanders. In erster Linie scher Ebene. Wir alle haben, gerade deln erhöhen können. Als ein Faktor, von Erfurt, Bad Reichenhall oder Gotcha, Paintball oder Laserdrome, sind die Eltern gefordert. Sie müssen gegenüber den jungen Menschen in der Aggressivität und Gewaltbereit- Emsdetten waren von gewaltver- in § 118 des Ordnungswidrigkeiten- wissen, was ihre Kinder in der Frei- unserer Gesellschaft, eine besonde- schaft begünstigt, hat sich – neben herrlichenden Medien beeinflusst, gesetzes zu verbieten. Hier sollen zeit tun und womit sie sich bei- re Verpflichtung. Der Schutz vor Ge- gewaltorientierter Überzeugung, die Auslösefaktoren lagen ähnlich. ausschließlich solche Spiele erfasst spielsweise im Internet beschäfti- walt- und Killerspielen gehört dazu. Hass, Wut oder Rache – auch der Ge- Ich bin fest davon überzeugt, dass werden, die geeignet sind, die Mit- gen. Dafür brauchen sie eigene Me- waltkonsum in den Medien heraus- bei labilen Menschen, die im wirkli- spieler in ihrer Menschenwürde her- dienkompetenz. Auch die Hersteller Der Verfasser ist Staatsminister des kristallisiert. chen Leben entsprechende Proble- abzusetzen, indem ihre Tötung oder und der Handel stehen in der Verant- Innern des Freistaates Bayern STREITFALL: COMPUTERSPIELE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 8

Jugendschutz und Verbotsnormen Versuch eines Diskurses, der sich auf Fakten stützt • Von Armin Laschet Nach dem Amoklauf von Emsdetten Annahmen, auf denen sie beruhen, ist die Debatte über Computerspie- rechtlich und wissenschaftlich nicht le in unserem Land neu entbrannt. anfechtbar sind. Begründet man also Die Intensität, mit der die Debatte eine schärfere Verbotsnorm bei Com- geführt wird, zeigt: Hier hat sich puterspielen mit einer Zunahme von offenbar ein Thema den Weg an die Gewaltbereitschaft unter Jugendli- Oberfläche gebahnt, das den Men- chen oder damit, dass diese Spiele ur- schen schon länger auf den Nägeln sächlich zu Amokläufen führen, muss brennt. Doch nicht immer wird der dies mit wissenschaftlichen Erkennt- Diskurs auf der Grundlage von Fak- nissen belegt werden. Diese dürfen ten, frei von Emotionen und zielori- dann nicht Einzel- oder Mindermei- entiert geführt. Mancher Diskussi- nungen präsentieren, sondern müs- onsteilnehmer ist mit den tatsäch- sen als allgemein gesichert gelten. Das lichen Inhalten der Spiele nicht wirk- ist notwendig, da eine etwaige Ver- lich vertraut. Das führt oft zu unbe- botsnorm im Sinne der Rechtsstaat- gründeter Empörung und manchmal lichkeit wie jede andere Jugendschutz- auch zu dem voreiligen Vorwurf, der bestimmung einer gerichtlichen deutsche Jugendschutz habe ver- Überprüfung standhalten muss. sagt. Selbst Wissenschaftler werfen Deshalb sind wir gut beraten, bei einander leichtfertig Unwissen- erkannten oder vermuteten Lücken schaftlichkeit vor und zitieren nur im System des Jugendschutzes jene Studien, die ihre eigene Positi- zunächst einmal zu prüfen, ob die on untermauern. Probleme nicht mit untergesetzli- chen Mitteln gelöst werden können ngeachtet der Tatsache, dass oder ob ein Vollzugsdefizit vorliegt. U sich inzwischen jene Stimmen mehren, die das Thema eingehender Vollzug des Rechts und reflektieren und auch den Nutzen Aufklärung verbessern von Computerspielen nicht uner- wähnt lassen, sind es die aggressiven Dieser Logik folgt das gemeinsame Töne, die zu einer in der Sache we- Sofortprogramm des Bundesjugend- Glashalle auf der Leipziger Messe. © Leipziger Messe GmbH, Foto: Uwe Frauendorf nig hilfreichen Polarisierung der ministeriums und des nordrhein- Auseinandersetzung geführt haben. westfälischen Ministeriums für Gene- Säule 2 sieht Maßnahmen zur Verbes- spielen zum Ziel. Eltern, Kindern und Jugendmedienschutz gestaltet Kurzum: Viel deutet darauf hin, dass rationen, Familie, Frauen und Inte- serung des Vollzugs des geltenden und Jugendlichen soll künftig besser werden. die Aufregung über Computerspiele gration. Das Programm beruht auf Rechts vor. So sollen Testkäufe zuge- vermittelt werden, was sich hinter Unterm Strich müssen wir errei- einem bestimmten Zweck dient, der vier Säulen. lassen werden, damit schwarze Scha- den Alterskennzeichen für Compu- chen, dass die Einhaltung der Alters- Suche nämlich nach einfachen Lö- Säule 1 sieht Verschärfungen im fe im Handel tatsächlich überprüft terspiele verbirgt. Außerdem sollen freigaben selbstverständlich wird. sungen für gesellschaftliche Proble- Jugendschutzrecht dort vor, wo und ihre Verstöße geahndet werden. die Beratungs- und Informations- Über Aufklärung müssen wir außer- me wie die Gewalt unter Jugendli- bereits heute ein klar erkennbarer Säule 3 zielt auf eine Qualitätssi- möglichkeiten für Eltern und Päda- dem darauf hinwirken, dass die Er- chen, schlechter werdende schuli- und unbestrittener Handlungsbe- cherung der Jugendschutzentschei- gogen verbessert werden. wachsenen, allen voran die Eltern, sche Leistungen (vor allem bei Jun- darf besteht. Dies betrifft vor allem dungen ab. Hierzu gehört vor allem Ob es weiteren Handlungsbedarf nicht wegschauen, sondern mit ih- gen) oder Kriminalität. die Frage der gesetzlichen Indizie- eine transparentere Ausgestaltung gibt, wird die von Bund und Ländern ren Kindern über deren Medienkon- So erinnert mich die von Bayern rung jener extrem gewalthaltigen der Organisation und der Abläufe bei gemeinsam beauftragte Evaluation sum sprechen und gegebenenfalls vorgesehene Verschärfung des Straf- Spiele und Filme, die noch unterhalb der Unterhaltungssofware Selbst- des Jugendschutzrechtes zeigen. selbst Einschränkungen durchset- rechts, wonach die Produktion, der der Strafrechtsrelevanz liegen. Mit kontrolle (USK), einer von der Wirt- Dabei wird es neben den Regelungen zen. Denn eines ist klar: Der Staat Vertrieb und der Besitz von Gewalt der geplanten Veränderung soll ver- schaft 1994 eingerichteten Prüfstel- des Jugendschutzgesetzes auch um kann ein verantwortungsbewusstes verherrlichenden Computerspielen hindert werden, dass solche Medien- le, die die Bundesländer bei der Al- die Jugendschutzregelungen für das Handeln der Eltern und anderer Be- unter Strafe gestellt werden soll, produkte für eine gewisse Zeit – terskennzeichnung von Computer- Fernsehen und das Internet gehen. zugspersonen nicht ersetzen. stark an einen politischen Schnell- nämlich von der Markteinführung und Videospielen unterstützt. Sie sind im Jugendmedienschutz- schuss. Offenbar wird hier einfach bis zum Ende des Indizierungsver- Säule 4 hat die Verbesserung der Staatsvertrag festgeschrieben. Nur Der Verfasser ist Minister für verdrängt, dass eine Politik, die nicht fahrens – frei verkauft und beworben Kommunikation zwischen Anbie- mit Blick auf beide rechtlichen Sys- Generationen, Familie, Frauen und zuvörderst auf die Eigenverantwor- werden können. tern und Nutzern von Computer- teme kann ein wirksamer Kinder- Integration des Landes NRW tung der Bürgerinnen und Bürger setzt, sondern auf mehr Staat und Kontrolle baut, nicht stark, sondern eher schwach ist. Eine solche Politik verschließt die Augen vor den wirk- Warum ich gerne Online-Rollenspiele spiele lichen Ursachen, indem sie Lösun- Computerspiele sind kein Kinderkram • Von Peter Michael Ehrle gen anbietet, die wie Beruhigungs- pillen wirken – schmerzlindernd, Der folgende Beitrag wird bei man- eines „Characters“ („Chars“) an- gleich im Solospiel einen Charakter Spieler wohl nicht agressionsför- aber nicht heilungsaktiv. chen Lesern vielleicht Verwunde- nimmt. Er verwandelt sich in Fanta- ständig zu verbessern. dernd wirkt. rung erregen. Wie kommt ein 62- sy-Spielen in einen Paladin, einen Problematisch ist dabei sicher- Es sollte doch in den Diskussio- Jugendschutz im jähriger Mann dazu, sich mit sol- Mönch, einen Priester, einen Zaube- lich, dass dies nicht ohne Kampf ab- nen um die angeblich verrohende Spannungsfeld von Politik chem „Kinderkram“ wie Computer- rer oder einen Hexer, und er kann im geht, denn der Hauptinhalt der Wirkung von Computerspielen nicht spielen zu befassen? Ohne Zweifel Gegensatz zur passiven Teilnahme meisten Rollenspiele besteht im übersehen werden, dass diese Spie- und Rechtsstaatlichkeit gehört dazu eine starke Neigung, an einer Theateraufführung oder ei- Kampf gegen so genannte „Mobs“ le, vor allem dann, wenn sie real exis- dem Ernst des Alltags in spieleri- ner Filmvorführung aktiv am Ge- („Mobile Objects“), wie z.B. virtuel- tierende militärische Konfliktsituati- Das heißt jedoch nicht, dass der Staat scher Weise entfliehen zu wollen. schehen teilnehmen. Vor allem die le Wildtiere, Drachen, Orks, Trolle, onen wiedergeben, lediglich ein Ab- wegschauen darf. In eben diesem Früher spielte man in Wirtshäusern, besseren Online-Rollenspiele wie Elfen oder auch Menschen. Daher bild der Wirklichkeit sind, mit der wir Spannungsverhältnis bewegt sich der zu Hause oder in vornehmen Salons „World of Warcraft“, „Dark Age of kommt der Gewalt ohne Zweifel eine uns tagtäglich durch die Berichter- Jugendmedienschutz. Von der einen Karten oder Würfel- und Brettspie- Camelot“, „Everquest 2“ oder seit Bedeutung zu, aber wesentlich ist, stattung im Fernsehen und anderen Seite wird ihm nicht selten vorgewor- le. Dabei stand jedoch der kommu- neuestem „Herr der Ringe Online“ dass in den besseren Spielen diese Medien, ob gewollt oder nicht ge- fen, er sei zu lasch; von anderer Seite nikative Aspekt im Vordergrund, und vermitteln den Zauber einer anderen Gewalt so stark verfremdet ist, dass wollt, konfrontiert sehen. her wird behauptet, er ginge – ins- den Computerspielern wird heute Welt, in die man eintauchen kann. sie nicht als real empfunden wird. Die Vorspiegelung einer „heilen besondere im europäischen Vergleich gerne vorgeworfen, dass sie ihr Voraussetzung dafür ist allerdings Wenn man auch diese Art von Spie- Welt“, in der es keine Gewalt zu ge- – zu weit und schränke die Rechte Hobby einsam mache. Das geflügel- eine gewisse Naivität, eine Bereit- len verbieten möchte, wie dies man- ben hat, wirkt besonders unglaub- Erwachsener zu sehr ein. Fest steht te Wort vom „Computermönch“ schaft, die Grenzen der Logik und che Politiker fordern, müsste man würdig aus dem Mund von Politi- indes: In der Sache sollte der Jugend- lässt die privaten Probleme erah- der modernen Leistungsgesellschaft ebenfalls sämtliche Filme verbieten, kern, die sich mit der Gewalt als Mit- medienschutz tunlichst nicht politi- nen, die sich aus allzu exzessivem zu verlassen. in denen Gewalt gegen Menschen tel der Politik in internationalen Aus- schen oder wissenschaftlichen Mei- Umgang mit dem Medium Compu- Hier kann nun von Seiten der vorkommt, also sämtliche Krimis einandersetzungen bereits abgefun- nungsmoden folgen, da sein Wirken ter, sei es nun in Form von Inter- Befürworter der Leistungsgesell- oder andere Gewaltdarstellungen, den haben. unmittelbar verfassungsrechtlich re- net-Surfen, Chatten oder eben auch schaft die Kritik einsetzen, die schon ohne die unsere Fernsehprogramme Abgesehen von diesen gesell- levant ist. Insbesondere bei der Fra- Computerspielen ergeben können. in früheren Zeiten gegen den „Spiel- gar nicht mehr denkbar sind. schaftspolitischen Überlegungen ge, ob schärfere Rechtsnormen er- trieb“ allgemein vorgebracht wurde. Neben den oben genannten sollte die Thematik auch unter dem forderlich sind, ist eine Abwägung ährend die ersten Spiele aus Natürlich macht es unter utilitaris- Spielen gibt es nun auch eine Reihe Aspekt der Kunstfreiheit diskutiert verschiedener Rechtsgüter von Ver- W den Achtzigerjahren des vori- tischen Gesichtspunkten keinen von gewaltverherrlichenden Mach- werden. Die heutigen Computer- fassungsrang notwendig: Jugend- gen Jahrhunderts aufgrund der ver- Sinn, seine Zeit damit zu „ver- werken (z.B. „Doom“), deren Freiga- spiele erfüllen in ihren besseren Ver- schutzinteressen, das Elternrecht, fügbaren Hardware (Atari-Spiele- schwenden“, einen virtuellen Cha- be in der Tat strengen Jugendschutz- sionen durchaus den Anspruch, ein die Freiheit von Kunst und Kultur Konsolen, Commodore 64 und Ami- rakter aufzubauen, diesen in oft bestimmungen unterworfen sein elektronisches Kunstwerk zu sein, sowie die Berufsfreiheit müssen in ga) noch relativ primitiv waren und auch mühevoller Kleinarbeit mit muss. Ob „Counter-Strike“ wirklich jedenfalls in demselben Maß wie ein den Blick genommen werden. Dar- daher keine große Wirkung entfalten immer neuen und besseren Fähig- dazu gehört, kann ich mangels eige- Filmkunstwerk. Für mich ist es fas- über hinaus ist zu klären, ob anvi- konnten, ist vor allem die graphische keiten und Ausrüstungsgegenstän- ner Spielerfahrungen nicht beurtei- zinierend mitzuerleben, wie weit die sierte Verbotsnormen geeignet sind, Darstellung der heutigen Spiele so den zu versehen, um dann im Ver- len, aber nach dem, was ich darüber Technik und auch der Ideenreich- den Jugendmedienschutz wirklich zu stark verfeinert worden, dass eine gleich mit anderen Spielern besser gelesen und gehört habe, steht das tum bei der Ausgestaltung der Com- stärken. Identifikation des Spielers mit der dazustehen. Der Reiz, der von sol- strategische Element so stark im Vor- puterspiele vorangeschritten sind. All dies bedeutet, dass Verschär- Handlung des Spieles wesentlich cher Tätigkeit ausgeht, ist weitge- dergrund, dass die damit verbunde- Manche Landschaften oder Städte fungen von Jugendschutzbestim- leichter möglich ist. Dies gilt vor al- hend irrational. Es macht einfach ne Gewalt zwischen Menschen ei- mungen oder Strafrechtsnormen nur lem für die so genannten Rollenspie- Spaß, sich mit anderen zu messen nen gewissen Abstraktionsgrad er- Weiter auf Seite 9 dann in Frage kommen, wenn die le, in denen der Spieler die Identität oder auch ohne diesen direkten Ver- reicht und somit auf die meisten STREITFALL: COMPUTERSPIELE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 9

Wie Jugendliche Computerspiele rezipieren Blicke auf einen bedeutsamen Aspekt der zeitgenössischen Jugendkultur • Von Wilfried Kaminski Die Zahlen der 2006er JIM–Studie die Grundlage für gewalttätiges Ver- des Medienpädagogischen For- halten schaffe. Vor allem die so ge- schungsverbundes Südwest (mpfs) nannten Ego-Shooter werden als sprechen eine deutliche Sprache. „killing simulators“ charakterisiert. Beinahe alle Jugendlichen haben Diese Gruppe, weil medienzentriert, daheim Zugang zu Computern und fragt nicht nach Motiven, nicht nach mehr als die Hälfte der 12-19jähri- dem Umfeld und auch nicht nach gen besitzt einen eigenen Rechner. sozialen und seelischen Dispositio- Von diesen wiederum spielen bei nen der Gamer jenseits der Compu- den Jungen beinahe 60% regelmä- terspiele. ßig Computerspiele. Diese sind also Der Kölner Computerspielefor- gerade kein Medium einiger weni- scher Jürgen Fritz hält dagegen, dass ger Verwirrter, sondern stehen mit- für die meisten Computerspieler tendrin im Interessenshorizont der spätestens ab dem 12. Lebensjahr die Jungen. Sie sind in zunehmendem Rahmungskompetenz so stabil sei, Maße auch für Mädchen Kernstü- dass sie unzweideutig zwischen der cke ihrer Alltagswelt. virtuellen Welt und der realen zu un- terscheiden gelernt haben. Sie sind ie Beschreibung eines doppel- geistig und moralisch in der Lage, die D seitigen Fotos aus dem eher Welt des Computerspiels als eine ei- unverdächtigen evangelischen Ma- genständige Welt mit besonderen Ver- gazin Chrismon, kann das eben Ge- haltensanforderungen zu begreifen, nannte erläutern. Das Bild aus dem deren Gültigkeit sich ausschließlich Jahre 2004 zeigt eine LAN-Party, an auf diesen Bereich beschränkt. der in einer der charakteristischen Ihre Motive, sich einem Compu- Hallen mit endlosen Reihen von terspiel zuzuwenden, sind mit de- Computern mehrere hundert Ju- nen bei jeder anderen Freizeitbe- gendliche – meist junge Männer – schäftigung vergleichbar: Es geht teilgenommen hatten. Wir sehen sie zuerst um Spaß, Zerstreuung und nebeneinander sitzen auf ihren nicht Herausforderung. Gewaltförmige immer ergonomischen Stühlen, sie Darstellungen erfahren die Jugend- Gamer Area in der ESL ÌNTEL Arena powered by GIGA. © Leipziger Messe GmbH, Foto: Uwe Frauendorf wippen hin und her, vor und zurück, lichen als phantastisch und grotesk. sind konzentriert und spielen, oft ein Sie entwickeln für die Einschätzung Diese Gamer erweisen sich als stärkere Widerstandskräfte und Re- tigen Jugendlichen zu kriminalisie- ganzes Wochenende durch, rund um virtueller Gewalt spezifische Kriteri- durchaus reflektierte Personen. Ihr alorientierungen der Einzelnen auf- ren. Die Spiele gehören zu ihrem All- die Uhr. Um dabei zu sein, sind sie en, die mit den Spielen zu tun haben „aggressives“ Spielverhalten, so wäre zubauen und die notwendige Rah- tag und sind „normaler“ Bestandteil von weither angereist, haben planen und nicht mit einer jenseits existie- zu folgern, ist das eine und erlaubt mungskompetenz zu entwickeln, ihrer Freizeit. Wenn die Politik den- müssen, haben die Netzwerke einge- renden Alltagswirklichkeit. Die Spie- keinesfalls, etwas über das mögliche um sich der eigenen sozialen Exis- noch gegen die Jugendlichen ent- richtet, haben Kontakt halten und ler legen Wert auf das Gefühl der aggressive Verhalten der Befragten in tenz zu versichern. scheiden würde, wäre das ein weite- sich austauschen müssen. Alles be- Kontrolle, der Spielbeherrschung außerspielerischen Situationen zu Pädagogische wie politische Dis- res Zeichen, dass es wieder einmal eindruckende Hinweise auf vielfäl- und des Erfolges sowie die „Flow“- unterstellen. Sie unterscheiden strikt kussionen über die Gewalthaltigkeit um bloße symbolische Politik geht tig vorhandene softskills, d.h. sozia- Erfahrung. Es geht nicht um die Ein- zwischen Spielerleben und Handlun- von Computerspielen müssten ehr- und ein Sündenbock gebraucht wird, le Kompetenzen und zwar in Verbin- übung reaktiver Handlungssche- gen in der außerspielerischen Wirk- licherweise auf die verbreitete Vio- um von eigenem Versagen abzulen- dung mit dem viel kritisierten Spiel mata. Die Jugendlichen wollen ge- lichkeit. Die Spieler wissen, dass bei- lenz moderner Gesellschaften zu- ken, und eine ganze Generation wür- Counterstrike. Am Schluss der Text- meinsam Strategien und Taktiken des nicht ineinander überführt wer- rückverweisen. Auch moderne Ge- de unter Verdacht gestellt. Das aber spalte heißt es dann: „Zu einer gu- entwickeln, aber auch im Spiel den kann, sondern dass da eine Kluft sellschaften sind von archaischen, mutet seltsam an, wenn wir die Er- ten Tradition sind [...] inzwischen die miteinander flexibel und reaktions- existiert. Wobei einige durchaus zu- immer wieder neu geformten und gebnisse der jüngsten Shell-Jugend- so genannten LAN-Partys geworden, schnell handeln. geben, dass ihnen Computerspiele auch ästhetisierten Gewaltbestre- studie (2006) dazu in Beziehung set- bei der Terroristen und Gegner in Gilt den Spielern die virtuelle gestatten, „böse“ zu sein, „ein Killer bungen durchherrscht, was in Spie- zen, die den Jugendlichen eine po- fröhlicher Runde gemeinsam viel Spielwelt als von Ethik und Moral und Schwein“ und für manche wir- len seinen Ausdruck findet. Compu- sitive und stabile Werthaltung attes- Spaß haben.“ Damit werden Team- freier Raum, ausgerichtet einzig auf ken sie als „Seelenhygiene“. terspiele sind nur so weit entwickelt tiert und vermerkt, dass sie sich ver- geist, plus Fröhlichsein, plus Spaß Macht, Kontrolle und Herrschaft? Computerspieler, ganz gleich, ob wie die Gesellschaft, in der sie ent- stärkt auf den Nahraum Familie und als die Hauptattraktionen des digi- Auf die Fragen der Kölner Forscher sie sich für Diablo, Quake oder Com- stehen und genutzt werden. Freundschaft orientieren und bei al- talen Spielens herausgestellt. um Jürgen Fritz nach ihrem Ver- mand & Conquer entscheiden, spie- Sollte aber die fehlende ethische lem Streben nach Unabhängigkeit In den vergangenen Jahren sind ständnis von Spiel- und Alltagsmo- len, wollen den sportlichen Wett- Qualität mancher Computerspiele zugleich den Sekundärtugenden immer wieder Computerspiele auf ral antworteten diese beispielsweise: kampf. Quake ist dann ein Teamspiel eine Aussage über den Zustand der Ehrgeiz und Fleiß huldigen. den Markt gekommen, die einerseits „Also das ist was völlig anderes, ob und ein Sport, und es geht den Ga- Gesellschaft sein, dann müssen wir bei den meist männlichen Spielern ich jetzt auf so ein Männeken auf ei- mern darum, besser als der Gegner schnellstmöglich darangehen, die Ge- Der Verfasser ist Professor für auf großes Echo stießen und die ner schönen Spielgrafik schieße oder zu sein. Dazu passt, dass bei Online- sellschaft menschlicher einzurichten. Kulturpädagogik an der Fachhoch- andererseits von selbsternannten auf einen Menschen. Das ist für mich Shooterspielen klare Regeln gelten Ein Verbot von Computerspielen schule Köln, Fakultät für Ange- Jugendschützern argwöhnisch, bis was völlig anderes“. Ein anderer und Erwartungen vorhanden sind, bedeutete, den größten Teil der heu- wandte Sozialwissenschaften ablehnend beurteilt wurden. Viele Spieler sagte: „Sonst hätte ich auch was die spielbezogene Kommunika- Jugendliche fahren ab auf Kampf- Bedenken, wenn ich jemanden an- tion der am Spiel Beteiligten anbe- und Kriegsspiele wie Counterstrike, greife beim [virtuellen, d.V.] Auto langt. Sie ist höflich und von gegen- Command & Conquer oder Doom, fahren – wenn ich jemanden ramme. seitigem Respekt getragen: „Also bei während Politik, Pädagogik und [...]. Aber, nee. Im Computerspiel ist dem Spiel, das ich spiele, da weiß ich, ConBrio Zeitschriften manche Eltern nach Verbot und Zen- das völlig was anderes. Da kann man ich spiele mit anderen Menschen und sur rufen; weil diese Spiele Gewalt sich so richtig austoben, wirklich.“ dann ist es für mich selbstverständ- verherrlichen und sogar zu Gewalt- Ein dritter Spieler offenbarte: „Beim lich, dass ich mit diesen Menschen taten angestiftet haben sollen. Computerspiel ist mir das eher wich- auch so umgehe, wie ich in der rea- In der Computerspielforschung tiger, dem anderen weh zu tun, die len Welt mit Menschen umgehen treffen wir nun auf eine Kontrover- Stützpunkte und so was, kaputt zu würde. Dass man einfach freundlich se: Für die eine Seite besteht kein machen. Aber im realen Leben bin zu einander ist. [...] Das sind einfach Zweifel daran, dass die Flut gewalt- ich ein friedlicher Mensch eigent- ganz wichtige Regeln des Umgangs haltiger Bilder wie ein systemati- lich. Ich gehe dann immer – also miteinander. Das macht einfach we- scher Konditionierungsprozess auf wenn sich da ein paar zanken soll- sentlich mehr Spaß, wenn man mit die geistige und seelische Entwick- ten, dann gehe ich immer weg. Dann Leuten auf einem Server spielt, die lung der Kinder einwirke und damit mache ich da lieber nicht mit“. nett und cool zu einander sind, die sich auch gegenseitig loben und ZEITUNG DES DEUTSCHEN KULTURRATES miteinander lachen oder so. Wenn du da irgendwelche Leute hast, die sich Fortsetzung von Seite 8 gegenseitig beschimpfen, das ist to- tal dämlich. [...].“ und Burgen, die in Computerspielen nigen Politikern vorschreiben lassen, Führt also ein direkter Weg vom Oper&Tanz dargestellt sind, erlauben tatsächlich welche Spiele ich weiter spielen darf Voyeur virtueller Gewalt zum realen Zeitschrift der VdO für einen Ausflug in die Vergangenheit, und welche mir zur Erhaltung meiner Täter? Das tut er eben nicht, denn Opernchor und Bühnentanz vor allem dann, wenn historische „seelischen Gesundheit“ verboten die Medienwelt und auch die der Vorlagen berücksichtigt worden werden sollen. Die so genannten „ge- Computerspiele bleibt eine sekun- sind. waltverherrlichenden“ Spiele und däre, eine symbolisch vermittelte Ein Defizit besteht allerdings deren Verbot für bestimmte Zielgrup- Welt. Sie ist nicht die Realität selbst, noch in den Handlungsabläufen, die pen sind Sache der „Bundesprüfstel- auch wenn sie mit dieser eng ver- reichlich schematisch und undiffe- le für jugendgefährdende Medien“ flochten scheint. Medien sind renziert sind. Wenn es hier gelingen (BPjM) und der „Unterhaltungssoft- niemals allein agierend und allein- sollte, plausiblere und an der (histo- ware Selbstkontrolle“ (USK), in deren verursachend. Wenn gleichwohl be- rischen) Realität orientierte „Quests“ alleinigem Zuständigkeitsbereich sie fürchtet wird, dass Spieler die Prä- ConBrio Verlagsgesellschaft, (Aufgabenstellungen) zu entwickeln, auch verbleiben sollten. missen, Handlungsvorgaben und Brunnstr. 23, 93053 Regensburg, könnte den Computerspielen eine Werte der Spiele übernehmen, dann Tel. 0941/945 93-0, Fax 0941/945 93-50, neue Dimension eröffnet werden. Der Verfasser ist Historiker und stellt sich die medienpädagogische E-Mail: [email protected], www.conbrio.de Eines sollte in keinem Falle pas- Leiter der Badischen Landesbiblio- Aufgabe – und sie ist allemal besser sieren: Ich möchte mir nicht von ei- thek in Karlsruhe als Zensur und Indizierung – um so STREITFALL: COMPUTERSPIELE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 10

Kulturtechnik Computerspiel Zu Unrecht zum Sündenbock gemacht • Von Lothar Mikos Computerspiele geraten immer sie hätten.“ Aus diesem Grund sind Kulturtechnik des Spielens denn be- wieder in die öffentliche Diskussi- Medien für die Ausbildung der eige- herrscht. on, denn sie werden gerne als Sün- nen Identität besonders wichtig. Das Für Computerspiele gilt denn denbock benutzt, wenn es darum trifft auch auf Computerspiele zu, auch, was für alle anderen Medien geht, Gewalttaten von Jugendlichen auch wenn Mead sie noch nicht ken- und Kulturtechniken auch gilt: Vom zu erklären. Die generelle Urfurcht nen konnte. Inhalt eines Spiels, eines Buches oder vor negativen Auswirkungen von Computerspiele gestatten den eines Films allein lässt sich nicht auf Medien im Allgemeinen und Com- Spielern, in der Phantasie Kontrolle eine Wirkung schließen, sondern auf puterspielen im Besonderen ver- über eine fiktive Welt zu erlangen, den sozialen Gebrauch kommt es an. stellt den Blick für die positiven gepaart mit dem Wunsch erfolgreich Erst eine Auseinandersetzung mit den sozialen und individuellen Auswir- zu sein, wie der Computerspiel-Ex- Gesehenen oder Erlebten führt zur kungen der Medien. perte Jürgen Fritz festgestellt hat. Reflektion und Bewertung der Inhal- Wettbewerbsorientierte Spiele spre- te. So kann ein Spiel beispielsweise chließlich spielen Computerspie- chen Macht- und Ohnmachtsgefüh- trotz eines erfolgreichen Spielverlaufs S le im Leben von Jugendlichen le der Spieler an. Wird die Hand- von einem Spieler aufgrund bestimm- auch keine Hauptrolle. Die wichtigs- lungsanforderung erfolgreich bewäl- ter inhaltlicher oder moralischer As- te Freizeitaktivität ist nach wie vor tigt, verhilft dies zu einer spezifi- pekte abgelehnt und damit auch ab- das Treffen mit Freunden. Lediglich schen „Erledigungsmacht“. Kinder gewertet werden. Diese Bewertungen 12 Prozent der 12 bis 19-jährigen und Jugendliche werden in ihrem sind in der sozialen Wirklichkeit der nutzt Computerspiele täglich bzw. Alltag kontinuierlich mit Situationen Spieler verankert. Vor allem mit mehrmals pro Woche, wie die aktu- des Kontrollverlust über eigene Ent- Gleichaltrigen wird die Bedeutung von elle Studie „Jugend in den Medien scheidungen konfrontiert. In Com- Medien ausgehandelt, und eben nicht 2006“ (JIM 2006) des Medienpädago- puterspielen, die diese Thematik mit Erwachsenen, seien es nun Eltern, gischen Forschungsverbundes Süd- aufgreifen, bieten sich Anknüp- Pädagogen oder Politiker. Die haben west ausweist. Hinzu kommen noch fungspunkte und die Möglichkeit aufgrund ihrer eigenen Mediensozia- einmal 16 Prozent, die sich einmal positive Machtsituationen zu erfah- lisation in der Regel keinen Zugang zu pro Woche bis einmal in 14 Tagen mit ren. Im Spiel lässt sich die Anerken- Computerspielen, sondern wenn sie Computerspielen befassen. Aller- nung erlangen, die im Alltag man- älter als 50 Jahre sind häufig noch dings sind es 40 Prozent der Jungen ches Mal versagt bleibt. Das Gefühl nicht einmal zum Film und zum Fern- und nur 11 Prozent der Mädchen, die der Handlungsmächtigkeit zählt zu sehen, sondern lediglich zu Büchern sich spielerisch am Computer betä- den wesentlichen positiven Effekten und anderen Printmedien. In der öf- tigen. Für diese Jugendlichen gehö- von Computerspielern. Außerdem fentlichen Diskussion zeigen sie dies ren Computerspiele zu ihrem Alltag bieten gerade die actionreichen nur allzu gern und offenbaren damit dazu. Das heißt aber nicht, dass sie Computerspiele ähnlich wie Horror- vor allem ihre Ängste im Umgang mit täglich davor verkümmern und kei- filme die Möglichkeiten, sich im neueren Medien. ne anderen sozialen Kontakte hätten. Spiel und in der Phantasie mit Tabu- Computerspielen gehören in Die medienpädagogische Forschung brüchen auseinanderzusetzen. Dar- Maßen zum Alltag heutiger Jugend- zum Medienalltag von Kindern und aus lässt sich ein besonderes Vergnü- licher, aber sie dominieren diesen Jugendlichen hat immer wieder ge- gen mancher Spieler ableiten. Die Alltag nicht. Jugendliche gehen mit zeigt, dass es besonders aktive Kids Nichtbeachtung gesellschaftlicher einer Vielzahl von Medien um und gibt, die sich allen Medien und ande- Konventionen, die sich in der ableh- haben dabei Nutzungsmuster entwi- ren Freizeitaktivitäten überdurch- nenden Haltung zahlreicher Eltern, ckelt, die sich von denen der Er- Das ZKM Medienmusuem zeigt eine Sammlung von Computern und Spiel- schnittlich häufig zuwenden, und sol- Pädagogen und Politiker gegenüber wachsenen unterscheiden. Wenn es konsolen von 1974-1999 che, die das seltener tun. So gibt es, diesen Spielen ausdrückt, kann so zu denn eine negative Auswirkung von © Boris Jakubasch, Peter Walter, Christian Scherr und Ralph Salm wie die Daten der JIM-Studie auswei- positiven Emotionen der jugendli- Computerspielen zu geben scheint, sen, erheblich mehr Jugendliche, die chen Spieler führen. Allerdings soll liegt sie offenbar in einer Verfesti- gegebenen Logik, scheinen Mäd- möglichen, denn nur so werden sie sich lesend betätigen als solche, die nicht verschwiegen werden, dass ein gung geschlechtsspezifischer Rol- chen in fremde Welten zu entfliehen, in die Lage versetzt, selbst über Sinn sich Computerspielen zuwenden. missglückter Spielverlauf zu Frustra- lenmuster. Während Jungen sich die sie sich passiv lesend aneignen. und Unsinn von Medien zu entschei- Allerdings zeigt sich hier ein umge- tionen auf Seiten der Spieler führen spielerisch kognitive und emotiona- Welche dieser beiden Kulturtechni- den. Ziel aller medienpädagogi- kehrter Effekt, denn es sind mehr kann. Das Aushalten von Frustratio- le Fähigkeiten aneignen, die sie auf ken für die künftige individuelle, so- schen Bemühungen ist und bleibt Mädchen die lesen. nen und Niederlagen ist jedoch ein eine Logik des Computers und sei- ziale und gesellschaftliche Lebens- der sozial handlungsfähige Mensch. Sowohl das Lesen als auch das wichtiger Lernaspekt im Sozialisati- ner Handhabung beschränken, ori- gestaltung bedeutsamer ist, lässt Computerspielen sind als Kultur- onsprozess von Kindern und Jugend- entieren sich Mädchen offenbar an sich nicht entscheiden. Vielmehr Der Verfasser ist Soziologe und techniken zu begreifen – das gilt lichen, der gerne vernachlässigt und der „alten“ Kulturtechnik des Lesens. geht es darum, möglichst vielen Ju- lehrt Fernseh- und Medienwissen- auch für Fernsehen und Filme unterschätzt wird. Computerspiele Während die Jungen in fremde Wel- gendlichen unabhängig welchen schaft an der Hochschule für Film schauen. Lesend und Computer fördern daher kognitive und emoti- ten eintauchen, um sie aktiv zu ge- Geschlechts den Zugang zu einer und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Pots- spielend eignen sich junge Men- onale Fähigkeiten, wenn man die stalten – wenn auch nach einer vor- Vielzahl von Kulturtechniken zu er- dam-Babelsberg schen die Welt an – nicht die Welt, wie sie ist, sondern eine mögliche Welt. Das ist eine der wesentlichen Eigenschaften von Erzählungen: Sie stellen mögliche Welten dar, in die Lernen mit Computerspielen der Spieler und die Leserin eintau- Die positiven Folgen des Computerspielens • Von Hartmut Warkus chen können. Diese möglichen Wel- ten müssen so gestaltet sein, dass die Die öffentliche Diskussion, falls sie ein Scheitern als Motivation zum sens herausarbeiten und aufbauen. lungsvermögen gefragt. Nur so ha- Nutzer damit etwas anfangen kön- überhaupt stattfindet, zu populären neuen Versuch mit anderer Strategie Der Beitrag der Computerspiele zu ben wir die Chance zu verstehen nen, das heißt, es muss Anknüp- Computerspielen wird durch die nehmen und natürlich dabei lernen diesem Prozess liegt auf der Hand, und können Potenziale entdecken fungspunkte zu ihrem Leben geben, Thematisierung problematischer und Spaß haben. wird aber nicht im Selbstlauf er- und nutzbringend verwenden. zu der Welt, die sie kennen. In einer Aspekte und möglicher Risiken ge- Aber wir werden das nur bemer- bracht. Spielinhalte und Spiele Im Jahr 2004 hat das JFF – Insti- erzählten Welt müssen daher ähnli- prägt. Über positive Folgen des ken, wenn wir hin- und nicht weg- müssen zielgerichtet, didaktisch tut für Medienpädagogik in For- che Regeln gelten, wie in der wirkli- Computerspielens nachzudenken, sehen. Lehrerinnen und Lehrer wä- durchdacht eingesetzt werden. Die schung und Praxis München ein chen Welt. Hier wie dort muss auf- scheint wenig ertragreich. Es ist je- ren froh, wenn sie in ihrem Unter- mediendidaktischen Konzepte als Forschungsprojekt abgeschlossen, grund der Schwerkraft ein Apfel vom doch auch Tradition in der Medien- richt diese Beobachtungen bei den gedankliches Werkzeug, um im Un- in dem nach „Kompetenzförderli- Baum fallen. Tut er das nicht, son- pädagogik (vgl. z.B. „Schulfilmbewe- Lernenden machen können. Popu- terricht sinnvoll, fachgerecht und chen Potenzialen“ in populären dern entschwebt leicht wie eine Fe- gung“), auf positive Aspekte der Me- läre Computerspiele, es sind hier erfolgreich mit neuen Medien han- Computerspielen geforscht wurde. der, müssen Erklärungen dafür ge- diennutzung nicht nur hinzuweisen, nicht spezielle Lernspiele bzw. Lern- deln zu können, gibt es schon. Aber Untersucht wurden akribisch, theo- funden werden. So kann es sich z.B. sondern mögliche Chancen aufzu- software gemeint, sind aber nicht die wo sind die Lehrerinnen und Leh- riegeleitet und wissenschaftlich ex- um Science Fiction handeln – die zeigen. Konkurrenz zum Lernen in der Schu- rer, die dies umsetzen, die sich die- akt dreißig damals aktuelle Compu- erzählte Geschichte spielt dann in le, sondern mögliche Ergänzung. se „aktive Gestaltung von Wissen“, terspiele (ausschließlich Singleplay- einer Welt, in der andere Regeln und n der Forschung werden die den Doch, um nicht missverstanden zu wie sie sich im Alltag von Heran- er). Die Analyse der Medien ergab Gesetze gelten, als in unserer Alltags- I Spielen inhärenten Lernmöglich- werden, ich bin auch als Spieler wachsenden beim Umgang mit förderliche Potenziale für kognitive welt. Die Faszination der Medien keiten kaum untersucht und disku- nicht der Meinung, dass jedes Com- Computerspielen fast selbstver- und persönlichkeitsbezogene Kom- gründet in erster Linie darin, dass sie tiert. Das ist mehr als unverständlich puterspiel in oben beschriebenem ständlich vollzieht, für das Lernen petenz sowie für Sensomotorik. uns ein Probehandeln in der Phan- angesichts der Tatsache, dass sich Sinn genutzt werden kann. Hier zum Nutzen machen. Eher gering waren die Förderungs- tasie gestattet, ohne dass wir Konse- die Hypothese vom Vorhandensein müssen sehr wohl didaktisch be- Unsere Unwissenheit und Skep- potenziale für Medienkompetenz quenzen in unserer sozialen Wirk- von Lernpotenzialen in Computer- gründete Entscheidungen getroffen sis gegenüber dem, was Heran- und soziale Kompetenz. Dringend lichkeit befürchten müssen. Der So- spielen in der Regel schon durch ein- werden. Ich bin jedoch überzeugt wachsende mit Computerspielen geboten wären nun weitergehende zialpsychologe George Herbert fache Beobachtung von am Compu- davon, dass Lehrerinnen und Lehrer, tun, verstellt uns den Blick auf die Forschungen, die die erreichten Er- Mead hatte dies bereits in den ter spielenden Kindern stützen lässt. die selbst Computerspiele spielen, Lernpotenziale, und die Kinder und gebnisse durch die Einbeziehung der 1920er Jahren des vorigen Jahrhun- Meist ist der Erwachsene verblüfft sehr bald Ideen dafür entwickeln, Jugendlichen selbst werden sie na- Nutzerperspektive (wie nimmt der derts erkannt. In seinem Hauptwerk von der Geschwindigkeit des Spiels, dass das, was den Kindern und Ju- türlich auch nicht entdecken. Wir Spielende dies Potenziale wahr?) er- „Geist, Identität und Gesellschaft“ der Präzision und Sicherheit mit der gendlichen in ihrer Freizeit Spaß dürfen nicht ungläubig, vielleicht gänzen würden. Ein entsprechen- heißt es: „In der Literatur, im Film Aufgaben und Probleme gelöst wer- macht, potenziell auch zum Lernen sogar erschrocken daneben stehen der Auftrag ist längst überfällig. und in der Kunst leitet sich ein Groß- den. Man sieht den Spielenden an, zu nutzen. und abfällige Bemerkungen zum Untersuchungsergebnisse zu teil unseres Vergnügens aus der Tat- mit welcher Freude sie die Heraus- Lehrende wissen, dass Lernen Spiel machen, sondern müssen Fra- Potenzialen von Computerspielen, sache ab, dass zumindest in der forderungen des Spiels annehmen, ein aktiver (auch interaktiver) Pro- gen stellen, uns erklären lassen, was aber auch die Praxis des Computer- Phantasie Möglichkeiten freigesetzt wie sie Wissen und Fähigkeiten ab- zess ist, bei dem Lernende neues das Spiel ausmacht und was der werden, über die wir verfügen oder rufen, Fertigkeiten entwickeln, sich Wissen und neue Konzepte auf der Spielende mit welchem Ziel tut. Weiter auf Seite 11 von denen wir wünschten, dass wir an schwierigen Aufgaben versuchen, Grundlage bereits vorhandenen Wis- Hier ist auch Geduld und Einfüh- STREITFALL: COMPUTERSPIELE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 11

nen Lernzielen und Potenzialen in tivation entlang des Geschehens im auch Alternativen zu finden sind. zur Reflexion und zu bewusstem Fortsetzung von Seite 10 Computerspielen sind auch denk- beliebten Computerspiel geübt und Das Spiel könnten und sollten Ge- Handeln. Das sollten wir befördern. bar: Rennspielfans wären nicht nur gefestigt und obendrein kann man nerationen miteinander spielen. Wir müssen den Spielerinnen und spielens müssen Gegenstand der überrascht, sondern hoch erfreut, auch noch Handlungsweisen und Man wird viel voneinander lernen Spielern nicht das Spielzeug neh- Lehreraus- und Lehrerweiterbil- wenn ihnen der Physiklehrer nach Absichten der Spielerinnen disku- und Spaß dabei haben, und es soll- men. Wir sollten gute Spiele definie- dung sein. Wenn eine Lehrerin oder dem gemeinsamen Anschauen ei- tieren und bewerten. te von Lehrern, siehe oben, beach- ren, herausstellen und entwickeln, ein Lehrer bemerkt, dass in einer nes gescheiterten Überhohlmanö- Das in Deutschland entwickelte tet werden. „ANNO 1701“ sei auch und wir sollten ganz bewusst das Klasse ein Großteil der Schüler- vers beim Spielen von „Need For Spiel „ANNO 1701“erschien Ende den bisherigen Skeptikern und Spielen zum Lernen nutzen. In der innen und Schüler ein bestimmtes Speed: Carbon“ die Ursache für das vergangenen Jahres als dritter Teil Nichtspielern als Einstieg empfoh- frühen Kindheit machen das Eltern Computerspiel oder ein bestimmtes Scheitern erläutern würde und sie einer sehr beliebten Reihe. Es ist ei- len. mit großer Selbstverständlichkeit. Spielegenre bevorzugen, sollte dies auch noch Tipps für eine erfolgrei- nes der erfolgreichsten, auch ausge- Das „Tutorial“, eine Einführung in Es muss überlegt werden, ob es auch zum Gegenstand des Unter- che Fahrweise unter Beachtung zeichneten, Aufbau-Strategiespiele. Spiel und Spielsteuerung, ist außer- nicht sinnvoller ist, statt Gesetze ge- richts werden. Natürlich erfordert physikalischer Gesetze erhalten Im Spiel wird ein hohes Maß an Wis- ordentlich gelungen und macht es gen Spiele in den Bundesländern zu dies den Lehrenden, der sich aus- könnten. Gegen ein gemeinsames sen zu den verschiedensten Sachge- auch Anfängern leicht, zum Spiel zu diskutieren, sich Gedanken darüber kennt mit Spiel bzw. Genre. Das Spielen mit anderen Lehrerinnen bieten verlangt, um das Spiel erfolg- finden. In Leipzig werden wir das zu machen, wie die Kluft zwischen muss nicht bedeuten, dass genau und Lehrern bei anschließender reich gestalten zu können. Die Spiel in der Lehrerweiterbildung denen, die neue Medien ganz dieses Spiel bekannt ist. Im Unter- Auswertung hätte keine Schülerin „künstliche Intelligenz“ ist so ge- einsetzen. Nicht nur die Lehrerin- selbstverständlich nutzen, und de- richt könnten von den Schülerinnen und kein Schüler etwas einzuwen- staltet, dass ein Spielen nach dem nen und Lehrer für das Fach Ge- nen, die gar nicht wissen, was da und Schülern entwickelte Lösungs- den. „Versuch-Irrtum-Muster“ keinen schichte werden sehr schnell die eigentlich gespielt wird, verringert strategien, bewältigte Probleme, Die vor allem bei Mädchen so Erfolg und keinen Spaß bringt. Da Potenzen für das Lernen erkennen. werden kann. Lehrerinnen und Leh- Ideen für künftige Spielzüge, aber beliebte Simulation „Die Sims“ bie- man nicht nur Natur und Umwelt, Bei allen Bemühungen um ein rer zur jährlich nachzuweisenden auch nur einfache Schilderungen tet eine ganze Reihe von „interes- sondern auch eine ganze Gesell- „Lernen mit Computerspielen“ Fortbildung zu neuen Medien zu ver- von Spielverläufen besprochen wer- santen“ Aufgaben, die viel lieber er- schaft für das Spielgeschehen nutzt müssen jedoch von Beginn an die pflichten, könnten die Länder be- den. Dies ist Gegenstand schuli- ledigt würden als die, die sich Leh- und voranbringen muss, um erfolg- Spielerinnen und Spieler, die Her- schließen. schen Lernens und lässt sich nicht rerinnen und Lehrer sonst so aus- reich zu sein, ist hier der Rat von Er- anwachsenden ernst genommen nur im Curriculum des Faches denken. Die Darstellungsformen wachsenen, erfahrenen Personen, und einbezogen werden. Fragen Der Verfasser ist Professor für Deutsch finden. Folgende Beispie- „Bericht“, „Schilderung“, „Erzäh- durchaus willkommen. Die Spielzü- bringen die Spielenden zum Nach- Medienpädagogik an der Universi- le für eine Verbindung von allgemei- lung“ werden sicher mit hoher Mo- ge sind immer diskutabel, da hier denken über ihr Tun, Erklären führt tät Leipzig Rote Teppiche für die Spielebranche Von Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz Die Fernsehbranche hat die Grim- me-Preise des Deutschen Volks- hochschulverbands, die Filmbran- che hat die Lola der Deutschen Filmakademie und die Bären der Berlinale, die Buchbranche hat den Deutschen Buchpreis des Börsen- vereins des deutschen Buchhandels und den Deutschen Kinder- und Ju- gendliteraturpreis des Arbeitskrei- ses für Jugendliteratur, die Musik- branche hat den Echo der Deut- schen Phono-Akademie und den Le- opold des Verband deutscher Musik- schulen, die Computer- und Konso- lenspielebranche hat: ein schlechtes Image. Eigentlich erstaunlich für eine Branche mit einem Jahresum- satz von 1,1 bis 1,2 Mrd. Euro in Deutschland. Verwunderlich ist es auch, wenn man bedenkt, dass die Spielebranche nicht nur ständig mit neuer Software aufwartet, sondern ebenso neue Hardware, also PC oder Spielkonsolen, verlangt. Denn eines ist klar: Für die reine Textver- arbeitung oder Tabellenkalkulation reichen die Computer aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts noch aus. Um Spiele optimal spie- len zu können, sind stetige Investi- tionen in Grafikkarten und Speicher- erweiterungen erforderlich. D.h. auch die Hersteller und Importeure von Computern, Computerzubehör sowie von Spielekonsolen müssten eigentlich ein ureigenstes Interesse daran haben, dass sich das Image der Spielebranche verbessert.

ie Computer- und Konsolen- D spielebranche gehören zum Präsentation von World of Warcraft am Blizzard. © Leipziger Messe GmbH, Foto: Uwe Frauendorf großen Bereich der Massenkommu- nikation, dem auch der Rundfunk, reine Unterhaltung bis hin zu dem Arbeitskreis für Jugendliteratur. Das Die Nominierung für den Adolf- In der Computer- und Konsolenspie- der Filmbereich, der Buch- und Zei- was gemeinhin als Schund bezeich- Preisgeld wird bereits seit Jahrzehn- Grimme-Preis des Deutschen Volks- lebranche fehlen solche Auszeichnun- tungsmarkt und die Tonträgerbran- net wird. Ebenso wie es verfehlt ist, ten vom Bundesministerium für Fa- hochschul-Verbands ist für alle Fern- gen bislang. Zwar bewerten die Com- che zu zurechnen sind. Im Unter- den Rundfunkanbietern insgesamt milie, Senioren, Frauen und Jugend sehanstalten – private wie öffentlich- puter- und Spielezeitschriften die schied zum Kunstmarkt, der indivi- vorzuhalten, dass die Inhalte verfla- zur Verfügung gestellt. Der Kinder- rechtliche – eine wichtige Auszeich- Games, doch werden diese eher von dualisiert ist und bei dem ein Samm- chen und anspruchsvolle kaum zu und Jugendliteraturpreis wird in ver- nung. In Pressemitteilungen wird den Insidern gelesen, die ohnehin die ler ein Original bzw. ein Blatt einer finden seien, können Computer- schiedenen Kategorien u.a. im Bilder- wie in einer Leistungsbilanz darauf Medien bereits nutzen. Diejenigen, limitierten Auflage von einem be- und Konsolenspiele über einen buch und Sachbuch für Kinder und verwiesen wie gut die Sender jeweils die nach einer Orientierung auf dem stimmten Künstler kauft, geht es bei Kamm geschoren werden. Das Ange- Jugendliche vergeben. Neben der abschneiden. Speziell für private Markt suchen, wie z.B. Großeltern, die den Massenmedien darum, dass ein bot ist hier wie dort ausdifferenziert. Auszeichnung der Autoren, die als Fernsehanbieter, die teilweise eher ihren Enkeln ein „gutes“ Spiel schen- Produkt vielfach hergestellt und ver- Gerade weil der Markt bei den solche bereits wichtig ist, ist der Preis ein „Schmuddelimage“ haben, ist ken wollen, stehen zumeist ratlos vor breitet wird. verschiedenen Massenmedien teil- auch eine Marktförderungsmaßnah- eine Auszeichnung mit einem Grim- einem großen Angebot. Eine Aus- Die Kritik an den Massenmedien weise so unübersichtlich ist, kommt me. Die Verlage bewerben bereits die me-Preis von sehr hohem Wert. Im zeichnung besonders interessanter ist so alt wie die Massenmedien den Preisen und Auszeichnungen nominierten Titel mit einer Plakette, Gegenzug fühlen sich die öffentlich- oder innovativer Spiele könnte zur selbst. Sie begann als Kritik an Zei- eine so große Bedeutung zu. Sie spie- mit der auf die Nominierung hinge- rechtlichen Rundfunkanstalten an- Markttransparenz beitragen sowie die tungen, die als schädlich und spezi- geln zum einen wieder, was am Markt wiesen wird. Selbstverständlich wer- gespornt, den Wettbewerb um den Entwicklung von Spielen stimulieren. ell für Frauen als gefährlich angese- erfolgreich ist, wie z.B. die Auszeich- den die ausgezeichneten Bücher zu- Adolf-Grimme-Preis für sich zu ge- Ein solcher roter Teppich für die Spie- hen wurden und befindet sich heu- nungen mit dem Echo, die anhand sätzlich mit Plakaten, Broschüren winnen. lebranche würde neue Impulse geben te an dem Punkt, an dem vor einer der Chartplatzierungen vergeben und anderen Werbemitteln bewor- Wettbewerb – und sei es auch ein und dazu beitragen, das Schmuddel- zu intensiven Nutzung des Compu- werden. Sie können aber auch genau ben. Die Auszeichnung eines Buches immaterieller – belebt also bei den image abzubauen. ters als Spielgerät von Kindern und gegen den Mainstream gerichtet sein mit dem Deutschen Kinder- und Ju- Massenmedien das Geschäft. In ei- Jugendlichen gewarnt wird. und auf Produkte aufmerksam ma- gendliteraturpreis ist eine Art Güte- nem unübersichtlichen Markt bür- Olaf Zimmermann ist Geschäfts- Massenmedien zeichnen sich chen, die ansonsten weniger Beach- siegel, die auch den Käuferinnen und gen anerkannte Auszeichnungen für führer des Deutschen Kulturrates. durch eine sehr große Bandbreite tung fänden. Ein Beispiel hierfür ist Käufern, die eher unsicher sind, wel- hohe Akzeptanz wie z.B. der Echo Gabriele Schulz ist Wissenschaftli- aus. Die Bandbreite reicht von kul- der Deutsche Kinder- und Jugendli- ches Buch sie kaufen sollen, eine Ori- oder für besondere Qualität wie z.B. che Mitarbeiterin des Deutschen turell anspruchsvollen Inhalten über teraturpreis. Er wird vergeben vom entierung bieten. der Adolf-Grimme-Preis. Kulturrates STREITFALL: COMPUTERSPIELE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 12

Förderung von Compterspielen Eine neue prägende Kraft in Gesellschaft und Wirtschaft • Von Christoph Pries Es gibt viele Definitionen dessen, Fehlende Anerkennung der Kinder was unter „Kultur“ zu verstehen sei. und Jugendlichen, Vernachlässigung Folgt man der Definition von Kultur und Benachteiligung, Perspektivlo- als „künstlich erzeugter Illusion“ sigkeit, Hilflosigkeit von Eltern und (William Butler Yeats) oder begreift Pädagogen sowie schließlich Fragen sie allgemeiner als Ausdruck der der Medienkompetenz sind Fakto- menschlichen Zivilisation, so fällt es ren dieser Problematik. Es muss da- leicht, Computerspiele als mitprä- her über weitere Maßnahmen disku- gend für unsere Gesellschaft und tiert werden, der Ausgrenzung vor- Kultur zu betrachten. Dies gilt erst zubeugen, bzw. ausgegrenzte Kinder recht, da Spiele als eine der ältes- und Jugendliche besser zu integrie- ten Kulturtraditionen überhaupt die ren, damit sie sich nicht als Versager menschliche Zivilisation von Anfang fühlen, der davon träumt, der Gesell- an begleitet haben. Andere Auffas- schaft zurückzuzahlen, was diese sungen dessen, was Kultur aus- ihm angetan hat. macht, schließen Computerspiele Der Jugendschutz in Deutsch- wiederum kategorisch aus. land wird international als vorbild- lich angesehen. Neben dem Jugend- leichwohl: Computerspiele be- schutzgesetz und dem Jugendmedi- G setzen in der Kulturwirtschaft enschutz-Staatsvertrag zeigt auf ju- inzwischen eine bedeutende Positi- ristischer Seite insbesondere der Pa- on. In jedem dritten deutschen ragraf 131 Strafgesetzbuch die Gren- Haushalt steht eine Spielkonsole. zen des Erlaubten auf. Demnach ist Die neue Playstation III ging inner- sowohl die Verbreitung, als auch das halb von zwei Tagen in Europa Zugänglichmachen von Gewaltdar- 600.000 mal über die Ladentheke. 98 stellungen an Personen unter 18 Jah- Prozent der 12 bis 19-jährigen haben ren strafbar. Zugang zum liebsten „Spielzeug“ der Ein zweiter Baustein des Jugend- Deutschen, dem PC. Die Branche schutzes ist das staatlich überwach- boomt nicht nur, sie generiert tech- te System der Alterskennzeichnung. nologisch maßgebliche Impulse für Analog zur freiwilligen Selbstkont- die audiovisuellen Medien im Allge- rolle der Filmwirtschaft (FSK) ist für meinen. Ohne den kontinuierlich den Bereich der Spiele die Unterhal- wachsenden Hardware-Hunger der tungssoftware-Selbstkontrolle (USK) Computerspiele fiele die Leistungs- zuständig. Vertreten sind hier unter fähigkeit heutiger Rechner sicherlich anderem die Länder, die Kirchen, deutlich geringer aus. Verbände der Spielehersteller, Wis- Mit einem Umsatz von weit mehr senschaftler und Medienpädagogen. als einer Milliarde Euro läuft die Die dritte Säule stellt die Bundes- Computerspielbranche dem Kino prüfstelle für jugendgefährdende inzwischen den Rang ab. Bis 2009 Medien (BPjM) dar. Diese entschei- Sony Computer Entertainment, Playstation © Leipziger Messe GmbH, Foto: Uwe Frauendorf wird gar mit einem Umsatz von drei det darüber, ob ein Computerspiel Milliarden Euro gerechnet. Deutsch- indiziert wird und damit Jugendli- ben sich in den letzten Jahren inter- daher für geboten, die öffentliche Ak- im Hinblick auf andere Branchen land gehört international mit zu den chen unter 18 Jahren nicht zugäng- national einen guten Ruf erworben. zeptanz für Computerspiele, unter weiter zu erhöhen. umsatzstärksten Ländern für Com- lich gemacht werden darf. Kontraproduktiv für die Entwicklung anderem durch die Förderung der Wie eine derartige Förderung aus- puterspiele. Die Umsätze fließen Im Koalitionsvertrag zwischen der Branche in Deutschland wirken Nutzung von qualitativ hochwertigen zugestalten ist – kulturell, institutio- allerdings maßgeblich im Ausland SPD und Union wurde vereinbart, sich jedoch nicht nur die hierzulande sowie kulturell und pädagogisch wert- nell, technologisch – und welche Kri- angesiedelten Unternehmen zu. die Bestimmungen zum Jugend- geführten, monokausalen Debatten vollen Computerspielen, zu erhöhen. terien zum Tragen kommen sollen, Deutsche Spieleverlage sind bisher schutz zu evaluieren, um gegeben- über „Killerspiele“ aus. Erschwerend Wir glauben, dass eine verstärk- wird in Kooperation mit den entspre- fast ausschließlich auf dem nationa- enfalls politischen Handlungsbedarf kommt hinzu, dass die Branche nicht te Förderung von solchen Compu- chenden Partnern zu erörtern sein. len Markt aktiv, wobei nur cirka zehn aufzuzeigen. Bezüglich des Teilseg- die Förderung erfährt, die in anderen terspielen angesichts der derzeitigen Prozent der in Deutschland verkauf- ments zum Bereich Video- und Com- Ländern wie Frankreich, Kanada und und noch zu erwartenden Entwick- Der Verfasser ist Mitglied des ten Titel auch hier entwickelt wor- puterspiele werden Ergebnisse Mit- Korea längst üblich ist. lung geeignet ist, die Attraktivität Deutschen Bundestages und den sind. te des Jahres vorliegen. Ob auf Sei- Die Kultur- und Medienpolitiker Deutschlands als Wirtschaftsstand- Vorsitzender des Unterausschusses Die Bedeutung der Computer- ten des Gesetzgebers Handlungsbe- der SPD-Bundestagsfraktion halten es ort im Bereich Multimedia aber auch Neue Medien spiele für die Kulturwirtschaft be- darf besteht, wird nach Auswertung zieht sich aber nicht nur auf den rei- der Studie gründlich und sachlich nen „Markt“, sondern auch auf das diskutiert. Wirken in andere Kulturbereiche. So Exzessive Gewaltdarstellungen, lief bis Mitte März in der New Yorker das gilt für Fernseh- und Kinofilme, Kulturgut: Computerspiele!? „Postmasters Gallery“ eine Ausstel- aber auch für Computerspiele, in die Der Games-Kanon der Library of Congress/USA • Von Kristin Bäßler lung mit 13 großformatigen Porträts. der Spielende aktiv involviert ist, Dabei handelte es sich um Abbilder können Einfluss auf die Entwicklung Was in Deutschland noch unvorstell- ist den Spielen gemein, dass sie alle wicklung der Computerspiele in den künstlicher Figuren aus dem Online- eines jungen Menschen zu einer ei- bar scheint, wurde in den USA jetzt den Beginn einer neuen Spieleära letzten vier Jahrzehnten zu doku- Spiel „Second Life“. Nach Angaben genverantwortlichen und gemein- realisiert: Wie die New York Times formulierten. Spacewar zum Beispiel mentieren und den Wert der Compu- der Galerie sollten die ausgewählten schaftsfähigen Persönlichkeit neh- berichtet, hat eine der bedeutends- war eines der ersten Action und Mul- terspiele als Kulturgut unserer Zeit Bilder eine Hommage an Andy War- men. Dem Verantwortungsbewusst- ten Bibliotheken der Welt, die Libra- tiplayer Spiele überhaupt. SimCity zu zeigen. hol sein, der in den sechziger Jahren sein der Eltern, Geschwister, Lehrer ry of Congress, Videospiele zu ei- läutete den Beginn der so genannten Dass sich dem Thema Compu- Porträtserien wie „13 Most Beautiful und der Gesellschaft kommt daher nem wertvollen Kulturgut ernannt. „God Games“ ein, in denen die Spie- terspiele auch künstlerisch genähert Boys“ und „13 Most Beautiful eine herausragende Bedeutung zu. ler die Kontrolle über die Spielewelt werden kann, zeigt das Medienmu- Women“ erstellt hatte. Es ist kein Zeichen von Großmut orangegangen ist dieser Ernen- haben und damit eine omnipotente seum des Zentrums für Kunst und Echtes und virtuelles Leben, oder antiautoritärer Erziehung, Kin- V nung ein Antrag von Henry Lo- Rolle einnehmen. Super Mario Bros. Medientechnologie (ZKM) in Karls- Spiel und Alltag vermischen sich dern den Zugriff auf Spiele bzw. ge- wood von der Wissenschafts- und 3 erhielt seine Bedeutung durch sein ruhe. Seit 2004 beschäftigt sich das immer stärker. Die weitere Entwick- walthaltige oder pornografische Fil- Technologiesammlung der Universi- nichtlineares Spiel, dass den Spie- Museum mit dem Thema der inter- lung wird auch den Kulturbereich im me zu gestatten, die für sie nicht ge- tät Stanford, einen Games-Kanon zu lern die Möglichkeit gab, ihre Figu- aktiven Kunst und zeigt neben inter- zunehmenden Maße beeinflussen. eignet sind. erstellen, dem die Library of Con- ren vor und zurück zu bewegen. aktiven Filmen Simulationstechnik Die in Deutschland, insbeson- Verantwortungsvoller Umgang gress zustimmte. Zustande gekom- Mit der Genehmigung dieses Ka- für den Cyberspace und den Einsatz dere seit der Bluttat von Erfurt im mit den Medien, das Einschätzen men ist ein Kanon mit den zehn nons werden Computerspiele nun, aktueller Softwareapplikationen im Jahre 2002 und aktuell nach dem von Risiken, das Reflektieren von In- wichtigsten Computerspielen aller ähnlich wie Filme, in den USA als Internet. Das Museum sagt von sich Amoklauf in Emsdetten geführte halten, mit anderen Worten: Das An- Zeiten. Dazu gehören: Spacewar! Kulturgut behandelt. Darüber hin- selber, dass es Medienkunst mit der Debatte über Computerspiele fokus- eignen von Medienkompetenz, ist (1962), Star Raider (1979), Zork aus ist der Games-Kanon ähnlich ge- populären Spielekultur konfrontiert siert sich in erster Linie auf ge- daher eine Aufgabe für alle Genera- (1980), Tetris (1985), SimCity (1989), formt wie der des National Film Pre- und darüber hinaus Forschungspro- walthaltige PC-Spiele bzw. auf die tionen. Wenn der unkontrollierte Super Mario Bros. 3 (1990), Civiliza- servation Board, das jedes Jahr eine jekte neben didaktische Arbeitsplät- Frage eines Verbotes derartiger Spie- Konsum von Medien – wie immer tion I/II (1991), Doom (1993), die Liste mit Filmen zusammenstellt. ze stellt. Dabei scheut das Museum le. Die Diskussion hinterlässt in der häufiger zu beobachten – andere fa- Warcraft Serie (Beginn 1994) und Verwaltet wird diese ebenfalls von auch nicht „die kritische Auseinan- breiten Öffentlichkeit den Eindruck, miliäre Aktivitäten verdrängt, ist et- Sensible World of Soccer (1994). „Die- der Library of Congress. dersetzung mit den Produkten einer dass Gewalt in Computerspielen was in dieser Familie nicht in Ord- se Liste zu erstellen ist ein Zuge- Damit ist in den USA ein wichti- gleichermaßen kommerziell wie glo- eine dominierende Rolle spielt. Die- nung. ständnis, dass digitalen Spielen eine ger Schritt getan, den kulturellen bal orientierten Kultur“. ser Eindruck ist jedoch falsch, da Auf politischer Ebene muss in kulturelle und historische Bedeu- Wert von Computerspielen, ähnlich Sicher ist aber, dass dieses The- Computerspiele ohne Jugendfreiga- Kooperation zwischen Bund und tung zukommt“, sagte Lowood auf wie von Filmen oder Büchern, anzu- ma noch viele kontroverse, und vor be nur knapp sechs Prozent des Ge- Ländern darüber nachgedacht wer- der Game Developers Conference in erkennen und damit auch die Archi- allem auch notwendige Debatten samtmarktes ausmachen. den, wie Medienkompetenz in die San Francisco, der diesen Kanon zu- vierung dieser Spiele zu sichern. hervorrufen wird. Ein differenzierter Diejenigen, die als Antwort auf kindliche und schulische Erziehung, sammen mit den Spieledesignern Ähnliches macht bereits seit Jahren und objektiver Umgang mit diesem Erfurt und Emsdetten nach einfachen in die Sozial- und Jugendarbeit, aber Warren Spector und Steve Meretzky, das Computerspiele Museum in Ber- Medium sollte dabei im Vordergrund Lösungen suchen und diese in einem auch in den Prozess des lebenslan- dem Wissenschaftler Matteo Bittani lin, das Hard- und Software von stehen. Verbot von „Killerspielen“ zu finden gen Lernens besser und nachhaltiger und dem Journalisten Christopher Computerspielen sammelt und aus- glauben, verschließen meines Er- integriert werden kann. Grant veröffentlicht hat. Obwohl ei- stellt. Mit der Gründung des Muse- Die Verfasserin ist Wissenschaftliche achtens die Augen vor den wirklichen Die in Deutschland angesiedelten nige dieser Spiele wie Doom zu den ums haben sich die Verantwortli- Mitarbeiterin des Deutschen Ursachen der Jugendkriminalität: Schöpfer von Computerspielen ha- so genannten Killerspielen gehören, chen die Aufgabe gesetzt, die Ent- Kulturrates STREITFALL: COMPUTERSPIELE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 13

Das Land der Verbote Die überschätzte Macht der Computerspiele • Von Dorothee Bär Deutschland ist das Land der Ver- Marktwert von 1,3 Milliarden Euro verherrlichung im Strafgesetzbuch bote und der Negation. Kaum pas- umgesetzt. Dazu kommen noch existiert, bleibt zu prüfen, ob dieser siert irgendetwas, denkt man dar- mehr als drei Milliarden Euro für in der geltenden Fassung ausrei- über nach, etwas zu verbieten, et- Spielekonsolen und PC. Deutsch- chend ist. Computerspiele, die auf was zu besteuern oder ein Verhal- land ist damit der zweitstärkste Spie- realitätsnahe Weise in einer fiktiven ten zu bestrafen: Sind Rentner Un- lemarkt in Europa. Nur die Briten Welt das Töten von Menschen simu- fallverursacher, denkt man darüber geben noch mehr Geld für die Un- lieren und damit Gewalt verherrli- nach, Menschen ab einem bestimm- terhaltungssoftware aus. Der homo chen, sind mit dem Anliegen eines ten Alter das Autofahren zu unter- ludens hat sich weiterentwickelt und wirksamen Kinder- und Jugend- sagen; wird der Klimabericht veröf- sich die Fortschritte der Technologie schutzes nicht zu vereinbaren. fentlicht, wird über Steuern auf zueigen gemacht. Spiele sind ein Beim Jugendmedienschutz müs- Flugtickets, das Verbot benzinfres- wunderschöner Teil unserer Kultur. sen die Kompetenzen deutlicher ver- sender Autos und vieles mehr ge- Ein generelles Verbot von Computer- teilt werden. Wenn die USK momen- sprochen; geschieht ein unfassba- spielen würde auch die Spiele ver- tan eine Alterskennzeichnung fest- res Unglück wie in Emsdetten, wird bieten, die für Kinder und Jugendli- legt, wird die Bundesprüfstelle für ju- die Diskussion über ein Verbot von che bestimmt und unbedenklich gendgefährdene Medien nicht mehr „Killerspielen“ laut. sind. tätig, da man sich auf die Einstufun- Nach dem Amoklauf des 18-jäh- gen der USK verläßt. Die USK ist zwar ir neigen dazu, uns einen As- rigen Sebastian B. in seiner ehema- etabliert, hat im Gegensatz zur Bun- W pekt aus einem Komplex her- ligen Schule im nordrhein-westfäli- desprüfstelle nicht die Möglichkeit, auszupicken und zu diesem ein Ver- schen Emsdetten sind von Seiten der Spiele zu indizieren. Dringend zu in- bot oder eine Steuererhöhung zu for- Politik nicht zum ersten Mal rechts- dizierende Spiele erhalten von der mulieren. Killerspiele sind nicht die politische Forderungen nach einem USK die Alterfreigaben ab 18 Jahren alleinige Ursache, die einen 18-Jäh- Verbot von Killerspielen laut gewor- und können so ungehindert auf den rigen zum Amokläufer werden las- den. Bereits nach einem ähnlichen Markt wandern und bei Konsumen- sen. Selbst wenn sich immer wieder Vorfall 2003 war eine nahezu identi- ten unter 18 Jahren ankommen. die Parallele finden lässt, dass ge- sche rechtspolitische Debatte ent- Wir müssen Computer- und Vi- waltbereite Jugendliche auch gerne brannt, die eine – allerdings bereits deospiele als modernes und fort- gewaltverherrlichende Spiele und zuvor geplante – Reform des Jugend- schrittliches Phänomen unserer Zeit Filme konsumieren, sind diese nicht schutzrechts mit sich brachte. Unge- akzeptieren. Abzulehnen sind aller- alleinverantwortlich dafür, dass Ge- achtet der Reformen wurde auch im dings die Spiele, die – der bayerischen walt in hohem Maße gezeigt wird. Koalitionsvertrag von 2005 wieder Bundesratsinitiative folgend – „grau- Die „Macht der Medien“ wird das Thema „Computerspiele“ durch same oder sonst unmenschliche Ge- allzu häufig unterschätzt. Sicher sind CDU/CSU und SPD aufgegriffen. Es walttätigkeiten gegen Menschen oder Video- oder Computerspiele, deren wurde beschlossen „den Schutz von menschenähnliche Wesen darstellen Hauptziel die Abschlachtung von Kindern und Jugendlichen nachhal- und dem Spieler die Gewalttätigkeiten Lebewesen ist, keine Freizeitbe- tig zu verbessern“. Wir haben uns solcher Art ermöglichen“. Wir sind schäftigung, die wir gutheißen kön- verpflichtet den Jugendmedien- aufgefordert, Kinder und Jugendliche nen und wollen. Dieser Bereich ist schutz zu stärken. Gegenwärtig heißt vor den Auswüchsen von Gewalt zu zwar nicht der einzige, in dem junge das, dass wir uns die Frage stellen schützen. Dies können wir nicht allein Menschen mit Gewalt, Tod, Aggres- müssen, ob der geltende gesetzliche durch ein Verbot von Video- oder sion und Blutvergießen konfrontiert Rahmen im Jugendschutz- wie auch Computerspielen. Vielmehr müssen Startschuss zur Games Convention 2006. werden bzw. sich selbst konfrontie- im Strafrecht ausreicht, um insbe- wir Kindern und Jugendlichen Kom- © Leipziger Messe GmbH, Foto: Uwe Frauendorf ren. Aber gerade bei Spielen sind sondere Jugendliche vor dem schäd- petenzen vermitteln, die sie mit den Kinder und Jugendliche nicht passi- lichen Einfluss übermäßiger Gewalt- neuen Medien verantwortungsvoll ben, und ihnen begleitend auf einem tragfähigen Konsens in der Verbots- ve Zuschauer beim Geschehen, son- darstellungen durch Computerspie- umgehen lassen. Wir müssen ihnen neuen Weg helfen zu können. debatte zu erreichen. dern in der Regel diejenigen, die auf le zu schützen. Wir müssen eine Ant- Werte vermitteln, die sie stark ma- Der Unterausschuss Neue Medi- bestialische Weise – untermalt von wort auf die Frage finden, warum das chen, auch Lebenskrisen auszuhalten. en des Deutschen Bundestages hat Die Verfasserin ist Obfrau der CDU/ drastischen Lauten – Menschen tö- geltende Recht momentan nicht Wir müssen als Gesellschaft tragfähig am 26. April Experten zum Thema zu CSU-Fraktion im Unterausschuss ten und dies als Spaß ansehen. ausgeschöpft wird. Auch wenn be- sein, um zu erkennen, wenn Kinder Gast. Im Anschluss wird man sich Neue Medien des Deutschen Nach dem Jugendschutzgesetz reits ein Straftatbestand der Gewalt- einen falschen Weg eingeschlagen ha- bemühen müssen, zeitnah einen Bundestags dürfen Computer- und Videospiele nur dann an Kinder und Jugendliche abgegeben werden, wenn sie ein entsprechendes Prüfzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkont- Bedeutendes Kultur- und Wirtschaftsgut rolle (USK) haben. Die Altersfreiga- Verantwortungsvoller Umgang mit den Medien • Von Jörg Tauss be – gemäß § 14 Jugendschutzgesetz in fünf Kategorien aufgeteilt – ist auf Der schreckliche Amoklauf eines dige öffentliche Anerkennung des und der Markt daher zu einem Groß- länder, die auf der einen Seite Ent- jeder Spielepackung und in der Re- 18jährigen in Emsdetten hat wieder kulturellen Wertes von Computer- teil von ausländischen Unterneh- wicklerstudios im Rahmen von Kul- gel auch auf jedem Datenträger zu eine kontroverse Debatte um Com- spielen ein Thema sein. men dominiert wird. Deutsche Ent- tur- und Wirtschaftsförderprojekten finden. 2006 hat die USK 2607 Spie- puterspiele und ihre Wirkung ausge- Die Debatte entspricht nicht der wicklerstudios haben aber in den unterstützen, um diese dann aber le geprüft. 45,7 Prozent wurden ohne löst. Quer durch alle Parteien werden Vielfalt in diesem Bereich. Zu Un- letzten Jahren eine hohe Qualität er- gleichzeitig politisch – und öffent- Altersbeschränkung freigegeben, wieder einmal gewaltbeinhaltende recht werden Computerspiele in der reicht und sich dadurch internatio- lichkeitswirksam – zu ächten. 12,7 Prozent ab sechs Jahren, 20,1 Computerspiele pauschal als alleini- Öffentlichkeit häufig diskreditiert nal einen guten Ruf erworben. Den- Zu begrüßen ist daher der aktu- Prozent ab zwölf Jahren, 15,6 Prozent ge Ursache für eine solche Tat aus- und in ein zu enges und ausschließ- noch spielen deutsche Produkte in- ell diskutierte Ansatz der Bundesre- ab 16 Jahren, 4,0 Prozent wurden gemacht und es wird landauf und lich gewalthaltiges Bild gerückt, ob- ternational weiter eine untergeord- gierung, in einem Stiftungsmodell nicht für die Jugend freigegeben und landab ein Verbot von so genannten wohl der Anteil von Gewaltspielen nete Rolle. Es ist daher Aufgabe ei- auch die Förderung interaktiver Me- 1,8 Prozent erhielten keine Kenn- „Killerspielen“ gefordert. Doch der an den Computerspielen insbeson- ner verantwortungsvollen Kultur-, dien anzustoßen. Neben der Mög- zeichnung. Lediglich 5,8 Prozent der Zusammenhang ist falsch und die dere in Deutschland vergleichsweise Medien- und Wirtschaftspolitik, dem lichkeit deutsche, aber auch europä- geprüften Spiele wurden also nicht Argumentation bezüglich der Einfüh- gering ist. Die Eindimensionalität in dargestellten Missstand entgegenzu- ischen Entwickler und Hersteller für Jugendliche freigegeben. Das be- rung eines Verbotes greift viel zu kurz, der Debatte schädigt ungerechtfer- treten und u.a. die öffentliche Akzep- langfristig bei der Entwicklung von deutet umgekehrt, dass Vertreter der blendet die geltende Rechtslage weit- tigter Weise die gesamte Branche und tanz für nicht jugendgefährdende qualitativ hochwertigen Computer- Länder, der Kirchen, der Verbände gehend aus und übersieht zudem die ignoriert, dass Computerspiele und Computerspiele zu erhöhen. spielen zu unterstützen, lassen sich der Spielehersteller, Wissenschaftler nicht weniger bedeutsamen Aspekte andere interaktive Unterhaltungsme- In Deutschland bedarf es eines so gleichzeitig Maßstäbe für die und Medienpädagogen den über- eines wirksamen Jugendmedien- dien heute weitaus mehr sind und guten wirtschaftlichen und kreativen durch dieses Medium vermittelten wiegenden Teil von Computer- und schutzes, nämlich die Frage des ver- gerade in den letzten Jahren kontinu- Klimas, durch das die Attraktivität als Inhalte setzen. Idealerweise wird Videospielen für Kinder und Jugend- antwortungsvollen Umgangs mit den ierlich an Bedeutung gewonnen ha- Wirtschaftsstandort für den Multi- dabei die gesamte Computerspiel- liche als unproblematisch ansahen. Medien und die hierfür notwendige ben. Technologisch, kulturell und ge- mediasektor ebenso wie für andere branche – auch finanziell – einbezo- In unserem Grundgesetz ist die Medienkompetenz. sellschaftlich sind Computerspiele zu Branchen weiter steigt. Besonders gen. Kunstfreiheit verankert. Sie schützt einem wichtigen Einflussfaktor in die Kreativwirtschaft stellt eine zen- Ergänzend halte ich überdies Künstler vor dem willkürlichen Ein- orderungen nach einem Verbot Deutschland geworden. trale Zukunftsindustrie dar, die ge- eine Ergänzung des Filmfördergeset- griff der Politik und garantiert, dass F von so genannten „Killerspie- In Deutschland lag der Umsatz in rade in einem ausgeprägten audio- zes auf den Bereich der Computer- auch kritische Stimmen Raum ha- len“ ignorieren dabei seriöse wissen- der Computer- und Videospielsoft- visuellen Sektor Ausdruck findet. Die spiele für ausgesprochen sinnvoll ben. Computer- und Videospiele schaftliche Studien, die keinen di- wareindustrie 2005 bei etwa 1,5 Mrd. vermehrte Förderung der Entwick- und dringend erforderlich. Denn sind im 21. Jahrhundert längst rekten ursächlichen Zusammen- Euro und übertraf somit deutlich lung und der Nutzung von qualitativ ebenso wie der Film sind auch inter- ebenso Unterhaltungsmedium wie hang von Computerspielen und re- den Umsatz der Filmindustrie in der hochwertigen sowie kulturell und aktive Medien zu einem bedeuten- das Fernsehen. Sie sind Teil unserer alen Brutalitäten sehen. Vielmehr Kinoerstverwertung. Dies macht die pädagogisch wertvollen Computer- den Bestandteil des kulturellen Le- Kultur und kein Randgruppenphä- sind solche Forderungen – insbeson- Computerspielindustrie zu einem spielen muss dabei im Vordergrund bens geworden, mit einem eindeu- nomen. Rund 25 Millionen Men- dere aus München – unseriös und ernstzunehmenden und zukunfts- stehen. Länder wie Frankreich, Ka- tig kulturellen und prägenden Wert schen in Deutschland beschäftigen populistisch und ein Paradebeispiel trächtigen Wirtschaftsfaktor, mit nada, Korea oder die Skandinavi- für unsere Gesellschaft. Dabei sind sich in ihrer Freizeit mit Computer- für symbolische Politik. Sinnvoller großem Innovations- und Wachs- schen Staaten haben den Stellenwert Computerspiele schon lange nicht spielen. Rund 18,8 Milliarden Euro wäre eine Versachlichung der Dis- tumspotenzial. des Computerspielesektors bereits mehr nur allein Bestandteil der Ju- werden pro Jahr mit Computer- und kussion. So könnte die Unterstüt- Dieses Potential wird in Deutsch- vor Jahren erkannt und Instrumente gendkultur, vielmehr finden sich Videospielen umgesetzt. Das ist zung und Sicherung von zielgrup- land gegenwärtig allerdings noch zur kulturellen oder wirtschaftlichen unabhängig von Alter und Ge- mehr Geld als die Kinoindustrie er- pengerechten und qualitativ hoch- nicht ausreichend ausgeschöpft, so Förderung erfolgreich initiiert – schlecht immer mehr Spieler und wirtschaftet. 2004 wurden in wertigen Angeboten bei multimedi- dass die deutsche Computerspiel- nicht erfolgreich und zukunftsorien- Deutschland 59,78 Millionen Stück alen Produkten, insbesondere Com- branche in ihrer Entwicklung noch tiert ist in diesem Zusammenhang Weiter auf Seite 14 Unterhaltungssoftware mit einem puterspielen und die noch notwen- weit hinter ihren Möglichkeiten liegt die Janusköpfigkeit einiger Bundes- STREITFALL: COMPUTERSPIELE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 14

zulösen. Wissenschaftliche Arbeiten Deutschland besitzt bereits heute Institut in Hamburg beauftragt wor- Bevor daher nach Verboten und Fortsetzung von Seite 13 und Untersuchungen zu diesem eines der vorbildlichsten, weitrei- den, dass geltende Recht des Jugend- neuen gesetzlichen Regelungen geru- Thema kommen allerdings über- chendsten, konsequentesten und medienschutzes umfassend zu evalu- fen wird, muss an dieser Stelle ange- Bedeutendes Kultur- und wiegend zu dem Schluss, dass Com- wirkungsvollsten Jugendmedien- ieren. Die Ergebnisse dieser Evalua- setzt und die Kontrollen effektiver Wirtschaftsgut puterspiele nur dann einen Ein- schutzgesetze weltweit. Das dem Ju- tion sollen im Juni 2007 vorliegen, um gemacht werden. Parallel dazu ist flussfaktor darstellen können, wenn gendmedienschutzgesetz zu Grunde dann so eventuelle Änderungen oder aber auch eine Sensibilisierung von Spielerinnen in allen Bevölkerungs- auch zahlreiche andere Faktoren liegende Konzept der Dreistufigkeit Klarstellungen am geltenden Recht Eltern, Geschwistern, Mitschülern teilen. Gespielt werden dabei haupt- zur Verstärkung von Gewaltpotenti- hat sich bewährt. Unsere Jugendme- vorzunehmen. Die Ergebnisse der und Lehrern für das Thema unab- sächlich Adventures und Rollenspie- alen beitragen. Um solchen Einflüs- dienschutzgesetze finden daher zu Evaluation können Anhaltspunkte dingbar. Dies alles setzt auch eine le, Gesellschaftsspiele, Sport- und sen entgegenzuwirken, ist es not- Recht internationale Anerkennung ergeben für die Anpassung rechtli- ehrliche Diskussion über die Situati- Strategiespiele sowie Onlinerollen- wendig, eine komplexe und diffe- und daher auch innerhalb der euro- cher Regelungen sein. Bereits jetzt ist on in den Schulen aber auch in den spiele. renzierte Anzahl von Maßnahmen päischen Union zu Recht Nachah- aber deutlich, dass wir in Deutsch- Familien voraus. Einzelgänger, wie Trotz dieser Vielfältigkeit wer- ins Auge zu fassen, die neben dem mung und Etablierung. land weniger ein Normendefizit, als der von Emsdetten, müssen früher den Computerspiele immer wieder Jugendmedienschutz vor allem die Aber auch das beste System muss vielmehr ein Vollzugsdefizit gibt. Dies aufgefangen werden. auf so genannte „Killerspiele“ redu- Medienkompetenz, aber ebenso laufend auf seine Wirksamkeit kon- zeigen uns leider Testkäufe, die bele- ziert, in Zusammenhang mit Ge- Bereiche wie Sozial- und Jugendar- trolliert werden, um auf Fehlentwick- gen, dass der Verkauf von nicht für die Der Verfasser ist Obmann der SPD- walttaten gebracht und kommen beit oder Bildung und Erziehung lungen reagieren zu können. Aus die- Altersstufe freigegebenen Medien an Fraktion im Unterausschuss Neue dadurch in den Verdacht, diese aus- umfassen. sen Gründen ist das Hans-Bredow- Jugendliche möglich ist. Medien des Deutschen Bundestags Deutscher Verbotsaktionismus schadet der kulturellen Vielfalt Das Beispiel Computerspiele • Von Hans-Joachim Otto

In Deutschland grassiert ein Ver- nismus und Degradierung der Poli- botsaktionismus: Stand-by-Schalter tikinhalte auf naive Verbotsreflexe und herkömmliche Glühbirnen ab- und dadurch wiederum Förderung schaffen, Sonntagsfahrverbote und der allseits beklagten Politikverdros- Tempolimit, Fahrverbote in Innen- senheit. Aber diese Politiker schei- städten, Handy-Verbot am Steuer, nen Gefallen an Huxleys Vision einer Rauchverbote in Gaststätten, Alko- „Brave New World“ gefunden zu ha- holverbot für unter 18jährige und ben. Verbote statt Freiheit sind hier eben auch Verbot von so genann- nicht die Ausnahme sondern die Re- ten „Killerspielen“. Die Mehrzahl der gel. deutschen Politiker greift bei ver- Und der Nutzen? Beim so ge- meintlichen Problemen reflexartig nannten Amokläufer von Emsdetten, in die Verbotskiste. Die Motivatio- da sind sich die Experten einig, hat nen dahinter mögen verschieden nicht zuletzt das soziale Umfeld des sein. Die Einen handeln vorsätzlich ehemaligen Schülers vollständig ver- aus Überzeugung und dem Glauben, sagt. Die Ursachen für solche Taten genau das Richtige zu tun. Die An- sind hochkomplex, und gerade des- deren, wahrscheinlich die große halb sollten die Fragen hiernach ei- Mehrheit, handeln eher fahrlässig, gentlich im Zentrum unserer Auf- aber keineswegs weniger gefähr- merksamkeit stehen. lich. Aufgrund fehlender Sachkennt- Computerspiele allein machen nis, persönlichem Profilierungs- und aus einem Jugendlichen keinen Ge- Geltungsdrang oder einfach aus ei- walttäter. Weiterhin halten zahlrei- ner Trägheit heraus, verpassen die- che Medienpädagogen dagegen, se, sich ernsthaft mit teilweise kom- dass ein solches Verbot gar nichts plexen Problemen auseinander zu bewirken würde, sondern sogar kon- setzen. Die, die so handeln, sind traproduktiv sei: Verbotene Spiele meist Wölfe im Schafsfell. Sie sind üben einen besonderen Reiz aus und nämlich genau das Gegenteil von lassen die entsprechenden Spiele dem, was sie zu sein vorgeben: Sie noch interessanter erscheinen. Auch sind Nicht-Problemlöser, Nicht-Ge- lässt sich ein unmittelbarer Zusam- Eltern und Kinder gemeinsam am Computer auf der Games Convention. © Uni Leipzig. Foto: Katharina Krauel nau-Hingucker, Nicht-Verantwort- menhang zwischen Gewalt in Com- lich-Handelnde. puterspielen und Gewalttaten in der Vollzugsdefizit. Dass trotzdem nach Natürlich muss auch von staatli- deo- und Computerspielen zeigt sich Realität nicht nachweisen, so der neuen Gesetzen gerufen wird, cher Seite der Zugang zu Medien mit auch an den in Deutschland konti- m Beispiel des geforderten Ver- Tenor des wissenschaftlichen Diens- spricht für den populistischen Cha- jugendgefährdenden Inhalten wei- nuierlich gestiegenen Verkaufszah- A bots von Computerspielen mit tes des Deutschen Bundestages, der rakter der ständigen Verbotsforde- terhin reglementiert werden. Auf der len. Wurden 2002 noch 29,9 Mio. ver- Gewaltinhalten lassen sich diese un- vorliegende Gutachten zum Thema rungen. Basis der schon bestehenden Ge- kaufte Stückzahlen gezählt, so liegt sinnigen und gefährlichen Verbots- ausgewertet hat. Im Übrigen existiert in Deutsch- setzgebung und Praxis von Co- diese Zahl für das Jahr 2006 schon reflexe entlarven. Nach der Tat eines Und eine weitere Tatsache wird land schon jetzt ein sehr strenges Regulierung und Selbstkontrolle bei 44,7 Mio. Insgesamt konnte der offenbar schwer gestörten jungen wissentlich übergangen: Der bayeri- und weltweit anerkanntes Jugend- werden Computerspiele begutachtet Bundesverband Interaktiver Unter- Erwachsenen in Emsdetten ist die sche Antrag im Bundesrat zum Ver- schutzregime. Das Prinzip der Co- und mit einer deutlich erkennbaren haltungssoftware e.V. für 2006 bei Diskussion um gewalthaltige Com- bot von so genannten virtuellen „Kil- Regulierung und die Überprüfung Altersfreigabe versehen. So können Computer- und Videospielen einen puterspiele neu entfacht. So fordern lerspielen“ ignoriert völlig, dass ge- von Computerspielen durch die USK Eltern auch besser einschätzen, ob Umsatz von 1,126 Milliarden Euro unionsgeführte Bundesländer wie waltverherrlichende Computerspie- (Unterhaltungssoftware Selbstkont- ein Computerspiel für das eigene verzeichnen. Dies entspricht einem Bayern und Niedersachen ein kom- le bereits heute nach § 131 Strafge- rolle), die das Fachwissen und die Er- Kind geeignet ist. Der Zugang zu und Zuwachs von 7,4 Prozent gegenüber plettes Verbot solcher Spiele, und Fa- setzbuch (Unterstrafestellung der fahrungen von Staat, Wissenschaft, der Umgang mit Computerspielen 2005. Die populistischen Rufe nach milienministerin von der Leyen ver- Verherrlichung oder Verharmlosung Pädagogik und Industrie an einen gleich welcher Art obliegt letztlich noch mehr Verboten und Verschär- kündet in offensichtlicher Über- von Gewalttätigkeiten gegen Men- Tisch bringt, haben sich bewährt. Das der Verantwortung der Erziehenden. fungen verschließen also die Augen schätzung ihrer Ressortkompeten- schen) verboten sind und mit einer bestätigte auch die Bundesregierung Wie angesprochen reichen staat- vor der gesellschaftlichen und kultu- zen ein Sofortprogramm zum Verbot Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr ge- in einer Antwort auf eine Kleine An- liche Maßnahmen nicht aus. Der rellen Realität und bevormunden die von „Killerspielen“. Verbote sind be- ahndet werden können. Grausame frage der FDP-Bundestagsfraktion Appell an die Eltern muss deshalb Bürger statt sie zu schützen. liebt. Sie gaukeln tatkräftiges Vorge- Gewalt gegen Menschen und men- (Bundestags-Drucksache 16/2361). lauten: „Beschäftigt Euch mit dem, Der Staat verbietet und interve- hen vor. Ein weiterer Vorteil ist, dass schenähnliche Wesen darf bereits Das Fatale an dem Verbotsaktio- was Eure Kinder machen“. Die Eltern niert ständig und in zunehmendem sie kaum etwas kosten. Die Fragen nach geltendem Recht nicht darge- nismus ist, dass er die Beschäftigung müssen genau hinschauen, was ihre Maße. Das bedeutet im Ergebnis, nach den versteckten Kosten und stellt werden. Das gilt auch für Com- mit den eigentlichen Ursachen der Kinder auf ihren Computern und dass dem Bürger keine Eigenverant- dem Nutzen werden selten gestellt. puterspiele. Somit existiert an dieser Probleme und möglicher Lösungen Spielekonsolen spielen, was sie sich wortung mehr zugetraut wird. Der Der Preis für eine solche Einstellung Stelle gar kein gesetzlicher Ände- auf die hintersten Plätze verdrängt im Fernsehen und im Internet an- Staat verhält sich so, als ob der Bür- ist Freiheitsverlust, Gesetzesaktio- rungsbedarf, sondern allenfalls ein und sich sogar schädigend auf Wirt- schauen und was sie dort spielen, ger behütet und betreut werden schaft, Gesellschaft und Kultur aus- runterladen oder bestellen. Das ist müsse. Ist das die Freiheit, die wir wirkt, während Verbote auf der poli- nicht nur ein Recht der Eltern, son- uns wünschen und die unser Land Ernst Burger tischen Haupttribüne die größte Auf- dern auch deren Pflicht. braucht? Wohl kaum. Stattdessen ERROLL GARNER merksamkeit genießen. Statt erneut Computer- und Onlinespiele jeg- brauchen wir Eigenverantwortung, Leben und Kunst eines genialen die unnötige Gesetzeskeule rauszu- licher Art, von Strategie- über Gesell- Selbstbestimmtheit und Selbststän- Pianisten holen, ist eine differenziertere Aus- schafts- bis hin zu den angepranger- digkeit. Und vor allen Dingen brau- einandersetzung nötig. Dazu gehört ten Ego-Shooter-Spielen, sind längst chen wir Vorbilder statt Vorschriften auch immer wieder der Hinweis auf ein wichtiger Bestandteil der (Ju- und Aufklärung statt Verboten. Kul- Mit CD: Ausgewählte Aufnahmen Medienkompetenz. Die Stärkung der gend-)Kultur. Wer fordert, dass die- tur lebt von Freiheit und nicht von 1946–1955 Medienkompetenz von Jugendli- se Kultur verboten gehört, hat sich Verboten. Freie und selbstständige, Über 300 Abbildungen, chen und Eltern muss an erster Stel- offenkundig schon lange nicht mehr gebildete und aufgeklärte Men- illustrierte Diskographie le stehen. Diese muss besonders im mit Jugendlichen unterhalten und schen wiederum sind die Vorausset- 220 Seiten, gebunden, Elternhaus verankert werden und in entlarvt sich selbst als unwissend zung von kultureller Vielfalt und mit Schutzumschlag Kindergärten und Schulen weiter bezüglich der Lebenswelt der jünge- Identität. geprägt und gefördert werden. Hier ren Bevölkerungsgruppen und als ISBN 3-932581-81-4 muss Familienministerin von der ignorant gegenüber kulturellen Aus- Der Verfasser ist Vorsitzender des ISBN 13: 978-3-932581-81-6 Leyen ansetzen, z.B. durch Aufklä- drucksformen anderer Generatio- Ausschusses für Kultur und Medien CB 1181 rungsarbeit für Eltern oder durch nen. Nicht ohne Grund sind zum des Deutschen Bundestages und ConBrio Verlagsgesellschaft den Versuch, bei den Ländern für Beispiel alle Gutachter der USK Obmann der FDP-Fraktion im Regensburg € 49,90 eine Verbesserung der Medienerzie- hauptamtlich in der Jugendarbeit Unterausschuss Neue Medien des hung in den Schulen zu werben. beschäftigt. Die Bedeutung von Vi- Deutschen Bundestags STREITFALL: COMPUTERSPIELE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 15

Im Fokus von Kulturkritik und Marktinteresse Computerspiele als massenmediales Produkt der Populär- und Alltagskultur • Von Lothar Bisky Im Fokus der gegenwärtigen Kultur- den oder gar wie im Falle von kritik stehen Computerspiele – spe- America’s Army – ein von der US- ziell so genannte „Killerspiele“, de- Army produziertes und kostenlos ren Verbot vom Bayerischen Innen- verbreitetes „Killerspiel“– im Netz minister Beckstein vehement einge- zum freien Download bereitstehen. fordert wird. Er erblickt in ihnen eine Von den Verfechtern eines Verbots maßgebliche Ursache für Amok und solcher Spiele wird daher in Konse- Gewalt an Schulen. Dabei verkennt quenz auch die Ausweitung der er, dass es sich hier längst um eine Überwachung des Netzes mittels massenmediale Erscheinung der verdachtunabhängiger Kontrollen Populär- und Alltagskultur handelt. durch die „Cyber-Police“ (Beckstein) Allein die Spiele-Community des von und das Eindringen von Polizei- und ihm besonders inkriminierten Spiels Nachrichtendiensten in Online-PC’s Counter Strike wird in Deutschland gefordert. auf 500.000 Spieler und Spieler- Die LINKE lehnt eine prohibiti- innen (Stand: 2003) geschätzt. Die ve Politik im Umgang mit gewalthal- allermeisten von ihnen – zumeist tigen Computerspielen ab. Ein sol- männliche Jugendliche – sind ihrem cher Weg beraubt sich der Möglich- Selbstbildnis nach keine Militaris- keit, Einfluss auf Jugendliche und ten, sondern Teilnehmer eines ver- ihre Spielewelten nehmen zu kön- netzten Geschicklichkeits- und Tak- nen. Auch verschließt er die Augen tikspiels. Unter ihnen gibt es sogar vor einer sehr viel schwierigeren so- ein gewisses, wenngleich wohl klei- zialen Realität. Ursächlich für Gewalt nes, gegenkulturelles Potential. Das und Amok ist nicht der Konsum von lässt sich anhand von per Tastend- gewalthaltigen Computerspielen, ruck erstellten und für alle Nutzer- sondern ein komplexes Bedingungs- innen und Nutzer sichtbaren Spray- gefüge bestehend aus sozialen, psy- logos auf Böden und Wänden virtu- chologischen und familiären Kom- eller Kampfgebiete erkennen. Hier ponenten. Neben den Aspekten so- gibt es auch Spraylogos gegen Bu- ziale Isolation, Leistungsdruck, Studenten der Uni Leipzig zeigen den Kindern auf der Games Convention wie sie Computerspiele spielen können. shs „War on Terrorism“. Schulversagen, Zukunftsangst, psy- © Uni Leipzig. Foto: Katharina Krauel chosoziale Kränkung oder Entwur- er in der Verbotsdebatte oft be- zelung sind für ein angemessenes Medienförderungsmodelle nach dem Neben der Frage guter Ausbildungs- Erstens Gelassenheit gegenüber the- D hauptete wissenschaftliche Verständnis von Wirkzusammen- Muster der gegenwärtig praktizierten angebote geht es uns auch um die Si- oretischen Positionen der Kulturkri- Nachweis eines Konnexes von virtu- hängen auch die Mechanismen von Filmförderung lehnt die LINKE ab. cherstellung von Arbeitnehmerinter- tik, verbunden mit entschiedener ellem Spiel und realer Gewalt ist ein kompensierender Gewalt und – last Deren Beispiel zeigt, dass eine Förde- essen von den in den Creative Indus- Zurückweisung konkret politischer Mythos. Ein näherer Blick auf den not least – der Zugang zu realen Waf- rung nach künstlerischen Kriterien tries abhängig und oft prekär Beschäf- Verbotsbestrebungen. Zweitens För- wissenschaftlichen Diskurs zeigt, fen näher zu betrachten. heute kaum noch stattfindet. Dass sie tigten. Die vielfach geforderte Flexibi- derung des öffentlichen Bildungs- dass dieser vorwiegend von den sich Das heißt keineswegs, dass es ei- zudem immer mehr den bereits Er- lität und Dienstleistungsmentalität ist und Hochschulauftrags zur potenti- als positive Wissenschaften verste- ner Stärkung des präventiven Ju- folgreichen zugute kommt und die hier längst Realität. Arbeitszeiten bis ellen Teilhabe aller an den Entwick- henden Disziplinen geführt wird. gendschutzes nicht bedürfte. Von Rückführung öffentlicher Förde- zu 14 Stunden täglich und mehr sind lungen digitaler Technologien, ver- Auffällig ist ein Zurückbleiben von entscheidender Bedeutung für eine rungsgelder bei marktgängigen Fil- dort selbst für untere Einkommens- bunden mit einem ausdrücklichen kulturwissenschaftlichen Erklä- zukunftsorientierte Kinder- und Ju- men durch ein ausgeklügeltes System gruppen keine Seltenheit. Hier gilt es Eintreten für Arbeitnehmerinteres- rungsansätzen. Von Experten wird gendmedienarbeit ist die Vermitt- von Verleihgarantien und Rückfüh- mittelfristig die Mindeststandards des sen von allen in der Kultur- und Me- klinischen und empirischen Befun- lung von Medienkompetenz. Kinder rungsquoten oft ausgeschlossen ist. Arbeitszeitgesetzes und des Arbeits- dienbranche abhängig Tätigen. den entgegengehalten, dass zwar der und Jugendliche müssen lernen, mit Förderungswürdig jedoch erscheint schutzes zu etablieren sowie kurzfris- Nachweis von Veränderungen indi- virtuellen Welten umzugehen und uns die Einrichtung von Studiengän- tig zumindest Freizeit- oder Gehalts- Der Verfasser ist medienpolitischer vidueller Erregungsniveaus sowie af- Risiken abzuschätzen. Die Bildung gen für Game Design und Spieleent- kompensationen für geleistete Über- Sprecher der Fraktion DIE LINKE fektiver und kognitiver Prozesse eines kritischen Verstandes und die wicklung an öffentlichen Hochschu- stunden durchzusetzen. im Deutschen und plausibel sei, nicht aber deren damit Fähigkeit, Realität und Vision zu un- len. Bislang sind solche in Deutsch- Aus dem skizzierten Bedingungs- Obmann der Fraktion DIE LINKE in Zusammenhang gebrachte Ein- terscheiden, ist unabdingbare Vor- land nur an wenigen privaten Studi- gefüge ergeben sich aus Sicht der im Unterausschuss Neue Medien des deutigkeit in der Interpretation. aussetzung für eine moderne Medi- eneinrichtungen zu finden. LINKEN zwei Schlussfolgerungen: Deutschen Bundestags Umstritten ist insbesondere das Ur- enpädagogik. Die natürlichen Orte sache-Wirkungsverhältnis des in kor- dazu sind Kindergärten, Horte und relativen Studien gefundenen Zu- Schulen. Die Vermittlung von Medi- sammenhangs zwischen Nutzungs- enkompetenz gehört somit auch in art und -dauer von gewalthaltigen die Ausbildungsinhalte von Erzie- Massenmedium Computerspiele Computerspielen und einer gestei- hern, Lehrern und Sozialpädagogen. Computerspiele sind Kultur- und Wirtschaftsgut • Von Grietje Bettin gerten Gewaltbereitschaft von unter- Sie bildet eine Schlüsselkompetenz suchten Spielern. Wahrscheinlicher für die Herausforderungen des digi- Für viele sind Computerspiele noch diums. mehr geschaffen werden. Für viele als eine ursächliche Wirkung scheint talen Medienzeitalters. immer ein beängstigendes Myste- Computerspiele sind in der Mit- junge Menschen liegt die berufliche demnach das Vorliegen einer Verstär- Die LINKE ist sich bewusst, dass rium. Das Klischee: Hier wird mit te der Gesellschaft angekommen Zukunft in der Computerspielindus- kung von Prädispositionen zu sein. dies in der medienpädagogischen virtuellen Waffen geballert und ge- und gehören heute genauso zu un- trie und verwandten Branchen. Von der seriösen positiven Forschung Diskussion weitgehend unstrittig ist. metzelt, was das Zeug hält. Ein Le- serer Alltagskultur wie Kino und übrigens wird dieser Befund geteilt. Sie fordert von der alleinigen Konsta- ben zählt nur, wenn es das eigene, Fernsehen. Sie sind Ergebnis künst- Computerspiele = In der Debatte ist jüngst auch das tierung des Sachverhalts überzuge- virtuelle ist. Dabei machen die so lerischer Tätigkeit und weisen eine „Killerspiele“? System der Alterskennzeichnungen hen zu einer nachhaltigen öffentli- genannten Ego-Shooter nur etwa eigene Ästhetik, Farben, Musik und durch die „Unterhaltungssoftware chen Finanzierung solcher Aufga- acht Prozent aller Computerspiele Inhalte auf. Der enorme Erfolg von Computer- Selbstkontrolle“ (USK) in die Kritik ben. Dazu muss die Spar- und Pri- aus. In den Top Ten der meistver- Noch klarer wird die Bedeutung spielen will so ganz und gar nicht zu geraten. Ihr wurden mangelnde Trans- vatisierungspolitik im Bildungswe- kauften Computer- und Konsolen- von Computerspielen beim Blick auf deren schlechten Ruf passen. Com- parenz und methodische Mängel in sen aufgegeben und in einem erheb- spiele im Jahr 2006 findet sich nicht die Verkaufszahlen: Der Umsatz liegt puterspiele machen – so heißt es den Begutachtungsverfahren unter- lichen Maße zusätzliche öffentliche ein einziger Shooter. Es ist Zeit um- weit über dem der Kinobranche und immer wieder – dumm, dick und ag- stellt. Die Alterseinstufungen – so der Gelder bereitgestellt werden. zudenken und Computerspiele end- generiert jährliche Wachstumsraten, gressiv. Wer ständig nur vor PC oder Vorwurf – würden das Ausmaß der Damit ist ein zweiter Aspekt an- lich realistisch zu betrachten: Sie von denen andere Branchen nur Konsole hänge, könne ja nichts an- gespielten Gewalt teilweise unzuläng- zusprechen: Als Produzenten und sind Bestandteil unserer heutigen träumen können. Allein im letzten deres werden als ein vereinsamter lich erfassen, da die USK-Gutachter Produzentinnen von Populärkultur Kultur und wichtiger Wirtschaftsfak- Jahr stieg der Umsatz in Deutschland Gewalttäter. Dieser einfache Kausal- die Spiele nicht selbst durchspielten, bilden die Unternehmen der Compu- tor, sie bestimmen das Alltagsleben um sieben Prozent und lag bei 1,1 zusammenhang gilt so nicht. Denn sondern ihnen dies von bezahlten ter- und Videospielebranche heute von Jung und Alt mit. Milliarden Euro. Insgesamt wurden die Wahrscheinlichkeit, dass ein ju- Spieletestern abgenommen werde. einen wichtigen Wirtschafts- und Be- im Jahr 2006 sage und schreibe fast gendlicher (männlicher) Gewalttäter Ein Blick auf die besonders inkrimi- schäftigungsfaktor. In Deutschland Neues Alltagsmedium und 45 Millionen Computer- und Konso- auch Computerspiele gespielt hat, nierten Spiele zeigt jedoch, dass diese betrug ihr Umsatz im Jahr 2006 etwa Innovationsmotor lenspiele in Deutschland verkauft. ist extrem hoch – und damit nicht von der USK immer schon indiziert 1,2 Mrd. Euro. Nach Angaben des BIU Auch wenn es überrascht: Unter den aussagekräftig. Immerhin spielen oder allenfalls ab 16 freigegeben wur- (Bundesverband Interaktive Unter- irtuelles Spielen ist nicht mehr meist verkauften zehn Spielen fand heute fast alle Jungen (87%) und den. Unterhalb der Indizierungs- haltungssoftware) war die digitale V nur Hobby einiger weniger, son- sich kein Shooter, stattdessen gleich mehr als die Hälfte der Mädchen schwelle bleiben vor allem speziell Spielebranche im genannten Jahr das dern neues Massenmedium und Mas- drei verschiedene Versionen des (57%) mehr oder minder regelmäßig entschärfte deutsche Versionen, die am stärksten wachsende Segment senphänomen. Das Durchschnittsal- Strategiespiels „Die Sims“ (Verkaufs- Computer (JIM-Studie 2006). auf Splattereffekte verzichten und von der Medienwirtschaft. Sie gehört zu ter der Computerspieler – und Com- zahlen GfK/BIU). Leider prägen die verhältnismä- den meisten Publishern aktueller den so genannten Creative Industries, puterspielerinnen(!) – nimmt stetig zu Unbestreitbar ist, dass die Com- ßig wenigen Shooter, die so genann- Kampfspiele angeboten werden. die von neoliberalen Vordenkern als und liegt derzeit bei etwa 30 Jahren. puterspielindustrie Innovationsmo- ten „Killerspiele“, die Debatten. Der Eine Herabsetzung der Indizie- die künftigen Wachstumspole wis- Die Gruppe der Intensivspieler ist tor der Computerbranche ist. Die Spielemarkt aber bietet deutlich rungsschwelle erscheint, ebenso wie sensbasierter Ökonomien angesehen dabei am kleinsten, deutlich höher Leistungsfähigkeit von Computern mehr. Vom klassischen „Tetris“ bis verschärfte Kontrollen auf Einhal- werden. Zugleich gilt die deutsche liegt die Zahl der Freizeit- und Gele- läge heute nicht dort, wo sie ist, wür- zum neuen „Second Life“ ist alles tung und Durchsetzung dieser Kenn- Spieleindustrie gegenüber Ländern genheitsspieler. Dass inzwischen vie- den die grafisch immer anspruchs- vertreten und wird jeder Geschmack zeichen im Handel, schon deshalb wie Japan und den USA, aber auch le Ältere mit mittlerem und hohem voller werdenden Spiele sie nicht bedient: Denken, Lernen, Strategie, als problematisch, da solche Spiele Frankreich oder Kanada als wirt- Einkommen Computerspiele spielen, vorantreiben. Hier setzt die Compu- Simulation, Action, Abenteuer oder natürlich nicht immer an der Laden- schaftlich und technologisch rück- ist keine Seltenheit mehr. Dies wider- terspielbranche eindeutig Maßstä- Online-Rollenspiele. theke erworben, sondern oft unter ständig. Das weckt Begehrlichkeiten spricht dem gängigen Klischee und be. Hinzu kommt, dass hier auch der Hand und in Peer-to-Peer- bei einheimischen Unternehmern ist Beweis für die fortschreitende Ver- zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen Weiter auf Seite 16 Tauschbörsen weitergegeben wer- und Standortpolitikern. breitung und Alltäglichkeit des Me- worden sind – und in Zukunft noch STREITFALL: COMPUTERSPIELE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 16

Verbote, wie sie immer wieder gefor- Computerspiele sind kein rechts- neuer Spiel-Arten. In Online-Welten denlang vor dem Fernseher sitzt Fortsetzung von Seite 15 dert werden. Das hat die grüne Bun- freier Raum. Die Freiheit des Einzel- wie „Second Life“ ist es möglich, sich oder exzessiv Alkohol trinkt, schadet destagsfraktion schon Anfang 2006 nen endet dort, wo gegen bestehen- eine eigene virtuelle Identität zu seiner Gesundheit. Massenmedium in einem Beschluss deutlich ge- des Recht und unsere Verfassungs- schaffen und ein virtuelles Univer- macht. Denn was man von Kindern grundsätze verstoßen wird. Aus die- sum zu erforschen. Diese neuen Computerspiele fördern Computerspiele fernhalten möchte und sollte, kann sem Grund sind extrem gewaltver- „Welten“ sind unendlich – und ber- Natürlich gibt es Computerspie- man nicht per se Erwachsenen ver- herrlichende, rassistische oder an- gen damit eine besondere Gefahr: Computerspiele sollten vielmehr le, die extrem gewaltverherrlichend bieten. Hier muss ein Ausgleich ge- dere verfassungswidrige Inhalte in die Sucht. als das anerkannt werden, was sie und menschenverachtend sind und funden werden zwischen gerechtfer- Computerspielen schon heute über Schon „gewöhnliche“ Computer- sind: modernes Freizeitangebot, die man niemandem zumuten möch- tigten Jugendschutzinteressen auf § 131 des Strafgesetzbuches verbo- spielen beanspruchten Stunden und Teil unserer Kultur und Innovati- te. Hier setzt ein Teil der Branche allzu der einen und der Freiheit des mün- ten. Tage, um ein neues Level und damit onsmotor der Wirtschaft. Aus die- oft auf „Blood sells“ (analog zum be- digen Bürgers auf der anderen Seite. Eine Verschärfung der ohnehin irgendwann das Ende des Spiels zu sem Grund halten wir auch die öf- kannten „Sex sells“), weil damit ein Klar ist, dass bestimmte Inhalte schon strengen Gesetze wird keinen erreichen. Bei Online-Rollenspielen fentliche Förderung von Compu- gewisser Umsatz garantiert wird. Dies in Kinderhänden – und vor Kinder- besseren Jugendschutz bieten. Ent- gibt es kein Ende. Hier kann man ein terspielen für sinnvoll, wie wir es wiederum ist wenig verwunderlich, augen – nichts zu suchen haben. scheidend ist, die bestehenden Re- virtuelles Leben führen, das so lan- im Bereich Film kennen. Nur so wenn man sich bewusst macht, dass Hier gibt es anspruchsvolle Jugend- gelungen konsequent umzusetzen. ge existiert wie man selbst. Und man werden wir diesem Massenmedi- die Entwicklungszeit eines Compu- schutzbestimmungen in Deutsch- Eine besondere Herausforderung kann ein Leben führen, das all das um gerecht – und fördern gleich- terspiels zwischen zwei und drei Jah- land, die wir in der rot-grünen Regie- bleibt hierbei das Internet. Hier sind ausgleicht, was im realen Leben zeitig die Herstellung qualitätsvol- ren liegt und dabei mehrere Millio- rung an die heutigen Gegebenheiten Verbote so gut wie wirkungslos. Was nicht existiert. Es ist nahe liegend, ler Computerspiele. nen Euro verschlingen kann. angepasst haben und die europaweit in Deutschland nicht zugelassen ist, dass diese – durchaus spannenden als die strengsten gelten. Die Arbeit kann an anderer Stelle problemlos – Möglichkeiten neue Probleme wie Die Verfasserin ist Mitglied des Jugendschutz vs. Freiheit der „Unterhaltungssoftware Selbst- aus dem Netz geladen werden. zum Beispiel Abhängigkeit mit sich Deutschen Bundestages, medienpo- kontrolle“ (USK), die jedes Spiel, das bringen können. litische Sprecherin der Fraktion Gewalt hat in den Köpfen von Kin- frei auf dem Markt verfügbar sein Spiel und Sucht Das heißt aber nicht, dass Com- Bündnis 90/Die Grünen und Obfrau dern und Jugendlichen nichts zu su- soll, entsprechend seiner Alterseig- puterspiele per se schädlich sind. der Fraktion Bündnis 90/Die chen. Doch vor jugendgefährdenden nung einstuft, hat sich im Großen Zugleich ist das Internet aber auch Auch hier gilt das alte Motto des Grünen im Unterauschuss Neue Inhalten schützen keine pauschalen und Ganzen bewährt. Grundlage und Katalysator ganz Maßhaltens. Denn auch wer stun- Medien Es gibt ein Recht auf Schund Kulturrats-Geschäftsführer Olaf Zimmermann über die Computerspiel-Debatte und eine neue Kulturförderung Sind Computerspiele Kunst? Sollen Killerspiele verboten werden? Kul- turrats-Geschäftsführer Olaf Zim- mermann fordert öffentliche Förde- rung und ein Umdenken der Politik.

Jürgen Kleindienst: Killerspiele, sol- len Sie kürzlich gesagt haben, wür- den unter die Kunstfreiheit fallen. Ist das Ihr Ernst? Olaf Zimmermann: Es ging nicht um Killerspiele. Ich habe gesagt, dass Computerspiele ebenso wie der Film selbstverständlich ein Teil der Kultur sind, was bedeutet, dass wir die Frei- heiten, die wir der Kunst geben, auch dem Bereich der Computerspiele zu- gestehen. Das bedeutet umgekehrt nicht, dass jugendgefährdende Spie- le nun frei verfügbar sein sollten. Ich bin fest davon überzeugt: Erwachse- ne dürfen sich selbstverständlich auch mit Schund beschäftigen, wenn sie das gerne wollen. Und das darf niemand verhindern, so lange es nicht Strafgesetze tangiert. Kleindienst: Will das jemand verhin- dern? Zimmermann: Natürlich. Nehmen Sie den bayerischen Innenminister Günther Beckstein, der Computer- spiele nicht nur für Kinder und Ju- gendliche verbieten möchte. Er hat gefordert, die Altersgrenze auf mindestens 25 Jahre anzuheben. Kleindienst: Was spricht denn dage- Kinder lernen spielerisch am Computer Copyright: Deutsches Kinderhilfswerk e.V. gen? Zimmermann: Ab 18 darf man wäh- Eintreten für Meinungs- und Kunst- haben, als „Kultur“ zu bezeichnen, Kleindienst: Geht es nicht in Wirk- Kleindienst: Und wo soll das Geld len. Junge Leute ziehen für uns, freiheit. Das ist manchmal unange- setzt einen sehr weiten Begriff von lichkeit darum, Mittel im Bereich der dafür herkommen? wenn sie sich nicht verweigert ha- nehm, man muss einiges einstecken. ihr voraus ... Kulturförderung umzulenken, aus Zimmermann: Natürlich brauchen ben, in einen Kriegseinsatz nach Af- Kleindienst: Wie wirken Computer- Zimmermann: Das Abschlachten als Kernbereichen wie Theater und wir ein verändertes System. Seit Mit- ghanistan. Aber ein jugendgefähr- spiele Ihrer Meinung nach? Form künstlerischen Ausdrucks ist Oper weg - hin zu Computerspielen te der 80er Jahre haben sich im Wes- dendes Computerspiel soll man als Zimmermann: Zu behaupten, dass nichts Neues. Schauen Sie sich zum Beispiel? ten Deutschlands keine wirklich neu- Erwachsener nicht spielen dürfen. jeder, der am Computer spielt, Shakespeares „Titus Andronicus“ an. Zimmermann: Wir haben im Kultur- en Kulturförderstrukturen mehr eta- Das ist grotesk. Die Probleme, die es schlecht in der Schule und besonders Das sind unsere kulturellen Wurzeln. bereich in der Tat einen Markt, der bliert. Wir kommen da nicht raus, in dieser Gesellschaft mit Gewalt gewalttätig sei, ist dummes Zeug. Es Auch die Bibel enthält in diesem Sin- schneller wächst als alle anderen. können nicht auf der einen Seite be- gibt, werden wir nicht mit dem Kom- gibt nicht eine Untersuchung, die ne jugendgefährdende Passagen. Hier arbeiten 850 000 bis 900 000 jammern, was da so Schreckliches plett-Verbot von Killerspielen lösen. dies beweisen würde. Das ist eine Kleindienst: Wollen Sie wirklich die Menschen. Das sind weit mehr als in mit der Jugend passiere und gleich- Kleindienst: Wie groß ist denn der Neurose von älteren Leuten, die Pro- Sprache Shakespeares und das Ge- der gehätschelten Automobilindus- zeitig sagen: Für das, wofür Ihr Euch Anteil dieser so heftig diskutierten bleme haben, sich mit diesen neuen räusch von zerplatzenden Leibern in trie. Alleine die phonographische interessiert, haben wir kein Geld Spiele? Themen anzufreunden, die nicht wis- einem Atemzug nennen? Wirtschaft in Deutschland hat einen mehr, weil das in unsere Museen, Zimmermann: Wir reden hier von sen, worüber sie reden und deshalb Zimmermann: Nein, das will ich Umsatz von mehr als 1,5 Milliarden Theater und Opernhäuser fließt. Die- maximal sechs Prozent. Andersher- zu falschen Schlüssen kommen. Das nicht. Ich will nur sagen, dass Gewalt Euro pro Jahr. PC- und Videospiele ser Debatte werden wir uns stellen um: 94 Prozent der Spiele, die in bedeutet nicht, dass ich begeistert nicht automatisch kulturlos ist. Wir liegen noch leicht dahinter, setzen müssen. Deutschland auf den Markt kommen, von dem wäre, was es auf dem Com- sind uns doch einig, dass die meisten allerdings zum Überholen an. Gera- Kleindienst: Sie plädieren also für die sind keine Killerspiele. Diese Gleich- puterspielemarkt gibt. Computerspiele Schund sind. Aber de weil das einer der Kreativmärkte radikale Umstellung der Kulturför- setzung von Killer- und Computer- Kleindienst: Wie könnte das besser viele Filme, die ich in meinem Leben der Zukunft ist, können wir ihn nicht derung in Deutschland? spielen halte ich für unverantwortlich. werden? sah, viele Bücher, die ich lesen muss- unbeachtet lassen. Zimmermann: Genau. Das bedeutet Kleindienst: Hat die Entdeckung der Zimmermann: Indem wir uns hier so te, waren das auch. Die Frage ist für Kleindienst: Ist das Kulturstaatsmi- nicht, dass ich die Theater und Kunstfreiheit nicht letztlich damit zu verhalten, wie wir das in anderen mich, ob es Schund geben darf. Ich nisterium da am Puls der Zeit? Opernhäuser schließen will, aber es tun, dass es um einen gigantischen Kulturbereichen auch tun, nämlich sage: Ja, es gibt ein Recht auf Schund. Zimmermann: Mitnichten. Im Be- muss auch Geld übrig sein für Dinge Markt geht. Betreiben Sie nicht ein- Qualität fördern. Wenn wir andere Man sollte nicht glauben, die Kultur reich Film ist die Liebe des Kultur- wie Computerspiele. fach Lobbyismus? Spiele wollen, brauchen wir ein För- sei ein gewaltfreier Raum. Schauen staatsministers an nackten Zahlen Zimmermann: Ja, es ist ein Milliar- derprogramm für Computerspiele. Sie sich doch mal das beliebteste ablesbar. Ein Programm zur Förde- Das Interview führte Jürgen denmarkt. Aber die betroffenen Un- Das würde die wohldosierten Ent- Spiel im Netz an: „World of Warcraft“. rung von Computerspielen gibt es Kleindienst. ternehmen sind nicht Mitglied des rüstungen so mancher Politiker er- Die Figuren sind der griechischen bislang nicht. Ich hoffe aber, dass er Deutschen Kulturrates. Deswegen den. Die Idee, alle Computer abzu- Mythologie entlehnt. Das ist alles das noch auflegen wird. Die Kultur (c) Archiv - Leipziger Volkszeitung kann hier nicht von Lobbyismus die schließen, ist dumm und weltfremd. nicht vom Himmel gefallen, sondern sollte sich nicht in die Schmollecke Nachdruck eines am 29.03.2007 in Rede sein. Einer der ersten Punkte in Kleindienst: Spiele, die das virtuelle unserem kulturellen Schatz entnom- stellen, sondern Inhalte im Blick ha- der Leipziger Volkszeitung veröf- der Satzung des Kulturrats ist das Abschlachten von Feinden zum Ziel men und – natürlich – banalisiert. ben und die Qualität verbessern. fentlichten Interviews JAHR DER GEISTESWISSENSCHAFT politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 17

Mit dem Abgrund der Unwissenheit leben können Theologie als Geisteswissenschaft • Von Stephan Schaede Die christliche Theologie ist im be- Nur weil die Theologie mit ihrer ho- turtechniken zu interessieren. Denn sonders strengen Sinne des Wortes hen Zahl an Gemeinden und öffent- die Theologie ist in sich selbst inter- eine Geisteswissenschaft. Gleich lichen Orten populär sei, nur weil sie disziplinär verfasst. Ihre methodi- zwei Geister nehmen sie in die sich mit dem Geheimnis des Lebens sche Jacke ist entsprechend bunt. Pflicht. Der Heilige Geist Gottes und selbst und nicht nur einer durch die- Die Ausleger des neuen und alten der denkende Geist des Intellekts. ses Geheimnis bedingten Wirklich- Testaments verwenden die Metho- Nun behauptet allerdings die alteu- keitsprosa befassen dürfe, könne den der Altphilologie, der Religions- ropäische Wissenschaftstheorie, man ihr nicht polemisch die Frage geschichte, Religionswissenschaft der Geist des Intellekts sei der Geist nach der Wahrheit entziehen. Schlei- und Archäologie. Dabei steht die der Wissenschaft. Max Weber urteilt ermacher hat im Johannesevangeli- Philologie eben im Dienst der Frage, gar, dieser Geist mache die Wissen- um die entscheidenden Hinweise was wahr ist, und darf niemals zur schaft zu einer „gottfernen Macht“. gefunden: „Ihr werdet die Wahrheit philologischen Buchhaltung ver- Darüber wird man streiten müssen. erkennen. Und die Wahrheit wird kommen. Die Kirchenhistoriker be- Euch frei machen“ (Joh 8,32). Der dienen sich der historischen Metho- enseits dieses Streites wächst der Theologe interveniert erfolgreich bei dik, haben sie mit entwickelt und J Theologie im Ensemble der Geis- der preußischen Regierung. Sein forciert. Die Entdeckung der Narra- teswissenschaften so oder so eine Konzept einer der Wahrheit verpflich- tivität in der Profangeschichte kann Sonderrolle zu. Denn sie ist eben auf teten freien Wissenschaftskultur und die Theologie mit zustimmenden zwei Geister verpflichtet. Sie muss sein singulärer wissenschaftstheore- Amüsement begrüßen. Das hatten das närrische Kunststück fertigbrin- tischer Scharfsinn überzeugen. Die wir schon. Adolf von Harnack, der gen, den Geist einer menschlichen theologische Fakultät der Humboldt über genug Humor verfügte, dass er natürlichen Macht mit dem Geist ei- Universität zu Berlin kann es ihm beklagte zwischen Harn und Harn- ner von Gott unmittelbar abhängi- danken. blase im Lexikon zu stehen zu kom- gen Macht zu verknüpfen: den Hei- Weil bei der theologischen For- men, war ein Meister im Erzählen. ligen Geist mit dem denkenden Geist schung der eigene Glaube auf dem Und nicht nur das. Wer sich als ge- des Menschen, den Intellekt mit dem Spiel steht, ist der Wissensdurst von schichtlich gewordene Größe verste- Glauben. Das hat Anselm von Can- Theologinnen und Theologen exis- hen will, muss seine Herkunft verste- terbury auf die elegante Formel ei- tentiell. Entsprechend ist in der The- hen. Das ist eine Binsenweisheit. nes nach der Vernunft fragenden ologie die Neugier längst schon vor Geschichtsvergessenheit lässt eine Glaubens (fides quaerens intellec- Anbruch der Neuzeit legitim. Sie will Zivilisation tragischerweise alle Feh- tum) gebracht. Die wissenschaftli- es wissen. Und sie kann es nur wis- ler ihrer Vorfahren repetieren. Die che Arbeit der Theologie ist deshalb sen, wenn sie auf Einsichten und Kirchen- und Theologiegeschichte nicht schwieriger als die anderer Methoden anderer Disziplinen zu- verantwortet ein hochkomplexes Geisteswissenschaften. Sie ist aber rückgreift. Bereits die ersten theolo- Arial unseres kulturellen Gedächt- in anderer Weise schwierig. Denn die gischen Persönlichkeiten waren nisses. Ohne gute historische Abtei- Theologin oder der Theologe hat hochintelligente Sammler und Jäger. lungen in der Universitätstheologie nicht nur damit zu kämpfen, dass bei Sie jagten nicht nur nach Informati- wird die Politik und Gesellschaft die aller noch so akribischer und korrek- onen, sie jagten auch nach der rich- subkutanen Kräfte, die in der Men- ter Anwendung intellektueller Me- tigen Methodik. Mit entsprechen- talität einer Gesellschaft wirken, thoden ein guter Einfall gelegentlich dem wissenschaftlichem Know-how schlechter einschätzen können. Die Anselm von Canterbury: Orationes et Meditationes. Quelle: Bibliothek der lange auf sich warten lässt. Es ausgestattet erforschten sie ein Kirchengeschichtlerinnen und Kir- Universität Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/cpg412/0005 kommt hinzu, dass der den Glauben Buch, nämlich das anthropologisch chengeschichtler müssen sich wirkende Heilige Geist „weht, wann hochreflektierte und zugleich erfah- allerdings auch in anmerkungsar- für die verschiedenen Formen von Es war Immanuel Kant, der einst und wo er will“ (Joh 3,8). Bisweilen rungsgesättigte Buch der Bücher, die men prägnanten Studien entspre- Kunst und Kultur. Und sie sind auf schrieb: „Die Beobachtungen und scheint er’s nicht zu wollen. Mit die- Bibel. Die Bibel kann als Stiftungs- chend zu Wort melden. diesem Gebiet für mutige Entschei- Berechnungen der Sternkundigen ser methodischen Provokation muss urkunde für Wissenschaft und Glau- Die Theologie hat schon längst dungen zu gewinnen. Die Theologie haben uns viel Bewundernswürdiges die Theologie leben und klugerweise be gar nicht ernst genug genommen vor Kants kritischer Reflexion der erzieht dazu, aus gründlicher Kennt- gelehrt, aber das Wichtigste ist wohl, gegebenenfalls auch einmal schwei- werden. Eine ihrer Stärken ist, nicht Leistungsfähigkeit menschlicher nis der kulturellen Tradition und ih- daß sie uns den Abgrund der Unwis- gen, wenn sie nichts zu sagen hat. einfach unisono uniformiert zu ent- Vernunft ein deutliches Bewusstsein rer berechtigten Prägekraft um der senheit aufgedeckt haben, den die Indem sie sich dieser Provokation falten, was es mit der Wahrheit, dem dafür entwickelt, dass die Antwort Intensität des Lebens willen, wo es menschliche Vernunft, ohne diese nicht schämt, regt sie die anderen Leben und mit Gott auf sich hat. Ver- auf die Wahrheitsanfrage unabge- Not tut, mit der Konvention zu bre- Kenntnisse, sich niemals so groß universitären Disziplinen in unver- schiedene Schichten und Überliefe- schlossen bleibt, aber immer weiter chen. hätte vorstellen können“. Es gehört wechselbarer Weise durch ihre be- rungstraditionen, Strittiges steht präzisiert und verständlich gemacht Sie bildet an guten Fakultäten zu den Leistungen der Theologie als sondere Gestalt und Methodenwahl unzensiert beieinander. Über Jahr- werden muss. Dieser Aufgabe hat wachsame und wache Gemüter he- Geisteswissenschaft das Kulturwe- an. Mehr noch: Die Geisteskultur an hunderte hinweg bestand die Aufga- sich vor allem die systematische ran, die fatalistische Mutlosigkeit sen Mensch in den Stand zu setzen, den Universitäten braucht die The- be der Theologie darin, diese Texte Theologie zu stellen. Was besagt für bekämpfen. Sie werden – je nach Ort mit diesem Abgrund lebensproduk- ologie, wenn sie nicht unter ihr Ni- Wort für Wort zu verstehen, zu inter- unsere Lebenssituation heute, was in der Gesellschaft mehr oder weni- tiv umgehen zu können. veau fallen will. Denn durch ihre pretieren und über die Relevanz die- in den kulturell andersartigen und ger im Namen Gottes, aber immer in spannungsvolle Verpflichtung auf ser Worte zu streiten. Theologie ist fremden, aber nicht veralteten und seinem Namen und nicht anonym – Der Verfasser ist Arbeitsbereichslei- zwei Geister macht die Theologie al- Streit um die Wahrheit. Und sie steht vergangenen Texten der Bibel vom zu verhindern wissen, dass die ge- ter „Religion und Kultur“ an der lein mit ihrer universitären Existenz dazu. Noch im Mittelalter sind die Leben behauptet wird? Was besagt samte Kultur und Zivilisation ein Foschungsstätte der Evangelischen darauf aufmerksam, dass alle übri- Kommentierungen biblischer Texte das für die Fragen, was ich wissen Zwischenfall ohne Folgen bleibt. Studiengemeinschaft Heidelberg gen Disziplinen es mit einem gänz- die zentrale Form der wissenschaft- kann, was ich tun soll und was ich lich profanen Geist zu tun haben. lichen Beschäftigung. Widersprüche hoffen darf? Die Theologie wird immer wieder werden aufgedeckt, pro und contra Als praktische Theologie schließ- fragen, ob sich dieser Geist vernünf- von Auslegungsautoritäten disku- lich greift die Theologie etwa die Me- tig genug über sich selbst aufklären tiert. Unreflektierte Sammelleiden- thoden und Einsichten der Psycholo- kann. Genau das findet mitunter schaft wird immer wieder fruchtbar gie, Rhetorik, der Soziologie und Pä- KULTURELLE BILDUNG IN DER jene Disziplin ärgerlich, die diese gestört. Gilbert von Porret zettelt ei- dagogik auf, um zu reflektieren, wie Anfrage nicht ertragen will: die Phi- nen Krach an. Er kommentiert den die das Leben wahr machenden Le- BILDUNGSREFORMDISKUSSION – losophie. Sie steht ja ihrerseits wis- Philosophen Boethius und verlangt bensverhältnisse zunächst in den Kir- senschaftsprogrammatisch in der systematischere Ordnungen. Aus der chen, und dann in der Gesellschaft Konzeption Kulturelle Bildung III Pflicht, mit dem intellektuellen Geist eigenen Zunft wird um 1200 bezwei- ausgestaltet werden können. allein der Aufgabe einer Geisteswis- felt, ob denn die Grundsätze des Es spricht alles dafür, im Kontext senschaft gerecht werden zu müs- Glaubens die entscheidende Eigen- theologischer Fakultäten die religi- sen. Der Philosoph Johann Gottlieb schaft eines wissenschaftlichen Axi- onswissenschaftliche Forschung Fichte hat deshalb in seinem „Dedu- oms aufweisen, nämlich evident zu stärker zu integrieren. Die zuneh- Hg. v. Deutschen Kulturrat zierten Plan einer in Berlin zu errich- sein. Ein Theologe, der zu seiner Zeit menden Herausforderungen globa- Max Fuchs Gabriele Schulz tenden höheren Lehranstalt“ den hochumstritten war, und erst sehr ler und von Migration bestimmter KULTURELLE BILDUNG Störenfried Theologie aus dem En- spät zum Lehrer der Kirche avancier- religiöser Gemengelagen fordern Olaf Zimmermann IN DER semble der Fakultäten kurzerhand te, Thomas von Aquin, macht deut- dazu auf. Bedenkt man, mit wem es 480 Seiten, 22,80 Euro BILDUNGSREFORMDISKUSSION herausdeduziert. Fichte trug zwei lich, dass man auf die Evidenz die- ausgebildete Theologinnen und Konzeption Kulturelle Bildung III Gründe vor. Die Theologie verwalte ser Sätze lange warten könne. Die Theologen in Schulen, Pfarrämtern Bestelladresse: erstens ein Geheimnis. Geheimnis- Theologie arbeite mit beliehenen oder anderen Berufskontexten, etwa Deutscher Kulturrat, krämerei sei jedoch für die „Schule abgeleiteten Prinzipen von jenem Personalabteilungen großer Firmen Chausseestraße 103, der Wissenschaft“ unverdaulich. Wissen, das eigentlich nur Gott von oder politischen Aufgabenfeldern zu 10115 Berlin Und sie fröne zweitens der „Kunst sich selber haben könne. Solche Ein- tun bekommen, sollten sie etwa über Fax: 030/24 72 12 45, der Popularität“. Das sei nun einmal sichten sorgen für kritische erkennt- den Islam mehr als nur auf dem E-Mail: [email protected] „der wissenschaftlichen Schule, wel- nistheoretische Selbstdistanz bis auf Stand einer „Allgemeinbildung“ in- Hrsg. vom Deutschen Kulturrat che den szientifischen Vortrag beab- den heutigen Tag. formiert sein. Islamwissenschaft im Max Fuchs Gabriele Schulz sichtigt, entgegengesetzt“. Fichte Theologinnen und Theologen, Kontext christlicher Theologie zu Olaf Zimmermann schlug vor, die Theologen als „künf- die Theologie wirklich studieren treiben, ist dringend geboten. tige Volkslehrer“ andernorts auszu- konnten, weil ihnen theologische Wer Theologie studiert hat, hat bilden. Die Wahrheitsfragen bräuch- Lehrerinnen und Lehrer begegnet nicht nur innerhalb der Wissen- ten sie nicht stellen. Wichtig sei al- sind, die diesen Namen verdienen, schaft die eigene Disziplin überstie- lein „ein Volk liebendes Herz“ auszu- sind also wissensdurstige, neugieri- gen. Er ist auch für die Arbeit in kul- bilden. Der Berliner Domprediger ge Menschen. Sie haben verinner- turpolitischen Kontexten prädesti- Daniel Friedrich Ernst Schleierma- licht, sich für die Diskurse anderer niert. Eigenständige Theologinnen cher hat dem scharf widersprochen. Wissenschaftsdisziplinen und Kul- und Theologen haben ein Sensorium KULTURELLE VIELFALT politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 18

Herausforderung Kulturelle Vielfalt Das UNESCO-Übereinkommen vor der Umsetzung in Deutschland • Von Max Fuchs Hannah Arendt sprach einmal da- gendhafte Bürger (männlich, frei, Gesellschaft gibt. Es gibt Sprach- und Lebens“, die mit den Griechen begon- für Entwicklungshilfepolitik (WIDER) von, dass die abendländische Phi- reich) konnte gar nicht anders, als sich Wertegemeinschaften, es gibt Kultu- nen haben, haben recht schnell zu eine „schwache Anthropologie“ ent- losophie immer Probleme damit an der politischen Steuerung der Po- ren im Sinne von unterscheidbaren äußerst schwierigen politischen Fra- wickelt haben, um eine Messlatte für hatte, die Vielfalt des Menschseins lis zu beteiligen. Das „gute Leben“ als Lebensweisen, die sich auf gemeinsa- gen geführt: Was sollen Kulturen leis- die „Menschlichkeit“ des Lebens bei zu berücksichtigen. Stets hatte man Ideal war ein politisches Leben. Diese me Regeln einigen müssen. Und jetzt ten? Dürfen wir Kulturen nicht nur Problemen der Verteilung von Geldern den Menschen an sich im Blick. Einheit von Einzelschicksal und Poli- gibt es auch noch ein völkerrechtlich bewerten, sondern sogar zu dem Er- an die Armen zu erhalten. In diesem Nachdem sich mit dem UNESCO- tik zerbrach gründlich mit der Moder- gültiges Instrument, das eine solche gebnis kommen, sie abzulehnen? Wel- Kontext ist der so genannte „Capabili- „Übereinkommen über Schutz und ne. Der Einzelne wurde als unhinter- Vielfalt zu schützen vorschreibt. Wie che Rolle spielt der schillernde Begriff ty-Ansatz“ entstanden, der elf Grund- Förderung der Vielfalt kultureller gehbarer Ausgangspunkt jeglichen ist etwa das Problem zu lösen, dass der Leitkultur? Wie viel Unterschiede fähigkeiten (capabilities) des Men- Ausdrucksformen“ kulturelle Vielfalt Denkens entdeckt: als Individuum man zu einer vielleicht auch negativen ertragen wir, wie viel Gemeinsamkeit schen benennt, die als Qualitätsstan- endgültig als völkerrechtliche Norm (d.h. Unteilbares), als Person und Trä- Bewertung von einzelnen Kulturen ist nötig? All diese Fragen haben nicht dards für die Bewertung des Lebens durchgesetzt hat, wird sich dieser ger von Rechten, als Ausgangspunkt kommen kann, da – wie Habermas es nur eine theoretische Relevanz, sie bzw. als Handlungsorientierung für Zustand – sollte er denn heute noch jeglichen Handelns, als verantwortli- einmal sagte – ein „kultureller Arten- haben es auch mit einer empirisch zu politische Maßnahmen dienen kön- zutreffen – ändern müssen. cher Autor seiner Lebensgeschichte. schutz“ nicht beabsichtigt ist? Bour- erfassenden Realität zu tun. Doch wie nen. Entwickelt hat Nussbaum sie auf Freiheit und Integrität sind seither die dieu (und vor ihm Simmel) sprach erfassen wir diese? der Basis der Tugenden, die Aristote- ie Umsetzung des Übereinkom- in allen Menschenrechtskatalogen davon, dass das „Tote das Lebendige les in seiner Ethik beschrieben hat. D mens wird zwar wesentlich in festgeschriebenen unzerstörbaren ersticke“. Wie ist also umzugehen mit Wie ist das Kulturelle Entstanden ist so ein System von Kom- der politisch-pragmatischen All- und nicht weiter begründungspflich- dem täglich anwachsenden „Kulturer- empirisch zu erfassen? petenzen, die ein Mensch haben tagsarbeit geschehen. Doch signali- tigen Merkmale des Lebens. Das Le- be“, das einerseits Dokument des muss, wenn er sein Leben „mensch- siert der Name Hannah Arendt und ihr ben ist nur denkbar in der Ich-Pers- Menschseins ist, das aber auch die Woran wird man erkennen können, ob lich“ leben will. Für politische Pro- Hinweis auf eine beachtliche philoso- pektive: Jeder muss sein eigenes Le- Handlungsmöglichkeiten der jetzt Le- kulturpolitische Programme und Stra- gramme entsteht daher ein Kriterien- phische Tradition, dass die praktische ben leben, allgemeine Vorschriften für benden einschränkt – eben weil es tegien das Gütesiegel „Entspricht den raster, an dem man Erfolg oder Miss- Umsetzungsarbeit auf einem gesi- die Lebensführung, die die individu- auch Vorgaben über „richtige“ Le- Maßstäben kultureller Vielfalt“ erhal- erfolg „messen“ kann (vgl. Fuchs: cherten reflektierten Fundament ste- elle Entscheidungsfreiheit begrenzen, bensweisen enthält? Gibt es nicht ten können? An verschiedenen Orten Mensch und Kultur, 1998, Kap. 1.3.2.) hen sollte, das insbesondere anthro- sind strengstens zu begründen. Dieser auch Kulturen, bei denen es gut ist, arbeitet man zur Zeit heftig an Syste- Interessant ist, dass – mit einiger Ver- pologische und politisch-philosophi- Freiheitsgewinn war allerdings ver- wenn sie verschwinden? Denn Kultu- men von geeigneten Indikatoren. Die spätung – dieser Ansatz nunmehr in sche Dimensionen hat. Zwei dieser bunden mit dem Zwang, sich ent- ren müssen in Hinblick auf das Leben Kulturstatistiker beklagen sich schon der praktischen Politik in Deutsch- damit verbundenen Probleme sollen scheiden und für die Entscheidung die ihrer Mitglieder einiges leisten. Sie seit langem, dass ihr Feld zu wenig land, nämlich in der Jugendhilfepoli- hier skizziert werden: Es geht zum ei- Verantwortung übernehmen zu müs- müssen dem Einzelnen Orientierung ausgereift ist, zu wenig Unterstützung tik, angekommen ist und man ver- nen um das eher pragmatische kultur- sen. Es zerbrachen zudem allmählich geben, sie müssen die Sinnhaftigkeit erfährt und es zu wenige internatio- sucht, für die abstrakten „capabilities“ statistische Geschäft der Erfassung alle Instanzen, die bei dieser Entschei- des (individuellen) Lebens erkennen nale Absprachen gibt. Das muss sich operationalisierbare Indikatoren zu des Kulturellen, das notwendig ist, um dungsnot eine Orientierung geben lassen, und sie müssen all dies unter jetzt ändern. Im Dezember führte die entwickeln (Otto u.a.: Zum aktuellen überhaupt einen Eindruck davon zu konnten: Die Religion, die Parteien, Respektierung der unhintergehbaren OECD ein Expertentreffen durch, an Diskurs…, 2007). Dieser Ansatz könn- haben, wie sich Vielfalt in der Praxis die Weltanschauungen. Das Problem, Menschenrechte tun. Die „Menschen- dem von deutscher Seite nur zwei Ver- te auch für die Umsetzung der ausdrückt, wie sie erfasst und das seither theoretisch und praktisch würde“ – beileibe kein einfacher Be- treter des Statistischen Bundesamtes UNESCO-Konvention hilfreich sein, gegebenenfalls verbessert werden zu lösen ist, besteht darin, bei dieser griff – kommt ins Spiel. Soll dies die teilnahmen – andere Länder waren und dies umso mehr, als man sich im kann. Es geht zum anderen darum, Fokussierung auf den Einzelnen die Leitkultur sein – Nida-Rümelin spricht mit ihren Kulturministern vertreten. Begriffsgerüst der großen UNO-Fami- dass seit den Griechen Politik stets notwendige politische und soziale in seinem neuesten Buch vom „Hu- Als Vorbereitung auf das nächste lie bewegt. zwei Aufgaben zu lösen hat: Die Her- Gemeinsamkeit, die für das Zusam- manismus als Leitkultur“ –, dann ha- „Weltforum über Statistik, Wissen und Man könnte nunmehr einwenden, stellung einer „wohlgeordneten Ge- menleben und für die politische Ge- ben wir Messlatten für beides: Für die Politik“ im Juni 2007 hat man den ak- dass die vorgetragenen Überlegun- sellschaft“, die zugleich die Rahmen- staltung („Staat“) notwendig ist, her- Bewertung von Kulturen und für indi- tuellen Stand und laufende For- gen zu theorielastig seien und ein bedingung dafür bietet, dass jeder Ein- zustellen. Was ist der soziale und poli- viduelle Projekte des guten Lebens. schungsprojekte zur Kulturstatistik (angelsächsisches) pragmatisches zelne sein „Projekt des guten Lebens“ tische Kitt in einer sich ständig ausdif- Man kann aber auch des Guten zu viel beleuchtet. Nach wie vor ist das Vorgehen vielleicht günstiger sei. Da- realisieren kann. Beginnen wir mit der ferenzierenden Gesellschaft? Wie viel tun, etwa wenn man von der „Leitkul- UNESCO-Referenzsystem mit seinen her ist der Hinweis auf eine Entwick- zuletzt genannten Fragestellung, weil Gemeinsamkeit ist notwendig, wie tur als Schicksalsgemeinschaft“ 69 Indikatoren relevant, bei dem man lung von Interesse: Oliver Bennett, diese in modernen Ohren etwas ei- viel Pluralität ist noch erträglich? Seit- spricht und so – entgegen der Ent- in jedem der Kulturfelder Kulturerbe, mit dem zusammen ich Anfang der genartig klingt. her fällt das bei den Griechen noch wicklung der Moderne – Gleichför- Literatur, Musik etc. jeweils die fünf neunziger Jahre den ersten europäi- gemeinsam Gedachte auseinander: migkeit will, wo Freiheit hingehört. Wo Verlaufsetappen Produktionen, Vertei- schen Sommerkurs in Kulturpolitik Das „Projekt des guten Die politische Frage nach der wohlge- ist also die Grenze zwischen Freiheit lung, Rezeption/Konsum, Schutz und und Kulturmanagement realisiert Lebens“ ordneten Gesellschaft (als Gruppe von und Assimilation? Bekanntlich ent- Teilhabe unterscheidet. Wer den Kon- habe – er ist Professor für Kulturpoli- Einzelnen) und die Frage nach dem in- zündete sich an dieser Frage in Nord- ventionstext liest (z. B. Artikel 4, Abs. tik an der University of Warwick – leg- Dieser Begriff klingt nicht nur altmo- dividuellen Projekt des guten Lebens. amerika ein produktiver philosophi- 1: Definition „Kulturelle Vielfalt“), fin- te kürzlich eine Studie vor, die starke disch und unzeitgemäß, er ist auch alt. Heutige Gesellschaften sind multieth- scher Streit zwischen dem Liberalis- det exakt diese Etappen aufgelistet. Anleihen bei den Ästhetiken von Pla- Er stammt aus der praktischen Philo- nisch, multikulturell, dynamisch. Ein- mus (Rawls) und den Kommunitaris- Dies stellt klar: In jeder Phase eines to und Aristoteles machte, um besser sophie der Griechen. Damals war das zelne schließen sich zu Geschmacks- ten (Etzioni, Taylor, u.a.). Letztere sa- Umgangs mit Kunst und Kultur kann über Wirkungen von Kunst sprechen Leben – zumindest auf dem Reißbrett gemeinschaften zusammen, von de- hen die Auflösungserscheinungen ei- sinnvoll nach Vielfalt gefragt werden, zu können („Rethinking the social der Theorie – noch einfach: Der tu- nen es wiederum unzählige in einer ner Gesellschaft, die nur noch aus ab- jede Phase in jedem Kultursegment impact of the Arts“, 2006). Die deut- geschotteten Atomen bestand und muss aber auch empirisch überprüft sche, eher kopflastige Tradition er- setzten die lokalen Gemeinschaften werden. Dies ist eine zentrale Aufga- fährt also auch im Mutterland eines mit ihren Werten und Normen in ihr be, die nunmehr von den Akteuren zu pragmatischen Vorgehens eine Reha- Recht. Doch sind inzwischen auch die leisten ist. Überarbeitungsbedürftig ist bilitation. Halten wir uns also an Ein- überschaubaren Gemeinschaften dieses Indikatoren-System, weil es er- stein: „Man soll Sachverhalte so ein- nicht mehr so klar definierbar und hebliche Lücken hat (etwa bei den fach erklären wie möglich, allerdings homogen, als dass sich so das Problem „creative industries“ und den Medi- nicht einfacher“. eines Umgangs mit Vielfalt lösen en). Eine aktuelle Anwendung und Man kann die obigen Ausführun- könnte. Der Kanadier Charles Taylor Präzisierung dieses Indikatorensys- gen zu einer Art Arbeitsprogramm zur erlebte es im eigenen Land: Kaum hat- tems benutzt etwa die Provinz Quebec Umsetzung des Übereinkommens zu- ten die Frankophonen ihr Minderhei- (le système d’indicateurs de la culture sammenfassen: tenrecht in Kanada erkämpft, unter- et des communications au Quebec; 1. Vergewisserung der Funktionen, die drückten sie gnadenlos die englisch- 2007; weitere Beispiele, etwa das Kulturen für den Einzelnen haben. sprachige Minderheit in ihrer Provinz. damals schon elaborierte kulturstatis- 2.Entwicklung eines „Menschen- Wie also kann Teilhabe sichergestellt tische System der Schweiz, finden sich rechts-Tests“ für Kulturen. werden? „Kulturelle Teilhabe“ ist in Fuchs/Liebald: Wozu Kulturarbeit?, 3.Diskursives Ausloten des Span- bekanntlich das höchst abgesicherte 1995). Dass diese eher technisch klin- nungsverhältnisses zwischen Viel- kulturpolitische Ziel (Art. 27 der Allge- gende Aufgabe sehr rasch zu tiefgrei- falt und Unterschieden auf der ei- meinen Erklärung der Menschenrech- fenden theoretischen Erwägungen nen Seite und notwendiger Ge- te). Dieses Ziel ist anthropologisch gut führt, wird sofort klar. Man muss sich meinsamkeit auf der anderen Seite begründet, denn nur in der bestmög- nur daran erinnern, dass man etwa die („Leitkultur“). lichen individuellen Aneignung des Frage klären muss, ob man die Com- 4. Vergewisserung unhintergehbarer gesellschaftlichen Reichtums – das ist puterspiele-Industrie zur Kultur zäh- gemeinsamer Standards der je indi- „Bildung“ – kann sich mein Mensch- len will (ein aktueller Streit). Die Kom- viduellen Projekte des guten Le- sein entfalten. Dies ist jedoch nicht plexität der Aufgabe zeigt auch eine bens. zum Nulltarif zu erhalten. Der Sozial- letzte Überlegung. 5. Entwicklung eines zeitgemäßen In- politikforscher F.X. Kaufmann gibt für dikatorensystems zur statistischen die Sicherstellung der sozialen Teilha- Die Wiederkehr der Erfassung des kulturellen Lebens. be vier Bedingungen an, die erfüllt Anthropologie 6.Ausloten der politischen Konse- sein müssen: finanzielle Ressourcen, quenzen zur Sicherstellung des Erreichbarkeit, rechtliche Zugangs- Die eingangs vorgestellten Erwägun- Menschenrechtes auf kulturelle möglichkeiten und Bildung. Für kul- gen zur existentiellen Bedeutung von Teilhabe. turelle Teilhabe wird man ähnliche Be- Kultur haben sehr viel mit Kulturphi- 7.Aneignung und kulturpolitische dingungen formulieren können. Bei losophie und Anthropologie zu tun, Weiterentwicklung des capability- der Realisierung kultureller Vielfalt mit zwei Disziplinen also, denen man Ansatzes von Nussbaum/Sen. wird man also heftig in die Sozialpoli- nicht unmittelbar eine praktische Re- 8. Und nicht zuletzt: Überprüfung von tik eingreifen müssen, wenn man den levanz attestieren würde. In diesem kulturpolitischen Strategien anhand Angehörigen solcher Kulturen, die den Zusammenhang ist es interessant, des entwickelten Evaluationspro- Anlässlich der Verabschiedung des Übereinkommens zum Schutz der kultu- Menschenrechts-Test bestanden ha- dass die Philosophin Martha Nuss- gramms. rellen Vielfalt durch die UNESCO-Generalkonferenz im Oktober 2005, er- ben, Teilhabe ermöglichen will. baum und der Ökonom und Nobel- schien eine Sonderausgabe von „UNESCO heute“, der Zeitschrift der Deut- Fassen wir zusammen: Die Über- preisträger Amartya Sen vor einigen Der Verfasser ist Vorsitzender des schen UNESCO-Kommission. © Deutsche UNESCO-Kommission legungen zu dem „Projekt des guten Jahren am Helsinki-Institut der UNO Deutschen Kulturrates AUSWÄRTIGE KULTURPOLITIK politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 19

Kunst im interkulturellen Dialog Pragmatisch anwendbare Verbindung von Kunst, Politik und Gesellschaft • Von Hans-Georg Knopp Kunst und Politik, Kunst und Gesell- auf, die nicht im geringsten inten- schaft – das sind Themen, die spä- diert waren. Sehr kritische Einzelpo- testens seit dem 18. Jahrhundert sitionen, die sich hoch differenziert Diskussionsstoff für Salongesprä- mit der aktuellen Gesellschaft, mit che, Feuilletons und intellektuelle der postkolonialen Fremdbestim- Auseinandersetzung bieten. Die mung, mit den religiösen und sozia- hartnäckige Lebendigkeit der The- len Verwerfungen auseinandersetz- menstellung spricht dafür, dass es ten, wurden unter dem Mantel des tiefgehende Gründe für seine Be- kulturellen Dialogs als arabische, liebtheit gibt. Wer sich jedoch wie muslimische Kunst vereinnahmt. das Goethe-Institut mit auswärtiger Dass Beirut, Kairo oder Jerusalem Kulturpolitik befasst, der braucht eine multiethnische und multireligi- eine pragmatisch anwendbare Ver- öse, kurz: eine kosmopolitische Ge- bindung von Kunst, Politik und Ge- sellschaftsgeschichte haben, aus der sellschaft, auf die die Arbeit kon- sich das Selbstverständnis der zeptionell aufbauen kann. Künstler generierte, war dem Kli- schee einer arabisch-islamischen wei Ansätze dafür stehen sich in Identität nur partiell abzuringen. Z der bundesrepublikanischen Als zweites Beispiel seien die Fachöffentlichkeit seit langem ge- Einladungen an das Isang Yun-En- genüber. Vor allem aus den Ministe- semble aus Pjöngjang/Nordkorea rialverwaltungen kommen etatisti- nach Deutschland genannt. Wie sche Vorstellungen, die von allge- kaum ein anderer Künstler war der meinen politischen Zielen ausgehen Komponist Isang Yun ein tragisches und im Kulturaustausch im techni- Opfer des Kalten Krieges. Nach ei- schen Sinne ein Instrument der Po- nem Besuch in Nordkorea wurde er litik sehen. Ihre Vorbilder haben sol- im Süden des Landes zum Tode ver- che Gedanken in der französischen urteilt. Um einen Kontakt zur korea- Praxis der Politik „pour le rayonne- nischen Kultur halten zu können, ment de la France“ und in der ame- baute Yun in Pjöngjang eine Schule rikanischen Diskussion zur „Public und ein Ensemble zeitgenössischer Diplomacy“. Musik auf, das von dem totalitären In der deutschen Öffentlichkeit – Regime Nordkoreas als Aushänge- seien es die Feuilleton-Redaktionen, schild internationaler Kunstpro- West-Eastern Divan Orchestra. © Fundación Barenboim-Said akademische Diskussionsforen und duktion genutzt wurde. Kaum eine auch die Kunstszenen selber – be- andere ernsthafte künstlerische Ar- Diese Unterscheidung zwischen Kul- ben haben, die nachhaltig wirken. Es sondern um das Aushalten von Kom- steht in aller Regel wenig Sympathie beit wurde daher politisch so ein- tur als Kunst und Kultur als Moral ist waren nicht die christlichen Werte plexität, das Aussprechen von Tabui- für den etatistischen Ansatz. Bis heu- deutig instrumentalisiert wie die für den interkulturellen Dialog eine oder die politischen Strukturen, die siertem und die Darstellung von te haben sich diese Stimmen immer Gastspiele des Isang Yun-Ensembles sehr klärende Hilfe. Ist es doch gera- sich international vermittelten. Es Grenzen. wieder durchgesetzt und in der Kon- aus Pjöngjang in Europa. Doch jen- de die Vermischung beider Felder, an waren immer individuelle Künstler- Vor diesem Hintergrund erscheint sequenz eine zivilgesellschaftliche seits aller Instrumentalisierung wur- denen sich Debatten entzünden. Die persönlichkeiten, die mit ihren Wer- die Frage interessant, warum es sinn- Grundlegung der auswärtigen Kul- de dieses Gastspiel zu einem künst- Folge davon ist in der Regel, dass die ken, durch ihre Präsenz und Vermitt- voll ist, in der internationalen Kultur- turpolitik erreicht. Gallionsfiguren lerischen Triumphzug. Möglich war ästhetischen Aspekte von Kunstpro- lung die Inhalte von Kultur aus politik mit Künstlern und der Produk- dieses Konzepts sind Intellektuelle das nur durch den einzigartigen Stel- duktion hinter ethische Diskussio- Deutschland transformierten. Dabei tion von Künstlern zu arbeiten. Die und Politiker wie Ralf Dahrendorf lenwert des Komponisten. Heute ge- nen zurücktreten. Der Karikaturen- waren diese Arbeiten gerade deswe- These dieses kurzen Beitrags ist, dass und Hildegard Hamm-Brücher. In hören die Werke Yuns zum festen streit oder die Absetzung von Idome- gen so wichtig, weil sie nicht eine es die wichtigste und effektivste Mög- der Konsequenz ihres gesellschafts- Kanon des koreanisch-koreanischen neo an der Deutschen Oper in Berlin imaginäre deutsche Kultur repräsen- lichkeit ist, einen Kulturaustausch zu politischen Ansatzes lag es, die aus- Kulturaustauschs. sind jüngste Beispiele für diese Kon- tierten, weil sie nicht moralisierten, realisieren, der sich nicht auf die Kli- wärtige Kulturpolitik im Sinne eines Die hier angedeutete (versuchte) fusion. Die Autonomie der Kunst, die sondern weil sie in der Komplexität schees reduziert. Interessanterweise erweiterten Kulturbegriffs zu defi- politische In-Besitznahme von Freiheit des Künstlers, beide werden des jeweiligen Werkes die Ambiva- spielt es dabei nicht so sehr eine Rol- nieren. Kunstproduktion im interkulturellen im interkulturellen Feld einer kriti- lenzen der deutschen Gegenwart in le, ob es sich um klassische Kunstpro- Die Praxis hat nun gezeigt, dass Kontext wurde in den letzten Jahr- schen Revision unterstellt und durch sich aufhoben, weil sie die kritische duktion, wie zum Beispiel in der klas- der erweiterte Kulturbegriff auch zehnten insbesondere durch die die politischen Reaktionen in ihrem Reflektion auf die eigene Geschich- sischen Musik, handelt, oder zeitge- Nachteile hat. Um der Beliebigkeit postkolonialen Debatten themati- Selbstwert neu befragt. Das ist für te ins Zentrum rückten, und so für nössische Arbeiten. Für die mögliche zu entgehen, bedarf es einer ästhe- siert. Wegweiser waren die Cultural das Goethe-Institut seit seiner Grün- Kritik im Eigenen standen. Wirksamkeit klassischer Kunst steht tischen Akzentuierung. Die folgen- Studies, geprägt durch Persönlich- dung Arbeitsalltag. Eine lokale Auto- Ein besonderes Beispiel für eine das fantastische Projekt von Daniel den Überlegungen sollen dem Rech- keiten wie Stuart Hall, Paul Gilroy nomie und Freiheit, auch eines künstlerische Produktion, die die in- Barenboim mit einem Jugendorches- nung tragen. Es geht um den Versuch oder Homi K. Bhabha. Für sie stand Kunstwerks, tritt im internatonalen dividuellen Haltungen und Positio- ter in Ramallah. Barenboim setzt die deutlich zu machen, worin genau die fehlende Symmetrie im Kultur- Austausch ein in andere Deutungs- nen des Künstlers an den Bruchlini- klassische westliche Musiktradition der genuine Beitrag der Kunst für die austausch, die Ethnisierung fremder zusammenhänge und auch in ande- en der eigenen Kultur exemplarisch ein, um einen hochpolitischen kultu- auswärtige Kulturpolitik liegen kann. Künstler und die Fortschreibung ko- re, oft kaum zu kalkulierende Werte- zum Ausdruck bringt, ist die Musik- rellen Dialog zwischen palästinensi- Wer von interkultureller Kompe- lonialer Praxis im Wissenschafts- debatten. theaterproduktion „Die Schwalbe“ schen und israelischen Künstlern zu tenz spricht, von auswärtiger Kultur- und Kunstbetrieb im Vordergrund. Während Künstler wie Roberto von Lee Yun Taek. Die Arbeit, initiieren. Hier geht es nicht um das politik oder vom Dialog der Kultu- Dialog zwischen Kulturen verlangte Ciulli oder Hans Haacke in ihren Ar- schließt an die klassischen Musik- Verständnis der klassischen arabi- ren, setzt indirekt immer schon eine nach einem Zurechtrücken des Dia- beiten die jeweiligen historischen theatertraditionen Koreas an, füllt schen Musik im Dialog mit der westli- bestimmte Vorstellung von Kultur logbegriffs, der von eurozentrischen und gesellschaftlichen Inhalte mit- sie aber mit einem tabuisierten The- chen Klassik. Hier geht es um die Mög- voraus, ein allgemeines Verständnis und kolonialen Inhalten geprägt war. denken, zeigt Idomeneo in Berlin, ma des modernen Koreas – dem lichkeit, mit der klassischen Kunst alle von Kultur. Tatsächlich aber handelt Es ist dieses Bewusstsein, das heute wie ein lokales Kunstereignis durch Thema koreanischer Kinder von ja- Grenzen kultureller, religiöser oder po- es sich meist um theoretische Kon- die Grundlage dafür schafft, den Kul- die Globalisierung eingeholt wurde. panischen Soldaten aus der Besat- litischer Wirklichkeit zu überwinden. struktionen, die sich in der konkre- turbegriff neu zu untersuchen. Das kann auch die Vorstellung irani- zungszeit. Dieses Meisterwerk des So machte sich der koreanische ten Projektarbeit als ungenügend, ja Es gilt, den manchmal beliebig scher Filme auf der Berlinale 2006 zeitgenössischen asiatischen Musik- Künstler Nam June Paik in den 50er als irreführend und gefährlich erwei- gewordenen Begriff von Kultur für ebenso wie die Gastspiele von Johan theaters behauptete sich in der äs- Jahren nach Deutschland auf, um im sen können. Bereits zwei Beispiele die Praxis zu präzisieren. Lässt sich Kresnik in Mexiko oder Frank Castorf thetischen Dimension von klassi- Rheinland seine künstlerische Iden- zeigen, wo sich die Konflikte festma- doch das, was wir mit Kultur meinen, in Brasilien betreffen. scher Kunst und Innovation und ver- tität zu finden. In den Begegnungen chen. schließlich nur in der Praxis entwi- Dabei ist das zentrale Thema mittelte auf dieser Ebene eine tragi- mit Künstlern wie John Cage in Exemplarisch sind Erfahrungen ckeln. Deswegen möchte ich an die- nicht eine mögliche Zensur oder sche Seite der koreanischen Ge- Darmstadt oder Joseph Beuys in Düs- mit Künstlern aus dem Nahen Osten. ser Stelle eine Unterscheidung ein- Selbstzensur, sondern eine Frage der schichte, die durch ihre künstleri- seldorf entwickelt er eine zeitgenös- Ein Grundthema für sie ist, dass sie führen, wie sie Dirk Baecker in dem Werte, für die ein Künstler einsteht. sche Transformation einen Einblick sische Kunstsprache, die weltweit die in der westlichen Öffentlichkeit nicht Essayband „Wozu Kultur“ sehr grif- Diese Überschneidung ästheti- in die koreanische Kultur ermöglich- Kunstszenen beeinflusst hat. Der Va- zuerst als Künstler, sondern als ara- fig herausgearbeitet hat: die Unter- scher und ethischer Felder und ihre te, der ansonsten nur durch langes ter der Videokunst ist prominenter bische Künstler oder auch als islami- scheidung zwischen Kultur als Kunst Vermischung ist Anlass, die Frage Studium, zahlreiche Debatten, Wirt- und erfolgreicher Vertreter einer of- sche Künstler wahrgenommen wer- und Kultur als Moral. nach der Rolle von Künstlern für den schaftsgipfel oder Festivals zu trans- fenen Kunsthaltung, die vor kulturel- den. Das wäre so, als würde man die „Nichts steht überzeugender für Kulturaustausch neu zu stellen. portieren wäre. len Grenzziehungen à la Huntington wichtigsten Künstler aus Deutsch- das, was wir unter einer Kultur ver- Dabei geht es nicht um eine theore- Ähnlich hat, als ein Beispiel aus nicht halt macht. Es sind die Künst- land als christliche Künstler beschrei- stehen, als das Werk eines Künstlers tische, sondern um eine ganz prak- Deutschland, Fatih Akins Film „Ge- ler wie Nam June Paik, Isang Yun, Gy- ben. Wir sind es jedoch gewohnt, zeit- und der Wert einer Moral. Das ästhe- tische Rolle. gen die Wand“ mehr über die Le- örgy Ligeti oder William Forsythe, um genössische europäische Künstler als tisch Gelungene und das ethisch Fragt man im interkulturellen bensbedingungen junger Deutsch- nur einige wenige zu nennen, die kul- Individualisten zu definieren, die mit Richtige definieren eine Kultur so Austausch nach dem, was bleibt, türken ausgesagt und mehr Men- tureller Identität oder kulturellem nationaler, geschweige denn religiö- unzweifelhaft wie das ästhetisch dann sind es die Kunstwerke und schen in seinen Bann gezogen als alle Dialog ein Gesicht gegeben haben, ser, Identität kaum zu fassen sind. Misslungene und das ethisch Falsche. eben nicht die ethischen oder die Diskussionen über Kopftücher oder ein ganz individuelles, ein kritisches, Als das Haus der Kulturen der Jede Kultur basiert auf einem Streit politischen Debatten. Es sind die Ehrenmorde. Für Teile des deutschen ein utopisches oder anarchistisches Welt im Jahre 2003 das Projekt Dis- darüber, was man für falsch und was Werke von Bausch, Rihm, Fassbin- Feuilletons war allerdings die Tatsa- Gesicht. Was wäre internationale Kul- Orientation realisierte, ein Projekt für richtig hält, handele es sich um der, Wenders, Grass, Castorf, Staeck che, dass die Hauptdarstellerin früher turarbeit oder eine Kultur-Außenpo- zur zeitgenössischen Kunst arabi- Verhalten, Einstellungen oder Klei- und so vielen anderen, die interna- in Pornofilmen zu sehen war, Grund litik, wenn sie nicht in wesentlichen scher Künstler aus dem Nahen Os- derstile; und jede Kultur beruhigt tional Bestand hatten und durch die genug, die Debatte über die Kultur als Teilen auch von Künstlern getragen ten, warf der bevorstehende Irak- sich, wenn sie auf ein Kunstwerk die Goethe-Institute ihr Profil beka- Kunst auf die Frage nach der Kultur und gestaltet würde. Krieg seine Schatten voraus und lud stößt, das in jeder Hinsicht stimmig men. Es sind auch diese Künstler, die als Moral zurückzubiegen. Es geht die einzelnen künstlerischen Arbei- ist, passt und überzeugt.“ ( Die Ellip- den Kunstszenen in Indien, Latein- eben in den Kunstwerken nicht um Der Verfasser ist Generalsekretär des ten mit politischen Bedeutungen se der Kultur in Wozu Kultur, S. 181) amerika oder China Impulse gege- eine ethisch korrekte Information, Goethe-Instituts AUSWÄRTIGE KULTURPOLITIK politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 20

Zeitgenössische Kunst und der koreanische Markt puk-Interview mit Michael Schultz politik & kultur: Herr Schultz, Ende ses Interesse geht dabei weit über März nahmen Sie erstmals an der art die Malerei hinaus. Auch Musik und Karlsruhe teil. Mit welchen Eindrü- Literatur aus Deutschland wird ein cken sind Sie nach Berlin zurückge- hoher Stellenwert beigemessen. Die- kehrt? se Aufgeschlossenheit und das stei- Michael Schultz: Ich kam mit guten gende Interesse hat letztlich den Gefühlen zurück. Auf der Art Karlsru- Ausschlag für unser Engagement in he haben wir eine Installation von Korea gegeben. Saulius Vaitiekunas gezeigt. Es war puk: Sind weitere Galerien in Asien unsere Absicht, mit der ersten Messe- geplant? teilnahme in Karlsruhe ein deutliches Schultz: Eine weitere Galerieeröff- Statement zu setzen, was uns meines nung, zum Beispiel in Peking, steht Erachtens auch gelungen ist. Außer- momentan nicht zur Diskussion. dem kam es zu vielen interessanten Allerdings sind wir gut in China auf- Begegnungen. Ich habe einige Samm- gestellt. Schließlich arbeiten wir eng ler aus dem südwestdeutschen Raum mit einigen chinesischen Galerien, wieder getroffen, die ich lange nicht die unsere Künstler ausstellen, zu- mehr gesehen habe und neue dazu sammen. Im Übrigen wird in Peking kennen gelernt. Von daher war es eine zurzeit der Ribbentroppzyklus von lohnenswerte Angelegenheit. Stephan Kaluza gezeigt. puk: Lassen Sie uns über eine der be- puk: Laut einer neuen Studie der deutendsten Kunstmessen in Asien Deutschen Bank werden einige asi- sprechen, die KIAF (Korean Interna- atische Staaten, und darunter auch tional Art Fair). Dieses Jahr wird dort Südkorea, Deutschland in einigen die spanische Kunst Länderschwer- Jahren in punkto Wohlstand über- punkt sein. Vor zwei Jahren kam die- holen. Sind solche ökonomischen ses Privileg der Kunst aus Deutsch- Prognosen bei der Gründung einer land zu. Was hat sich seither hin- Galerie in Seoul von Interesse? sichtlich der Beziehung der Koreaner Schultz: Überhaupt nicht. Da wir zur deutschen Kunst verändert? schon seit vier Jahren mit festem Per- Michael Schultz in seiner Berliner Galerie. Foto: Stefanie Ernst Schultz: Sehr Vieles! Mittlerweile sonal in Seoul arbeiten, suchten wir gibt es eine sehr enge Verflechtung dort einen Lagerraum. Bald hielten puk: Bis Ende Februar lief in der Se- sich das motivisch in der Kunst wie- und sich mit den Künstlern austau- zwischen koreanischen Sammlern wir stattdessen nach einem Show- ouler Galerie die Eröffnungsausstel- der? schen. Nur so erfährt man mehr über und aktueller deutscher Kunst. Deut- room Ausschau. Letztlich ist es dann lung „German Masters“, anschlie- Schultz: Man sieht immer wieder, die scheinbaren Landschaften oder schen Künstlern, ebenso wie ameri- eine Galerie geworden. Dort zeige ich ßend waren Werke von Jan Muche zu dass Elemente der Teilung in Bildern Porträts. SEO, die in Südkorea behei- kanischen schenkt man in Südkorea junge Künstler, wie Maik Wolf oder sehen. Was ist in Zukunft geplant? von Südkoreanern auftreten. Aller- matet ist, hat dies mal in einem sehr vermehrt Beachtung. Dort sind Jan Muche, die auch in Deutschland Sind deutsche Künstler damit auf dings nicht so direkt, wie dies bei prägnanten Satz zusammengefasst. Künstler wie Georg Baselitz, Gerhard noch nicht ganz so bekannt sind. Es dem besten Weg sich auf dem kore- deutschen Künstlern der Fall war. Sie sagte: „Für mich ist nicht wichtig Richter, Maik Wolf oder Jan Muche sind immer auch Wagnisse, die ich anischen Markt zu etablieren? Denken Sie dabei nur an die Mauer- die Dinge darzustellen, sondern das sehr beliebt. Die Bestände in südko- damit eingehe. Schließlich betreiben Schultz: Bislang wurden in der Ga- bilder eines Rainer Fetting. Während Wesen der Dinge.“ Diese Art der Kunst reanischen Sammlungen spiegeln wir einen sehr hohen Aufwand, um lerie immer deutsche Künstler ge- einige Künstler aus der DDR in der muss man lesen lernen, und dies ge- diese besondere Affinität zu zeitge- die Galerien auf diesem Niveau hal- zeigt. Werke von Jan Muche und Bundesrepublik zum Teil eine gewis- lingt nur, wenn man sich intensiver nössischer deutscher Kunst in gro- ten zu können. Um dies zu gewähr- Maik Wolf waren zu sehen. Als se Popularität erreicht haben, sind damit beschäftigt. ßem Maße wieder. leisten, muss man auch Geschäft nächstes wird der in New York leben- die Künstler in den jeweils anderen puk: Gestatten Sie mir zum Schluss puk: Momentan ist das Hauptaugen- machen. Aber der Wohlstand hat de Fotograf Tim White ausgestellt. koreanischen Ländern absolut un- des Interviews noch zwei persönli- merk der Weltöffentlichkeit ver- mich sicher nicht nach Seoul hinge- Die Galerie wird aber auch für junge bekannt. Ich selbst habe noch nie chere Fragen: Zum einen, wie hat stärkt auf die enorm wachsenden trieben. koreanische Künstler, die noch weit- bewusst ein nordkoreanisches sich seit der Zeit, in der Sie in Seoul Märkte in China und Indien gerich- puk: Hat der persönliche Kontakt zu gehend unbekannt sind, geöffnet Kunstwerk betrachtet. Allerdings ansässig sind, Ihre Anschauung über tet. Korea hingegen steht ein wenig der koreanischen Künstlerin SEO werden. Ein weiterer Schwerpunkt weiß ich von einem Journalisten, Korea geändert? im Abseits. Rein ökonomisch be- vielleicht dazu beigetragen, dass Sie meiner Arbeit wird darin bestehen, dass es im Norden ganze Fabriken Schultz: Im Laufe der Zeit ist mein trachtet: Über einer Milliarde Chi- nach Seoul gegangen sind? entsprechende Werkschauen von gibt, in denen Kunst produziert wird. Koreabild wohl nüchterner gewor- nesen stehen zirka 49 Millionen Ko- Schultz: Die Entscheidung hatte koreanischen Künstlern nach Euro- puk: Bilder, die in Fabriken herge- den. Die Freundlichkeit, die von den reaner gegenüber. Wieso Seoul statt nichts mit der Künstlerin zu tun. pa zu holen. stellt werden, das klingt ein wenig Koreanern ausgeht, ist enorm und Peking? Vielmehr wurde ich von einer kore- puk: Gibt es ihrer Meinung nach in nach Fließbandkunst. Kunst am lau- wirkt auf mich oftmals sehr ange- Schultz: Es gab bereits Ideen in die- anischen Kollegin, Park Ryu Sook, Südkorea einen Markt für zeitgenös- fenden Band? nehm. Allerdings wird es komplizier- se Richtung. Es war angedacht, mit eingeladen, an der KIAF teilzuneh- sische deutsche Kunst oder kristalli- Schultz: So etwas gibt es auch in ter, wenn es um die Einhaltung von Alexander Ochs eine Galerie in Pe- men. Damals entstand in Südkorea siert der sich gerade erst heraus? China. Auf diese Weise werden wahr- Absprachen geht. Die koreanische king zu eröffnen. Letztlich habe ich die Idee, dass die Messe auch für Schultz: In Korea gibt es einen sehr scheinlich Exportartikel oder die Mentalität scheine ich immer noch mich dann doch anders entschie- ausländische Galerien geöffnet wer- interessanten Markt für deutsche Kunst für die Normenklatura produ- nicht ganz verstanden zu haben. Viel den. Der chinesische Kunstmarkt ist den sollte. Mein Engagement basiert Kunst. Dieser spiegelt sich auch in ziert. zu schnell lasse ich mich von dem mir zu suspekt. Es ist ein reiner maßgeblich auf diesem ersten Kon- der Ausstellungspraxis der dortigen puk: Deutsche und koreanische freundlichen Lächeln einfangen und Sammlermarkt, der von einer hand- takt. Kontakte zu dort beheimateten Museen wieder. Letztes Jahr hat zum Kunst hat sich unterschiedlich ent- ich bin so das ein oder andere Mal voll reicher Sammler dirigiert wird. oder aufgewachsenen Künstlern Beispiel das Nationalmuseum Ger- wickelt. Koreanische Kunst wirkt enttäuscht worden. Das Land selbst In Korea ist das anders. Seit Länge- sind natürlich von Vorteil, haben hard Richter und A.R. Penck gezeigt. zum Teil traditioneller. Wirkt zeitge- ist hochinteressant. Die Menschen rem beschäftigen sich die Südkore- aber die Galeriegründung nicht be- Im Mai werden Werke von Georg Ba- nössische Kunst aus Deutschland in den kleinen Dörfer und Städten, aner mit der deutschen Kultur. Die- einflusst. selitz zu sehen sein. Auch Sigmar befremdlich? Ist Kunst, die eine an- besonders aber die vielen, vielen Polke oder Thomas Ruff werden in dere Tradition aufweist, andernorts Reisbauern zeichnen sich durch eine Korea sehr geschätzt. verständlich? authentische Naturverbundenheit Michael Schultz, Galerist puk: Das Wissen über Deutschland Schultz: Die Kunst aus Südkorea, Bo- aus. Diese erlebte Ursprünglichkeit scheint in Korea verbreiteter zu sein, livien, Jamaika oder aus anderen wirkt sehr angenehm auf mich. geboren 1951 als umgekehrt. Südkoreaner lesen nichteuropäischen Ländern muss puk: Andersherum gefragt: Hat ihr 1974-1978 Studium der Musik- und Theaterwissenschaften an der FU Berlin heute mehrere Bücher pro Woche. nicht kompatibel mit unseren Ge- Wirken in Südkorea das Bild von 1979-1981 Konzeptionstexter Werbeagentur Hamburg Spiegelt sich diese Belesenheit auch danken und Vorstellungen sein. Ko- Deutschland verändert? 1982-1984 Chefredakteur Berliner Kunstmagazin im Wissen über deutsche Kunst wie- reanische Kunst ist nicht per se nur Schultz: Zwar verstehe ich mich seit 1984 Beschäftigung mit bildender Kunst der? der Tradition verbunden bzw. ver- nicht als jemand, der im Alleingang Schultz: Die Menschen, die aus dem pflichtet. In Südkorea gibt es zwei den koreanischen Markt für deutsche Organisator diverser Kunstevents, u.a.: Kunstbereich kommen, denn nur völlig unterschiedliche Prägungen in Kunst geöffnet hat. Allerdings glaube 1985/86 Ambiente Marmor über sie kann ich Aussagen treffen, der zeitgenössischen Kunst, die mit ich, dass ich einen kleinen Anteil am 1988 Internationales Bildhauersymposium Berlin sind in der Tat sehr gut informiert. der unterschiedlichen Ausbildung deutsch-koreanischen Kulturaus- 1989 Art Express Eine fundierte Ausbildung ist eine der Künstler zusammenhängen. Die tausch habe. Ich stehe in reger Dis- 1991 Organisation und Realisation Shakespeare Preis für Malerei der Grundvoraussetzungen. Korea- einen sind als junge Studenten in die kussion mit Künstlern vor Ort. Zudem 1994-1998 Vorstandmitglied im Bundesverband Deutscher Galerien ner recherchieren, stellen Querver- Welt hinausgegangen und haben in werde ich von Universitäten zu Vor- 1994-2006 Mitglied im Zulassungskommittee Art Cologne bindungen zu anderen Künstlern Amerika oder Europa studiert. Da- trägen eingeladen, bei denen ich über 2005 Organisation und Realisation Deutsche Kunst auf der Korea Internatio- und Kunstströmungen her, eignen durch haben Sie ein ganz anderes die deutsche Kunst und den heimi- nal Art Fair in Seoul sich ein umfangreiches Hinter- Verständnis zur Tradition bekom- schen Kunstmarkt referiere. Durch 2005 Gastprofessor an der Chosun University Kwangju grundwissen an, und die damit ver- men. Ihre Arbeiten wirken viel mo- diese Aktivitäten entsteht ein beidsei- 2005 Gastprofessor am College of Fine Arts, Seoul National University bundene Neugierde schafft ein enor- derner, was Materialität, Auffassung tiger Kulturtransfer. Generell verhält seit 2005 Mitglied des Art Committee KIAF mes Wissen. Bemerkenswert ist vor oder Wiedergabe anbelangt. Diejeni- es sich bisweilen noch so, dass mehr 2006 Organisation Gerhard Richter Ausstellung im National Museum Contem- allem die Intensität, die koreanische gen, die in Korea geblieben sind, sind deutsche Künstler in Korea zu sehen porary Art Seoul Kunststudenten für ihre Arbeit auf- viel stärker mit der Tradition der Hei- sind, als umgekehrt. In Korea zu ar- 2006 Organisation A.R. Penck Ausstellung im National Museum of Contem- bringen. So birgt jede Unterhaltung mat verhaftet. Für Außenstehende ist beiten ist für mich sehr spannend. porary Art, Seoul mit jungen Menschen angenehme es manchmal verwunderlich, dass es Allerdings hat meine Liebe zu Korea Überraschungen. so unterschiedliche Auffassungen in immer wieder kleine Brüche bekom- Galerien: puk: Deutschland und Korea eint, bei einer Künstlergeneration gibt. Doch men. Aber vielleicht ist es auch ganz 1986 Gründung einer eigenen Galerie in Berlin mit Schwerpunkt Zeitgenössi- allen Unterschieden, dass die Men- natürlich ist auch die traditionelle ko- gut so, wenn man auf den Boden der sche junge deutsche und internationale Kunst im Bereich Malerei und Skulptur schen hier und dort die Erfahrung reanische Kunst hochinteressant. Man Realität zurückgeholt wird. 2005 Eröffnung der Galerie Schultz contemporary der Teilung in Ost und West sowie muss die Sichtblende, die wir manch- 2006 Gründung der ersten deutschen Kunstgalerie in Seoul in Nord und Süd gemacht haben mal vor uns hertragen, abnehmen und Das Interview führte bzw. immer noch machen. Spiegelt versuchen in die Kunst einzutauchen Stefanie Ernst FÖDERALISMUSREFORM / EUROPA politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 21

Beim Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf Zur Arbeit der Föderalismuskommission II • Von Olaf Zimmermann

Anderthalb Jahre nach Inkraftreten deren zugleich Warnungen vor Kun- der Föderalismusreform I haben geleien und Denkverboten ausge- sich Bund und Länder erneut ein sprochen. hohes Ziel gesteckt, in der so ge- Das hochgesteckte Ziel ist, die nannten Föderalismusreform II sol- Föderalismusreform II noch in die- len die Finanzbeziehungen von Bund ser Legislaturperiode bis zum Jahr und Ländern neu geordnet werden. 2009 abzuschließen. Alle Redner- Am 15. Dezember 2006 beschlos- innen und Redner sprachen davon, sen der Deutsche Bundestag und dass es keine Denkverbote geben der Bundesrat die Einsetzung einer dürfe, dass offen diskutiert werden „Gemeinsamen Kommission zur Mo- müsse und dass nicht in kleinen dernisierung der Bund-Länder-Fi- Runden bereits Vorabsprachen ge- nanzbeziehungen“ (Föderalismus- troffen werden sollten, die den an- kommission II) (Bundestagsdruck- deren Teilnehmerinnen und Teilneh- sache 16/3885). Die Föderalismus- mern präsentiert würden. Insbeson- kommission nahm am 08. März dere an die Ministerpräsidenten der 2007 ihre Arbeit auf. Vorsitzende Länder richtete sich diese letzte sind für den Deutschen Bundestag Mahnung. Peer Steinbrück machte Dr. Peter Struck, MdB (Vorsitzender in seinem Redebeitrag deutlich, dass der SPD-Bundestagsfraktion) und es eben nicht um parteipolitische für den Bundesrat Ministerpräsi- Auseinandersetzungen geht, son- dent Günther H. Oettinger, MdL (Mi- dern die Debatten vielmehr entlang nisterpräsident des Landes Baden- der Linien Groß/Klein, Ost/West, Württemberg). Geberland/Nehmerland verlaufen und verwies dabei auf seine Erfah- er Föderalismuskommission II rungen als Mitglied der Föderalis- D gehören jeweils 16 Vertreter muskommission I für den Bundes- des Deutschen Bundestags und 16 rat. Vertreter des Bundesrates an, die Entbrennen wird sicherlich volles Antrags-, Rede- und Stimm- wieder die Debatte, wie viel Wettbe- recht haben. Im Unterschied zur Fö- werb unter den Ländern sinnvoll ist. deralismuskommission I, bei der die So sprach sich in der Einsetzungsde- Vertreter der Bundesregierung nur batte am 15. Dezember 2006 Ernst Konstituierende Sitzung der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanz- Rede- aber kein Stimmrecht hatten, Burgbacher, MdB, aus Baden- beziehungen (Föderalismuskommission II). V.li.n.re.: Peter Struck, SPD-Fraktionsvorsitzender, Bundestagspräsident Dr. gehören zu den 16 Vertretern des Württemberg stammender Obmann , Bundesratspräsident Harald Ringstorff und Günther H. Oettinger, Ministerpräsident von Baden- Deutschen Bundestags auch vier der FDP-Bundestagsfraktion in der Württemberg. © DBT, Foto: Lichtblick/Achim Vertreter der Bundesregierung. Der Föderalismuskommission II klar für Melde Bundesrat wird teils durch die Minis- einen Wettbewerbsföderalismus aus, gesichts des demografischen Wan- samtstaat Bundesrepublik Deutsch- ankommen, die Föderalismuskom- terpräsidenten, teils durch die Fi- wohingegen sich der thüringische dels und der wirtschaftlichen Rah- land oder einen Wettlauf der Länder mission II kritisch zu begleiten, da- nanzminister der Länder vertreten. Abgeordnete , MdB, menbedingungen zwischen Flens- untereinander geben wird. Eines mit nicht am Ende das böse Erwa- Die 16 Landtage konnten vier Obmann der Fraktion DIE LINKE in burg und Konstanz, zwischen Aa- wurde bereits bei der Einsetzungs- chen erfolgt. Vertreter in die Föderalismuskom- der Föderalismuskommission II für chen und Frankfurt/Oder gravie- debatte deutlich, beim Geld hört die mission II entsenden. Sie haben ein die Gleichheit der Lebensverhältnis- rende Unterschiede bestehen, ob Freundschaft bekanntlich auf, daher Der Verfasser ist Geschäftsführer des Rede- und Antragsrecht, aber kein se in der Bundesrepublik Deutsch- die Länder füreinander einstehen, wird es für den Kultur- und den Bil- Deutschen Kulturrates Stimmrecht. Laut Antrag sollen die land stark machte und vor zu viel ob es ein Verständnis für den Ge- dungsbereich umso mehr darauf Kommunen in geeigneter Weise ein- Wettbewerb warnte. bezogen werden. Sie werden durch Dass bei diesem vermeintlich die Kommunalen Spitzenverbände spröden Thema wie den Bund-Län- Deutscher Städtetag, Deutscher der-Finanzbeziehungen auch kul- Städte- und Gemeindebund sowie tur- und bildungspolitische Fragen Europa und die Kultur Deutscher Landkreistag repräsen- angeschnitten werden, belegt ein Deutsche Ratspräsidentschaft: Work in Progress • Von Barbara Gessler tiert. Blick in den immerhin stolzen 226 Im Unterschied zur Föderalis- Fragen umfassenden Fragenkatalog Die Halbjahresbilanz der deutschen erheblichem Masse finanzielle Mög- hat sich das Kollegium der Kommis- muskommission I und anderen Be- zur ersten Anhörung der Föderalis- EU-Ratspräsidentschaft auf der gro- lichkeiten für eigene Produktionen sion, nach den Beratungen mit den ratungsgremien des Deutschen Bun- muskommission II am 22. Juni 2007. ßen politischen Bühne darf man mit selbst zu schaffen, auch für gekaufte Kulturschaffenden Ende vergange- destags wie z.B. Enquete-Kommissi- Hier wird u.a. die Frage gestellt, wie Fug und Recht als recht erfolgreich Sendungen gelten soll. Ebenso nen Jahres, intensiv mit der Frage onen gehören der Föderalismus- Ausgaben für Bildung u.ä.m. künftig bezeichnen. Der angekündigte Re- schwierig bleibt die Durchsetzung beschäftigt, wie man das Potenzial kommission II keine Sachverständi- gewertet werden sollen, sind sie In- launch des Verfassungsvertrages eines konsequenten Binnenmarkt- des Kultursektors in und für Europa gen Mitglieder an. vestitionen oder Subventionen. Dass unter welchem neuen Namen auch prinzips durch strikte Anwendung optimieren kann. Dabei sollen bei Die Föderalismuskommission diese Begrifflichkeiten keine Petites- immer kann nicht nur die geplan- des „Herkunftslandsprinzips“. Auch den gemeinsamen Bemühungen der hat laut Einsetzungsbeschluss die sen sind, haben in der Vergangenheit ten konkreten Verbesserungen für ein anderes Fernsehthema beschäf- Mitgliedstaaten, des Parlaments und Aufgabe „Vorschläge zur Moderni- die Berichte des Kieler Instituts für konkrete Politiken bringen, wie etwa tigt derzeit Europa, das besonders der Kommission Überlegungen zur sierung der Bund-Länder- Finanzbe- Weltwirtschaft gezeigt, die auf einen die Mehrheitsabstimmung im Kul- nach der letzten WM in Deutschland kulturellen Vielfalt und interkulturel- ziehungen (zu erarbeiten, d. Verf.) Abbau an Subventionen und explizit turbereich, sondern wird allgemein nicht nur Experten umtreibt, näm- lem Dialog und der internationale mit dem Ziel, diese den veränderten auch der Kulturausgaben abzielten. auch dafür sorgen, dass wieder lich die Fernsehrechte für Fußball- politische Dialog auch mit Blick auf Rahmenbedingungen inner- und au- Auch mit Blick auf europäische De- mehr Vertrauen in die Handlungs- übertragungen. Das Europäische die Zusammenarbeit im Vorder- ßerhalb Deutschlands insbesondere batten zum Subventionsbegriff sind fähigkeit Europas fließen kann. Parlament empfiehlt etwa eine soli- grund stehen, ebenso bedeutsam ist für Wachstums- und Beschäftigungs- solche Definitionen von großer Be- darischere Verteilung der finanziel- jedoch auch die Frage nach der Rol- politik anzupassen. Die Vorschläge deutung. Interessant sind auch die ass es einen großen Willen gibt, len Vorteile aus deren Vermarktung, le der Kultur als Katalysator für Kre- sollen dazu führen, die Eigenverant- Fragen zu den Gründen der Haus- D gemeinsam voranzukommen, damit nicht nur die großen Vereine ativität, Innovation, Wachstum und wortung der Gebietskörperschaften haltskrisen in den verschiedenen sieht man etwa in der zügigen Be- von gestiegenen Einnahmen profi- Beschäftigung. Auf die externe Di- und ihre aufgabenadäquate Finanz- Bundesländern. Von weitreichender handlung der Revision der Richtlinie tieren. mension der europäischen Politik ausstattung zu stärken. Dabei soll Bedeutung für die Demokratie sind „Fernsehen ohne Grenzen“, die der Auch an einer ganz anderen Bau- wird besonderes Augenmerk gelegt die in der Anlage aufgeführte offene die Fragen nach der Einsetzung ei- Regelung für grenzüberschreitende stelle hat das Parlament nun weiter- werden. Gleichzeitig soll auch der Themensammlung zugrunde gelegt nes Haushaltskommissar zum Ab- audiovisuelle Mediendienste allge- gearbeitet, als es vor kurzem den Dialog mit der Kulturwelt gestärkt werden.“ In der offenen Themen- bau von Schulden. Hier wird die Fra- mein dienen soll. Obwohl sowohl im Entwurf für einen Bericht zum sozi- werden, die ja in der Vergangenheit sammlung werden Fragen wie die ge aufgeworfen, wie weit die demo- Europäischen Parlament als auch im alen Status von Künstlerinnen und nicht unbedingt zu den privilegier- Vermeidung von Haushaltskrisen, kratischen Entscheidungsmöglich- Ministerrat noch einige wenige, aber Künstler in Europa untersucht und ten Partnern der europäischen Ebe- die Bewältigung bestehender Haus- keiten von Abgeordneten oder Rats- dafür bedeutsame Fragen kontrovers Forderungen an die Europäische ne gehörte, wobei die Frage, warum haltskrisen und die Aufgabenkritik mitgliedern noch reichen, wenn ein diskutiert werden, arbeiten alle be- Union daraus abgeleitet hat http:// das so ist, sicher kontrovers disku- angesprochen. Haushaltskommissar das Haushalts- teiligten Institutionen daran mit, www.europarl.europa.eu/meet- tiert werden kann und muss. Diese In der Plenardebatte am 15. De- regime übernimmt. möglicht noch in diesem ersten docs/2004_2009/documents/pr/ Ziele können und sollen natürlich zember 2006 (Plenarprotokoll 16/74) Bedeutsam für den Kulturbereich Halbjahr zu einer befriedigenden 649/649349/649349de.pdf. Hier wer- nicht von Brüssel aus zentral verord- sprach Peter Struck von einer „Her- werden speziell Fragen zur Aufga- Lösung zu kommen. So haben sich den nicht nur die besonderen Her- net werden, vielmehr bedarf es zu kules-Aufgabe“, die vor den Mitglie- benkritik sein. Hier wird sicherlich etwa Kommission ebenso wie die ausforderungen für Künstler auf ihrer Verwirklichung einer Zusam- dern der Kommission läge. Finanz- die Frage aufgeworfen werden, wel- Mitgliedstaaten entschlossen, dem dem Arbeitsmarkt und mit Blick auf menarbeit der verantwortlichen minister Peer Steinbrück bemühte che freiwilligen Leistungen im Kul- wichtigen Wunsch des Parlaments ihre soziale Sicherung oder ihre Aus- Stellen auf allen betroffenen Politik- den Vergleich mit den Titanen. All- turbereich sich hochverschuldete nach besserem Schutz für Minder- und Fortbildung thematisiert, son- ebenen. Anlässlich der kommenden gemein herrschte der Tenor vor, dass Länder oder Kommunen noch leis- jährige besser Rechnung zu tragen. dern auch die Hindernisse, die großen Konferenzen, die die deut- nach der vergleichsweise einfachen ten können und dürfen. Das Bundes- Produktplatzierung bleibt, wie nicht bekanntermaßen nicht nur ihrer ei- sche Präsidentschaft in den Mona- Veränderung des Grundgesetzes mit verfassungsgericht hat hier mit dem anders zu erwarten, nicht nur aus genen grenzüberschreitenden Mobi- ten Mai und Juni organisiert, wird Blick auf die Gesetzgebungszustän- Urteil zur Haushaltsnotlage von Ber- der Sicht des Landes der Präsident- lität, sondern auch der Begegnung diese Kommissionsmitteilung sicher digkeiten von Bund und Ländern in lin bereits in eine deutliche Richtung schaft eines der Haupt-Streitthemen mit Kulturschaffenden aus Drittlän- eine herausgehobene Rolle spielen der Föderalismusreform I, nun die gewiesen. in diesem Zusammenhang. Dabei dern im Wege stehen, geschildert. und hoffentlich für breite, konstruk- echte Herausforderung folgt, näm- Fest steht eines, eine Harmonie- geht die Diskussion im Wesentlichen Auch in der Europäischen Kom- tive Debatten sorgen. lich die Veränderung der Finanzbe- veranstaltung werden die Debatten um die Frage, inwiefern die Begren- mission ist die Kulturpolitik derzeit ziehungen. Dabei wurden in der Ein- zur Föderalismusreform II nicht zung der Möglichkeit, Produkte oben auf der Agenda. In Vorberei- Die Verfasserin ist Leiterin der setzungsdebatte zum einen die Zie- sein. Es geht um nicht mehr und wirksam zu platzieren und durch tung der Vorlage ihres Vorschlags Vertretung der EU-Kommission in le sehr hoch gesteckt und zum an- nicht weniger, ob in der Zukunft an- diese Art der Werbung in nicht un- über die Rolle der Kultur in Europa Bonn KULTURREGIONEN politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 22

Grundlagen und Prinzipien Die Kulturarbeit der bayerischen Bezirke • Von Werner Kraus Bayern ist eine historisch gewachse- Kulturarbeit setzte um 1950 ein ne Kulturlandschaft mit drei großen und fand ihren Abschluss in den Kulturregionen: Altbayern, Schwaben 1980er Jahren. Am Ende der 1970er und Franken. Deren Repräsentanten Jahre hatten alle Bezirke hauptamt- sind die sieben bayerischen Bezirke. liche und wissenschaftlich ausge- Nicht Einzelinteressen von Kommu- bildete Bezirksheimatpfleger. Die- nen oder privaten Trägern stehen bei se Dienstleistung, die von der Ge- ihnen im Mittelpunkt, sondern die schichte über die Kunst, die Litera- nachhaltige kulturelle Entwicklung tur bis zur Musik, Theologie oder der gesamten Region. Volkskunde reicht, wird nur von ih- nen angeboten. Nur sie vernetzen ie regionale Kulturarbeit hat in Bayern fachliche Spezialthemen D ihre Ursprünge im beginnen- unter den Gesichtspunkten eines den 19. Jahrhundert. Die politisch- ganzheitlichen Heimatbegriffs und institutionelle Basis boten die 1828 der kulturellen Struktur der gesam- durch König Ludwig I. gegründeten ten Region. Regionalparlamente, aus denen die Bei der bezirklichen Musikförde- heutigen Bezirke hervorgegangen rung steht die Laienmusik im Mittel- sind. punkt. Die Bezirksheimatpfleger Die Bayerische Bezirksordnung, sind Ansprechpartner für die über die 1953 erlassen wurde, ist die ge- 1.000 Amateurtheater in Bayern und setzliche Grundlage für die regiona- sie sind Berater, manchmal auch le Kulturarbeit. Ihr Art. 48 Abs. 1 stellt Warner, bei regionalen Bräuchen. fest, dass die Bezirke im eigenen Wir- Der historische und kulturelle kungskreis „in den Grenzen ihrer Reichtum Bayerns zeigt sich ins- Leistungsfähigkeit die öffentlichen besondere in seiner Denkmalland- Einrichtungen schaffen sollen, die schaft. Die Bezirke fördern neben für das [...] kulturelle Wohl ihrer Ein- überregional bedeutsamen Bauten wohner nach den Verhältnissen des im Einklang mit dem bayerischen Bezirks erforderlich sind.“ Art. 48 Denkmalschutzgesetz auch Gebäu- Das Kulturmobil des Bezirks Niederbayern bringt Theater, Kabarett, Jazz und Veranstaltungen für Kinder in die ländli- Abs. 2 besagt, dass sie „verpflichtet de wie Mühlen, Bauernhöfe oder chen Gemeinden der Region. © Kulturverwaltung des Bezirks Niederbayern sind, nach Maßgabe der gesetzlichen Bürgerhäuser, die oft nur örtlichen Vorschriften die erforderlichen Maß- Charakter haben, in ihrer Gesamt- also zu keiner finanziellen Entlas- all die Kommunen an den Einrichtun- Ausbau des Kultur-Netzwerkes nahmen auf den Gebieten [...] der heit aber das architektonische Bild tung von Städten und Landkreisen gen, die von ihnen profitieren. Finan- Kulturarbeit ist in Zeiten knapper Denkmalpflege und der Heimatpfle- des Bezirks prägen. führen. zielle Lasten und kultureller Nutzen öffentlicher Kassen nur mit Bündnis- ge zu treffen oder die nötigen Leis- 1955 wurde das erste bezirkliche werden in Balance gebracht. Damit partnern möglich. Die bayerischen tungen für solche Maßnahmen zu Freilichtmuseum eröffnet, rund ein Prinzipien der regionalen wird auch dem Verfassungsauftrag, in Bezirke unterhalten als Mittelinstan- erbringen.“ Dutzend weiterer folgten. Diese be- Kulturarbeit allen Landesteilen gleiche Lebensbe- zen deshalb enge Kontakte zu lan- Denkmalpflege und Heimatpfle- sucherstärksten nichtstaatlichen dingungen zu schaffen, Rechnung desweit tätigen Institutionen und zu ge sind für die Bezirke also gesetzli- Museen in Bayern vergegenwärtigen Kultureller Pluralismus getragen. den Akteuren vor Ort. Im Ausbau che Pflichtaufgaben im eigenen Wir- auf hohem wissenschaftlichen und Jede erfolgreiche Kulturarbeit be- Die Verringerung der bezirkli- dieses Netzwerkes sehen sie eine kungskreis. Die Kulturarbeit im Üb- museumspädagogischen Niveau, wegt sich im Spannungsfeld von Tra- chen Kulturetats läuft dieser Aus- zentrale Zukunftsaufgabe. rigen ist nach Art. 48 Abs. 1 eine wie in früheren Zeiten auf dem Land dition und Moderne. Die Kulturar- gleichsfunktion jedoch eklatant zu- „Soll-Aufgabe“, die die Bezirke je- gearbeitet und gelebt wurde. Sie zäh- beit der bayerischen Bezirke stellt wider. Zwar hat das Bayerische Dienstleister für die örtliche Kultur- doch als politische Pflichtaufgabe len sie zu den wichtigsten touristi- sich seit Jahrzehnten erfolgreich die- Staatsministerium des Innern zuge- arbeit definieren. Obwohl sie eine sog. frei- schen Attraktionen im Bezirksgebiet. sem kulturellen Pluralismus und en- sichert, dass es einen Einsatz von Bezirkliche Kulturinstitutionen ste- willige Leistung darstellt, erfolgt sie Einen hohen Stellenwert hat bei det zudem nicht an den Bezirksgren- Bezirksmitteln in Höhe von drei Pro- hen allen Bürgerinnen und Bürgern nicht im rechtsfreien Raum, sondern den Bezirken die Jugendkulturarbeit, zen. In einem zusammenwachsen- zent der Gesamtausgaben bei der offen. Als Kompetenz- und Service- findet ihre Begründung in der Bay- sei es durch die Förderung der Be- den Europa hat die grenzüberschrei- Haushaltswürdigung nicht bean- zentrum wenden sie sich an den erischen Verfassung: Art. 10 Abs. 4 zirksjugendringe und der überregi- tende Kulturarbeit, gerade mit den standen würde, die Kulturausgaben Fachmann und den Laien. Kostenfrei fordert die Bezirke auf, „das kulturel- onalen Jugendbildungsstätten, oder Nachbarn im Osten, besonderes Ge- der Bezirke liegen jedoch erheblich bieten sie Beratung, Information le Eigenleben [...] vor Verödung zu die Durchführung von Jugendkultur- wicht. unter dieser Grenze. Deshalb ist eine und weiterführende Hilfen. Gerade schützen“. Im Lichte dieser Norm tagen. Gesetzliche Grundlage sind maßvolle Erhöhung auch gegenüber auch Laienorchester, Amateurthea- sind die Bezirke zur Kulturarbeit ver- die Ausführungsgesetze zum Sozial- Ausgleichsfunktion den Umlagezahlern vertretbar und ter oder all die, die sich in ihrer Frei- pflichtet, soweit nicht gewichtige gesetzbuch VIIII. Überregional bedeutsame Einrich- sinnvoll. Die kulturelle Infrastruktur zeit ehrenamtlich für die Kultur en- Gründe dagegen sprechen. Das „sol- · Eine dritte Phase der bezirklichen tungen, vor allem die der Städte, wer- in Bayern könnte damit optimiert gagieren, finden bei den Bezirken len“ in Art. 48 ist damit als „müssen“ Kulturarbeit, die Ausbauphase, be- den mit Mitteln der Sitzkommune fi- und substanziell gefestigt werden. Ansprechpartner. Dies gilt auch für zu interpretieren, freilich immer un- gann in den 1990er Jahren und dau- nanziert, sprechen aber ein Publikum die vielfältigen Erscheinungsformen ter dem Vorbehalt der Finanzierbar- ert bis heute. Das Aufgabenspek- an, das aus einem größeren Umkreis Nachhaltigkeit der Jugendkultur oder bei der Kultur- keit. Unter strikter Beachtung des trum der Kulturarbeit wurde nun kommt. Keine Nachbarkommune ist Die Kulturpolitik der bayerischen arbeit im integrativen Bereich mit Grundsatzes der Subsidiarität enga- zum Beispiel mit Medienfachbera- jedoch bereit, sich an den Kosten zu Bezirke setzt auf Nachhaltigkeit. Ge- Menschen mit Behinderungen. gieren sich die Bezirke aber nur, tungen oder Popularmusikbera- beteiligen. Erst Zuschüsse der Bezir- fördert wird nur, was der Verbesse- wenn es sich um überregional be- tungen für Jazz, Rock und Pop er- ke garantieren einen regionalen Aus- rungen der kulturellen Grundversor- Der Verfasser ist Kulturreferent im deutsame Kulturprojekte handelt. weitert. gleich. Nur so beteiligen sich indirekt gung dient. Verband bayerischer Bezirke Trotz aller Erfolge werden die Entwicklungsphasen und Bezirke immer wieder aufgefordert, Schwerpunkte im Kulturbereich zu sparen. Jede Re- duzierung ihrer Kulturleistungen · In der Nachkriegsphase ging es um hatte bislang aber nicht zur Sanie- Fotografierte Heimaten die Wiedererrichtung des Verwal- rung der öffentlichen Haushalte bei- Das Jahresprojekt der KulturRegion Stuttgart • Von Karin Hanika und Wiebke Trunk tungsapparates, nachdem die Be- getragen. Anderseits waren die ne- zirke in der NS-Zeit faktisch abge- gativen Folgen für das Kulturleben „In meinen Porträts wie auch in den balisierung und ihre weitreichenden ebenso wie Bilder, die Migration, schafft waren. Kulturarbeit wurde immer evident. Grundsätzlich gilt: Raumaufnahmen habe ich Details Auswirkungen der Begriff Heimat Flucht und Fremde zeigen. Es gehö- nun als öffentliche Daseinsvorsor- Selbst eine völlige Streichung der eingefangen, die einen Einblick in die nicht eingeschränkt und selbstbe- ren Reisebilder und Grußpostkarten ge bewertet. bezirklichen Kulturetats würde zu Situation der Flüchtlinge gewähren.“ züglich verstanden werden kann, dazu, aber auch Fotos von Architek- · Die Aufbauphase der bezirklichen keiner Senkung der Bezirksumlage, „Diese Menschen“, so die Fotografin sondern vielmehr als „Lebensmög- tur und Darstellungen von Grenzen Christina Kratzenberg, „… haben das lichkeit und nicht als Herkunfts- und Territorien. Daneben sind Arbei- Heimatland verlassen und sind doch nachweis“ begriffen und umgesetzt ten von Künstlerinnen und Künstlern Regionale Kulturpolitik – Kulturpolitik in den Regionen noch nicht vollends im Ankunftsland werden muss (Hermann Bausinger). zu finden, die sich mit Innenräumen angekommen.“ Mit diesen Worten Davon ausgehend wird dieses Vorha- und geistiger Heimat beschäftigen. Die kulturpolitischen Debatten kon- gionen vorstellte und Roswitha Arnold beginnt die Künstlerin die Schilde- ben nicht zufällig mit der Technik Immer gilt es für das Publikum, un- zentrieren sich oftmals auf die Kul- vom Landschaftsverband Rheinland, die rung ihrer Arbeit „Schöngartenstra- der Fotografie verknüpft. So unbe- ter Zuhilfenahme der Kunst zu hin- turpolitik in den Metropolen. Die gro- über ein europäische Projekt zur Gar- ße – Asylsuchende in Deutschland – stritten jene ein populäres Mittel der terfragen, aus welchen visuellen Mus- ße Städte in Deutschland wetteifern tenkunst informierte. In der letzten Aus- eine Foto-Dokumentation“. Kratzen- Bildherstellung ist, – seit Verbreitung tern unsere Vorstellungswelt besteht darum, wer die meisten Besucher in gabe setzte sich Peter Fassl, Bezirk berg präsentiert der Öffentlichkeit be- der digitalen Aufnahmetechnik und was das für unser Selbstver- den Museen hat, welches Theater an Schwaben, mit dem Begriff Region bzw. merkenswert stille und konzentrierte mehr denn je –, um so weniger ist ständnis bedeutet. der Spitze liegt, welches Orchester Kulturregion auseinander. Sabine von Aufnahmen von Situationen, die so bewusst, wie stark fotografierte Bil- Der Bogen für solche Reflexionen einen besseren Klang hat. Kultur fin- Bebenburg, KulturRegion Frankfurt nicht allzu oft gesehen werden kön- der die Wahrnehmung beeinflussen. wird gespannt von jenen Porträts det aber eben nicht nur in den Me- RheinMain, stellte die Route der Indus- nen. Sie verdichtet in Einzelbildnis- Eine heftig geführte Debatte um die Asylsuchender bei Kratzenberg (ab tropolen, sondern auch in den Regio- triekultur Rhein-Main vor. sen Erfahrungen, die prototypisch für Fragen „Wie wirklich ist die Wirklich- 1.7. Leonberger Galerieverein) bis nen statt. In dieser Ausgabe berichtet Werner eine Entwicklung stehen, vor der das keit?“ und: „Wie verhält sich dazu hin zu Aufnahmen, die sich mit Ein- In den letzten beiden Ausgaben von Kraus von der gesetzlichen Veranke- Begriffspaar Heimat und Identität das abgelichtete Bild?“ begleitete sichten in bundesdeutsche Urlaubs- politik und kultur wurde daher bereits rung der Bayerischen Bezirke und ih- grundlegend neu reflektiert werden von Beginn an den Siegeszug der idyllen befassen, etwa von Anne Ei- Beiträge in der Reihe „Regionale Kul- rem Kulturförderauftrag. Karin Hanika muss. Fotografie (u.a. Susan Sontag). Das ckenberg, Eva Bertram oder Peter turpolitik“ veröffentlicht. Den Anfang und Wiebke Trunk stellen ein Fotogra- Spektrum der „fotografierten Hei- von Felbert (ab 13.5. Städtische Ga- dieser Reihe machten Olaf Martin vom fieprojekt der Kulturregion Stuttgart vor. ie KulturRegion Stuttgart be- maten“, welches die KulturRegion lerie Böblingen). Es ergänzen sich Landschaftsverband Südniedersach- D schäftigt sich im Sommer 2007 Stuttgart in 24 Ausstellungen in ih- sen, der den Arbeitskreis der Kulturre- Die Redaktion mit diesem Thema. Ein zentraler Ge- ren Mitgliedsstädten zeigt, umfasst Weiter auf Seite 23 danke ist, dass mit Blick auf die Glo- daher Landschaftsdarstellungen KULTURREGIONEN politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 23

Fortsetzung von Seite 22

Ausstellungen internationaler zeit- genössischer Fotokunst (beispiels- weise die 7. Internationale Foto-Tri- ennale Esslingen und die Präsenta- tion der Städtische Galerie Sindelfin- gen mit Arbeiten von Bridget Baker, David Goldblatt, Annette Merrild, Jo Ratcliffe u.a.; beide ab 1.7.), und eine regionale Überblicksschau im Rah- men des Stuttgarter Fotosommers (ab 4.8. „Fokus 0711“ Rathaus Stutt- gart). Hinzu kommen Einzelausstel- lungen wie etwa diejenige der Ams- terdamer Künstlerin Sylvie Zijlmans (ab 15.9. Städtische Galerie Back- nang). Daneben entsteht ein parti- zipatorisches Projekt vor Ort in Dit- zingen, wo Jugendliche zusammen mit der Bremer Künstlerin Andrea Lühmann, große Porträts für den Außenraum der Stadt erarbeiten (ab 29.7.). Das Programm ist unter www. kulturregion-stuttgart.de einsehbar. Das Kunstvermittlungsprogramm des Projektes geht von einer offenen Publikumspolitik aus und bietet ein Forum für einen Dialog, der die Los- lösung von festgefahrenen Denk- und Wahrnehmungsschemata er- möglicht. Hochwertige Kunst wird Christina Kratzenberg „Schöngartenstraße“, 2005 als Ressource verstanden, um eine kritische Reflexion des Heimatbe- Fall ist, bei wichtigen öffentlichen und grüßen Sie mir die Welt/fotogra- gramm bilden. Unterstützt wird die- Führt man sich vor Augen, dass die griffs und des Mediums Fotografie Anliegen zusammenarbeiten. Wird fierte Heimaten“ steht. Denn das ser Prozess von einer zentralen Ge- Landeshauptstadt Stuttgart mit anzubieten. Dazu sind zwei Publika- dies etwa im Hinblick auf den ÖPNV gemeinsame Unternehmen zielt schäftsführung und durch eine 580.000 Einwohnerinnen und Ein- tionen geplant, zum einen ein aus- längst als selbstverständlich angese- darauf ab, aus dem Mosaik der Städ- fachlich ausgewiesene Projektlei- wohnern die größte Stadt in der Kul- führliches Programmheft, zum an- hen, so treten bei einem interkom- te das Gesamt-Bild einer lebenswer- tung, die von außen hinzugezogen turRegion Stuttgart ist und die Ge- deren ein Buch, das sich auf eine munalen Kulturprojekt immer noch ten Region zu zeichnen. wird. Das Projekt erschöpft sich meinde Beuren mit 3.400 die kleins- kunst- und kulturtheoretische Refle- Irritationen auf. War nicht die Kultur Regionale Kulturarbeit, wie sie nicht in einer additiven Auflistung, te, so kann man die Chancen und xion einiger der skizzierten Aspekte prädestiniert dafür, den je spezifi- in der KulturRegion Stuttgart seit 16 sondern spannt den Bogen über Probleme, die diese Kooperation be- konzentriert. schen Charakter einer Stadt sichtbar Jahren betrieben wird, bedeutet, spezielle Aspekte und ist daher deutet, schon ahnen. Über den Das aus diesen Elementen kon- zu machen? Bildeten Theater, Muse- dass in die jährlichen Kulturprojek- mehr als die Summe seiner Teile. quantitativen Aspekt hinaus weisen zipierte Projekt der KulturRegion um, Galerie, Bibliothek nicht das te immer die Voraussetzungen und Die inhaltliche Tiefe des Themas alle Mitgliedsstädte selbstverständ- Stuttgart ist als ein Beitrag regiona- unverwechselbare Profil einer Kom- Interessen der zurzeit 35 Mitglieds- Heimat und Identität erschließt sich lich ihre je eigene Geschichte auf, die ler Kulturpolitik zu verstehen. Wie mune, mit dem sich die Bewohner- städte einfließen. Das betrifft so- also erst dann, wenn man mehrere sich in vorhandenen kulturellen Ein- kommt es dazu? Es ist ohne Zweifel innen und Bewohner identifizierten? wohl die Auswahl des konkreten der gebotenen Foto-Ausstellungen richtungen, Förderkonzepten, Ge- sinnvoll, wenn Städte und Gemein- Ja, so ist es, möchte man sagen – und Themas als auch die Konzeption der besucht. Dennoch bleibt jede Prä- den, die so eng beieinander liegen, es ist darüber hinaus das Funda- einzelnen Veranstaltungen in den sentation als in sich geschlossene Weiter auf Seite 24 wie es im Ballungsraum Stuttgart der ment, auf dem ein Projekt wie „… Städten, die zusammen das Pro- Einheit wahrnehmbar. KULTURREGIONEN / KOMMUNEN politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 24

schaft vor allem von der Fähigkeit schen heute keine Rolle mehr. Eine Fortsetzung von Seite 23 geprägt ist, Neues, Fremdes aufzu- zeitgemäße Verortung – oder wenn nehmen, zu integrieren und durch man so will die adäquate Vorstellung Fotografierte die Auseinandersetzung das Selbst einer „heimatlichen Region“ – kann Heimaten wie das Andere weiterzuentwickeln. wohl nur bedeuten, dass Menschen Die Frage, wie erfolgreich Gesell- sich in der Gegend, in der sie leben, pflogenheiten usw. niederschlägt. schaften sind, entscheidet sich un- wohl fühlen wollen, dass sie dort Mentale Unterschiede des kommu- ter anderem an diesem Punkt. gute Chancen erwarten und davon nalen Selbstverständnisses kommen Ebenso deutlich ist die Tatsache, ausgehen, in demokratischer Weise hinzu. Sie werden deutlich, wenn dass es die Globalisierung ohne Be- ihr Lebensumfeld gestalten zu kön- zum Beispiel auf die Tradition zug auf ein reales Leben vor Ort nen. Selbstbestätigung in Form der ehemals Freier Reichsstädte, der Re- nicht gibt. Auf der Ebene des Loka- Beschäftigung mit kulturellen und sidenzstädte, der Städte mit Arbei- len vollziehen sich die Aneignungs- künstlerischen Äußerungen muss terkultur, der katholischen/protes- und Modifikationsprozesse, die in dabei für alle, unabhängig von ihrer tantischen Städte und so weiter Be- die Zukunft führen. Herkunft möglich sein. Dieser Be- zug genommen wird. Solche kultur- Vor diesem Hintergrund ist offen- fund ist einerseits ein Plädoyer für geschichtlich geformten Mixturen sichtlich, warum es in einem aktu- prinzipielle Offenheit, andererseits sind das Reservoir für die gemeinsa- ellen Kultur-Projekt zur Frage von verweist er auf die Notwendigkeit, me Arbeit. Ihre Heterogenität ist der Heimat und Identität nicht um das sich über die Spielregeln des Zusam- Garant dafür, dass die Idee einer re- Phänomen „unsere Heimat“ geht. menlebens zu verständigen. Innova- gionalen Identität graue Theorie Identitätsbildung ist kein linearer tive Kulturarbeit zielt darauf ab, bleiben muss. Die kulturelle Praxis Prozess. In unserer Gesellschaft dabei mitzuwirken, solche Lebens- weist in eine andere Richtung – müssen Menschen bezogen auf bedingungen zu schaffen. Sie küm- zumal wenn man bedenkt, dass wechselnde Anforderungen perma- mert sich dann um Heimat und mittlerweile unter den 2,6 Millionen nent neu definieren, wer oder was Identität in einem zukunftsfähigen Bewohnerinnen und Bewohner der sie sind. Da dies ein hohes Maß an Sinn. Region Stuttgart Menschen aus über Flexibilität erfordert, ergeben aus- Karin Hanika ist Geschäftsführerin 170 Nationen leben. schließende topographische Festle- der KulturRegion Stuttgart. Wiebke Inzwischen ist hinlänglich be- gungen keinen Sinn. Daraus ist je- Trunk ist Projektleiterin von „… kannt, dass die positive Entwick- doch nicht zu folgern, räumliche und grüßen Sie mir die Welt / lung der Moderne in unserer Gesell- Orientierungen spielten für die Men- fotografierte Heimaten“ „Rheinfahrt“ aus der Serie „Deutschlandbilder“, 2006. Foto: Peter von Felbert

Stadtumbau als bauliche und freiräumliche Kulturleistung Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 13.03.2007. Stadt und und auch in den Agglomerationsräu- Integrierte Stadt- bund von wirtschaftlicher Entwicklung Visionäre Freiraum- Kultur sind untrennbar miteinander men Deutschlands wachsende Städte entwicklungskonzepte und städtebaulicher Aufwertung Anreiz- konzepte umsetzen verbunden. Die Kultur ist Motor städ- die urbane Entwicklung in den kom- wirkungen im Sinne einer Wirtschafts- tischer Entwicklung, umgekehrt sind menden Jahrzehnten prägen werden. voranbringen und Beschäftigungsförderung entfalten. Durch kurzfristige Abrissentscheidun- viele kulturelle Errungenschaften ohne Gleichzeitig nehmen die regionalen Un- Der Stadtumbau ist eine Chance für gen sind vielerorts bereits schmerzli- städtische Verdichtung undenkbar. terschiede im Wachsen und Schrump- eine strukturelle Weiterentwicklung der Wie die Expertengruppe „Städtebau- che Baulücken entstanden, die städ- Doch nicht Verdichtung allein prägt fen von Städten zu. Städte in Deutschland, die künftig Le- licher Denkmalschutz“ bereits 2004 tebauliche Einheiten zerstören und als Kultur, einen wesentlichen Einfluss auf bensraum für „ältere, buntere, wenige- gefordert hat, sind das Stadtumbau- Grünanlagen kaum wahrgenommen die Kultur einer Gesellschaft üben Bisher hat der Abriss leer stehender re“ und vermutlich auch „ärmere“ Men- programm und das erfolgreiche Pro- werden. auch Architektur und Städtebau aus, Wohnungen zum Zweck der Marktbe- schen sein werden. gramm „Städtebaulicher Denkmal- die zugleich Zeugen der kulturge- reinigung und damit zur Verbesserung schutz“, das demnächst auch in den Die Qualifizierung frei werdender Flä- schichtlichen Entwicklung sind. der finanziellen Situation der Woh- Um diese Chance optimal zu nutzen, westlichen Bundesländern aufgelegt chen, die nicht als Ödnis das Bild der nungswirtschaft den Stadtumbau in sind integrierte Planungsansätze wich- werden soll, vernetzt zu betreiben, um Städte prägen dürfen, ist eine der Das Schicksal der Städte in Deutsch- Deutschland dominiert. Die Konzentra- tiger denn je. Stadtplaner und Land- die Innenstädte zu stärken. größten Herausforderungen für den land bewegt sich in den letzten Jahr- tion auf die Beseitigung des Leerstands schaftsarchitekten, Architekten, Innen- Stadtumbau. Visionäre Freiraumtypo- zehnten zwischen Krise und Renais- löst die anstehenden Probleme jedoch architekten und Ingenieure, Denkmal- Einseitige Anreize zum logien sind gefragt, die nicht nur sance. Unter der Überschrift „Wege nicht: Bereits 2002 gab es in Ost- pfleger, Kommunen und Wohnungswirt- Wohnungsabriss stoppen Stadtgestalt und Freiraumnutzung, zur menschlichen Stadt“ forderte der deutschland offiziell 1,3 Millionen leer schaft müssen bei der Entwicklung in- Naturhaushalt und Nachhaltigkeit, Deutsche Städtetag bereits 1973 „die stehender Wohnungen, Tendenz stei- tegrierter Konzepte der Stadtentwick- Eine konkrete Forderung an die För- sondern auch die engen finanziellen sozialen und kulturellen Ziele der gend. Mit dem Förderprogramm Stadt- lung und Freiraumplanung von Anfang derpolitik ist ferner die Beendigung ein- Rahmenbedingungen vieler Kommu- Stadtpolitik gegenüber einer überwie- umbau-Ost können bis 2009 350.000, an unter Einbeziehung der Stadtbewoh- seitiger Anreize für den Wohnungsab- nen beim Unterhalt zusätzlicher Flä- genden wirtschaftlichen Motivation“ also ein Viertel der leer stehenden ner zusammenwirken. riss in Kopplung mit der Altschulden- chen berücksichtigen. zu stärken. Auf eine Versöhnung der Wohnungen abgerissen werden. Selbst entlastung. Zu fordern ist eine Gleich- unterschiedlichen Interessenssphären wenn kein neuer Leerstand hinzu käme, Insbesondere die Kommunen müssen stellung der kommunalen Beteiligung Neu gewonnene Freiflächen sind auch zielt auch die Charta von Leipzig ab, stünden dann immer noch über eine den Stadtumbau im regionalen Kontext bei Abriss und Aufwertung. Während eine Chance für neue gartenkünstle- die im Mai von den für Stadtentwick- Million Wohnungen leer – einmal ganz aktiv gestalten und steuern. Sie müssen im Stadtumbau-Ost der Abriss derzeit rische Ansätze, die den einzelnen lung zuständigen Ministern der Euro- abgesehen von einer immer schwerer stärker als bisher bei der Umsetzung des von Bund und Land mit 100 Prozent Städte helfen, ihr individuelles gestal- päischen Union verabschiedet werden aufrecht zu erhaltenden technischen Stadtumbauprogramms und beim Ein- der Kosten gefördert wird, sind bei Sa- terisches Profil zu stärken und ihren soll. und sozialen Infrastruktur. satz der Fördermittel eigene Strategien nierung und Aufwertung von den för- Bewohnern zeitgemäße Angebote zur für die Qualifizierung von Stadtstrukturen derfähigen Kosten, die durchschnitt- Identifikation zu machen. Vor diesem Hintergrund fordert der Der Stadtumbau der Zukunft muss auf entwerfen. Voraussetzung hierfür sind in- lich 40 Prozent betragen und an de- Deutsche Kulturrat, den Stadtumbau neue urbane Perspektiven für die je- tegrierte Stadtentwicklungskonzepte, die nen sich Bund und Land beteiligen, je Bürgerschaftliches Enga- in Deutschland auf einer qualitativ weiligen Städte setzen. Dabei dürfen eine hohe Qualität aufweisen und regel- nach Programm 20 beziehungsweise gement stärken neuen Stufe zu betreiben. Obwohl die einzelnen Städte nicht isoliert, son- mäßig fortgeschrieben werden und dabei 33 Prozent durch die Kommunen auf- bereits seit einigen Jahren in der po- dern müssen stärker als bisher in ih- auch historische Entwicklungsvorstellun- zubringen. Wenn die Länder auch seit Der Stadtumbau wird nur gelingen, litischen Diskussion, steht ein wirkli- rem regionalen Gefüge betrachtet wer- gen einbeziehen, um die Unverwechsel- 2007 die Möglichkeit haben, in Kom- wenn alle Akteure vor Ort bereits in cher Stadtumbau in Deutschland den. barkeit der Städte zu stärken. Aufgaben- munen mit besonders schwieriger die Planung einbezogen werden. Das noch aus. Ein Stadtumbau, der die- stellungen zum Stadtumbau müssen bis Haushaltslage den kommunalen An- setzt Dialogbereitschaft und Geduld sen Namen verdient, erfordert eine Der Stadtumbau wird unsere Vorstel- zu den Innenräumen öffentlicher Gebäu- teil auf bis zu 10 Prozent abzusen- auf allen Seiten voraus. Profis in Pla- bauliche und freiräumliche Kulturleis- lung von Stadt grundlegend ändern: de zielen, um diese Erlebnisräume für das ken, droht weiterhin die die Tendenz nung und Politik, Wirtschaft und Ver- tung, die nur im Zusammenwirken der Inwieweit sind das Modell der europä- Bild eines Ortes zu nutzen. zu einem verstärkten und planlosen waltung müssen Bürger als gleichbe- unterschiedlichen Disziplinen und im ischen Stadt und die Leitvorstellung Abriss von ungenutzten Altbauten und rechtigte Partner ernst nehmen. Dialog mit der Bürgergesellschaft zu „Urbanität durch Dichte“ auch in Zu- Fördermittel gezielt vor allem von Baudenkmälern. leisten ist. Stadtumbau darf kein Sy- kunft tragfähig und müssen wir uns mit bündeln Die Potenziale der Bürgergesellschaft nonym für Wohnungsabriss sein. perforierten Städten anfreunden? Wel- Generell bleibt es wünschenswert, sind erst in Ansätzen geweckt und be- Stadtumbau setzt nicht weniger als chen Wert geben wir dem baulichen Zugleich sind die Förderprogramme dass beim Förderprogramm Stadtum- dürfen der Förderung durch aktive ein neues Leitbild für die Städte der Erbe im Umbauprozess? Droht bereits nicht einseitig auf städtebauliche und bau-Ost 50 Prozent des festgelegten Kommunikation und Netzwerkbildung. Zukunft, integrierte Planungs- und ein Zuviel an Landschaft, nachdem sich wohnungswirtschaftliche Maßnahmen Finanzierungsansatzes für Aufwertung Dazu gehört auch die Unterstützung bürgerorientierte Politikansätze vor- viele Stadtbewohner lange Zeit nach zu begrenzen, sondern als ressortüber- eingesetzt werden. von kulturell tätigen Vereinen und In- aus. mehr Grün gesehnt haben? Wird es greifende, integrierte Förderprogramme itiativen vor Ort. einige Wachstumskerne geben und vie- aufzulegen. Die sektorale Integration Die Stärkung der Innenstädte und der Der massenhafte Leerstand von Woh- le Verliererregionen? Diese Diskussion städtebaulicher, sozialer und wirtschaft- Schutz des historischen Bestandes Die soziale Entmischung in den inner- nungen vor allem in Ostdeutschland müssen wir offensiv führen. licher Fördermittel in Fördergebieten müssen Vorrang erhalten. Fördermittel städtischen Quartieren muss mit ge- begründet einen Paradigmenwechsel einer Stadt stellt eine wichtige Vorraus- müssen gezielt zum Schutz der Altbau- eigneten Strategien gestoppt werden. vom Wachsen zum Schrumpfen. Die In der aktuellen Situation erscheinen setzung für die Regenerierung der Ge- substanz und zur Vermeidung von Eine handlungsfähige Bürgerschaft Zahl schrumpfender Städte steigt, darüber hinaus folgende Maßnahmen samtstadt dar. Förderprogramme sind Brachflächen in der Stadt eingesetzt gibt es nur mit sozial stabilen Quar- während auf internationaler Ebene vordringlich: dabei so zu gestalten, dass sie im Ver- werden. tieren. ARBEITSMARKT KULTUR politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 25

Ein wichtiger kultur- und sozialpolitischer Fortschritt Das Künstlersozialversicherung wird zukunftsfest gemacht • Von Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz Am 22.03.2007 wurde die dritte Re- tischer Leistungen durch die Künstler- form des Künstlersozialversiche- sozialabgabe und zu 20% durch einen rungsgesetzes abgeschlossen. Bundeszuschuss finanziert. Mit dem Dank der vorherigen Debatten am Bundeszuschuss nimmt der Bund sei- Runden Tisch des Deutschen Kul- ne kultur- und sozialpolitische Verant- turrates und des Bundesministeri- wortung für freiberufliche Künstler ums für Arbeit und Soziales, an dem und Autoren wahr. Vertreter von Verbänden der Ver- Unternehmen, Kultureinrichtun- werter und der Künstler mitwirkten gen und Vereine, die Leistungen frei- sowie den Diskussionen in den ein- beruflicher Künstler und Publizisten zelnen Verbänden wurde das Gesetz in Anspruch nehmen, müssen ent- von einem breiten Konsens im Kul- sprechend den gesetzlichen Vorgaben tur- und Medienbereich getragen. die Künstlersozialabgabe entrichten. Grundlage für die Künstlersozialabga- erwerter wie auch Künstler sa- be sind die gezahlten Honorare, Ga- V hen die Notwendigkeit, dass 25 gen, Erlöse aus Kommissionsgeschäf- Jahre nach Bestehen des Gesetzes ten etc. Der Prozentsatz für die Künst- die erforderlichen administrativen lersozialabgabe wird jährlich auf dem Maßnahmen ergriffen werden, um Verordnungsweg durch das Bundes- das Gesetz konsequent anzuwen- ministerium für Arbeit und Soziales den. D.h. konkret, dass alle Künstler- festgelegt; er beträgt im Jahr 2007 sozialabgabepflichtigen geprüft wer- 5,1%. Die Zahlung erfolgt an die den, ob sie ihrer Verpflichtung tat- Künstlersozialkasse, die die Beiträge Gebäude der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven. Foto: Künstlersozialkasse sächlich nachkommen. Genauso an die Sozialversicherungsträger bzw. wurde das Erfordernis gesehen, dass Krankenkassen weiterleitet. erhafte Ausübung einer selbständi- träge entrichten müssen, sind sie ver- ternehmen fest. nach dem Künstlersozialversiche- Im Deutschen Bundestag stieß das gen Tätigkeit als Künstler oder Publi- pflichtet, für Leistungen freiberufli- Verwerter, die abhängig Beschäf- rungsgesetz nur die Künstler und Gesetzesvorhaben zur 3. Reform des zist. Aufgrund der starken Einkom- cher Künstler und Publizisten die tigte beschäftigen und einer Aus- Publizisten versichert sein können, Künstlersozialversicherungsgesetzes mensschwankungen schätzen Künst- Künstlersozialabgabe zu zahlen. Wer gleichsvereinigung angehören, wer- die ihrer künstlerischen oder publi- auf breite Zustimmung. Es wurde mit ler und Publizisten ihr Einkommen für sich dieser Pflicht entzieht, handelt den von der Deutschen Rentenver- zistischen Tätigkeit erwerbsmäßig den Stimmen der Regierungskoalition das Folgejahr im Voraus. Diese Ein- gesetzwidrig und verschafft sich einen sicherung hinsichtlich der Künstler- nachgehen. Dass setzt das Erreichen CDU/CSU und SPD sowie den Stim- kommensschätzung ist Basis für die nicht zu rechtfertigenden Wettbe- sozialabgabepflicht nicht geprüft. eines Mindesteinkommens voraus. men der FDP und von Bündnis 90/Die Festlegung des Versichertenbeitrags. werbsvorteil. Die Prüfung erfolgt nach wie vor bei Grünen verabschiedet. Lediglich die Wenn das Einkommen von der Schät- Künftig werden alle Verwerter, die der Ausgleichsvereinigung und ob- Fortschritt KSVG Fraktion Die Linke stimmte dagegen. zung abweicht, können die Versicher- abhängig Beschäftigte beschäftigen, liegt der Künstlersozialkasse. Die dritte Reform hat zwei vor- ten bereite heute im laufenden Versi- von der Deutschen Rentenversiche- Verwerter, die keine abhängig Die Künstlersozialversicherung ist ein nehmliche Intentionen: Erfassung al- chertenjahr die neue Einkommens- rung im Rahmen der turnusmäßigen Beschäftigten beschäftigen, werden wichtiger kultur- und sozialpolitischer ler Abgabepflichtigen und stärkere schätzung der Künstlersozialkasse Überprüfung, ob sie die Sozialabga- nicht von der Deutschen Rentenver- Fortschritt. Seit ihrem Bestehen kön- Kontrolle der Versicherten. mitteilen, die ihrerseits eine Neube- ben für die abhängig Beschäftigten sicherung geprüft, da sie keine ge- nen sich freiberufliche Künstler und rechnung der Beiträge vornimmt. ordnungsgemäß entrichtet haben, setzlichen Sozialabgaben für Arbeit- Publizisten im Rahmen der gesetzli- Stärkere Kontrolle der Versi- Durch die Neuregelung wird die geprüft, ob sie künstlersozialabgabe- nehmer entrichten müssen. Sie wer- chen Sozialversicherung kranken-, cherten schon bestehende sachgerechte Über- pflichtig waren und ob sie die Abga- den nach wie vor von der Künstler- pflege- und rentenversichern. Vor der prüfung im Rahmen der Beitragsüber- be entrichtet haben. Sollte eine Ab- sozialkasse geprüft. Einführung des Künstlersozialversi- Pro Jahr wird eine Stichprobe von wachung durch die Künstlersozialkas- gabepflicht bestehen und keine Ab- Die bessere Erfassung aller Abga- cherungsgesetzes hatten viele Künst- mindestens 5% aus dem Kreis der Ver- se verstärkt und sichergestellt, dass gabe gezahlt worden sein, erfolgt der bepflichtigen wird dazu führen, dass ler und Publizisten keinerlei soziale sicherten gezogen. Die Versicherten nur der Kreis der tatsächlich Berech- erste Bescheid durch die Deutsche sich die Last auf viele Schultern ver- Absicherung. aus dieser Stichprobe müssen ihre tat- tigten Mitglied in der Künstlersozial- Rentenversicherung, danach geht der teilt. Die Künstlersozialabgabe wird Die soziale Absicherung im Rah- sächlichen Einkommen der letzten kasse sein kann. Verwerter in den Bestand der Künst- damit mindestens stabilisiert und men der Kranken-, der Pflege- und der vier Jahre anhand der Steuerbeschei- lersozialkasse über. Es geht dann die kann hoffentlich, wenn die Maßnah- Rentenversicherung wird zu 50% von de belegen. Voraussetzung für die Bessere Erfassung der jährliche Mitteilung von der Künstler- men nach einiger Zeit greifen, abge- den Versicherten, zu 30% von den Ver- Mitgliedschaft in der Künstlersozial- Abgabepflichtigen sozialkasse an die Verwerter heraus, senkt werden. wertern künstlerischer und publizis- kasse ist die erwerbsmäßige und dau- die im Vorjahr gezahlten Honorare Die Künstlersozialabgabe ist keine der Künstlersozialkasse mitzuteilen. Olaf Zimmermann ist Geschäfts- freiwillige Leistung der Unternehmen, Die Künstlersozialkasse legt dann auf führer des Deutschen Kulturrates, Weitergehende Informationen zum rin der Künstlersozialkasse. sondern gesetzlich vorgeschrieben. der Grundlage des auf dem Verord- Gabriele Schulz ist wissenschaftliche Künstlersozialversicherungsgesetz befin- · Herausgeber: Bundesministerium für Genauso wie Unternehmen für ihre nungsweg festgelegten Abgabesatzes Mitarbeiterin des Deutschen den sich im Buch: Arbeit und Soziales. 252 Seiten, ge- Mitarbeiter Sozialversicherungsbei- die Künstlersozialabgabe für das Un- Kulturrates Entwurf eines III. Gesetzes zur Ände- bunden, DIN A 5. rung des Künstlersozialversiche- · Unter der Bestellnummer A299 kann rungsgesetzes – Hintergründe und das Buch beim Bundesministerium für aktuelle Anforderungen (s.u.) Arbeit und Soziales per Telefon 0180/ · Autoren: Olaf Zimmermann, Gabrie- 5151510, per Fax unter 0180/51 51 le Schulz. Mit einem Vorwort von Mi- 511 oder per E-Mail info@bmas. nister Franz Müntefering und einem bund.de bestellt werden. Es wird kos- Nachwort von Sabine Schlüter, Leite- tenlos abgegeben.

JOURNALISTENPREIS 2007

politik und kultur, die Zeitung des Deutschen Kulturrates schreibt den „politik und kultur Journalistenpreis 2007“ aus. Damit wird zum vierten Mal die allgemeinverständliche Vermittlung kulturpolitischer Themen in den Medien ausgezeichnet werden.

Der Preis wird an einzelne Journalisten oder Redaktionen vergeben. Es werden einzelne Beiträge oder auch Themen- schwerpunkte ausgezeichnet. Eine Eigenbewerbung ist möglich. Alle Medien, d.h. sowohl Print- als auch Hörfunk-, Fernseh- und Internetbeiträge in deutscher Sprache sind zugelassen. Das Erscheinungsdatum bzw. der Sendetermin muss zwischen dem 01.11.2006 und dem 30.10.2007 liegen. Der undotierte Preis wird im Rahmen eines Konzertes von DeutschlandRadio Kultur Anfang 2008 in der Berliner Philharmonie verliehen. Printmedien: Zugelassen sind deutschsprachige Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften sowie deutschsprachige Zeitschriften. Bitte stellen Sie uns eine kopierfähige Vorlage des Beitrags/der Beiträge in Zeitungen oder Zeitschriften zur Verfügung. Bitte stellen Sie uns bei ganzen Zeitschriften sieben Exemplare zur Verfügung. Hörfunk: Zugelassen sind deutschsprachige Beiträge im Hörfunk. Bitte stellen Sie uns den Beitrag/die Beiträge auf CD in siebenfacher Ausfertigung zur Verfügung. Fernsehen: Zugelassen sind deutschsprachige Beiträge im Fernsehen. Bitte stellen Sie uns den Beitrag/die Beiträge auf DVD in siebenfacher Ausfertigung zur Verfügung. Internet: Zugelassen sind deutschsprachige einzelne Beiträge, die im Internet erschienen und dauerhaft abrufbar sind. Bitte stellen Sie uns einen Ausdruck sowie den zugehörigen Link zur Verfügung.

Der Jury des politik und kultur Journalistenpreises 2007 gehören an: , Vorsitzende der Enquete- Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland“; Ernst Elitz, Intendant DeutschlandRadio; Prof. Dr. Max Fuchs, Vorsitzender des Deutschen Kulturrates; Theo Geißler, Herausgeber der neuen musikzeitung und von politik und kultur; Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz; Staatsmi- nister a.D. Dr. h.c. Hans Zehetmair; Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Herausgeber von politik und kultur. Einsendeschluss: Vorschläge für den politik und kultur Journalistenpreis 2007 können bis zum 03.11.2007 gesendet werden an: politik und kultur, Deutscher Kulturrat, Chausseestraße 103, 10115 Berlin ARBEITSMARKT KULTUR politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 26

Resolution: Arbeit der Künstlerdienste der Bundesagentur für Arbeit stärken Deutscher Kulturrat fordert Änderung des Sozialgesetzbuches

Berlin, den 13.03.2007. Der Deut- Bundestags voraus. Der Bundesrech- Dieser Trend wird u.a. durch die arbeits- bislang die unständige abhängige Be- ler bekommen keine unständige ab- sche Kulturrat, der Spitzenverband der nungshof hatte moniert, dass die Künst- marktpolitischen Maßnahmen der Bun- schäftigung typisch war, die Selbstän- hängige Beschäftigung mehr, sondern Bundeskulturverbände, fordert die lerdienste der Bundesagentur für Arbeit desagentur verstärkt. Im Jahr 2000 digkeit zunimmt. Das trifft insbesondere müssen selbständig arbeiten. Bei den Bundesregierung und die Mitglieder auch in die Selbständigkeit vermitteln. förderte die Bundesagentur für Arbeit auch auf Berufsfelder im Bereich Büh- Künstlerdiensten geführte Künstlerin- des Deutschen Bundestags auf, das bei 266.000 Personen den Übergang ne, Film und Fernsehen zu. nen und Künstler sind vor allem regi- Sozialgesetzbuch so zu ändern, dass Die Künstlerdienste sind eine Fachver- in eine abhängige Beschäftigung und onal tätig. Sie haben in der Regel kei- die Künstlerdienste der Bundesagen- mittlungseinrichtung der Bundesagen- bei 43.300 Personen den Übergang in Die Künstlerdienste der Bundesagen- nen so großen Bekanntheitsgrad, tur für Arbeit wieder im vorherigen tur für Arbeit. Sie vermittelt Künstler aus die Selbständigkeit. Im Jahr 2005 hat- tur für Arbeit haben daher die Entwick- dass eine privatwirtschaftliche Künst- Umfang tätig sein können. den Bereichen: ten sich die Werte schon fast umge- lung des Arbeitsmarktes in ihrer Tätig- leragentur für sie tätig wird. Gerade kehrt: bei 89.000 Personen wurde der keit folgerichtig umgesetzt und auch für Berufsanfänger, die noch nicht Zum Jahr 2007 hat die Bundesagen- · Orchester, Bands, Musiker, Übergang in eine abhängige Beschäf- Künstler vermittelt, bei denen ansons- über die entsprechenden Reputati- tur für Arbeit die Aufgaben der Künst- · Show, Artistik, Entertainment, tigung gefördert und bei 322.500 Per- ten die selbständige Beschäftigung on verfügen können, um sie für eine lerdienste neu geordnet. Die Zahl der · Models (Fotomodelle, Mannequins, sonen der Übergang in die Selbstän- überwiegt bzw. haben sie in selbstän- privatwirtschaftliche Künstleragentur Stellen wurde um die Hälfte auf 58 Dressmen), digkeit. Somit ging die Förderung der dige Tätigkeiten vermittelt. interessant zu machen, wird der Be- reduziert. Die Künstlerdienste in · Visagisten abhängigen Beschäftigung um zwei rufseinstieg durch die Künstlerdiens- Frankfurt am Main und Rostock wur- · sowie Kleindarsteller, Statisten und Drittel zurück. Demgegenüber stieg die Gemäß Sozialgesetzbuch (SGB) III § 36, te der Bundesagentur für Arbeit er- den geschlossen. Der Auftrag der Komparsen. Förderung der Selbständigkeit durch Abs. 4 darf die Bundesagentur für Ar- leichtert. Künstlerdienste wurde eingeschränkt, Maßnahmen der Bundesagentur für beit jedoch nicht tätig werden, wenn bei sie dürfen nur noch ausschließlich in Traditionell hat die unständige Beschäf- Arbeit um ein Siebenfaches. Diese Zah- unständig Beschäftigten die selbständi- Der Deutsche Kulturrat fordert des- die unselbständige Beschäftigung ver- tigung in diesen Berufen einen hohen len der allgemeinen arbeitsmarktpoli- ge Tätigkeit überwiegt. Diese Vorschrift halb, das SGB III § 36 Abs. 4 dahin- mitteln und nur noch für Künstlerin- Stellenwert, d.h. die Angehörigen die- tischen Förderungsmaßnahmen spie- wurde vom Bundesrechnungshof zum gehend zu ändern, dass die Bundes- nen und Künstler tätig sein, die über- ser Berufe üben meist eine kurzfristige geln sich auch im Arbeitsmarkt Kultur Hebel für seine Forderung genommen, agentur für Arbeit auch dann vermit- wiegend unselbständig arbeiten. abhängige Beschäftigung aus, die wieder. Hier steigt die Zahl der Selb- die Tätigkeit der Künstlerdienste ent- telnd tätig werden darf, wenn die Per- teilweise nur einen Tag oder auch nur ständigen ebenfalls stark an, wie die sprechend einzuschränken. sonen überwiegend selbständig tätig Dieser Entscheidung gingen ein Prüf- wenige Stunden umfasst. In den letz- Daten der Künstlersozialkasse ein- sind. Damit würde das Gesetz den vermerk des Bundesrechnungshofs ten Jahren hat sich jedoch der Arbeits- drucksvoll belegen. Diese Forderung verkennt die Situati- tatsächlichen Gegebenheiten des Ar- und ein Beschluss des Rechnungsprü- markt sehr verändert. Die Zahl der Selb- Diese Entwicklung hat auch zur Folge, on in dem beschriebenen speziellen beitsmarktes in der Kulturwirtschaft fungsausschusses des Deutschen ständigen stieg und steigt weiterhin an. dass in den Berufsfeldern, in denen Arbeitsmarktsegment. Viele der Künst- angepasst.

Zielgerade in Sicht Die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts • Von Gabriele Schulz

Die Koalition hat sich in dieser Le- Der Chef des Bundeskanzleramtes gislaturperiode die Reform des Ge- Thomas de Maiziere bezog sich an- meinnützigkeitsrechts auf die Fah- lässlich einer Rede beim Deutschen nen geschrieben. Im Koalitionsver- Stiftungstag im Mai 2006 auf die Vor- trag wurde vereinbart, dass eine schläge der Projektgruppe und sag- Reform des Gemeinnützigkeitsrechts te deren Prüfung zu. Er weckte und Entbürokratisierung auf den zugleich die Hoffnung, dass schon Weg gebracht werden soll. Weiter bald ein Referentenentwurf zur Re- wurde beschlossen, das Stiftungs- form des Gemeinnützigkeitsrechts und das Steuerrecht weiterzuentwi- vorgelegt wird. ckeln und Anreize zu schaffen, sich Dieser kam nicht dagegen äußer- zu Stiftungen an der Förderung des te sich aber im August 2006 der Wis- Gemeinwohls zu beteiligen. senschaftliche Beirat des Bundesmi- nisteriums der Finanzen und schlug ieses alles sind große Ziele und statt einer Verbesserung der Rah- D das gesamte letzte Jahr war von menbedingungen für bürgerschaft- einer großen Unsicherheit geprägt, liches Engagement die radikale Ein- was den nun tatsächlich auf den Weg schränkung gemeinnütziger Zwecke gebracht wird. Die Erwartungen vor. Im Kulturbereich sollte z.B. reichten von einer großen Reform, lediglich die Förderung des kulturel- bei der auch verändert wird, wer len Erbes noch als gemeinnütziger über den Status der Gemeinnützig- Zweck anerkannt werden. Gegen die keit befindet das örtliche Finanzamt Vorschläge des Wissenschaftlichen oder eine von der Zivilgesellschaft Beirats, bei denen die Besonderhei- maßgeblich geprägte Institution, bis ten des gemeinnützigen Sektors kei- hin zu einer kleinen Reform, bei der nerlei Berücksichtigung fanden und es vornehmlich um kosmetische ausschließlich ökonomisch argu- Korrekturen am geltenden Recht mentiert wurde, regte sich heftiger geht. Das Bundesministerium der Fi- Widerstand (siehe hierzu auch die nanzen als federführendes Ressort „Resolution des Deutschen Kulturra- hielt lange Zeit hinter dem Berg, in tes: Rahmenbedingungen für bür- welche Richtung die Vorschläge ziel- gerschaftliches Engagement verbes- ten. Die organisierte Zivilgesell- sern und nicht verschlechtern“ ab- schaft legte im April 2006 als „Pro- rufbar unter: http://www.kulturrat. jektgruppe Reform des Gemeinnüt- de/detail.php?detail=866&rubrik=4). Anfang Mai beginnen im Deutschen Bundestag die parlamentarischen Beratungen zur Reform des Gemeinnützigkeits- zigkeits- und Spendenrechts“ zu- Auch wenn Vizekanzler Müntefe- rechts. Foto: Deutscher Bundestag sammen mit Wissenschaftlern ring umgehend klarstellte, dass die bereits im April 2006 einen gemein- Vorschläge des Wissenschaftlichen nen von 30.678 Euro auf 35.000 meinnützigkeits- und Spenden- Vereinsvorstände. Der tatsächliche samen Entwurf zur Reform des Ge- Beirats so nicht umgesetzt werden, Euro anzuheben, recht. Aufwand müsste nicht gegenüber meinnützigkeitsrechts vor. Allein die weckten sie doch großes Misstrauen, · den Höchstbetrag für die Ausstat- · einen Bürokratieabbau im Spen- dem Finanzamt belegt werden. Die Zusammenarbeit der verschiedenen was denn aus dem Hause Steinbrück tung von Stiftungen von 307.000 denrecht, bestehende Übungsleiterpauscha- Verbände – Bundesarbeitsgemein- zur Reform des Gemeinnützigkeits- Euro auf 750.000 Euro anzuheben, · die Einführung einer Ehrenamts- le und die allgemeine Aufwands- schaft der Freien Wohlfahrtspflege, rechts zu erwarten sei. · einen verbesserten Sonderausga- pauschale von 300 Euro im Jahr für pauschale dürfen nicht kumuliert Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Die im Dezember 2006 vorgeleg- benabzug für Mitgliedsbeiträge an Bürgerschaftlich Engagierte im So- werden. Engagement, Bundesverband Deut- ten Vorschläge übertrafen denn auch Kulturfördervereinen zu ermögli- zialbereich. · Einführung einer gesetzlichen Re- scher Stiftungen, Deutscher Fund- alle Erwartungen. In seinem Pro- chen, Dieser Vorschlag wurde von den gelung zur steuerlichen Abzugsfä- raising Verband, Deutscher Kultur- gramm „Hilfe für Helfer“ stellte Fi- · die Abschaffung des zeitlich be- Verbänden sehr positiv aufgenom- higkeit von Mitgliedsbeiträgen. Im rat, Deutscher Naturschutzring, nanzminister Peer Steinbrück ein grenzten Vor- und Rücktrags beim men. Referentenentwurf des Bundesfi- Deutscher Spendenrat, Deutscher Maßnahmenpaket aus 10 Punkten Abzug von Großspende, dafür soll Die Bayerische Staatsregierung nanzministeriums zur Reform des Sportbund, Deutsches Zentralinsti- vor: ein zeitlich unbegrenzter Spenden- wollte sich offensichtlich nicht lum- Gemeinnützigkeitsrechts wird in tut für soziale Fragen (DZI) und Ver- · die Übungsleiterpauschale auf vortrag eingeführt werden, pen lassen und legte mit ihrem Maß- der Gesetzesbegründung festge- band Entwicklungspolitik deutscher 2.100 Euro im Jahr zu erhöhen, zur · die Senkung des Satzes, mit dem nahmenpaket „10 plus 10“ im Feb- halten, dass Mitgliedsbeiträge für Nichtregierungsorganisationen Zeit beträgt diese für Übungsleiter pauschal für unrichtige Zuwen- ruar dieses Jahres noch einmal nach. kulturelle Einrichtungen steuerlich (VENRO) – war eine Besonderheit. und Betreuer 1.848 Euro im Jahr, dungsbestätigungen und fehlver- Unter anderem schlug der Bayer- abzugsfähig sind, auch wenn eine Sie machte deutlich, dass es bei der · den Spendenabzug einheitlich auf wendete Zuwendungen zu haften ische Finanzminister Kurt Faltlhau- geldwerte Gegenleistung gewährt Reform des Gemeinnützigkeits- 20% zu erhöhen, zur Zeit beträgt er ist, von 40 % auf 30 % der Zuwen- ser vor: wird. Der Bayerische Finanzminis- rechts um gesamtgesellschaftliche im Kulturbereich 10%, dungen, · Einführung einer steuerfreien Auf- Aufgaben und nicht um Partikular- · die Steuerfreigrenze für die wirt- · die bessere Abstimmung der förde- wandspauschale von 600 Euro im Weiter auf Seite 27 interessen geht. schaftliche Betätigung von Verei- rungswürdigen Zwecke im Ge- Jahr für ehrenamtlich arbeitende GEMEINNÜTZIGKEIT/KREATIVITÄT politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 27

re. Gemeinnützige Organisationen vorgeschlagen, jedoch auch Ver- Kulturbegriffs bei der Aufzählung Einzelzwecken die Förderung des bür- Fortsetzung von Seite 26 sind heute verpflichtet, ihre Mittel schlechterungen. Am 30.03.2007 hat der gemeinnützigen Zwecke in § 52 gerschaftlichen Engagements bereits zeitnah zu verwenden. Diese ist zur der Bundesrat seine Stellungnahme AO, Abs. 2 Nr. 5 folgte. Die Bundes- deutlich würde. Dennoch würde gera- ter schlägt nun eine unmissver- Zeit auf ein Jahr begrenzte Frist soll abgegeben. regierung wollte die bisherige For- de der Zweck „Förderung des bürger- ständliche eindeutige gesetzliche auf zwei Jahre verlängert werden. Konkret wollen die Länder, dass mulierung „Förderung von Kunst und schaftlichen Engagements die Ziel- Regelung vor. Darüber hinaus for- · Flexibilisierung der Besteue- · die Liste der gemeinnützigen Zwe- Kultur“ aufrechterhalten. Der Bun- richtung des Gesetzesentwurfs, das dert er eine Ausdehnung dieser Re- rungsgrenzen für wirtschaftliche Ge- cke nicht abschließend festgelegt desrat schlägt in seiner Stellungnah- bürgerschaftliche Engagement gelung auch für Fördervereine an- schäftsbetriebe. Das Bundesfinanz- wird. Dadurch soll gewährleistet me vom 30.03.2007 vor, den Kultur- insgesamt zu befördern, stärken. derer gemeinnütziger Einrichtun- ministerium plant eine Anhebung werden, dass auch in Zukunft neue begriff auf die Förderung der Kunst Nach wie vor nicht aufgenom- gen. der Besteuerungsgrenze für wirt- Engagementformen als gemein- und der Pflege und der Erhaltung von men wurde u.a. die Forderung, die · Ausweitung des unbürokratischen schaftliche Geschäftsbetriebe von nützig anerkannt werden können Kulturwerten“ zu verengen. Diese zeitnahe Mittelverwendungspflicht Spendennachweises auf 200 Euro. 30.678 Euro auf 35.000 Euro im Jahr. ohne dass eine Gesetzesänderung Formulierung ist den geltenden Be- zu lockern. Hier wäre daran zu den- Bislang reicht bei einer Spende bis Der Bayerische Finanzminister erforderlich ist, stimmungen zum Spendenabzug ken, dass eine zeitnahe Mittelver- zu 100 Euro zum Spendennachweis schlägt zusätzlich eine flexible Rege- · bei Spenden bis zu 200 Euro der entnommen. Sie entfaltet an der Stel- wendung auch dann gegeben ist, der Bareinzahlungsbeleg. Dieser lung dieser Besteuerungsgrenze vor. Bareinzahlungsbeleg oder die Bu- le, an der sie nun zu finden ist, aber wenn die Mittel im übernächsten unbürokratische Spendennach- Die Besteuerungsgrenze von 35.000 chungsbestätigung des Kreditinsti- eine weitergehende Bedeutung. Auf Kalender- oder Wirtschaftsjahr ver- weis soll nach den bayerischen Vor- Euro soll in einem Zeitraum von drei tuts als Nachweis ausreicht. Damit die Abgabenordnung wird auch im ausgabt werden. schlägen nun verdoppelt werden. Jahren im Durchschnitt nicht über wird einem bayerischen Vorschlag Gewerbesteuer- und Körperschafts- Laut Zeitplan findet die erste Le- · Verzicht auf eine abschließende 35.000 Euro im Jahr liegen. Um eine gefolgt und ein Beitrag zum Büro- steuergesetz verwiesen, wenn es um sung des Gesetzesentwurfs am 10. Aufzählung gemeinnütziger Zwe- Konkurrenz mit der Privatwirtschaft kratieabbau geleistet. die Steuerfreiheit gemeinnütziger oder 11. Mai dieses Jahres statt. Für cke im Gesetz. Das Bundesfinanz- zu vermeiden, soll eine Höchstgren- · die Besteuerungsgrenze für die Organisationen geht. Wenn nun in den 23. Mai ist eine Anhörung im Fi- ministerium plant mit der Reform ze von 40.000 Euro/Jahr eingezogen wirtschaftliche Betätigung von Ver- der Abgabenordnung der Kulturbe- nanzausschuss geplant. Prinzipiell des Gemeinnützigkeitsrechts, die werden. Wird diese überschritten, einen auf 40.000 Euro (bisher griff eng geführt wird, könnte das un- wäre es nach wie vor möglich, dass das gemeinnützigen Zwecke abschlie- setzt die Besteuerung ein 30.678 Euro) angehoben wird. Auch ter Umständen dazu führen, dass Or- Gesetz zur weiteren Stärkung des bür- ßend in der Abgabenordnung zu Das Bundeskabinett hat am wird einem Vorschlag aus Bayern ganisationen aus dem Kulturbereich gerschaftlichen Engagements vor der definieren. Der Bayerische Finanz- 14.02.2007 den Gesetzesentwurf des gefolgt. steuerpflichtig werden. Das hätte er- Sommerpause verabschiedet wird minister will von einer abschlie- Bundesfinanzministers verabschie- · der abzugsfähige Höchstbetrag für hebliche Auswirkungen für die be- und rückwirkend zum 01.01.2007 in ßenden Regelung absehen, damit det. Der Gesetzesentwurf wurde Zuwendungen in den Vermögens- troffenen Institutionen. Kraft tritt. Dieses wäre ein positives auf neue Entwicklungen aus der daraufhin dem Bundesrat zugeleitet. stock einer Stiftung auf 1 Mio. Euro Ebenso hat der Bundesrat abge- Signal für die Zivilgesellschaft. Zivilgesellschaft flexibel reagiert Es handelt sich bei diesem Reform- angehoben wird. lehnt, dass die Förderung des bürger- werden kann. vorhaben um ein zustimmungs- Problematisch ist, dass der Bun- schaftlichen Engagements als ge- Die Verfasserin ist Wissenschaftliche · Ausweitung der Frist für die zeitna- pflichtiges Gesetz. Die Länder haben desrat einem Vorschlag des Frei- meinnütziger Zweck anerkannt wird. Mitarbeiterin beim Deutschen he Mittelverwendung auf zwei Jah- teilweise weitere Verbesserungen staats Thüringen zur Verengung des Es wird darauf verwiesen, dass in den Kulturrat Digital Rights Management und Verbraucherinteressen Nicht den privaten Verbraucher kriminalisieren • Von Patrick von Braunmühl Raubkopierer sind ein erstzuneh- ihren Rechner schützen wollen und mendes globales Problem, welches daher solche Schutzmaßnahmen es zu bekämpfen gilt. Der Verbrau- umgehen, rechtswidrig und könnten cherzentrale Bundesverband hat sich sogar strafbar machen. daher stets an die Verbraucher ap- Ein gravierendes Problem der pelliert, keine illegalen Inhalte aus DRM-Systeme ist die fehlende Inter- dem Netz herunterzuladen oder operabilität. Die Kopierschutzsyste- Raubkopien von CDs und DVDs zu me werden so ausgestaltet, dass die kaufen. Dennoch muss deutlich ge- Dateien nur noch auf bestimmten macht werden, dass nicht die pri- Geräten und Medien abgespielt wer- vaten Verbraucher die Kriminellen den können. Der Verbraucher kann sind, sondern häufig gewerblich zum Teil nur schwer durchschauen, agierende kriminelle Banden. wer was anbietet und welches Gerät was abspielen kann. Die Indicare- n Deutschland muss ein Nutzer Studie „Digital Music Usage and I nach dem Urheberrechtsgesetz DRM“ aus dem Jahre 2005 (http:// vor dem Download einer Datei stets www.indicare.org/tiki-page.php? prüfen, ob die Datei im Internet le- pageName=Downloads) kam zu gal angeboten wird oder nicht. Wie dem Ergebnis, dass fehlende Inter- der Nutzer dies beurteilen soll, ist operabilität einer der Hauptgründe unklar. Dabei ist uns natürlich be- für den Kauf illegaler Musik ist. Ver- wusst, dass es Angebote im Internet braucher seien durchaus bereit, für gibt, die leicht als illegal erkennbar den Kauf von digitalen Inhalten an- sind, wie zum Beispiele das Angebot gemessen zu bezahlen, für ihr Geld zum kostenlosen Herunterladen von würden sie aber auch den entspre- Kinofilmen, die noch gar nicht im chenden Gegenwert erwarten. 86 Kino angelaufen sind. Gleichwohl Prozent der Befragten kaufen lieber stimmt es nicht, dass kostenlose An- ein Musikstück, welches auf allen Foto: www.pixelio.de gebote grundsätzlich illegal sind. Geräten abgespielt werden kann für Selbst bei bekannten Musikstücken einen Euro, als das gleiche Musik- börsen im Internet getrieben. An- sikindustrie vor, den Einsatz dieser chern. Aber auch Urheber sind für könnte es zum Beispiel sein, dass stück für 50 Cent, das nur auf einem schließend ist sie dazu übergegan- Systeme entgegen den Kundeninte- ihren Schaffensprozess auf ständige diese zu Promotionszwecken einmal Gerät abgesielt werden kann. Ferner gen, Kunden und solche, die es wer- ressen zu forcieren. Bei den nächs- Inspiration durch andere Künstler kostenlos ins Internet gestellt wer- wusste ein großer Teil der Befragten den könnten, zu verklagen. Aus Kun- ten Verhandlungen zwischen Musik- und einfachen Zugang zu anderen den. Andersrum ist auch die Kosten- nicht, was DRM-Systeme überhaupt den wurden potentielle Feinde. Das industrie und Apple wird sich nun Werken angewiesen. pflichtigkeit des Angebotes kein Zei- sind und wie sie eingesetzt werden. vormals gute Image der Musik- und zeigen, wie ernst es Jobs mit seiner Dass die Position des Verbrau- chen dafür, dass es sich um ein lega- Die Musik- und Filmindustrie Filmindustrie hat dadurch erheblich Aussage ist. cherzentrale Bundesverbandes sich les Angebot handelt. zwingt Fans durch fehlende techni- gelitten. Neben der Aufgabe des einschrän- auch mit den Interessen einiger Plat- Nutzt der Verbraucher ein lega- sche Kompatibilität dazu, mehrfach Die Ankündigung von EMI, Mu- kenden Kopierschutzes müssen die tenlabels decken kann, zeigt folgen- les Angebot, so ist er mit dem Pro- für das gleiche Musik- oder Film- siktitel künftig ohne Kopierschutz im Preise für den Musikdownload redu- de Initiative des Indie-Verbandes blem des Kopierschutzes konfron- stück zu bezahlen. Wenn keine Ko- Internet zu vertreiben, ist ein wich- ziert werden. Durch den Verkauf im VUT (Verband unabhängiger Tonträ- tiert. pien erlaubt sind, ist der Kunde ge- tiger Schritt in Richtung mehr Kun- Internet sparen die Firmen gegenüber gerunternehmen, Musikverlage und Die Anwendung von Kopier- zwungen, die legal erworbenen In- denfreundlichkeit. Kopierschutz ist dem CD-Verkauf eine Menge Produk- Musikproduzenten e. V.). Dieser hat schutzsystemen, insbesondere DRM halte erneut zu kaufen, wenn eine in der Praxis meistens nicht in der tions- und Vertriebskosten – das muss schon Anfang letzten Jahres eine (Digital Rights Management)-Syste- Datei beschädigt wird oder er sich Lage, Piraterie zu verhindern, da an die Verbraucher weitergegeben Kampagne gegen Kopierschutzmaß- men, ist mit zahllosen Problemen nicht ein neues Abspielgerät zulegt. Profis das Kopierschutzsystem leicht werden. Preissteigerungen sind das nahmen gestartet. In einer Presse- verbunden. Dabei ist die verminder- Die sich aus der fehlenden Interope- umgehen können. Auf der anderen falsche Signal. mitteilung dazu heißt es: „DRM und te Qualität beim Herunterladen des rabilität ergebende Monopolstellung Seite werden Nutzer oft unangemes- In der freien Nutzung von Datei- Kopierschutz sind nicht die Lösung Musikstücks zwar ärgerlich, aber der Unternehmen halten wir in die- sen beschränkt. Bei iTunes zum Bei- en im Internet liegt ein Potenzial für des Problems der Musikindustrie. So, noch nicht das größte Problem. Ge- sem Zusammenhang ebenfalls für spiel können sie Musikstücke, die sie eine aktive Kultur, in der der Nutzer wie die Techniken bislang gestaltet rade DRM-Systeme können für sehr bedenklich. Falls es zum Bei- herunterladen nur auf dem Apple nicht nur konsumiert, sondern auch werden, helfen sie eher, auch noch schwerwiegende Eingriffe in die Pri- spiel nicht länger profitabel ist, be- iPod abspielen, nicht auf Abspielge- kreiert. Diese Kreativität darf nicht die letzten ‚ehrlichen’ Musikkäufer vatsphäre der Verwender genutzt stimmte Musik mit neuen techni- räten der Konkurrenz. durch Schutzmaßnahmen zerstört zu verprellen und in die Piraterie zu werden. So können mit den Kopier- schen Plattformen kompatibel zu In einer gemeinsamen Erklärung bzw. eingeengt werden. Dabei geht treiben.“ (http://www.vut-online. schutzmaßnahmen Systeme auf den machen, könnten die Musikstücke hatten der Verbraucherzentrale Bun- es uns nicht darum, dass dem Ver- de/de/news/113/). Computer geladen werden, die den für die Öffentlichkeit verloren sein. desverband, die französische Ver- braucher alle Inhalte kostenlos zur Diesen Worten können wir uns Computer feindlichen Angriffen aus- Um den Wettbewerb mit illegalen braucherorganisation UFC Que Choi- Verfügung stehen. Auch wir wollen, nur anschließen. Nach EMI müssen setzen oder den Nutzer ausspionie- Angeboten zu begegnen, müssen die sir und die Verbraucherombudsmän- dass der Urheber eines Werkes an- nun auch die anderen großen Musik- ren. Anbieter ihre Angebote attraktiver ner aus Finnland und Norwegen im gemessen bezahlt wird. Nur die aus- konzerne nachziehen und auf Ko- Der Verbraucherzentrale Bun- gestalten. Die Musikindustrie hat es Januar diese Praxis angegriffen. Un- reichende wirtschaftliche Absiche- pierschutzmaßnahmen verzichten. desverband fordert rechtliche Rah- über viele Jahre nicht geschafft, ein terstützung kam daraufhin von un- rung der Urheber ist Voraussetzung menbedingungen für den Einsatz attraktives legales Angebot zum Mu- erwarteter Seite: Apple-Chef Steve für die Schöpfung neuer Werke. Da- Der Verfasser ist Leiter des Fachbe- von DRM-Systemen, die solche frag- sikdownload im Internet bereitzu- Jobs forderte Anfang Februar 2007 her ist es auch im Sinne der Verbrau- reich Wirtschaftsfragen und Stell- würdigen Schutzvorrichtungen ver- stellen. Damit hat sie ihre Kunden den völligen Verzicht auf sogenann- cher, den Urhebern ihre berechtig- vertretender Vorstand des Verbrau- bieten. Zurzeit handeln Nutzer, die selbst in die Arme illegaler Tausch- te DRM-Systeme und warf der Mu- ten Vergütungsansprüche zu si- cherzentrale Bundesverband KREATIVITÄT / KULTUR UND KIRCHE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 28

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums Berlin, den 13.03.2007. Der Deut- zum Download angeboten. Die Internet- maß“. Der Deutsche Kulturrat hält diese ern finanziert werden. Dies kann nicht im die Rechteinhaber, also Künstler und sche Kulturrat, der Spitzenverband der piraterie geht über das gelegentliche Vorschrift für praxisfern, da im Vorhinein Sinne eines effektiven Schutzes des geis- Verwerter wie Produzenten und Veran- Bundeskulturverbände, fordert eine Kopieren von urheberrechtlich geschütz- nicht erkannt werden kann, ob ein sol- tigen Eigentums sein. Der Deutsche Kul- stalter, einen pauschalen Ersatz des in grundlegende Nachbesserung des Re- ten Inhalten weit hinaus. Sie hat in eini- ches gewerbliches Ausmaß vorliegt. Der turrat fordert, die Deckelung der Abmahn- der Praxis kaum nachweisbaren aber gierungsentwurfs eines „Gesetzes zur gen Bereichen ein beträchtliches Ausmaß Deutsche Kulturrat fordert daher, diese gebühren zu streichen. erheblichen Ermittlungs- und Verfol- Verbesserung der Durchsetzung von gewonnen. Leidtragende dieser Entwick- Einschränkung zu streichen, wie dies Er- gungsaufwand erhalten. Rechten des geistigen Eigentums“ im lung sind die Künstlerinnen und Künst- wägungsgrund 14 der Richtlinie aus- Doppelter nun anstehenden parlamentarischen ler. drücklich zulässt. Schadensersatz Wert der Kreativität Verfahren. Schutz des geistigen Eigentums heißt, Mit dem Gesetzesentwurf soll die so gegen Verletzungen des Urheberrechts Deckelung der Bei Urheberrechtsverletzungen durch Pi- Der Deutsche Kulturrat sieht sich so- genannte Enforcement-Richtlinie der konsequent vorgehen zu können. Denn Abmahngebühren raterie hat der Verletzer nach derzeit gel- wie seine Mitgliedsverbände gefordert, Europäischen Union in nationales Recht Internetpiraterie ist kein Kavaliersdelikt. tender Regelung in Deutschland nur die noch stärker als bisher den Wert krea- umgesetzt und damit der Schutz des Der nunmehr vorgelegte Regierungsent- übliche Lizenzgebühr zu bezahlen, die er tiver Leistungen deutlich zu machen. geistigen Eigentums gestärkt werden. wurf erfüllt die in ihn gesetzten Erwar- Auch der Deutsche Kulturrat wendet sich auch bei entsprechend ordnungsgemä- Kreative Leistungen, das heißt Musik, Er verfehlt jedoch das angestrebte Ziel. tungen nicht. Er gibt Künstlern und Kul- entschieden gegen ein „Geschäfte ma- ßem vorherigen Erwerb der Rechte zu Texte und Bilder, sind nicht umsonst zu Durch Produktpiraterie, insbesondere turunternehmen keine ausreichenden chen“ durch Abmahnungen. Die vorge- bezahlen gehabt hätte. Das deutsche haben. Die Künstler haben das Recht aber durch Internetpiraterie werden Instrumente in die Hand, um gegen geis- sehene Deckelung der Abmahngebühren Urheberechtsgesetz sollte – ausländi- und den Anspruch auf eine angemes- Künstlerinnen und Künstler sowie an- tigen Diebstahl vorzugehen. aber würde dazu führen, dass die Kos- schen Beispielen folgend – jedenfalls bei sene Vergütung ihrer Leistungen. Ver- dere Kreative um den verdienten Lohn ten der Rechtsverfolgung hauptsächlich vorsätzlichen Urheberrechtsrechtsverlet- lage, Tonträgerhersteller und Filmhers- ihrer Arbeit gebracht. Internetpiraterie, Rechtsverletzung im ge- von den Geschädigten getragen werden zungen mindestens die doppelte Lizenz- teller können die von ihnen verwerte- d.h. die unerlaubte Verbreitung urhe- werblichen Ausmaß müssen, da die Deckelung der Kosten gebühr als Schadensersatz zum Regel- ten Werke nicht zum Nulltarif anbieten. berrechtlich geschützter Inhalte, ist deutlich unterhalb des tatsächlichen Auf- fall machen, wie dies Art. 13 Abs. 1 b) Der Deutsche Kulturrat sieht die Her- längst nicht mehr allein ein Problem des Der Gesetzesentwurf knüpft den Aus- wandes liegt. Die Rechtsverfolgungskos- der Richtlinie nahe legt, der „mindestens“ ausforderung, dieses stärker in der Öf- Musikbereiches. Auch Filme, Hörbücher kunftsanspruch an das Vorliegen einer ten müssten danach auf die Preise um- den üblichen Pauschalbetrag als Scha- fentlichkeit zu vermitteln und nimmt und e-books werden inzwischen illegal Rechtsverletzung „in gewerblichem Aus- gelegt und somit von den legalen Nutz- densersatz vorschreibt. Damit würden diese an.

Pietismus und Kultur – ein spannendes Verhältnis Von Möglichkeiten für die Zukunft der Kirchen • Von Hartmut Spiesecke Wir feiern 2007 in Deutschland den charakteristisches Merkmal nicht Lied- und Liedermacherkultur. Der Die Pietisten können den Reich- auch für einen religiösen Kontext – 400. Geburtstag des großen christ- etwa ein musikalisches Moment, son- bekannteste ist sicher Manfred Sie- tum kultureller Traditionen neu ent- verloren gegangen. Das entspricht ei- lichen Liederdichters Paul Gerhardt. dern die deutsche Sprache ist, wie bald („der christliche Reinhard Mey“). decken. Das ist schon deswegen wich- ner stark romantisch beeinflussten Sein Jahrhundert war geprägt vom Heinz von Loesch dargelegt hat) war Aber auch Peter Strauch, langjähriger tig, weil sich daraus etwas für das ei- ästhetischen Position, die keineswegs 30-jährigen Krieg: Keine Familie blieb dazu die angemessene musikalische Vorsitzender der Deutschen Evange- gene Glaubensleben lernen lässt. Die ohne Alternative ist: Geniekult und davon verschont, die grassierende Entsprechung; denn nur wer die ge- lischen Allianz, und sein Nachfolger Gemälde Caspar David Friedrichs „absolute“ Kunst sind erst seit 200 Jah- Pest tat ein Übriges. Das Jahrhundert sprochenen und gesungenen Texte Jürgen Werth, Direktor des Evangeli- (auch er pietistisch geprägt) sind nicht ren bekannt. Wie aber bringen wir besonderen Leidens war das Umfeld versteht, kann nach evangelischem umsrundfunks in Wetzlar, sind be- nur Meilensteine romantischer Male- neue Kunst auch in Gottesdienste und für einen Dichter, der Leiden und Gott- Verständnis auch persönlich daran kannte Liedtexter und Komponisten. rei, sondern auch unmittelbarer Aus- machen sie zur Auseinandersetzung vertrauen in persönlicher Frömmig- Anteil nehmen. Bis heute haben die druck festen Glaubens in einsamen mit unserem Glauben, statt nur keit zusammen dachte. Im 17. Jahr- Texte des 17. Jahrhunderts in weiten Reichtum kultureller Zeiten. Brahms’ Requiem ist geradezu abends mit anderem Publikum eine hundert entstand auch der Pietismus Teilen des Pietismus eine große Be- Glaubenszeugnisse typisch für eine romantische Haltung, Vernissage oder ein Happening zu ver- als Erweckungsbewegung, die diese deutung. Und umgekehrt haben die die die traditionelle Totenmesse zu anstalten? Und wie interessieren wir persönliche Frömmigkeit mit dem Be- Pietisten mit ihrem Primat auf Bibel Heute finden sich innerhalb der ver- persönlichem Trost wandelt. Dies tat die Gemeinde wieder stärker für eine stehen auf biblischen Wahrheiten und und Erbauungsliteratur Wichtiges schiedenen evangelischen Glau- Brahms dadurch, dass er den lateini- Wahrnehmung des Künstlerischen als tätiger Diakonie verband. Der Pietis- zur Verbreitung der deutschen Spra- bensausprägungen ganz unter- schen liturgischen Text durch eine Rei- „anderer Wirklichkeit“? Im Bewusst- mus ist eine Sammelbewegung ver- che getan. Mit seinem Bemühen, al- schiedliche Einstellungen zu Kunst he von Bibelversen in deutscher Spra- sein von Transzendenz treffen sich schiedener Glaubensgemeinschaf- len Christen einen unmittelbaren Zu- und Kultur. Während Pietisten von che aus dem Alten und Neuen Testa- Kunst und Glaube – und Pietisten ken- ten, auch Mitgliedern der evangeli- gang zur Bibel zu ermöglichen, sei der eher landeskirchlich geprägten ment ersetzte. Neugier wäre ein guter nen das persönliche Angesprochens- schen Kirche. Heute zählen in Pietismus zur wirkungsvollsten Bil- evangelischen Christen gelegentlich Motor für solche Entdeckungen, und ein aus ihrem Glaubensleben. In der Deutschland rund 1,4 Millionen Men- dungsbewegung in Deutschland ge- als „kulturlos“ gedacht werden, be- gelegentliche Bildbetrachtungen in Verbindung von Kunst und Glauben schen unter den Bezeichnungen pie- worden, sagte unlängst zugespitzt steht der umgekehrte Vorwurf der Pi- Hauskreisen eine durchaus sinnvolle liegen nach wie vor starke Möglichkei- tistisch, evangelikal, charismatisch Otto Schaude, Vorsitzender des etisten darin, dass manche evange- geistliche Ergänzung. Im Gegenzug ist ten für die Zukunft der Kirchen. zu den Nachfolgern der damaligen württembergischen Altpietistischen lischen Christen vor lauter Kultur die die evangelische Kirche seit einigen Bewegung. Gemeinschaftsverbands. Frömmigkeit verloren hätten („Kul- Jahren dabei, die Bedeutung von per- Der Verfasser ist Generalsekretär des Dass andere Kunstformen als Kir- turprotestanten“). Die polemisch sönlicher Glaubensentscheidung und Kongresses christlicher Führungskräf- ichtiger als der Vollzug eines chenlieder im pietistischen Bereich Überspitzung lautet etwa so: Die Mission wieder zu entdecken, und te. Der Literatur- und Musikwissen- W unpersönlichen Ritus war den weniger geschätzt wurden, ist vor dem „Kulturprotestanten“ verwechselten befindet sich damit in bester pietisti- schaftler ist Co-Autor eines Buches Pietisten im 17. Jahrhundert eine per- Hintergrund der damaligen kirchli- Bach mit Jesus, die Pietisten wüss- scher Tradition. über „50 christliche Musikklassiker“ sönlich empfundene Beziehung zu chen Kultur zu verstehen. Die Kirchen ten nicht, wer Bach ist. Diese Pole- In der Diskussion um „absolute“, und publiziert regelmäßig im Gott. Daraus ergab sich folgerichtig waren im 17. Jahrhundert neben den mik hilft aber nicht weiter. Eher wird also keinem außerkünstlerischen Sinn evangelischen Wochenmagazin idea das Primat des biblischen Wortes. Das säkularen Herrscherhäusern die umgekehrt ein Schuh daraus: Zu fra- mehr verbundene Kunst ist uns Spektrum. Das Mitglied der evangeli- kirchliche Leben wurde z.B. durch Hauptauftraggeber der Künstler. Die gen ist, was die Gruppen von allerdings die Frage nach akzeptabler schen Kirche bezeichnet sich als Hauskreise und Bibelstunden, erbau- damals von manchen als schwulstig einander lernen können. Funktionalität des Ästhetischen – „gerne evangelikal“. liche Literatur und missionarische empfundene Ästhetik des Barock mit Aktivitäten vielfältig bereichert. Das schmuckreicher Kunst stand der auf verbindet sich in der Anfangszeit des die Bibel zentrierten pietistischen Pietismus u.a. mit den Namen Phillip Frömmigkeit quasi fundamental Jacob Spener, Nikolaus Ludwig Graf entgegen. Solche kulturellen Äuße- von Zinzendorf, August Hermann rungen galten als sekundär und stan- Francke, Friedrich Christoph Oetinger den deswegen häufig außerhalb des und Johann Albrecht Bengel. pietistischen Interesses. Die Entste- hung der Ästhetik einer „Kunstreligi- Deutsche Sprache als on“ in der Frühromantik, die Kunst als Voraussetzung „eigentlichen“ Ausdruck des Religiö- sen verstand, trug später zu weiterer Nach der Reformation im 16. Jahrhun- Distanzierung bei. dert und der Übersetzung der Bibel ins Gleichwohl hat der Pietismus in Deutsche durch Martin Luther ent- der Geistesgeschichte durchaus ge- stand im 17. Jahrhundert eine wirkt: So waren auch Schiller und Kant deutschsprachige Lyrik, die im We- stark von pietistischen Überzeugun- sentlichen Kirchenlieddichtung war. gen beeinflusst (vgl. zum Beispiel Mit gutem Grund kann man das 17. Kants Auffassung vom „reinen Schö- Jahrhundert als ihren Höhepunkt be- nen“). Der bekannteste Lieddichter trachten. Sie zielte auf das „Volkstüm- nach Paul Gerhardt ist wohl Matthias liche“ der liturgischen Texte ab. Litur- Claudius („Der Mond ist aufgegan- gie, Predigt und Gemeindelieder in gen“), dessen Lieder noch heute an deutscher – und das hieß damals: in vielen Kinderbetten gesungen wer- der einzigen dem Volk verständlichen den. Das Singen als Glaubensausdruck – Sprache waren ein wesentlicher Teil hat sich weiter durchgesetzt. Deswe- pietistischer Glaubensausprägung. gen haben die Evangelikalen in Zum Gedenken an den 400. Geburtstag von Paul Gerhardt ist seit März diesen Jahres ein Sonderpostwertzeichen erhältlich. Und der evangelische Choral (dessen Deutschland vor allem eine starke Foto: Dr. Hans-Joachim Deeskow, Gestaltung: Antonia Graschberger, Herausgeber: Bundesministerium der Finanzen. JAHRESBERICHT 2006 politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 29 JAHRESBERICHT 2006 Mai – Juni 2007 • Seite 29

Jahresbericht des Deutschen Kulturrates e.V. über seine Tätigkeit im Jahr 2006

Arbeitsschwerpunkte des Deut- Im Deutschen Kulturrat haben sich Fachausschuss Europa/ schließend dem Sprecherrat zur Dis- den Weiterleitungsunternehmen schen Kulturrates waren im Jahr zuerst die Fachausschüsse mit den Internationales kussion und Beschlussfassung vor- aufgeweicht werden und daher die 2006 Fragen befasst, bevor dann eine Dis- Der Fachausschuss Europa/Interna- gelegt. Der Sprecherrat verabschie- Frage im Raum steht, was Rundfunk · die Begleitung von Gesetzge- kussion und Beschlussfassung zu tionales befasste sich unter der Lei- dete die Stellungnahme am ist. Die Resolution wurde vom Spre- bungsvorhaben durch Stellung- den Gesetzesvorhaben im Sprecher- tung seines Vorsitzenden Max Fuchs 20.09.2006. Die Stellungnahme wur- cherrat am 30.05.2006 verabschie- nahmen und Parlamentarische rat stattfand. mit Fragen der europäischen Kultur- de in der Ausgabe November/De- det. Die Resolution wurde in der Abende, politik, der internatonalen Kulturpo- zember 2006 von politik und kultur Ausgabe Juli/August 2006 von poli- · der kulturpolitische Diskurs in Fachausschuss Arbeit und Soziales litik sowie der Auswärtigen Kultur- veröffentlicht und kann unter http:/ tik und kultur veröffentlicht und den Gremien und durch Beiträge Die Einrichtung des Fachausschus- politik. Der Fachausschuss Europa/ /www.kulturrat.de/detail.php? kann unter http://www.kulturrat. in politik und kultur, der Zeitung ses Arbeit und Soziales wurde vom Internationales trat am 24.01., am detail= 871&rubrik=4 abgerufen de/detail.php?detail=781&rubrik=4 des Deutschen Kulturrates, Sprecherrat im September 2006 be- 10.05., am 16.08. und am 13.09.2006 werden. Das Auswärtige Amt veran- abgerufen werden. · die Beratung der Bundesregie- schlossen. Die Idee war dabei, dass zusammen. staltete im Oktober 2006 eine Tagung rung, des Parlamentes sowie des es zahlreiche Querverbindungen Im Mittelpunkt der Sitzung am „Menschen bewegen“, in der die von Fachausschuss Steuern Bundespräsidenten, zwischen der Arbeitsmarkt- und der 24.01. stand die deutsche EU-Rats- der rot-grünen Bundesregierung auf Die Reform des Gemeinnützig- · die Öffentlichkeitsarbeit sowie Sozialpolitik gibt und es daher gebo- präsidentschaft in der ersten Jahres- den Weg gebrachte Auswärtige Kul- keitsrechts zog sich als roter Faden die Bereitstellung von kulturpoli- ten ist, beide Themen in einem Aus- hälfte 2007. Hier wurde ausführlich turpolitik evaluiert wurde. Die Stel- durch die Arbeit des von Peter Raue tischen Informationen, schuss zu diskutieren. Die zuvor be- von den verschiedenen Aktivitäten lungnahme des Deutschen Kulturra- geleiteten Fachausschusses im Jahr · die Durchführung von Veranstal- stehenden adhoc-Arbeitsgruppen der Mitgliedsverbände des Deut- tes lag zur Tagung vor. 2006 hindurch. Die Regierungsko- tungen. Soziale Sicherung sowie Arbeits- schen Kulturrates berichtet. Die Ver- alition hatte im Koalitionsvertrag In der Arbeit des Deutschen markt wurden aufgelöst. Im Fach- treter des Auswärtigen Amtes und Fachausschuss Medien eine Reform des Gemeinnützig- Kulturrates greifen die verschiede- ausschuss findet eine Rückbindung des Beauftragten der Bundesregie- Der Fachausschuss Medien führte keitsrechts angekündigt. Es wurden nen Gremien des Deutschen Kul- zum gemeinsamen Runden Tisch rung für Kultur und Medien infor- am 03.02. und am 26.04.2006 eine daher Erwartungen in eine grund- turrates sowie die Geschäftsstelle „Stärkung der Künstlersozialversi- mierten über geplanten Aktivitäten vom Vorsitzenden Heinrich Bleicher- legende Reform geweckt. Der Deut- wie Zahnräder ineinander. Alle cherung“ des Deutschen Kulturrates der Bundesregierung. Weiter wurde Nagelsmann geleitete Sitzung durch. sche Kulturrat hatte im Dezember Stellungnahmen, Resolutionen und des Bundesministeriums für Ar- in der Sitzung über die Umsetzung In der Sitzung am 03.02. wurde 2005 die Stellungnahme „Chance und Positionspapiere werden von beit und Soziales statt. der im Oktober 2005 UNESCO-Kon- erörtert, welche Aspekte in einer zur umfassenden Reform des Ge- den fachlichen Gremien, den Fach- Der Ausschuss konstituierte sich vention Kulturelle Vielfalt in deut- umfassenden Stellungnahme des meinnützigkeitsrechts jetzt nut- ausschüssen vorbereitet und im am 25.10.2006. Vorsitzender des Aus- sches Recht debattiert. Deutschen Kulturrates zur Medien- zen!“ (abrufbar unter: http://www. Sprecherrat, dem höchsten politi- schusses ist Friedhelm von Notz. In den Sitzungen am 10.05., am politik berücksichtigt werden soll- kulturrat.de/detail.php?detail= schen Organ, diskutiert und abge- Bereits in der konstituierenden Sit- 16.08.2006 und am 13.09. wurde aus- ten. Insbesondere wurde kontrovers 634&rubrik=4) verabschiedet, in stimmt. Der Vorstand sieht sich in zung wurde der Referentenentwurf führlich über die Auswärtige Kultur- debattiert, ob in der Stellungnahme der Forderungen zur Gemeinnüt- der Funktion Diskussionen anzu- eines Dritten Gesetzes zur Ände- und Bildungspolitik erörtert. Am eine Konzentration auf die audiovi- zigkeitsrechtsreform formuliert stoßen und ist an die Beschlüsse rung des Künstlersozialversiche- 10.05. fand zunächst eine Darstel- suellen Medien erfolgen oder der wurden. Wie im Vorjahr arbeitete des Deutschen Kulturrates gebun- rungsgesetzes beraten und eine Stel- lung der Auswärtigen Kultur- und Printbereich einbezogen werden der Deutsche Kulturrat in der „Pro- den. Der Geschäftsführer setzt die lungnahme des Deutschen Kulturra- Bildungspolitik aus Sicht des Aus- sollte. In der Sitzung am 26.04. wur- jektgruppe Reform des Gemein- Beschlüsse des Deutschen Kultur- tes zu dem Referentenentwurf vor- wärtigen Amtes, des Goethe-Insti- de sich mit den Veränderungen im nützigkeits- und Spendenrechts“ rates um, vertritt diese gegenüber bereitete. Die Stellungnahme wurde tuts und der Kirchen statt. Weiter Medienmarkt auseinandergesetzt. mit, in der Dachverbände aus den Politik, Verwaltung und Öffentlich- vom Sprecherrat verabschiedet und berichteten die anwesenden Vertre- Angesichts der Digitalisierung drän- verschiedenen gesellschaftlichen keit. Die acht Mitglieder (Deut- in der Ausgabe Januar/Februar 2007 ter aus den Mitgliedsverbänden des gen vermehrt Telekommunikations- Bereichen die Anforderungen an scher Musikrat, Rat für darstellen- von politik und kultur veröffentlicht. Deutschen Kulturrates über ihre unternehmen in den Medienmarkt eine Reform des Gemeinnützig- de Kunst und Tanz, Deutsche Lite- Sie kann unter http://www. kultur- vielfältigen Aktivitäten in diesem und werden zu Inhaltsanbieter. Die keitsrechts beraten. Im Fachaus- raturkonferenz, Kunstrat, Rat für rat.de/detail.php?detail=880& rub- Feld. Dadurch wurde deutlich, dass zuvor bestehende Konkurrenz zwi- schuss Steuern des Deutsche Kul- Baukultur, Sektion Design, Sektion rik=4 abgerufen werden. die Auswärtige Kultur- und Bildungs- schen öffentlich-rechtlichen und turrates wird über die Arbeit der Film und Medien sowie Rat für So- Als weiteres Thema wurde die politik sehr facettenreich ist und privaten Rundfunkanbietern ver- Projektgruppe berichtet. Von Bri- ziokultur und kulturelle Bildung) Veränderung des Arbeitsmarktes über die vom Auswärtigen Amt ge- schiebt sich daher. Zunehmend ist sanz war im Jahr 2006 ein Rund- sind in den Gremien des Deut- Kultur angesprochen. Der Arbeits- förderten Mittlerorganisationen festzustellen, dass die Rundfunkan- schreiben des Bundesfinanzminis- schen Kulturrates (Fachausschüs- markt Kultur wird einerseits als deutlich hinausgeht. In der Sitzung bieter – öffentlich-rechtlich und pri- terium, in dem verordnet wurde, se, Sprecherrat, Mitgliederver- Wachstumsmarkt gesehen und auf wurde bereits eine Skizze einer Stel- vat im Schulterschluss – den Tele- dass Mitgliedsbeiträge zu Kultur- sammlung) vertreten und steuern der anderen Seite ist jedoch nicht zu lungnahme des Deutschen Kulturra- kommunikationsunternehmen ge- fördervereinen ab 2007 steuerlich darüber die Politik des Deutschen übersehen, dass es sich oftmals um tes zur Auswärtigen Kultur- und Bil- genüber stehen. Der Deutsche Kul- nicht mehr absetzbar sein sollten, Kulturrates. prekäre Beschäftigungsverhältnisse dungspolitik entworfen. Der erste turrat hat in einer Resolution seiner wenn eine geldwerte Gegenleistung Die Gremien des Deutschen handelt. Hierzu soll im Jahr 2007 Entwurf der Stellungnahme wurde Sorge Ausdruck verliehen, dass die wie z.B. der kostenlose Eintritt in Kulturrates arbeiten rein ehrenamt- eine Stellungnahme des Deutschen am 16.08.2006 ausführlich debat- vorherigen Grenzen zwischen In- die geförderte Einrichtung gewährt lich. In den Fachausschüssen arbei- Kulturrates vom Fachausschuss vor- tiert. Ein veränderter Entwurf wur- haltsanbietern und den technischen wird. Der Deutsche Kulturrat hat ten neben Verbandsvertreterinnen bereitet werden. de am 13.09.2006 erörtert und an- Weiterleitungsunternehmen von sich massiv gegen die engagement- und -vertretern auch externe Exper- feindliche Festlegung im Rund- ten mit. Es werden keine Kosten er- schreiben zur Wehr gesetzt. Das stattet und auch keine Aufwands- Rundschreiben wurde im Dezem- entschädigungen gezahlt. ber 2006 außer Kraft gesetzt. In der Geschäftsstelle waren in Das vom Wissenschaftlichen Bei- den Monaten Januar bis einschließ- rat des Bundesministeriums der Fi- lich Juli drei hauptamtliche Mitar- nanzen vorgelegte Gutachten zur beiter beschäftigt, der Geschäfts- Reform des Gemeinnützigkeitsrechts führer, eine wissenschaftliche Mit- war Gegenstand der Ausschusssit- arbeiterin und eine Sachbearbei- zung am 23.08.2006. Zu diesem Gut- terin. In den Monaten August bis achten wurde eine Stellungnahme Oktober waren zwei hauptamtliche vorbereitet, in der der Deutsche Kul- Mitarbeiter beschäftigt, der Ge- turrat unterstreicht, dass eine wie im schäftsführer und eine wissen- Gutachten vorgenommene rein öko- schaftliche Mitarbeiterin. Ab No- nomische Betrachtung des Bürger- vember 2006 wird die Geschäftstel- Foto Schavan folgt schaftlichen Engagement dem Enga- le durch eine weitere wissenschaft- gement nicht gerecht wird. Ebenso liche Mitarbeiterin unterstützt. Zu- wird sich gegen die Verengung des sätzlich sind stundenweise zwei Kunstbegriffs gewehrt. Die Stellung- Studentische Aushilfen beschäftigt. nahme wurde am 20.09.2006 vom Im Jahr 2006 haben drei Studieren- Sprecherrat diskutiert und verab- de ein Praktikum beim Deutschen schiedet. Sie wurde in der Ausgabe Kulturrat absolviert. November/Dezember 2006 von po- litik und kultur veröffentlicht und Begleitung von Gesetz- kann unter http://www. kulturrat.de/ gebungsvorhaben detail.php? detail=781&rubrik=4 ab- gerufen werden. Die große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag einige kulturpo- Fachausschuss Urheberrecht litische Vorhaben festgelegt, die in Der Fachausschuss Urheberrecht dieser Legislaturperiode umgesetzt hat sich im Jahr 2006 unter der Lei- werden sollen. Dazu gehört u.a. die tung seines Vorsitzenden Ferdinand Reform des Gemeinnützigkeits- Melichar vornehmlich mit dem rechts, die Reform des Urheber- Der Vorstand des Deutschen Kulturrates bei Staatsminister . (v.l.n.r. Christian Höppner, Staatsminister rechts, die Reform der Künstlerso- Bernd Neumann, Prof. Dr. Max Fuchs, Dr. Claudia Schwalfenberg, Olaf Zimmermann und Prof. Dr. Hermann Schäfer. Weiter auf Seite 30 zialversicherung. Foto: Kristin Bäßler JAHRESBERICHT 2006 politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 30

Themenbereich kulturelle Bildung Fortsetzung von Seite 29 statt. Der Fachausschuss ist damit zugleich ein spartenübergreifendes Zweiten Entwurf eines Gesetzes Fachforum für Fragen der kulturel- zur Regelung des Urheberrechts in len Bildung. der Informationsgesellschaft be- Intensiv wurde im Fachaus- fasst. schuss im Jahr 2006 an der Stellung- In der Sitzung am 28.01.2006 nahme „Kulturelle Bildung: Eine wurde der zweite Referentenent- Herausforderung durch den demo- wurf dieses Gesetzes diskutiert. grafischen Wandel“ gearbeitet. In Einvernehmlich wurden die vorge- die Stellungnahme flossen Diskussi- schlagenen Regelungen zur Vergü- onen aus den Mitgliedsverbänden tungsabgabe abgelehnt, da sie des Deutschen Kulturrates ein, nicht dazu geeignet sind, den Urhe- zugleich löste die Erarbeitung der bern die angemessene Vergütung Stellungnahme Debatten in den Mit- zur Nutzung ihrer Werke zu gewähr- gliedsverbänden aus. Es wurde die leisten. Der Fachausschuss Urhe- Frage erörtert, wie künftig eine kul- berrecht bereitete auf der Grundla- turelle Infrastuktur in bevölkerungs- ge bestehender Stellungnahmen armen Regionen aufrecht erhalten eine Stellungnahme zu diesem Re- werden kann, wie sich die Angebote ferentenentwurf vor, die vom Spre- der Kultureinrichtungen und Ein- cherrat verabschiedet wurde. Sie richtungen der kulturellen Bildung wurde in der Ausgabe März/April ändern müssen, welche Bedeutung 2006 von politik und kultur veröf- künftig die kulturelle Kinder- und fentlicht und kann unter http:// Jugendbildung hat. Diese Wechsel- www.kulturrat. de/ wirkung hat zu einer Vertiefung und detail.php?detail=672&rubrik=4 Verbreiterung der Diskussion beige- abgerufen werden. Der Deutsche tragen. Die Stellungnahme wurde im Kulturrat führte einen Parlamenta- September 2006 vom Sprecherrat rischen Abend durch, um den Ab- des Deutschen Kulturrates verab- Verleihung des Kulturgroschens 2006 an Daniel Barenboim durch den Vorsitzenden des Deutschen Kulturrates Max geordneten des Deutschen Kultur- schiedet und in der Ausgabe Januar/ Fuchs (rechts). Foto: Stefanie Ernst rates unmittelbar die Kritik am Re- Februar 2007 von politik und kultur gierungsentwurf vorzutragen. Der veröffentlicht. Sie kann unter http:/ sich mit dem Thema auseinander zu Bundestagsabgeordneten Informati- ter http://www.kulturrat.de/detail. Parlamentarische Abend, an dem /www.kulturrat.de/detail.php? setzen. Zum einen besteht die ver- onen bereit zu stellen, wurde der php?detail=769&rubrik=5 nachge- die Mitglieder des Fachausschusses detail= 845&rubrik=4 abgerufen stärkte Anforderung des interkultu- Deutsche Kulturrat gebeten in Gre- lesen werden. teilnahmen, traf auf eine positive werden. rellen Dialogs, zum anderen trans- mien mitzuwirken. Resonanz. Seit August 2006 arbeitet der portiert gerade der Kulturbereich Anhörung des Rechtsausschusses In der Sitzung am 21.11.2006 Fachausschuss an einer Stellung- den kulturellen Kanon. Anlässlich Gespräch mit Bundeskanzlerin Mer- des Deutschen Bundestags wertete der Ausschuss die bisheri- nahme zur interkulturellen Bildung. des 25jährigen Jubiläums führte der kel zur EU-Ratspräsidentschaft Der Rechtsausschuss des Deut- gen Anhörungen des Rechtsaus- In diesem Kontext wird u.a. auch Deutsche Kulturrat am 20.09.2006 Im Dezember 2006 lud Bundeskanz- schen Bundestags führte am schusses des Deutschen Bundes- über Fragen der Leitkultur, über die eine Diskussionsveranstaltung zum lerin Merkel Vertreter von Spitzen- 08.11.2006 eine Anhörung zu den tags zum Zweiten Gesetz zur Rege- Rolle der deutschen Sprache, über Thema Leitkultur durch, in die Bun- verbänden, der Gewerkschaften und im Entwurf eines „Zweiten Geset- lung des Urheberrechts in der Infor- kulturelle Vielfalt debattiert. destagspräsident Lammert mit ei- der Kirchen zu einem Gespräch in zes zur Regelung des Urheber- mationsgesellschaft aus. Der Fach- Der Ausschuss plant diese Stel- nem Eingangsstatement einführte. das Bundeskanzleramt, um über die rechts in der Informationsgesell- ausschuss Urheberrecht des Deut- lungnahme im Juni 2007 dem Spre- Es diskutierten: Max Fuchs, Norbert deutsche EU-Ratspräsidentschaft in schaft vorgeschlagenen Änderun- schen Kulturrates nahm mit Befrie- cherrat zur Diskussion und Be- Lammert, Bassam Tibi und Petra der ersten Jahreshälfte 2007 zu spre- gen“ zur Vergütungsabgabe durch. digung zur Kenntnis, dass die über- schlussfassung vorzulegen. Bahr. chen. Bei dem Gespräch ging es in Der Geschäftsführer des Deut- wiegende Zahl der angehörten Ex- erster Linie darum, für den europäi- schen Kulturrates wurde zu diesem perten den Gesetzesentwurf hin- Fachausschuss Bürgerschaftliches Kultur und Kirche schen Einigungsprozess zu werben Gespräch als Sachverständiger ein- sichtlich der vorgeschlagenen Re- Engagement In politik und kultur wurde in der und Europa den Bürgern näher zu geladen und hat die ablehnende gelungen zur Vergütungsabgabe Die Einsetzung des Fachausschusses Ausgabe 5/2006 die Debatte um das bringen. Der Kulturbereich wurde Haltung des Deutschen Kulturrates sehr kritisch beurteilte bzw. ab- Bürgerschaftliches Engagement wur- Thema Kultur und Kirche angesto- durch den Vorsitzenden des Deut- vorgetragen. lehnte. Der Ausschuss bereitete de auf Anregung des Rates für Sozio- ßen. Anhand von Zahlen und Fakten schen Kulturrates Max Fuchs vertre- daraufhin eine Stellungnahme vor, kultur und kulturelle Bildung in der sowie von Beiträgen aus unter- ten. Beratung des Bundespräsidenten in der der Deutsche Kulturrat die Sprecherratssitzung im Juni 2006 be- schiedlicher Perspektive wurde das Besondere Wertschätzung erfuhr Mitglieder des Deutschen Bundes- schlossen. Hintergrund der Entschei- kulturelle Engagement der Kirchen Mitwirkung in der Arbeitsgruppe die Arbeit des Deutschen Kulturra- tags auffordert, die von den Exper- dung waren u.a. aktuelle Entwicklun- von der Auswärtigen Kulturpolitik Kultur des Integrationsgipfels tes im Bereich kulturelle Bildung ten vorgebrachte Kritik ernst zu gen wie die generationsübergreifen- bis hin zur kirchlichen Büchereiar- Nach dem Integrationsgipfel bei und die herausgehobene Position nehmen. Die Stellungnahme wur- den Freiwilligendienste oder das beit oder der Filmarbeit zu beleuch- Bundeskanzlerin Merkel im Herbst des Vorsitzenden Max Fuchs durch de vom Sprecherrat des Deutschen Freiwillige Soziale Jahr Kultur. tet. Bislang wurde in der kulturpoli- 2006 wurden verschiedene Arbeits- die Einladung des Bundespräsi- Kulturrates am 05.12.2006 disku- Der Fachausschuss konstituierte tischen Öffentlichkeit noch nicht gruppen gebildet, in denen konkre- denten Köhler an der Vorbereitung tiert und verabschiedet. Sie wurde sich am 08.12.2006. Ausschussvorsit- wahrgenommen, welche bedeuten- te Vorschläge zur Integration erar- seiner Berliner Rede zur Bildungs- in der Ausgabe Januar/Februar zende ist Hildegard Bockhorst. In de Funktion die Kirchen im kulturel- beitet werden sollten. Das BKM hat- politik mitzuwirken. Zusammen 2007 von politik und kultur veröf- dieser Sitzung informierten die Mit- len Leben haben. Der Deutsche Kul- te die Federführung der Arbeitsgrup- mit dem Präsidenten der Freien fentlicht und kann unter http:// glieder zunächst über die Erfahrun- turrat hat mit dem Schwerpunkt eine pe Kultur. Der Vorsitzende des Deut- Universität Berlin Prof. Dr. Dieter www.kulturrat.de/detail.php? gen mit Bürgerschaftlichen Engage- Diskussion zur Bedeutung der Kir- schen Kulturrates Max Fuchs wurde Lenzen, dem langjährigen Leiter detail=907&rubrik=4 abgerufen ment in ihren Arbeitsfeldern sowie chen als Teil des kulturellen Lebens gebeten, in der Gruppe mitzuarbei- des Max-Planck-Instituts für Bil- werden. Weiter befasste sich der über aktuelle Herausforderungen. in der kulturpolitischen Öffentlich- ten. dungsforschung Prof. em. Dr. Wolf- Ausschuss am 21.11. mit der Der Ausschuss kam darin über- keit initiiert. Zugleich wurde inner- gang Edelstein, dem für Bildungs- Enforcement-Richtlinie und kam ein, im Jahr 2007 die fachliche De- kirchlich das Thema aufgegriffen. So Runder Tisch Stärkung der politik zuständigen Mitarbeiter der darin überein, hierzu im Jahr 2007 batte zu vertiefen und für den widmete die Deutsche Bischofskon- Künstlersozialversicherung Konrad-Adenauer-Stiftung Prof. Dr. eine Stellungnahme vorzubereiten. 05.12.2007 eine Veranstaltung zum ferenz ihre Herbsttagung dem The- Gemeinsam mit dem Bundesminis- Jörg-Dieter Gauger sowie dem Vor- Themenfeld Bürgerschaftliches En- ma Kultur und Kirche und nutzte terium für Arbeit und Soziales lädt sitzenden des Deutschen Kulturra- Kulturpolitischer Diskurs gagement in der Kultur vorzuberei- dabei die Schwerpunktausgabe „Kul- der Deutsche Kulturrat zum Runden tes Prof. Dr. Max Fuchs diskutierte ten. tur und Kirche“ von politik und kul- Tisch „Stärkung der Künstlersozial- Bundespräsident Köhler grund- Der Deutsche Kulturrat versteht tur. versicherung“ ein. Am Runden Tisch sätzlich über bildungspolitische sich nicht nur als Lobbyorganisati- Diskursprojekt Kulturelle arbeiten Vertreter der Abgabepflich- Fragestellungen. on der Bundeskulturverbände, die Grundlagen der Gesellschaft Beratung der Bundesregie- tigen und der Vertreter der Versicher- auf konkrete Gesetzgebungsvorha- Bundestagspräsident Norbert Lam- rung, der Parlamentes sowie ten mit. Die Reform zur Künstlerso- Öffentlichkeitsarbeit und ben Einfluss nimmt, sondern will mert, MdB hat in einem seiner ers- zialversicherung wurde frühzeitig Bereitstellung von kultur- die kulturpolitische Debatte weiter ten Interviews nach seiner Wahl zum des Bundespräsidenten am Runden Tisch debattiert, so dass vorantreiben, um so perspektivisch Bundestagspräsidenten gesagt, dass die Forderungen und Sorgen beider politischen Informationen Handlungsoptionen für die Kultur- die Debatte um Leitkultur erneut Der Deutsche Kulturrat berät zum Seiten berücksichtigt werden konn- politik zu entwerfen. Der kulturpo- geführt werden müsste. Dabei geht einen die Bundesregierung laufend ten. Öffentlichkeitsarbeit litische Diskurs findet in den Fach- es vor allem um die Frage, wie viel über seine Stellungnahmen, Resolu- Die offensive Öffentlichkeitsarbeit ausschüssen, im Sprecherrat, in der kulturelle Verbindlichkeiten in ei- tionen und Positionspapiere zu kul- Anhörung zur Föderalismusreform ist ein Markenzeichen des Deut- Mitgliederversammlung und im nem Gemeinwesen benötigt wer- turpolitischen Fragen. Diese Bera- Am 02.06.2006 fand die letzte Anhö- schen Kulturrates. Der Sprecherrat Vorstand statt. Besonders der Vor- den. Der Vorstand des Deutschen tung der Bundesregierung wird über rung des Deutschen Bundestags und bestätigte in seiner Sitzung am stand sieht sich in der Verantwor- Kulturrates hat den Vorstoß von das Projekt „Bündelung verbandli- des Bundesrates zur Föderalismus- 30.05.2006 noch einmal ausdrück- tung über das kulturpolitische Ta- Bundestagspräsident Lammert sehr cher Kulturpolitik unter sparten- reform statt. Thema waren die mög- lich, dass er eine offensive Öffent- gesgeschäft hinaus kulturpolitische begrüßt und ein Diskursprojekt Kul- übergreifendem Blickwinkel und lichen Auswirkungen der Föderalis- lichkeitsarbeit wünscht. Nur durch Perspektiven zu entwerfen. turelle Grundlagen der Gesellschaft Politikberatung durch den Deut- musreform auf den Kulturbereich. die Mobilisierung der Öffentlich- initiiert, dass vor allem über Diskus- schen Kulturrat e.V.“ vom „Beauf- Zu dieser Anhörung waren in erster keit gelang es in der Vergangenheit Fachausschuss Bildung sionsbeiträge in der Zeitung politik tragten der Bundesregierung für Kul- Linie Verfassungsjuristen geladen, kulturpolitische Vorhaben anzusto- Der Fachausschuss Bildung traf und kultur stattfindet. Es konnten tur und Medien“ (BKM) unterstützt. die zu den verfassungsrechtlichen ßen bzw. zu befördern. Im Jahr 2006 sich am 15.02., am 21.03., am 24.05., namhafte Autoren wie Norbert Lam- Zentral ist dabei, dass es sich bei den Implikationen Stellung nahmen. Der war ein wichtiges Thema in der Öf- am 21.08. und am 27.10.2006 unter mert, Bassam Tibi, Klaus von Beyme, Positionen des Deutschen Kulturra- Vorsitzende des Deutschen Kulturra- fentlichkeitsarbeit u.a. der geplan- der Leitung des Ausschussvorsit- Hermann Glaser, Herfried Münkler, tes nicht um Einzelmeinungen, son- tes Max Fuchs vertrat die Position te Verkauf von Kulturgut aus dem zenden Christian Höppner. Im Aus- Julian Nida-Rümelin, , dern tatsächlich um die gebündelten der im Deutschen Kulturrat zusam- Besitz der öffentlichen Hand. Der schuss findet jeweils ein ausführli- Georg Ruppelt u.a. gewonnen wer- Informationen aus dem Kulturbe- mengeschlossenen Bundeskultur- Deutsche Kulturrat hat sich wie sei- cher fachlicher Austausch der Mit- den, die sich am Diskursprojekt be- reich handelt. verbände und verlieh seinen Beden- glieder zu den aktuellen Vorhaben, teiligt haben. Der Kulturbereich ist Zusätzlich zu dieser kontinuier- ken gegenüber der Reform Aus- Weiter auf Seite 31 Projekten und Veranstaltungen zum in mehrfacher Hinsicht gefordert, lichen Arbeit zu der auch gehört, für druck. Die Stellungnahme kann un- JAHRESBERICHT 2006 politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 31

Durchführung von der das Für und Wider eingehend für Kultur und Medien und dem Veranstaltungen erörtert wurde. Im April und im Ok- Bundesministerium für Bildung tober 2006 führte der Deutsche Kul- und Forschung. Dank der finanzi- Jubiläum 25 Jahre Deutscher Kul- turrat ein Pressegespräch mit dem ellen Unterstützung durch die ge- turrat Deutschen Olympischen Sportbund nannten Institutionen konnte der Eine Veranstaltungen ragten im Jahr durch. Bei diesen Pressegesprächen Deutsche Kulturrat seine Arbeit 2006 heraus, das Jubiläum zum warben die beiden Spitzenverbände bewältigen. 25jährigen Bestehen des Deutschen für das Staatsziel Kultur sowie das Danken möchten wir ebenfalls Kulturrates. Im September 2006 fand Staatsziel Sport. den Autorinnen und Autoren von die Feier im Max-Liebermann-Haus politik und kultur. Von ihren Beiträ- in Berlin statt. Kulturstaatsminister Parlamentarische Abende gen lebt die Zeitung. Kontroverse Neumann hielt bei der Feier eine Im Jahr 2006 veranstaltete der Deut- Meinungen sind ausdrücklich er- vielbeachtete kulturpolitische sche Kulturrat zwei Parlamentarische wünscht und beleben die kulturpo- Grundsatzrede. Im Rahmen dieses Abende. Zum einen informierte er litischen Debatten. Festes fand eine Podiumsdiskussion über seine Kritik an der geplanten Danken möchten wir gerne der zur Leitkultur statt, der ein Vortrag Urheberrechtsreform. Zum anderen ConBrio Verlagsgesellschaft für ihre von Bundestagspräsident Lammert führte er zusammen mit dem WDR finanzielle Unterstützung bei der vorausging. Weiter wurde im Rah- ein Parlamentarisches Mittagessen Herausgabe der Zeitung politik und men des Festes der Kulturgroschen zu den Themen GATS und Konventi- kultur des Deutschen Kulturrats. In an Daniel Barenboim verliehen. on Kulturelle Vielfalt durch. unseren Dank möchten wir die Mit- arbeiter des ConBrio-Verlags für puk-Journalistenpreis Dank die unkomplizierte und unbüro- Im Januar 2006 wurde der puk-Jour- kratische Zusammenarbeit aus- nalistenpreis für die allgemeinver- Unser Dank gilt allen, die zum Gelin- drücklich einschließen. Ebenso ständliche Vermittlung kulturpoliti- gen der Arbeit im Jahr 2006 beigetra- danken wir dem ConBrio Verlag für sche Inhalte an das Radiofeuilleton gen haben. Da sind zuerst die Mitglie- die Zusammenarbeit beim Kultur- Norbert Lammert bei seiner Rede zum 25jährigen Jubiläum des Deutschen von DeutschlandRadio, Heinrich der der Fachausschüsse, die Sprecher- informationszentrum (KIZ). Wefing sowie an Eduard Erne und innen und Sprecher der Sektionen des Danken möchten wir ebenfalls Eva Hassel-von Pock für den Kultur- Deutschen Kulturrates sowie die Ge- Deutschlandradio Kultur für die tags direkt Zugriff auf die Drucksa- zeitbeitrag Kunst-Hartz vergeben. schäftsführer der Sektionsgeschäfts- Möglichkeit, den puk-Journalisten- Fortsetzung von Seite 30 chen haben. Die Resonanz auf die- Die Verleihung fand in Kooperation stellen zu nennen. Dank ihres Einsat- preis in Kooperation zu verleihen. sen Service ist sehr positiv. mit Deutschlandradio im Rahmen zes konnten die Stellungnahmen er- Ebenfalls danken möchten wir der ne Mitgliedsverbände entschieden eines Konzertes „Debut im Deutsch- arbeitet, diskutiert und verabschiedet Stiftung Brandenburger Tor und der gegen die Planungen der Stadt Kre- Veröffentlichungen landradio“ im Kammermusiksaal werden. Die kulturpolitischen Debat- Dresdner Bank für ihr Entgegenkom- feld und des Landes Baden- Im Jahr 2006 erschien ein Buch. Die der Berliner Philharmonie statt. ten in den Gremien des Deutschen men bei der Nutzung von Räumen. Württemberg gewandt. Es wurden Studie von Caroline Dangel et al. Kulturrates sind unerlässlich, um ab- Den Mitarbeiterinnen und Mit- weiter sechs Pressegespräche (siehe „Selbständige Künstlerinnen und Fachtagung Staatsziel Kultur gestimmte Meinungen zu entwickeln. arbeitern des Deutschen Kulturra- Kasten) durchgeführt, in denen ver- Künstler in Deutschland“ setzt sich Die Enquete-Kommission „Kultur in Allen, die sich an den Debatten betei- tes sowie den Praktikanten gilt schiedene Themen erläutert wurden. mit der sozialen Lage der Künstler Deutschland“ des Deutschen Bun- ligt haben, mit ihren Beiträgen, ihrem ebenfalls unser Dank. Sie tragen auseinander. Grundlage ist eine Befra- destags empfahl in ihrem Zwischen- Lob und ihrer Kritik zu einer lebendi- mit ihrem Engagement zum Gelin- Bereitstellung von Informationen gung von Künstlerinnen und Künstler bericht im Jahr 2005, Kultur als gen Diskussion beitragen, sei an die- gen der Arbeit bei. Ein besonderer Service des Deut- der Bereiche Musik, Wort, Bildende Staatsziel im Grundgesetz zu veran- ser Stelle herzlich gedankt. Der Deut- Wir hoffen auf weiterhin gute schen Kulturrates ist das Wissenspor- Kunst und Darstellende Kunst. kern und unterbreitete einen kon- sche Kulturrat lebt von der lebendigen Zusammenarbeit, Lob und Kritik tal www.kulturrat.de. Mehr als 2.000 Das 25jährige Jubiläum des kreten Formulierungsvorschlag. Der Demokratie und der Mitwirkung der und vor allem spannende Debatten. Personen (Besucher) nutzen mit Deutschen Kulturrates wurde nicht Deutsche Kulturrat setzt sich bereits Mitglieder. Hervorzuheben ist, dass mehr als 10.000 Zugriffen (Hits) am in Form eines Buches sondern als seit 2004 für das Staatsziel Kultur im die Mitglieder nicht nur ihr Know-how Prof. Dr. Max Fuchs, Vorsitzender Tag das Wissensportal www. DVD dokumentiert. Neben Aus- Grundgesetz ein. Um die Diskussion einbringen, sondern auch alle entste- Christian Höppner, kulturrat.de des Deutschen Kulturra- schnitten aus den Diskussionen sind zu befördern, wurde im Mai 2006 in henden Kosten selbst übernehmen. Stellvertretender Vorsitzender tes e.V. und informieren sich über die auf der DVD Interviews zur Arbeit Zusammenarbeit mit der Bundes- Herzlich danken möchten wir Dr. Claudia Schwalfenberg, Kulturpolitik des Bundes in Deutsch- des Deutschen Kulturrates sowie all- akademie für kulturelle Bildung den Zuwendungsgebern des Deut- Stellvertretende Vorsitzende land. Dafür stehen den Nutzern mehr gemein zur Kulturpolitik zu finden. Wolfenbüttel eine Fachtagung zum schen Kulturrates, namentlich Dem Olaf Zimmermann, als 1.000 Dokumente zur Verfügung Sechs Mal im Jahr erscheint die Staatsziel Kultur durchgeführt, bei Beauftragten der Bundesregierung Geschäftsführer die mittels Volltextsuche durchsucht Zeitung des Deutschen Kulturrates werden können. Täglich werden die politik und kultur. Herausgeber der Informationen aktualisiert! Speziell Zeitung sind Olaf Zimmermann und Im Jahr 2006 verabschiedete Stellungnahmen in den Dossiers finden sich zahlrei- Theo Geißler. Der Redaktion gehören che Hintergrundinformationen und Olaf Zimmermann, Gabriele Schulz · Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Zweiten Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Dokumente (Arbeitsmarkt Kultur, und Andreas Kolb an. Die Zeitung er- Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (22.03.2006) Auswärtige Kulturpolitik, Bürger- scheint mit einer Auflage von 7.500 · Resolution: Bürgerschaftliches Engagement in Fördervereinen nicht gefährden (22.03.2006) schaftliches Engagement, Computer- gedruckten Exemplaren. Mehr als spiele, Daseinsvorsorge, Ein-Euro- 15.000 Exemplare werden pro Ausga- · Resolution: Rahmenfrist für den Bezug von Arbeitslosengeld I den Anforderungen des Kulturbereiches anpassen Jobs/Hartz-Gesetze, Enquete-Kom- be als .pdf-Datei aus dem Internet ab- (31.05.2006) mission Kultur, EU-Dienstleistungs- gerufen. Die Zeitung politik und kul- · Resolution: Aufhebung der Grenze zwischen Technik und Inhaltsproduktion führt zu bedenklicher Regelungslücke richtlinie, EU-Kulturpolitik, EU-Rats- tur ist im Abonnement, in Bahnhofs- (31.05.2006) präsidentschaft, Föderalismusre- buchhandlungen, an Flughäfen und · Kulturelle Bildung – Eine Herausforderung durch den demografischen Wandel (20.09.2006) form, Kulturfinanzierung, Künstler- großen Kiosken erhältlich. Alle Aus- · Resolution: Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement verbessern und nicht verschlechtern (20.09.2006) sozialversicherung, Kulturelle Viel- gaben von politik und kultur sind im falt, Kultur und Kirche, Leitkulturde- Internet abrufbar unter: http://www. · Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur geplanten Neuausrichtung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik batte, Medienpolitik, Staatsziel Kul- kulturrat.de/puk_liste.php?rubrik= (20.09.2006) tur, Steuerrecht, Urheberrecht, Ver- puk. · Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum „Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Künstler- kauf von öffentlichem Kulturgut). Im Jahr 2006 lag die Beilage Kul- sozialversicherungsgesetzes und anderer Gesetze“ (01.11.2006) Ebenfalls im Internet verfügbar tur Kompetenz Bildung der Zeitung · Kritik der Experten ernst nehmen! Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Anhörung von Sachverständigen durch ist das Kulturinformationszent- politik und kultur bei. Schwerpunkt den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags zum Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des rum (www.nmz.de/kiz) des Deut- dieser Beilage sind bildungspoliti- Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (07.12.2006) schen Kulturrates und der ConBrio- sche Fragen. Verlagsgesellschaft. Hier sind tages- Die aktuellen Debatten im Deut- aktuelle Nachrichten zu Kunst, Kul- schen Kulturrat werden in politik Im Jahr 2006 geführte Gespräche mit Spitzenpolitikern tur und Kulturpolitik zu finden. und kultur sowie Kultur Kompetenz In politik und kultur werden in Bildung begleitet. Hier kommen un- · 02.02.2006 Intendant des WDR Fritz Pleitgen jeder Ausgabe kulturrelevante terschiedliche Stimmen zu Wort, so · 13.02.2006 Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag Dr. , MdB Bundestagsdrucksachen aufge- dass die Leser kulturpolitische Dis- · 21.03.2006 Staatsminister für Kultur und Medien Bernd Neumann, MdB führt, so dass Interessierte über die kussionsprozesse in den Beiträgen Homepage des Deutschen Bundes- verfolgen können. · 29.03.2006 Intendantin des rbb Dagmar Reim · 27.04.2006 Bundesminister für Arbeit und Soziales und Vizekanzler Franz Müntefering, MdB · 03.05.2006 Bundesministerin für Bildung und Forschung Dr. Annette Schavan, MdB Fachausschüsse des Deutschen Kulturrates · 16.08.2006 Bundesministerin für Justiz , MdB · 08.11.2006 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion Dr. Peter Struck, MdB · Fachausschuss Arbeit und Soziales Vorsitz: Friedhelm von Notz (Deutsche Literaturkonferenz) · Fachausschuss Bildung Im Jahr 2006 durchgeführte Pressegespräche Vorsitz: Christian Höppner (Deutscher Musikrat) · Fachausschuss Bürgerschaftliches Engagement · 13.03.2006 Thema: UNESCO-Tagung zur künstlerischen Bildung Vorsitz: Hildegard Bockhorst (Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung) · 17.05.2006 Thema: Gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern für die kulturelle Bildung (zusammen mit dem · Fachausschuss Europa/Internationales Deutschen Musikrat und dem Verband deutscher Musikschulen) Vorsitz: Prof. Dr. Max Fuchs (Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung) · 02.06.2006 Thema: Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Kultur · Fachausschuss Medien · 21.06.2006 Thema: Vorstellung des Buches „Selbständige Künstlerinnen und Künstler in Deutschland – zwischen Vorsitz: Heinrich Bleicher-Nagelsmann (Sektion Film und Medien) brotloser Kunst und freiem Unternehmertum (zusammen mit ver.di und der Universität Bonn) · Fachausschuss Steuern · 24.08.2006 Thema: Vorstellung der Ausgabe politik und kultur 5/2006 mit dem Schwerpunkt Kultur und Kirche (zu- Vorsitz: Prof. Dr. Peter Raue sammen mit der Kulturbeauftragten der EKD und dem Kulturreferenten der Deutschen Bischofskonferenz) · Fachausschuss Urheberrecht · 21.11.2006 Thema: Staatsziel Kultur und Staatsziel Sport im Grundgesetz verankern (zusammen mit dem Deutschen Vorsitz: Prof. Dr. Ferdinand Melichar (Deutsche Literaturkonferenz) Olympischen Sportbund) JAHRESBERICHT 2006 politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 32

Bericht aus den Sektionen des Deutschen Kulturrates Im Folgenden berichten die Ge- stehen als Buch Ende 2007 zur Ver- ausführlich die vom Kulturrat zur Experten, die sich ausgewiesener- einer allumfassenden digitalen Bi- schäftsführer beziehungsweise fügung. Weitere Informationen zum Verwirklichung dieses Ziels in Aus- maßen mit der Vermittlung und der bliothek aussehen sollte. Eine aus Sprecher der Sektionen des Deut- Kongress und der Rheinsberger Er- sicht genommenen Maßnahmen. Zukunft des Tanzes befassen. Es er- Autoren, Verlegern und Bibliothe- schen Kulturrates über die Arbeit der klärung unter www.zukunft-der- Der Sprecherrat des Kulturrats gab sich eine lebhafte Diskussion, karen bestehende Arbeitsgruppe Sektion im Jahr 2006, die teilweise musikberufe.de hatte eine Reihe von organisatori- die zeigte, dass an der Strukturierung erarbeitete in einem ersten Schritt in das Jahr 2007 hineinreicht. schen Änderungen beschlossen. der Begrifflichkeiten in Bezug auf dazu ein Manifest zur Online-Nut- 5. Demographischer Wandel Grundlage dieser organisatorischen den Tanz großes Interesse besteht. zung von Buchinhalten, das unter Deutscher Musikrat Die Auswirkungen und Konsequen- Änderungen war die Organisations- www. literaturkonferenz.de/stel- zen des Demographiewandels für form des Deutschen Kulturrates, der Rolf Bolwin, Sprecher und Ge- lungnahmen einzusehen ist. Der Deutsche Musikrat (DMR) hat unsere Musikkultur werden vom 1. entsprechend nicht die einzelnen schäftsführer des Rates für darstel- Im Berichtszeitraum fanden sich im Berichtszeitraum schwer- bis zum 3. Juni 2007 im Rahmen des Verbände, sondern die Sektionen – lende Kunst und Tanz zwei Mitgliederversammlungen punktmäßig mit den folgenden Kongresses „Es ist nie zu spät – Mu- also zum Beispiel der Rat für darstel- statt, am 17. März 2006 in Leipzig Themen befasst: sizieren 50+“ mit ausgesuchten Ex- lende Kunst und Tanz – Mitglied des Deutsche und am 6. Oktober 2006 in Frank- perten erörtert. Ziel ist es, mit die- Deutschen Kulturrates sind. Die Mit- Literaturkonferenz furt/Main. Bei den alle drei Jahre 1. Musikalische Bildung sem Kongress die Kreativpotentiale gliederversammlung soll auf der turnusmäßig durchgeführten Wah- Die musikalische Bildung bleibt der älteren Menschen und die Grundlage dieser Organisationsform Das Jahr 2006 zeichnete sich durch len wurden im März 2006 der bis- das Generalthema der Arbeit des daraus folgenden Chancen für unse- in kleinerem Rahmen stattfinden. eine Reihe von Initiativen und Ver- herige Sprecher Dr. Burkhart Kro- Deutschen Musikrates, weil sie als re Gesellschaft bewusster zu machen Stimm- und Rederecht in der Mit- anstaltungen der Deutschen Litera- eber sowie der bisherige Stellvertre- Querschnittsaufgabe die Grundla- und Rahmenbedingungen für den gliederversammlung sollten nur turkonferenz und ihrer Mitglieder ter des Sprechers Dr. Georg Ruppelt ge für nahezu alle Bereiche unse- politischen Entscheidungsprozess noch die sieben stimmberechtigten aus. in ihren Funktionen bestätigt. Die rer Arbeit bildet. Ziel ist es, die zen- zu formulieren, die insgesamt zu ei- Vertreter der jeweiligen Sektion ha- Das traditionell auf der Leipziger Deutsche Literaturkonferenz ver- trale Bedeutung der musikalischen ner Verbesserung barrierefreien Mu- ben. Der Rat für darstellende Kunst Buchmesse von der Deutschen Lite- eint Ende 2006 insgesamt 23 Mit- Bildung für die Zukunftsfähigkeit sizierens auch der älteren Genera- und Tanz hielt dies für problema- raturkonferenz durchgeführte Sym- gliedsverbände und -institutionen. unserer Gesellschaft in einer Wei- tion führen soll. Einen Schwerpunkt tisch und beschloss deshalb, die Mit- posion beschäftigte sich 2006 unter se deutlich zu machen, die zu ent- bildet dabei das generationenüber- glieder seiner Sektion ausnahmslos dem Titel „Was verboten ist, macht Iris Mai, Geschäftsführerin der sprechenden Konsequenzen im greifende Musizieren. zur Mitgliederversammlung des uns gerade scharf“ mit Fragen des Deutschen Literaturkonferenz politischen Handeln führt. Gerade Weitere Informationen unter Deutschen Kulturrates einzuladen. Persönlichkeitsrechts und der Frei- in ökonomisch schwierigen Zeiten www.es-ist-nie-zu-spaet.de. Inhaltliches Thema des Rates für heit der Kunst. Kunstrat wird viel Energie in das Engage- darstellende Kunst und Tanz war Seit die Schriftsteller Maxim Bil- ment zum Erhalt bewährter Rah- 6. Auswärtige Musikpolitik vorrangig die kulturelle Bildung. Alle ler und Alban Nikolai Herbst vor Ge- Das Jahr 2006 war in kulturpoliti- menbedingungen eingesetzt. Die- Nach Gesprächen mit dem Goethe- Beteiligten betonten die Bedeutung richt standen, lassen Autoren vor Er- scher Hinsicht für die im Kunstrat ses notwendige Engagement darf Institut und dem Auswärtigen Amt dieses Themas für die Kultureinrich- scheinen ihrer Romane neuerdings vereinigten rund zwei Dutzend Ver- jedoch nicht den Blick auf das mit- konnte eine Kooperationsvereinba- tungen. Außerdem beschäftigte sich juristisch prüfen, ob sie Klagen rea- bände ausgesprochen ereignis- telfristige Ziel verstellen, dass jedes rung zwischen dem Deutschen Mu- der Rat mit dem demografischen ler Personen befürchten müssen. reich. Gleich drei Gesetzesnovellen Kind, egal welcher sozialen oder sikrat und dem Goethe-Institut aus- Wandel und der Auswärtigen Kultur- Eine komplexe Frage, denn welches wurden in Berlin „durchgezogen“: ethnischen Herkunft, die Chance gearbeitet werden, die in Kürze auf politik. Recht soll letztlich höher stehen: die EU-Richtlinie zur Harmonisie- für eine umfassende und qualifi- einer Pressekonferenz präsentiert In seiner Sitzung am 22. Novem- Dasjenige einer Privatperson, die rung des Folgerechts, die Novelle zierte musikalische Bildung erhal- werden wird. Neben den bereits exis- ber 2006, die wiederum in Köln statt- zum literarischen Material wird oder zum Künstlersozialversicherungs- ten muss. tierenden Kontakten zu China und fand, befasste sich der Rat für dar- das der grundgesetzlich geschützten gesetz und die Umsetzung der Polen gibt es mittlerweile einen in- stellende Kunst und Tanz ausführlich Kunst? Dieses brisanten Stoffes in UNESCO-Kulturgutschutzkonven- 2. Musikvermittlung tensiven Austausch mit Venezuela. mit dem Stand der Umsetzung des Zeiten medialer (Selbst-)Entblößung tion. Da die Mitgliedsverbände des Der DMR veranstaltete im Mai 2006 Tanzplans, der von der Bundeskul- nahmen sich der Jurist Karl-Heinz Kunstrates diese Themen je nach zu diesem Thema einen Kongress 7. Laienmusizieren turstiftung im Jahr 2005 initiiert wur- Ladeur, die Verlegerin Antje Kunst- Interessenlage durchaus unter- an dem mehr als 150 Personen aus Die Bedeutung des Laienmusizie- de. Im Rahmen dieses Tanzplans mann sowie die Autoren Annett schiedlich bewerten, wurden Politik, Kultur und Wirtschaft teil- rens für das Musikleben in Deutsch- werden in fünf Jahren 12,5 Millionen Gröschner, Ingo Schulze, Joseph von hierzu keine gemeinsamen Stel- nahmen. Im Nachgang des Kon- land wurde in der von der Mitglie- Euro zur Verfügung gestellt, und Westphalen und Juli Zeh an. Die Bei- lungnahmen erarbeitet. Immerhin gresses wurde das Positionspapier derversammlung des DMR verab- zwar für Tanzprojekte in einzelnen träge des Symposions sind auf der diente der Kunstrat als Forum, sich „Mehr Musikvermittlung in schiedeten Resolution „Zukunft Mu- Städten, von denen die vom Tanz- Website der Deutschen Literatur- grundsätzlich über die jeweiligen Deutschland“ formuliert, dass an sik: Laienmusizieren in Deutsch- plan ausgezahlte Summe in gleicher konferenz unter www.literatur kulturpolitischen Blickwinkel aus- die Bildungs-/Kultusminister der land“ herausgearbeitet, die im Rah- Höhe gegenfinanziert wird. Es han- konferenz.de/symposien-2006 ver- zutauschen und zu informieren. Länder gesendet wurde. Unter Be- men einer Podiumsdiskussion den delt sich vor allem um Projekte, die öffentlicht. Die Gegenläufigkeit der Mei- zug auf das Abschlusspapier wur- kulturpolitischen Sprecher aller im sich entweder mit pädagogischer Im Nachgang zum Symposion nungsbilder zu verschiedenen de um eine Stellungnahme zur Si- Bundestag vertretenen Parteien Zielsetzung an Jugendliche wenden, 2005, in dessen Mittelpunkt die ak- Sachgebieten wird den Kunstrat je- tuation und zu den Perspektiven im überreicht wurde. oder um Projekte, die der Fortent- tuelle Situation der Lektoren stand, doch nicht daran hindern, erstmals jeweiligen Land gebeten. Eine Sy- wicklung des Tanzes dienen. Der gab die Deutsche Literaturkonferenz einen gemeinsamen öffentlichen nopse der Antworten wird in der Christian Höppner, Sprecher des Tanzplan wurde grundsätzlich be- 2006 im Wallstein-Verlag die Publi- Auftritt zu wagen. Im Herbst 2006 kommenden Ausgabe der Zeit- Deutschen Musikrates grüßt, einzelne Projekte wurden je- kation „Krise des Lektorats?“ heraus, wurden erste Überlegungen hin- schrift Musikforum zu lesen sein. doch auch für nicht ausgereift genug in der Lektoren verschiedenster Ka- sichtlich eines Symposions ange- Rat für darstellende Kunst gehalten. Außerdem beriet der Rat tegorien zu Wort kommen. stellt, das in diesem Jahr stattfinden 3. Kulturelle Identität und interkul- und Tanz für darstellende Kunst und Tanz Die im Gedenken an Karl Benja- wird. Detaillierte Themen im Span- tureller Dialog noch über die aktuelle Arbeit des min Preusker (1786–1871), den nungsfeld des im Kunstbetrieb zen- Der 2. Berliner Appell als Ergebnis Der Rat für darstellende Kunst und Deutschen Kulturrats sowie die Fort- Gründer der ersten deutschen Bür- tralen Begriffs des „Wertes“ werden der Tagung „Musikland Deutsch- Tanz hat sich in seiner ersten halb- entwicklung des Künstlersozialversi- gerbibliothek im sächsischen Gro- derzeit erarbeitet. Fest steht der Ort land: Wie viel kulturellen Dialog jährlichen Sitzung am 13. Juni 2006 cherungsgesetzes. Das UNESCO- ßenhain, von der Deutschen Litera- des Geschehens: Die Kunstrat-Ta- wollen wir?“ im November 2005 in Köln mit der Frage befasst, ob es Übereinkommen und seine Bedeu- turkonferenz gestiftete Karl-Preus- gung wird innerhalb des Begleit- fand in der Folge eine sehr breite sinnvoll sei, einen Beirat für Tanz tung für die Kultureinrichtungen in ker-Medaille wurde 2006 Prof. Dr. programms der von der Kölner Unterstützung aus prominenten einzurichten. Hintergrund war das Deutschland waren ebenfalls Gegen- Paul Raabe in Würdigung seines Le- Messegesellschaft ausgerichteten Vertretern aus den Bereichen Poli- Interesse der im Rat zahlreich vertre- stand der Diskussion. Ausdrücklich benswerks verliehen. Seit 60 Jahren Veranstaltungen „Exponatec - Co- tik, Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft. tenen Tanzverbände, ihre spezifi- begrüßte der Rat die Initiative des ist der Preisträger in und für Biblio- logne Fine Art“ stattfinden. Hierbei Am 10. Juli 2006 wurde der 2. Berli- schen Fragen und Probleme losge- Bühnenvereins, den Deutschen The- theken aktiv. Vor zehn Jahren be- handelt es sich um eine Fachmes- ner Appell Bundespräsident Horst löst von den Sitzungen des Rates für aterpreis – Der Faust erstmalig zu zeichnete ihn die FAZ als „Deutsch- se für Konservierung und Ausstel- Köhler im Schloss Bellevue über- darstellende Kunst und Tanz zu er- vergeben, um so die Bedeutung der lands bekanntesten Bibliothekar“ lungstechnik nebst einer Publi- reicht. Anschließend fand ein Ge- örtern. Auch jenseits des Rates für darstellenden Kunst in Deutschland und das dürfte nach wie vor stim- kumsmesse für Antiquitäten sowie spräch im kleinen Kreis mit dem darstellende Kunst und Tanz gab es zu unterstreichen. men. 1927 in Oldenburg geboren, moderne und zeitgenössische Bundespräsidenten statt. im Berichtsjahr intensive Diskussi- Wie immer stand auf der Tages- leitete Paul Raabe von 1958-1968 die Kunst – ein optimaler Rahmen für Zudem gibt es bei Veranstaltun- onen über eine übergreifende Orga- ordnung eine Diskussion über die Bibliothek des Deutschen Literatur- die Sektion Kunstrat, die in ihrer gen und Kongressen immer mehr nisationsform für den Tanz, zum Bei- aktuelle Situation der Theater und archivs in Marbach. Von 1968-1992 Gesamtheit alle Facetten des deut- Bezugnahmen auf den 2. Berliner spiel anlässlich des von der Kultur- Orchester. So wurden die Zukunft war er der Direktor der Herzog Au- schen Kunstbetriebs abbildet. Be- Appell ebenso wie in der Politik stiftung des Bundes durchgeführten des Kinder- und Jugendtheaters in gust Bibliothek in Wolfenbüttel und vor im Folgenden Schlaglichter auf und den Medien. Informationen Tanzkongresses. Auf der Grundlage Rudolstadt und die Gesamtsituation machte diese Institution zu einer in- die Aktivitäten der einzelnen Mit- zum 2. Berliner Appell unter dieser Debatte hat der Rat für dar- in Thüringen ausführlicher bespro- ternational anerkannten Studien- gliedsverbände im Jahr 2006 ge- www.berliner-appelle.de stellende Kunst und Tanz entschie- chen. Insbesondere der Fortbestand und Forschungsstätte für das Mittel- worfen werden, noch ein Wort zur den, den entsprechenden Beirat ein- des Kinder- und Jugendtheaters in alter und die Frühe Neuzeit. Bereits Debatte über den Deutschen Kul- 4. Zukunft der Musikberufe zusetzen. Zu Sitzungen des Beirates kleineren Städten ist vor dem Hinter- pensioniert, stellte Paul Raabe sich turrat, die im letzten Jahr im Nach- Vom 09.-11.03.2007 veranstaltete sollten auch Tanzverbände und Ex- grund des Themas „Kultur und Bil- 1992 der einzigartigen Aufgabe, bis hall einer Mitgliederversammlung der Deutsche Musikrat den Kon- perten eingeladen werden können, dung“ den Mitgliedern des Rates ein zum Jahr 2000 die Franckeschen Stif- entbrannt ist. Die hier von einem gress „Zukunft der Musikberufe“, die dem Rat für darstellende Kunst ernstes Anliegen. Die Vorgänge um tungen in Halle/Saale zu leiten. In Mitglied des Kunstrates formulier- der Experten der Berufspraxis und und Tanz nicht angehören. die Deutsche Opernstiftung waren seiner reichen Publikationstätigkeit te scharfe Kritik an der vermeint- der Ausbildung mit dem Ziel zu- Intensiv diskutierte der Rat für ebenso Thema wie die zahlreichen treten neben den bibliotheksfachli- lich undemokratischen Arbeitswei- sammenbrachte, gemeinsam beide darstellende Kunst und Tanz auch im Haustarifverträge für die Staats- und chen Arbeiten auch zahlreiche ger- se des Kulturrats kam ihrerseits auf Bereiche kritisch zu reflektieren, Berichtsjahr wieder über die Arbeit Stadttheater, mit denen Mitarbeiter manistische Studien hervor. undemokratischem Wege, nämlich die zeitgemäße Modifikation beste- des Deutschen Kulturrates. Dies be- zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze auf Breiten Raum in der Tätigkeit der ohne vorherige Diskussion in der hender Berufsausbildungen zu be- ruhte auf einer Diskussion in der Teile ihrer Vergütung verzichten. Deutschen Literaturkonferenz nah- Sektion Kunstrat zustande. Es hat schreiben und Perspektiven für Mitgliederversammlung Ende No- Im Anschluss an die Sitzung des men 2006 Themen des Urheber- sich hierbei also um eine Einzel- neue Berufsfelder aufzuzeigen. Die vember 2005, in der der Deutsche Rates für darstellende Kunst und rechts ein. Neben dem Regierungs- meinung und nicht um ein State- Ergebnisse des Kongresses wurden Kulturrat aufgefordert wurde, bei Tanz fand dann die konstituierende entwurf eines zweiten Gesetzes zur ment des Kunstrats in seiner Ge- zusammengefasst in der Rheins- seiner Meinungsbildung auf die In- Sitzung des Beirates für Tanz statt. Zu Regelung des Urheberrechts in der samtheit gehandelt. Grundsätzlich berger Erklärung. teressen seiner Mitglieder mehr dieser erschienen nicht nur zahlrei- Informationsgesellschaft beschäftig- Der Kongress wurde wissen- Rücksicht zu nehmen. Der Rat für che Vertreter der Tanzverbände, die te sich die Deutsche Literaturkonfe- Weiter auf Seite 33 schaftlich begleitet; die Ergebnisse darstellende Kunst und Tanz beriet im Rat verankert sind, sondern auch renz mit der Frage, wie der Aufbau JAHRESBERICHT 2006 politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 33

Ausschlaggebend war die Idee, die sorts. Baukultur und auswärtige Poli- September bis zum 1. Oktober 2006 Fortsetzung von Seite 32 Rat für Baukultur gemeinsamen Interessen zu bündeln tik“ ein, erschienen in: puk 4/06, S. 12. fand in der Evangelischen Akade- und somit zu stärken; im Laufe die- Auch 2006 war die Errichtung der Auf der Agenda des Rates für Bau- mie Loccum die Tagung „Ein Grünes begleiten die Mitglieder des Kunst- ses Jahres soll die Fusion vollzogen Bundesstiftung Baukultur ein der kultur standen 2006 außerdem die Bauhaus?“ statt. Im Mittelpunkt rats die Aktivitäten des Kulturrates sein. Auch der Verband Deutscher wichtiges Thema des Rates für Bau- kulturelle Bildung, insbesondere die stand dabei das Thema „Nachhal- in diversen Gremien durch kon- Antiquare beschreitet neue Wege kultur. Inzwischen hat sich unter Vor- gleichberechtigte Berücksichtigung tigkeit, oder die Zukunft der Ent- struktiv-kritische Mitarbeit. grenzüberschreitender Zusammen- sitz von Dr. Engelbert Lütke Daldrup von Baukultur in Kindergärten, Schu- wicklung der Lebenswelt und die Der Kunstrat lässt sich unschwer arbeit: er hat vor, mit seinen öster- – Staatssekretär im Bundesministeri- len und Erwachsenenbildung, die Gestaltung ihrer Objekte“. In der in drei Gruppierungen einteilen: in reichischen und schweizerischen um für Verkehr, Bau und Wohnungs- UNESCO-Konvention zum Schutz Umweltpolitik in Deutschland wer- die Verbände der Urheber bzw. Kollegen ein gemeinsames Internet- wesen – der vorläufige Stiftungsrat kultureller Vielfalt und die Initiative den soziale, kulturelle und institu- Künstler, die Verbände der Vermark- portal zu eröffnen. Auch bei den eher der Bundesstiftung Baukultur konsti- Hören. Ein Überblick zum aktuellen tionelle Faktoren bereits in den Blick ter – also des Kunsthandels sowie an klassischer und älterer Kunst ori- tuiert. Vollständig besetzt sein wird Stand von „Baukultur macht Schule“ genommen, nicht jedoch die Aus- die Verbände der Institutionen. entierten Verbänden tut sich einiges. der Stiftungsrat jedoch erst, wenn der erschien Ende 2006 in dem Buch wirkungen des Design von Produk- So hat der Bundesverband des Deut- Konvent der Baukultur aus seiner „Kinder_Sichten. Städtebau und Ar- ten auf die Umwelt. Die Künstlerverbände schen Kunst- und Antiquitätenhan- Mitte fünf Mitglieder für den ins- chitektur für und mit Kindern und Dem Nutzen von Produkten ste- Die Internationale Gesellschaft der dels seine Mitgliederkommunikation gesamt 13-köpfigen Stiftungsrat be- Jugendlichen“. hen Umweltbeeinträchtigungen ge- Bildenden Künste berät bildende erheblich intensiviert – u.a. ausgelöst stimmt hat. Die Wahl findet im Rah- Die Mitglieder des Rates für Bau- genüber, die im gesamten Lebens- KünstlerInnen über internationale durch die kunsthandelsfeindliche men eines öffentlichen Konvents der kultur arbeiteten 2006 schließlich zyklus eines Produktes aus den viel- Ausstellungs- und Fördermöglich- Umsetzung der UNESCO-Kulturgut- Baukultur am 21. September 2007 in kontinuierlich in den Gremien des fältigen Herstellungs-Nutzungs- Re- keiten; sie hat im letzten Jahr eine schutzkonvention – und konnte Potsdam statt. Wahlberechtigt wer- Deutschen Kulturrates mit. Im Mai cycling- und Entsorgungsprozessen Publikation zur europäischen dadurch ad hoc einen ungewöhnli- den rund 250-300 Konventsmitglie- 2006 führte der Rat für Baukultur tur- entstehen. Umweltgerechte Gestal- Kunsthochschulreform erarbeitet. chen Zuwachs an neuen Mitgliedern der sein, die sich zur einen Hälfte aus nusgemäß Sprecherwahlen durch. tung ist daher der entscheidende „Reality Check – who is afraid of verzeichnen. Der Verband Deutscher dem Umfeld von 57 Preisen der Bau- Daraus gingen Dr. Katrin Bek (Verei- Schlüssel zu einer nachhaltigen Ge- master of arts?“ ist soeben erschie- Kunstversteigerer hat nunmehr kultur rekrutieren und zur anderen nigung der Landesdenkmalpfleger) sellschaft. Ziel der Tagung war es, nen. Auch die beratende Tätigkeit ebenfalls, wie vielfach gefordert, „ethi- Hälfte aus sonstigen Erfahrungsträ- und Dr. Claudia Schwalfenberg mehr Transparenz über Zusam- des Bundesverbandes Bildender sche Richtlinien“ für seine Mitglieds- gern der Baukultur. (Bundesarchitektenkammer) als menhänge zu ermöglichen, die Künstlerinnen und Künstler hat sich firmen aufgestellt und der Deutsche Der Rat für Baukultur hat das Ent- Sprecherinnen hervor, Wolfgang Es- Konstruktion der Lebenswelten der in einem Handbuch manifestiert: Kunsthandelsverband arbeitet auf sei- stehen der Bundesstiftung Baukultur ser (Vereinigung Freischaffender Ar- Bevölkerung umweltpolitisch zu „ProKunst“ enthält in seiner vierten nen ersten Kunst- und Antiquitäten- aufmerksam begleitet und publizis- chitekten) und Jost Hähnel (Bundes- thematisieren und programmati- Auflage allerhand Musterverträge kongress hin, der im Sommer in Bam- tisch unterstützt (s. Artikel „Bundes- ingenieurkammer) als stellvertreten- sche Positionen eines „Grünen Bau- und praktische Informationen über berg mit der Fragestellung stattfinden stiftung Baukultur geht nach Pots- de Sprecher. Im Juli 2006 gab der Rat hauses“ zu formulieren. Der Deut- Künstler- und Urheberrechte. Auch wird, durch welche neuen Wege sich dam“, in: puk 1/07, S 27). Im Rahmen für Baukultur eine aktualisierte Neu- sche Designertag war Mitveranstal- hat der BBK im Rahmen des Gabri- ein junges Publikum am besten zur einer Mitgliederversammlung des auflage seines Imageflyers heraus. ter dieser Tagung, über die in dieser ele-Münter-Preises eine Ausstellung alten Kunst führen lässt. Rates für Baukultur fand ein Ge- Ausgabe an anderer Stelle ausführ- organisiert, die Anfang 2007 im Ber- spräch mit Silja Schade-Bünsow – Claudia Schwalfenberg, Sprecherin lich berichtet wird. Eine weitere Ta- liner Martin-Gropius-Bau mit Wer- Die Institutionen Geschäftsführerin des Fördervereins und Geschäftsführerin des Rates für gung zu diesem Thema wird vom 1. ken von 40 zeitgenössischen Künst- Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Bundesstiftung Baukultur – statt, das Baukultur bis zum 3. Juni 2007 ebenfalls in lerinnen eröffnet wurde. Aus- Kunstvereine hat unter dem Titel dem Informationsaustausch und der Loccum stattfinden. (www.loccum. schließlich Künstlerinnen gilt auch „Crosskick“ Ausstellungen und Work- weiteren Vernetzung der Akteure der Sektion Design de) die Aufmerksamkeit der GEDOK, shops von und mit jungen Künstler- Baukultur diente. Im Berichtszeitraum traten dem die ihre Gründung vor 80 Jahren Innen aus zwanzig europäischen Neben der Bundesstiftung Bau- Wie auch in den vergangenen Jahren Designertag drei weitere Berufsver- durch die große Frauenrechtlerin Kunsthochschulen in dreizehn kultur konzentrierte sich der Rat für konzentrierte sich die Arbeit der Sek- bände bei. Es handelt sich dabei um Ida Dehmel mit einem dreitägigen Kunstvereinen organisiert. Eine Ent- Baukultur 2006 auf die Erarbeitung tion Design, die allein vom Deut- den „BDG: Bund Deutscher Grafik- Veranstaltungsprogramm in Ham- deckungsreise quer durch die zeitge- einer Stellungnahme zum Stadtum- schen Designertag inklusive seiner Designer“ (www.bdg-designer.de), burg gefeiert hat. Der Bundesver- nössische künstlerische Produktion bau, die der Sprecherrat des Deut- Mitgliedsverbände gebildet wird, auf das „Forum für Entwerfen“ band Kunsthandwerk versteht sich bietet neuerdings auch der Jahresga- schen Kulturrates am 13. März 2007 die Wahrnehmung der Interessen der (www.forum-entwerfen. de) sowie traditionell nicht nur als beratende ben-Pool, der auf der Website des verabschiedete. Unter der Über- Designer im Deutschen Kulturrat. den VDMD Verband Deutscher Instanz, sondern entwickelt für sei- ADK freigeschaltet wurde. „Museen schrift „Stadtumbau als bauliche Von den in diesem Zeitraum durch- Mode- und Textil-Designer“ ne Mitglieder auch Ausstellungen gestalten Zukunft – Perspektiven der und freiräumliche Kulturleistung“ geführten Aktivitäten des Kulturrates, (www.fashiondesign.de). Weitere und Verkaufsmessen im In- und Museen im 21. Jahrhundert“ – so lau- fordert die Stellungnahme ein neues insbesondere auch seiner Ausschüs- Informationen über diese Verbände Ausland. Der Radius reicht hierbei tete der Titel der letztjährigen Tagung Leitbild für die Städte der Zukunft, se an denen die Sektion Design be- sind auf deren Homepages bzw. auf bis nach New York, Moskau und To- des Deutschen Museumsbundes, die integrierte Planungs- und bürgerori- teiligt ist, wurde und wird an anderer der Homepage des Designertages kio. Große Hoffnungen werden auf in Leipzig mit hochkarätiger Beset- entierte Politikansätze ein. Grundla- Stelle berichtet. www.designertag.de abrufbar. Im die neue, anspruchsvolle Kunst- zung stattfand. Natürlich haben die ge für die interdisziplinäre Sicht, die Ein wichtiges Thema, das den Rahmen der Homepage des Desig- handwerk- und Design-Messe Ereignisse rund um den beabsichtig- die Stellungnahme auf den Stadtum- Kulturrat und die Sektion Design nertages ist auch der Newsletter des „Mind and Matter“ gesetzt, die im ten Verkauf eines Monet-Bildes durch bau eröffnet, ist das breite Spektrum schon lange beschäftigt und auch Designertages, die „DT Informatio- kommenden Juni erstmals in Lu- ein Krefelder Museum auch den Mu- der im Rat für Baukultur vertretenen weiter beschäftigen wird, ist das The- nen“ zu finden. xemburg ihre Tore öffnet. Auch das seumsbund nicht unberührt gelassen Verbände und Institutionen. So war ma der sozialen Sicherung. Im Be- Internationale Künstlergremium und hier zu einer Debatte über die es möglich, fundierte Erfahrungen richtszeitraum ging es um die Novel- Kai Ehlert, Sprecher und Geschäfts- überschreitet die Grenzen Deutsch- „Monetarisierung von Sammlungen“ aus den Bereichen Stadtplanung und lierung des Künstlersozialversiche- führer der Sektion Design lands und hat für 2007 in Wien eine geführt. Dürfen Museen Kunstwerke Landschaftsarchitektur, Hochbau- rungsgesetzes (KSVG). Ein wichtiger Tagung mit der dortigen Akademie verkaufen? Dürfen Museumsbestän- und Innenarchitektur, Ingenieur- Punkt in diesem Zusammenhang, Sektion Film und Medien der Künste konzipiert. Die Veran- de als Vermögenswerte evaluiert und baukunst und Denkmalpflege zu speziell für die Profession der Desig- staltung soll eine Plattform für in- in Staatshaushalte eingestellt wer- bündeln. ner, ist das Thema der 1-Personen- In der vergangenen Berichtsperio- tensive Diskussionen und Begeg- den? Fragen, die angesichts knapper Die Stellungnahme ermuntert GmbHs. In zunehmendem Maße de hat es aus unterschiedlichen nungen von österreichischen und Kassen sicher keine kurze Halbwerts- eine offensive Diskussion über das werden Künstler/Publizisten von ih- Gründen keine gemeinsamen Sit- slowakischen Künstlern abgeben. zeit haben werden. Die Deutsche Sek- Modell der europäischen Stadt, den ren Auftraggebern massiv gedrängt zungen aller Sektionsmitglieder ge- Mit dem Brückenschlag Wien – Bra- tion von ICOM - International Coun- Wert des baulichen Erbes im Umbau- und genötigt, ihre selbständige Tätig- geben. Die Zusammenarbeit einzel- tislava soll eine alte Wegstrecke rea- cil of Museums setzt ihre Schwer- prozess, den Zuwachs an Landschaft keit in Form einer 1-Personen-GmbH ner Sektionsmitglieder erfolgte bei nimiert werden mit dem Ziel, Ste- punkte verstärkt auf die Bereiche kul- und die Disparitäten zwischen ein- auszuüben. Der Grund dafür ist, dass konkreten Anlässen fachspezifi- reotypen und Vorurteile über die turelle Vielfalt und Kulturgüterschutz; zelnen Regionen. Die Stellungnahme der Auftraggeber und eigentlich ab- scher Art. Die gegenseitige Informa- Geltung von „West- und Ostkunst“ ihre diesjährige Generalkonferenz in benennt außerdem fünf Handlungs- gabepflichtige Unternehmer dann tion erfolgte per E-Mail bzw. über abzubauen. Der Deutsche Künstler- Wien läuft unter dem Thema „Muse- bereiche, in denen politische Maß- von der Zahlung der Künstlersozial- die einschlägigen Publikationen der bund schließlich verfügt in Berlin ums and Universal Heritage“. Der nahmen vordringlich sind: 1. Inte- abgabe (KSA) befreit ist und der Verbände. über einen eigenen Projektraum, in Verband Deutscher Kunsthistoriker grierte Stadtentwicklungskonzepte Künstler/Publizist die KSA selbst tra- Der Sektion gehören zur Zeit dem er ein viel beachtetes Pro- forciert seine Bemühungen um die voranbringen, 2. Fördermittel gezielt gen muss. Die Umwandlung der die nachfolgenden Mitgliedsver- gramm mit Vorträgen und Ausstel- Aufnahme freiberuflich arbeitender bündeln, 3. Einseitige Anreize zum Rechtsform der Berufsausübung der bände an: lungen durchführen kann; im ver- Kunsthistoriker in die Künstlersozi- Wohnungsabriss stoppen, 4. Visionä- Künstler/Publizisten von einer frei- 1. Bundesvereinigung des Deut- gangenen Jahr hat er zudem einen alkasse. Ein weiteres Augenmerk lag re Freiraumkonzepte umsetzen und beruflich selbständigen Tätigkeit in schen Films e.V. (BUFI) ständigen Sitz im Sachverständi- auf den Vorbereitungen des 29. Deut- 5. Bürgerschaftliches Engagement die einer GmbH erfolgt in der Regel 2. ver.di, Fachgruppe Rundfunk/ genkreis der Bundesregierung zur schen Kunsthistorikertags, der im stärken. Der vollständige Text der nicht aus eigenem Antrieb des Versi- Film/Audiovisuelle Medien Kunst am Bau erhalten. März dieses Jahres an der Universität Stellungnahme findet sich in dieser cherten sondern auf Druck eines oder 3. Bundesverband der mittelstän- zu Regensburg stattfand und dessen Ausgabe. An dieser Stelle sei aus- mehrerer seiner Auftraggeber. Das dischen Fernsehanbieter e.V. Die Kunstmarktverbände Schwerpunkt auf aktuelle Fragen der drücklich all den Verbänden gedankt, führt zu der absurden Situation, dass (BMF) Der Bundesverband Deutscher Ga- Denkmalpflege fokussiert war. Last die den wesentlichen Input für die dann der Künstler/Publizist, also der 4. Arbeitsgemeinschaft Dokumen- lerien hat mit Rudolf Zwirner als Art but not least – der Kunstrat ist hoch- Stellungnahme geliefert haben: dem Versicherte selbst, die KSA tragen tarfilm (agdok) Cologne-Preisträger einen Doyen erfreut über einen interessanten Neu- Bund Deutscher Architekten, dem muss. Das KSVG, mit dem gerade der 5. Bundesverband der Fernseh- der Galerienszene gewürdigt, der zugang: den Bundesverband der För- Bund Deutscher Innenarchitekten, alleinarbeitende Künstler/Publizist und Filmregisseure in Deutsch- auch als Organisator und Impulsge- dervereine Deutscher Museen für Bil- dem Bund Deutscher Landschaftsar- geschützt werden soll, wird dadurch land e.V.(BVR) ber für Institutionen viel Positives dende Kunst mit Sitz in Hamburg. Die chitekten, der Bundesarchitekten- teilweise ad absurdum geführt. Hier 6. Spitzenorganisation der Film- zur Kunstvermittlung in Deutsch- hier zusammengeschlossenen För- kammer, der Bundesingenieurkam- kommt es deshalb auch zu einer wirtschaft e.V. (SPIO) land beigetragen hat. Der Cologne dervereine von bisher rund 40 re- mer, der Deutschen Gesellschaft für Wettbewerbsverzerrung gegenüber 7. Bundesverband Kamera (BvK) Fine Art-Preis des Bundesverbandes nommierten Kunstmuseen zählen Gartenkunst und Landschaftskultur, Künstlern/Publizisten, die freiberuf- 8. Verband deutscher Drehbuch- Deutscher Kunstverleger ging hin- insgesamt 60.000 Kunstfreunde! Bür- der Deutschen Stiftung Denkmal- lich und nicht in Form einer GmbH autoren (VDD) gegen an einen Künstler – Dieter gerschaftliches Engagement, kultu- schutz, der Vereinigung der Landes- arbeiten. Leider wurden der diesbe- 9. Bundesverband kommunale Krieg – für dessen exzeptionelles relle Bildung und Förderung der denkmalpfleger, der Vereinigung zügliche Vorschlag des Designertages Filmarbeit graphisches Werk. Dem Verband ist Künste sind die Dreh- und Angel- Freischaffender Architekten und der bei der Novellierung nicht berück- Die jeweiligen Aktivitäten der es zudem gelungen, eine Messe für punkte dieses Dachverbandes, den Vereinigung für Stadt-, Regional- und sichtigt. Der Designertag wird diesen Mitgliedsverbände sind auf den zeitgenössische Kunst mit einer An- man erfinden müsste, wäre er 2003 Landesplanung. Punkt jedoch weiter verfolgen. Homepages bzw. in einschlägigen tiquitätenmesse zu fusionieren. À nicht schon gegründet worden. In die übergreifende Diskussion Von den weitere Aktivitäten der Veröffentlichungen dokumentiert. propos Fusion: Galeristen und zu Auswärtiger Politik und Kultur Sektion Design/Deutscher Designer- Kunstverleger haben erste Schritte Birgit Maria Sturm, Sprecherin und brachte sich der Rat für Baukultur mit tag soll hier stellvertretend eine Ta- Weiter auf Seite 34 für ihre Vereinigung unternommen. Geschäftsführerin des Kunstrates dem Artikel „Jenseits klassischer Res- gung aufgeführt werden. Vom 29. JAHRESBERICHT 2006 politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 34

Rat für Soziokultur und kulturelle Bil- tersgenossen und für die Gesellschaft Beitrag zur interkulturellen Qualifi- der Mehrheitskultur. Das ist eine Fortsetzung von Seite 33 dung angefordert werden. Es ist zu im Ganzen. Insoweit richtet sich die zierung von Politik und Gesellschaft. Chance für die gesamte Gesellschaft. finden und herunterzuladen unter Forderung nach einem Perspektiv- Ein Perspektivenwechsel von der Die praktischen Voraussetzungen Sektionssprecher sind Heinrich http://www.ibk-kultur.de/senioren; wechsel nicht nur an die Jüngeren, Angebots- zur Nachfrageorientie- dafür sind noch zu schaffen. Bleicher-Nagelsmann (ver.di) und oder unter http://www. bundesaka- sondern auch an die Älteren. Viele rung schätzt die potenziellen Nutze- Kaum entwickelt sind derzeit Detlef Roenfeldt (BVR). Stellvertre- demie. de/publikationen. htm unter sind dazu auch schon bereit. rInnen als PartnerInnen wert und noch Angebote kultureller Bildung tende Sprecher/Sprecherin sind „Kultursachen“. Die Älteren müssen immer so dif- bezieht sie ein. Auf allen diesen Fel- für ältere ebenso wie jüngere Men- Rolf Zitzlsperger (BMF) und Anna Das Positionspapier skizziert ferenziert wahrgenommen werden, dern verfügen Soziokulturelle Zen- schen aus weniger bildungs- und Fantl (BuFi). zunächst in differenzierter Weise die wie sie sind. Die sozialen, ökonomi- tren, Einrichtungen der kulturellen kulturnahen Kreisen. Dazu gehört inzwischen bekannte Ausgangslage: schen und kulturellen Unterschiede in Bildung sowie ihre Verbände und auch die bisher nur punktuell ent- Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Die Bevölkerung in Deutschland wird der Bevölkerung im Allgemeinen wer- Netzwerke über umfangreiche Kom- wickelte Orientierung auf die Sprecher und Geschäftsführer der kollektiv älter, durch Zuwanderung den nicht mit der Zunahme des Le- petenzen und langjährige Erfahrung, wachsende Zahl älterer Migrantin- Sektion Film und Medien verschiedener ethnischer Gruppen bensalters eingeebnet. Lebenslage auf denen aufgebaut werden kann. nen und Migranten. Der Transfer kulturell unterschiedlicher, also und Leistungspotential der „jungen“ These 3 Alle Altersgruppen haben den von wissenschaftlichen Erkennt- Rat für Soziokultur und „bunter“ – und trotzdem weniger. Alten zwischen 55 und 70 stellen sich gleichen Anspruch und ein eigenes nissen und internationalen Erfah- kulturelle Bildung Das führt zu vielerlei und tiefgreifen- anders dar als in den Phasen der Recht auf kulturelle Aktivitäten und rungen sollte verbessert werden. den Herausforderungen an die gesell- Hochaltrigkeit zwischen 70 und 80 kulturelle Bildung. Intergenerationel- These 6 Auch Kultur- und Kreativ- Der Rat für Soziokultur und kultu- schaftlichen und politischen Akteu- Jahren oder in den Phasen der Hoch- le und generationsspezifische Ange- wirtschaft muss die Potentiale Älte- relle Bildung hat sich im Berichts- re, auch im Bereich von Kultur, kul- betagtheit jenseits der 80 oder gar 90 bote sind gleichermaßen wichtig. rer sehen und integrieren. zeitraum schwerpunktmäßig mit tureller Bildung und Kulturpolitik. Jahre. Kulturelle Bildung und aktive Die oben beschriebene neue Per- dem Thema demografischer Wan- Alle Altersgruppen sind betroffen, alle These 2 Der alterungsstrukturelle Wan- Kulturnutzung sind Wege, das Erfah- spektive auf die Älteren – als Arbeit- del befasst. Der demografische sozialen Gruppen sind betroffen. del verbindet sich mit dem multikul- rungs- und Integrationspotenzial der nehmer, als Produzenten und als Wandel berührt die Arbeit aller im Das Papier konzentriert sich auf turellen Wandel. Kulturelle Teilhabe Generationen und Kulturen zu ver- Abnehmer (Konsumenten) – muss in Rat für Soziokultur und kulturelle die Aspekte der strukturellen Alte- und kulturelle Bildung sind eine zen- binden. Dafür muss lebenslanges Kultur- und Kreativwirtschaft ebenso Bildung zusammengeschlossenen rung und der Multikulturalisierung trale Antwort auf die Herausforderun- Lernen adäquat zur biografischen gefunden und umgesetzt werden wie Verbände bzw. die von ihnen ver- der Gesellschaft. Die Generallinie gen der multikulturellen Gesellschaft. Situation gestaltet werden. Dafür in der gesamten Gesellschaft. Damit tretenen Institutionen. Neben der heißt: Der Zuwachs von Lebenszeit Die Zuwanderung von Menschen müssen gemeinsame und eigene Bil- auch in der Kultur- und Kreativwirt- Erarbeitung einer eigenständigen ist eine Errungenschaft, ihre Wand- mit anderem kulturellen Hintergrund dungs- und Kulturbedürfnisse von schaft qualitativ hochwertige Pro- Stellungnahme wurde intensiv an lung in Lebensqualität eine zentrale bedeutet Herausforderungen für die Älteren wie Jüngeren berücksichtigt dukte und Arbeitsplätze entstehen, der Stellungnahme des Deutschen Aufgabe auch von Kultur und Bil- Mehrheitsgesellschaft ebenso wie für werden. Dafür müssen gemeinsame sind entsprechende Innovationsstra- Kulturrates „Kulturelle Bildung: dung. Die neue Situation darf nicht die Immigranten. Das Zusammenle- kulturelle Handlungs- und Erfah- tegien zu erforschen, zu fordern und Eine Herausforderung durch den dazu führen, benachteiligte Gruppen, ben verschiedener Kulturen und Eth- rungsfelder der Generationen iden- zu fördern. demografischen Wandel“ mitgear- ob jung oder alt, zu vernachlässigen. nien ist nicht nur Gegenstand von tifiziert und erschlossen werden. D. These 7 Demografischer Wandel beitet. Ebenso haben Mitglieder Solidarität zwischen den Generatio- Sozialpolitik, sondern vor allem von h.: Kulturelle Bildung für Jüngere braucht ressortübergreifende politi- des Rates für Soziokultur und kul- nen, aber auch zwischen den Regio- Bildungs- und Kulturpolitik. Im Me- muss qualitativ verbessert und gesi- sche Antworten. turelle Bildung in den Fachaus- nen darf nicht aufgegeben werden. dium von Kunst und Kultur werden chert, Zugänge und Angebote für Äl- Gesellschaftliche Aufgaben und schüssen des Deutschen Kulturra- Die zentralen Thesen des um- der interkulturellen Dialog und in- tere müssen weiter und teils neu ent- Probleme richten sich nicht nach tes intensiv mitgewirkt und die Er- fangreichen Papiers sind: nergesellschaftliche Integrations- wickelt werden. Ressortgrenzen. Die beschriebenen fahrungen und Interessen dieses These 1 Das Bild vom Alter muss the- prozesse gefördert. Kulturorte wer- These 4 Ressourcen des bürgerschaft- Herausforderungen betreffen neben Bereiches eingebracht. oretisch und praktisch revidiert wer- den zu Lernorten interkultureller lichen Engagements sind zu nutzen Kultur- und Bildungspolitik auch Der Rat für Soziokultur und kul- den: Ältere müssen in ihren Potenzia- Kompetenz. und auszubauen. Wirtschafts- und Sozialpolitik. So wie turelle Bildung führte am 21.03. len wahrgenommen werden. Ältere Im neoliberalen Paradigma der Vielfach organisieren ältere wie die Arbeit der Akteure eine integra- 2006 eine Mitgliederversammlung müssen ihre Potenziale einbringen. finanziellen Ordnungspolitik sind jüngere Menschen ihre kulturellen tive ist und sein muss zwischen den durch. Sprecher des Rates für Ältere müssen so differenziert wahrge- alle öffentlichen Aufgaben unter im- Interessen und Bildungsinteressen Feldern von Kultur, Bildung, Sozia- Soziokultur und kulturelle Bildung nommen werden, wie sie sind. mensen Rechtfertigungsdruck gera- selbst. Erhalt und Aufbau solcher lem und Wirtschaft, so muss auch waren im Berichtszeitraum: Prof. Die Gesellschaft kann es sich ten. Dies betrifft zumal die Kultur- Strukturen für Integration und Par- deren Unterstützung durch Politik Dr. Max Fuchs, Andreas Kämpf; nicht leisten, auf das soziale, kulturel- ausgaben im Verständnis einer soge- tizipation muss öffentlich gefördert und Administration sehr viel besser Stellvertretende Sprecher: Dr. Karl le und ökonomische Potenzial der nannten freiwilligen Leistung der und stabilisiert werden. Die damit als jetzt ressort- und ebenenüber- Ermert, Dr. Norbert Sievers. Die Älteren zu verzichten. Ebenso wie die öffentlichen Hand. Gleichzeitig verbundenen Aufgaben können greifend erfolgen, gerade im Interes- Geschäfte wurden von Hildegard Älteren die Jüngeren brauchen, brau- wächst der Bedarf an den Leistun- nicht im Alltag der Profis „en pas- se von mehr Effizienz und Nutzung Bockhorst geführt. chen die Jüngeren zunehmend die gen, die der Kulturbereich erbringt. sant“ erledigt werden, sondern sind positiver Synergieeffekte. Die Akteu- Im Folgenden wird das am Älteren. Die – dazu fähigen – Älteren Dies gilt insbesondere für die Ein- so komplex, dass dazu verlässliche re können ihre Aufgaben optimal nur 18.01.2007 beschlossene Positions- werden insoweit nicht nur als Kon- richtungen der Soziokultur und der Rahmenbedingungen, Experimen- erfüllen, wenn die politischen und papier des Rates für Soziokultur sumgruppe umworben werden, son- kulturellen Bildung. tiermöglichkeiten, Supervision und gesellschaftlichen Rahmenbedin- und kulturelle Bildung „Kultur und dern auch als Kompetenz- und Enga- Die demografischen Veränderun- Evaluation notwendig sind. gungen es ihnen ermöglichen. demografischer Wandel – Konse- gementpotenzial. Sie werden aber gen verlangen von Kunst und Kultur These 5 Ältere und jüngere Migran- quenzen für kulturelle Bildung und nicht nur umworben werden, sie die Entwicklung von kultureller Bil- tinnen und Migranten haben ein Hildegard Bockhorst, Geschäfts- Soziokultur“ zusammengefasst. müssen auch mehr Pflichten über- dung als Zukunftsressource für ge- Recht auf Teilhabe an Kultur und führerin des Rates für Soziokultur Das vollständige Papier kann beim nehmen, für sich selbst, für ihre Al- sellschaftliche Partizipation und als kultureller Bildung ihrer eigenen wie und kulturelle Bildung Vertretung des Deutschen Kulturrates in externen Gremien Vertreter des Deutschen Kulturra- tion sich in einem derart als staatlich- tes vertreten in verschiedenen ex- hoheitliche Aufgabe verstandenen Po- ternen Gremien die Anliegen der litikfeld wie Bildungspolitik so quali- Mitgliedsverbände des Deutschen fiziert in die Debatte einmischt. Das Kulturrates und damit des kulturel- Bedauern war allerdings groß über die len Lebens in Deutschland. Über Tatsache, dass der Text nur auf die Tätigkeit in den Gremien wird Deutsch vorlag. Eine englischsprachi- regelmäßig im Sprecherrat des ge Kurzfassung wäre durchaus wün- Deutschen Kulturrates berichtet schenswert. Eine handgreifliche Fol- und dadurch eine Rückbindung an ge der Konferenz ist eine verstärkte die Sektionen des Deutschen Kul- Konzentration auf die Frage der Wir- turrates gewährleistet. Im Folgen- kungen von künstlerischer Bildungs- den wird die Arbeit der Vertreter arbeit. Hierzu fanden inzwischen wei- des Deutschen Kulturrates in aus- tere internationale Konferenzen statt: gewählten Gremien vorgestellt. Die OECD organisierte einen entspre- chenden Workshop im Dezember Deutsche UNESCO- 2006 in Paris, im Januar lud das fran- Kommission zösische Erziehungsministerium in das Centre Pompidou ein. Im Mai wird In der Deutschen UNESCO-Kom- unter Federführung von Bayern eine mission e.V. (DUK) bin ich zum ei- Expertenkonferenz zu dem Thema ei- nen persönlich berufenes Mitglied, ner möglichen Evaluierung künstleri- zum anderen – und hierum geht es scher Schulfächer („Kultur-PISA“) in diesem Bericht – seit einigen Jah- stattfinden. ren Mitglied des Kulturausschusses. Die Konvention (genau: Das Über- Meine beiden Arbeitsschwerpunkte einkommen über Schutz und Förde- waren über die Jahre dieselben: Be- rung der Vielfalt kultureller Ausdrucks- gleitung der Konvention zur kulturel- formen) ist inzwischen vom Bundes- len Vielfalt und Weltkonferenz zur tag und Bundesrat angenommen wor- Der alte und neue Vorstand des Deutschen Kulturrates (v.l.): Dr. Claudia Schwalfenberg, Christian Höppner, und Prof. Dr. künstlerischen Bildung. Letztere hat den. Da die Anzahl der Staaten, die es Max Fuchs. Foto: Stefanie Ernst im März 2006 in Lissabon stattgefun- ratifiziert haben, schnell die notwen- den. Ein ausführlicher Bericht („Rü- dige Anzahl von 30 überschritten hat, bildlich durch die Geschäftstelle der sich alle Akteure in ihrem eigenen ser besonderen Verantwortung nicht ckenwind für kulturelle Bildung“) wurde es Mitte März 2007 vom Deutschen UNESCO-Kommission ge- Handlungsfeld eigenständig an die entziehen kann. wurde u.a. in puk veröffentlicht. Für UNESCO-Generaldirektor in Kraft ge- schieht. Es kommt allerdings auch Arbeit machen müssen. Dies gilt den Deutschen Kulturrat habe ich setzt. Es kommt nun darauf an, die darauf an, auf nationaler Ebene kul- selbstverständlich auch für den Deut- Max Fuchs, Vorsitzender des die Konzeption kulturelle Bildung nationale Umsetzung zu begleiten. turpolitische Schlussfolgerungen zu schen Kulturrat, der für die zivilgesell- Deutschen Kulturrates vorgestellt. Dabei hat es interessier- Dazu gehört, dass weiterhin enge Kon- ziehen. Hierfür wird weiterhin die schaftliche Seite der deutschen Kul- tes Erstaunen hervorgerufen, dass takte mit internationalen Diskursen Bundesweite Koalition ein Forum des turpolitik einen legitimierten Hand- Weiter auf Seite 35 eine zivilgesellschaftliche Organisa- aufrechterhalten werden, wie dies vor- Austauschs bieten. Zusätzlich werden lungsauftrag hat und sich daher die- JAHRESBERICHT 2006 politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 35

Deutschen Kulturrates ist dabei Fortsetzung von Seite 34 besonders erfreulich, dass das Haus Sektion des Sprecherrat des Deutschen Kulturrats der Geschichte bei der Vermittlung Deutschen Kulturrats Vorstand des Sprecherrates Beirat der Kulturstiftung historischer Inhalte stark auf die des Bundes Künste, zum Beispiel die Musik, setzt – ein äußerst fruchtbarer Ansatz, der Deutscher Musikrat · Christian Höppner (Deutscher Musikrat) Der Deutsche Kulturrat hat einen durch den Rückgriff auf ein breite- · Hartmut Karmeier (Deutsche Orchestervereinigung) · Prof. Dr. Udo Dahmen (Percussion Creative) Sitz im Beirat der Kulturstiftung des res Spektrum an Künsten weiter pro- · Prof. Dr. Eckart Lange (Konferenz der Landesmusikräte) Bundes. Dieser Beirat hat beraten- filiert werden sollte. de Funktion. Er trifft sich einmal im Auch personell ist das abgelaufe- Rat für darstellende Künsté · Rolf Bolwin (Deutscher Bühnenverein) Jahr. Ist die Terminwahl für dieses ne Jahr für das Haus der Geschichte · Hans Herdlein (Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger) Treffen ungünstig, so dass eine An- spannend gewesen: Ende Januar · Klaus Hoffmann (Bundesarbeitsgemeinschaft Spiel + Theater) wesenheit nicht möglich ist, dann 2006 schied der Präsident der Stif- · Barbara Wollenberg (Deutscher Bundesverband Tanz) zeigt sich die vom Deutschen Kultur- tung, Prof. Dr. Hermann Schäfer, Deutsche Literaturkonferenz · Dr. Burkhart Kroeber (Übersetzer) rat immer wieder beklagte Schwäche nach nahezu 19 Jahren aus der Stif- · Dr. Georg Ruppelt (Bibliothek und Information Deutschland) dieser Konstruktion besonders deut- tung aus. Seither leitet er als Minis- · Prof. Dr. Ferdinand Melichar (Verwertungsgesellschaft Wort) lich: Es gibt nämlich kaum eine wei- terialdirektor die Abteilung Kultur · Friedhelm von Notz (Börsenverein des Deutschen Buchhandels) tere Möglichkeit der Beratung und/ und Medien beim Beauftragten der Kunstrat · Birgit Maria Sturm(Bundesverband Deutscher Kunstverleger) oder sogar Einflussnahme. Immer- Bundesregierung für Kultur und Me- · Ingo Terrumanum (ver.di, Fachgruppe Bildende Kunst) hin lädt die Kulturstiftung des Bun- dien. Deshalb führt der langjährige · Hans-Wilhelm Sotrop (Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler) des bei neuen Aufgabenfeldern Ex- Vertreter des Präsidenten, Dr. Hans · Wolfgang Suttner (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine) perten zu speziellen Beratungen ein, Walter Hütter, seit Anfang Februar so etwa zum Thema Evaluation oder 2006 kommissarisch die Stiftung. Rat für Baukultur · Dr. Katrin Bek (Vereinigung der Landesdenkmalpfleger) · Dr. Claudia Schwalfenberg (Bundesarchitektenkammer) Kulturelle Bildung. Gerade zum let- Über seinen Vorsitzenden Prälat Dr. · Dipl. Ing Wolgang Esser (Vereinigung Freischaffender Architekten) zen Thema ist die Stiftung mit der In- Karl Jüsten ist der Arbeitskreis gesell- · Jost Hähnel (Bundesingenieurkammer) itiative „Jedem Kind ein Instrument“ schaftliche Gruppen in die Wieder- hervorgetreten, die auch ein Beirats- besetzung der Stelle eingebunden. Sektion Design · Kai Ehlert (Deutscher Designertag) mitglied – vermutlich aufgrund der · Henning Krause (Deutscher Designertag) oben geschilderten Situation – Claudia Schwalfenberg, Stellvertre- Sektion Film und Medien · Heinrich Bleicher-Nagelsmann(verd.di Hauptvorstand) letztlich nur aus der Presse hat zur tende Vorsitzende des Deutschen · Detlef Rönfeldt (Bundesverband Regie) Kenntnis nehmen konnte. Es ist ein Kulturrates · Anna Fantl (Bundesvereinigung des Deutschen Films) aufwändiges und teueres Projekt, das · Rolf Zitzlsperger (Bundesverband mittelständischer Fernsehanbieter) aufgrund der Schwerpunktsetzung Programmausschuss von „Kulturelle Bildung“ zu begrüßen ist, Rat für Soziokultur · Prof. Dr. Max Fuchs (Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung) RTL und kulturelle Bildung · Andreas Kämpf (Bundesvereinigung soziokultureller Zentren) ebenso wie andere geförderte Pro- · Dr. Karl Ermert (Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel) jekte, v.a. in sozialen Brennpunkten Durch die Geschäftsführung wurde · Tobias Knoblich (Kulturpolitische Gesellschaft) (z.B. Bunny Hill in München). Es ist dem Programmausschuss von RTL allerdings auch ein Projekt mit eini- unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Hilmar Stand: April 2007 gen Problemen für die Praxis der kul- Hoffmann die Entwicklung des RTL- turellen Bildungsarbeit, nicht zuletzt Programms und der Marktanteile be- en, Heinrich Bleicher-Nagelsmann, sionsschwerpunkt war in der Novem- lung einnehmen. Zu nennen sind deshalb, weil die Gefahr besteht, richtet. Trotz einer Steigerung der der auch Vorsitzender des Fachaus- bersitzung des Rundfunkrates die hier u.a. „euromaxx“ zum Thema dass nunmehr die Mittel für kultu- Marktanteile bei ARD und ZDF durch schusses Medien ist, vertreten. Entwicklung internationaler Fernseh- Leben und Kultur in Europa, Bü- relle Bildung auf Jahre gebunden Fußball-WM und Winter-Olympiade Im Berichtszeitraum haben drei programme und Neuer Medien. Hier cherwelt und das Beethovenfest. sind. So schmerzt es durchaus, dass konnte RTL seine Marktführerschaft Sitzungen des Rundfunkrates sowie wurde deutlich, in welchem Umfeld Besonders interessant auch die Fo- es nur eine einzige Kunstsparte ist, bei der Zielgruppe zwischen 14 und 49 entsprechend viele Sitzungen des sich die Deutsche Welle international cus-podcasts für Afrika, Asien. die berücksichtigt wurde. Jahren behaupten bzw. bislang im Jahr Fernsehausschusses und des Online- behaupten muss und wo Entwick- Amerika Europa und Nahost. Ge- 2007 steigern. Vor allem die neue Staf- Ausschusses der Deutschen Welle lungsmöglichkeiten und Notwendig- folgt wird dieses Angebot vom Max Fuchs, Vorsitzender des fel von „Deutschland sucht den Super- stattgefunden in denen Heinrich Blei- keiten sind. Zur Verstärkung der Po- wachsenden Livestream-Sektor. Deutschen Kulturrates star“ sowie verschiedene Reality-For- cher-Nagelsmann ebenfalls Mitglied sition der Deutschen Welle in diesem Alle Informationen und Program- mate würden erfolgreich laufen. Eine ist. Zusammenhang muss auch die auf me findet man mühelos unter Haus der Geschichte besondere Entwicklung ist im Bereich Die Aufgabenplanung der Deut- neue vertragliche Grundlagen gestell- http://www.dw-world.de. der Fiction-Serien zur Primetime fest- schen Welle bzw. ihre Fortschrei- te Zusammenarbeit mit der ARD und Der Arbeitskreis gesellschaftliche zustellen, wo sich deutsche Produkti- bung stellt mit zunehmender Präzi- dem ZDF genannt werden. In der No- Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Gruppen der Stiftung Haus der Ge- onen immer schwerer gegen amerika- sierung die wesentliche Grundlage vembersitzung des Rundfunkrates ist Vorsitzender des Fachausschusses schichte der Bundesrepublik nische Produktionen durchsetzen der Arbeit der Deutschen Welle dar. der Intendant der Deutschen Welle Medien Deutschland, in dem der Deutsche können. Nach Abschluss des Beteiligungsver- Erik Bettermann vom Rundfunkrat Kulturrat durch seine stellvertreten- Der Empfang von RTL teilt sich fahrens, an dem auch der Deutsche eindrucksvoll in seinem Amt bestätigt Kulturausschuss Deut- de Vorsitzende Dr. Claudia Schwal- derzeit zu 55% auf die Ebene Kabel, zu Kulturrat teilgenommen hat, wurde und für die nächste Periode wieder- fenberg vertreten ist, traf sich 2006 40% auf die Ebene Satellit und zu 5% im September 2006 die Endfassung gewählt worden. scher Städte- und zwei Mal: am 29. Mai und am 14. auf den terrestischen Empfang auf. für die Aufgabenplanung 2007 – 2010 Neben dem schon traditionell er- Gemeindebund November. In beiden Sitzungen be- Auch wenn die neuen Verbreitungs- beschlossen. Neben dem Schwer- folgreichen Beethovenfest ist als kul- Der Geschäftsführer des Deutschen schäftigte sich der Arbeitskreis inten- wege DSL/IP-TV bzw. Mobile in der punkt europäischer Arbeit spielt an- turelles Highlight die von Kent Naga- Kulturrates, Olaf Zimmermann, siv mit den Aktivitäten des Hauses Wahrnehmung der Presse weit vorne gesichts der globalen Situation no dirigierte Aufnahme „Monumen- nimmt als Ständiger Gast an den Sit- der Geschichte, wobei jeweils aktu- liegen würden, sei deren Nutzung besonders das Engagement der Deut- te der Klassik“ zu nennen. Besonders zungen des Kulturausschusses des elle Ausstellungsprojekte im Vorder- bislang jedoch kaum messbar. Den- schen Welle im arabischen und chi- erwähnenswert auch in diesem Jahr Deutschen Städte- und Gemeinde- grund standen. noch wird betont, dass es die Strate- nesischen Raum eine zunehmend die Aktivitäten im Zusammenhang bundes teil. Im Jahr 2006 hat er an Besonders intensiv diskutierte gie des Senders sei auf jedem neuen wichtigere Rolle. Die Vermittlung und mit der Berlinale. Das wachsende Kul- der Sitzung am 16.05.2006 teilge- der Arbeitkreis die Ausstellung Verbreitungsweg für die Zuschauer Erläuterung westlicher Wertvorstel- turangebot der Deutschen Welle im nommen. Da zu der Zeit die ab- „Flucht, Vertreibung, Integration“, empfangbar zu sein. lungen und die Förderung des Aus- engeren Sinn findet sich unter dem schließenden Anhörungen des die erst im Haus der Geschichte in Der Fernsehwerbemarkt habe tausches der Kulturen ist seit Anfang Label Kultur.21 bzw. der Adresse Deutschen Bundestags und des Bonn, dann im Deutschen Histori- 2006 mit einem Zuwachs von knapp 3 2007 auf den arabischen Raum und http://www.dw-world.de/dw/ Bundesrats zur Föderalismusreform schen Museum in Berlin und Prozent eine positive Tendenz gezeigt; insbesondere den Iran gerichtet. Dies 0,,7884,00.html. Die Monumente sind stattfanden, wurde die Position des schließlich im Zeitgeschichtlichen reiche jedoch noch nicht an das Ni- gilt für die Ausweitung des online- auch für deutsche Zuschauer/Zuhö- Deutschen Kulturrates zu den be- Forum Leipzig zu sehen war. Der veau der Jahre 2000 und 2001 heran. Angebotes ebenso wie für DW-TV. rer als DVD-Aufnahmen erhältlich. fürchteten kultur- und bildungspo- Anlass war auch öffentliche Kritik, Der Programmausschuss befass- Wichtigstes Ziel des neuen Angebo- Ein weiterer Fortschritt bei der litischen Auswirkungen der Födera- vor allem der Frauenorganisation te sich weiterhin mit der gesellschaft- tes ist es, den Dialog zu fördern und Möglichkeit deutsche Zuschauer zu lismusreform dargestellt. Medica mondiale, sexuelle Gewalt lichen Debatte um Sendungen, wie neben unzensierten Informationen erreichen, konnte nach der Koopera- Ein weiteres wichtiges Thema gegen Frauen im Zusammenhang „Deutschland sucht den Superstar“ aus und über den Iran eine Rückmel- tion mit dem Frankfurter Flughafen war das Rundschreiben des Bundes- mit Flucht und Vertreibung werde in und der Form, wie in diesem Rahmen dung über das iranische Image in Eu- durch eine entsprechende Vereinba- finanzministeriums, in dem vorge- der Ausstellung nicht angemessen Kritik an den Teilnehmern geäußert ropa zu geben und deutsche und eu- rung und Präsentation ab März 2007 sehen war, die Abzugsfähigkeit von berücksichtigt. Das Thema wurde würde. Während von Seiten des Bei- ropäische Politik in Gesellschaft, am Flughafen Tegel erreicht werden. Mitgliedsbeiträgen zu Kulturförder- daraufhin für die Berliner Station rates die Form der Darstellung ins- Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur Die Deutsche Welle liefert Nachrich- vereinen abzuschaffen, wenn eine vertieft. Des Weiteren gab es eine besondere der abgelehnten Kandida- darzustellen. Immer noch nicht ab- ten sowie Sport- und Wetterinforma- geldwerte Gegenleistung besteht. entsprechende Veranstaltungsreihe ten sowie die Art der Kritikäußerung schließend geklärt ist die auf Dauer tionen für das Airport TV. Die ablehnende Haltung des Deut- in Leipzig. Wichtige Fragestellungen, allgemein als problematisch gesehen notwendige ausreichende Finanzie- Mit dem Start von t-home in eini- schen Kulturrates zu dieser vorgese- mit denen sich der Arbeitskreis ge- wird, betont die Programmleitung, rung dieser Programmbestandteile. gen Versuchgebieten, u.a. in Berlin, henen Neuregelung wurde vorge- sellschaftliche Gruppen außerdem dass die Kritik bei den Beteiligten Im November 2007 ist ein Abkom- besteht nun auch eine Möglichkeit, stellt. Die Mitglieder des Kulturaus- beschäftigte, waren die Darstellung durchaus richtig, weil in ihrer Spra- men mit China Radio International in das Programm von DW-TV in der schusses des Deutschen Städte- und der Geschichte der DDR, die Über- che, wahrgenommen werden würde. Beijing abgeschlossen worden, was Bundesrepublik zu empfangen Gemeindebundes bestätigten, dass arbeitung der Dauerausstellung im Die Diskussion der Programminhal- die bereits existierende Zusammen- Den besten und umfassendsten die Fördervereine wesentliche Auf- Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, te soll auch zukünftig im Zentrum des arbeit auf eine breitere Grundlage Zugang für deutsche Interessenten gaben bei der Unterstützung von deren Neueröffnung für den 9. Ok- Ausschusses stehen. stellt. Besonders hervorzuheben sind an den Programmen der Deutschen Kultureinrichtungen übernehmen. tober 2007 geplant ist, und die Er- Austausch im journalistischen Be- Welle liefert zweifellos immer noch In den letzten Jahren wurden ver- richtung eines „Sichtbaren Zei- Christian Höppner, Stellvertretender reich, die Zusammenarbeit beim di- DW-online; erreichbar unter der In- mehrte Anstrengungen unternom- chens“ zum Gedenken an das Un- Vorsitzender des Deutschen gitalen Radio (DRM) und im Hinblick ternet-Adresse http://www.dw- men, solche Fördervereine zu grün- recht von Vertreibung in Berlin. Kulturrates auf die olympischen Sommerspiele. world.de/. Auch technologisch gese- den, der Wegfall der Abzugsfähigkeit Insgesamt konnte der Arbeits- Schwerpunkte in der Diskussion hen ist die Deutsche Welle hier der Mitgliedsbeiträge wäre ein nega- kreis eine beeindruckende Fülle Rundfunkrat Deutsche des Rundfunkrates und aller Aus- Trendsetter bzw. im Spitzenfeld der tives Signal, zumal die Förderleis- von Aktivitäten des Hauses der Ge- Welle 2006-2007 schüsse war im vergangenen Jahr ne- Anbieter. Audio- und Video podcas- tung generell über dem so genann- schichte mitverfolgen, die wissen- ben der Fußballweltmeisterschaft die ting spielen eine zunehmende Rolle. ten geldwerten Vorteil liegt. schaftliche Seriosität gekonnt mit Der Deutsche Kulturrat ist im Rund- Weiterentwicklung des Programms Inzwischen gibt es fast 40 deutsch- der Ansprache breiter Publikums- funkrat der Deutsche Welle durch den entsprechend der Aufgabenplanung. sprachige Angebote, unter denen Olaf Zimmermann, Geschäftsfüh- schichten verbinden. Aus Sicht des Sprecher der Sektion Film und Medi- Ein wesentlicher inhaltlicher Diskus- kulturelle Themen eine Spitzenstel- rer des Deutschen Kulturrates KULTURELLE BILDUNG politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 36

Ein Ort für neue Lerngelegenheiten Ganztagschulen in Deutschland • Von Kristin Bäßler

Nach dem so genannten PISA- und aktiv am Schulleben ihrer Kinder der- und Jugendhilfe zugeschrieben Schock und dem kürzlich vorgestell- teilhaben. Umgekehrt müssen Lehrer haben. Wie die soeben erschienene ten Bericht des UNO-Inspektors Ver- und Erzieher neben einer qualifizier- Bestandsaufnahme „Kulturelle Bil- nor Muñoz steht die Bildungsre- ten Ausbildung auch Kenntnisse über dung in der Ganztagsschule“, heraus- formdebatte wieder hoch im Kurs. kindliche Lernprozesse sowie Kennt- gegeben vom Zentrum für Kulturfor- Laut werden die Fragen danach, nisse über die Erziehung in Familie schung, betont, hat die Vermittlung welche Bildungsstrukturen Deutsch- und Schule vermittelt bekommen. von Kunst und Kultur einen sehr po- land braucht, damit alle Kinder und Das alles bedeutet einen erheblichen sitiven Einfluss auf die Entwicklung Jugendliche unabhängig ihrer sozi- finanziellen Mehraufwand, insbeson- sozialer und intellektueller Fähigkei- alen und kulturellen Herkunft einen dere bei den Personalkosten der Er- ten von Kindern. Dazu gehören neben umfassenden Zugang zu einer hoch- zieher, die zu erheblichen Anteilen dem Erwerb von künstlerischen Fä- wertigen Bildung bekommen. von den Kommunen getragen wer- higkeiten auch die Förderung von den. Daher sieht es der Beirat als un- Selbstbewusstein, Kreativität und To- ängst können die Halbtagsschu- vermeidlich an, dass zusätzliche öf- leranz. Auch die KMK macht in einer L len keine befriedigenden Ant- fentliche Haushaltsmittel für die im Februar veröffentlichten Empfeh- worten mehr auf diese Frage geben. personelle, sachliche und räumliche lung zur kulturellen Kinder- und Ju- Durch das seit 2003 laufende Inves- Ausstattung bereitgestellt werden. gendbildung deutlich, dass die Stan- titionsprogramm „Zukunft Bildung Darüber hinaus wird vorgeschlagen, dards in der Bildungspolitik zu über- und Betreuung” der Bundesregie- regionale Sponsoren zu suchen, die denken und „neue Wege der Förde- rung ist ein wichtiger Stein ins Rol- spezifische Bildungs- und Förderan- rung von Kreativität und Zukunftsfä- len gekommen. In dem mit vier Mrd. gebote der Ganztagsschule zu finan- higkeit“ zu suchen sind. Besonders die Euro ausgestatteten Programm, för- zieren helfen und es so allen Kindern Kinder- und Jugendhilfe sieht sich in dert die Bundesregierung den Auf- in der Ganztagsschule ermöglichen, der Verantwortung, hier ihren Beitrag und Ausbau von Ganztagsschulen. am Ganztagschulprogramm teilzu- zu leisten. Die Ganztagsschule kann Laut nationalem Bildungsbericht nehmen. hier einen Ort der kulturellen Vermitt- stieg die Zahl der schulischen Verwal- Ein besonderer Aspekt, den der lung bereitstellen, an dem der Stellen- tungseinheiten mit Ganztagsbetrieb Wissenschaftliche Beirat beleuchtet wert der künstlerischen Fächer erhöht von 4.951 im Jahr 2002 auf 6.810 im ist der, wie Kinder und Jugendliche und kulturelle Teilhabe aller Kinder Jahr 2004. Dies bedeutet einen Zu- die Ganztagsschule wahrnehmen. und Jugendlicher gewährleistet wer- wachs von 38%. Damit weisen derzeit Für sie soll die Ganztagsschule ein Ort den kann. Wie aber kommt die Kultur 23% aller schulischen Verwaltungs- darstellen, an dem sie gemeinsam in die Schule? einheiten einen Ganztagsbetrieb aus. mit Gleichaltrigen ihre Interessen Wie die von der KMK im März veröf- und Aktivitäten leben und ihr Wissen Kulturelle Netzwerke fentlichten Datensammlung „Allge- weiterentwickeln können. Das be- Der Vorsitzende der Bundesvereinigung für kulturelle Jugendbildung Max Fuchs mein bildende Schulen in Ganztags- deutet vor allem die Förderung des Bundesweit existieren eine Vielzahl auf dem Kongress „Kultur macht Schule – Bilanzen und Perspektiven“. Foto: BKJ form in den Ländern der Bundesre- selbstständigen Lernens, was für die an kulturellen Angeboten für Kinder publik Deutschland. Statistik 2002 bis Lernentwicklung von Kindern und und Jugendliche zum Beispiel in Mu- berstehen. Teilweise ist die anfängli- Bildung, auch sensorisch künstleri- 2005“ bestätigt, nahmen im Schuljahr Jugendlichen von besonderer Rele- sik- und Jugendkunstschulen, Kin- che Zusammenarbeit von Missver- schen Fähigkeiten und Schlüssel- 2005/2006 mehr als 1,3 Millionen vanz ist. Trotz der wenig erfassten dermuseen, Medienwerkstätten und ständnissen geprägt, da viele Lehrer kompetenzen des sozialen Verhal- Schüler des Primar- und Sekundarbe- Datenlage, wie Kinder selber zur Theatern. Sie sind Bildungsanbieter, keine Vorstellung von den fachlichen tens zu vermitteln und zu fördern. reichs I ein Ganztagsangebot war. Das Ganztagsschule stehen, geht der Wis- die das kreative, kognitive, soziale und pädagogischen Kompetenzen Jedoch dürfen diese Projekte, die sind 15,2% aller Schülerinnen und senschaftliche Beirat davon aus, dass und emotionale Lernen durch ihre haben, die die außerschulische kul- teilweise nur auf einen bestimmten Schüler in Deutschland. Der Trend Kinder die sportlichen, kulturellen, kulturellen Angebote fördern kön- turelle Kinder- und Jugendbildung Zeitraum angelegt sind, nicht Einzel- zur Ganztagsschule ist klar erkenn- künstlerisch-musischen Aktivitäten nen. Diese Träger und Einrichtungen mit sich bringt. Umgekehrt sehen fälle bleiben. So resümierte Max bar. Aber welche inhaltlichen Bedin- positiv einschätzen. Wichtig sei, dass der kulturellen Bildungsarbeit sind sich die Träger der kulturellen Bil- Fuchs, Vorsitzender der Bundesver- gungen müssen gewährleistet sein, bei allen Überlegungen zum Ausbau geeignete Partner für Ganztagsschu- dung häufig vor das Problem gestellt, einigung kultureller Jugendbildung damit die Potentiale der Ganztags- der Ganztagsschulen besonders auf len, denn aufgrund ihrer langjährigen ihren Bildungsanspruch wie Ganz- und des Deutschen Kulturrates, bei schule für alle Beteiligten, sprich für die Interessen der Kinder eingegan- Erfahrungen bei Kooperationen mit heitlichkeit, Persönlichkeitsförde- dem Kongress „Kultur macht Schule Kinder und Jugendliche, Eltern, Leh- gen wird, damit die Schule nicht zu Schulen sind sie in der Lage, gemein- rung, Selbstbestimmung und Selbst- – Bilanzen und Perspektiven“, dass rer und Jugendhilfe genutzt werden einem feindlichen Ort wird. Dazu ge- sam mit Schulen ein verlässliches tätigkeit in der Schule unter den dort Bildung mehr ist als Schule. „Wir können? Das neue Stichwort heißt hört auch die effektive Mitbestim- und qualitätsvolles Bildungsangebot gegeben Umständen zu realisieren. müssen aus der Denkweise isolierter Bildungs- und Erziehungspartner- mung der Kinder, die an der Ausge- zu schaffen. Seit Beginn des „Investi- So fehlt neben den finanziellen Res- Projekte raus und von der Projekt- schaften, wie ein vom Bundesminis- staltung der Ganztagsschule beteiligt tionsprogramms Zukunft Bildung sourcen häufig auch eine Verständi- phase in die Strukturphase überge- terium für Familie, Senioren, Frauen werden sollten. und Betreuung“ sind zahlreiche Ko- gung über ein gemeinsames Bil- hen!“, so Fuchs. und Jugend in Auftrag gegebenen Der Wissenschaftliche Beirat operationen zwischen Trägern der dungsverständnis. Ziel des Projektes In Zeiten der allgemeinen Vernet- Gutachtens des Wissenschaftlichen macht deutlich, dass die Ganztags- kulturellen Jugendbildung und den „Kultur macht Schule“ ist es, im Hin- zung geht es auch im Bildungsbe- Beirats für Familienfragen und das schule eine Reihe von Lösungen be- neuen Ganztagsschulen entstanden. blick auf diese heterogenen Struktu- reich nicht ohne Partnerschaften. Modellprojekt „Kultur macht Schule“ reitstellt, die die Bildungsqualität ent- Wie die Kooperation zwischen schu- ren Qualitätsstandards zu formulie- Dafür bedarf es ganz sicher der wei- der Bundesvereinigung für kulturelle scheidend verbessert. So kann in den lischen und außerschulischen Akteu- ren, so dass Bildungsprozesse opti- teren Öffnung der Schulen und das Jugendbildung deutlich machen. Ganztagsschulen besser auf die indi- ren funktionieren kann, hat das Mo- miert und damit ein qualitatives bun- nötige Engagement aller: der Schu- viduelle Förderung der einzelnen dellprojekt „Kultur macht Schule“ desweites Kooperationsnetzwerk len, der Kinder- und Jugendhilfe und Trias: Bildung Erziehung Kinder eingegangen werden, Stärken gezeigt. Ziel des Modells, dass von zwischen den Schulen und den kul- der Eltern. Betreuung aus- und Schwächen abgebaut wer- 2004 – 2007 von der Bundesvereini- turellen außerschulischen Akteuren · Wissenschaftlicher Beirat für Fami- den. Darüber hinaus wird das selb- gung Kultureller Jugendbildung (BKJ) etabliert werden kann. lienfragen: Ganztagsschule: Eine Das Gutachten „Ganztagsschule. Eine ständige Lernen von Kindern und Ju- durchgeführt wurde, war es, Koope- Dass dies gelingen kann, zeigen zahl- Chance für Familien. Gutachten für Chance für Familie“ plädiert dafür, gendlichen unterstützt, zusätzliche rationen zwischen Ganztagsschulen reiche Best Practice Beispiele der letz- das Bundesministerium für Familie, dass Schule wieder ein Ort werden Themen können am Nachmittag eta- und außerschulischen Akteuren be- ten drei Jahren. So produzierte Senioren, Frauen und Jugend. VS Ver- muss, an dem die Vielfalt der Erfah- bliert und ein Angebot an Spiel- und ratend zu unterstützen und dabei, so beispielsweise eine Freiburger Ge- lag für Sozialwissenschaften, 2006. rungsräume und Lebenslagen der Freizeitaktivitäten zur Verfügung ge- Viola Kelb, Projektleiterin von „Kultur samtschule zusammen mit dem Ver- · Susanne Keuchel: Kulturelle Bildung Kinder Rechnung getragen wird, an stellt werden. Die gebundene Form macht Schule“, „Antworten zu fin- lag Music For Learners einen Film in der Ganztagsschule. Eine aktuel- dem das individuelle Lernen von Kin- der Ganztagsschule ist wohl die ge- den, welche fachlichen, pädagogi- über die Frage: „Was ist eigentlich le Bestandsaufnahme von Susanne dern erkannt und gefördert wird. Der eignetste, weil sie durch ihre Verbind- schen, strukturellen und finanziellen cool sein?“. Ziel des Projektes „Die Keuchel. Herausgegeben vom Zen- Wissenschaftliche Beirat sieht den lichkeit am ehesten in der Lage ist, Voraussetzungen notwendig sind“, coole Jule“ war es den 50 Schüler- trum für Kulturforschung, 2007. Aufbau von Bildungs- und Erzie- leistungsschwache Kinder zu fördern damit die Zusammenarbeit beispiel- innen und Schülern Teamfähigkeit hungspartnerschaften als einen und enger mit der Jugendhilfe zu- weise einer Musikschule und einer und Medienkompetenz zu vermit- Die Verfasserin ist wissenschaftliche wichtigen Teil für die Entwicklung sammenzuarbeiten kann. Ganztagsschule funktionieren kann. teln. Das Besondere an dem Projekt: Mitarbeiterin des Deutschen von Ganztagsschulen an. Dafür be- Dazu gehört auch das Informieren Es wurde nicht von den Lehrern, Kulturrates darf es eines integrierten Angebotes Kulturelle Bildung über unterschiedliche Gesetze und sondern von den Kindern selbst an- der Ganztagsschule, in dem Bildung Richtlinien der Bundesländer, die in geregt. Eine weitere Kooperation, die Betreuung und Erziehung aufein- Gerade aber was die Förderung der einer von dem Projekt erstellten Län- Vorzeigecharakter bewies, ist das Wettbewerb MIXED UP ander bezogen werden. Dabei ist, so kulturellen Bildung angeht, so die dersynopse die Rahmenbedingungen Projekt „Jedem Kind ein Instru- die Experten des Wissenschaftlichen Experten, haben die Bundesländer für Kooperationen und die Umset- ment“. Alles begann in Bochum. Die Ob Tanztheaterprojekt, Filmwork- Beirats, bestehend aus Psychologen, ihre Ziele noch nicht so umgesetzt, zung in den einzelnen Bundeslän- dahinterstehende Idee war, dass je- shop oder Skulpturenwerkstatt: Der Pädagogen, Theologen und Juristen, wie es ihre Zielbeschreibungen er- dern aufzeigt (www.kultur-macht- des Bochumer Grundschulkind ein Wettbewerb MIXED UP der Bundes- besonders die Verzahnung von schu- warten ließen. Die Kooperation mit schule.de). Ein wichtiger Aspekt, der Instrument bekommen soll, dass es vereinigung Kulturelle Kinder- und lischen und familiären Bildungspro- Trägern der außerschulischen Bil- von den betroffenen Akteuren immer nach einer musikalischen Einfüh- Jugendbildung (BKJ) zeichnet erfolg- zessen bedeutsam. Voraussetzung dungseinrichtungen ist deswegen wieder angesprochen wird, ist der der rung mit nach Hause nehmen kann. reiche Kooperationen zwischen Trä- dafür ist die Stärkung der Bildungs- besonders sinnvoll, weil dadurch die Qualitätssicherung und den dabei Umgesetzt wurde das Projekt von gern der kulturellen Kinder- und Ju- und Erziehungspartnerschaften zwi- Interessen der Kinder berücksichtigt auftauchenden Problemen. Bei dem der Zukunftsstiftung Bildung in der gendbildung und allgemein bilden- schen Eltern, Lehrern und Erziehern, und kulturelle Kompetenzen vermit- von der BKJ veranstalteten Kongress GLS-Treuhand e.V. Bochum und der den Schulen aus. Unter Schirmherr- so dass sich die Trias von Bildung Er- teln werden könnten. Längst ist die „Kultur macht Schule – Bilanzen und städtischen Musikschule. Diese Idee schaft der Bundesjugendministerin ziehung Betreuung gleichberechtigt starre Trennung zwischen Schule und Perspektiven“, der vom 22. – 23. März soll nun mit Hilfe des Landes Nord- Dr. Ursula von der Leyen werden gegenüberstehen. Die Ganztagsschu- außerschulischen Trägern überholt. in Berlin stattfand und an dem Ver- rhein-Westfalen und der Bundeskul- jährlich vier Preise im Wert von je le sollte nicht nur ein Ort der Betreu- Die Notwendigkeit des informellen treter aus Politik, Kultur und Schule turstiftung in ganz NRW flächend- 2.500 Euro vergeben. Bewerbungs- ung, und damit eine Chance der El- Lernens scheint nun auch in den teilnahmen, wurde deutlich, dass es eckend ausgebaut werden. Dies sind schluss für die diesjährige Wettbe- tern auf Berufstätigkeit sein soll, son- Köpfen derer angekommen zu sein, trotz des guten Willens immer wieder nur zwei Beispiele von unzähligen werbsrunde ist der 15. Juni 2007! dern Eltern sollten über die schuli- die die Vermittlung der formalen Bil- Schwierigkeiten gibt, denen sich die Kooperationen, die sich zur Aufgabe Informationen sowie Bewerbungs- sche Leistungsfähigkeit und Lernmo- dung der Schule, und die der infor- Akteure seitens der Schulen und der gemacht haben, neben der mathe- unterlagen unter www.kultur-macht- tivation ihrer Kinder informiert sein mellen Bildung den Trägern der Kin- außerschulischen Partner gegenü- matisch-naturwissenschaftlichen schule.de. KULTURELLES LEBEN /PORTRAIT politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 37

Designer Müllers „nachhaltige“ Erwartungen Was sich hinter der Idee einer „Grünen“ Bauhausbewegung verbergen könnte • Von Kai Ehlert

Angesichts einer immer intensiver Das alles wird von ihm erwartet. verzicht das Wort reden, aber er er- und auch so präsentiert, dass der Schlussendlich hat Designer Müller geführten Debatte über Klima- und Und um diese Erwartungen erfüllen wartet vom Konsumenten doch, dass Verbraucher sie nicht mühsam su- auch noch eine Erwartung an die Umweltveränderungen wird auch im zu können, hat unser Designer Mül- der nicht jeden Mist kauft. chen muss; Politik. Designbereich verstärkt darüber ler aber auch seinerseits Erwartun- Dass der Verbraucher sich einmal · dass der Handel Konzepte unter- · Sie sollte, angesichts einer immer nachgedacht, welche Einflüsse und gen an seine Partner, an den Ver- überlegt, ob der Satz „Geiz ist geil“ stützt, die nicht nach dem „Ex- und deutlicher sich abzeichnenden Auswirkungen das Design von Pro- braucher, an den Handel, an seinen wirklich der Weisheit letzter Schluss Hopp-Prinzip“ funktionieren. Dass Umweltveränderung, den Verbrau- dukten auf Lebenswelt und Umwelt Auftraggeber, z. B. ein Wirtschaftsun- ist. er zum Beispiel Reparaturen anbie- cher besser aufklären und eine De- hat. Dem Nutzen von Produkten ste- ternehmen, und nicht zuletzt auch Und dass der Verbraucher tet und ermöglicht. batte anregen, bei der ein ökologi- hen Umweltbeeinträchtigungen ge- an die Politik. schlussendlich einfordert, dass er Die Liste ließe sich mühelos fortset- scher Strukturwandel, Lebensstil- genüber, die im gesamten Lebens- Er erwartet zum Beispiel, dass besser über „nachhaltigen Konsum“ zen. fragen, zukünftige Lebensweisen zyklus eines Produktes aus den viel- der Verbraucher beim Kauf von Wa- informiert wird. Damit der „mündi- Kommen wir zum Auftraggeber und die Vereinbarkeit bzw. Nicht- fältigen Herstellung-, Nutzungs-, ren und Dienstleistungen etwas kri- ge, durchschnittlich informierte Ver- des Designers Müller, zum Beispiel vereinbarkeit von permanentem Recycling- und Entsorgungsprozes- tischer hinsieht und zum Beispiel braucher“, so das Leitbild des Euro- einem Wirtschaftsunternehmen. Wirtschaftswachstum, Globalisie- sen entstehen. Umweltgerechte beim Kauf von technischen Geräten päischen Gerichtshofes, nicht länger Herr Müller hat in dem hier zur De- rung und Nachhaltigkeit themati- Gestaltung ist daher der entschei- nicht jeder vermeintlichen Innovati- eine Fiktion bleibt. batte stehenden Themenkomplex siert werden. dende Schlüssel zu einer nachhal- on hinterherläuft. Meist handelt es Vom Verbraucher ist es nur ein nur eine Erwartung: Soweit die Erwartungen und tigen Gesellschaft. Diese Thematik sich ohnehin um eine Scheininnova- kleiner Schritt zum Handel, denn an · Dass sein Auftraggeber aufgeklärt Wünsche des Designers Müller. Und stand im Mittelpunkt einer Tagung tion, die er im späteren Gebrauch den hat unser Kollege Müller auch und offen gegenüber dem Thema wenn es gelingt, mehr Transparenz im vergangenen Herbst in Loccum, überhaupt nicht nutzt; dass sich der einige Erwartungen. Er erwartet, „Nachhaltigkeit“ ist. Dass er Nach- über Zusammenhänge offen zu le- die von der Evangelischen Akade- Verbraucher verstärkt Gedanken · dass der Handel den Verbraucher haltigkeit ernst nimmt, danach gen und eine „Grüne“ Bauhausbe- mie Loccum, dem Institut für De- darüber machen sollte, ob er zur Lö- besser informiert über Produkt- und handelt und es strategisch plant wegung zu initiieren, unser Herr signforschung, dem Deutschen sung eines bestimmten Problems Prozessbedingungen. Dass er mehr und umsetzt. Denn als Designer ist Müller wäre einer der ersten an Werkbund Nord, der UNEP United unbedingt ein Produkt besitzen muss Transparenz schafft, eine Vorausset- Herr Müller auf einen aufgeklärten Bord. Nations Enviroment Programme so- oder ob es nicht sinnvoller wäre, ein zung für Nachhaltigkeit. Wobei Herr Unternehmer als Partner angewie- wie dem Deutschen Designertag Produkt nur zu nutzen (z.B. Carsha- Müller das Gefühl hat, dass der Han- sen. Anderenfalls kann er die gan- Der Verfasser ist Berater und durchgeführt wurde. ring). Um damit auch einer maßlosen del vielfach an einer Transparenz zen Erwartungen, welche die Ge- Gestalter sowie Präsident des Ressourcenverschwendung ein we- gar nicht so richtig interessiert ist; sellschaft und der Verbraucher an Deutschen Designertags und a die Gedanken des legendären nig Einhalt zu gebieten. Unser Desi- · dass der Handel nachhaltige Pro- ihn stellen, mehr oder weniger ver- Sprecher der Sektion Design im D Bauhauses in den 20er Jahren gner Müller will nicht dem Konsum- dukte in seine Regale aufnimmt gessen. Deutschen Kulturrat weltweit zu neuen Einstellungen und Erkenntnissen geführt haben, stand – mit dem neuen Vorzeichen „grün“ – diese Tagung unter dem Ti- tel „Ein Grünes Bauhaus? Nachhal- Ein Reporter, der sich einmischt tigkeit, oder die Zukunft der Ent- Portrait des Feature-Autors Klaus Ihlau • Von Andreas Kolb wicklung der Lebenswelt und die Gestaltung ihrer Objekte“. Ziel der Mit 25 war Klaus Ihlau Hochschul- für politische Kultur der Stadt Nürn- Tagung war es, mehr Transparenz lehrer für Mathematik, mit 29 Ab- berg, Preise der internationalen Hör- über Zusammenhänge zu ermögli- teilungsleiter in der Akademie für Or- spiel-Tagung Rust/Österreich, den chen, die Konstruktion der Lebens- ganisationswissenschaft, dann Grup- Journalistenpreis der Märkischen welten der Bevölkerung umweltpo- penleiter an der Weiterbildungsaka- Presse- und Wirtschaftsunion im litisch zu thematisieren und pro- demie für Maschinelles Rechnen, Land Brandenburg, den unda-Radio- grammatische Positionen eines dann Leiter des Personalbüros der preis der Katholischen Kirche für „Grünes Bauhauses“ zu formulieren. Charité, weiter Abteilungsleiter im deutschsprachige Radioprogramme Den nachfolgenden Beitrag hielt der Rechenzentrum des Instituts für und erst vor kurzem für sein Feature Autor auf dieser Tagung. Sozialhygiene, dann Subdirektor im „Diesel, Ruß und Joghurtbecher – Vi- „Unser Kopf ist rund, damit das Außenhandelsunternehmen Interco- sionen und Realität im Güterverkehr“ Denken die Richtung wechseln op. Eine Erfolgsstory in der DDR? Ja den Medienpreis der Bundesvereini- kann“, so der französische Maler und nein: Ab dem Jahr 1982 – Ihlau gung Logistik Deutschlands. und Dadaist Picabia. Auch das Han- ist jetzt 42 Jahre alt – liest sich sei- Eine der Besonderheiten an Ih- deln sollte, gerade wenn es um das ne Biografie plötzlich anders: Arbeit laus Produktionen ist seine Arbeits- Thema „Nachhaltigkeit“ geht, seine als Rettungssanitäter, Straßenbahn- weise: Wenn er eine Sendung über Richtung wechseln, so der Designer fahrer, Produktionsarbeiter, Tätigkei- Güterverkehr macht, dann recher- „Müller“, von dem im Folgenden die ten in der Gastronomie und erste chiert er nicht am Schreibtisch, er Rede sein soll. freiberufliche Arbeit als Featureau- steigt zu einem Trucker ins Führer- Unser Herr Müller, ein Produkt- tor für den DDR-Rundfunk. haus und teilte für zwei Wochen des- bzw. Industriedesigner, geht davon sen Alltag. aus, dass er eine Verantwortung ge- in ganzer Strauß von Gründen Diese Arbeitsweise ist sein Mar- genüber der Gesellschaft und den Ehatte zu seinem Ausstieg ge- kenzeichen, nur so kann er authen- Verbrauchern hat. Und dass eine in- führt, zu einer Art „geplanten Kurz- tisch den „Unterprivilegierten eine formierte Gesellschaft und ein auf- schlussreaktion“ wie Ihlau selbst Stimme geben“. Schon Ihlaus aller- geklärter Verbraucher und Nutzer dazu sagt. erstes Feature brachte Töne, die so im ihm gegenüber bestimmte Erwar- Er arbeitete von 1976 bis 1981 DDR-Funk eher selten zu hören wa- tungen hegen. beim Institut für Sozialhygiene, in ren. Für die Sendung „Harlekin ist Man erwartet von ihm, dass die einem „tollen Kollektiv oder Team wieder da“ zog er mit einer Theater- Klaus Ihlau bei Dreharbeiten zu „Bahn unterm Hammer“ Foto: Maik Goltz von ihm mit zu entwickelnden Pro- wie man heute sagen würde“. Doch truppe mit Pferd und Wagen durch dukte funktional, langlebig (und da- da war immer auch Ihlaus der Thüringen. „Harlekin ist wieder da“ sich nicht nur in das Alltagsleben sei- sonst: Wir konnten Öffentlichkeit her- mit kostengünstig), ressourcenscho- Wunsch, zu reisen, die DDR einmal wurde vom DDR-Radio für den Prix ner Feature-Protagonisten ein, son- stellen und uns für Menschen einset- nend, reparaturfreundlich und verlassen zu können. „Nicht etwa in Italia nominiert. Die DDR schien sich dern auch in die große Politik. Als zen, die es gewagt hatten, in Überein- wieder verwertbar – also ökologisch, den Westen zu gehen, sondern auch im Ausland gerne mit dieser neuen Mitglied der Bürgerrechtsbewegung stimmung mit ihren Vorstellungen zukunftsfähig und intelligent sein mal was anderes sehen“, betont er. Art von Radio zu schmücken, an der war seine Wohnung am Prenzlauer und Grundsätzen zu handeln. Ich sollten. Und möglichst nachhaltig. Als Sub-Direktor in einem Außenhan- Klaus Ihlau seinen Anteil hatte. Berg im Jahr 1989 bis zum Oktober hoffe auch diese Dokumentation ge- Wobei er weiß, dass jedes produzier- delsunternehmen wie Intercoop hät- Mit Tricks schafft Klaus Ihlau es unter Beobachtung. Im Briefkasten gen die Ohnmacht wird den Willen te Produkt einen ökologischen „Ruck- te Ihlau beruflich öfter in Südameri- 1982, sich eine Steuernummer zu be- lagen anonyme Drohungen. stärken, sich nicht verbiegen, verfor- sack“ trägt. Entscheidend ist dabei ka zu tun gehabt. Doch er hatte sich sorgen, sonst wäre er in der DDR als „Keine Gewalt – zwei Tage im men, klein- und kaputtmachen zu die Frage der Größe des „Rucksacks“: verschätzt. Bei Intercoop, ein Unter- asozial gemeldet gewesen. Darauf Oktober – die Polizeigewalt auf den lassen. Und das in einer Zeit, in der · dass er sich als Problemlöser ver- nehmen, das Teil des Staatsappara- stand bis zu drei Jahre Gefängnis. Straßen Berlins am 7. und 8. Oktober die trotz allem vertraute DDR-Welt steht und nicht als Dekorateur; tes war, war das freie Arbeitsklima „Ich war einer von ganz wenigen 1989“ ist ein Feature, produziert 1989 zerbrochen ist und die gewonnene · dass er ganzheitlich, in Zusam- von heute auf morgen weg. „Inhalt- Featureautoren, die freiberuflich fürs Funkhaus Berlin, das für uns große noch undurchschaubar und menhängen und in Systemen sowie lich war der Job akzeptabel, aber ich beim Rundfunk gearbeitet haben. heute die Rückschau auf die ersten kompliziert erscheint. Statt Gäste im eher in Konzepten als in Produkten hatte die Reglementierung unter- Was die Leute beim Funk reizte, war Tage der Wende in der DDR ist. Am 7. eigenen Land zu sein, gilt es sich ein- denken kann; schätzt“, sagt er heute. Ihlau war zwar dass ich an Menschen rankam; dass Oktober, dem 40. Jahrestag der DDR, zumischen und mündig zu werden.“ · dass es gilt, für den späteren Nut- ein erfolgreicher, aber kein typischer diese mir ganz freimütig erzählten.“ war Ihlau mit Mikrofon auf den De- „Wir produzierten die Dokumen- zer ein Problem zu lösen und dass Mathematiker und Manager: das Ge- Nächster Schritt war dann, das Ma- monstrationen unterwegs, auf die mit tation ‚Keine Gewalt – zwei Tage im es zur Lösung eines Problems nicht stalten und partizipieren in Gesell- terial journalistisch-künstlerisch zu bis dahin ungewöhnlicher Gewalt re- Oktober’ zwischen Weihnachten und unbedingt immer eines Produktes schaft, Welt und Umwelt bedeuteten verarbeiten – und sich mit der Zen- agiert wurde. Wochen später war die Neujahr. Am 10. Januar 1990 war die bedarf; ihm mehr als vielen seiner eher fach- sur auseinanderzusetzen. Macht des Politbüros am Zerbrechen. Ursendung, bis dahin sollte noch ver- · dass es für bestimmte Bereiche lich orientierten Kollegen. Damals Bei der Feature-Abteilung in Ber- Eine basisdemokratische Untersu- hindert werden, dass dieses Feature auch das Konzept „gemeinsam nut- sagte er sich: „Ich steige jetzt hier aus lin arbeitete Ihlau mit einem Drama- chungskommission untersuchte die gesendet wird. Aber es gab ein paar zen statt einzeln besitzen“ gibt; und werde Mensch und kümmere turgen, der in diesem Zusammen- Vorfälle und die inneren Strukturen mutige Leute, die es damals noch · dass er sich nicht als Erfüllungsge- mich um Menschliches. Das ist etwas, hang sein Möglichstes tat. „Interes- im Gewaltmechanismus. brauchte, die sagten, das senden wir.“ hilfe des Marketing oder der Wer- das sich bis heute fortgesetzt hat in santerweise“, erinnert sich Ihlau, Dazu ein Text des Autors aus ei- Bereits ab dem 7. Dezember tagte ein bung sieht. meinen Arbeiten. In meinen Features „ging Gesellschaftskritik mit Ironie ner damaligen Publikation: Gremium, das maßgeblich dazu bei- Und man erwartet, dass der De- versuche ich den Leuten eine Stim- dargeboten oder in Form von Poesie „Wenn auch unsere Forderungen, getragen hat, dass die Wende ohne signer Müller gut informiert ist und me zu geben, die oftmals keine ha- meistens durch.“ wie Gerechtigkeit hergestellt werden Blutvergießen und unter Einbezie- die Probleme kennt, die im Lebens- ben in der Öffentlichkeit.“ Das Jahr 1989 gab auch dem Le- könnte, sich kaum erfüllt haben, war hung vieler gesellschaftlicher Grup- zyklus eines Produktes, von der Her- Inzwischen hat Ihlau für seine ben Ihlaus wie dem vieler DDR-Bür- die Arbeit dieser ersten basisdemo- stellung bis zur Entsorgung entste- engagierte Radiofeatures zahlreiche ger eine neue Wendung. Bei Ihlau war kratischen unabhängigen Untersu- Weiter auf Seite 38 hen. Preise erhalten, darunter den Preis das kein passiver Prozess. Er mischte chungskommission doch nicht um- REZENSIONEN politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 38

Ihlau leitete als ehrenamtlicher Ge- · 1992: „Eine andere Liebe – Lebens- kennt sie aus eigener Anschauung. Ich zufügen wäre – wenn es nicht schon Fortsetzung von Seite 37 schäftsführer Ost gemeinsam mit ei- entwürfe zweier homosexueller Paa- hatte ja selber die Möglichkeit – das wieder ein aktuelles Projekt gäbe, das ner Mitarbeiterin das Gesprächskreis- re“ halte ich für ein Privileg – verschiede- in seiner Machart ganz anders und Portrait Klaus Ihlau Ost–Büro, dessen Infrastruktur vom · 1993: „Man kann uns ja viel erzählen ne Berufe auszuüben, und dadurch in doch so typisch für Klaus Ihlaus En- Deutschen Kulturrat finanziert wurde. – Protokolle aus dem Brandenburger verschiedene Schichten einzutau- gagement ist. Dieses Mal hat sich der pierungen vonstatten gehen konnte. Er versuchte, möglichst vieles von den Stahlwerk Nord“ chen.“ Und noch ein Geheimnis ver- Rundfunkmann mit Filmleuten zu- Ihlau hatte zwar nicht selbst am Run- Kulturstrukturen in der DDR zu retten. · 1994: „Am liebsten war mit Regen birgt sich hinter der Faszination von sammengetan. den Tisch gesessen, war jedoch einer Oder zumindest das Tempo der Ab- und alles grau in grau. Berichte von Ihlaus Dokumentionen: Sie handeln „Bahn unterm Hammer“ heißt der Mitinitiatoren der fünf Gruppen, wicklung zu verlangsamen, wie etwa Einsamkeit und Alkohol“ eigentlich immer von Courage, von der Film von Leslie Franke und Her- die seine Einsetzung forderten. Ihlau beim Rundfunkgelände in der Nalepa- · 1995: „Die Russen gehen nach Hau- Zivilcourage. Und die zeichnet auch dolor Lorenz, der am 3. Mai seine sieht im miterlebten Modell „Runder strasse, das erst Mitte 2006 schließlich se – Augenblicke eines Abschieds“ den Radiomacher Ihlau aus. Anfang Deutschland-Premiere hat. Das be- Tisch“ noch heute ein (leider verges- doch noch an Investoren verschleu- · 1996: „Besser die Hände gefesselt als der 80er-Jahre hing an der Zettelwand merkenswerte ist: Die Finanzierung senes) Modell, parlamentarische De- dert wurde. der Wille – Das Vermächtnis des in seiner Wohnung der folgende Satz: haben die Zuseher übernommen. mokratie mit Basisdemokratie zu ver- „Als der Anschluss passierte, war Kriegsdienstverweigerers Franz Jä- „Wenn es jemand gibt, und sei er Das Minimalbudget von 60.000 Euro binden. plötzlich Funkstille. Das Geld für die gerstätter“ auch ganz allein, der es wagt, in Über- wurde am 28. Februar 2007 erreicht, Bei aller Genugtuung über die ge- Miete wurde nicht mehr bezahlt. Des- „Morgen sind wir in der Schweiz – einstimmung mit seinen Vorstellun- 13.000 Euro fehlen noch. Klaus Ihlau wonnene Freiheit, schwingt in seinen wegen wurde mir vom Kulturbund der Die Rettung der Kinder von La Hille“ gen und Grundsätzen zu leben, dann ist Mitglied der Gruppe „Bahn für Schilderungen auch Enttäuschung, DDR der Raum gekündigt. Das Archiv- 1997: „Unter Spaniens Himmel - werden viele andere Mut bekommen alle“, die sich hinter dem Projekt ver- über nicht genutzte Chancen der De- material wurde geklaut. Zunächst Die Interbrigadisten und die Legion und ein wenig von ihrer Würde wieder birgt. Ihlau nennt die Probleme, die mokratie mit. Zum Arbeiten kam Ih- richtete der damals noch in Bonn an- Condor“ finden.“ er mit der Privatisierung von Da- lau in dieser bewegten Zeit jedenfalls sässige Kulturrat ein offizielles Büro- 1998: „Don Kischote oder wohin Das Arbeitsprinzip Würde. Auch seinsfürsorge hat, offen: „Etwas, was kaum: sein Sechzehn-Stunden-Tag Ost ein, ließ es aber nach zwei Jahren fanatische Neugier führt – Erinnerun- nach der Wende hat sich die Arbeits- der Staat dem Menschen als Da- war mit politischer Arbeit gefüllt. fallen.“ Da klingt etwas Frust in der gen an den „rasenden Reporter“ (mit weise von Ihlau nicht geändert. Wich- seinsvorsorge vorhalten muss, darf Kurze Zeit nach der Maueröff- Stimme Ihlaus mit: „Das ist einfach Renate Beckmann) tig für ihn ist das Reingehen in die nicht Renditeinteressen unterwor- nung im November kam Klaus Ihlau nicht gut gelaufen!“ Und nennt ein 2001: Braunaus schwieriger Um- Schichten, das Eintauchen in die Kul- fen werden.“ mit dem Deutschen Kulturrat in Kon- weiteres Beispiel für erste Enttäu- gang mit der Vergangenheit – Repor- turen. Im Internet-Blog Readers Edition takt. In der Akademie West am Han- schungen nach der Wende: „Damals tage über eine österreichische Stadt in „Leider heißt Journalismus heute schreibt der streitbare Geist, dessen seatenweg trafen sich dann Vertreter stand der erste Golfkrieg vor der Tür. der Hitlers Geburtshaus steht“ (mit schnell sein, Geld machen, ganz Vater und Großvater ihr Leben lang des Deutschen Kulturrates mit DDR- Wir mischten uns als Ostvertreters des Thomas Franke) schnell die nächste Geschichte ma- für die Bahn gearbeitet haben: „Es Künstlern. Ein Ostbüro des Kulturra- Kulturrates da ein und es gab Ärger 2002: „Den Friedenstraum weiter chen. Das ist oberflächlich. Ich habe gäbe einen dritten Weg: Eine effizien- tes sollte gegründet werden. „Ich war deswegen: ‚Krieg und Frieden sei kei- träumen – Erinnerungen an einen ost- nie oberflächlich gearbeitet. Wenn ich te und kundenfreundliche Bahn in öf- der, der sich getraut hat, zu sagen, da ne Sache des Kulturrates.’ Heute ist deutschen ‚Pilgerweg’“ für eine Arbeit, für die 3 Wochen ver- fentlichem Eigentum. Man bräuchte gebe ich meine Telefonnummer und das ganz anders: da mischt sich der Was ist das Geheimnis der Arbei- anschlagt ist, drei Monate brauche, dazu nur mal über den südlichen meine Adresse für her, auch wenn es Kulturrat in solche Dinge ein.“ ten von Klaus Ihlau? Er selber sagt: dann habe ich in dieser Zeit auch nur Grenzzaun unseres Landes zu sehen, morgen im Tagesspiegel steht. Ich Wie sich Ihlau mittels Radiobeiträ- „Das Geheimnis ist, dass ich hinhöre. das Geld für 3 Wochen. So habe ich da fährt nämlich eine solche Bürger- sagte: Natürlich mach ich das. Wenn gen bis heute weiter einmischt, bele- Es sind keine Statements, die ich da damals gearbeitet und so arbeite ich bahn, es ist die der Schweiz.“ nicht jetzt, wann dann.“ Daraus ent- gen am besten einige Titel seiner Fea- abliefere von den Leuten. Die Leute heute noch.“ stand Ihlaus Mitarbeit beim Kultur- ture aus den vergangenen zwei Jahr- wissen, da ist einer, der interessiert Das wäre ein schönes Schlusswort Der Verfasser ist Mitglied der rat. zehnten. sich für mich, für meine Probleme und für diesen Artikel, dem nichts hinzu- Redaktion von politik & kultur Ein „Kulturpapst“ blickt auf 50 Jahre Kulturpolitik Hilmar Hoffmanns „Gesammelte Werke“ als „Lebensprinzip Kultur“ • Von Jan Büchel Zehn Jahre war er Direktor der mäßig besucht, um mit den Studie- Beste aus 50 Jahren publizistischem als Reflexion des Prinzips „Kultur für Volkszorn und Joseph Beuys’ „Envi- Volkshochschule in Oberhausen, renden des Fachbereichs Kulturwis- Schaffen eines der bedeutendsten alle“ aus heutiger Sicht – im Schatten ronment“ Blitzschlag mit Lichtschein zwei Jahrzehnte Kulturdezernent der senschaften und Ästhetische Kom- (Kultur-)Politiker, die Nachkriegs- aktueller gesellschaftlicher Phänome- auf Hirsch oder seine von der Glo- Stadt Frankfurt am Main und neun munikation über Vergangenheit, Ge- deutschland hervorgebracht hat – ne – gelesen werden kann sowie wei- balisierung des Arbeitsmarktes in- Jahre Präsident der Goethe-Institu- genwart und Zukunft der Kulturpo- sein jüngstes Werk „Lebensprinzip tere in diesem Band enthaltende Bei- spirierte Gesellschaftsbetrachtung te: Hilmar Hoffmann – politischer litik zu diskutieren. Kultur – Schriften und Aufsätze“, er- träge zu dem Themenkomplex. Wenn Die Lust am Risiko oder das Bungee- Vordenker, kultureller Schrittmacher schienen im Societäts-Verlag, Frank- die Soziokultur das eine große Politik- Springen als Einübung in die Elasti- am Puls der Zeit und letztlich „Kul- ei seinem letzten Besuch hatte er furt am Main. feld Hoffmanns ist, soweit eine Ein- zität der Gesellschaft, die sich heute turpapst“, zu dem ihn eine große B schweres im Gepäck – 800 Sei- Die Studierenden konnten trotz grenzung hier überhaupt zulässig ist, aktueller denn je liest. Neben einem deutsche Tageszeitung jüngst kür- ten Geschichte der Kulturpolitik, 1,3 des beachtlichen Umfangs dieses so ist die Auswärtige Kulturpolitik das Kapitel über das Goethe-Institut, das te. Er ist aber auch Ehrendoktor der Kilo Geschichten aus dem Leben Werks von Beginn an engagiert in die andere, wie ein umfassendes Kapitel Hoffmanns dortiges Schaffen in den Universität Hildesheim, die er regel- und Wirken Hilmar Hoffmanns, das Diskussion einsteigen, weil ihnen dieses Buches belegt. Von den bedeu- 1990er Jahren skizziert, finden sich viele der darin enthaltenden Texte tenden Zwölf Thesen zur Zweibahnig- in einem eigenen Abschnitt auch das bereits als Standardwissen aus ihren keit des Kulturaustauschs, die Hoff- „Steckenpferd“ Hoffmanns, Leni Abonnieren oder empfehlen Sie puk kulturpolitischen Seminaren und manns Amtszeit als Präsident der Goe- Riefenstahl und die Propaganda im Vorlesungen am Institut für Kultur- the-Institute maßgeblich geprägt ha- Nationalsozialismus. und Sie erhalten ein ganz politik bekannt waren. Fast jeder ben, über die Rolle des Kulturdialogs Bedauerlicherweise liegen einige Bereich, der kulturpolitische Rele- aus geschichtsphilosophischer Sicht bis Texte lediglich in gekürzter Fassung besonderes Dankeschön! vanz besitzt, findet in diesem monu- zur ultima und prima ratio deutscher vor, was bei dem Umfang des Wer- mentalen Abriss über 50 Jahre deut- Außenpolitik – die als programmati- kes verständlich, bei einigen den- sche innere und auswärtige Kultur- scher Aufruf zu einer neuen Ära ver- noch vergleichsweise schade ist, da 25 JAHRE DEUTSCHER politik Beachtung. Dabei stellen standen werden kann – findet sich ein Hoffmanns erfahrender Blick und KULTURRAT Hoffmanns „Frankfurter Jahre“ ei- Großteil des geistigen Fundaments seine fachliche Einschätzung sicher- Die Jubiläums-DVD nen wichtigen Bestandteil des Wer- der derzeitigen Auswärtigen Kultur- lich auch dort in größerem Umfang kes dar. Über die „Rennpferde des und Bildungspolitik der Bundesrepu- von Interesse gewesen wären. Diese 25 Jahre Deutscher Kulturrat kleinen Mannes“, die Tauben und blik Deutschland auf den Seiten die- Einschränkung verweist anderer- spiegeln auch 25 Jahre ihre gesellschaftliche, weil kulturel- ses Buches. seits darauf, was das „Lebensprinzip Kulturpolitik in Deutschland le Bedeutung im „Revier“ erfährt der Fünfzig Kapitel umfasst das „Le- Kultur“ ist: das Beste aus 50 Jahren wider. Persönlichkeiten Leser aufschlussreiches und gewinnt bensprinzip Kultur“. Verzichtet wird Hilmar Hoffmann auszugsweise, in aus dem kulturellen Leben blicken nach vorne und zurück. Einblicke in die kulturellen Eigenhei- hier deswegen auf die Betrachtung jeder erdenklichen Textform: Artikel, ten des „Potts“, die nur ein so intimer der Bereiche, die als das Einmaleins Grußworte, Katalogbeiträge, Reden, Mit über 95 Minuten Interviews, Kenner wie der Autor in analytischer der Kulturpolitik bezeichnet werden Rezensionen usw. Somit ist es zwei- Diskussionen, Vorträgen, Präzision und gleichermaßen humor- können. Verwiesen werden muss je- felsfrei ein Standardwerk für Kenner Kommentaren und Musik. voller Art zugänglich machen kann. doch auf solch besondere Leckerbis- ebenso wie Nicht-Kenner seines Auch an seine Anfänge kehrt Hoff- sen wie Hoffmanns Darstellung zum Werkes und Wirkens, denn trotz ei- !...... mann zurück. Die Kurzfilmtage Ober- Provokationspotential der Kunst an niger bekannter Texte findet der Le- Ich möchte politik und kultur (puk) abonnieren hausen – an deren Initiierung er mit- Hand der Verbindung zwischen ser in dieser Vielfalt und Fülle immer (€ 18,00/6 Ausgaben im Jahr, inkl. Porto) und erhalte als gewirkt hat – sind eine feste, bedeu- wieder neues und interessantes, an- Geschenk die DVD: tende Größe in der Landschaft deut- ekdotisches und analytisches. Dieses scher Filmfestivals und dien(t)en vie- gilt sicherlich nicht ausschließlich 25 Jahre Deutscher Kulturrat – Die Jubiläums-DVD len als Vorbild und Maßstab. für kulturpolitisch interessierte und Meine Adresse (=Rechnungsanschrift) Hoffmanns Einfluss und Bedeu- aktive, sondern für jeden Leser, der tung für die bundesdeutsche Kultur- am deutschen gesellschaftlichen Ge- Ich abonniere puk politik sind sicherlich auf seinen Ta- schehen der letzten 50 Jahre Interes- tendrang, seine Kreativität und sein se hat. Dass Kulturpolitik Gesell- Geschick, Menschen für seine The- schaftspolitik ist, beweißt dieser Sam- Name men gewinnen zu können, zurück zu- melband eindrucksvoll – obwohl die führen. Die Überzeugung, dass Kultur Forderung Kultur für alle, wie Hoff- ein Gut für alle Menschen und somit mann bei seinem Besuch in Hildes- Straße alle Bürger sein sollte, war ein solches heim anmerkte, „bis heute nicht ein- Thema. Das Motto „Kultur für alle“, gelöst worden ist.“ machte ihn zu einem der geistigen PLZ Ort Väter der neuen Kulturpolitik in der Der Verfasser ist Dekanatsgeschäfts- „alten“ Bundesrepublik Deutschland. führer des Fachbereichs Kulturwis- Davon zeugen grundlegende und senschaften und äthetische Kom- Unterschrift/Datum wegweisende Artikel wie Kultur für munikation sowie Lehrbeauftragter Coupon einsenden/faxen an: ConBrio Verlagsgesellschaft mbH, alle? und Das Bürgerrecht auf Kultur, am Institut für Kulturpolitik Brunnstraße 23, 93053 Regensburg, Fax: 0941/945 93 50 das, mit Verweis auf Hermann Glaser, der Universität Hildesheim BUNDESTAGSDRUCKSACHEN politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 39

Bundestagsdrucksachen Im Folgenden wird auf Bundestags- drucksachen mit kulturpolitischer Relevanz hingewiesen. Berücksich- tigt werden Kleine und Große Anfra- gen, Anträge, Entschließungsanträ- ge, Beschlussvorlagen sowie Bun- destagsprotokolle. Alle Drucksachen können unter folgender Adresse aus dem Internet heruntergeladen wer- den: http://www.dip/bundestag.de/ parfors/parfors.htm.

Berücksichtigt werden Drucksachen zu folgenden Themen:

· Auswärtige Kulturpolitik, · Bildung, · Bürgerschaftliches Engagement, · Daseinsvorsorge, · Erinnern und Gedenken, · Europa, · Informationsgesellschaft, · Internationale Abkommen mit kultureller Relevanz, · Kulturelle Bildung, · Kulturfinanzierung, · Kulturförderung nach § 96 Bun- desvertriebenengesetz, · Kulturpolitik allgemein, · Kulturwirtschaft, · Künstlersozialversicherungs- gesetz, · Medien, Deutscher Bundestag im Reichstagsgebäude Fotonachweis: Deutscher Bundestag · Soziale Sicherung, · Steuerrecht mit kultureller Rele- Künstler- Bildung der Bundesregierung eingebrachten Rente mit 67 vanz, sozialversicherungsgesetz Entwurfs eines Redner: Franz Müntefering (SPD), · Stiftungsrecht, Drucksache 16/3996 (03.01.2007) Dritten Gesetzes zur Änderung des Dr. Heinrich L. Kolb (FDP), Ilse Falk · Urheberrecht. Drucksache 16/4778 (21.03.2007) Antwort der Bundesregierung Künstlersozialversicherungsge- (CDU/CSU), (DIE LIN- Entschließungsantrag auf die Kleine Anfrage von Abgeord- setzes und anderer Gesetze KE), Irmgard Schewe-Gerigk Kulturpolitik allgemein der Abgeordneten Markus Kurth, neten der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 16/4373, 16/4419, 16/ (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Klaus Katrin Göring-Eckardt, Irmingard - Drucksache 16/3784 - 4648) Brandner (SPD), Jörg Rohde (FDP), Drucksache 16/4035 (16.01.2007) Schewe-Gerigk und der Fraktion der Statistische Daten zur Einführung Redner: Angelika Krüger-Leißner Dr. Ralf Brausiepe (CDU/CSU), Otto Antwort der Bundesregierung Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von Bachelor- und Masterstudien- (SPD), Dr. Heinrich L. Kolb (FDP), Fricke (FDP), Dr. Gregor Gysi (DIE auf die Kleine Anfrage von Abgeord- NEN gängen Gitta Connemann (CDU/CSU), Kat- LINKE), Brigitte Pothmer (BÜNDNIS neten der Fraktion BÜNDNIS 90/ zu der zweiten und dritten Beratung ja Kipping (DIE LINKE), Markus Kur- 90/DIE GRÜNEN), Anton Schaaf DIE GRÜNEN des Gesetzentwurfs der Bundesre- Plenarprotokolle th (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (SPD), (CDU/CSU), - Drucksache 16/3940 - gierung Dr. Herbert Schui (DIE LINKE), Wolf- Unterstützungen für das deutsche - Drucksachen 16/4373, 16/4648 - Plenarprotokoll 16/88 (22.03.2007) Plenarprotokoll 16/86 (09.03.2007) gang Meckelburg (CDU/CSU) UNESCO-Welterbe Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Stenografischer Bericht (88. Sitzung) (hier u.a. Künstlerdienste) Änderung des Künstlersozialversiche- Tagesordnungspunkt 6: Stenografischer Bericht (86. Sitzung) Drucksache 1674411 (28.02.2007) rungsgesetzes und anderer Gesetze Zweite und dritte Beratung des von Tagesordnungspunkt 20: Antrag von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE Schutz des Welterbes im Konflikt um die Waldschlösschenbrücke in den Vordergrund stellen Gute Kunst ist nicht genug Das berufspraktische Handbuch für Künstler ist in vierter Auflage erschienen • Von Stefanie Ernst Drucksache 16/4406 (28.02.2007) Antrag Ende 2006 ist die mittlerweile vier- stellung von Kunst beleuchtet. Zentra- terschiedlichen Beiträge gemein: Sie Probleme bei der Suche nach geeig- von Abgeordneten der Fraktion te Auflage des Handbuchs ProKunsT len sozial-rechtlichen Fragen wie dem sind informativ, verzichten auf zu viel neten Lokalitäten für Ausstellungen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erschienen. Als Adressaten, das Beitritt zur Künstlersozialversiche- Zahlenmaterial und kommen dankba- oder drohende Existenznot im Alter. Die Geistes- und Sozialwissenschaf- verrät bereits der Titel, wurden vor- rung, ALG II, Altersvorsorge etc. neh- rer Weise ohne juristische Fachsimpe- Die teilweise als unzulänglich erach- ten in Forschung und Lehre fördern rangig die bildenden Künstlerinnen men sich die Autoren des Kapitels leien aus. Ein weiteres Plus ist, dass der tete basisjuristische und betriebswirt- und Künstler ins Visier genommen. „Kunst und Soziales“ an. So erfährt der Leser weder sprachlich noch inhalt- schaftliche Ausbildung der Künstle- Drucksache 16/3993 (02.01.2007) Aber auch allen, die mit dieser Grup- Leser u.a., dass es zur Altersvorsorge lich überfordert und mit Details über- rInnen an den Hochschulen wird mo- Antwort der Bundesregierung pe Kunstschaffender beruflich zu sinnvoll ist, neben der Riester-Rente frachtet wird. Kompliziert anmutende mentan stark bemängelt. Dieses Buch auf die Kleine Anfrage von Abgeord- tun haben, so viel sei bereits an die- in ein weiteres Kapitalanlageprodukt Sachverhalte wie Urheberpersönlich- schafft hier Abhilfe. Der einzige, klei- neten der Fraktion DIE LINKE ser Stelle vorweggenommen, sei zur zu investieren. Die Kontaktdaten der keitsrechte sind äußerst verständlich ne Schönheitsfehler liegt darin, dass - Drucksache 16/3893 - Anschaffung von ProKunsT 4 zu ra- Künstlersozialkasse sowie aller übri- formuliert; Grundlegendes wird stets die Beiträge zum Teil etwas desillusi- Musikveranstaltungen der extremen ten. Herausgegeben wird die „Pro- gen relevanten Anlaufstellen sind erläutert ohne dabei ermüdend zu onierend wirken, was höchstwahr- Rechten im dritten Quartal 2006 KunsT-Reihe“ von dem Bundesver- jeweils am Ende der Beiträge ange- wirken. scheinlich der Tatsache geschuldet ist, band Bildender Künstlerinnen und führt. Des Weiteren werden europäi- Als besonders nützlich wird sich dass ein Künstlerdasein kein Zucker- Auswärtige Kulturpolitik Künstler (BBK), der mit mehr als sche, bundesdeutsche und privatwirt- für den Leser der knapp 40 Seiten schlecken ist und dieser Eindruck 100.000 Mitgliedern die größte Ver- schaftlicher Förderprogramme vorge- umfassende Teil herausstellen, in dem auch gar nicht erst aufkommen sollte. Drucksache 16/4024 (11.01.2007) einigung dieser Art darstellt. stellt. Unter „Kunst und Förderung“ eine Vielzahl unterschiedlichster Ver- Antwort der Bundesregierung erhält man zum Beispiel Auskünfte träge abgedruckt ist. Hier scheint die ProKunsT 4. Steuern – Verträge – Ver- auf die Große Anfrage von Abgeord- nhaltlich decken die Beiträge des über die Fördermöglichkeiten, die das ganze rechtliche Bandbreite eines sicherungen. Handbuch für bildende neten der Fraktion BÜNDNIS 90/ IHandbuchs den reichhaltigen, auf neue EU-KULTUR-Programm offe- Künstlerlebens ausgebreitet zu sein: Künstlerinnen und Künstler. Herausgege- DIE GRÜNEN den Beruf bezogenen Bereich eines riert. Auf Fragen wie: Was ist ein Spon- Kauf-, Miet-, und Internetvertrag bis ben vom Bundesverband bildender - Drucksache 16/2233 - Künstlerlebens ab. Orientierung und soringvertrag? Welche Auswahlkriteri- hin zu einer Check-Liste für Ausstel- Künstlerinnen und Künstler, Bonn 2006. Auswärtige Kulturpolitik einen schnellen Zugriff auf Antworten en werden bei Stipendienvergaben lungen – all das ist vorhanden. Diese zu speziellen Fragen bieten die sieben häufig zu Grunde gelegt?, geben die Dichte erweckt auch bei nicht künst- Die Verfasserin ist Mitarbeiterin des Bürgerschaftliches Hauptkapitel. So wird zu Beginn der sachkundigen Autoren in kurzen, aber lerisch (berufs-)tätigen Lesern den Deutschen Kulturrates Engagement Beruf Künstler unter besonderer Be- prägnanten Artikeln Antworten. Im Wunsch nach einer ähnlich gut struk- rücksichtigung der Aspekte der Exis- Kapitel „Kunst und Bauen“ werden so turierten Anleitung, um die rechtliche Drucksache 16/4256 (02.02.2007) tenzgründung und Regelung des All- zentrale Themen wie Wettbewerbs- Seite des Lebens einfacher meistern Antwort der Bundesregierung tags bei freischaffend Tätigen durch- teilnahme und Wettbewerbsformali- zu können. auf die Kleine Anfrage von Abgeord- leuchtet. Das zweite Kapitel befasst täten, rechtliche Aspekte bei Verände- Maria Kräuter, selbständige Bera- neten der Fraktion DIE LINKE sich mit unterschiedlichen Gesichts- rungen an Kunst im öffentlichen terin für Existenzgründer und Selb- - Drucksache 16/3924 - Förderung punkten zum Thema „Kunst und Raum oder Erläuterungen im Zusam- ständige in Kultur- und Medienberu- ehrenamtlichen Engagements Recht“. So erhält der Leser u.a. Tipps menhang von Kunst und Denkmal- fen, bringt das Anliegen des Buches in zur Vorbereitung einer Steuererklä- schutz/Denkmalpflege erörtert. Zum ihrem Kapitel über Existenzgründung Steuerrecht mit rung, erfährt etwas über eBay-Kunst- Abschluss der inhaltlichen Ausführun- von bildenden KünstlerInnen auf den verkäufe, bekommt dargelegt, wie er gen der Publikation kommt der Be- Punkt: „In der Regel genügt es nicht, kultureller Relevanz seinen Domain-Namen und Marken- reich „Kunst und Gesellschaft“ zur einfach nur gute Kunst zu machen.“ Drucksache 16/4470 (27.02.2007) namen sichert und kann sich über das Sprache. Geklärt werden hier z.B. Fra- Die hochkarätigen Autoren der Hand- Kleine Anfrage von Abgeordneten der weite Feld des Urheberrechts infor- gen bezüglich der Wohnraummiete reichung nehmen allesamt kein Blatt Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mieren. Unter dem Schlagwort „Kunst von Künstlern oder die Projektarbeit vor den Mund. Vielmehr zeigen sie Umsatzsteuer für gedruckte und präsentieren“ wird daran anschlie- derselben an Ganztagsschulen. stellenweise die „harte“ Realität der elektronische Publikationen ßend das Themenfeld der Zurschau- Eines haben die an sich sehr un- Künstler auf: geringes Einkommen, DAS LETZTE politik und kultur • Mai – Juni 2007 • Seite 40

Kurz-Schluss Beim Terrorismusbekämpfungs-Ergänzungsgesetz-Training er dritte Preis im Senioren-Au- von drei Stunden zwanzig Minuten Felsendom. Eine etwa vier Meter alten Atombunker der damals noch cher. Totsicher. Denk dran: Nur Si- D toren-Wettbewerb „Kontrol- an - mit der Bitte, rechts abzubiegen. hohe Betonleitplanke führte mich – Bonner Bundesregierung an der Ahr? cherheit ist Freiheit. Und die kriegst liert Schreiben“ überraschte mich „Das ist ein Service“, dachte ich bei der Panzerspähwagen immer noch Die „Weinstubb“ jedenfalls er- du, indem du dich von deiner intel- zunächst mehr, als dass er Freude mir und gab Gas. dicht hinter mir – direkt zu einer wies sich als einer der gemütlichsten lektuellen Verschlackung befreien auslöste. Schließlich hatte ich mich Nach exakt drei Stunden und 19 mächtigen Eichenholz-Rezeption im Plätze, die mir bei meinen weiten lässt. Freiwillig.“ gar nicht beworben. Aber meinem Minuten näherte ich mich weniger Stile Gelsenkirchener Barocks. Ein Reisen je begegnet sind. Kein baye- All das kulminierte, umtanzt von publicitysüchtigen Mitherausgeber einem Haus als einer riesigen metall- bisschen Angst hatte ich schon. rischer Biergarten, kein Grinzinger schmalhüftigen, vermutlich export- ist bekanntlich jedes Mittel recht, gitterbewehrten Tunnel-Einfahrt in Meine Fahrertür wurde, obwohl Beisel, kein Berliner Sushi-Kreisel chinesischen Gaszentrifugen-Bedie- um ein wenig Aufmerksamkeit auf die Hügel-Flanke des Ahrtales. Über ursprünglich elektronisch verriegelt, gab mir auf Anhieb je soviel akutes nerinnen in einem kunstvollen unsere kleine Kulturpostille zu len- dem Portal prangte halbrund in aufgerissen. Ein sehr freundlich Zu-Hause-Gefühl. Es mag an den Schweif-Sonett, dessen letzte fünf ken. Insofern hielt ich ihn sofort für mächtigen Lettern: „Sicherheit macht grinsender, arabisch gekleideter drei, vier doppelten Trestern aus der Verse mir leider verschwammen… den Urheber dieser Ehrung. Hegte frei“. Und eine Ampel-Kaskade, ähn- Mann (wie sich wenig später heraus- Region gelegen haben, an den paar Völlig überfordert von soviel Men- keinerlei Zweifel, dass er mein Glöss- lich wie beim Formel-1Start, schal- stellte: Stabsobergefreiter Ernst Schoppen Ahr-Rotem oder auch am tal-Stress – und natürlich von den chen „Mütterliche Gardinenpredigt“ tete sofort auf grün. Hinter mir war Rundpfuhl aus Bielefeld, persönli- Berchtesgadener Landhaus-Ambi- Anwendungen – erwachte ich erst aus der letzten „puk“-Ausgabe, Heft plötzlich ein leichter Panzerspähwa- cher Wahlspruch: „Täuschen und ente in der „Stubb“. Überwältigend einige Wochen später. Die Therapie 2/07 (eine leicht angebitterte Ab- gen der Bundeswehr aufgetaucht Tarnen ist alles – und das lernen wir ehrlich, menschlich jedenfalls emp- meiner Antikapitalismus-Paranoia rechnung mit der Kontroll- und und sehr dicht aufgefahren. Der beim Bund“) rief mir ein „Herzlich fand ich das unkomplizierte Kom- hatte allerdings so segensreiche Wir- Überwachungswut unserer Regie- hupte ungeduldig und wedelte mit willkommen in Wolfgangs Wellness- munikationsverhalten meines neu- kung, dass ich das Angebot einer rung) bei der Bertelsmann-Stiftung, seiner tief abgesenkten 30mm-Ka- Oase, Herr Theo Geißler, Haupt- en Freundes und Therapeuten Ernst Begleichung meiner Bewirtungs- Abteilung „Inneres“, als Wettbe- none hin und her. Statt umzukehren, wohnsitz Regensburg, Blutgruppe A, Rundpfuhl. Er warf seinen Burnus schulden in Höhe von zwei Millio- werbsbeitrag eingereicht hatte. wie es mir mein Bauchgefühl emp- Rhesus-(gehaucht: Affe HiHiHi – ab, drunter ziviler Drillich. Schluss nen Euro gegenüber dem Schäuble- Von dieser Stiftung erhielt ich fahl, fuhr ich also weiter und lande- und laut)-negativ“ - zu. „Um ihr Ge- mit Täuschen und Tarnen. Seele Wellness-Haus durch kontrollierte nämlich den – wie gesagt: überra- te in einem grell ausgeleuchteten päck und um ihr Auto brauchen Sie blankgezogen. Klar, wir duzten uns Schreib-Arbeiten einfach als Gnade schenden – Info-Brief samt einer ge- sich nicht mehr zu kümmern. Das sofort – es war ein Platz zum Wohl- empfinde. Sehr früh hab ich den schmackvollen kleinen Urkunde, der erledigen meine Kameraden. Die fühlen. Dienstgrad eines „Informellen Mit- Styropor-Bertelsfrau – und ein Gut- werden gerade für zivile Einsätze „Gehen wir mal deine Gratis-An- arbeiters“ (IM) erklommen, hab scheinheft für ein „Mentales Well- trainiert“. Dabei winkte er in Rich- wendungen hier bei Wolfis Wellness Martin Walser, Günther Grass und ness-Wochenende“ im Wolfgang- tung des Spähwagens, aus dem durch,“ schmunzelte Ernst nach ein Klaus Staeck (noch immer arrogant) Schäuble-Haus, Ahrtal. prompt zwei Rekruten sprangen. paar scharfen Immigrations- , Roll- in der „Weinstubb“ getroffen. Wir Da mir dieses Tal nahe Bonn als Ernst Rundpfuhl legte seinen, stuhlfahrer- und Juden-Witzen: „Du haben zusammen mit einem Erzeugergebiet eines trefflichen Rot- leicht nach Nähmaschinenöl duften- hast eine Anti-Kapitalismus-Para- Youngster, der die „Generation Golf“ spohns bestens bekannt ist (und ich den Arm um mich und seinen Tur- noia, dagegen hilft ein Schlammbad kennt (und vielleicht weiß, wo mein mich mittlerweile im Kreis jener ban ab: „Erst mal ein Begrüßungs- zusammen mit einem Ackermann- Automobil abgeblieben ist) lange Menschen recht wohlfühle, die schluck, natürlich ein Ahr-Roter in Skelett in der Ziegenmilch-Wanne. über das Thema „Sicherheit“ disku- überall dort anzutreffen sind, wo es der „Wein-Stubb“, raunte er mir ins Deinen Pseudo-Krupp, sprich: Ehr- tiert und sind jetzt sicher: Sicherheit umsonst was zu essen gibt) mailte Ohr. Obwohl ich Männer, vor allem Pusseligkeits-Wahn kurierst du zu- macht frei. Wie hieß meine Frau? ich meine Anmeldung spontan und Soldaten, in Körpernähe nicht schät- sammen mit Herrn von Pierer, der Demnächst weitere Berichte von machte mich auf den Weg. ze, überkam mich ein trauliches Ge- hat grade Zeit, im Kraftraum an der Ihrem Exclusiv-Korrespondenten Die nächste Überraschung er- fühl. Lag es am unvermutet sozialen Honigpumpe. Und deine altsozialis- aus der „Wolfgang-Schäuble-Sicher- wartete mich schon nach dem Anlas- Verhalten der Spähwagenbesatzung, tischen Boarderline-Phantasien las- heitszone für freie Bürger“, Ihr: Theo sen meines Volks-Golfes: Ohne jede an der Höhle, die mich irgendwie an sen wir dir von Verona Poth unter Geißler. Ich jedenfalls darf für immer Eingabe zeigte das Navigationsgerät Mütterliches erinnerte, oder aber Beihilfe von Harald Schmidt im Se- hier bleiben – in Sicherheit…. sofort als Ziel das Schäuble-Haus in auch an einem Bericht von SPIEGEL- cond Life direkt aus der Speck- 433 km Entfernung bei einer Fahrzeit Theo Geißler, Herausgeber der puk TV über die üppigen, sehr sicheren schwarte massieren. Virtuell. Todsi- Theo Geißler

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Deutscher Kulturrat Bundesgeschäftsstelle Chausseestraße 103 10115 Berlin Tel: 030/24 72 80 14, Fax: 030/24 72 12 45 Internet: www.kulturrat.de, E-Mail: [email protected] Herausgeber Olaf Zimmermann und Theo Geißler Redaktion Olaf Zimmermann (verantwortlich), Gabriele Schulz, Andreas Kolb Redaktionsassistenz Stefanie Ernst Anzeigenredaktion Martina Wagner, Tel: 0941/945 93 35, Fax: 0941/945 93 50 E-Mail: [email protected] Verlag ConBrio Verlagsgesellschaft mbH Brunnstraße 23, 93053 Regensburg E-Mail: [email protected] Herstellung Petra Pfaffenheuser, ConBrio Verlagsgesellschaft Druck Gießener Anzeiger Verlags GmbH und Co KG, Gießen Erscheinungsweise 6 Ausgaben im Jahr Preis/Abonnement 3,00 Euro, im Abonnement 18,00 Euro, incl. Porto im Jahr Aboverwaltung/Bestellmöglichkeit: PressUP GmbH, Postfach 70 13 11, 22013 Hamburg Tel. 040/414 48-466 [email protected] puk ist im Abonnement, in Bahnhofsbuchhandlungen, großen Kiosken sowie an Flughäfen erhältlich.

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Mai – Juni 2007 Regelmäßige Beilage zu politik & kultur Ausgabe 10

Die Hundskamille: Eine matte Blütenoberfläche – gut begehbar für Insekten. Foto: Wilhelm Barthlott, Bonn

Welten der Entdecker Olaf Zimmermann Zum 100jährigen Jubiläum der Zeitschrift MIKROKOSMOS

Wenn man einen Stein anfasst, strahlt die dungspolitische Debatten wird aber oftmals ge- dungsverständnis geprägt ist, soll diese Ausga- teressierte Laien und ist noch heute eine Zeit- Kühle und Mächtigkeit. Zerkrümelt man trennt zwischen den Naturwissenschaften und be von Kultur Kompetenz Bildung zeigen. schrift, in der sowohl interessierte Laien, die sich schweren Boden zwischen den Fingern, den Geisteswissenschaften. Bereits in der Schule In diesem Jahr wird die Zeitschrift MIKROKOS- der Mikroskopie als Hobby verschrieben haben, riecht man den eigentümlichen Duft der gibt es die Unterscheidung zwischen den ver- MOS 100 Jahre alt. Sie wurde im Jahr 1907 ge- als auch Fachwissenschaftler ein Forum finden. Erde. Betrachtet man den Samenstern des meintlich wichtigen Hauptfächern wie Mathema- gründet mit dem Ziel, breiten Bevölkerungs- In dieser Breite ist die Zeitschrift einmalig. Einma- Löwenzahns, explodiert eine unbegreifliche, tik und den verschiedenen naturwissenschaftli- schichten den Zugang zur Mikroskopie und da- lig ist sie u.a. auch deshalb, weil sie als eine der

faszinierende Welt. Und doch ist alles, was chen Disziplinen und den Nebenfächern wie mit zur Schönheit der Kleinstlebewesen zu ermög- wenigen naturwissenschaftlichen Zeitschriften, die wir sehen, fühlen, riechen, nur eine winzi- Kunst, Musik oder Darstellendes Spiel. Dass die- lichen. Sie war getragen von einem volksbildne- ! ge, schwach schimmernde Spektrallinie im se Gegenüberstellung von einem verkürzten Bil- rischen Impetus. Sie richtete sich bewusst an in- Seite 2 grellen Licht des Lebens. Vieles um uns he- rum können wir nicht wahrnehmen. Oft feh- len uns die Sensoren, das Instrument in un- serm Kopf. Nicht selten aber sehen wir es nicht, obwohl wir es sehen könnten. Unser Naturwissenschaften und Künste Gehirn arbeitet zielgerichtet. Suchen wir die kleine blaue Blume in dem großen Pflan- zenmeer einer Wiese, werden wir sie finden. gehören zusammen Von Annette Schavan Ohne Suchauftrag aber bleibt sie verborgen. Je mehr Suchaufträge eingespeichert wer- Vor genau hundert Jahren wurde die Zeitschrift schaft und Forschung besser zu verstehen. Nach- dungen zwischen Naturwissenschaft, Kunst und den, umso mehr Entdeckungen machen wir. MIKROKOSMOS gegründet. Seither ist sie eine dem in den vergangenen Jahren die Naturwis- Kultur müssen wir noch deutlicher machen. von Wissenschaftlern und Hobby-Forschern senschaften im Mittelpunkt standen, widmet sich Dafür müssen beide noch mehr als bisher In hellweißen, lichtdurchströmten Räumen ste- gern gelesene Zeitschrift. Wie schon im Jahr das Wissenschaftsjahr 2007 den Geisteswissen- aufeinander zugehen und ihren Reichtum in hen die Augen und Ohren der Wissenschaft. 1907 finden beide Interessengruppen hier ein schaften. Aus gutem Grund. Wir müssen die viel- einer gemeinsamen Sprache auch dem inter- Apparate verstärken die Sinne, die Welt des Mik- gemeinsames Forum, wenn es darum geht, die fältigen Leistungen der Geisteswissenschaften für essierten Laien verständlich machen. ro- und Makrokosmos wird erlebbar. Kleinste Welt der kleinsten Lebewesen und des feins- unsere Geschichte, unsere kulturelle Identität und Ich freue mich daher sehr, dass der Deutsche Mengen eines Stoffes sind wägbar und unsicht- ten Baus von Pflanzen und Tieren dem allge- das intellektuelle und emotionale Wohlbefinden Kulturrat das hundertjährige Bestehen von MI- bare Strahlen messbar. Die Naturwissenschaft hat meinen Verständnis zu erschließen. MIKRO- jedes Einzelnen in unserer Gesellschaft bewuss- KROKOSMOS zum Anlass genommen hat, in die Spektrallinie des menschlichen Geistes merk- KOSMOS will begeistern für die Naturwissen- ter wahrnehmen. Genauso wie zeitgenössische dieser Ausgabe von ‚politik und kultur’ aufzu- lich dicker gemacht. Wer die Welt einmal durch schaften und ist ein vorzügliches Beispiel für Kunst nicht sofort jedem eingängig ist, erschließt zeigen, wie eng naturwissenschaftliche, geis- ein Mikroskop betrachtet, wird verstehen, was das die Kunst, Brücken zwischen Wissenschaft und sich die Welt der Kleinstlebewesen beim Blick teswissenschaftliche und kulturelle Bildung heißt. Das behäbige Kriechen einer Amöbe, das Popularität zu schlagen. durch das Mikroskop nicht unmittelbar. Wer sich miteinander verbunden sind. Als Bundesmini- hektische Strudeln der Wimpertierchen, die Sym- Die alljährlich zu wechselnden Themen vom jedoch auf die Kunst oder das Mikroskopieren sterin fühle ich mich beiden gleichermaßen metrie der Zieralgen und die fast unheimliche, Bundesministerium für Bildung und Forschung einlässt, kann faszinierende Welten entdecken verpflichtet und hoffe, dass die Grenzen zwi- bis heute noch nicht restlos verstandene Fortbe- ausgerufenen Wissenschaftsjahre blicken zwar und verblüffende Ähnlichkeiten feststellen. schen den Disziplinen offener werden und sie wegung der Kieselalgen. nicht auf eine 100-jährige Tradition zurück, sie Sowohl im Hinblick auf die Künste als auch auf in einen noch intensiveren Dialog treten. „Schulung der Sinne“ – unter diesem Begriff las- zielen aber in die gleiche Richtung: Immer geht die Naturwissenschaften werden bereits bei Kin- sen sich die kulturelle Bildung und die naturwis- es darum, Menschen für die Wissenschaft zu dern die Grundlagen für die Begeisterung und DIE VERFASSERIN IST BUNDESMINISTERIN senschaftliche Bildung zusammenfassen. Geht es begeistern und die Bereitschaft zu wecken, die das Verständnis des bisher Unbekannten gelegt. FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG doch jeweils darum, genau hinzusehen, genau Augen für unbekannte Welten zu öffnen und Deshalb sind die naturwissenschaftliche und die UND MITGLIED DES DEUTSCHEN BUNDES- hinzuhören, genau zu beobachten, genau nach- bedeutende Errungenschaften von Wissen- kulturelle Bildung gleich wichtig. Diese Verbin- TAGS. zumachen, genau nachzuzeichnen. In den bil- kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 2

staunliche Formenvielfalt offenbar werden. Wer ten. Mit der Aufklärung kam die Separierung. Das die Schönheit in der Milchstraße, muss sich selbst ! Fortsetzung von Seite 1 versucht, die Entdeckungen zu zeichnen, wird brachte Freiheit, viele, sehr viele Kunstwerke und Fragen beantworten, auf die die Naturwissen- Welten der Entdecker feststellen, wie schwierig es ist, dieser Schönheit viele, sehr viele wissenschaftliche Erkenntnisse schaft alleine keine befriedigende Antwort gibt. und dem Formenreichtum gerecht zu werden. sind nur deshalb möglich geworden. Aber es Kunst und Wissenschaft sind die Säulen der in einem renommierten Fachverlag erscheinen, Genauso wie es Geduld und Erfahrungen bedarf brachte auch Beziehungslosigkeit der Disziplinen menschlichen Entwicklung, hier wird das Suchen, durchgängig in deutsch publiziert wird. Damit ein Bild, eine Symphonie, ein Theaterstück oder untereinander, die auch, das wird immer deutli- das Entdecken zur Passion. Diese „Welten der bleibt gewahrt, dass auch weiterhin Laien die Zei- ein Buch zu lesen, genau dieser Fähigkeit bedarf cher, neue Erkenntnisse behindern. Diese Beila- Entdecker“, dort wo sich Kunst und Naturwissen- tung nicht nur lesen, sondern auch darin veröf- es auch, wer die Natur beobachten will. Die gro- ge soll eine Tür in eine vermeintlich andere Welt schaft begegnen, interessieren mich schon seit fentlichen und das sollte dabei nicht vergessen ßen Entdecker Carl Friedrich Philip von Martius, öffnen, die, betrachtet man sie genauer, nur eine meiner Jugend. Deshalb dieser Schwerpunkt zum werden, dass Deutsch als Wissenschaftssprache Alexander von Humboldt und andere haben es andere Sicht der eigenen Welt ist. 100jährigen Jubiläum der Zeitschrift MIKROKOS- noch eine kleine Überlebensnische mehr hat. Das vorgemacht: Wer die Welt entdecken will, muss Für Künstler ist der Blick in das Reich der Natur- MOS. Faszinierendste an MIKROKOSMOS sind aber sei- seine Sinne schulen. Er muss mit Interesse zuhö- wissenschaft schon immer Passion gewesen. Na- Mein herzlicher Dank bei der Erstellung dieser ne Abbildungen. Kunstwerke aus dem Reich des ren, den Tieren, den Menschen, den Mythen, der turwissenschaftliche Erkenntnisse sind immer im Ausgabe gilt Prof. Dr. Klaus Hausmann, Heraus- Lebens im Wassertropfen. Schönheiten gefunden Kunst. Er muss mit Interesse beobachten, die Pflan- Wissenshorizont von Kunst gewesen. Die Natur- geber des MIKROKOSMOS und Leiter der Arbeits- in den Mikrostrukturen eines Blattes oder auf der zen, die geografische Gestalt, die Riten der Men- wissenschaftler entdecken im zunehmenden Maße gruppe Protozoologie an der Freien Universität Oberfläche des Chitinpanzers eines Käfers. Wir schen. Er muss berichten und erzählen können, die Kunst als Inspirationsquelle, um schwierige na- Berlin, sowie seiner Mitarbeiterin Dr. Renate Ra- können hier nur einen sehr schwachen Eindruck von dem was er gesehen hat. All dieses vermittelt turwissenschaftliche Fragen besser lösen zu kön- dek. Ohne deren Engagement hätte die Ausga- von der Qualität der Abbildungen geben, da der sowohl die kulturelle als auch die naturwissen- nen. Für die Mikroskopierer, genauso wie für die be nicht realisiert werden können. schwarz/weiße Zeitungsdruck mehr nicht zulässt. schaftliche Bildung. Wie nahe beides zusammen- Astronomen, waren und sind die Kunst und die Wer interessiert und mit ein wenig Geduld durch liegt, das zeigen die nachfolgenden Beiträge. Religion aber immer schon sehr nah. Wer das DER VERFASSER IST HERAUSGEBER VON POLI- ein Mikroskop blickt, wird eine unendlich große Es ist noch gar nicht solange her, als Naturwis- Wunder im ganz Kleinen wie im ganz Großen TIK UND KULTUR UND GESCHÄFTSFÜHRER DES Welt im Kleinen entdecken. Ihm wird eine er- senschaft, Kunst und Religion eine Einheit bilde- betrachtet, die Schönheit im Wassertropfen, wie DEUTSCHEN KULTURRATES

Zwischen Praxis und Wissenschaft Klaus Hausmann Vom freien Mitarbeiter zum Herausgeber – eine Entwicklung Am 29.6.1971 schrieb mit etwas unsicheren eine Professur an die Freie Universität Berlin fol- Worten ein Diplomand der Biologie, Fach- gend in die seinerzeit noch mauerumringte Stadt richtung Cytologie und Mikromorphologie, wechselte, war es für mich klar, dass der MIKRO- der Universität Bonn folgenden Brief: KOSMOS nach wie vor in meinem weiteren Wir- ken einen festen Platz einnehmen sollte. So ge- Sehr geehrte Herren, in der Anlage übersende ich schah es dann auch. Es folgten neben den streng Ihnen ein Manuskript „Die Trichocysten von Para- wissenschaftlichen Publikationen für andere Jour- mecium caudatum“ zur Veröffentlichung in Ihrer nale immer wieder Artikel oder Berichte aus mei- Zeitschrift. Ich bitte Sie, mir mitzuteilen, ob Sie die ner Feder für den mir unterdessen sehr lieb ge- Arbeit für Ihre Zeitschrift verwenden möchten. wordene MIKROKOSMOS. Hochachtungsvoll! K. Hausmann Der Adressat war die Redaktion des MIKROKOS- Übernahme der Herausgeberschaft MOS, Franckh’sche Verlagshandlung in Stuttgart. Umso heftiger bewegte mich 1992 die Nachricht, Vom Betreuer meiner Diplomarbeit hatte ich von dass die Franckh’sche Verlagshandlung fest ent- der Existenz dieser Zeitschrift erfahren und sie seit schlossen war, wegen Unwirtschaftlichkeit die einiger Zeit zum verbilligten Studenten-Preis abon- Herausgabe dieser traditionsreichen, im Jahr 1907 niert. Recht bald kam in mir der Wunsch auf, dort gegründeten Zeitschrift einzustellen. Es gelang mir, einmal einen eigenen Artikel zu veröffentlichen. die damaligen Herausgeber des Gustav Fischer Nun war es also so weit. Ich hatte mir ein Herz Verlags Stuttgart dafür zu gewinnen, die Zeitschrift genommen und einen Teil meiner Diplomarbeit verlegerisch zu betreuen. Von da an habe ich – zu einem Manuskript zusammengefasst, das ich zunächst über einige Jahre zusammen mit einem nun der Redaktion zur Veröffentlichung anbot. Es Fachkollegen aus der Botanik und dann schließlich folgten nur einige wenige Tage bangen Wartens. alleine, zusammen mit einer Assistentin – die Re- Denn die Antwort ließ nicht lange auf sich warten daktion des MIKROKOSMOS übernommen. und lautete: Das bedeutete dann doch einen gewaltigen Sehr geehrter Herr Hausmann, Sprung in eine Tätigkeit, die ich nirgendwo er- über Ihr Manuskript „Die Trichocysten von Para- lernt hatte. Was ist die Aufgabe eines Redakteurs, mecium caudatum“ habe ich mich sehr gefreut. was muss eine Redaktion leisten, wie geht man Sie beschreiben ein Objekt, das jedem Liebhaber- mit Autoren und deren Manuskripten um, wie stellt Mikroskopiker zugänglich ist, das leicht zu kulti- man ein Heft zusammen, wie sind die Herstel- vieren ist, und Sie erwähnen Versuche, die auch lungs- und Vertriebswege? Fragen über Fragen der Amateur und der Biologielehrer ohne weiteres ergaben sich, auf die ich zunächst keine Antwort unternehmen kann. Ihre Bilder sind hervorragend; wusste. Nach und nach stellten sich dann Erfah- wir wollen Sorge tragen, daß sie auch gut repro- rung und Routine ein, die schließlich ein reibungs- duziert werden. Ich begrüße Sie als neuen Mitar- loses Erscheinen des MIKROKOSMOS gewährleis- beiter unserer Zeitschrift, und ich würde mich sehr teten. Das wäre natürlich ohne die zahlreichen Hier kommt eine Zwischenüberschrift hin oder freuen, wenn Sie auch in Zukunft an der Gestal- Hilfestellungen von Seiten der Verlagsmitarbeiter eine zentrale Aussage des Textes tung des Mikrokosmos mitwirken wollten. nicht möglich gewesen. Mit freundlichen Grüßen Eines musste ich von Grund auf lernen: Es ist eine Ihr Dr. D. Krauter, REDAKTION MIKROKOSMOS Gratwanderung, mit den Autoren einer solchen Zeitschrift umzugehen. Da es vielfach Laien mit Der Beginn einer langen Verbundenheit wenig Erfahrung im professionellen Abfassen von Als ich Anfang Juli 1971 diesen Brief in Händen Manuskripten sind, welche sich – vielfach erst nach hielt, war ich mehr als glücklich. Ich erinnere mich heftigen inneren Kämpfen – dazu aufraffen, et- noch genau daran. Ich hatte offenbar den Sprung was zu Papier zu bringen, muss man das Produkt vom unbekannten Diplombiologen zum Autor des dieser Bemühungen sehr behutsam behandeln. MIKROKOSMOS geschafft. Und ohne es bewusst Ein zu harsches Wort des Redakteurs gleich zu intendiert zu haben, hatte ich gleich mit meinem Anfang, selbst bei objektiv erkennbaren Unstim- ersten Manuskript die Zielsetzung der Zeitschrift migkeiten im Manuskript, kann bei einem Erst- getroffen, nämlich die Vermittlung von Versuchen, lingswerk dazu führen, dass der betreffende Au- die der Amateur und der Biologielehrer ohne wei- tor sich nie wieder zu Wort meldet. Das erforder- teres nachvollziehen können. liche Einfühlungsvermögen musste ich erst nach Titelblatt des ersten Heftes vom Jahrgang 1992. Der Fischer Verlag war wegen des offensichtlichen Namens- Nach diesem ermutigenden Start folgten zahlrei- und nach lernen. Rückblickend auf eine mehr als bezugs über die mikroskopische Ansicht einer Fischschwanzflosse besonders erfreut. che Arbeiten – zumeist aus dem protozoologischen 15-jährige Redakteur-Tätigkeit ist das nun kein so Bereich – und ich wurde in der Tat ein Stammau- großes Problem mehr. einer solchen Phase befinden wir uns derzeitig nicht mehr. Er wurde unterdessen über eine Zwi- tor des MIKROKOSMOS. Das blieb auch so, als scheinbar wieder einmal –, oder dass Ruhe und schenstufe von einem Verlag aufgekauft, der zu den ich frisch promoviert 1974 an der Universität Hei- Bewältigung von Probleme und Überwindung Zufriedenheit vorherrschen. Der erfreulicherweise internationalen Wissenschafts-Pressegiganten delberg meine erste Stelle als Wissenschaftlicher von Sorgen nach wie vor unvermindert lebhaft in der Redakti- zählt, nämlich zu Elsevier, Niederlande. Für den Assistent im Lehrstuhl für Zellenlehre antrat. Dort Ein viel gravierenderes Problem tat sich gleich zu on eintreffende Manuskript-Strom zeigt, dass wir weniger mit der Realität Vertrauten mag es beruhi- hatte ich die Freiheit – weiterhin für die Einzeller Anfang der Übernahme der Redaktion des MIKRO- wohl mit unserer Mischung von wissenschaftlich gend aussehen, unter dem Dach eines so gewalti- begeistert –, mich nach meinen eigenen Ideen mit KOSMOS in der Art auf, dass nun offenbar die anspruchsvolleren Artikeln und eher einfacheren, gen Hauses untergebracht zu sein. Weniger beru- Fragestellungen zur Biologie der Einzeller zu be- Redaktion von Personen aus dem universitären praxisbezogenen Berichten nicht so ganz falsch lie- higend ist dabei allerdings die Tatsache, dass in schäftigen. Natürlich musste ich in erster Linie Bereich geführt wurde. Sofort hieß es, dass der gen können. Die Redaktion des MIKROKOSMOS diesem Haus gnadenlos die Marktwirtschaft zusehen, wissenschaftliche Ergebnisse zu erarbei- MIKROKOSMOS von nun an in seinem wissen- ist also der Ansicht, den Erwartungen des größten herrscht. Was keinen Profit bringt, gehört abgewi- ten, die auf lange Sicht Grundlage für die ange- schaftlichen Anspruch so hoch angesiedelt sei, Teils der Abonnenten – wie zu Zeiten der Grün- ckelt. Man kann nur hoffen, dass der MIKROKOS- strebte Habilitation (seinerzeit – und vielleicht dass der normale Amateur sich kaum mehr be- dung der Zeitschrift – zu entsprechen und wird MOS weiterhin zu den Überlebenden zählen wird. immer noch – war das der Nachweis der Befähi- rücksichtigt fühlen könne. Ohne dass diese Be- ihre Arbeit in diesem Sinne fortführen. Angesichts der derzeitigen Abonnentenzahlen kann gung zum aufrechten Gang in der Wissenschafts- hauptungen jemals in irgendeiner Weise konse- Was allerdings viel mehr Sorge bereitet, ist die Tat- man allerdings schon hin und wieder von etwas landschaft) sein sollten. Aber nie habe ich dabei quent nachvollziehbar belegt wurden, geistert sache des heutzutage wohl üblichen, für einen unruhigen Gedanken bewegt werden. den MIKROKOSMOS aus den Augen verloren und nach wie vor dieses Vorurteil gegenüber der Re- Außenstehenden in seinem Sinn kaum noch nach- mehr oder weniger regelmäßig Artikel verfasst, daktion im Raum umher. Es erfolgt in einer Art vollziehbaren Verkaufs von kleineren Verlagen an DER VERFASSER IST HERAUSGEBER DES MIKRO- die auf die Erwartungen der Leser zugeschnitten Pendelbewegung, dass einmal heftig gegen die größere. So besteht seit etlichen Jahren der Gus- KOSMOS UND LEITER DER ARBEITSGRUPPE PRO- waren. Als ich dann – die Habilitation war erfolg- angeblich überproportional wissenschaftlich do- tav Fischer Verlag, der seinerzeit den MIRKOKOS- TOZOOLOGIE AM INSTITUT FÜR BIOLOGIE / reich über die Bühne gegangen – einem Ruf auf minierte Redaktionsarbeit polemisiert wird – in MOS vor dem sicheren Aus bewahrt hat, überhaupt ZOOLOGIE DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 3

Mundschleimhaut (Mensch) im Phasenkontrast (links) und differentiellem Interferenzkontrast (rechts). Fotos:Klaus Hausmann, Berlin

Leser, Autoren und Themenbereiche Renate Radek Hundert Jahre Mikrokosmos – Portrait einer deutschsprachigen Fachzeitschrift

100 Jahre MIKROKOSMOS – das ist eine lan- und aus welchen Gründen sie gerade diese Zeit- Wort. Etlichen ist es im Rahmen der Verfasseran- Physikalisch-technisch orientierte Artikel erläu- ge Zeit. Wohl niemand der heutigen Leser schrift ausgewählt haben. Hinweise liefern zuwei- gabe wichtiger, ihre Mitgliedschaft in einer mikro- tern die physikalischen Gesetzmäßigkeiten opti- wird vom ersten Heft an dabei gewesen sein. len die Erläuterungen im Anschreiben, Absender skopischen Gesellschaft hervorzuheben als eine scher Geräte und geben sich daraus ergebende Etliche haben jedoch den Ehrgeiz, zumindest (Kliniken, kleine Firmen, akademische Titel), Dank- Berufsbezeichnung einzufügen. Die meisten Au- Tipps für verbesserte Einstellungen und Aufnah- alle Bände zu erwerben, und sind stolz, sagungen, und manche treue Autoren sind den toren stellen Berichte aus ihrem eigenen Erfah- memethoden der Geräte (Auflösungsvermögen, wenn sie über ein Antiquariat fehlende Hefte Herausgebern inzwischen auch persönlich be- rungsschatz zusammen. Nur wenige referieren numerische Apertur, Kontraststeigerungs- und Be- ergänzen können. Manch einer ist wohl kannt. Viele Autoren haben es sich – unabhän- über Ergebnisse anderer Autoren, zum einen, weil leuchtungsverfahren, Zeitrafferaufnahmen, etc). In schon seit Schülerzeiten Bezieher dieser pra- gig von ihrem Beruf – zum Hobby gemacht, mit sie wohl das Thema spannend und mitteilenswert den letzten Jahren hat sich insbesondere die digi- xisorientierten, mikroskopischen Zeitschrift. Mikroskop, Binokular oder Makroaufsatz am Fo- finden, und zum anderen möglicherweise, um sich tale Aufnahmetechnik durchgesetzt, was viele Vor- Der Redaktion liegen – natürlich schon aus toapparat Tiere und Pflanzen ihrer Umgebung etwas hinzuzuverdienen. Der MIKROKOSMOS ist teile bietet (z.B. sofortige Kontrolle des Fotos, Mög- Gründen des Datenschutzes – keine persön- zu beobachten und besondere Funde oder Beo- nämlich eine der wenigen Zeitschriften, die ihren lichkeiten digitaler Bildbearbeitung), aber auch lichen Informationen zu den heutigen Abon- bachtungen einem breiteren Publikum vorzustel- Autoren – sozusagen als Aufwandsentschädigung physikalisch bedingte Limitationen aufweist. Nicht nenten des MIKROKOSMOS vor. Zumindest len. Manchen Danksagungen, in denen zum Bei- – ein kleines Honorar zahlt. alle Digitalkameras sind gleichermaßen für den teilweise überdeckt sich sicherlich der Le- spiel den Betreuern einer Diplomarbeit gedankt Jedenfalls ist der Kreis der Autoren weit gefä- Einsatz am Mikroskop geeignet. serkreis mit dem Kreis der Autoren. wird, kann entnommen werden, dass der MIKRO- chert und entsprechend unterschiedlich sind The- Neben neuen mikroskopischen Techniken werden KOSMOS hier wohl als Einstiegsmedium zur Pu- men und Komplexität der Artikel. Bei der redakti- auch historische Geräte und ihre Leistungen in Weltweite Verbreitung blikation wissenschaftlicher Untersuchungen ge- onellen Bearbeitung der eingesandten Manuskrip- Artikeln gewürdigt. Verschiedene Firmen boten Da der MIKROKOSMOS eine der wenigen noch wählt wurde. Auch bereits lange im Beruf ste- te bemüht sich die Redaktion um Allgemeinver- schon ab dem 19. Jahrhundert einfache Mikros- existierenden deutschsprachigen Fachzeitschrif- hende Biologen, Tierärzte, Human- und Zahn- ständlichkeit, vereinfacht beispielsweise zu tief- kope und Lupen an, die teilweise heute noch funk- ten ist, leben die Abonnenten im Wesentlichen mediziner, Paläontologen und Geologen stellen gehende Abhandlungen und erläutert Fachaus- tionstüchtig sind. Kleine, kompakte Reisemikros- in deutschsprachigen Ländern. Zwei Drittel Aspekte ihrer Forschungen vor. Biologie-Lehrer drücke, oder ergänzt und korrigiert entsprechend kope fanden ebenso Beachtung wie Sonnenmi- (77,7%) der Hefte werden an deutsche Abonnen- berichten über von ihnen geleitete Schülerpro- an anderen Stellen, soweit uns dies möglich ist. kroskope, mit denen für ein breiteres Publikum ten verschickt, 7,5% nach Österreich, 7,2% in die jekte beziehungsweise stellen Methoden oder Projektionen mikroskopischer Bilder die Welt des Schweiz und 2,3% in die Niederlande. Die restli- Untersuchungsthemen vor, die im Unterricht Themenvielfalt Kleinen eröffneten. Die heutige moderne Welt chen 5,3% der Bezieher leben erstaunlicherwei- Anklang finden und gut durchzuführen sind. Aber Die Hauptartikel des MIKROKOSMOS decken ein mit ihren zahlreichen Errungenschaften wäre so se in 20 weiteren Staaten, und dies sind bei wei- auch Autoren aus technischen Berufsfeldern wie weites Spektrum an Themenbereichen ab. In der nicht vorhanden, ohne die schlauen Köpfe der tem nicht nur europäische Länder. In alle Konti- Ingenieure, Physiker, Bioinformatiker und Mitar- Regel überwiegen biologische Themen. Freiland- Vergangenheit und ihre Entdeckungen und Ent- nente wird geliefert, wenn auch nur einzelne Ex- beiter von Mikroskopfirmen melden sich mit kom- funde aus Gewässern oder Lebensräumern an wicklungen. Auch dieser Aspekt sowie andere emplare: z.B. in die Länder Vereinigte Staaten, petenten Artikeln aus ihrem Arbeitsbereich zu Land werden mit Hilfe optischer Hilfsmittel un- historische Abhandlungen z.B. über die Entwick- Kanada, Mexiko, Brasilien, Costa Rica, Venezu- tersucht und beschrieben, wobei es sich bei den lung der mikroskopischen Gesellschaft oder der ela, Südafrika, Japan und Australien. Man könnte Objekten der Begierde um ganz unterschiedli- Schulmikroskopie findet im MIKROKOSMOS Be- sich vorstellen, dass diese deutschen oder che Lebewesen handelt: z.B. Einzeller, Kleinkreb- achtung. deutschsprachigen Abonnenten vielleicht Aus- se, Insekten, Spinnen, Milben, Würmer, Pilze, wanderer sind, die ein Stückchen ihrer Heimat Wasser- und Landpflanzen. Dabei werden nicht Rubriken des MIKROKOSMOS und ihres Hobbys mit in die Ferne genommen nur mit verschiedensten Methoden die Anatomie Neben den in der Regel etwas umfangreicheren haben. und Morphologie untersucht, sondern auch Hauptartikeln bietet der MIKROKOSMOS in etli- Zurzeit ist die Abonnentenzahl leider etwas rück- beispielsweise Vermehrungs- und Verbreitungs- chen kleineren Rubriken aktuelle Informationen läufig, was daran liegen mag, dass viele Hobby- mechanismen, Embryologie, Ernährung und Ver- und mehr. Mitteilungen der mikroskopischen Ge- Mikroskopiker Senioren sind, und aus Altersgrün- halten. Über das Vorhandensein eines bestimm- sellschaften geben Termine und Themen für die den nicht mehr mit vollem Elan ihrem Hobby frö- ten Artenspektrums an Süßwasserarten kann nächsten Treffen an, Industrieinformationen stel- nen können. Junge Hobby-Forscher und Leser auch die Gewässergüte erkannt werden. len neue Geräte/Techniken vor, Kurzmitteilungen müssten gewonnen werden. Schon in den Schu- Jedoch werden nicht nur biologische Objekte mit referieren neue Erkenntnisse aus der aktuellen len sollte man das Interesse an der Mikroskopie optischen Hilfsmitteln untersucht. Berichte über die Fachliteratur, in Besprechungen von Büchern und wecken und fördern. Herstellung und Interpretation von Gesteinsdünn- Neuen Medien werden Neuerscheinungen prä- schliffen, die Formenvielfalt und Schönheit von Kris- sentiert. Ein nicht identifizierbares, also unbe- Autoren tallen (besonders im polarisierten Licht), Oberflä- kanntes Fundobjekt (Ufo) kann im „Mikro-Ufo“ Dass viele den MIKROKOSMOS als Publikations- chen von Materialien und Bauteilen erweitern das den Lesern mit Bitte um hilfreiche Tipps zur Ent- organ schätzen, kann man beispielsweise am Spektrum. Der Übergang zur Kunst ist teilweise flie- tarnung vorgestellt werden. Künstler zeigen die immer stärker werdenden Manuskripteingang er- ßend. Sehr beliebt bei den Lesern sind auch Arti- Verwandlung der „Welt des Kleinen“ zu Kunstob- kennen. Dies freut die Herausgeber und nötigt kel, in denen neue oder verbesserte Methoden vor- jekten auf. Zum Schmunzeln laden die Rubriken den Autoren allerdings ein wenig Geduld ab, da gestellt werden. Hierbei kann es sich um Tipps zur „Mikro-Cartoon“ und „Mikro-Lyrik“ ein. Schließ- es entsprechend länger dauert, bis sie ihr Werk Kultur oder Anreicherung von Organismen han- lich soll die Lektüre des MIKROKOSMOS nicht in gedruckter Form in Händen halten können. deln, verbesserte Fixier- oder Färbetechniken, Kniffe nur informieren, sondern auch Spaß machen. Aus welchem Umfeld kommen die Autoren, die zur Herstellung guter Schnitte, zur Restauration al- unserer Zeitschrift ihre Beiträge zusenden? Nur ter Präparate, Vor- und Nachteile von Einbettmit- DIE VERFASSERIN IST PROMOVIERTE DIPLOM-BI- in wenigen Fällen ist es für uns erkennbar, wel- MIKROKOSMOS: Heft 1 des Jubiläumsjahrgangs teln, optimierte optische Verfahren, sparsamer OLOGIN UND GEHÖRT DER REDAKTION MIKRO- chen Beruf sie ausüben, ob sie jung oder alt sind, 2007. Selbstbau von Geräten und vieles mehr. KOSMOS BERLIN AN kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 4

Ein Exot bei Elsevier? Bernd Rolle Seit 2002 ist die Zeitschrift Mikrokosmos Teil der Elsevier-Familie

Wenn Sie auf der Internet-Seite www. lichen. Das ist auch der Grund, dass der Name elsevier.com nach „microscopy“ suchen, fin- Elsevier, außer in Wissenschaftlerkreisen, in den Sie über 200 Buch- und immerhin über Deutschland weitgehend unbekannt ist. Dabei 20 Zeitschriftentitel. Bei genauerer Betrach- liegen seine Wurzeln in Leiden, Niederlande, wo tung relativiert sich dieses erste Bild aller- im Jahr 1580 Louis Elzevir seine Druckerei eröff- dings. Einerseits ist diese Kategorie thema- nete. Der Verlag veröffentlichte in der Zeit bis tisch ziemlich weit gefasst, andererseits fällt 1712, als der letzte Original-Elzevir-Erbe ver- gleich auf, dass MIKROKOSMOS der einzi- starb, rund 2.500 Buchtitel. Zu den Autoren zähl- ge Titel in der Liste ist, der nicht in Englisch ten Decartes, Spinosa und Galileo Galilei. publiziert wird. Bei genauerer Betrachtung Vom Elzevir zum Elsevier sieht man auch, dass alle Titel einen ganz Am Beginn des neuen Elsevier-Verlages standen anderen Charakter als der MIKROKOSMOS Buchhändler, die 1880 einen Verlag gründeten, der haben: Es handelt sich ausschließlich um so „NV Uitgeversmaatschappij Elsevier“ hieß und als genannte Primary Research Journals, also Logo das alte Druckersignet der Elzevirs wieder Zeitschriften, die ausschließlich wissen- verwendete. Man veröffentlichte zunächst allgemei- schaftliche Originalarbeiten veröffentlichen. ne Publikumstitel wie Jules Verne und Enzyklopä- dien. In den zwanziger und dreißiger Jahren ent- Die Logos der Verlage, in denen der MIKROKOSMOS bislang erschien: Franckh, Fischer, Elsevier. Elseviers Betätigungsfeld wickelten sich enge geschäftliche und persönliche Genau das Publizieren solcher Journale ist das Beziehungen zu Leipziger Verlagen, besonders zu Nun begann der Verkauf von nahezu allen Aktivi- brinck-Gruppe (Saarbrücker Zeitung, Trierer Volks- Hauptbetätigungsfeld des Verlages Elsevier welt- Brockhaus, Thieme und der damals berühmten täten, die nicht zum wissenschaftlichen Publizieren freund, Südkurier, Main-Post, Lausitzer Rund- weit. An den Standorten Amsterdam, Boston, Akademischen Verlagsgesellschaft. gehören, und der Kauf weiterer Wissenschaftsver- schau, Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Tages- Barcelona, London, New York Oxford, Mailand, Hier in Deutschland kam dem seinerzeitigen Di- lage setzte ein. spiegel, Die Zeit, Nature Publishing Group, Mac- Paris, Philadelphia, San Diego, St. Louis – und rektor J.P. Klautz der Gedanke, sich auf wissenschaft- millan, Rowohlt, S. Fischer und so weiter). Diese Jena werden insgesamt über 1.500 solcher Jour- liche Literatur zu spezialisieren. Er hatte gesehen, Beeindruckendes Wachstum hatte kurz vorher bereits den traditionsreichen nale verlegt. In Jena sind es augenblicklich 54 dass führende deutsche Wissenschaftler jüdischer Mitte bis Ende der 90iger Jahre begann man, sehr Verlag Urban & Schwarzenberg gekauft und leg- Titel; 36 rein englischsprachige Primary Research Herkunft immer größere Schwierigkeiten bekamen, große Summen in das so genannte Electronic Pu- te Gustav Fischer zu Urban & Fischer zusammen. Journals und 18 deutschsprachige Fachmaga- ihre Arbeiten in den führenden deutschen Fach- blishing zu investieren, was letztlich im Aufbau In diesem Zusammenhang wurde der Hauptsitz zine beziehungsweise -zeitschriften, hauptsäch- zeitschriften zu publizieren. Denen bot er in eige- der größten wissenschaftlichen Zeitschriftenda- des Verlages nach München verlegt. Die Produk- lich auf den Gebieten der Medizin und Biolo- nen, neu gegründeten Zeitschriften ein Podium. tenbank Science Direct (2.000 Zeitschriften, über tion aller Medizinbuchtitel wurde hier konzent- gie. Aber auch Titel wie Optics oder Internatio- 1939 hatte Elsevier eine Niederlassung in New York 8 Millionen Artikel, zu denen zur Zeit etwa 11 riert, die Biologiebücher beim Spektrum Aka- nal Journal of Electronics and Communications gegründet, verlegte während des 2. Weltkrieges Millionen Wissenschaftler weltweit Zugang ha- demischer Verlag in Heidelberg und die gesamte gehören zum Programm. International ist das seine Aktivitäten hierhin und begann, englischspra- ben) und der größten wissenschaftlichen Abs- Zeitschriftenproduktion in Jena, wo der Verlag Themenspektrum der Journals noch viel weiter chige Journals zu publizieren, zunächst vorwiegend tract- und Zitatendatenbank Scopus (15.000 Zeit- von Gustav Fischer ursprünglich 1878 gegrün- gefasst. Die etwa 7.000 Elsevier-Mitarbeiter an auf den Gebieten der Physik und Chemie. schriftentitel aus 4.000 Verlagen, 27 Millionen det worden war. Ende 2002 verkaufte Holtz- über 70 Standorten in 24 Ländern verlegen auch 1946 hatte Elsevier noch weniger als 10 Beschäf- Abstracts) mündete. Heute erwirtschaften Else- brinck dann Urban & Fischer sowie Spektrum solche Titel wie Annals of Pure and Applied Lo- tigte, 1960 waren es etwa 40. Mit der rasanten vier über 25 Prozent seiner Umsätze mit diesen an Elsevier und so ist der kleine MIKROKOS- gic, Linguistics and Education, Long Range Plan- Entwicklung von Wissenschaft und Forschung, und anderen elektronischen Produkten. Gleich- MOS nun Teil der riesigen Elsevier-Familie. Ein ning, Poetics, Religion, Journal of Criminal Justice, besonders nach dem Sputnik-Schock, wuchs auch zeitig begann man wissenschaftliche Verlage Exot ist er darin nicht, hat er doch das, was die History of European Ideas oder Post Communist Elsevier in großem Tempo. 1970 begann dann mit auch in nichtenglischsprachigen Ländern zu er- Elsevier-Journale vereint: Eine hohe inhaltliche Studies. der Übernahme der North-Holland Publishing werben, zunächst in Frankreich, Italien und Spa- Qualität. Der gemeinsame Nenner all dieser Zeitschriften Company die Zeit der Zusammenschlüsse und nien. Da war der gute alte MIKROKOSMOS noch ist, wie gesagt, dass sie fast ausschließlich wis- Übernahmen einer Vielzahl namhafter Verlage. beim Gustav Fischer Verlag in Stuttgart. 1995 ver- DER VERFASSER IST VERLAGSBEREICHSLEITER ZEIT- senschaftliche Forschungsergebnisse veröffent- 1993 erfolgte die Fusion mit Reed zu Reed Elsevier. kauften die Eigentümer den Verlag an die Holtz- SCHRIFTEN, ELSEVIER DEUTSCHLAND, JENA

Zur Förderung wissenschaftlicher Bildung Klaus Hausmann/Klaus Henkel Mikroskopische Gesellschaften und Vereinsleben

Auf der Titelseite des ersten Heftes des MI- stand fehlt zu den ersten Schritten ... Schließen Francé. Die DMG gründet die neue Zeitschrift KROKOSMOS kann man lesen, dass die Zeit- wir uns also zusammen! ... Gründen wir eine mik- Kleinwelt, die aber, ebenso wie noch weitere ähn- schrift von der Deutschen mikrologischen rologische Gesellschaft, die den Gebrauch der liche Zeitschriften, auf Dauer gegen den MIKRO- Gesellschaft (DMG) ab dem Jahr 1907 als Mikroskope volkstümlicher machen will und die KOSMOS nicht bestehen kann. Vereinsorgan herausgegeben wurde. Es ist ganze große Vertiefung der neueren Wissenschaft wahrscheinlich nicht jedem auf Anhieb klar, vom feinen Bau und Leben der Pflanzen und Tie- Der Neustart dass es sich bei dieser Gesellschaft um die re dem Verständnis näher rücken wird. Im Verlauf der Vereinsgeschichte gab es Höhen heute immer noch vital existierende Mikro- Gleich melden sich hundert Begeisterte, Mitte des und Tiefen, wie sie über einen so langen Zeit- biologische Vereinigung München (MVM) Jahres hat die Deutsche mikrologische Gesell- raum nicht ausbleiben. So zerfällt die DMG wäh- handelt. Diese Vereinigung ist nicht nur die schaft schon 2.000 Mitglieder. Die DMG ist eine rend der Kriegsjahre 1914 bis 1918 aufgrund älteste, sondern – nimmt man es nicht ganz überregionale Vereinigung mit vielen Ortsgrup- innerer Zwiste und nicht zuletzt auch wegen des genau – auch die Ur-Mutter aller Mikrosko- pen, die bald in ganz Mitteleuropa über 4.000 Verlusts des Vereinsvermögens infolge der da- piker-Vereinigungen im deutschsprachigen Mitglieder zählt. Ihr Initiator gründet auch ge- maligen Inflation. Doch bedeutete das keines- Raum. meinsam mit der Franckh’schen Verlagshandlung wegs das Aus. Am 6. Februar 1923, immer noch eine Zeitschrift zur Förderung wissenschaftlicher mitten in der Inflation, wurde ein neuer Anfang Der Beginn Bildung, herausgegeben von der Deutschen mik- gesetzt, als 14 Liebhaber und Amateure der Mi- Anfang 1907 erscheint in der Franckh’schen Ver- rologischen Gesellschaft München unter der Lei- kroskopie sich im Münchner Raum zusammen- lagshandlung das kleine Büchlein Streifzüge im tung von R. H. Francé, nämlich den MIKROKOS- fanden und unter dem Namen Mikrobiologische Wassertropfen von Raoul H. Francé. Der Verfas- MOS. Die DMG gründet und leitet seinerzeit au- Vereinigung München (MVM) das weiterführten, ser plaudert mitreißend über eine unbekannte ßerdem das Biologische Institut in München, das was man seinerzeit in der Satzung der DMG als Welt, die nur das Mikroskop offenbart. Begeiste- viele hundert Wissbegierige in mikroskopischen Vereinszweck festgelegt hatte, nämlich ... vor al- rung flammt auf, als ob alle darauf gewartet hät- Kursen ausbildet und Wissenschaftler beschäf- lem den Gebrauch des Mikroskopes volkstümlich ten: Der ersten Auflage im Januar folgte im Juli tigt, die speziell die Edaphonforschung (Edaphon zu machen, die Kenntnis der kleinsten Lebewe- desselben Jahres bereits die dreizehnte! Francé = Gesamtheit der im Boden lebenden Organis- sen und des feinstes Baues der Pflanzen und Tie- schließt mit einem Aufruf: Man kommt nämlich men) vorantreiben. re dem allgemeinen Verständnis zu erschließen, von dem Zauber der Kleinwelt nicht so leichten 1909 folgt der Eintrag der DMG in das Vereins- alle Freunde des Mikroskops zu gemeinsamer Kaufes los ... Aber ich weiß, alle schrecken zu- register. Tragischerweise entzweien sich die Ver- Arbeit zusammenzufassen sowie ihnen zum Aus- rück, wenn es ihnen an Rat und tatkräftigem Bei- leger der Franckh’schen Verlagshandlung und tausch ihrer Erfahrungen und Präparate zu ver- helfen. Interessant ist, dass es sich bei dieser lo- kalen Münchner Neugründung offenbar um eine Vereinslogos konzertierte Aktion handelte. Denn im selben Monat entstand in Berlin aus der Märkischen ganz aus Beiträgen der Münchener gestaltet. Mikrobiologischen Vereinigung (gegründet 1909) Unter ihrem ersten Vorsitzenden F. Rieger erlebt die Freie Vereinigung von Freunden der Mikros- die Münchner Vereinigung eine Blütezeit. Der kopie, ein Zusammenschluss von Mikroskopikern, Mitgliederstand pendelt in jenen Jahren zwischen der heute leider nicht mehr existiert. 35 und 60, was nicht unbedingt üppig war. Aber Durch den Beitritt von Wissenschaftlern wie Prof. an den Vortrags- und Lichtbilderabenden kom- Dr. Ammann, Dr. Seiffert, Dr. Kleintjes, Prof. Dr. men nicht selten mehr als 100 Zuhörer. Fünf Thaler, Dr. Graf von Vitzthum, und durch zahl- Preisausschreiben und die Bekanntgabe der Ver- reiche Publikationen der Mitglieder in der Zeit- anstaltungen in Zeitschriften und Presse zeugen schrift für wissenschaftliche Mikroskopie, im MI- von einem regen Vereinsleben.

KROKOSMOS und in der Mikroskopie für Natur- Eine immer wiederkehrende Sorge bereitet das

freunde kommt die Münchner Vereinigung zu Vereinslokal. Zwischen 1923 und 1945 muss man Ansehen und Mitgliederzuwachs. Zum zehnjäh- nicht weniger als sechsmal umziehen. Kriegs-! und rigen Bestehen erscheint im Februar 1933 ein Geburtsstunde des MIKROKOSMOS. Jubiläumsheft der Mikroskopie für Naturfreunde, Seite 5 kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 5

ihm übernimmt 1973 der Zoologe Siegfried Hoc vereinseigene Fachbibliothek mit 800 einschlä- Antwerpen, 1946 in Zürich. Nicht zu vergessen ! Fortsetzung von Seite 4 den Vorsitz. Schon bald schreibt Prof. Thaler aus gigen Bänden. in diesem Zusammenhang sind die rührigen und Braunschweig: Ich sehe mit Vergnügen, wie die angesehenen mikroskopischen Sektionen man- Nachkriegszeit bringen begreiflicherweise einen Vereinigung zu neuem Leben aufgeblüht ist. Mir Das Jahrhundert-Jubiläum cher Volkshochschulen oder Naturwissenschaft- Niedergang des Vereinslebens. Nur mit Mühe tut’s nur leid, daß ich so weit vom Schuß sitze, ich In diesem Jahr ist die MVM 100 Jahre alt gewor- licher Vereinigungen, wie der in Bremen, Köln gelingt es, einen Teil des Gerätebestands und der wäre ja so gern dabei. den. Die derzeit 50 Mitglieder lassen dieses Da- oder Hagen. Bibliothek zu erhalten. Einige Mikroskope wer- Seit ihrer Neugründung 1923 hat sich die MVM tum natürlich nicht sang- und klanglos vorüber- Erwähnt werden soll aber auch, dass die bedeu- den gerettet, indem man sie auf Bauernhöfen und durch Beiträge ihrer Mitglieder finanziell selbst ziehen, sondern würdigen das Jubiläum durch eine tenden Traditionsvereine der Mikroskopiker in in Bienenkörben versteckt. Der damalige Vorsit- erhalten, Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln kleine Ausstellung an einem exponierten Ort, London, Oxford, New York, Chicago oder San zende, Schulrat Auer, steuert den Verein geschickt wurden nie in Anspruch genommen. Die Öffent- nämlich im renommierten und viel besuchten Francisco teilweise erheblich älter sind als die in durch diese kritische Zeit. liche Hand unterstützte sie mitunter durch Über- Münchner Museum Mensch und Natur im großen Mitteleuropa. lassen eines Übungsraumes. Seit über 50 Jah- Seitenflügel des Nymphenburger Schlosses. Dort So kann man sich heute wie vor hundert Jahren Die Fortsetzung ren hat sie sich nun bei der Technischen Univer- werden vom 20. April bis Ende November auf mit anderen Freunden der Mikroskopie austau- Nach den Kriegwirren erscheint 1948 – wie ein sität München eingemietet. Schautafeln die heutige Vereinstätigkeit und die schen, in Städten wie Berlin, Bremen, Darmstadt, Signal – der 38. Jahrgang des MIKROKOSMOS. Die Mitgliederzahl hat sich von 1980 bis 1995 Vereinsgeschichte in Wort und Bild dargestellt, und Göppingen, Hagen, Hamburg, Hannover, Köln, So wird denn 1950 auch bei der MVM mit einem von 22 auf 65 verdreifacht. Das ist deshalb be- einige kurze Videofilme geben Einblick in die Mik- Konstanz, München, Stuttgart, Tübingen, Wien, Referat des Bühnenmalers, Operationszeichners merkenswert, weil gerade in jenen Jahren bei rowelt. Mit einem Festvortrag am 29. November, Würzburg und Zürich, aber ebenso in Oxford, Chi- und Hobby-Insektenkundlers Prof. Dr. Fritz Skell allen, besonders aber bei den so genannten Bil- den Professor Dr. Werner Nachtigall (Saarbrücken) cago oder New York Gleichgesinnte finden. Auch die Vereinsarbeit wieder aufgenommen. Der Für- dungsvereinen, ein dramatischer Mitglieder- in der Aula des Museums halten wird, soll dann ein Blick ins Internet schafft heutzutage Kontak- sprache des Lebensmittelchemikers Prof. Helmut schwund zu beklagen war. Die Vereinsabende das Jubiläumsjahr ausklingen. te. Thaler ist es zu verdanken, dass die MVM im Be- sind heute regelmäßig von ca. 15 bis 25 Mitglie- Was hier am Beispiel der MVM aufgezeigt wur- rufspädagogischen Institut ein Unterkommen fin- dern besucht. In vierzehntägigem Turnus folgen de, hat in den vergangenen Dekaden zahlreiche KLAUS HAUSMANN IST HERAUSGEBER DES det. Vereinsvorsitzender ist jetzt Oberpostinspek- je ein Vortrags- und ein Diskussionsabend Parallelen und Nachahmungen gefunden. Man MIKROKOSMOS, BERLIN UND KLAUS HENKEL IST tor Bernecker. Er sammelt die versprengten frü- aufeinander, mit Übungen, Material- und Prä- hat sich vielerorts zu Vereinen zusammengefun- MITGLIED DER MIKROSKOPISCHEN VEREINI- heren Mitglieder und gewinnt neue hinzu. Von paratetausch. Eine besondere Attraktion ist die den, 1910 in Wien, 1911 in Hamburg, 1933 in GUNG MÜNCHEN, DACHAU

Mikroskopie und Internet Klaus Hausmann Einsicht in die Wirklichkeit des Seins Da es heutzutage wohl kaum einen Lebens- bereich gibt, der noch nicht vom Internet erfasst worden ist, wird man als interessier- ter Mikroskopiker sicher einmal den Begriff Mikroskopie in eine der gängigen Suchma- schinen eingeben. Das Ergebnis mag er- schütternd sein: 1.290.000 Meldungen wur- den bei einer soeben durchgeführten Suche innerhalb von 0,13 Sekunden gefunden. Diese Art der Suche ist offenbar nutzlos. Man benötigt Hilfe, um sinnvoll einen Einstieg in die anstehende Thematik zu bekommen. Es liegt nahe, da vermutlich zumindest ein Teil der Mikroskopischen Vereinigungen mit ei- ner Homepage im Netz vertreten ist, dort nachzusehen. Findet man erst einmal eine Verbindung, wird man bald über Querver- bindungen viele weitere Informationsquel- len zur Verfügung haben.

Präsenz im World Wide Web Im MIKROKOSMOS wurden vor kurzem die ak- tuellen Homepages der deutschsprachigen Ama- teurvereinigungen zusammengestellt. Danach sind derzeitig mindestens zwölf Mikroskopier- gruppen über das Netz ansprechbar: · Berliner Mikroskopische Gesellschaft e. V. www.berliner-mikroskopische-gesellschaft.de/ · Arbeitskreis Mikroskopie im Naturwissenschaft- lichen Verein zu Bremen www.nwv-bremen.de/ · Mikroskopiegruppe Bodensee www.mikroskopie-gruppe-bodensee.de/ · Mikroskopischer Freundeskreis Göppingen people.freenet.de/mikroskopie- goeppingen.de/ · Mikroskopische Arbeitsgemeinschaft Hagen www.mikroskopie-hagen.de/index.htm · Mikrobiologische Vereinigung Hamburg www.mikrohamburg.de/ · Mikroskopische Arbeitsgemeinschaft Hannover Cytoskelettelemente (Nierenepithelzelle, Ratte) mit dem konfokalen Laserscanningmikroskop aufgenommen. Foto: Zeiss, Jena www.kg-bruegmann.de/ · Mikroskopische Arbeitsgemeinschaft Mainfran- disziplin sollte man schließlich das Medium Inter- normale Alltagsansichten unter besonderem sektion 2: Mikroskop-Aufnahmen). Objekte kön- ken net so einsetzen können, dass es Gewinn bringt. Blickwinkel. nen Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere sowie de- www.Stanek.name/ Man wird sich recht bald einige Favoriten markie- Die Webseite ist eine Quelle für Anregungen und ren Strukturen und Objekte der unbelebten Na- · Mikrobiologische Vereinigung München e.V. ren, um sich schnell auf solchen Seiten zum aktu- auch für ganz praktische, fototechnische Tipps. tur sein. Es wird allerdings angemerkt: Die Fotos www.mikroskopie-muenchen.de/ ellen Stand der Dinge, die den eigenen Interes- Unter Fotowissen kann man sich beispielsweise sollten nicht nur dokumentarischen Charakter ha- · Tübinger Mikroskopische Gesellschaft e.V. sen entsprechen, informieren zu können. rund um das Thema Fotografie informieren und ben, sondern einen ästhetisch-künstlerischen An- www.tmg-tuebingen.de/ natürlich ebenfalls Artikel beitragen. Die Aktivi- spruch aufweisen. Die bisher eingestellten Bilder · Mikroskopische Gesellschaft Wien Verborgene Fundorte täten der Nutzergemeinschaft äußern sich unter entsprechen diesem Anspruch. www.mikroskopie-wien.at/ Es ist natürlich nicht immer von vorneherein er- anderem auch in der Durchführung von Foto- Jeder Besucher dieses Forums kann seine Kom- · Mikroskopische Gesellschaft Zürich kennbar, ob sich hinter einer Homepage auch wettbewerben und Textforen, wo Beiträge und mentare und Gefühle zu den dargebotenen Bil- www.mikroskopie-muenchen.de/mgz/mgz. mikroskopische Aspekte verbergen. Vermuten Fragen diskutiert und Neuigkeiten ausgetauscht dern äußern. Für einen Mikroskopiker ist es sehr html kann man es hier und da. Aber man braucht et- werden können. Zum persönlichen Kennenler- verblüffend, mit welch einem Erstaunen Fotogra- was Anleitung, um zum Ziel zu kommen. Folgen- nen trifft man sich in verschiedensten Städten bei fen, denen bislang die mikroskopische Welt ver- Auf diesen Homepages kann man neben der Dar- des Beispiel soll das verdeutlichen: Hobbyfoto- Stammtischen. borgen geblieben ist, Mikrofotos wahrnehmen, stellung der Vereinsaktivitäten eine Vielzahl von grafen kennen wahrscheinlich die Homepage der selbst wenn es sich um relativ einfache Motive Links finden, die für den Liebhabermikroskopiker Fotocommunity im Internet (http://www. foto Erfolgreiche Channel-Wahl handelt. Und da erfährt man es unmittelbar, dass einen engen Bezug zu seinem Tun haben. community.de/). Fotos zu verschiedensten The- Thematisch sind die Fotos in verschiedenen, so Mikroskopiker wie selbstverständlich eine Le- Sind die Linklisten komfortabel gestaltet, wird menbereichen wie alte Fotos, Experimente, Emo- genannten Channels geordnet, die sich in Sekti- bensdimension kennen, die anderen verschlos- eine Untergliederung in verschiedene Sachgrup- tionen, Karten und Kalender, Quatsch, Trauer, onen gliedern. Seit einiger Zeit gibt es im Chan- sen ist, meistens schlichtweg deshalb, weil ih- pen vorgenommen, beispielsweise in Diskussi- Weihnachten, Sport, Menschen und etliche mehr nel Natur beispielsweise neben den Sektionen nen die Betrachtungsinstrumente, nämlich die onsforen, Vereine, Personen, Firmen, Technik, können hier betrachtet, heruntergeladen, neu Landschaft, Pflanzen/Pilze/Flechten, Tiere, Die Mikroskope fehlen. So gesehen sind die Freun- Verfahren, Labor, Präparate, Foto/Video, Journa- hineingestellt und kommentiert werden. Davon Elemente, Himmel & Universum auch eine Sek- de der Mikroskopie privilegiert, wissen sie doch le, Museen, Objekte und – besonders wichtig – wird auch rege Gebrauch gemacht. Es ergibt sich tion Mikrokosmos eigens für Mikroaufnahmen, um eine Wirklichkeit des Seins, die anderen im Linksammlungen anderer Gesellschaften. Anfäng- eine öffentliche Diskussion mit lobenden oder also für Fotos, die mit einer Kamera an Mikro- wahrsten Sinne des Wortes mangels Einsicht fehlt. lich wird man sich sicherlich sehr schnell veräs- kritischen Anmerkungen. Die meisten Bilder sind skop oder Lupe beziehungsweise mit Makro-Op- teln und bald gar nicht mehr wissen, wo und wie qualitativ sehr hochwertig und zeigen interessan- tik aufgenommen wurden (Sektion: Natur-Krea- DER VERFASSER IST HERAUSGEBER DES MIKRO- man warum angefangen hat. Mit ein wenig Selbst- te, teils außergewöhnliche Motive, teils ganz tiv; Untersektion 1: Aufnahmetechniken; Unter- KOSMOS, BERLIN kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 6

Kopf einer Pferdebremse durch ein Stereomikroskop betrachtet. Foto: Gerd Günther, Düsseldorf Auskristallisierte Ascorbinsäure im polarisiertem Licht. Foto: Klaus Hausmann, Berlin

Mikroskopie als Hobby Wolfgang Bettighofer Faszinierender Zugang zur Kleinlebewelt

Naturbeobachtung ist für viele Menschen geben sich, wenn Teile von Gesteinsbrocken zu MOS, regelmäßig las. Durch sein breit gefächer- Querschnitt der Mikroskopie hinweg als wertvol- gleichbedeutend mit Entspannung. Sie ist ein Plättchen von wenigen Hunderstel Millimeter tes Spektrum machte mich der MIKROKOSMOS les Nachschlagewerk. Schritt hin zum verlorenen Paradies, dort, Dicke geschliffen werden. neben der vielschichtigen Kleinlebewelt mit Zell- Um seinem didaktischen Ansatz in Zukunft noch wo der Mensch gewissermaßen kulturfern Alle bisher genannten Anwendungsgebiete der strukturen von Tier- und Pflanzengeweben so- mehr gerecht werden zu können, wäre es wün- mit der Natur verbunden war. Der Mensch Mikroskopie gehen davon aus, dass die Beob- wie der interessanten Farbenwelt der Kristalle im schenswert, wenn in den Heften mehr Farbdruck definiert sich heute geradezu über seine Ei- achtungsobjekte so dünn sind, dass das Licht polarisierten Licht bekannt. Des Weiteren hatte eingesetzt werden könnte (aktuell ist lediglich genschaft, ein Lebewesen in einer künstli- durch sie hindurch scheinen kann. Das Bild des ich in ihm ein sich ständig erweiterndes Lehrbuch eine farbige Abbildung auf dem Umschlag mög- chen, kulturell und zivilisatorisch umgeform- Objekts wird mit Hilfe nur eines Objektivs er- der mikroskopischen Technik. lich). Farbe hat einen hohen informativen Wert. ten Lebenssphäre zu sein. Dieser Entfrem- zeugt, ist also zweidimensional. Freunde der Mi- Seit nunmehr 100 Jahren begleitet die Zeitschrift Durch Farbwiedergabe lassen sich Strukturen dif- dung ein Stück weit zu entfliehen, ist das Ziel neralogie und der Entomologie (Insektenkunde) MIKROKOSMOS die Freunde der kleinen Dinge ferenzierter darstellen. Das weite Themenspek- einer Vielzahl naturorientierter Freizeitbe- hingegen benötigen Mikroskope, die ähnlich dem als Berater und Plattform für den Austausch über trum der Polarisationsmikroskopie, welche von schäftigungen. Das beginnt mit der Garten- Fernglas beiden Augen leicht unterschiedliche die verschiedensten Aspekte des gemeinsamen der Farbe lebt und deshalb im MIKROKOSMOS pflege, setzt sich fort in der Freude am Wan- Blicke auf das Objekt ermöglichen und es damit Hobbys. In dieser Zeitschrift schreiben sowohl bisher stark unterrepräsentiert ist, könnte bedient dern und erreicht seine deutlichste Ausprä- dreidimensional zeigen. Fachwissenschaftler als auch Amateure, es wer- werden und damit dem Blatt einen erweiterten gung in der Beobachtung und Beschäftigung den Themen aus allen möglichen Anwendungs- Leserkreis erschließen. mit den Lebensvorgängen sowie den Formen Zeitschrift MIKROKOSMOS für Mikro-Lieb- gebieten der Lichtmikroskopie sowie der Mikro- Hier sei der Wunsch geäußert, dass beispielsweise und Farben der Natur. haber und Makrofotografie-Technik behandelt. Dane- die optische Industrie hierzulande den kulturellen Den Zugang zur Kleinlebewelt vermittelte mir als ben sind Beiträge zu finden, die dem Amateur Wert des MIKROKOSMOS erkennen und diese Pu- Mikroskopiker-Interessen Schüler der Orientierungsstufe Anfang der 70er durch Aufnahmen mit Hilfe des Elektronenmik- blikation fördern möge. Dies könnte beispielsweise Detaillierte Naturbeobachtung ist meist nur mit Jahre des vorigen Jahrhunderts eine Fernseh- roskops Einblicke in die Ultrastruktur der beob- geschehen, indem Anzeigen in gewissem Umfang optischen Hilfsmitteln möglich, gemäß des Sendereihe von Hans A. Traber, der mit Ü-Wa- achteten Lebewesen ermöglichen, welche er mit Farbdruck mitfinanzieren, um auf diesem Wege menschlichen Paradigmas, sich das Leben durch gen und mikroskopischem Labor in Moore und der ihm zur Verfügung stehenden Technik nicht farbige Abbildungen auch im Textteil zu ermögli- kulturelle und zivilisatorische Entwicklungen zu zu Seen fuhr und dem staunenden Fernsehpu- bekommen kann. Mit seinen informativen Arti- chen, denn steigende Abonnenten-Einnahmen al- erleichtern und die Fähigkeiten der menschlichen blikum das Leben im Wassertropfen nahe brach- keln und seiner hochwertigen Graustufen-Druck- lein würden nicht ausreichen, um die erhöhten Aus- Sinne künstlich zu erweitern. So ist das Mikros- te. Mein allgemeines Interesse an Biologie und qualität ist der MIKROKOSMOS für den Leser in- gaben für den Farbdruck zu finanzieren. kop seit dem siebzehnten Jahrhundert das Hilfs- Technik tat ein Übriges, so dass ich bereits als teressante Lektüre mit vielen praktischen Bezü- mittel der Menschen, Dinge zu betrachten, wel- Mittelstufenschüler rege mikroskopierte und die gen zu seiner Lieblingsbeschäftigung, dem DER VERFASSER LEBT IN KIEL, IST INFORMATI- che für das unbewaffnete Auge zu klein sind. Und Zeitschrift für Mikro-Liebhaber, den MIKROKOS- Sammler erweist er sich über den gesamten KER UND HOBBY-MIKROSKOPIKER Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723), einer der großen Pioniere der Mikroskopie, war kein Na- turwissenschaftler, sondern Tuchhändler und ver- mögend genug, in großem Umfang seinen Hob- Erich Lüthje bys nachzugehen, dem Linsenschleifen, Mikros- Schulmikroskopie kop-Bauen und der Naturbeobachtung. In der Hand des Biologen, des Mineralogen und „Wie frisst eine Fliege eigentlich?“ des Mediziners ist das Mikroskop ein oft genutz- tes Arbeitsgerät. Aber es gibt auch einen Kreis Mein Praktikant (Biologiestudent im 5. Se- einer Knabenbürgerschule verwendet und folgen- nen Einzug in die Schule halten konnte, standen von Naturfreunden, die sich in ihrer Freizeit mit mester) hat tote Fliegen mitgebracht. Mit de Erfahrungen gesammelt: Die Schülerzahl muß der Schulmikroskopie seinerzeit große Hürden diesem Wunder der Optik und Feinmechanik einem herzlichen Iiiih... begrüßen 23 Unter- eine sehr beschränkte sein, denn sind viele Kin- im Wege: Die Wissenschaft gehört nicht für die beschäftigen, um die kleinen Dinge des Lebens tertianer seine Kollektion. Seht euch einmal der in der Klasse, so reicht eine Unterrichtsstunde Schüler (...), Mikroskop und Seziermesser ( ... ) zu betrachten, sich an ihren Formen und Farben genau den Rüssel an – wie frisst eine Fliege zur Besichtigung von höchstens zwei Präparaten gehören nicht in die Schule, so Direktor Dr. Kon- zu erfreuen und ihrer Lebensweise auf die Spur eigentlich? hin. Da aber immer nur ein Schüler beschäftigt rad Niemeyer 1869 in seiner Antrittsrede an der zu kommen. Dabei sind die Interessen der Mikro- ist, während die anderen zur Untätigkeit verur- Kieler Gelehrtenschule. Erbers Kollegen unter- skopiker sehr unterschiedlich. Bei den einen bil- Unter dem Binokular richten die Vierzehnjähri- teilt sind, so wird die Stunde bei großer Schüler- richteten damals das Schulfach Naturgeschichte det beispielsweise die Faszination an der mikros- gen mit Pinzette und Präpariernadel die Insek- zahl statt interessant, sehr leicht langweilig, und beziehungsweise Naturbeschreibung zumeist als kopischen Technik die Triebfeder für die Liebha- ten aus. Können Sie mal kommen? Ist das der die Kinder neigen zur Unruhe. Auf die Aufstel- trockene Systematik. Es sollte noch lange Jahre berei, gegebenenfalls gepaart mit Sammelleiden- Rüssel hier? Er ist es – und Miriam positioniert ihr lung mehrerer Instrumente wird wohl die Volks- dauern, bis das preußische Kultusministerium das schaft, für andere ist es ein Fenster in die Kleinle- Objekt sichtlich erfreut unter dem Videomikros- schule verzichten müssen. (...) Große, leicht ein- Mikroskop als geeignetes Anschauungsmittel für bewelt des Wassertropfens, welche auch schon van kop. Jetzt wirft der Beamer ein Fliegen-Halbpro- zusehende Vorteile müßte die Benützung eines den Biologieunterricht empfahl. Leeuwenhoek besonders interessierte. fil mit Komplexauge, Fühler und Borsten an die Projektions-Mikroskops beim Massenunterrichte Leinwand – und einen Rüssel wie zum Anfassen! ergeben. Hierüber habe ich jedoch gar keine Er- Zurück in die Gegenwart Mikro-Objekte Beamer aus, Arbeitsbögen verteilen, Übergang fahrung. Ich vermute aber, daß man nur mit sehr Heute ist die Mikroskopie in der Schule fest ver- Spannende Einblicke in die Feinstruktur der Ge- zur Erarbeitung ... Das habe ich selbst noch nie starker Lichtquelle arbeiten kann. ankert, wie beispielsweise ein Blick in den Biolo- webe von Tieren und Pflanzen liefert die Schnitt- so schön zu sehen bekommen, resümiert der Bi- Als der Fachlehrer aus Böhmen diese Mikrologi- gie-Lehrplan von Schleswig-Holstein (1977) präparation mit Rasierklinge oder mikroskopi- ologiestudent nach dem Gong seinen Einstieg in schen Winke für die Schule im zweiten Band des zeigt. So steht für die Schulform des Kollegen schem Schneidapparat (Mikrotom). Um die Ge- die Schulmikroskopie. MIKROKOSMOS (1908/1909) formuliert, ist die Erber, die Hauptschule, in der 7. Klasse Arbeiten webestrukturen zu deuten und unterscheiden zu Mikroskopie in Deutschland ausgesprochen po- mit dem Mikroskop auf dem Programm, wenn Die können, werden die Schnitte mit besonderen Vor hundert Jahren pulär. Etwa 4.000 Mitglieder zählt die gerade zwei Zelle als Grundeinheit des Lebens eingeführt wird.

Farbstoffen behandelt. In eine ästhetisch sehr Ein Jahrhundert zuvor stellt sich für den Fach- Jahre alte Deutsche Mikrologische Gesellschaft Realschüler stellen in der 8. Klasse einfache Prä- ansprechende Farbenwelt kann derjenige eintre- lehrer H. Erber aus Kolleschowitz, Böhmen, der des MIKROKOSMOS-Gründers R. Francé. Man parate her und untersuchen mit dem Mikroskop ten, der Kristalle, dünn gewachsen auf einem Gebrauch des Mikroskops in der Volksschule noch möchte diese Faszination von damals mit dem unter anderem Zwiebelhaut, Wasserpest! und kleinen Glasstreifen Objektträger, im polarisier- etwas anders dar: Ich habe durch fünf Jahre das Triumphzug des Computers von heute verglei- Seite 7 ten Licht betrachtet. Ähnliche Farbenspiele er- Mikroskop beim Unterricht in den drei Klassen chen. Aber während dieser ohne Widerstand sei- kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 7

Pflasterfugen-Vegetation auf dem Schulhof. Im ! Fortsetzung von Seite 6 hundertjährigen MIKROKOSMOS stellen Prakti- ker zahllose andere Möglichkeiten vor. Gar nicht Mundschleimhautzellen. Lebendbeobachtungen selten zeigt der Blick ins Mikroskop den erstaun- an Einzellern machen die Achtklässler mit den ten Schülern, dass nicht alles so ist, wie es in den Pantoffeltierchen im Heuaufguss bekannt. Klas- Schulbüchern steht. So stellen die Unterrichts- senstufe 9 mikroskopiert das Blatt als Photosyn- werke als scheinbar einzigen Blatt-Typus das bi- theseorgan. Auf den Gymnasien schließlich sol- fazial-hypostomatische Buchenblatt (Spaltöffnun- len die Schüler im 11. Jahrgang cytologische Un- gen nur auf der Unterseite) vor. Schon einfache tersuchungen mit dem Mikroskop durchführen. Querschnitte offenbaren: Andere Standorte, an- dere Anpassungen! An der Küste etwa können Ausrüstung ist nicht alles Schüler Strandpflanzen sammeln und sehen, dass Und könnte sich Kollege Erber die mikroskopi- sie zumeist amphistomatisch-äquifaziale Blätter sche Ausstattung meiner Schule ansehen, fände (Blattober- und Blattunterseite gleich, beide mit er wohl alle Blütenträume von 1908 gereift, ja Spaltöffnungen) besitzen. Dieses spannende öko- übertroffen. Unsere keineswegs überdimensio- logisch-evolutive Thema können ältere Jahrgän- nierte Biologiesammlung enthält für circa 600 ge selber mikroskopisch erarbeiten, während Schüler etwa 40 Schülermikroskope und 20 ein- man in unteren Klassen gerne zu selbst gefertig- fache Stereolupen. Zwei Lehrermikroskope er- ten Mikrodias oder zur Videoprojektion greifen möglichen Mikrofotografie sowie die Projektion wird. Oder: In ihren ledrigen Blättern speichert mikroskopischer Objekte auf einen Bildschirm die Olive Wasser, will ein Reiseführer wissen. oder per Beamer. Weiterhin stehen Film- und Nichts dergleichen – erkennen die Schüler bei Diageräte zur Verfügung, die allerdings gegen- der mikroskopischen Untersuchung. Vielmehr über der digitalen Technik zunehmend in den hält ein ausgeprägtes Festigungsgewebe das Hintergrund treten. Zahlreiche Serien mikrosko- Olivenblatt auch bei Trockenheit in Form. Ent- pischer Präparate, Mikrodias und -filme liegen sprechende Präparate für 25 Schüler lassen sich darüber hinaus zur Untersuchung und Vorfüh- in circa dreistündiger Heimarbeit schneiden, fär- rung in der Biologiesammlung. ben und einbetten – als jederzeit verfügbare Allerdings könnte der Fachlehrer aus Böhmen Dauerpräparate, wohlgemerkt. Auf diesem Wege nach wie vor feststellen, dass die curricular fi- lässt sich der Präparate- und Mikrofotobestand xierten Ziele der Schulmikroskopie auch bei ver- der Schulsammlung lehrplanbezogen und bessertem Ausrüstungsstand nicht einfach zu er- nahezu kostenlos erweitern. Und schon Tacitus reichen sind. Wie ehedem gerät heutzutage eine wusste (hier eher als Pädagoge denn als Histori- Aufgerollte Blattspreite des Landreitgrases. Ein uraltes Phänomen der Pflanzenarchitektur kann der Biologie- Mikroskopierstunde in Lerngruppen von 25 oder ker): Eigenes benutzen wir lieber als Fremdes. lehrer auf seinem Unterrichtsfoto sichtbar machen: Das Zweckmäßig ist zugleich schön – Ästhetik als Sekun- 30 Schülern sehr leicht langweilig, und die Kin- Oder: In der Nacht wird die assimilierte Stärke därmotivation. Foto: Erich Lüthje, Kiel der neigen zur Unruhe. Schulmikroskopie besteht aus dem Blatt abgeführt – so unisono die Biobü- – leider! – in vielen Fällen darin, dass die über- cher. Keineswegs vollständig, wie ein entspre- liegt dies einerseits sicherlich daran, dass in etli- sein ersehntes Projektionsmikroskop vor – forderten Schüler flüchtig ins Okular schauen, chendes Schülerexperiment mikroskopisch be- chen Schulen eine gute Ausrüstung mit Mikros- wunschgemäß mit sehr starker Lichtquelle. Er nichts Sinnvolles erblicken und frustriert aufge- legt. Vielfach fungiert das Organ auch als Stär- kopen und Stereolupen fehlt. Berücksichtigt man würde dessen große, leicht einzusehenden Vor- ben. Nicht wenige Kollegen lehnen deshalb die kespeicher. Muss angesichts solcher Möglichkei- indes die relativ günstigen Preise schultauglicher teile gewiss freudig nutzen und seine Schüler mit Mikroskopie in den unteren Klassen ab. Da wird ten ausdrücklich erwähnt werden, dass eine Bio- Geräte, dürfte dies Manko nicht unabänderlich lebendigem Unterricht zu begeistern wissen. Es an den Geräten mehr kaputtgemacht als sinnvoll logiestunde unter der Stabführung einer mikro- sein. Gravierender erscheint mir die unzureichen- wäre schön, wenn es ihm in unserer Zeit weitaus gearbeitet! skopisch versierten Lehrkraft Schüler mitzureißen de mikroskopische Praxis der Unterrichtenden, mehr Biologielehrer nachtäten als bislang. vermag? mit der dann auch verständlicherweise eine ge- Mikroskop und Computer ringe Neigung zum Einsatz des Mikroskops im DER VERFASSER IST PROMOVIERTER ALT- Kollege Erber müsste wohl begreifen, dass Com- Es könnte noch besser werden Unterricht einhergeht. Fachlehrer Erber müsste PHILOLOGE UND OBERSTUDIENRAT (BIOLOGIE, puter und Internet bei Schülern und Lehrern das Wenn also die Schulmikroskopie derzeit noch heutzutage nicht mehr auf die Aufstellung meh- LATEIN) AM HANS-GEIGER-GYMNASIUM, Mikroskop ins Abseits gedrängt haben. Das ist immer hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt, rerer Instrumente verzichten und fände überdies KIEL eher erstaunlich, denn Lichtmikroskopie und Computertechnik sind in Wissenschaft und For- schung längst eine ideale Symbiose eingegan- gen. Ohne Probleme gelingt bei entsprechender Ausstattung an den Schulen die Projektion mi- Wege in den Nanokosmos Wilhelm Barthlott/Anna J. Schulte kroskopischer Bilder von der DVD oder live aus dem Mikrokosmos mit dem Beamer. Schüler fer- Die Welt des Mikrokosmos als Vorbild für Innovationen tigen mühelos digitale Mikroaufnahmen an und verwenden sie in der Präsentation ihrer Themen. Die interessantesten Phänomene und Vor- lekularen Grundlagen der Grenzflächen ausein- Oberflächen, Zellen oder sogar Organellen. Un- Allerdings würde Fachlehrer Erber wohl feststel- gänge in der Natur spielen sich an Grenz- andersetzen. Wechselwirkungen zwischen Fest- ter optimalen Bedingungen können Objekte un- len müssen, dass die gegenwärtige Ausbildung flächen ab. Bei der Entdeckung dieser Er- körpern und ihrer Umwelt vollziehen sich fast terschieden werden, die bis zu 200 nm vonein- der Biologielehrer nicht zur sicheren Handha- scheinungen nimmt die moderne Mikrosko- ausschließlich über ihre Grenzflächen. Das gilt ander entfernt liegen. Was aber liegt jenseits die- bung des Mikroskops führt. Für einen erfolgrei- pie eine entscheidende Rolle ein und gewährt sowohl für Membranen innerhalb einer einzel- ser Grenze? chen Unterricht genügt es nicht, auf dem Präzi- spannende Einblicke in den Mikrokosmos nen Zelle als auch für die Biosphäre, die eine Art Ende der 60er Jahre vollzog sich mit der Erfin- sionsinstrument gleichsam mit einem Finger et- natürlicher Oberflächen. Überraschender Grenzfläche für unseren Planeten darstellt. Da- dung des Rasterelektronenmikroskops ein Di- was herumklimpern zu können. Soll Schulmikro- Weise sind neben der biologisch faszinieren- her ist es nicht verwunderlich, dass Pflanzen und mensionssprung in der Mikroskopie. Bei einer skopie über die Notration Zwiebelepidermis und den Formenvielfalt auch technisch nutzbare Tiere für eine erfolgreiche Kommunikation und deutlich höheren Auflösung konnten erstmals Heuaufguss hinausführen, sind persönliche Nei- Strategien auf den Grenzflächen zu finden. den Austausch mit ihrer Umwelt hochkomplexe, Strukturen abgebildet werden, die bis zu 1 nm gung und Erfahrung der Lehrkraft gefragt. Der multifunktionale Oberflächen entwickelt. voneinander entfernt lagen. Der Weg in den engagierte Kollege aus Böhmen sah es schon vor Grenzflächen zwischen Festkörpern und ihrer Nanokosmos pflanzlicher und tierischer Oberflä- einem Jahrhundert als unumgänglich an, die gasförmigen oder flüssigen Umgebung weisen Einsichten durch Aufsichten chen war geebnet. Es eröffnete sich der Blick auf nötigen Präparate bereits vor dem Unterricht fer- oftmals erstaunliche Eigenschaften auf. Diesen Mikroskope ermöglichen uns faszinierende Ein- eine beeindruckende strukturelle Diversität ver-

tigzustellen. Ferner ist es notwendig, daß sich der Eigenschaften auf die Schliche zu kommen, ist blicke in die Strukturvielfalt biologischer Grenz- schiedenster Grenzflächen. Eine Vielfalt an Zell- Lehrer von jedem Präparat vor dem Unterricht auf Ziel vieler physikalischer und chemischer Unter- flächen. Die Lichtmikroskopie verhalf dabei zu ! einem Papierblatte eine kleine Skizze entworfen suchungen, die sich mit den atomaren und mo- ersten Erkenntnissen über die Beschaffenheit von Seite 8 hat ( . . . ) . Doch welcher Biologielehrer benutzt heute daheim regelmäßig ein Mikroskop? Wer nimmt sich nötigenfalls ein Gerät aus der Schule mit nach Hause und bereitet den Unterricht an diesem Gebiet so gründlich vor wie für andere Themen? Indes: Nur wenn die Lehrkraft vor dem Unterricht aus eigener Anschauung weiß, was das Mikroskop zeigen wird und was nicht, kann eine Mikroskopierstunde effizient und stressfrei gelin- gen. Dabei verlangt ein erfolgreicher Umgang mit dem Mikroskop den Pädagogen keineswegs professi- onelle Fertigkeiten ab. Vergleichen wir es mit den Autofahren: Man muss den Motor richtig bedie- nen, die Verkehrsregeln beachten und die Fahrt- route kennen. Ein entsprechender Triathlon ist die Mikroskopie, wo es gilt, das Instrument rich- tig zu bedienen, geeignete Präparate herzustel- len und über biologische Grundkenntnisse zu verfügen. Im Übrigen unterscheidet auch hier die Übung den Anfänger vom sicheren Teilnehmer. Mit der Übung stellt sich auch bald der nötige fachliche Überblick ein. Dann tut sich ein weites Betätigungsfeld für die Anwendung des Mikros- kops in allen Klassenstufen auf.

So kann Schulmikroskopie begeistern Beispielsweise können schulnahe Biotope zum Galapagos vor der Schultür werden – dazu ge- nügen bereits ein Tümpel in der Nähe oder die Die Lotusblume: Strukturierte Oberfläche mit selbstreinigendem Effekt. Foto: Wilhelm Barthlott, Bonn kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 8

Nanostrukturen zum Vorschein, die sich im Lau- rollt von der Oberfläche ab. Pathogene (Bakteri- Markteinführung wurde sie bereits auf bis zu ! Fortsetzung von Seite 7 fe von Millionen von Jahren der Evolution opti- en) sowie Schmutzpartikel, die ebenso auf der 500.000 Gebäuden erfolgreich verwendet, wie Wege in den Nanokosmos miert haben. Weitere Arbeiten enthüllen den be- Oberfläche liegen, werden vom Wassertropfen zum Beispiel auf einem großen Teil der Gebäu- eindruckenden Zusammenhang zwischen Che- mitgerissen und von der Grenzfläche entfernt. de des Nikolai-Viertels in Berlin-Mitte. Mikros- formen, Ausstülpungen, Fältelung und Auflage- mie, Ultrastruktur, Benetzbarkeit und Verschmutz- Neben diesem Effekt beinhaltet der Aufbau wei- kopische Erkenntnisse weisen uns damit beein- rungen, die zur Ausbildung hoch komplexer barkeit von Grenzflächen. Diese Oberflächen tere Vorteile. Mikrostrukturen können das Reflek- druckend den Weg in das Inspirationsreservoir Oberflächen führte. weisen ein fein austariertes System verschiede- tionsverhalten der Sonnenstrahlung und die des Mikrokosmos. Aber noch Faszinierenderes kam zum Vorschein. ner Strukturparameter auf. Dabei bilden Ausstül- Konvektion (Luftströmung) auf den pflanzlichen Natürlich können die biologischen Strukturen Einige pflanzliche Oberflächen wiesen einen pungen der äußersten Pflanzenzellen eine Grob- und tierischen Oberflächen beeinflussen und nicht 1:1 in eine praktische Anwendung über- unglaublichen Schmutz und Wasser abweisen- struktur, die wiederum von einer Wasser abwei- lassen so multifunktionale Grenzflächen entste- tragen werden. In der Bionik – einer Fachrich- den Effekt auf. Als Beispiel einer solchen hoch senden Feinstruktur überzogen wird. Diese Fein- hen. tung, die Biologie mit Technik verknüpft, wird aber komplexen und zudem multifunktionalen Ober- struktur wird von einer Vielfalt aufgelagerter versucht, Konstruktionsprinzipien der Natur zu fläche, dienen die Blätter der Heiligen Lotusblu- Wachskristalle gebildet. Röhrchen, Platten und Aktuelle Forschungsdisziplin Bionik erkennen und derart zu modifizieren, dass sie me, die in asiatischen Religionen als Symbol der Plättchen, Stäbchen, Granula und Fäden; dem Die Tatsache, dass der Selbstreinigungseffekt auf technisch einsetzbar werden. Die ausgefeilten Reinheit gilt. Ihre Blätter entfalten sich makellos Ideenreichtum sind dabei keine Grenzen gesetzt. physikalischen und chemischen Eigenschaften Systeme, die sich in der Natur während Millio- sauber aus dem Schlamm der Gewässer. Diese Aber wie funktioniert die Selbstreinigung? Was- beruht, ist die Grundvoraussetzung für eine er- nen von Jahren entwickelt und bewährt haben, Eigenschaft der Selbstreinigung ist Gegenstand sertropfen wie auch Schmutzpartikel liegen auf folgreiche Übertragung in die Technik. Aus den können hierbei als hervorragende Vorlage die- detaillierter Untersuchungen über die vielfälti- den Wasser abweisenden Strukturen wie ein Fa- gewonnenen Erkenntnissen konnte Anfang der nen. gen Strategien der Natur, sich vor Verschmutzun- kir auf dem Nagelbrett. Dadurch ist die Auflage- 90er Jahre das erste technische Produkt unter gen und pathogenem Befall zu schützen. fläche um bis zu 99 Prozent minimiert, und die dem Markennamen Lotus-Effect® auf den Markt PROF. DR. WILHELM BARTHLOTT UND ANNA Anhaftungskräfte des Tropfens auf der Oberflä- gebracht werden: Die Fassadenfarbe Lotusan der JULIA SCHULTE SIND AM NEES-INSTITUT FÜR Lotoseffekt: Was verbirgt sich dahinter? che werden stark verringert. Aufgrund dieser Tat- Firma Sto. Dabei handelt es sich um eine Sili- BIODIVERSITÄT DER PFLANZEN DER RHEINI- Bei genauerer Betrachtung dieses Phänomens im sache und der Oberflächenspannung des Was- konharzfarbe, die sich bei regnerischem Wetter SCHEN FRIEDRICH-WILHELMS-UNIVERSITÄT Rasterelektronenmikroskop kommen Mikro- und sers formt sich der Tropfen zu einer Kugel und selbst von Verschmutzungen reinigt. Seit ihrer BONN TÄTIG

Hautgeschichten – Hauttopographie Zane Berzina Wissenschaftliche Fotografie als Medium zur Entwicklung des Organs

Die Wissenschaft der Biologie erreicht un- serer tägliches Leben. Sie zwingt uns zur Bewertung aller jener Bezeichnungen, die für unserer Leben und Selbstvertrauen we- sentlich sind: Beschaffenheit, Persönlichkeit, Identität, Gesundheit, Körper, Natur, Schick- sal, Schuld. Selbstverständlich ändert sich im Zeitalter der künstlichen Zellen und der optimalisierten Organismen die Art, das Leben zu betrachten. Traditionelle Grenzen verschwinden. Gene und Organe werden transferiert und ausgetauscht. Organische Gewebe werden in Labors gezüchtet. Kyber- netische Forschung wird immer komplexer; technologische und menschliche Systeme bewegen sich näher und näher einander zu, so dass es in zunehmendem Maße schwieri- ger wird, zwischen ihnen zu unterscheiden.

Hinsichtlich dieses kulturellen Kontextes, und nachdem ich die Haut als Oberfläche während meines Projektes „Tattoos“ studiert hatte, sah ich eine Notwendigkeit, den folgenden Schritt in die „Tiefe“ der Haut zu unternehmen. Durch die Nutzung von medizinischen Untersuchungsme- thoden habe ich die Schichten und die Funktio- nen der Epidermis mit dem Ziel erforscht, diese Phänomene für meine künstlerische Praxis zu analysieren. Ich habe die anatomischen Struktu- ren und die Beschaffenheit des menschlichen Hautgewebes mit Hilfe moderner mikroskopi- scher Technologien dargestellt. Die Resultate habe ich in Form von wissenschaftlichen Fotos und Videos dokumentiert. Die Auswahl der er- fassten visuellen Materialien bilden die Grund- lage und die Bezüge für meine kreative Arbeit. In Zusammenarbeit mit Biologen und mit Hilfe neuer Technologien in meiner praxisorientierten Strukturgefüge der Oberfläche menschlicher Haut. Foto: Zane Bçrziòa, London Forschung wurde das Projekt ins Leben gerufen. Diese Forschung analysiert, wie wissenschaftli- absichtlich als Medium genutzt, um jene Objek- Informationen der Hautgewebestudien. Die Qua- Haut-Charts I und II che Gedanken zeitgenössische Kunst und Design tivität – oder im Gegenteil jene Subjektivität – litäten der Haut wurden in drei Kategorien ein- In zwei Installationen werden die Hautoberflä- beeinflussen und umgekehrt, wie Kunst- und eines so persönlichen und intimen Organs wie geteilt, nämlich: Gedächtnis und Identität, Reiz- chen von Menschen verschiedener Rasse, Alter Designpraktiker das Potential haben, wissen- der menschlichen Haut zu analysieren. aufnahme und Kommunikation, Schutz und Kom- und Geschlecht untersucht. Für beide Installa- schaftliche Prozesse zu beeinflussen. Diese Forschung wurde teilweise in einem Labor fort. Diese werden durch die Verwendung ver- tionen wurden von Freiwilligen Negativabdrü- Für das Projekt „Hautgeschichten – Hauttopogra- durchgeführt, um die anatomischen Strukturen schiedener textil-bezogener Technologien und cke der verhornten Epidermisschicht der Haut phie“ habe ich die wissenschaftliche Fotografie und Texturen der menschlichen Haut mit wissen- Eigenschaften bestimmter Materialien auf mei- abgenommen, so genannte Haut-Impressionen. schaftlichen mikroskopischen Darstellungsme- ne Textil-Interpretationen übertragen. Diese wurden mit einem Lichtmikroskop oder thoden abzubilden. Insbesondere wurden Lupe, Die natürlicherweise interaktive und multifunkti- einer Lupe fotografiert. Mit dieser nicht-invasi- Mikroskopie in der Textilkunst Lichtmikroskop und Rasterelektronenmikroskop onale „Technologie“ unserer Haut hat diese For- ven Methoden kann die Topografie der Haut Zuweilen dient die Mikroskopie nicht nur dem verwendet. Zusätzlich zur Herausforderung des schung und meine Studio-Praxis beflügelt, indem analysiert werden. Die Negativabdrücke der wissenschaftlichen Wissensgewinn oder dem Entdeckens und Verstehens des komplexen Auf- sie Mittel vorgeschlagen hat, wie die ursprüngli- Haut sind transparent und farblos, doch durch Spaß an Naturbeobachtungen, sondern inspi- baus der menschlichen Haut war ich als Desig- che biologische Information am besten interpre- verschiedene Beleuchtungsbedingungen war es riert auch Künstler. Im vorliegenden Fall hat nerin und Künstlerin ebenso daran interessiert, tiert werden kann. Zum Beispiel wird die sensori- möglich, verschiedenste Bildeindrücke zu erzeu- eine Textilkünstlerin die menschliche Haut als die Vergrößerungsmöglichkeiten als spezielles sche Information der Außenwelt durch die Haut gen. Objekt entdeckt und in Kunst- und Gebrauchs- Werkzeug für ästhetische Entscheidungen der il- aufgenommen und in Form von elektrischen Im- Für die Bilderserie Haut-Charts II wurden zusätz- objekte umgesetzt. Zane Berzina, geboren lustrierender Interpretationen einer speziellen pulsen an das Gehirn weitergeleitet. Dieser bio- lich zu den Negativabdrücken histologische Haut- 1971 in Riga (Lettland), studierte Textilkunst in biologischen Art zu nutzen. logische Mechanismus legte die Verwendung ei- präparate verwendet, um die Struktur oder Ar- Riga, Helsinki sowie Berlin und promovierte im Durch Veränderung der Lichtbedingungen, Wech- nes elektrischen Stroms als Hauptstimulus für be- chitektur der Haut zu untersuchen. Die Präpara- Jahr 2004 am London College of Fashion, Uni- sel der Objektive und Manipulierung der end- stimmte abzulaufende Prozesse in meiner Arbeit te zeigten Quer-, Tangential- und Sagittalschnit- versity of the Arts, zum Dr. phil. Seit 1993 prä- gültigen Darstellung wird das Bild entsprechend nahe, um die Interaktivität der textilen Membra- te der menschlichen Haut von Kopf, Armbeuge, sentiert sie ihre Werke in Ausstellungen und der subjektiven ästhetischen Überzeugung ge- nen zu unterstützen. Ich wählte also die Elektrizi- Lippen und anderen nicht spezifizierten Regio- hat bereits etliche Auszeichnungen erhalten. schaffen. Dies könnte dazu führen, die Verläss- tät als Werkzeug, die Textilien zu beleben und nen. Das abgedruckte Bild zeigt einen Ausschnitt aus lichkeit der visuellen wissenschaftlichen Informa- ahmte so ein funktionierendes Nervensystem Diese ermöglichten eine Innenansicht der Kon- ihrem Projekt „Hauttopographie“ vorgestellt. tion in Frage zu stellen. Trotz seiner wissenschaft- nach. In ein Großteil des neuen Textilsystems wur- struktion und Organisation der Hautschichten Ein umfassenderes Bild ihrer Arbeiten zu die- lichen Herkunft zeigt das Mikroskop nicht not- de flexible Elektronik eingearbeitet. Dazu wurden und ihrer Komponenten. In weiteren Installatio- sem Thema zeigt der Ausstellungskatalog „Skin wendigerweise die „Wahrheit“. Es vergrößert verschiedene Fasersysteme und Herstellungswei- nen wurden die Muster und Strukturen der Haut Stories II, Archaeology of Skin“ auf, der vom Objektstrukturen und – wenn die visuelle Infor- sen verwendet, die leitende und halbleitende Ei- auf Textilien übertragen. Foreign Art Museum, Riga, Lettland, und Bri- mation aus dem Kontext genommen wird – genschaften besaßen beziehungsweise erzeugten. tish Council, UK, publiziert wurde. schafft es eine Abstraktion. Diese können in ein Textilsystem aus traditionel- DIE VERFASSERIN IST RESEARCH FELLOW AM Redaktion MIKROKOSMOS Die Übertragung hautähnlicher Eigenschaften in len Technologien wie Stickerei, Näherei und We- GOLDSMITHS COLLEGE, UNIVERSITY OF LON- die Terminologie der Textilbranche basiert auf den berei übertragen werden. DON, LONDON kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 9

Kann man davon leben? Klaus Hausmann Mikroskopie und Mikrofotografie Es klingt zunächst eher abwegig, allein mit der Mikroskopie, die viele als Hobby betrei- ben, den Lebensunterhalt verdienen zu wol- len. Nichtsdestoweniger gelingt dies bei- spielsweise seit über 10 Jahren der Biolo- gin Nicole Ottawa und dem Fotografen Oli- ver Meckes in Reutlingenund seit fast einem halben Jahrhundert dem Institut für wissen- schaftliche Fotografie Kage in Weißenstein.

Die Reutlinger Mikro-Foto-Schmiede Eine passable Ausstattung an Technik und deren sorgfältige Wartung, das Erkennen eines Bedarfs auf dem Markt bei der Erstellung von Archivauf- nahmen – wie beispielsweise die wiederkehren- den Themen Pollen, Bakterien, Immunsystem, Hausstaubmilben – und das Streben nach Perfek- tion und höchster Ästhetik in der Bildgestaltung, also die Schaffung einer eigenen Handschrift, stel- len das Grundgerüst dar. Kennen gelernt haben sich die beiden 1993 bei der Arbeit auf Schloss Weissenstein, im Institut für wissenschaftliche Fotografie, bei Manfred Kage. Von dem wird gleich die Rede sein. Die Biologin Ottawa mit dem Interesse an der Fotografie und der Fotograf Meckes mit dem Interesse an den Naturwissenschaften gründeten 1995 in Reutlin- gen die Firma eye of science (www. Ameise mit Zahnrad. Foto: Christina und Manfred Kage, Schloss Weissenstein Portrait einer Fliegenmade. Foto: eye of science, Reutlingen eyeofscience.de). Das Ziel ist es, wissenschaftlich korrekte und gleichermaßen ästhetische Bilder zu in Arbeit sind neben anderen Projekten die The- betagte Geräte, die wahrscheinlich aus irgend- Alltag nicht mehr wegzudenkenden Chips, wur- schaffen, die dem Laien die Wissenschaft verständ- men Neue Werkstoffe, Staub und wieder einmal welchen Nachlässen stammen, die aber in einem den in Kooperation mit Konzernen wie IBM reali- lich machen und anschaulich näher bringen. Parasiten. absoluten Topzustand sind und jederzeit für pro- siert. Für die Existenzgründung wurden nach langer 2002 erschien in Zusammenarbeit mit GEO das fessionelle Arbeit vom Feinsten eingesetzt werden Über die Erstellung von Mikrofotos hinaus hat sich Suche ein gebrauchtes Rasterelektronenmikroskop Buch Die fantastische Welt des Unsichtbaren. Auf können. Es finden sich dort Systeme und Techno- das Institut Kage bereits zu Zeiten, als die heutzu- (REM), ein Fotomikroskop und eine Stereolupe er- rund 200 Seiten kann in Ruhe die unerschöpflich logien, die heutzutage nirgendwo mehr käuflich tage vergessene U-Matic-Technologie das Non- worben. Die Computer hatten zu dieser Zeit gera- erscheinende Erfindungslust der Natur betrachtet erworben werden können, und die auch kaum plusultra für Videoaufzeichnungen bedeutete, en- de eine Kapazität erreicht, die es erlaubte, hoch- werden. Das Kinderbuch Der Mikrokosmos für Kin- noch jemand zu bedienen in der Lage ist. Im Kage- gagiert und ein eigenes Aufnahmestudio dafür wertige, professionelle Bilddaten zu verarbeiten. So der erklärt wurde 2004 für den deutschen Kinder- Schloss ist es möglich. Und es gibt zahllose Schrän- aufgebaut, Videografien höchster Qualität herzu- konnten die Bilder, die am digitalisierten Elektro- buchpreis in der Kategorie Sachbuch nominiert (es ke und Vitrinen, die reinste Fundgruben für opti- stellen. Unterdessen sind diese Dokumente in die nenmikroskop erzeugt wurden, in bester Qualität ist inzwischen leider vergriffen). Bilder leben sches Zubehör sind. Selbstredend finden sich Fo- heutzutage üblichen elektronischen Dateiforma- koloriert werden. Vor dieser Zeit wurde die Kolo- davon, dass sie gesehen werden! So erscheinen todunkelkammern, welche für die Herstellung von te überführt worden. Sie werden immer wieder in rierung von REM-Aufnahmen von Hand mit Eiweiß- seit 1997 in unregelmäßiger Folge Industrie-Wer- Farbfotos im Quadratmeterformat ausgerüstet diversen Fernsehproduktionen, wenn es um die Lasurfarben, durch Farbfilter im Mikroskopsystem bekalender, und seit 2002 ist zudem ein großfor- sind, was heutzutage, in der digitalen Ära aller- Visualisierung bestimmter Vorgänge in der mikro- oder unter höchst zeitintensivem Aufwand in der matiger Kalender mit dem Titel Verborgene Wel- dings nicht mehr so gefragt ist, wie seinerzeit. skopischen Dimension geht, eingesetzt. Basierend Dunkelkammer vorgenommen. Die Ergebnisse ten mit 12 ausgewählten Motiven im Handel er- Selbst eine voll eingerichtete Feinmechaniker- auf diesem Material gibt es auch eine ansehnli- konnten sich bis maximal halbseitiger Abbildung hältlich. Das ständig wachsende Bildarchiv wird werkstatt für die Reparatur und Neuentwicklun- che Anzahl von Filmproduktionen für Promotion- sehen lassen und waren seinerzeit revolutionär. in Deutschland von der Bildagentur Focus in Ham- gen von Mikroskopkomponenten steht zur Verfü- Aktivitäten, aber auch für wissenschaftliche Be- eye of science betrat also Mitte der neunziger Jah- burg betreut. Im internationalen Bereich kümmern gung. lange. So produzierten Christina und Manfred re mit der speziellen Zielsetzung, computergene- sich SPL (Science Photo Library) mit Sitz in London Nun ist es aber nicht so, dass man im Institut für Kage beispielsweise die DVD The Secret World of rierte Kolorierungen primär von REM-Bildern vor- und Photo Researchers in New York um die Ver- wissenschaftliche Mikroskopie nur von antiken Protists für die Eröffnungszeremonie der 25-jähri- zunehmen, Neuland. Nicole Ottawa und Oliver gabe von Bildrechten. Gerätschaften umgeben ist. Ganz und gar nicht. gen Jubiläumstagung der Deutschen Gesellschaft Meckes mussten den Pinsel und das Fotopapier Die Arbeit wurde schon mehrfach international Selbstredend finden sich gleichermaßen Mikro- für Protozoologie in Berlin. gegen eine Computermaus und einen Bildschirm prämiert, Platzierungen gelangen beim World skoptypen der aktuellsten Generation und der Selbstverständlich ist das seit langen Jahren in- eintauschen. Die Entwicklung der Technik schritt Press Photo Award, und 2002 wurden die Mikro- höchsten Qualitätsklasse. Und natürlich hat auch ternational anerkannte Kage-Familienunterneh- zügig voran, und die Maus wich bald dem Art Pad fotografen mit dem in der Szene hoch angesehe- hier seit geraumer Zeit die digitale Fotografie und men für seine Leistungen mit einer Vielzahl von und dem digitalen Zeichenstift. Auch die Qualität nen Lennart Nilsson Award ausgezeichnet. In Bildbearbeitungstechnik Einzug gehalten. Die Preisen gewürdigt worden. Es würde den Rahmen der Bilder konnte im Lauf der Jahre noch weiter Kunstkreisen gewinnen die Aufnahmen immer Dunkelkammern sind weitestgehend von Hoch- dieser Zusammenstellung sprengen, alle Ehrun- gesteigert werden. Die Dateien sind heute bis zu mehr Bewunderer. Eine Ausstellung mit ausge- leistungscomputern abgelöst worden. gen aufzulisten. So sei nur stellvertretend erwähnt, sechsmal größer als zur Gründungszeit. Die Aus- wählten Arbeiten im Quadratmeterformat besticht Das Rasterelektronenmikroskop ist mehr oder dass das Institut für wissenschaftliche Fotografie stattung des Mikroskops mit speziellen Detekto- durch farbliche Brillanz und räumliche Tiefe. Nach minder seit Anbeginn der Arbeiten im Schloss ein im vergangenen Jahr den angesehenen, hoch ren ermöglichte eine der Fotografie ähnliche Bild- Ausstellungsorten wie Hamburg, Konstanz, Mann- zentrales Arbeitsgerät gewesen. Es war Manfred dotierten ersten Preis des Fotowettbewerbs „Bil- wirkung und verschaffte den Bildern einen noch heim, Paris, Schleswig und Stuttgart sind die Bil- Kage, der damals, als noch alle Fotos das REM in der der Forschung 2006“, Kategorie „Faszination realistischeren Eindruck. Inzwischen konnte das der nun in Belgien im Kulturzentrum Knokke-He- Grautönen verließen, den Schritt gewagt hat, Far- Forschung“, gewonnen hat. Dieser Wettbewerb Inventar auf zwei Rasterelektronenmikroskope und ist zu sehen. be in die Ojekte zu bringen. Er schaffte es wird vom Nachrichtenmagazin FOCUS und dem mehrere Computer für die digitale Nachbereitung Und die Zukunft? Das Material wird uns nicht aus- seinerzeit, durch die Entwicklung eines Gamma- Verband Forschender Arzneimittelhersteller aus- der Bilder aufgestockt werden, und eine Mitarbei- gehen! Eher die Zeit es zu fotografieren, stellen Diskriminators und Einfügung von Farbfiltern in geschrieben. terin in Sachen Bildbearbeitung erweiterte das Nicole Ottawa und Oliver Meckes fest. Soweit zu den REM-Strahlengang das zu verwirklichen, was kreative Team. den seit rund einer Dekade erfolgreichen Reutlin- er dann REM-Color nannte. Heutzutage gehört die Der Kreis schließt sich Grundsätzlich kann alles das mikroskopisch dar- ger Unternehmern in Sachen Mikrofotografie. Kolorierung von REM-Bildern zum Alltagsgeschäft In dieser Umgebung haben also Nicole Ottawa gestellt werden, was klein genug für die Proben- der Bildschaffenden. Damals war es absolute Pio- und Oliver Meckes gelernt und erfahren, was kammern des REMs ist. Die ersten Proben waren Wissenschaftliche Mikrofotografie im Kage- nierarbeit, wie es bei so vielen von Manfed Kages machbar ist, was man auf dem mikroskopischen Pollen, die eigenen Gartenkräuter (eine Bildge- Schloss Innovationen der Fall ist. Gebiet erreichen kann und welche Qualität pro- schichte, die für GEO produziert wurde) oder Bak- Auf einen ungleich längeren Zeitraum blickt Man- Es würde den Rahmen dieser knappen Zusammen- duziert werden muss, um erfolgreich zu sein. Da- terienproben, die im Stuttgarter Gesundheitsamt fred Kage zurück. Vor fast 50 Jahren hat sich der stellung sprengen, auf all das einzugehen, was mit schließt sich der Kreis. Wir kommen zurück besorgt werden konnten. Im Laufe der Jahre hat gelernte Chemielaborant für die professionelle im Schloss in den Jahren seiner Tätigkeit entstan- nach Reutlingen in die Firmenräume von eye of sich der Arbeitsbereich auf Medizin, Technik so- Beschäftigung mit der Mikrofotografie entschie- den ist. Daher seien nur ein paar Highlights er- science, die sicherlich nüchterner und überschau- wie Chemie und Pharmazie – eben Naturwissen- den. Was in einer Mietwohnung in Winnenden wähnt. Manfred Kage und seine ebenso in die Fir- barer sind als die vielen Zimmerfluchten im Kage- schaft im weitesten Sinne – ausgedehnt. (Württemberg) 1959 begann, wurde 1972 im ma involvierte Frau gehörten seinerzeit zu den Schloss. Aber der Anspruch der absoluten Topqua- Die Vorgehensweise besteht prinzipiell immer aus Schloss Weissenstein, Lauterstein, fortgesetzt. Von ersten, die für Lichtboxen, welche anlässlich di- lität der Arbeit gilt hier genauso wie dort als Ma- denselben Schritten: Probenbeschaffung, Sichtung einem kaum nachvollziehbaren Enthusiasmus verser Fachmessen mit Diapositiven von nur mi- xime. Und das ist letztendlich der Garant dafür, mit dem Stereomikroskop, Fixierung, Entwässe- getrieben baute Kage, der sich den größten Teil kroskopisch erkennbaren Kristallstrukturen che- sich im heiß umkämpften Markt der professionel- rung, Trocknung, Vergolden für die elektrische Leit- seiner Optik- und Mikroskopierkenntnisse im mischer Substanzen im DIN A0-Format und grö- len, kommerziellen Mikrofotografie behaupten zu fähigkeit, Fotografieren. Dann folgt die meist sehr Selbststudium erarbeitete, in diesem über 500 ßer bestückt wurden, die Bildvorlagen lieferten. können. zeitaufwändige digitale Nachbearbeitung am Jahre alten Gebäude sukzessiv eine unglaublich Sie zählten zu den Pionieren der Multi-Monitor- Der Markt für solche Top-Fotografen ist weltweit Rechner. Für ein gelungenes Shooting geht schnell vielseitige Institution für Mikrofotografie auf. Hier Schauwände, die vor vielen Jahren große Beach- gesehen nicht sehr groß. Betrachtet man die ak- eine Woche dahin. findet sich eine Vielzahl an mikrofotografischen tung fanden, und die sie mit Mikrofotos edelster tuelle Situation, wird man schnell merken, dass Anfangs waren die Auftraggeber Schulbuchverla- Einrichtungen, und wenn man es nicht selbst ge- Qualität ausstatteten. Sicher, das ist heute Schnee es da nur Platz für einige wenige gibt. Diese we- ge und naturwissenschaftlich oder medizinisch sehen hat, glaubt man kaum dem, was man in von gestern, galt aber damals als absolute Spit- nigen müssen absolute Spitzenprodukte abliefern, orientierte Zeitschriften. Inzwischen reicht die Lis- der Branche zu erzählen weiß, und was im Inter- zenleistung. was die meisten Knipser von Mikrofotos, um das te der Auftraggeber von A wie Arte, B wie BASF net nachzulesen ist (institut-kage.com). Man muss eigentlich nicht gesondert erwähnen, einmal so despektierlich zu sagen, zu leisten ganz über G wie GEO, S wie Science bis hin zu Z wie Will man im Kage-Unternehmen von einer Mi- dass die Kage-Produktionen in zahllosen Schul- und gar nicht in der Lage sind. An der Spitze die- ZDF. Bakterien werden genauso respektvoll be- kroskopierart auf die nächste wechseln, wird nicht büchern dazu beigetragen haben und immer noch ser steilen Qualitäts-Pyramide stehen neben ei- handelt und unter die Lupe genommen wie Mi- etwa ein Mikroskop umgerüstet, sondern man beitragen, für diesen Bereich die Darstellung der nigen wenigen anderen zweifelsfrei das Institut für krochips, Teile des menschlichen Körpers, Parasi- wechselt schlichtweg den Arbeitsplatz, geht also mikroskopischen Dimension adäquat und zeitge- wissenschaftliche Fotografie in Schloss Weissenst- ten oder einfach die heimischen Stubenfliegen. zum nächsten Mikroskop. Und zum nächsten. Und recht wiederzugeben. Darüber hinausgehende ein und die Firma eye of science in Reutlingen. Bislang gab es Bildreportagen zu den Themen zum nächsten. Und zum nächsten. Woher alle die- Buchproduktionen beispielsweise über die mikro- Heilpflanzen, Parasiten, Bionik, Schleimpilze, Na- se Instrumente stammen könnten, wird bei einem skopische Facette der Herstellung von integrier- DER VERFASSER IST HERAUSGEBER DES MIKRO- notechnologie, um nur einige zu nennen. Zurzeit flüchtigen Besuch nicht klar. Teilweise sind es sehr ten Schaltkreisen, also der in unserem heutigen KOSMOS, BERLIN kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 10

Rasterungen des Mikroskopischen Olaf Breidbach Bemerkungen zu Claudia Fährenkempers Bildserien

Der Mikrokosmos fasziniert seit der Erfindung Wissenschaftsauffassung, wie sie um 1900 der des Mikroskops. Schon Robert Hooke (1635– Biologe Ernst Haeckel vertrat, der die Biologie im 1702) suchte in ihm die analoge Welt des noch Wesentlichen als deskriptive Wissenschaft sah, nicht Erwachsenen, in dem sich im Kleinen das gewinnen solche Fotografien besondere Bedeu- Große fing. Entdeckt wurden dann aber neue tung, erweitern sie in ihren technischen Möglich- Dinge. Der Mikroskopist Robert Hooke schrieb keiten doch das Abbild der mit dem Auge direkt so denn auch im Vorwort seiner Micrographia wahrzunehmenden Natur auf der Ebene einer (1665): And it is my hope, as well as belief, technisch erfahrenen Bildwirklichkeit, in der dann that these my Labours will be no more compa- Neues zu entdecken und ins Bild zu bringen ist. rable to the Productions of many other Natural Andererseits aber – und das zeigt sich gerade an Philosophers, who are now every where busie Haeckel – sind solche Naturbilder nicht einfach about greater things; then my little Objects are nur neue, durch die Entwicklung der biologischen to be compar’d to the greater and more beau- Sichtungsverfahren ermöglichte Abbildung von tiful Works of Nature, A Flea, a Mite, a Gnat, to bisher Unbekanntem. Dieses Unbekannte gerinnt an Horse, an Elephant, or a Lyon. Das Kleine in diesen Bildern in bekannte Formen, es wird wurde ihm im Bild dann auch groß. Der Floh schon in der Bildauswahl, in der Kontrastierung derart in Vergrößerung gesehen, wurde so und in der Fokussierung des jeweiligen Blickes auch in dieser Art vergrößert umzeichnet: Die nach bekannten Bildmustern gearbeitet. Bei Hae- entsprechende Darstellung war ein Bild zum ckel und dessen Umfeld verweisen die Abbildun- Ausfalten, in dem nun in der Tat der Floh zum gen so denn auch noch direkt auf die ästhetische Elefanten mutiert schien. Das Kleine wird groß, Kultur des feudalen Salons des 18. Jahrhunderts. selbst wenn es sich um einen Parasiten han- Das Mikroskop war dort Teil eines ästhetischen delt: The strength and beauty of this small cre- Interieurs (Sammler dieser guten alten Messing- ature, had it no other relation at all to man, Stücke zehren noch heute davon), war aber nicht would deserve a description. Weltsichten sind nur als Möbelstück anzuschauen, sondern war eben – das zeigt schon Hooke – immer auch zugleich und immer auch ein Instrument, das neue Ansichten. Anschauungen ermöglichte. Die in diesem zu fin- denden Abbildungen des Naturalen waren Be- Es fängt ein, was uns sichtbar war. Sichtbar ist uns standteil einer Naturornamentik, in der sich die das, was wir wissen. In der Zeichnung wird denn äußere Form und das in ihr repräsentierte Bild auch das, was wir wissen, betont. Im mechanisch zwanglos in eins fanden. Es interessierten damit reproduzierenden Medium der Fotografie scheint gerade solch ornamentale Formen, wie sie in den dies anders. Doch ist auch dies nur ein Anschein. Bildinszenierungen von Claudia Fährenkemper Auch das Foto fixiert Perspektivisierungen, entwi- mit den Mitteln der modernen biowissenschaftli- ckelt Abbildungen, die von einem Interesse be- chen Bildanalyse wieder auffindbar zu sein schei- stimmt und in ihrer Wiedergabe durch ein Interes- nen. Ist damit das Dekorative sanktioniert, wird se strukturiert sind. in der Technik des Rasterelektronenmikroskops die Insoweit kann im Bild etwas aufscheinen, das nicht ästhetische Kultur des 18. Jahrhunderts nach ih- das Ding, sondern unsere Sicht der Dinge auf Cel- rem Umweg über solche Illustratoren wie Ernst luloid bannt. Damit wird dann im Bild unser Bild Haeckel nunmehr endlich auch wissenschaftlich der Dinge in die Welt gesetzt. So findet im Bild- geläutert, oder muss man ausgehend von den von Beine einer Froschlarve. Foto: Claudia Fährenkemper, Werne raum eine eigene Realität ihren Ort. Die Natur ist Claudia Fährenkemper produzierten Bilder nicht in der Kultur des Bildes gefangen, setzt sich dort anders herum fragen? Ist nicht auch das moder- neue Dimension, in der sich die Miniaturen fin- einfach bei den Dingen, sondern zunächst nur im nur insoweit frei, als es der Fotograf erlaubt, und ne wissenschaftliche Bild gerade da, wo es in neue, den, die sonst nur unter dem Mikroskop zu sehen Bild ist. gewinnt da Wirklichkeit, wo sie der Fotograf sieht. bisher unbekannte Dimensionen hineinstößt, sind, das Schwarz-Weiß in seinen harten Kontu- Dabei sind solche Bilder eben nicht einfach Abbil- durch die vormaligen ästhetisch bestimmten Bild- rierungen, das aber dennoch in den Randberei- Bildornamentik dungen, es sind Dokumente eines Verarbeitungs- traditionen gehalten? Rasterelektronenmikroskop- chen nicht überzeichnet ist, gewinnt in den sehr In dieser Entfremdung des Bildes, die so befremd- prozesses. Je komplizierter die technischen Verfah- ische Aufnahme ist eben nicht rasterelektronen- großen Formaten der Bilder von Frau Fährenkem- lich wirkt und gerade in diesem Fremden, das doch ren ihrer Herstellung sind, desto mehr Bedeutung mikroskopische Aufnahme. per einen eigentümlichen beschwörenden Cha- bekannt erscheint, bezaubert, werden die Bilder gewinnen im Bild die Dispositionen, aus denen rakter. In Serie gebracht, werden die Abbildun- von Claudia Fährenkemper auch zu einem Kom- heraus und mit denen ein Bild fabriziert wird. Das Die Kunst der Claudia Fährenkemper gen zu Zeichen, zu Chiffren einer anderen Wirk- mentar der Bildornamentik eines Ernst Haeckel, Lichtmikroskop ist in seinem Grundaufbau noch Das, was von Claudia Fährenkemper ins Bild lichkeit, die sich für den in diesen Dimensionen der in seinen dekorativ gebrochenen Wirklichkeits- eine Art erweiterte Brille. Das Rasterelektronenmik- genommen wird, ist denn auch etwas anderes, eher Unerfahrenen derart als Mikrokosmos, das wahrnehmungen in der Tat noch meinte, das wirk- roskop ist demgegenüber technisch sehr viel avan- als das, was der Biologe wahrnehmen würde. heißt als verkleinerte Welt des Großen, mit dem liche Sein, dessen eigentliche Erscheinung, seine cierter. Im Letzten offeriert es am Ende seines Bild- Claudia Fährenkemper führt uns behutsam in er schon immer umgeht, erschließt. Dabei wird Realität, schön (im Sinne seiner Wahrnehmungs- verarbeitungsprozesses eine Art Tastbild, das aus einen Mikrokosmos von Formen, in dem wir in die an Bekanntes anknüpfende Ornamentik die- kultur) zu sein, darzustellen. einer Fülle von sequentiell erarbeiteten Teileindrü- ihrer In-Blick-Nahme dann auch immer wieder ser Kleinstformen dem ungeübten Sehen zur Stüt- In dieser Abbildung eines Naturschönen steht cken von der Oberflächengestalt eines Objektes in etwas von uns entdecken. Diese Entdeckungen ze. Das Kleinen wird nach den Mustern des Gro- Fährenkemper dann auch in der Traditionslinie einem Rechner zusammengesetzt wird und dann breitet sie vor uns aus. Ihre Bilder, die in ihrer kla- ßen erfahren. Bloßfeld/Renger-Patsch und Carl Struve. Aber ihre nach Maßgabe einer vorher eingestellten Pro- ren Konturierung und ihren wie zufällig gewähl- Nun ist das rasterelektronenmikroskopische Bild Bilder sind schon auf Grund des Mediums, das sie grammierung als Bild auf einem Bildschirm ten Bildausschnitten einen Mikrokosmos umzeich- nicht einfach ein Abbild des Naturalen. Der Pro- nutzt, viel weiter versachlicht als die Darstellun- überhaupt erst aufgebaut wird. nen, der – obwohl er uns eigentlich fremd ist – zess der Bildherstellung ist sehr viel komplizierter. gen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihr doch in allem bekannt zu sein schien, ist mehr als In einem Vakuum wird ein totes, getrocknetes und Medium ist ein Computer, der ein Bild generiert. Wissenschaftliche Illustration die Widerspiegelung des zoologischen, chemi- mit Gold bedampftes Objekt in einen fein fokus- Dieses Bild rekonstruiert er aus den Messungen Mikrofotografien, auch solche, die mittels des Ras- schen oder botanischen Objektes. Die Formen sierten Elektronenstrahl eingebracht. Die Elektro- von Spannungsdifferenzen und Energieprofilen, terelektronenmikroskops erstellt werden, gehören gewinnen dabei in ihrer bei allem Bekannten doch nen schlagen auf dieses Objekt, schlagen dabei aus die bei richtiger Einstellung das in ihnen Darge- zur Praxis der Biologie. Im Zusammenhang einer fremden Gestalt eine eigentümliche Wirkung. Die der Goldhülle Ladungsträger heraus, die nun durch stellte schon im Bild mit einer Aura belegen, die einen Detektor erfasst werden. Die einfallende La- das Objekt in seine neue Bildwirklichkeit einhebt. dung ist umso stärker, je weniger abgeschirmt der Insoweit sind die formvollendeten Mikrofotogra- Kunst und Mikroskopie – Die Fotokünstlerin Claudia Fährenkemper Bereich auf diesem Objekt ist, der von dem Elek- fien von Claudia Fährenkemper im doppelten Sin- Als vor einiger Zeit in der MIKROKOSMOS-Re- Rauxel, Ruhrgebiet, studierte die Künstlerin tronenstrahl erfasst wird. Die Intensität der Detek- ne künstlich. Sie sind es zum einen, da die Moti- daktion ein großformatiger Bildband mit dem zunächst von 1979 bis 1986 an der Universität tion wird nun umgemünzt in die Helligkeit eines vation der Künstlerin eben künstlerisch ist. Zum schlichten Titel Photomicrographs eintraf, wa- Düsseldorf Kunst und Geografie für das Lehr- Lichtpunktes auf einem Bildschirm, der sich entspre- anderen dokumentieren sie nicht, was sich in ih- ren man zunächst nicht sonderlich verblüfft, da amt; das Referendariat absolvierte sie in Krefeld. chend der Bahn, die der Strahl in seinem Abscan- nen darstellt, sie dokumentieren vielmehr, in wel- immer wieder unaufgefordert Bücher, die in das 1987 begann sie dann das Studium der Freien nen des Objektes zurücklegt, zu einem Bild zusam- chen Mitteln sich in ihnen etwas darstellt. Profil der Zeitschrift passen, zur Besprechung Kunst/Fotografie an der Fachhochschule Köln. menfügt. Statt auf den Bildschirm kann die so in- Auf einen ersten Blick wirken Claudia Fährenkem- zugesandt werden. Beim ersten Durchblättern 1989 wechselte sie an die Kunstakademie Düs- duzierte Lichtpunktfolge auch in eine Fotoplatte pers Darstellungen wie der gigantische Floh, den der Photomicrographs und nach der Lektüre ei- seldorf und setzte dort ihr Studium fort. Seit 1996 gebrannt werden, auf der nun ebenfalls Zeile für Robert Hooke in seinem ersten Buch zur Mikros- nes beigefügten Briefes war man dann doch konzentriert sie sich auf die rasterelektronenmik- Zeile ein Bild entsteht. Gewonnen wird so ein Ar- kopie darstellte. Überwältigt von der Vergröße- überrascht. Denn das Buch, das hier vorlag, war roskopische Dimension, nachdem sie sich zuvor tefakt, eine räumlich aufgelöste Registrierung fort- rung des Mikroskops, illustrierte Hooke – wie schon zwar eine Publikation, die einen eindeutigen mit der künstlerischen Darstellung riesiger För- laufender Erregungsschwankungen an einem Elek- angedeutet – seinen Floh denn auch im Maßstab Bezug zur Mikroskopie aufwies, aber auch bei dergeräte im Braunkohlentagebau auseinander- trodenstrahldetektor. seiner virtuellen Präsentation auf einer Tafel im näherem Hinsehen keine wissenschaftliche Pro- gesetzt hatte. Im Zoologischen Forschungsinsti- Die Objekte, die sich hier spiegeln, sind fern von Maßstab DIN A2. blemstellung erkennen ließ. Es war vielmehr das tut und Museum Alexander Koenig in Bonn hat dem, was sie in Wirklichkeit eigentlich sind. Die Claudia Fährenkemper operiert differenzierter. Ergebnis einer Auseinandersetzung speziell mit sie Zugang zu einem Rasterelektronenmikros- unter einer Goldschicht eingebetteten Tiere wir- Es ist nicht die naive Begeisterung, Neues zu se- der rasterelektronenmikroskopischen Dimensi- kop gefunden. 2000 war sie Visiting Artist an der ken denn auch wie mumifizierte Tote. Ihre Reali- hen, es ist vielmehr ein Ausloten der eröffneten on, unter künstlerischen Aspekten gefertigt und University of Canada in Ottawa; heute lebt und tät ist nicht die Realität des Lebens, sie sind redu- Dimensionen, in dem die Künstlerin auch dem zusammengestellt von einer bis dahin der Re- arbeitet sie in Werne und Bonn. ziert auf eine Form, in der ihre Gliedmaßen durch Wissenschaftler etwas zu sagen hat. Gewonnen daktion unbekannten Person namens Claudia Seit 1993 macht sie ihr künstlerisches Werk immer den Trocknungsprozess verdreht, die Oberfläche werden Mikrolandschaften, Fototexturen. Und Fährenkemper. Die Situation war außerge- wieder in Ausstellungen der Öffentlichkeit zugän- eingetrocknet und das Ganze in ein Metall einge- dies ist kein Zufall, sondern die Konsequenz ei- wöhnlich und weckte Neugier. gig; sie kann auf eine beachtliche Anzahl solcher schweißt ist. ner Entwicklung, in der Frau Fährenkemper mit Ein Blick ins Internet schaffte recht bald Klarheit, Events zurückblicken. In die Zukunft schauend ist Das Rasterbild entfremdet das Objekt der Biolo- Aufnahmen der US-amerikanischen Landschaft wer die Autorin des zugesandten Bildbands war, sie derzeitig damit beschäftigt, eine Ausstellung gie vom Leben. Es ist nicht einfach ein Spiegel der reüssierte. Ab 1988 arbeitete sie dann in der Tra-

nämlich die Fotokünstlerin Claudia Fährenkem- zusammenzustellen, die von Mai bis September Lebensformen, es ist ein Konstrukt, in dem Kon- dition der dokumentierenden Kunstfotografie des

per. Das Internet verriet dann natürlich auch sehr dieses Jahres im Kunstmuseum Bonn läuft. traste verteilt sind, die erst sekundär ein Bild ge- Ehepaares Becher im Braunkohlentagebau bei schnell persönliche Lebensdaten und künstleri- nerieren, das dann eine vermeintliche Realität vor Köln. Auch hier wurden und werden ! Landschaf- sche Entwicklungen: Geboren 1959 in Castrop- REDAKTION MIKROKOSMOS Augen stellt. In der Tat findet sich so eine neue Sachlichkeit, in der der Fotograf aber nicht mehr Seite 11 kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 11

stab der Bilder von Claudia Fährenkemper eher gebilde, die Habitate abstecken. Und dann gibt dem nun im Bild beschrieben ist, wie wir in unse- ! Fortsetzung von Seite 10 unwirklichen Lebens. Das Schwarz-Weiß der Auf- es die Außenhaut von Algen, kunstvoll geformte ren Anschauungen auch im wissenschaftlichen nahmen tut ein Übriges, um das Unwirkliche zu Skelette, die im miniaturisierten Blick die Belang- Instrumentarium nur die Bildmuster einer alten ten technisch verformt. Zugleich wirken techni- betonen, was in diesen makellosen Fotoabzügen losigkeit des Kleinen Lügen strafen. Und letztlich Natürlichkeit wiederholen. Die technisch beding- sche Bauwerke wie riesige Organismen. Ab 1994 ins Große gesetzt und damit in der Entdimensio- finden wir Zeugen einer ganz anderen Lebens- te Verfremdung der vormaligen Bildmuster führt beschäftigte sich Claudia Fährenkemper künst- nierung noch einmal verfremdet ist. form: einfache Wirbeltiere. Wir sehen etwas von nicht zu deren Negation, sondern verrät die Tra- lerisch mit der Rasterelektronenmikroskopie. Was erkennen wir hier wieder? Hieronymus Bosch, Fröschen und Froschlarven, die in der Haltung ditionen, mit denen, auch im Unbekannten, der eine Natur oder doch immer wieder nur das Techni- ihrer Hände eine Sprache zu sprechen scheinen, Blick des Betrachters Halt am Bekannten findet. Imago sche einer Weltversicherung, die im Foto eine Ge- die sich uns aber nicht mehr entschlüsselt. Wohl Resultat sind immer Gruppen von Aufnahmen, genwelt zu der Dynamik des Lebendigen einfängt? aber können wird die Linien erkennen, nach de- DER VERFASSER IST DIREKTOR DES INSTITUTS die sie uns auch in dieser Ausstellung zeigt. Be- In ihrem Panzer bilden diese Insekten von Imago nen diese Schrift verfertigt wurde. In Folge ge- FÜR GESCHICHTE DER MEDIZIN, NATURWISSEN- schrieben sei dies nur sehr kurz an der Werk- einen direkten Kontrast zu den Serien mit Kris- setzt, werden dabei für einzelne Gruppen immer SCHAFT UND TECHNIK DER FRIEDRICH-SCHIL- gruppe Imago. Dargestellt sind dort Insekten, tallformationen, die wie mikrogeologische Gebil- wieder Variationen im Wirkgefüge der Lebensfor- LER-UNIVERSITÄT JENA SOWIE DIREKTOR DES Abbilder eines für uns gerade im großen Maß- de wirken. Dazwischen stehen pflanzliche Samen- men demonstriert. Offeriert wird ein Bildtext, in MUSEUMS ERNST-HAECKEL-HAUS, JENA

Mit Superlupen in den Nanokosmos Annett Burzlaff Moderne Methoden der Mikroskopie

In den letzten Jahrzehnten haben Forschungs- folgende Situation vor: Ein Streifen Sonnenlicht fällt zueinander, so gelangt kein Lichtstrahl an unser optisch schneiden. Das Bild wirkt plastisch, als wür- felder wie Biomedizin und Nanotechnologie durch ein Fenster in einen ansonsten abgedunkel- Auge, es sei denn, wir haben ein doppel- de jemand mit einem kräftigen Scheinwerfer das rasante Fortschritte gemacht. Die Mikrosko- ten Raum. Wir selbst stehen im Schatten und schau- brechendes Material, z.B. ein Vitamin-C-Kristall Objekt von links oben beleuchten. Jede Struktur pie hat wesentlichen Anteil an dieser Entwick- en von der Seite in den einfallenden Lichtstrahl. oder einen Gesteinsdünnschliff, unter dem Ob- scheint eine Licht- und eine Schattenseite zu ha- lung, denn sie macht es möglich, das Leben Unser Auge wird nicht vom direkten Licht getrof- jektiv liegen. So genannte doppelbrechende Mate- ben und erweckt damit einen dreidimensionalen der Zelle auf molekularer Ebene zu beobach- fen, dennoch sehen wir klar erkennbar Tausende rialien drehen die Schwingungsrichtung des po- Eindruck in unserem Gehirn. Diese scheinbare ten und Materialien bis auf die Atome zu bli- von Staubpartikeln durch den Sonnenstrahl vor dem larisierten Lichts um 90°. Das derart gedrehte Licht Dreidimensionalität wird durch unterschiedliche cken. Speziell die Lichtmikroskopie hat in den dunkeln Hintergrund des Zimmers schwirren. Die- kann nun den Analysator passieren und trifft auf Brechungsindices innerhalb des Objekts hervor- letzten 20 Jahren das Tor in die Welt der le- se Staubpartikel sind so klein, dass wir sie mit blo- unser Auge. Mit optischen Hilfsplättchen lassen gerufen, ist also kein Ausdruck echter Dreidimen- benden Zelle hinein geöffnet. Wir sind life ßem Auge gar nicht erkennen dürften. Sie streuen sich fantastische Farbeffekte bei doppelbrechen- sionalität. dabei, wenn Zellen miteinander kommunizie- aber das Sonnenlicht in alle Richtungen und somit den Präparaten erzeugen. Diese sehen für den ren, auf ihre Umwelt reagieren und Prozesse auch in unser Auge. Wir sehen also nicht die Parti- naiven Betrachter nur faszinierend schön aus, ge- Fluoreszenzmikroskopie in Gang setzen. In den Materialwissenschaften kel selbst, sondern das von ihnen gestreute Licht. ben den Materialwissenschaftlern aber wertvolle Fluoreszenzmikroskopie lässt sich mit einem Flug hilft uns die Mikroskopie, die atomare Struk- Genau dieser Effekt kommt in der Dunkelfeldmi- Hinweise auf die Beschaffenheit des Objekts. bei Nacht und wolkenlosem Himmel vergleichen. tur von Materie zu verstehen und sie in der kroskopie zum Tragen. Mit einem speziellen Dun- Wenn wir aus dem Flugzeug aus 10.000 Metern Nanotechnologie gezielt zu beeinflussen. Las- kelfeldkondensor erreichen wir eine Beleuchtung, Optisch schneiden – Differentielle Interferenz- Höhe auf die dunkle Erde blicken, sehen wir nichts, sen Sie uns im Folgenden einen Rundflug über die wie die Sonne im dunklen Zimmer zwar das kontrastmikroskopie nach Nomarski (DIK) denn alles ist von gleichförmiger Dunkelheit ver- die klassischen und modernen Methoden der Objekt, nicht aber unser Auge trifft. So erhalten Der differentielle Interferenzkontrast ist ein von schluckt. Nähern wir uns einer Stadt, so sehen wir Mikroskopie unternehmen, dabei dem Leben wir einen schwarzen Hintergrund. Wenn eine Struk- Georges Nomarski entwickeltes optisch aufwändi- nicht ihre Gebäude selbst, sondern die Lichter un- auf die Finger schauen und eintauchen in den tur vom Licht getroffen wird, streut sie es ins Ob- ges Verfahren in der Lichtmikroskopie, das uns be- zähliger Lampen. An den geballten Lichtpunkten Kosmos der Nanopartikel. jektiv und damit in unser Auge. Die Struktur leuch- stechend schöne, scharfe Bilder liefert. Diese Me- können wir eindeutig ausmachen, dass sich dort tet hell auf dunklem Hintergrund, eine Technik, die thode ist hervorragend geeignet, um dickere Ob- unten eine Stadt befindet. Wir sehen vereinzelte Der Klassiker – Die Hellfeldmikroskopie sich Mediziner und Biologen gerne zum Nachweis jekte (Gewebsproben, kleine Organismen aber Lichtpunkte sich zielgerichtet auf bestimmten Bah- Der eine oder andere hat sie in der Schule kennen von Bakterien oder Pilzen in Abstrichen und wäss- auch lebende Zellen oder in der Materialswissen- nen bewegen und schließen daraus, dass dort unten gelernt, die klassische Zwiebelhaut zwischen Deck- rigen Proben oder Materialwissenschaftler zur Dar- schaft komplexe Oberflächenstrukturen) optisch Autos auf einer Straße fahren, obwohl wir eigent- glas und Objektträger gepresst und unters Mikros- stellung kleinster Unebenheiten und Kratzer in dünn zu schneiden. Fast ausschließlich ist die Bild- lich weder die Straße selbst noch die Autos erken- kop gelegt. Mit wenigen Handgriffen ist das Bild Objekten zu Nutze machen. Doch auch die Dun- information sichtbar, die sich in der scharf einge- nen. Ein ähnliches Prinzip verfolgen wir in der Flu- scharf gestellt und das Mikroskop justiert. Schon kelfeldmikroskopie hat ihre Grenzen, denn sie zeigt stellten Ebenen (Fokusebene) befindet. Unscharfe, oreszenzmikroskopie. Die Zelle selbst liegt im Dun- bei geringer Vergrößerung erkennen wir nun Zell- nicht die Strukturen selbst, sondern nur das von nebulöse Information aus darunter oder darüber keln und wir erkennen keine Morphologie in ihr. wände und Zellkerne in der Zwiebelhaut. Der Kon- ihnen gestreute Licht. Welche Methoden gibt es liegenden Ebenen wird kaum abgebildet. Damit Bestimmte markierte Strukturen aber leuchten hell densor des Mikroskops sorgt dafür, dass das Licht sonst noch? erreichen wir eine sehr hohe Detaildarstellung und farbig auf. Zum Beispiel ein großer Zellkern konzentriert auf das Objekt fällt und es optimal feinster Strukturen. Das Prinzip des DIK hier zu er- oder kleinste Vesikel (Membranhohlkugeln, die wie ausleuchtet. Je nach Beschaffenheit des Präpara- Kontrast ohne Färbung – Phasenkontrast- klären, würde den Rahmen des Artikels sprengen. Lieferwagen Substanzen innerhalb der Zelle trans-

tes wirken seine Strukturen mit dem Licht in unter- mikroskopie Daher sei nur so viel gesagt: Die Basis ist ein Pola- portieren). Wie bekommt man nun die Strukturen

schiedlicher Weise zusammen. Lichtdichte Struktu- In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts risationsmikroskop, das in der Kondensorebene und einer Zelle zum Leuchten? Man macht sich zunutze, ren absorbieren das Licht und zeichnen sich dun- entwickelte Frits Zernike die Phasenkontrastmikro- in der hinteren Brennebene des Objektivs mit Pris- dass bestimmte Farbstoffe, wenn man! sie z. B. mit kel gegen den hellen Hintergrund ab. Das Objek- skopie. Eine Phasenkontrasteinrichtung am Mikro- men ausgestattet ist. Sind diese Komponenten kor- Seite 12 tiv fängt diese Information auf und vergrößert sie skop erlaubt es, kontrastarme Objekte wie leben- rekt zu einander justiert, können wir unser Objekt in ein Zwischenbild. Verwenden wir ein Objektiv de Zellen ohne möglicherweise schädigenden Ein- mit dem Vergrößerungsfaktor 20, so sind alle Struk- fluss von Färbungen zu erkennen. Die Technik setzte turen des Objekts im Zwischenbild 20x größer dar- sich so erfolgreich durch, dass Frits Zernike 1953 gestellt. Dieses Zwischenbild greifen wir entweder dafür den Nobelpreis erhielt. Der optische Aufwand mit einer Kamera ab oder/und wir nutzen Okula- dieses Verfahrens ist verhältnismäßig gering, der re, die uns das Bild auf die Netzhaut unseres Au- Kontrastgewinn dafür immens. Man benötigt spe- ges projizieren. Das Okular wirkt wie eine Lupe und zielle Phasenkontrastobjektive und -kondensoren. vergrößert die Struktur aus dem Zwischenbild Der Trick besteht darin, Licht, das am Objekt vorbei beispielsweise um den Faktor 10. Die Zellstruktu- zieht (Hintergrundlicht) vom Licht, das mit der Struk- ren zeichnen sich nun 200x vergrößert dunkel auf tur interagiert optisch zu trennen und getrennt zu hellem Untergrund ab. Daher die Bezeichnung beeinflussen. Dadurch entsteht Kontrast. Präparat- Hellfeldmikroskopie für diese klassische Methode. strukturen (z. B. ein Zellkern) treten dunkel und kon- Sie zeigt in einer sehr einfachen Weise die Haupt- trastreich gegen den gedämpft hellen Untergrund komponenten eines Mikroskops: Die Beleuchtungs- hervor. Dünne, von Natur aus kontrastarme Objek- quelle, den Kondensor zum Bündeln des Lichts, das te (wie lebende Zellen) bekommen einen knackig- Objektiv zur Vergrößerung, die Kamera zur Doku- sichtbaren Kontrast ohne Zusatz von Farbstoffen. mentation und die Okulare zur Projektion auf das Auge. Diese Grundbausteine finden sich in jedem Im Reich der Farben – Polarisationsmikro- Licht- oder Elektronenmikroskop wieder. Doch die skopie Hellfeldmikroskopie stößt schnell an ihre Grenzen: Wir sind umgeben von Lichtwellen der verschie- Lebende Zellen bleiben trotz bis zu 1.000facher densten Wellenlängen (= Farben) und Schwin- Vergrößerung zunächst nahezu unsichtbar. Zellen gungsebenen. Mithilfe eines Polarisationsfilters bestehen zum großen Teil aus Wasser und ihre greifen wir Licht einer einzigen Schwin-gungsebene Bausteine (z. B. Fette, Zucker und Eiweiße) absor- heraus, alle anderen Schwingungsebenen werden bieren kaum Licht. Alle ihre Strukturen wie Zellkern, geblockt. Auf die Weise erhalten wir polarisiertes komplexe Membran- oder Skelettsysteme bleiben Licht. Ein typisches Beispiel aus dem Alltag dafür daher fast unsichtbar. Eine Lösung ist, das Präparat sind Sonnenbrillen, die auf diesem Effekt beru- mit Farbstoffen einzufärben. Ein zellkernspezifischer hen. Da nur noch Licht einer Wellenebene durch Farbstoff kann z.B. in histologischen Schnitten Zell- sie dringt, ist die Intensität des Lichts abge- kerne blau färben. Der Kern absorbiert dann alle schwächt. Gleichzeitig werden unangenehme Re- Farben außer blau. Die blauen Lichtanteile passie- flexionen wie sie uns zum Beispiel beim Autofah- ren das Objekt, der Zellkern erscheint blau und da- ren auf dem Asphalt auffallen, geblockt. Reflexio- mit gut sichtbar auf hellem Grund. Eine lebende Zelle nen sind ihrerseits polarisiert, schwingen in einer einzufärben ist jedoch kritisch, denn wer kann schon anderen Ebene und gelangen deshalb nicht durch genau wissen, wie eine lebende Zelle auf eine Che- das Polarisationsfilter. Wer fotografiert, kennt den mikalie reagiert? Verhält sie sich noch so, wie sie es Einsatz des Polarisationsfilters vor der Linse, um unter normalen Umständen tun würde, oder wird Reflexionen auszuschalten. Ein derartiges Polari- sie vom Farbstoff vergiftet? Was gibt es also für Me- sationsfilter lässt sich auch in der Mikroskopie in thoden, die uns gestatten, lebende Zellen ohne Ein- der Kondensorebene (Polarisator) verwenden. Das färbung im Mikroskop zu erkennen? Objekt wird nun mit polarisiertem Licht bestrahlt. Ein zweites Polarisationsfilter befindet sich im Tu- Dunkelfeldmikroskopie bus des Mikroskops (Analysator), also oberhalb des In der Dunkelfeldmikroskopie machen wir uns ei- Präparates. Stehen diese beiden Filter bezüglich nen alltäglichen Vorgang zu Nutze. Stellen wir uns ihrer Durchlassrichtung in Kreuzstellung Radiolarie im rasterelektronenmikroskopischen Bild. Foto: Klaus Hausmann, Berlin kultur kompetenz bildung politik und kultur • MAI – JUNI 2007 • SEITE 12

scannenden Feldes in Bruchteilen von Sekunden vakuum rastert ein Elektronenstrahl die Oberflä- ! Fortsetzung von Seite 11 vor sich, so dass diese Technik auch hervorragend che des Präparates ab. Die Elektronen treffen auf Artikel Burzlaff zur Betrachtung dynamischer Prozesse an leben- die Goldschicht des Objekts und interagieren in den Zellen geeignet ist. Durch den Wegfall unschar- unterschiedlicher Weise mit ihr. Dabei werden Elek- blauem Licht bestrahlt, grünes Licht aussenden. Der fer Bildinformation liegt das Auflösungsvermögen tronen freigesetzt oder rückgestreut. Detektoren Farbstoff wird dabei durch die Energie des blauen dieser Mikroskopietechnik sehr hoch, unter opti- registrieren die Elektronen und verstärken das Sig- Lichts auf ein höheres Energieniveau gehoben (Ex- malen Bedingungen bei etwa 200 nm (1 Nanome- nal. Synchron zur rasternden Bewegung des Elek- zitation) und verbleibt dort für eine sehr kurze Zeit- ter = 1/100.000 Millimeter). Das heißt, dass die tronenstrahls über das Objekt baut sich zeilenweise spanne (im Pico- oder Nanosekundenbereich). kleinsten erkennbaren Strukturen mindestens ei- das Bild auf einem Monitor auf. Je nach Signalstär- Dann fällt er wieder auf sein niedriges Energieni- nen Abstand von 200 nm haben müssen, damit ke an den Detektoren pro Rasterpunkt gibt es am veau zurück und setzt dabei Energie in verschiede- wir sie als einzelne Objekte sehen (=auflösen) kön- Monitor entsprechend hellere oder dunklere Bild- nen Formen frei (Emission). Ein großer Teil der En- nen und nicht nur als verschwommene Masse wahr- information. Das Ergebnis ist ein bestechend schar- ergie wird als Fluoreszenzlicht freigesetzt. Dieses nehmen. Liegen die Strukturen enger als 200 nm fes und kontrastreiches Bild mit guter Auflösung Licht ist energieärmer als das zur Anregung ge- beieinander, kann die Lichtmikroskopie sie nicht (etwa 10 nm). Was mit bloßem Auge glatt aussieht, nutzte Licht, das heißt, seine Wellenlänge ist län- mehr auflösen. Konfokale Mikroskopie ist immer zeigt seine wahre Oberfläche mit Bergen und Tä- ger. Lässt sich der Fluoreszenzfarbstoff mit blauem dann sinnvoll, wenn es darum geht, Präparate mit lern im Rasterelektronenmikroskop. Unterdessen ist Licht anregen, wird er grün fluoreszieren. Andere hoher Auflösung zu analysieren, z. B. fluoreszenz- es sogar gelungen, den Probenbereich vakuumfrei Farbstoffe lassen sich beispielsweise mit grünem markierte Gewebeproben, lebende Zellen oder klei- zu halten, so dass lebende Objekte unter norma- Licht anregen und fluoreszieren rot. Mit Hilfe che- ne Organismen. len Druckverhältnissen untersucht werden können. mischer oder immunchemischer Bindungen (Anti- körper) können Fluoreszenzfarbstoffmoleküle ge- Scharf rechnen – Dekonvolution Ein dünner Querschnitt durch einen Clematis-Stän- Atome ertasten – Rasterkraftmikroskopie zielt an bestimmte Zellorganellen (= funktionelle Bildqualität hat ihren Preis. Wer sich ein konfoka- gel zeigt die verschiedenen Zellgewebe. Foto: Klaus Noch tiefer in den Kosmos der Atome dringen wir Einheiten der Zelle) andocken. So lässt sich ein Flu- les Laserscanningmikroskop leistet, legt je nach Hausmann, Berlin mit der Rasterkraftmikroskopie vor. Wie die Raster- oreszenzfarbstoff z. B. an Bestandteile des Zellske- Ausstattung schnell das Geld für ein kleines Einfa- elektronenmikroskopie bildet auch die Rasterkraft- lettes binden. Andere Farbstoffe reagieren direkt milienhaus hin. Deutlich geringer im Anschaffungs- auf das Präparat, die anschließenden Objektivspu- mikroskopie (= Atomic Force Microscopy) Oberflä- mit Molekülen der Zelle: DAPI (4’,6-Diamidino-2- preis liegt eine mathematische Lösung des Unschär- len erzeugen ein vergrößertes Zwischenbild. Pro- chen hochauflösend ab. Sie lässt sich zur Analyse phenylindoldihydrochlorid) lagert sich in die spi- feproblems – die Dekonvolution. Das Ausmaß der jektorspulen projizieren das Bild zwischen 100 und von Materialien genauso gut einsetzen wie für die ralförmige Struktur der Erbsubstanz DNS unscharfen Bildinformation aus den der Fokusebe- 100.000x vergrößert auf einen Leuchtschirm. Wie Betrachtung von lebenden Zellen. Das Herz eines (Desoxyribonukleinsäure) ein. Betrachten wir eine ne benachbarten Schichten lässt sich mathematisch in der Lichtmikroskopie lässt sich auch hier das Bild Rasterkraftmikroskops ist eine sehr feine, pyrami- mit DAPI gefärbte Zelle unter UV-Licht, leuchtet der über die Wellenlänge des verwendeten Lichts so- (über den Leuchtschirm) direkt betrachten, oder denförmige Rasterspitze aus Silizium. Im Idealfall Zellkern hellblau auf. wie über Objektivparameter beschreiben. Bei der man greift es mit Fotoplatten oder CCD-Chips ab. bilden nur wenige Siliziumatome die äußerste Spit- Die Beleuchtungsquellen für Fluoreszenzmikros- Dekonvolution benutzt man ein herkömmliches Damit die Elektronen das Objekt abbilden können, ze. Die Rasterspitze sitzt auf einem Federbügel über kopie geben ausnahmslos sehr helles, weißes Licht Fluoreszenzmikroskop. Mithilfe von Piezotechnik ist es notwendig, dass sie mit ihm interagieren. Wo dem Objekthalter mit dem Objekt. Entweder scannt ab (basierend auf Quecksilberdampf, Xenon oder oder mit feinen Schrittmotoren fokussiert man in sich elektronendichte Strukturen im Objekt befin- die Rasterspitze über das Objekt oder der Objekt- Metallhalid). Ein Fluoreszenzfilter im Mikroskop ab- festgelegten Schritten Schicht für Schicht das Prä- den, werden Elektronen aus dem Abbildungsstrah- halter bewegt sich mittels Piezoelementen in alle sorbiert alle Farben bis auf die gewünschte Anre- parat und macht jeweils eine Aufnahme mit einer lengang weggestreut. Sie erreichen den Leucht- drei Richtungen des Raumes und führt das Objekt gungswellenlänge (z. B. Blau). Das blaue Licht fällt digitalen Kamera. Auf diese Weise entsteht ein Bild- schirm nicht, und es entsteht an der Stelle ein dunk- rasterartig an der Spitze vorbei. Die Rasterspitze auf das Präparat und lässt es fluoreszieren. Das stapel. Anschließend startet man über entsprechen- ler Kontrast. Wo sich keine elektronendichten Struk- interagiert mit atomaren, mikromechanischen Kräf- grüne Fluoreszenzlicht gelangt durch das Objektiv de Software den Algorithmus. Dieser nimmt sich turen im Objekt befinden, passieren die Elektro- ten des Objekts und lenkt dadurch den Federbügel zur Fluoreszenzfiltereinheit, wo unspezifische Wel- jede Schicht des Bildstapels vor und vergleicht die nen das Objekt, werden nicht abgelenkt und tref- entsprechend den Strukturgegebenheiten aus. Er- lenlängen unterdrückt werden. Als Ergebnis sehen Bildinformationen aus den verschiedenen Schich- fen auf den Leuchtschirm. So erscheinen Struktu- höht sich die Oberfläche, so lenkt auch der Feder- wir in der Zelle die markiert Struktur grün leuchten ten miteinander. Dabei rechnet er die unscharfe ren dunkel auf hellem Hintergrund. Dies ist ver- bügel nach oben aus. Auf ihn ist ein Laserstrahl auf dunklem Hintergrund. Information der aktuell betrachteten Schicht in die gleichbar mit dem Hellfeld in der Lichtmikrosko- gerichtet. Lenkt der Federbügel aus, ändert sich der Die Fluoreszenztechnik ist in den letzten zwei Jahr- weiter ober- oder unterhalb liegende Schicht zu- pie. Reflexionswinkel des Laserstrahls und eine Fotodi- zehnten immer ausgefeilter geworden und hat viele rück, aus der sie eigentlich stammt. Echte Dekonvo- Damit das Objekt in dieser Weise mit den Elektro- ode detektiert den geänderten Reflexionswinkel. Spezialisierungen erfahren. Schon längst ist es Stan- lutionsalgorithmen subtrahieren also nicht einfach nen interagiert, muss es speziell aufbereitet wer- Zeilenweise wird so das Objekt gerastert, ein Hö- dard, drei und mehr Strukturen (z. B. Zellkern, Zell- unscharfe Bildinformation, sondern rechnen sie an den. Hier liegt ein großer Unterschied zur Lichtmi- henprofil und eine dreidimensionale Abbildung skelett und Membranen) mit verschiedenfarbigen ihren Ursprungsort zurück. Jede Schicht wird von kroskopie. Wegen der lebensfeindlichen Bedingun- erstellt. Anders als die Rasterelektronenmikroskopie Fluoreszenzfarbstoffen in der Zelle gleichzeitig zu Unschärfe befreit und anschließend werden wie in gen im Elektronenmikroskop (Hochvakuum und braucht man für diese Technik kein Vakuum. Le- beobachten, und sich damit ein Bild von den Ver- der konfokalen Mikroskopie die Schichten überei- energiereicher Elektronenbeschuss) müssen orga- bende Zellen können sogar in einer Elektrolytlö- hältnissen und Interaktionen verschiedener Zellor- nander projiziert. Das Objekt ist nun in seiner ge- nische Objekte getötet werden. In einem aufwän- sung gehalten und gerastert werden. Die Formati- ganellen untereinander zu machen. samten Tiefe scharf und mit feinsten Details erkenn- digen Präparationsprozess werden die Zellen mit onen und die Dynamik der Membran lassen sich bar. Der mathematisch errechnete Effekt ist somit Giften (Aldehyden und Schwermetallen) fixiert. Die mit einer lateralen Auflösung von zehnmillionstel Scharf hinschauen – Konfokale ähnlich wie der eines konfokalen Lasermikroskops. Proben werden über eine Alkoholreihe entwässert, Millimeter darstellen. In der Materialwissenschaft Laserscanningmikroskopie Die Anschaffungskosten für ein Fluoreszenzmikro- damit später im Elektronenmikroskop keine Was- tasten wir uns mit dieser Technik sogar in den Sub- Wer durch ein Mikroskop schaut, erkennt sehr skop mit Dekonvolution sind jedoch deutlich nied- sermoleküle das Hochvakuum verunreinigen und nanometerbereich vor. schnell folgenden Effekt: Man stellt auf eine Ebene riger als für ein Konfokalgerät. die Flugbahn der Elektronen stören. Die entwäs- Damit gelingt es, einzelne Atomlagen zu vermes- scharf und erkennt diese detailreich. Gleichzeitig serten Proben werden in Kunstharz eingegossen. sen. 1986 erhielten Ernst Ruska (als Erfinder der jedoch erscheint gerade bei dickeren Präparaten Elektronen statt Licht – Transmissionselektro- Nach Aushärten des Harzes schneidet der Mikros- Elektronenmikroskopie), Gerd Binning und Hein- wie ein Nebel unscharfe Bildinformation aus den nenmikroskopie kopiker mit viel Geduld, Fingerspitzengefühl und rich Rohrer (beide als Erfinder der Rastertunnel- Ebenen unter- und oberhalb der fokussierten Ebe- Die kleinsten Strukturen, die man im Lichtmikros- einem Ultramikrotom hauchdünne Schnitte (etwa mikroskopie, dem Vorläufer der Rasterkraft- ne. Dies trübt die Wahrnehmung. Eine Methode, kop darstellen kann, liegen im optimalen Falle im 60 nm dünn) vom eingebetteten Objekt ab und mikroskopie) den Nobelpreis für ihre innovati- die Unschärfe auszublenden, haben wir schon ken- Bereich 200–500 nm. Mit der FRET-Mikroskopie überführt sie auf kleine Metallnetzchen. Der letzte ven Techniken. nengelernt, nämlich den differentiellen Interferenz- gelangen wir zwar in den Bereich 1–10 nm, lösen Schritt in der Präparation ist die Nachkontrastie- Dieser kurze Abriss hat wichtige Meilensteine der kontrast, mit dessen Hilfe man das Präparat op- dabei jedoch nicht einzelne Strukturen auf, son- rung mit Uranylacetat und Bleicitrat. Die Präpara- Mikroskopie aufgezeigt. Immer neue Entwicklun- tisch schneiden kann. Im Bereich der Fluoreszenz- dern detektieren Änderungen im Fluoreszenzsig- tion von der lebenden Zelle bis zum Einschieben in gen auf dem Gebiet bildgebender Systeme und mikroskopie hat man sich noch weitere Techniken nal. Der klare Vorteil lichtmikroskopischen Metho- das Elektronenmikroskop dauert mit Wartezeiten immer mehr Anwendungsgebiete versprechen für einfallen lassen, um diese physikalisch bedingte den liegt darin, dass wir an der lebenden Zelle ar- bis zu mehreren Tagen. Dann kommt der span- die Zukunft noch viele spannende Reisen in die unscharfe Bildinformation zu mindern oder sogar beiten und somit dynamische Prozesse verfolgen nende Moment. Das Präparat wird über eine Tiefen des Mikro- und des Nanokosmos beleb- auszulöschen. Ein echter Scharfmacher ist die kon- und diese sogar gezielt beeinflussen können. Sind Schleuse in das Vakuum der Mikroskopsäule ein- ter und unbelebter Materie. fokale Laserscanningmikroskopie. Entwickelt vor wir an der Visualisierung kleinster Strukturen im geführt. Jetzt kann man sehen, ob sich die vielen 25 Jahren hält sie seit den 90er Jahren Einzug in Bereich unter 200 nm interessiert, bleibt uns die Stunden der Präparation im Labor gelohnt haben DIE VERFASSERIN LEBT IN LIMBURGERHOF (BEI biomedizinische Labors. Statt einer weißen Be- Elektronenmikroskopie. Das Transmissionselek- oder nicht. Der Preis für die Sichtbarkeit kleinster MANNHEIM) UND IST ALS DIPLOM-BIOLOGIN leuchtungsquelle verwendet man hier Laser be- tronenmikroskop imponiert zunächst durch seine Strukturen im Elektronenmikroskop ist, dass wir le- IN DER TECHNISCHEN AUSBILDUNG VON AN- stimmter Wellenlängen (Farben). Der Laserstrahl räumliche Größe. Die Säule des Gerätes misst etwa bende Zellen abtöten und sie dann aufwändig prä- WENDERN OPTISCHER INSTRUMENTE TÄTIG (z. B. von einem grünen Laser) wird über das Ob- einen Meter Länge und etwa 25 cm im Durchmes- parieren müssen. Das Elektronenmikroskop kann jektiv auf das Präparat fokussiert, trifft dort als ser. Schauen wir genauer in diese Säule hinein, so uns zwar keinen Einblick in die Dynamik einer le- punktförmiges Licht auf und scannt es ab. Das ent- erkennen wir die gleichen Gesetzmäßigkeiten und benden Zelle geben, dafür sehen wir Momentauf- stehende Fluoreszenzsignal wird über einen De- Bauteile wie im Lichtmikroskop. Im Elektronenmik- nahmen von ihr mit höchster Auflösung in den Impressum tektor (Photomultiplier) aufgefangen und verstärkt. roskop verwenden wir allerdings statt Lichtteilchen feinsten Strukturen. Das Bild baut sich auf einem Monitor simultan zum (Photonen) Elektronen. Diese haben eine sehr viel kultur · kompetenz · bildung scannenden Laserstrahl zeilenweise auf. kürzere Wellenlänge und sind somit energiereicher Gebirge im Mikrokosmos erforschen – Ras- kultur · kompetenz · bildung erscheint als Der Trick der Technik besteht darin, dass vor dem als das Licht. Je kürzer die Wellenlänge, desto bes- terelektronenmikroskopie regelmäßige Beilage zur Zeitung politik & Photomultiplier eine kleine Blende positioniert ist, ser ist die Auflösung, das heißt, desto kleinere Struk- Die Rasterelektronenmikroskopie gibt uns faszinie- kultur, herausgegeben von Olaf Zimmer- welche Signale aus den Ebenen unterhalb und turen können wir darstellen. Das Transmissions- rende Eindrücke von der Oberfläche und der drei- mann und Theo Geißler oberhalb der scharf gestellten Ebene (Fokusebe- elektronenmikroskop erlaubt die Darstellung von dimensionalen Beschaffenheit von Objekten. Die ne) ausblendet. So erhält man ein gestochen schar- Strukturen bis zu 0,2 nm. Unser Auge löst etwa Bilder bestechen durch eine hohe Tiefenschärfe, die Deutscher Kulturrat: Chausseestraße fes Bild einer sehr dünnen Schicht des Präparates. 200 µm auf (1/5 Millimeter), das Lichtmikroskop uns das Objekt in seiner ganzen Ausdehnung scharf 103, 10115 Berlin, Tel: 030/24 72 80 14. Will man über die gesamte Dicke des Präparates 200 nm (Faktor 1000 besser als unser Auge), das erkennen lassen. Es ist eine Technik, die besonders Fax: 24 72 12 45, Internet: www. kulturrat.de, Information gewinnen, so muss man dieses Schicht Elektronenmikroskop 0,2 nm (Faktor 1000 besser in der Materialwissenschaft, aber auch in der bio- E-Mail: [email protected] für Schicht abscannen und dabei jedes Mal von als das Lichtmikroskop). Damit dringt das Elektro- medizinischen Forschung weite Verbreitung gefun- Redaktion: Olaf Zimmermann (verant- Schicht zu Schicht die Höhe des Präparates etwas nenmikroskop in den atomaren Bereich vor. den hat. Wie das Transmissionselektronenmikros- wortlich), Gabriele Schulz, Andreas Kolb, verstellen. Die Höhenverstellung geschieht auto- Analog zur Halogenlampe als Beleuchtungsquelle kop arbeitet auch das Rasterelektronenmikroskop Kristin Bäßler matisch in festgelegten Distanzen im Mikrometer- im Lichtmikroskop hat das Elektronenmikroskop mit einem Elektronenstrahl im Vakuum. Lebende Verlag: ConBrio Verlagsgesellschaft mbH bereich (1 Mikrometer = 1/1000 Millimeter) über (EM) einen Wolframdraht (Kathode), der erhitzt Objekte müssen bei Anwendung konventioneller Brunnstraße 23, 93053 Regensburg den motorisierten Fokustrieb des Mikroskops. Im wird. Dabei setzt er Elektronen frei. An der gegen- Geräte getötet und über ein spezielles Verfahren Internet: www.conbrio.de Anschluss projiziert man alle Schichten des Bild- überliegenden Anode wird Hochspannung (40–100 entwässert werden. Dieser Prozess entfällt bei un- E-Mail: [email protected] stapels übereinander und bekommt einen schar- kV) angelegt und die Elektronen werden beschleu- belebten Objekten aus der Materialwissenschaft. Herstellung, Layout: fen Gesamteindruck des Präparates, oder man lässt nigt. Die gesamte Mikroskopsäule steht unter Hoch- Sowohl die biologischen als auch die materialwis- ConBrio Verlagsgesellschaft sich eine dreidimensionale Rekonstruktion des vakuum, damit die Elektronen auf ihrem Weg nicht senschaftlichen Präparate werden auf kleine Ob- Petra Pfaffenheuser Objekts errechnen. gegen Luftmoleküle stoßen, die sie sofort aus der jektteller gelegt und mit einer hauchdünnen, nur Der Scanprozess eines konfokalen Laserscanning- Bahn werfen würden. Sie passieren elektromag- wenige Atome dicken Goldschicht überzogen (Sput- Gefördert vom Bundesministerium für mikroskops geht je nach eingestellter Geschwin- netische Spulen, die sie zu einem Strahl bündeln. tern). Das Objekt wird in die Probenkammer des Bildung und Forschung digkeit des Scanners und nach Größe des abzu- Die Kondensorspulen fokussieren die Elektronen Rasterelektronenmikroskops gegeben. Unter Hoch-