DIPLOMARBEIT

Titel der Diplomarbeit „Spiel um historische Authentizität“

Eine exemplarische Analyse zum Verhältnis von Computer, Spiel, Film und Geschichte

Verfasser Simon Huber BA

angestrebter akademischer Grad Magister der Philosophie (Mag. phil.)

Wien, 2013

Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 312 Studienrichtung lt. Studienblatt: Geschichte Betreuerin / Betreuer: ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Alois Ecker

Zusammenfassung

Ubisofts Erfolgsprodukt Assassin’s Creed ist ein Computerspiel, dass sich sei- ner historischen Genauigkeit in der Modellierung vergangener Welten brüstet und erreicht weltweit unzählige Konsumenten. Es erzählt in einer fiktiven Rahmenhandlung von der Möglichkeit durch ein Computerspiel Geschichte zu erzählen, womit allein schon eine Reihe von gedanklichen Voraussetzun- gen artikuliert sind, welche die historische Bedingtheit solcher Phantasien herausstellen. Folglich handelt es sich um ein hervorragendes Schaustück, um zu analysieren, welche Strategien eingesetzt werden, um glaubwürdig zu wirken: Geschichte ist hierbei das Maß für Authentizität und Bürge zugleich. Es wird davon ausgegangen, dass dieses Programm und seine filmischen Einspielungen eine eigene Geschichte haben, also Vorläufer im popkulturellen Diskurs die ebenso unter bestimmten medientechnische Bedingungen emer- gieren. Die Arbeit kann also einerseits verstanden werden als Entwurf eines möglichen Ansatzes für eine bislang ungeschriebene Kulturgeschichte kom- merzieller Computerspiele, die als Verschränkung von zeitkritischen Action- Spielen mit filmisch inszenierten Adventure-Erzählungen aufgefasst wird — zwei von drei Gattungen, die der Historiker Claus Pias medienarchäologisch ausmacht. Zudem soll der besonderen Rolle des Films Beachtung geschenkt werden: Friedrich Kittler führt auf diesen einen radikalen Wandel in der Zeitwahrneh- mung zurück, durch die Zeitachsen-Manipulation. Sie ist auch beteiligt an der Illusion von Spielfreiheit, wenn Computernutzer über diese Regelungs- technik ihre eigene Daten-Verarbeitungsgeschwindigkeit steuern. Doch schon vor der computertechnischen Wende gab es Simulationen hypothetischer Schlachtverläufe, die auf Spielbretter und Sandkästen ,pro- jiziert’ und operabel gemacht wurden. Die Gesetzmäßigkeiten der Gefechte werden als Spielregeln umgesetzt, die als Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln zugleich als Zuspitzung nationalgeschichtlicher Narrative gelten könnten und somit die Geschichtsdarstellungen der dritten Gattung Strategie-Spiele von Computerspielen eng mit historiographiegeschichtlichen Entwicklungen zusammenhängen könnten. Historische Authentizität wird hier nicht als Gültigkeit nach geschichts- wissenschaftlichen Kriterien verstanden, sondern als ein am Computer aus- gehandelter Wert, der kommerziellen Erfolg und gesellschaftliche Akzeptanz sichern soll. Man ist bemüht Geschichtsauffassungen des Rezipienten in das Spiel einzuarbeiten, womit dieses sich als didaktisches Unternehmen heraus- stellt, das selbst Geschichte hat, die wir untersuchen wollen. Inhaltsverzeichnis

Zum Verhältnis von Geschichte, Computer und Spiel 4

1DieTugendderAssassinen 8 1.1 Disclaimer...... 8 1.2 Cyber-Historiographie ...... 9 1.3 Zielerfassung ...... 11 1.4 Spielumgebung ...... 12 1.4.1 Einordnung ...... 12 1.4.2 Animus ...... 15 1.4.3 Interface ...... 17 1.5 Film-Vorbilder ...... 18 1.5.1 Matrix ...... 18 1.5.2 Königreiche ...... 21 1.5.3 Heldenfiguren ...... 23 1.6 Geschichts-Nachbildungen ...... 25 1.6.1 Pünktlichkeit ...... 25 1.6.2 Therapie...... 27 1.6.3 Zauber-undSchaltkreise...... 29 1.7 DoppeltesSpiel ...... 31

2StrategienderImmersion 34 2.1 Archäologie ...... 34 2.2 Geruchsinn ...... 35 2.3 Cutscenes ...... 38 2.3.1 Intermission...... 38 2.3.2 Gemäuer ...... 42 2.3.3 Infiltration ...... 45 2.4 Doppelgänger ...... 48 2.4.1 Großcomputer ...... 49 2.4.2 Avatar ...... 51

2 3HochauflösendeGeschichtsbilder 54 3.1 BulletTime...... 54 3.2 Motive ...... 56 3.2.1 Schießen und Fechten ...... 57 3.2.2 Stadtluft...... 60 3.2.3 Mind Maps ...... 64 3.3 Abstammung ...... 67 3.3.1 Analog ...... 68 3.3.2 Digital ...... 71 3.4 DarkAges...... 73

4ErinnerungdurchSimulation 77 4.1 Sandkasten ...... 77 4.2 ErnstSpielen ...... 80 4.2.1 Feldherren ...... 81 4.2.2 TotalerKrieg ...... 83 4.2.3 Spielzeug ...... 85 4.3 SubversiveGames...... 87

5Fazit 91

Abbildungsverzeichnis 102

3 Vorwort

Zum Verhältnis Geschichte-Computer-Spiel

Die vorliegende Diplomarbeit bemüht sich um ein Verständnis der Dar- stellung von Geschichte in Computerspielen, womit allerdings nicht bloß die entworfenen Bilder gemeint sind. Eine historische Herangehensweise kann nicht nur ein banaler Vergleich seriöser, geschichtswissenschaftlicher Litera- tur mit den zur Unterhaltung entworfenen Spielfiktionen sein, sondern muss mehrere Fragen zugleich stellen: Welche Geschichte hat das Computerspiel selbst? Wie ist das Computerspiel als zeitgenössische Quelle zu lesen? Ist es gar ein Medium der Geschichtsschreibung? Immerhin sind wir alle Computerspieler: Wir recherchieren im Internet, verwalten Bibliographien, verarbeiten Text, erstellen Statistiken mit Pro- grammen, die allesamt durch graphische Benutzeroberflächen vermittelt sind. Unser Wissen wird durch digitale Darstellungsmöglichkeiten formatiert, un- ser Umgang mit Information durch Interfaces programmiert. Über die Art dieses Zusammenhangs von Geschichte, Computer und Spiel ist vorerst ein loser Zusammenhang in Aussicht gestellt, noch keine Richtung angegeben, noch keine Distanz eingeschätzt, noch keine Beschaffenheit vor- ausgesetzt. Wir wissen noch nicht, ob wir von fiktiven Geschichten oder Hi- storiographien sprechen — Können Rechenmaschinen überhaupt erzählen? Ist in einer Spielhaltung eine wahrheitssuchende Ergebnisoffenheit angelegt, die wissenschaftliche Geschichtsschreibung für sich in Anspruch nimmt? Die Offenheit des Feldes auf dem sich Computer, Spiel und ,authentische’ Ge- schichte begegnen, soll erhalten bleiben; keinesfalls gelte die Annahme, dass irgendeines der drei Elemente Computer, Spiel oder Geschichte ursächlich auf ein anderes wirkt oder es gar hervorbringt. Diese Arbeit arbeitet daher kein eindeutig abgestecktes Gebiet ab, son- dern bildet eher einen perspektivisch zentrierten Ausschnitt, in dessen Flucht- punkt Erfolgsprodukt Assassin’s Creed steht. Dieses war Thema ei- ner früheren Arbeit zur Erlangung des Bacherlors in Bildungswissenschaft, die sich hier in überarbeiteter Form wiederfindet (als erstes Kapitel) und mit historischen Recherchen und Analysen seiner Vorgängerprodukte und Film- vorlagen ergänzt wurde. Dieses Computerspiel kommt unserem Forschungs- vorhaben sehr gelegen; nicht nur, weil es sich seiner geschichtlichen Präzision

4 brüstet in der Darstellung des mittelalterlichen Nahen Osten zur Zeit der dritten Kreuzzüge, sondern vielmehr noch durch seine Rahmenerzählung, die von der Gegenwart handelt, und der Erfindung eines Computers, mit dem man per Hack ins eigene Unbewusste eindringt und die gewonnenen Informationen zu einer virtuellen, historischen Welt hochrechnet. Die Umstände, die so eine Phantasmagorie überhaupt entstehen lassen, können nicht nur von der technischen Machbarkeit her beschrieben werden. Wesentlich für die angestellte Analyse war Claus Pias’ medienhistorisches Werk Computer Spiel Welten, das er abgegrenzt wissen möchte von Fort- schrittsfabeln, die von immer aufwändigeren Bildern auf zunehmend klei- neren Geräten erzählen. Er liefert zahlreiche zeitgeschichtliche Hinweise auf Kontext, Mentalität, Theoriebildung; Hinweise auf jene Zeit, aus der Com- puterspiele hervorgegangen sind — unbestellt und nun die wissenschaftliche Auseinandersetzung provozierend. Seine Arbeit endet mit dem Auftauchen der ersten kommerziellen Verwertungen digitaler Technik als Unterhaltungs- ware; sie bildet sozusagen eine Prähistorie der Computerspiele. Wir können keine vergleichsweise umfassende Fortsetzung einer Geschichte der Compu- terspiele selber schreiben, aber versuchen, die Erkenntnisse, die uns sein Werk liefert, auf unser Beispiel anzuwenden und es so theoretisch zu erproben. Des- wegen ist seiner Einteilung auch die hier vorzufindende Struktur geschuldet: Actionspiele, Adventurespiele und Strategiespiele ergeben eine Trias, die Ge- schichte jeweils zeitkritisch, entscheidungskritisch oder konfigurationskritisch formatieren. Wegen der Uneindeutigkeit unseres wichtigsten Beispiels und vieler anderer kommerzieller Spiele befragen wir grob gesprochen in jedem folgenden Kapitel einen anderen dieser Aspekte im Detail. In der Analyse des Actionspiels Assassin’s Creed aus Kapitel 1 wird deut- lich, dass die dem Spieler abverlangten Tugenden — Pünktlichkeit und Ef- fizienz — noch keine Erzählung bilden können, weswegen Adventures und Spielfilme imitiert und neu aufgelegt werden. En passant entwerfen wir das gedankliche Gerüst, mit dem die weiteren Ausführungen verstanden werden können. Die zunehmende Verschränkung von Spiel- und Filmästhetik ist kei- ne Neuigkeit und wurde in zahlreichen Vergleichsstudien untersucht, doch in keiner vorgefundenen wurde diese Selbstverständlichkeit konsequent hin- terfragt: Warum geschieht diese Verschränkung? Im Folgekapitel 2 weisen wir also einerseits nach, dass die Vorstellung des Eintauchens in Parallel- welten nicht erst mit der Interaktivität realisierbar scheint, sondern schon dem Film anzurechnen versucht wurde. Anhand einer synchronen Geschich- te der Cutscenes (2.3), also einer medienarchäologischen Untersuchung jener filmischen Zwischensequenzen, in denen der Spieler vom interaktiven Ein- griffin die Handlung abgetrennt wird, zeigen wir die gemeinsame Wurzel der Konzepte von Immersion und Interaktivität auf und die daraus resultie- rende Möglichkeit der Darstellung von Geschichten durch Rechenmaschinen. Konterkariert wird dies durch Betrachtung filmischer Repräsentationen von Interaktivität: Wie wird genau das dargestellt, wodurch sich das Compu-

5 terspiel vom Film abzuheben meint? Die Doppelgänger (2.4) der Benutzer erscheinen hinter den Bildschirmen und arbeiten an den Fiktionen über Spiel- welten und Computer mit. Diese horizontalen Achse, auf die technologische Entwicklungen synchron aufgetragen werden, wird durch eine vertikale gekreuzt, deren Richtung durch eine diachrone Frage bestimmt wird: Was zeichnet Film als historisches Me- dium aus? In Kapitel 3 soll daher geklärt werden, wie diese Geschichten zu ,authentischer’ Geschichte werden. Auch Film wurde nicht als neue Er- zählform geschaffen, sondern zur Zerlegung, also Analyse der Bewegungen von Organismen. Die Tricktechnische (Re-)Animation der Bilderserien im Zeitraffer lässt den Lauf der Dinge geschichtlich natürlich und beliebig ska- lierbar erscheinen (3.3). Damit ist für die Wahrnehmung der Vergangenheit mit der Entstehung der Filmtechnologie ein Datum markiert, seit dem wir uns nicht mehr in historische Lebenswelten empathisch hineindenken müs- sen, sondern diese um uns herum arrangieren. Welche Motive (3.2) werden vorzugsweise in Szene gesetzt, um den ge- schichtlichen Charakter der Narrationen zu unterstreichen? Fechtkämpfe vi- sualisieren Filmschnitt, das medientechnische Apriori; Geschichtliche Kon- tingenz wird ins Stadtleben projiziert und mind maps bilden historisches Bewusstsein ab, als diagrammatische Beziehung, die zwischen herausragen- den Ereignissen und ihrem systematisch-genealogischen Zusammenhang be- steht. Für Computerspiele markieren historische Eckdaten also nur Freiräume, in denen zwecks infotainment vergangene Geschehnisse sich als interaktives reenactment durchspielen lassen. Zu guter Letzt müssen wir klären, inwie- fern diese Erkenntnisse aus der hier zur Disposition gestellten Analyse des Computerspiels sich auf alle übertragen lassen, indem wir in Kapitel 4 auf die bislang beiseitegelassenen Strategiespiele zurückkommen, die auch den größten Anteil an geschichtlichen Spielen ausmachen. Was bedeutet es, Ver- gangenheit neu zu simulieren? Interessanterweise gibt es sehr früh schon Ge- schichtespiele für erzieherische Zwecke und auch Simulationsspiele, die nicht für Unterricht gedacht waren, wurden verhältnismäßig früh für diesen vor- geschlagen. Historisches Erinnern wird dabei mit Prozessieren verlässlicher Daten gleichgesetzt, was Geschichtsdidaktiker zumindest irritieren sollte. Serious Games erheben den Anspruch, seriöse Bildung mit freiwilligem Kinderspiel in Einklang bringen zu können und verlangen, dass Computer- spiele ernst genommen werden. Auch kommerzielle Spiele greifen gerne auf Geschichte zurück, um ihre Legitimation mit einem klassischen Bildungsgut zu legitimieren. Solcherlei Historie heißt fast immer Konflikt. Hinter die- ser Ähnlichkeit vermuten wir einen strukturellen Zusammenhang, den man auf die Totalisierung des Krieges und die im 19. Jahrhundert sich durch- setzende Kriegskultur datieren kann. Das Spielzeug-Design setzt auf intuiti- ve Handhabung, die sogar Kinder meistern können, das bestimmend ist für den Mediums-Charakter zeitgenössischer Computerinterfaces: Ernst kann im

6 Programmcode abgespeichert werden und wird durch Spiel-Anwendung ak- tualisiert (Kapitel 4.2). Die Quellenlage ist in unserem Fall besonders, da oft die Hardware — und auch die Zeit — fehlt, um die Primärquelle Computerspiel lesen zu können. Wir stützen uns daher oft auf journalistische Berichte und Dokumentationen aus dem Internet, deren audiovisuelle Angebote noch am nächsten an einen Testlauf des Programms selbst heran reicht. 1 Sie werden als verlässlich in Bezug auf die gelieferten Daten betrachtet, die geprüft wurden, wo möglich. Nicht so vertrauenswürdig schienen sie häufig im Hinblick auf die implizier- ten Narrationen, die oft von naivem Fortschrittsglauben getragen sind. Wir bemühen uns auch um eine kritische Lektüre historischer Aufstellungen von Computerspielen, die im Laufe der Recherche untergekommen sind; um so nicht zuletzt auch den Game Studies einen Dienst zu erweisen, deren histo- rische Tiefenschärfe oft leidet unter einer angenommenen Kontinuität von menschlichem Spielverhalten und Computerspiel.

Dank

gilt freilich meinem äußerst geduldigen Betreuer, Prof. Alois Ecker, für die entspannte Zusammenarbeit. Ohne dessen Aufmunterung, dieses heikle, weil junge Phänomen ein weiteres Mal zu betrachten, wäre die Untersuchung bei einer Seminararbeit zum Ende gekommen und wäre auch keine Begeg- nung mit Dr. Konstantin Mitgutsch zu Stande gekommen. In inspirierenden Seminaren zeigte er sehr anschaulich, wie spielerisch Forschung sein kann, ohne dabei kritischen Sinn zu verwerfen. Dank gebührt auch Viktor Pavlu für seine Einführung in LATEXunddie dennoch notwendigen Hilfseinsätze; an Noëmi Leemann und Hubert Huber für’s Gegenlesen und kritische Einwände, Michi und Anna Huber für auf- munternde Telefonate; Lukas Schmutzer für reichlich Detailinformation in Kaffeepausen und Alexandra Popp für ihre Geduld und Ablenkmanöver.

1. Häufig konsultiert wurde etwa der You-Tube -Kanal All your History are belong to us, der sich als besonders hilfreich erwies. Im Titel verweist man auf einen Übersetzungsfehler aus dem japanischem Spiel Zero Wing.InderenglischenVersionsprichteinBösewicht: „All your Base are belong to us!!” Die schlechte Qualität früher Computerspiele wird nostalgisch verklärt und erwacht wieder innerhalb der Internetforenkultur, in der es üblich wurde, mit dem Kürzel AYBABTU Anfang der Nullerjahre Fälle der Verwahrlosung von Sprache zu kommentieren (Vgl. Chris Taylor: All Your Base Are Belong To Us, in: TIME Magazine 2001, http://www.time.com/time/magazine/article/0, 9171, 100525, 0 0.html, Zugriff18.12.2012). Gekoppelt mit historischem Aufklärungsgestus entsteht das typische Bild anarchischen Potentials zum Unterlaufen der gesellschaftlicher Strukturen, das Computerspielen zugesprochen wird, schon seitdem sie in die Haushalte eingedrungen sind (Claus Pias: Computer Spiel Welten, Zürich 2010, S. 299-305).

7 Kapitel 1

Die Tugend der Assassinen

1.1 Disclaimer

Starten wir Assassin’s Creed 1, sehen wir zuallererst einen Hinweis:

“Inspired by historical events. This work of fiction was desi- gned, developed and produced by a multicultural team of various religious faiths and believes.” Damit wird eine Geschichtsinterpretation, die das Programm anbietet, als Fiktion deklariert und somit deren Ernsthaftigkeit als Ergebnis eines frivo- len Spiels mit der Geschichte in Abrede gestellt. Niemand soll sich angegriffen fühlen von dieser Science Fiction-Narration mit verschwörungstheoretischen Aspekten ähnlich jenen, die vom Typ eines Dan-Brown-Romans in popkultu- rellen Kreisen die Runde drehen. Allerdings steht an erster Stelle der Bezug auf historische Tatsachen; auch formal erinnert die Einblendung mehr an einen Schriftzug, den man von einem anderen Medium gewohnt zu sehen ist: “Basierend auf einer wahren Geschichte” wurden schon viele Filmproduktio- nen in Kinosäle eingeführt. Die historischen Fakten, welche in das Programm eingewoben wurden, sind hiermit durch ein Bewusstsein für den spielerischen Charakter des End- produkts in Schwebe gehalten. Nicht nur wird die religionskritische Botschaft relativiert, das Spiel verleiht sich dadurch auch eine Aura von Geschicht- lichkeit, die mitsamt der Einbindung von Historikern in die Spielentwicklung vorab kolportiert wurde. Dieser doppelte Boden — das gleichzeitige Beschwö- ren und in Abrede stellen der Historizität — strukturiert das Spiel Assassin’s Creed sowie dessen Erzählung über das Spiel mit dem Computer und bildet das Thema der vorliegenden Arbeit. Der disclaimer zeigt uns zudem, wie der Computerspiel-Industrie be- wusst geworden zu sein scheint, dass die entworfenen virtuellen Räume eine

1. : Assassin’s Creed, 2008.

8 Arena bilden, in denen auch ernste Themen verhandelt werden, wie beispiels- weise religiöse Konflikte und Ansprüche der Geschichtsschreibung 2. Wie Geschichte durch das Medium des Computerspiels informiert wird, ist eine virulente Frage, auf die Antworten gesucht werden müssen, bevor nach Gefahren und Nutzen gefragt wird, etwa historischen Unwahrheiten oder der didaktischen Instrumentalisierung des Mediums. Britta Neitzel 3 versucht mit dem Begriffder Involvierung die Medienrezeption von Spielern neu zu fassen, jenseits der Dichotomie von aktiver Freiheit (Interaktivität) und passivem Ausgeliefertsein (Immersion). Die Involvierung des Spielenden bedeutet nicht nur Emanzipation eines sonst passiven Rezipienten, sondern es werden auch historische Setzungen in Form von Spielvorgaben und Regeln notwendigerweise kritiklos akzeptiert, um spielen zu können. Die Diskurs- analyse hilft auch dies zu berücksichtigen und damit die richtigen Fragen zu formulieren, um nüchtern die Sache selbst in den Blick zu bekommen und weder in allgemeine Medieneuphorie mit einzustimmen, noch Ängste vor Gehirnwäsche und Gewalteinübung mit zu entwickeln. Assassin’s Creed hebt sich von anderen typischen Computerspielen mit historischen Inhalten ab: Weder ist es ein Strategiespiel, mit dem man ver- schiedene Teile der Weltgeschichte durch kluges Wirtschaften und taktische Entscheidungen neu simuliert, die also in der Distanz einer Gesamtschau ver- harrt und sich um eine adäquate Simulation bemüht; noch baut es auf im- mersives Eintauchen in die Geschichte, wie etwa “Weltkriegs-Shooter” 4,um so Vergangenheit hautnah zu vermitteln. Ubisofts Serie thematisiert eben diese Medialisierung “unmittelbarer” Geschichte durch filmische Stilmittel: disclaimer, Rahmenhandlung, cutscenes, Panoramen, Abspann.

1.2 Cyber-Historiographie

Wer Assassin’s Creed gänzlich unbedarft anfängt zu spielen, wundert sich, dass er gar nicht den Meister-Assassinen vom Umschlagbild in erster Instanz steuert. Der Avatar des Endnutzers ist Desmond Miles: ein gewöhn- licher Barkeeper der Gegenwart; zudem Nachfahre von Altaïr, der zur Zeit der dritten Kreuzzüge, 1192, von der Feste Masyaf aus Attentate durch- führte. Dadurch ist Miles Träger von historischer Information, die in seinen Genen codiert ist. Also wird er gezwungen, mit Hilfe des neu erfundenen

2. Werden sie dadurch zu Serious Games?Diesebehauptenvonsich,abseitsdesKom- merzes, ernste Themen spielerisch abhandeln zu können; hier, indem durch das Einspielen und Vorspielen von historischer Seriosität Diskursmacht beansprucht wird. 3. Vgl. Britta Neitzel: Medienrezeption und Spiel, in: Game over!? Perspektiven des Computerspiels, hrsg. v. Jan Distelmeyer u. a., Bielefeld 2008, S. 95–114, hier S. 95-114. 4. Vgl. Stefan Bender: Durch die Augen einfacher Soldaten. Weltkriegsshooter als Si- mulation historischer Kriegserfahrung?, in: „Wollten Sie auch immer schon einmal pest- verseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?” Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Ge- schichte im Computerspiel, hrsg. v. Angela Schwarz, Münster 2010, S. 123–147.

9 Animus-Computers seine eigenen Gene durchzurechnen und damit Einblick in die Erinnerungen seines Vorfahren zu gewinnen. Dass der Name des Ge- genstands dieser Bio-Archäologie — Altaïr — eine Anspielung ist auf den frühen Heimcomputer der 1970er Jahre — den Altair 8800 —, kann hier nur unterstellt werden. Das Computerspiel Assassin’s Creed inszeniert eine computergestützte Historiographie; dadurch werden nicht nur Vorstellungen einer mittelalterli- chen Welt visualisiert, sondern auch Möglichkeiten fantasiert, in diese Ein- blick zu nehmen. Diese Verdopplung erlaubt uns nicht nur einen simplen Vergleich von popkultureller, ,falscher’ Geschichte mit einer akademischen, ,wahren’ Geschichte; wir können es als zeitgeschichtliches Dokument betrach- ten, welches uns Einblick gibt in gängige Vorstellungen von Geschichtlichkeit, (virtueller) Realität und der Vermittlung dieser beiden Phänomene durch den Computer. Durch diese Rahmenerzählung, die dem eigentlichen Spiel vorausgeht, wird Assassin’s Creed zu einem interessanten Fallbeispiel; es wird expli- zit, was der Medienhistoriker Claus Pias allen Computerspielen unterstellt: “Computerspiele handeln nicht von japanischen Niedlichkeiten oder indizier- tem Splatter, sondern von usability und damit von Computerspielen selbst.” 5 Das Spielgeschehen von Assassin’s Creed handelt folglich ebenso wenig von Kreuzzügen, Templern und Assassinen; es erzählt allerdings in der Rah- menhandlung von der Bedienbarkeit geschichtlicher Information durch den Animus. Pias appelliert an eine Auseinandersetzung, in welcher die Inhalte des Spiels als sekundär betrachtet werden, da diese durch Hard- und Softwa- re vorstrukturiert sind. Seine Geschichte der Computerspiele endet mit der Kommerzialisierung; das warenförmige Außen ist bloß Dekor, allerdings mit wesentlicher Funktion: “Was jedoch anlässlich der Emergenz Computerspielen wie Pong geschieht, ist eine Verbergung von Hardware und Software durch die Phantasmagorie von buntem Plastik und geschütztem Code, die sie tatsächlich zu black boxes macht und Spielspaß dadurch gewährt, dass sie Kontingenz dort suggeriert, wo Programmie- rung waltet.” 6 Die Visualisierungen von Assassin’s Creed erzählen eine Geschichte davon, wie Geschichtliches berechenbar und damit bespielbar gemacht wird — eine Geschichte über die Spielbarkeit (usability) historischen Wissens. Der Ani- mus steht für eine popkulturelle Formulierung eben jenes Verdachts, den Pias äußert; die mediale Verfasstheit von Geschichte im Computerspiel wird remediert: das Medium der historischen Narration — der Animus — oszil- liert, so wie echte Medien auch, zwischen Transparenz und Opazität. Diese Phantasmagorie ist keine black box, sondern vielmehr eine schillernde Ver-

5. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), 307; Hervorh. im Original. 6. Ebd., 12; Hervorh. im Original.

10 packung, die mit ein bisschen drehen und wenden Einblick gewährt, nicht in seine Schaltkreise und Programmiercodes, doch zumindest in das Denken der Game-Designer über das Wissen in Computerspielen, dessen Vermitt- lung und “Archivierung”. Nicht zuletzt sind diese archivierten Informationen notwendig, um kulturellen Anschluss bei den Endnutzern zu ermöglichen. 7

1.3 Zielerfassung

Dieser erste Teil der Diplomarbeit kreist also um Assassin’s Creed, dessen kybernetische Phantasmen und cineastischen Strategien. Durch eine Diskur- sanalyse soll aus dem Spiel selbst Aufschluss erlangt werden über dessen Ver- strickungen in Dispositiven, medialen Welten und deren Genealogien. Eine zusätzliche Quelle sind Aussagen der Spieldesigner über Strategien, Ansprü- che und Ziele bei der Dramatisierung von Geschichte durch das Spieldesign. Um das Spielen in seiner bedeutungsstiftenden Funktion zu erfassen, hilft Johan Huizingas zentrales Werk Homo Ludens 8; dieses hat auch sonst in der Computerspielforschung Anklang gefunden, jedoch bedürfen bestimmte Ver- kürzungen einer Revision. Claus Pias etwa kommt in seiner medienhistori- schen Arbeit Computer Spiel Welten 9 ganz ohne Huizingas Kulturanthropo- logie aus, wenn er die Emergenz des Computerspiels nachvollzieht und dabei drei Kategorien festmacht, die uns bei der Einordnung von Assassin’s Creed behilflich sind. Da jedoch seine Geschichte der Computerspiele mit deren Kommerzialisierung endet, benötigen wir eine Erweiterung, um die deutlich komplexeren Visualisierung seit Pong erfassen zu können. Hierzu greifen wir vor allem auf Richard Grusins und Jay David Bolters Theorie der Reme- diation 10 zurück, deren Genealogie neuer Medien sich in das Foucault’sche Begriffs-Ensemble einpasst, welches schon von Pias gebraucht wird. Wir kön- nen so eine methodisch einheitliche Vorgehensweise bei der Annäherung an das Spiel-Programm und seine Visualisierungen konstruieren, in dem wir Computerspiel und dessen Design als „diskursive Praxis” auffassen und “in einem archäologischen Sinne nachspüren.” 11 Mit der theoriegeleiteten Beschreibung des Spiels entfaltet sich zugleich ein gedankliches Gerüst, mit welchem sich drei Fragen formulieren, die dieser Arbeit Struktur verleihen und auch Spuren legen für die folgenden Kapitel dieser Diplomarbeit: Erstens, in welche Spieldesign-Tradition reiht es sich

7. Vgl. Sabrina Schrammel/Konstantin Mitgutsch: Spielerische Gewalt – Skizze einer ludischen Kultur des Spiels “Counter-Strike", in: Faszination Computerspielen. Theorie – Kultur – Erleben, hrsg. v. Konstantin Mitgutsch/Herbert Rosenstingl, Wien 2008, S. 69– 82. 8. Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, 2009. 9. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1). 10. Jay David Bolter/Richard Grusin: Remediation: Understanding New Media, Cam- bridge – 2001. 11. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 307.

11 Assassin’s Creed ein? In welcher Umgebung entsteht das Spiel, in die dann zusätzlich Geschichte eintritt? Umgebung wird verstanden als Ort, wo ge- spielt wird, sowie jene Umgebung, die es in Form eines Interfaces imitiert, so wie auch Betriebsprogramme sich als Schreibtische präsentieren. Zweitens, welche Rückschlüsse lassen sich ziehen aus dem visualisierten “Königreich” auf die mediale Verfassung gespielter Geschichte? Offensicht- lich besteht es aus cineastischen Bildern, die in der Spielumgebung wieder entstehen, um die Geschichte und seinen Protagonisten in eine popkulturell verständliche Matrix einzubauen. Zuletzt — drittens — eine kulturanthropologische Frage, die nach der diskursiven Praxis der Nachbildung von visualisierter Geschichte mit dem Programm selbst fragt und so die beiden ersten medien- und kulturhistori- schen Fragen zu verbinden sucht: Was bedeutet der Vollzug der Aussagen- Produktion durch den Endkonsumenten, indem der pünktlich die Anforde- rungen des Spiels erfüllt und die Schließung der Narration per Interaktivität herbeiführt und Geschichtsbilder so augenscheinlich selbst hervorruft? Ziel des ersten Kapitels ist zu zeigen, wie diese Fragen verwoben sind, also aufeinander bezogen werden müssen, um zu verstehen, wie das Spiel- design von Assassin’s Creed historische Authentizität erzeugt und kulturelle Anschlussfähigkeit ermöglicht; welcher Techniken sich die Programmierer be- dienen, um Geschichte als solche darzustellen und wie ihre Rezeption durch das Medium bedingt wird.

1.4 Spielumgebung

Geht das eigentliche Spiel los, steuert man Altaïr als Avatar Desmonds, dessen Perspektive wir einnehmen. Sodann befinden wir uns im virtuellen und doch vergangenen Heiligen Land während der dritten Kreuzzüge und schauen dem Mörder in weiß über die Schultern, während wir ihn durch Räume des Mittelalters bewegen: Masyaf, Akkon, Damaskus und Jerusalem kann man durchstreunen; wie ein erstklassiger Parcours-Läufer erklimmt Al- taïr Häuserfassaden und Kirchtürme, stürzt auf seine Opfer hinab, drängt sich durch Menschengewirr und taucht darin unter. Verbunden sind diese Städte durch ein weitläufigeres Gebiet, welches schlicht als “Königreich” be- zeichnet wird, das zu Pferd durchquert werden kann. Neun Morde müssen in diesen Städten vollbracht werden, auf die hin die Opfer mit ihrem Leben stets noch ein letztes Geheimnis aushauchen, sodass mit dem Spielfortschritt man immer mehr die Intrige durchschaut, in die Altaïr verwickelt ist.

1.4.1 Einordnung Das kampflastige Spielgeschehen bringt dem Spiel die lose Genre-Bezeich- nung Action-Game ein. Dies passt auch — wie hier zu zeigen ist — zur Ein- teilung, die Pias vorschlägt: Die drei Bereiche, die er mit Foucault als “Äuße-

12 rungsmengen” 12 ausmacht, sind zeitkritische Actionspiele, entscheidungskri- tische Adventurespiele und konfigurationskritische Strategiespiele: “Als Ge- gengenstandsgruppen, die sich an ganz eigentümliche Probleme anlagern und diese zugleich formatieren, bringen sie ein je spezifisches Wissen in Form von Daten, Verfahren, Darstellungsmodi usw. hervor.” Wie werden histori- sche Probleme formatiert? Welche Art von geschichtlichen Daten, Verfah- ren und Darstellungsmodi werden in Computerspielen verarbeitet? Traditio- nell ist mittelalterliche Geschichte Sache der Strategiespiele: hier unterliegt — zusammenfassend skizziert — die vergangene Welt unseren Vorstellun- gen von gouvernementaler Macht, industrieller Produktion und militärischer Expansion. 13 Historische Fakten werden in Kriegs- und Wirtschaftssimula- tionen eingespeist und der erneuten hypothetischen Berechnung des sozio- ökonomischen Wandels preisgegeben, in dessen Verlauf der Spieler eingreifen kann, in dem er Bau- und Produktionsanordnungen setzt. 14 Assassin’s Creed fällt hier aus der Reihe — auch seine Visualisierung Palästinas 15: Die Mittelalter-Darstellung bezieht sich auf konkrete Orte und Personen der Geschichte, gibt also nicht vor, dass man die Weltgeschichte neu schreiben kann (bei Pias: „Organisation des möglicher Welten” 16), sondern es gilt möglichst viel Informationen über die abgeschlossene Vergangenheit zu beschaffen. Ist Assassin’s Creed lediglich ein zeitkritisches Action-Spiel, oder kann es auch als Adventure gelesen werden? Es gibt Hinweise hierfür: eine Rei- he von getroffenen Entscheidungen ergeben einen Spielverlauf, der zu einer Narration semantisiert wird, in welcher der Fortschritt durch stetiges Kar- tographieren protokolliert wird. 17 Hier passiert dies allerdings nicht durch Texteingabe, bzw. später durch graphisch vermitteltes point-and-click,also logisches Kombinieren, sondern durch geschicktes Navigieren; die einzelnen Attentate lassen sich zwar als zu lösende Rätsel auffassen, in dem erst die richtige Herangehensweise und Fluchtmöglichkeit gefunden werden muss; mit bestimmten Entscheidungen lassen sich folglich zeitkritische und bisweilen tödliche — das sind spielunterbrechende — Kämpfe umgehen, doch letztlich bleibt es ein Spiel, das Reaktionsschnelligkeit verlangt und so mit zeitkriti- schen Anforderungen verwoben wird. Das Wesentliche des Adventures bleibt

12. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 9. 13. Vgl. Simon Huber: Visualisierungen des Mittelalters im Computerspiel, in: Reflexiv. Geschichte denken 2 (2011), S. 29–42. 14. Vgl. Esther MacCallum-Stuwart: Geschichte und Computerspiele, in: History Sells!, hrsg. v. Wolfgang Hardtwig/Alexander Schug, Stuttgart 2009, S. 119–129; Rainer Pöp- pinghege: Wenn Geschichte keine Rolle spielt, in: History Sells!, hrsg. v. Wolfgang Hardt- wig/Alexander Schug, Stuttgart 2009, S. 131–137. 15. Vgl. Vit Sisler: Palestine in Pixels: The Holy Land, Arab-Israeli Conflict, and Reality Construction in Video Games, http://www.digitalislam.eu/article.do?articleId=2 515,Zugriffam17.12.2012,2009. 16. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 9. 17. Ebd., S. 124.

13 ausgespart: “Für solche Rekonstruktionen und Nachvollzüge vorgeschriebe- ner Datenbankarbeit ist Erzählung das Interface. Sie ist gewissermaßen das, was eine Archivarbeit erst ermöglicht, durch die dann herauskommt, wie ,es wirklich gewesen ist’ und immer sein wird.” 18 Das Spiel bildet bloß die Narration eines biologischen Archivs: Altaïrs Leben wird zum Hypertext 19, indem der Spieler DNA-Stränge Desmonds anwählen kann und somit beispielsweise in ein früheres Level einsteigen kann, wo er Templer aufsuchen und zur Strecke bringt, Fahnen einsammelt oder Aussichtsplattformen erklettert, was für die Erzählung nicht notwendig ist, sondern nur Anreiz ist, die detailgetreu in — für Geschichtespiele — rela- tiv kleinem Maßstab gestaltete, und daher umso größer wirkende Welt aus- zukundschaften, die uns Assassin’s Creed bietet. Der Adventure-Charakter ist nur imitiert, denn die Welt und ihre Karte bilden keine Erzählung ab, sondern simulieren spielerische Bewegungsfreiheit. Repräsentativer ist der lineare Graph in Form einer Doppelhelix, der gezeichnet wird: Die Erzäh- lung lässt sich weiterspielen ohne verstanden zu werden; an ihr ordnen sich die gewonnenen Erinnerungen neu an, wie zusammengetragene Puzzleteile, als historische Informationen — die Gene lügen nicht! So schreibt Desmond Miles mit Hilfe eines Computerspiels Geschichte.

Abbildung 1.1: Vorbereitung der Geschichtssimulation im Animus

18. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), 174; Hervorh. S.H. 19. Ebd., S. 186.

14 1.4.2 Animus

Der Animus vermittelt nicht nur lebendige Geschichte, er animiert sie selbst, wie sein sprechender Name das andeutet. Nähe zur Vergangenheit wird angestrebt, nicht Nähe zu Zeugen und Quellen. Dieses unmittelbare Geschichtserlebnis soll durch ein Maximum an Sinneskanälen vermittelt wer- den 20: So wird ein Eintauchen imaginiert; ein Wunsch, der auch in analogen “Zeitreisen” und Reenactment-Versuchen zum Ausdruck kommt. 21 Von mög- lichst detailgetreuen Verkleidungen, altertümlichen Kochrezepten und anti- quierter Sprache wird tieferer Einblick in vergangene Lebenswelten erwartet als von methodisch korrekter Quellenkritik und der “(Re-)konstruktion bzw. Interpretation historischer Lebenswelten”. 22 Der Animus ist ein erdachtes Medium, welches nach denselben Prinzipien funktioniert, wie es Richard Grusin und David Bolter als doppelte Logik der “remediation” 23 bezeichnen: Sie oszillieren zwischen Hypermedialität (“hy- permediacy ”), die sich in ihrer Selbstreferenzialität übersteigert und Unmit- telbarkeit (“immediacy”), welche eine Realität hinter dem Medium adressiert und totale Transparenz anstrebt. Remediationen sind gescheiterte Versuche eines Mediums, sich gegenüber Vorhergehenden durchzusetzen; diese wer- den nicht abgeschafft, sondern aufgegriffen und umgestaltet. Während Ver- kleidungen von Texturen abgelöst werden, also der Animus ältere, analoge Formen des unmittelbaren Geschichtserlebnis diskreditiert, indem er auf die Evidenz unbewusster Erinnerungen verweist, rehabilitiert er die Reise inner- halb seines digitalen Systems von virtuell verfügbarer Zeit. Anders als in gängigen Mittelalter-Spielen, in denen Informationen auf Pixel-Pergament angezeigt werden, wird das Interface in Assassin’s Creed in seinem Anachronismus betont; es soll verdeutlichen, dass hier die Ansicht mit all ihren Anzeigen aus dem Monitor des Animus stammt. Patrice Désilets, creative art director des Spiels beschreibt dies mit typischer Remediations- Rhetorik: “Es geht dabei jedenfalls wieder um meinen Wunsch, alles im Spiel irgendwie zu erklären. Mein Ziel war, etwas zu schaffen, bei dem alles — auch die Bildschirmanzeigen, die den Spieler eigentlich aus dem Geschehen reißen — seinen sinnvollen Platz hat, etwas dass [sic!] das Spiel zu mehr als einfach nur einem Spiel macht.” 24

20. Vgl. Kapitel 2.2) 21. Vgl. Michaela Fenske: Abenteuer Geschichte. Zeitreisen in der Spätmoderne. Reise- fieber Richtung Vergangenheit, in: History Sells!, hrsg. v. Wolfgang Hardtwig/Alexander Schug, Stuttgart 2009, S. 97–99. 22. Ebd., S. 98. 23. Bolter/Grusin: Remediation: Understanding New Media (wie Anm. 10), S. 3-15. 24. Thomas Nickel: Interview mit Patrice Désilets, http://www.g-wie-gorilla.de/co ntent/view/669/5/,Zugriffam18.12.2012,2009,HervorhebungS.H.

15 Dem Streben nach einem Maximum an Immersion wird hier durch entge- gengesetzte Maßnahmen verwirklicht, indem die hypermedialen Anzeigen in ihrem Anachronismus betont werden, mit dem man durch den Hyper- text Altaïrs Leben steuert. Assassin’s Creed remediatisiert Computerspiele als Computerspiel. Dieses Bedürfnis nach diesem unbestimmten ,Mehr’ ent- spricht einer paradoxen Diagnose von Bolter und Grusin: “Our culture wants both to multiply its media and to erase all traces of mediation: ideally, it wants to erase its media in the very act of multiplying them.” 25

Abbildung 1.2: Screenshot einer Spielsituation in Assassin’s Creed

Die Medialität des Animus wird durch ihre Übersteigerung ausgelöscht; Bolter und Grusin bedienen sich zur Illustration des Flight Simulators: “As in a real plane, the simulated cockpit is full of dials to read and Switches to flip. As in a real plane, the experience of the game is that of working an interface, so that the immediacy of this experience is pure hypermediacy.” 26 Nicht das Gefühl einer Zeitreise wird vermittelt, sondern der Spieler soll den Eindruck haben, eine Zeitmaschine zu bedienen. Der Versuch, das Spiel zu ,Mehr’ zu machen, resultiert in einer filmischen Rahmenerzählung, die von einem Computerspiel erzählt. Transparenz wird — wie bei Spielen üblich — durch Interaktivität 27 sichergestellt, die auf Seiten der Rahmenhandlung ra- dikal reduziert wird, beim Versuch selbst wieder Film zu remedieren. Es steht uns nur eine Interaktionsmöglichkeit zur Verfügung: Die Aufforderung, eine “beliebige Taste” zu drücken, erscheint wie ein Untertitel im Falle einer mög- lichen Interaktion; deren Betätigung lässt Dialoge ablaufen, wie der ,Action’- Ruf eines Regisseurs; oder der Protagonisten handelt nach Drehbuch, das wir

25. Bolter/Grusin: Remediation: Understanding New Media (wie Anm. 10), S. 5. 26. Ebd., S. 9. 27. Vgl. ebd., S. 101.

16 nie gelesen haben, somit der Verlauf der Geschichte uns überraschen kann.

1.4.3 Interface Sobald der Animus startet, gibt es deutlich mehr Möglichkeiten: Im rech- ten, oberen Eck des Interfaces sehen wir Altaïrs Handlungsoptionen in Form derselben vier Tasten, die auf Gamecontrollern von Playstation und Xbox zu finden sind. Aus dem Interface lässt sich herauslesen, dass Assassin’s Creed zunächst für Spielkonsolen gestaltet wurde. Die PC-Version erschien 17 Mo- nate später, in der die Rahmenhandlung wegen ihres zusätzlichen Interfa- ces zu langwierigen Ausstiegsszenarien führt: Man verlässt eine Erinnerung, dann den Animus, dann das Spiel; jetzt muss man sich mit einem Spieler- profil identifizieren — Speicherstände sind dem Animus vorbehalten — und darf dann mit einem letzten Klick das Spiel verlassen. Starten wir das Spiel von einem Desktop, kann dieser als fünfte Ebene der Menüführung gelten. Um diese Einbettung in Spielumgebungen zu beschreiben, und die Irri- tation resultierend aus der Verpflanzung in eine andere zu erklären, greifen wir auf Michael Liebes Computerspiel-Dispositive zurück, die einen Versuch darstellen, nicht vom Programm aus zu klassifizieren, sondern vom Kontext, in welchem diese konsumiert werden und so die Aufmachung des Spiels in- formieren. 28 Die Konsolenspiele fallen unter das Dispositiv Wohnen wegen ihrer Situierung rund um das heimische Fernsehgerät; dadurch unterscheiden sie sich von Spielhallen-Automaten (“Freizeit”), sowie von handhelds (“Mo- bilität”); oder von PC-Spielen, die im Dispositiv „Arbeit” verhaftet sind: “Die Ähnlichkeit [des mittlerweile sogar kabellosen Gamepads, SH] mit der Fernbedienung ist offensichtlich. Zudem stehen Ge- mütlichkeit und leichte Unterhaltung im Vordergrund. Keine auf- wendigen Installationen auf dem Desktop, keine Programme, die gestartet werden müssen, und vor allem kein Schreibtisch. Die gewohnte Wohnumgebung wird einfach um die Spielkonsole er- weitert. Passend dazu, die gemeinschaftliche Ausrichtung vieler Spieltitel. Besonders deutlich wird dies bei Sportspielen.” 29 Liebe betont in seiner Analyse das soziale Erlebnis des Spiels im Multiplayer- modus, inhaltlich die Nähe der Spiele zum Fernsehen und dessen Programm. Dies unterscheidet sich vom Erscheinungsbild Assassin’s Creed, das auf ei- ne Nähe zum Film schließen lässt, dessen Erzählung durch die Kamerafüh- rung einer einzelnen Person schwerlich auf mehrere Spieler aufgeteilt werden kann. In den von Liebe angeführten Verkaufscharts scheinen allerdings mit Assassin’s Creed vergleichbare Spiele auf, wenn auch nur vereinzelt und nicht so massenhaft wie die erwähnten Sport- und Rennspiele. Die Auflistung ist

28. Vgl. Michael Liebe: Die Dispositive des Computerspiels, in: Game over!? Perspek- tiven des Computerspiels, hrsg. v. Jan Distelmeyer u. a., Bielefeld 2007, S. 73–94, hier S. 73-94. 29. Ebd., S. 86.

17 veraltet, und eine Bestätigung der Vermutung steht noch an, dass dieser Trend zur einer dichteren Verschränkung mit Filmästhetik anhält. Von ei- nem technischen Fortschritt im Bereich der Videospiele kann man ausgehen; aber auch in der Ausstattung und Umfunktionierung des Wohnzimmers? Heim-Kinos mit Surround-Soundsystemen und Breitbild-Plasmafernsehern sind keine Besonderheit mehr. Ist Assassin’s Creed die logische Konsequenz dieser Entwicklungen? Auch andere erfolgreiche Spiele 30 lassen zumindest diese Vermutungen zu. Bolter und Grusin unterscheiden ebenso Spiele, die für den Heimcom- puter erschienen sind und Film remediatisieren. Der Arbeitsplatz biete sich besser an für solche ruhigen Rätselspiele, als Spielhallen oder Wohnzimmer, in denen reger Verkehr herrscht und sich daher für schnellere Action-Shooter anbieten 31. Während Kinos den Saal abdunkeln und auf immersives Erleben setzen 32, ist das heimische Fernsehgerät seiner Position im Raum als Fenster (neben anderen) in die Außenwelt bewusst und somit auf der Seite der Hyper- medialität anzusiedeln. Adventures remedieren Film, während Action- und Arcade-Spiele den Fernseher so neu auflegen. Assassin’s Creed lässt sich so nicht kategorisieren; es verweist explizit auf den Film: Disclaimer zu Beginn, Abspann zum Schluss, dazwischen cutscenes mit wechselbaren Kameraein- stellungen.

1.5 Film-Vorbilder

Film wird nicht nur formal remediert, sondern auch inhaltlich auf das andere Medium in Form von Filmzitaten verwiesen; diese legen eine Spur zum Verständnis dieses Netzes aus Remediationen, dessen Komplexität stark zunimmt, wenn neben Film auch noch der Imitation virtueller Realität Be- achtung geschenkt wird, die selber wiederum auf Film zurückgreift. 33 Zudem schafft Film massenwirksame Bilder der Vergangenheit, die aufgegriffen wer- den und so die Königreiche, die im Spiel bereist werden, als historisch aus- weist und in popkulturellen Kreisen den perfekten Agenten findet, nämlich den maskierten Superhelden der Comics.

1.5.1 Matrix Dem Anschein nach übte The Matrix 34 erheblichen Einfluss aus. In die- sem breitenwirksamen Film über virtuelle Realität klinken sich Menschen in

30. Uncharted-SerieNaughty Dog: Uncharted: Drake’s Fortune, 2007, die Call of Duty- ReiheActivision: Call of Duty, 2004 im Stile der Weltkriegs-Shooter und insbesondere der interactive film noir Quantic Dream: Heavy Rain, 2010 31. Bolter/Grusin: Remediation: Understanding New Media (wie Anm. 10), 93f. 32. Ebd., 93f. 33. Ebd., 163f. 34. Andy Wachowski/Lana Wachowski: The Matrix, 1999.

18 ferner, unwirtlicher Zukunft über Stecker im zentralen Nervensystem in die- se ein. Ihr echter Körper weckt den Anschein, als ob er auf Zahnarztsesseln schlafen würde, während die Gehirne in der Matrix umherstreifen, die allen Unwissenden die normale Welt vorgaukelt.

Abbildung 1.3: Frappierende Ähnlichkeit zu Matrix insbesondere im Sequel.

Auch Desmond Miles legt sich auf den Animus, welcher sehr ähnlich ent- lang der Wirbelsäule leuchtende Knöpfe aufweist, während sich über seine Augen ein gläserner Monitor schiebt, auf dem wir die Sequenzen — Levels — anwählen, in die wir uns einlesen möchten. Man wählt sich nicht in die Matrix ein, sondern in die in seinen Genen codierte historische Realität. Während

Abbildung 1.4: Der erste Animus des fiktiven Konzerns Abstergo. sich der Film der Wachowski-Brüder in zahlreichen logischen Fehlern und philosophischen Missverständnissen mit Beaudrillards Theorien über Reali- tät und Simulation verheddert 35, verleiht der Animus in Assassin’s Creed

35. Vgl. Jörn Glasenapp: Wake up, Neo! Einige Überlegungen zu einem as dem Schlaf

19 der Geschichte eine eigene Realität; sie wird zu einer virtuellen, eigenstän- digen Welt, hochgerechnet aus Desmond Miles geerbter Erinnerung. Slavoj Žižek analysiert dieses Geschichtsverständnis virtueller Realitäten bei The Matrix: “Till postmodernism, utopia was an endeavour to break out of the real of historical time into a timeless Otherness. With post- modern overlapping of the ,end of history’ with full disponibility of the past in digitalized memory, in this time where we LIVE the atemporal utopia as everyday ideological experience, utopia becomes the longing for the Real of History itself, for memory, for the traces of the real past, the attempt to break out of the closed dome into smell and decay of the raw reality. The Ma- trix gives the final twist to this reversal, combining utopia with dystopia: the very reality we live in, the atemporal utopia staged by the Matrix, is in place so that we can be effectively reduced to a passive state of living batteries providing the Matrix with the energy.” 36 So wie auch die Trikotfarbe der Heldenfiguren von Schwarz auf Weiß ge- ändert wurde, wird auch das Verhältnis zur Realität umgepolt und damit die Science-Fiction zu einer Erzählung zur Vermeidung einer Dystopie wird, indem informationstechnisch um die Utopie gekämpft wird. Die disponible vergangene Realität wird buchstäblich durchsucht, was den Informationen paradoxerweise mehr Glaubwürdigkeit verleiht, wenn sie erst der animierten von Gestank, Dreck und Verfall heimgesuchten Welt mit Gewalt entrissen werden. Liefert Žižek im Grunde mit den zwei Seiten der Perversion die psychoanalytische Erklärung für die Remediationslogik? Filmvorlage und Spiel haben gemeinsam die Botschaft der Reform, die nämlich mit jedem Prozess der Remediation eingekauft wird. 37 Die Vorstel- lung dieses umgekehrten Verhältnisses zur Information, auf die nicht unein- geschränkter Zugriffmöglich ist, sondern durch die wir uns durch bewegen, geht der Idee der nacherlebten und zugleich computerisierten Geschichte vor- aus. Im Rahmen der virtuellen Realität ist bei Bolter und Grusin auch von einer Theologie des Cyberspace die Rede, entworfen von jenen Enthusiasten, die in dieser Welt aus reiner Information eine neue Transzendenz ausmachen, die unmittelbarer Zugriffauf pure Information jenseits materieller Beschrän- kungen bedeutet. 38 Abgesehen von der berechtigten Kritik von Bolter und Grusin, dass die derzeitige Situation noch weit von einem solchen Zustand gerissenen Hollywood-Helden, in: Cyberfiktionen. Neue Beiträge, hrsg. v. dems., München 2002, S. 100–124, hier S. 100-121. 36. Slavoj Žižek: The Matrix, or Two Sides of Perversion, http://www.egs.edu/facu lty/slavoj-zizek/articles/the-matrix-or-two-sides-of-perversion/,Zugriffam 30.1.2012, 1999. 37. Bolter/Grusin: Remediation: Understanding New Media (wie Anm. 10), S. 54. 38. Vgl. ebd., S. 180-183.

20 entfernt ist, scheint interessant, dass innerhalb des Cyberspace wiederum materielle Beschränkungen programmiert werden, also eben die fehlerhafte, dafür authentische Welt der Matrix, oder jene historische Welt des Mittelal- ters, die schmutzig, brutal und grausam ist.

1.5.2 Königreiche Ein zweites Film-Vorbild — ein Historienepos — modellierte die Ge- schichtsbilder und bürgte für die Glaubwürdigkeit. Filme über das Mittelal- ter verfügen über kein filmisches oder photographisches Quellenmaterial und keine Zeitzeugen können interviewt werden; nur künstlich nachgestellte Sze- nen ermöglichen Authentizität durch Transparenz. 39 Im Jahr 2005 erschien Kingdom of Heaven 40, knapp zwei Jahre vor Assassin’s Creed.Sowohldie Straßenbilder, als auch Panoramen weisen starke Ähnlichkeit auf. Das offen- sichtlichste Merkmal sind die verwendeten Farbfilter, die in Scotts Monumen- talepos eine deutliche Sprache sprechen. In blau sind die düsteren Aufnahmen der kühlen, fränkischen Gegenden gehalten, während sonnig-gelbliche Farb- filter für die orientalischen Bühnenlandschaften verwendet wurden 41. Sehr ähnlich dargestellt werden die arabisch besetzten Städte Damaskus und Je- rusalem in Assassin’s Creed, während die abendländische Festung Akkon sich nebelig darbietet, von bläulich diffusem Licht dominiert. Das gilt auch für den Animus und die gegenwärtigen Ereignisse, die wir durch Überwachungs- videos verfolgen. Auch in The Matrix bietet die reale Welt einen kalten, blauen Gegensatz zur simulierten Realität, auf die der grüne Code des Welt- programms abfärbt. Der Einstiegsfilm, der auch als teaser fungierte, bevor das Spiel auf den Markt kam, zeigt eine öffentliche Hinrichtung, dessen Entsprechung in King- dom of Heaven die Brutalität des Mittelalters demonstriert und den Fana- tismus der Templer bestraft. Das Mittelalter-Klischee ist dreckstarrend, voll ungezügelter Gewalt und regiert von religiöser Intoleranz — Chiffren, die selber eine Filmgeschichte aufweisen können, in der sie domestiziert wor- den sind 42. So wird garantiert, dass wir im Spiel das Mittelalter überhaupt wieder erkennen. Nicht nur Form, sondern auch kritischer Inhalt wird von Kingdom of Heaven übernommen: Scotts Film wird von Simona Slanička

39. Dieses Genre ist folglich in der Sphäre des Kinos anzusiedeln, dass Unmittelbar- keit anstrebt, während der Dokumentarfilm üblicherweise die Quellen nebeneinander zeigt und auf Karten historische Bewegungen erläutert: Ein Fall von Hypermedialität, so zum Beispiel in den Cutscenes von Call of Duty remediatisiert. — vgl. auch Kapitel 3.4. 40. Ridley Scott: Kingdom of Heaven, 2005. 41. Vgl. Simona Slanička: Kingdom of Heaven – Der Kreuzzug Ridley Scotts gegen den Irakkrieg, in: Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion, hrsg. v. Mischa Meier/Simona Slanička/Jörn Rüsen, Bd. 29 (Beiträge zur Geschichtskul- tur), Köln – Weimar – Wien 2007, S. 385–398, 389f. 42. Vgl. Thomas Scharff: Wann wird es richtig mittelalterlich? Zur Rekonstruktion des Mittelalters im Film, in: Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation –Projektion,hrsg.v.SimonaMeierMischaundSlanicka,Bd.29,Köln2007,S.63–84.

21 auch als Kreuzzug gegen Bushs Irak-Krieg verstanden 43, dessen sinnlose Zer- störungen und Brutalität resultierend aus Arroganz und religiöser Intoleranz mit dem Kreuzzug gleichgesetzt wird. Die Opfer Altaïrs sind Profiteure vom Krieg, werden daher zu Opfern gekürt, weil mit ihrem Tod weiteres Blut- vergießen verhindert wird. Die politische Botschaft von Assassin’s Creed ist durch seine historische Aufmachung überhaupt erst seriös und schlagkräftig. Produzentin Jade Raymond beschreibt dies als eines der Hauptziele bei der Entwicklung:

“One of our main objectives was to — of course — make the art direction as realistic and as close to the historical references that we found; but the difficulty about — you know — having a subject where guys walk around in armour and look like knights and stufflike that is that it tends to be associated with fantasy and one of the important things to us was making sure, that the game and the feeling and the location was really relevant to people.” 44

Die Sorge um eine Verwechslung mit dem Fantasy-Genre kommt einem Miss- verständnis gleich; um “Relevantes” durch das Spiel ausdrücken zu können, müssen die Schauplätze historisch akkurat anmuten. Vit Sisler zu Folge ist darauf der Anklang zurückzuführen, den Assassin’s Creed auch bei Spielern aus dem Mittleren Osten gefunden hat. 45 Träger der politischen Botschaft sind die Protagonisten: Balian ist ein Bastard mit dunkler Vergangenheit, ei- ne Figur, die selber eine lange Tradition hat in der Funktion als Mediator der Kulturen, nicht nur zwischen Orient und Okzident, sondern auch zwischen uns aufgeklärt-bürgerlichen Zusehern und dem finsteren, rückständigen Mit- telalter. 46 Auch von Altaïr ist wenig bekannt. Deutlich gemacht wird nur, dass er der Sohn zweier Religionen ist — also nach ähnlichem Muster Iden- tifikation anbietet. Jedoch wurde eine aktivere Figur geschaffen, die sich in gängige Spielkonzepte besser einfügte. Er braucht weder mit gutem Beispiel voran gehen noch Umwege über die Politik machen.

43. Slanička: Kingdom of Heaven – Der Kreuzzug Ridley Scotts gegen den Irakkrieg (wie Anm. 41), S. 385. 44. Jade Raymond: Assassin’s Creed Developer Diary: Art Direction, http://www.gam etrailers.com/video/jade-raymond-assassins-creed/26613,Zugriffam17.12.2012, 2007. 45. Sisler: Palestine in Pixels: The Holy Land, Arab-Israeli Conflict, and Reality Con- struction in Video Games (wie Anm. 15). 46. Vgl. Slanička: Kingdom of Heaven – Der Kreuzzug Ridley Scotts gegen den Irak- krieg (wie Anm. 41), S. 393-397 und Scharff: Wann wird es richtig mittelalterlich? Zur Rekonstruktion des Mittelalters im Film (wie Anm. 42), S. 82

22 1.5.3 Heldenfiguren

Dieses Vorgehen erinnert an die Selbstjustiz eines vigilanten Comichelden 47, sowie auch die Kostümierung: Ubisoft schafft einen ,Eagleman’, dessen Auf- machung Programm ist. Ein Held, der wie ein Adler über den Dächern der Stadt kreist und nur für einzelne Anschläge hinunterstürzt, um ausschließlich die “Architekten der Kreuzzüge” 48 auszuschalten. Möglichst wenig Kollate- ralschaden, kein Vergreifen an Zivilisten; Missionen zur Verhinderung groß angelegter Invasionen mit Kämpfern, welche die Bevölkerung traktieren. Das charakteristische alter ego dieser kostümierten Superhelden bildet der ge- wöhnliche Barkeeper außerhalb der virtuellen Geschichtsrealität. Die Figur des Assassinen 49 ist weder Soldat und noch Feldherr, sondern definiert sich über verschiedene Modi der Sichtbarkeit hinter feindlichen Linien; reflektiert so Gehorsam: Mit jedem Mord sieht Altaïr deutlicher, dass die Fäden der Verschwörung bei seinem Auftraggeber zusammenführen. Diese Formatierung als Comic-Held ist notwendig, um Identifizierung sei- tens der Spieler zu gewährleisten: Die Assassinen als Atheisten darzustellen, wäre eine von mehreren Freiheiten, die man sich erlaubt hat. 50 Die Attentate dieser eigentlich ismaelitische Gruppierung wurden lediglich mit einem Dolch ausgeführt, was zwar ermöglichte, dass sie nah an ihr Opfer heran kamen, jedoch dann auch ohne schwere Bewaffnung keine Chance zur Flucht hat- ten; dies erforderte religiöse Hingabe und Aufgabe des eigenen Lebens. Am Prägnantesten ist diese Umdeutung im “Leap of Faith” zu sehen: Überliefert ist, dass die Assassinen damit ihren Fanatismus zur Schau stellten, indem sie sich der Reihe nach vom Turm in den Tod stürzten. Im Spiel wird das aufgegriffen — sogar regelmäßig; nur stürzt sich Altaïr stets in Heuhaufen, in denen er unentdeckt bleibt und alle glauben lässt, er sei tot. Für unsere medientheoretische Frage ist vor allem interessant, dass der Reformwunsch Scotts remediert wird, andererseits durch das Augenzwinkern, mit welchem das Spiel verkauft wird und der politischen Botschaft die Zähne gezogen wer- den. Der doppelte Boden, der in die Narration eingebaut ist, lässt den Träger der politischen Botschaft zaubertrickartig in einem Heuhaufen verschwinden, um es verkaufen zu können, denn fanatische Kämpfer, die nach jedem Atten- tat ausgewechselt werden, sind ideologisch nicht akzeptabel — im Gegensatz

47. Vgl. Thomas Ballhausen/Günther Krenn: Politik der Feindschaft. Notizen zum dun- kelsten aller Ritter, in: Comic. Film. Helden. Heldenkonzepte und medienwissenschaftliche Analysen, Wien 2009, S. 53–66. 48. Raymond: Assassin’s Creed Developer Diary: Art Direction (wie Anm. 44). 49. Vgl. dazu das Spiel der Replay Studios: Velvet Assassin, 2009 das von einer Spionin handelt, die während des zweiten Weltkriegs Sabotage-Akte hinter feindlichen Linien an Nazi-Einrichtungen vollzieht. Auch hier gibt es eine Kameraeinstellungen über die Schul- ter, historische Vorbilder (Violette Szabo), die in eine Rahmenerzählung eingebettet sind, die auch zu anachronistischen Einstellungen führt, die mit surrealen Einfärbungen Sicht- barmachungen des Sehens darstellen: Vgl. Kapitel 3.2.3. 50. Raymond: Assassin’s Creed Developer Diary: Art Direction (wie Anm. 44).

23 Abbildung 1.5: Ein Assassine vom Format eines Superhelden. zum Mann mit Superkräften, in dessen Kostüm wir die “mythische Sehnsucht nach Größe” 51 befriedigen können. Zweitens, kann man diese Form als eine zwingende Konsequenz aus der Verortung der Computerspiele in der Popkultur verstehen; mit den ersten ambivalent gezeichneten Figuren wie the Dark Knight Batman entsteht die Matrix, auf der Katrin Harrasser zufolge “sich Mitte der 80er Jahre ein neu- es Science-Fiction Genre — Cyberpunk — ausbildete.” Aus dieser Artver- wandtschaft resultiert eine “ähnlich paradoxe Erzähl- und Zeitstruktur”, die den Helden — ewig jung — unendlich viele Tode sterben lässt, damit die Ge- schichte ihren geplanten Ablauf und ihr Ende findet. 52 Superkräfte reichen also nicht aus, den Verlauf der Geschichte zu ändern: In Assassin’s Creed ist es explizites Spielziel, möglichst exakt das Vergangene nachzuerzählen: ein Balken links oben im Spielbildschirm zeigt uns sehr ähnlich wie in an- deres Spielen den gesundheitlichen Zustand unserer Figur an; dieser wächst im Verlauf des Spieles mit dem Können Altaïrs an, vermittelt uns hier aller- dings nicht dessen ,Lebensenergie’ sondern das Ausmaß an Synchronität mit

51. Wolfgang Müller-Funk: Anatomie des Helden, in: Zeitreise Heldenberg. Lauter Hel- den, hrsg. v. Wolfgang Müller-Funk/Georg Kugler, Horn – Wien 2005, S. 3–12, hier S. 12. 52. Karin Harrasser: Soldaten, Amazonen und hoffnungsvolle Monster. Helden und Hel- dinnen im Comic, in der Science Fiction und im Computerspiel, in: Zeitreise Heldenberg. Lauter Helden, hrsg. v. Wolfgang Müller-Funk/Georg Kugler, Horn – Wien 2005, S. 130– 137, hier S. 133.

24 den historischen Ereignissen. Stirbt Altaïr, heißt das nichts weiter, als dass unsere Geschicklichkeit nicht ausreichte, der Geschichte Genüge zu tun.

1.6 Geschichts-Nachbildungen

Die Formatierung der Geschichte im Actionspiel ist eine Frage der Äußer- lichkeit. Ob historische oder fiktive Persönlichkeiten getötet werden, spielt für die Funktionsweise des Programms keine Rolle. Im Sync-Balken expliziert das Spiel so eine seiner typischen Eigenschaften, nämlich seine Aufforderung zur Pünktlichkeit, zum konzertierten Nacherzählen des Epos. Sobald Themen von persönlicher Relevanz bespielt werden, scheint dies therapeutische bzw. introspektive Verfahren nicht ausschließen zu können, was uns zum Thema der Spielanthropologie führt.

1.6.1 Pünktlichkeit “Dabei sind Schießspiele und Tennisspiele gar nicht so weit von- einander entfernt. Denn das Problem des Todes oder des Verpas- sens eines Balles liegt bei beiden Spielen nicht im Treffen oder Getroffenwerden, sondern in der Verantwortung zur Pünktlich- keit.” 53 Ob Tennis, Abschuss oder Attentat, das Wesen der Actionspiele lässt sich im Wesentlichen auf dessen zeitkritische Anforderung reduzieren — auch Geschichtsschreibung ist dann eine Frage des Timings. Pias reduziert das Lernen auf genau dieses Moment, welches er mit Piaget als Akkommodation beschreibt, eine kompromisslose Anpassung an die Algorithmen des Spiels 54 Die Umkehrung, zur “Spiel-Arbeit”, die sich ergibt, würde auch Johan Huizin- ga als Korrumpierung des Spiels auffassen, das unabhängig von den Gesetzen des Alltags ist. 55 Auch Desmond Miles spielt ja nicht freiwillig; wir befreien ihn durch unsere Pünktlichkeit von seiner Tätigkeit am Animus und er nimmt eine Fähigkeit aus dem Spiel mit: mit dem Adlerauge Altaïrs kann er die Hin- weise auf die Fortsetzung erkennen, in welcher er wieder — und wir mit ihm — an den Computer angeschlossen wird. Dieser Lernprozess kann geradezu als Ironisierung der These von Jonas Linderoth 56 verstanden werden: Ihm zufolge vermitteln Computerspiele den Eindruck gelungenen Lernens, auch indem solche visuellen Unterstützungen angeboten werden, die es eben im echten Leben nicht gibt. Daran wird deutlich, dass Computerspiele für uns

53. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 108. 54. Ebd., S. 116-118. 55. Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel (wie Anm. 8), 21 et passim. 56. Jonas Linderoth: Why gamers don’t learn more: An ecological approach to games as learning environments, in: Journal of Gaming and Virtual Worlds 4.1 (2012), S. 45–61.

25 zwischen Objekten differenzieren, die für das gameplay relevant sind — also unser Avatar für uns lernt und zwar ausschließlich —, was zum Meistern des Spiels beiträgt. Wir lernen nur, was wir in der Fortsetzung gebrauchen kön- nen, nämlich eine Taste zu drücken, um das Adlerauge außerhalb des Spiels einzusetzen und damit Abspielen des Abspanns auszulösen — Spieler werden auf das Auslösen cineastischer Effekte abgerichtet und damit auf den Kauf weiterer Produkte vorbereitet. Gehen wir davon aus, dass das Drücken bestimmter Tastenfolgen keinen narrativen Zusammenhang herstellt, bleiben letztlich nur Erzählungen, wie sie Adventures 57 zur Darstellung von Geschichte liefern: Indem uns das Pro- gramm mitteilt, dass wir einen Schlüssel finden, wissen wir, dass wir damit ein Schloss öffnen können und damit den Datensatz aufrufen, der uns vor- her nicht zugänglich war. Nachdem es in Adventures üblicherweise keinen Zeitdruck gibt, heißt das wesentlichste Gebot nicht Pünktlichkeit, sondern Effizienz, die Redundanzen in Geschichten ausschließt — etwa das wieder aufsuchen eines Raumen, um den dort vergessenen Schlüssel einzustecken. Mit möglichst wenig Eingaben sind die entworfenen Labyrinthe zu durch- schreiten und Rätsel zu lösen: „Der Spieler stößt vielmehr immer wieder auf die Frage: Wozu dient es (ein Objekt, ein Befehl)? Adventurespiele handeln, allen Anschein der Genres zum Trotz, nicht davon, etwas zu finden (Mör- der, Schätze, Prinzessinnen usw.), sondern davon, herauszufinden, wie etwas zusammengehören könnte, wie etwas miteinander Sinn als Spielfortschritt macht und mit welchen Befehlen an welchen Stellen diese Leistung optimal zu bewerkstelligen ist. Ihre Frage ist eine nach der Relevanz. Die operationelle Kompetenz des Adventurespielers liegt in der Effizienz der Entscheidungen, bestimmte, in einer Datenbank vorliegende (Daten)Sätze zu verknüpfen.” 58 Ein Spiel entsteht dadurch, indem der Mensch Aufgaben übernimmt, die ei- gentlich Leistung künstlicher Intelligenz sind. „Deshalb steht am Ende des Adventurespiels auch nicht das ausgebildete Subjekt des Bildungsromans, sondern jemand, der eine parsergerechte Sprache spricht, durch die objekt- bezogen Situationen gelöst (oder technischer: Daten optimal rekonfiguriert) werden können und damit ein recyclebares Benutzerwissen. Nichts anderes konstatiert Lyotard: Das, was in einer Ausbildung vermittelt wird, ist zu- nehmend ,in eine informatische Sprache übersetzbar und der traditionelle Lehrende einem Speicher vergleichbar’, weshalb ,die Didaktik Maschinen an- vertraut werden’ kann.” 59 Pünktlichkeit und Effizienz werden Spielern abverlangt, die im Rahmen des Computerspiels Zeitreisen antreten und führende Persönlichkeiten der Kreuzzüge töten sollen — keineswegs faktisches Wissen über historische Ver- läufe, schon gar nicht, mit welchen epistemologischen Problemen man zu

57. Vgl. Kapitel 1.4.1. 58. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1). 59. Ebd.

26 kämpfen hat, wenn man diese erforscht oder schreiben möchte. (Wobei heut- zutage der Computer aus Textverarbeitung und Datenbankrecherche nicht wegzudenken ist.) Die Frage, ob Spiele Kunst sein können, bewegte David Cronenberg zu seinem Film eXistenZ 60; dieser beginnt mit der Vorstellung eines neuen Spielsystems im Rahmen einer Szenerie, die einer Séance ähnelt, in der ei- ne berühmte Spieldesignerin mit einigen Leuten vorführt, wozu ihr neues System im Stande ist: Wie sich im Laufe des Films zeigt, gibt dieses kei- ne Handlung vor, sondern lässt die Spieler selbst ihre Motive in das Spiel projizieren. Herauszufinden, was das Ziel ist, ist das Ziel und das ,Benutzer- wissen’ dient dazu, andere Spieler auszuschalten. Also macht das Spiel die Spieler zu Attentätern, die in solchen Gruppentherapiesitzungen ihre eige- nen Befindlichkeiten verstecken und zugleich als Daten prozessieren müssen, was sich darin äußert, dass das Verhältnis zu diesem heiklen Spiel auf jedem Level Thema ist: Der Eintritt in die parallele Spielwelt beginnt stets mit der Einführung eines neuen Spielsystems; mit jedem Austritt wird das Interface bewusst. 61

Abbildung 1.6: Das organische Design des neusten Spielsystems „eXistenZ”

1.6.2 Therapie Andererseits lässt sich nicht ganz leugnen, dass die Ausgabe des Pro- gramms, das Dekor, keinerlei Bedeutung hätte. Hier kann man als Beispiel das Spiel Remission anführen, dessen Effekte getestet wurden: Auch hier handelt es sich um ein Schießspiel, allerdings mit therapeutischen Implika- tionen: als Roxxy muss man mit Medizin Krebs abschießen, programmiert mit der Hoffnung, dass die krebskranken Jugendlichen lernen, ihre Medizin zu nehmen:

60. David Cronenberg: eXistenZ, 1999, So sagt er das in einem making-of. 61. Vgl. Leon Hunt: ’In Know Kung Fu!’ The Martial Arts in the Age of Digital Repro- duction, in: Screenplay. cinema/videogames/interfaces, hrsg. v. GeoffKing/Tanya Kryzy- winska, London - New York 2002, S. 194–205.

27 “Although the researchers did not identify the core mechanics in the game that lead to the learning transfer, they highlighted the reported feeling of self-efficacy as the key trigger for the learning success. As one of the patients explained: ,It feels like you have control over your own destiny’.” 62 Das Gefühl, Kontrolle über das eigene Schicksal zu haben, lässt sich nicht mehr ausschließlich mit dem Medium und seiner “Kernmechanik” erklären: Dass Programme, bestehend aus bestimmten Tastenabfolgen, direkt Lern- prozesse auslösen, erscheint eine absurde Vorstellung. Das Erleben der Selbst- Wirksamkeit scheint da als Erklärung geeigneter zu sein; dieses ist im Be- wusstsein verhaftet, dass man ,bloß spielt’: Die jungen Erwachsenen, die als Roxxy den Krebs mit Medikamenten beschießen, wissen genau, dass sie im echten Leben nicht mehr tun können, als Medikamente zu schlucken 63. Andernfalls könnte der transformative Lerneffekt auch gar nicht als solcher gezählt werden. Im Spiel wird etwas zur Darstellung gebracht, ohne dass ein Bewusstsein für die Wirklichkeit verloren ginge 64 — ganz im Sinne von Huizingas Dro- menon, “d.h. etwas, was getan wird. Was dargestellt wird, ist ein Drama, d. h. eine Handlung, gleichviel, ob die Handlung in der Form einer Aufführung oder eines Wettkampfes vor sich geht. Sie stellt ein kosmisches Geschehen dar, aber nicht bloß als Repräsentation, sondern als Identifikation; sie wie- derholt das Geschehene. Der Kult bringt die Wirkung zustande, die in der Handlung bildhaft vorgeführt wird. Seine Funktion ist nicht bloß ein Nach- ahmen, sondern Anteilgeben oder Teilnehmen. Es ist ein ,helping the action out’”. 65 Das Erleben von vorgespielter self-efficacy ist mit Huizingas Begriffdes Dromenons gleichzusetzen: Wie im Kult 66 will der Spieler der Betrogene sein; er will die Illusion darstellen, dass er Krebszellen abschießt und Tyrannen meuchelt, ohne ihr zu verfallen. Was bedeutet dies für die Erfahrung von Geschichte in Assassin’s Creed? Im Gegensatz zu Krebs ist Geschichte kein Leiden, das kuriert werden muss, sondern hier der Versuch, dem Klientel interessante Inhalte zu bieten: Es gibt ihnen die Gelegenheit, an der Geschichte — das heißt hier: an für die Gegenwart relevanten Ereignissen — zu partizipieren, in dem die Fakten durch den Spieler neu miteinander verknüpft — synchronisiert — werden. Die Produzenten beschreiben in den developer’s diaries und Interviews das Kampfsystem als eines des richtigen Timings: abzuwarten, im rechten Moment den richtigen Klick zu tätigen, sich von einer der zahlreichen, töd-

62. Konstantin Mitgutsch: Serious Learning in Serious Games, in: Serious Games and Edutainment Applications 2011, pp. 45–58, here p. 55. 63. Ebd., S. 55. 64. vgl. Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel (wie Anm. 8), 16f. 65. Ebd., 23; Herv. im Original. 66. Vgl. ebd., S. 33.

28 lichen Kampfchoreographien überraschen und somit die Geschichte in ei- ner spannenden Filmästhetik weiterlaufen zu lassen. 67 Im so beschriebenen Kampfsystem ist es vielmehr Ziel, die Interaktivität auszuschalten und das dominante Geschichtsmedium Film zu reinstallieren — woran man sieht, dass diese Verknüpfung der Fakten zur Fiktion in einer filmischen Narration ge- schieht; durch den Einsatz einschlägiger Bilder wird diese Darstellung ,histo- risch’. Hier wird eine Grenze ersichtlich in der Beschreibung nach Huizinga: Während im Kult Anteilgeber und Teilnehmer vereint sind, sind Nutzer und Designer von Computerspielen räumlich und zeitlich getrennt, so dass diese Spielprogramme nicht notwendigerweise einen magic circle beschreiben.

1.6.3 Zauber- und Schaltkreise

Eine andere Aussage Huizingas hat besonderen Anklang gefunden, mit welcher er die Form der Spiele beschreibt: als magischen Kreis, mit dem Hui- zinga den autonomen Spielraum erklärt, mit dem sich Spielende zum Rest der profanen Welt abgrenzen und in dessen Sphäre besondere Regeln gelten. Dieses Kennzeichen wurde von den Pionieren der Game Studies 68 aufge- nommen, um analog die virtuellen Räume samt deren fesselnder Wirkung zu beschreiben; ebenso wie der Versuch einer formalen Definition des Spiels oft als Kernaussage herangezogen wird. 69 Dabei widerspricht sich Huizinga mit diesem Versuch einer Spiel-Definition der Form nach, da er sonst einen kulturanthropologischen Begriffentwirft: Spiel ist eine psychische Sphäre, ein distinkter Zustand des Menschseins; keine deskriptiv zu fassende forma- le kulturelle Praxis. Aus der Kultur, die es begründet, kann sich das Spiel nämlich wieder zurückziehen. Ein solches Fluidum ist also formal nicht ding- fest zu machen. 70 Der Spielraum ist bloß gedacht, kann folglich nicht von Computercodes vorstrukturiert sein. Diese Zauberkreise sind also nicht die elektronischen Schaltkreise, in die Visualisierungen auf unseren Bildschirmen eingebunden sind. Zum Verhältnis von Darstellung und Spiel äußert sich Huizinga deutlich: “Das Spiel ist ein Kampf um etwas oder eine Darstellung von etwas. Diese beiden Funktionen können sich auch vereinigen, in der Weise, daß das Spiel einen Kampf um etwas ,darstellt’ oder

67. Patrice Désilets: Assassin’s Creed Video Game, Developer Diary: Fight System, http://www.gametrailers.com/video/developer- diary- assassins- creed/27509, Zugriffam 17.12.2012, 2007; Jade Raymond: Assassin’s Creed Developer Diary: Storyline, http://www.gametrailers.com/video/developer- diary- assassins- creed/13648, Zugriffam 17.12.2012, 2006. 68. Bspw. Katie Salen/Eric Zimmerman: Rules of play. game design fundamentals, 2004. 69. Welche selten unkritisiert bleibt — am prominentesten: Roger Caillois: Man, Play and Games, Chicago 2001, S. 4 70. Vgl. Robert Pfaller: Die Illusionen der anderen: Über das Lustprinzip in der Kultur, Frankfurt am Main 2002, 100f.

29 aber ein Wettstreit darum ist, wer etwas am besten darstellen kann.” 71 Nimmt man Huizingas Spielbegriffbuchstäblich, ist ein Computerspieler je- mand, der so tut, als ob er ein Computer wäre (“Darstellung von etwas”) oder eher noch jemand, der einer höheren Instanz seine Herrschaft über das Rechengerät vorführt (“Kampf um die richtige Darstellung”), da sonst nichts auf dem Spiel steht, um das gekämpft werden könnte, außer vielleicht den ersten Platz im Starcraft-Turnier samt Preisgeld (“Kampf um etwas”). 72 Hier sieht man, wieso Michael Liebe, welcher Computerspielen den magic circle abspricht, ihn hier wieder auferstehen sieht, nämlich in der sozialen Verbind- lichkeit zwischen den in Clans und Gilden organisierten Computerspielern, sich zugunsten einer problemlosen Spielabwicklung an Abmachungen zu hal- ten. Der Zauberzirkel entsteht also nur in realen Räumen, als materielle Manifestation des Bewusstseins, dass man ,bloß spielt’; im Gegensatz dazu ist im abgepackten Computerspiel schon mehr vorprogrammiert: “The hard- and software of the computer contribute a lot more than the material to the game — they determine the role and function of the rules, and basically enable the game actions to be performed.” 73 Dieses “Mehr” ist nicht nur eine Narration, eine fiktionale Welt, wie das Ste- phan Günzel 74 in einer kritischen Lesart von Jesper Juul feststellt; Die De- terminationen sind schon Teil des Kultur schaffenden Prozesses, ein Beitrag zu Geschichtsauffassungen. Huizinga zufolge sind die Motive, die zum Spiel führen, Sache der Psy- chologen. Er interessiert sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive dafür, “was die Verbildlichungen im Geist der Völker bedeuten, für die ein Um- setzen des Erlebten in Formen des lebendig bewegten Lebens Wert hat”. 75 Durch das Verbildlichen des Computerspiels selbst als Animus — d.h. leben- dig bewegter, also animierter Geschichte — können wir Huizinga zu Folge

71. Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel (wie Anm. 8), S. 22. 72. Vgl. Nikolaus Jilch: Wir geben den Controller nicht ab!, http://diepresse.com/ho me/techscience/hightech/1321697/Wir-geben-den-Controller-nicht-ab,Zugriffam 17.12.2012, 2012: „Computer- und Videospiele sind längst ein Bestandteil unserer Kultur. [...] Immerhin ist die Spiele-Industrie inzwischen größer als Hollywood. Und die guten Spieler sind längst Superstars. YouTuber wie “Hutch” oder “Sandy Ravage” sind Legenden einer immer noch in sich geschlossenen Welt. Im technikverrückten Südkorea ist man schon zwei Schritte weiter. Dort stehen die richtig guten “Starcraft”-Spieler auf einer Stufe mit Justin Bieber – und werden von kreischenden Teenie-Girls belagert. 73. Michael Liebe: There is no Magic Circle. On The difference between Computer Games and Traditional Games, in: Michael Liebe/Dieter Mersch/Stefan Günzel (eds.): Conference Proceedings of The Philosophy of Computer Games, potsdam 2008, pp. 324– 341, here p. 338. 74. Stephan Günzel: Der reine Raum des Spiels. Eine Kritik des magic circles, in: Das Spiel und seine Grenzen. Passagen des Spiels II, hrsg. v. Matthias Fuchs/Ernst Strouhal, New York – Wien 2010, S. 189–202. 75. Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel (wie Anm. 8), S. 24.

30 Rückschlüsse ziehen auf Bedeutung des Computerspiels und seinen kulturel- len Ertrag als mediale Praxis.

1.7 Doppeltes Spiel

Mit diesem Herausstellen des Spielgeräts in einer Rahmenhandlung wird versucht, das Computerspiel als Symbol selbst in ein Spiel höherer Ord- nung einzubauen. Die Serie ist zu einem gigantischen Franchise angewachsen; Ubisoft stellt auf seiner Homepage 76 die Entwicklung von Assassin’s Creed als eine Zäsur in der Firmengeschichte dar: hypermediale Nachfolgespiele 77 für das iPad und social networks, ebenso wie nach Transparenz strebende Kostüm-Filme 78,Animationsfilme79 und Bücher. 80 Die Marke Assassin’s Creed wird also nicht bloß in andere Spielumge- bungen eingesetzt, sondern die “Spielumgebung” wird remediatisiert und im ersten Teil der Serie als Animus in Szene gesetzt: Die zahlreichen Verwertun- gen lassen unklar werden, welche Medien wie remediatisiert werden, welchen Teilen Hypermedialität zuzuordnen ist und welchen Unmittelbarkeit; was an der arbiträren Unterteilung neuer Medien liegt, die Bolter und Grusin vor- schlagen. Schließlich ist Virtuelle Realität auch ,nur’ ein Computerspiel, da der Benutzer ebenso in interaktive Rückkopplungsschleifen eingebaut wird, wenn auch das Interface einer anderen Ergonomie folgt — das gilt ebenso für ubiquitous computing. Auf der anderen Seite unterscheiden sich Fernse- hen und Film ebensowenig in der Speichertechnik. Die Möglichkeit zu Sen- den lässt zwar andere Gebrauchsformen entstehen, die hypermedial scheinen, letztlich sind bewegte Bilder aber immer optische Abtastungen. Wir können daher die Faktoren Interaktivität und Film isolieren, deren Kopplung jedoch keineswegs selbstverständlich ist: Asteroids, Tetris, Pac- Man, Space Invaders operierten mit Symbolen, die keine Ähnlichkeit zur realen Welt hatten und deren Narrationen sich auf die Aufforderung zum Spielen beschränkten. Sie waren allesamt dennoch erfolgreich und heben sich dadurch auch ab; so können wir heute nostalgisch zurückblicken und sie zu Kult erklären. 81 Die aufkommende Ähnlichkeit neuer Film- wie Spielästhe-

76. About Ubisoft. History, http://www.ubisoftgroup.com/en-US/about_ubisoft/hi story.aspx,Zugriffam12.12.2012. 77. Ubisoft: Assassin’s Creed: Recollection, 2011; ders.: Assassin’s Creed: Project Le- gacy, 2009. 78. Yves Simoneau: Assassin’s Creed: Lineage, http://www.youtube.com/watch?v=rUe ABamPlc0,Zugriffam18.12.2012,2009. 79. Laurent Bernier: Assassin’s Creed: Embers, 2011. 80. Eric Corbeyran: Assassin’s Creed Bd. 1: Desmond, 2011; Oliver Bowden: Assassin’s Creed: Renaissance, 2010. 81. Vgl. Konstantin Mitgutsch/Herbert Rosenstingl: Computerspiele zwischen Kult und Kultur, in: 4 (2010), http://www.medienimpulse.at/articles/view/274,Zugriffam 8.9.2012.

31 tik ist schon bemerkt worden 82, wird aber dabei als selbstverständlich hinge- nommen. Eine eigene Historisierung mit besonderem Augenmerk auf diesen Teilaspekt kann hier die Grenzen zweier grundsätzlich zu unterscheidender Medientechnologien verdeutlichen. 83 So verbleibt die in Fankreisen geäußerte Kritik der historischen Korrekt- heit auf einer Ebene touristischer Empörung: “Die Entwickler betonen die hi- storische Genauigkeit in Assassin’s Creed, stellen allerdings den Felsendom in Jerusalem mit seiner heutigen goldenen Kuppel dar.”, kann man im deutschen Wikipedia-Eintrag 84 lesen, der “Historische Korrektheit” als Unterpunkt des Kapitels “Gameplay” führt: Die Fakten sind in der Architektur der Spiel- welt zu archivieren, für Zeitreisende am Computer zugänglich zu halten, in- dem sie anzusteuern sind. Jan Distelmeyer 85 erläutert anhand der Räumlich- keit interaktiver DVD-Menüs, wie das Computerspiel-Dispositiv den Film- Konsum entscheidend verändert hat. Auch Youtube und Internet-Streaming- Plattformen können angeführt werden, als Ausdrücke dieser Game-Mentalität, die Medien und deren Inhalte in Kriterien der Spielbarkeit denkt und anord- net. 86 Die bislang angestellten Hinweise auf den historischen Inhalt sowie ältere Vorbilder, erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit; sie sind das notwen- dige Minimum, um die Wirkung von Assassin’s Creed zu verstehen. Dieses komplexe Geflecht an Remediationen gleicht nicht ineinander verschachtel- ten Matrjoschka-Puppen, sondern ist in ein doppeltes Spiel eingebaut, mit der die Assassin’s Creed-Reihe den Vorrang der Computerspiele über Fil- me beansprucht; wie ein Mann, der von seiner Frau behauptet, sie sei seine bessere Hälfte, aber dabei für sich letztlich beansprucht entscheiden zu kön- nen, wer ,besser’ ist. Geschichte gleicht nicht einem transportierten Inhalt, ist also nicht in Medien enthalten; vielmehr wird historisches Bewusstsein, Erinnerungsleistung selbst inszeniert. Der Held der fiktiven Narration ermöglicht dem ihn steuernden Spie- ler Anteilnahme am historischen Geschehen, durch die Inszenierung seiner Kampfkunst historische Figuren zu ermorden, pünktlich zu dem Zeitpunkt an dem sich ihre Spur in den Quellen verliert. 87 Diese historische Korrekt- heit — ein amüsantes Detail, welches das Spiel nicht beeinflusst — ist den

82. Vgl. GeoffKing/Tanya Krzywinska: Introduction. Cinema/Videogames/Interfaces, in: ScreenPlay. cinema/videogames/interfaces, London - New York 2002, S. 1–32; Benja- min Beil: First Person Perspectives. Point of View und figurenzentrierte Erzählformen im Film und Computerspiel, Münster 2010. 83. Vgl. Kapitel 2 84. Wikipedia: Assassin’s Creed, http://en.wikipedia.org/wiki/Assassin\%27s\ _Creed,Zugriffam18.12.2012. 85. Jan Distelmeyer: Game-Mentalität. Auf dem Weg zur Räumlichkeit der Film- DVD, in: Game over!? Perspektiven des Computerspiels, hrsg.v. Christine Hanke/Dieter Mersch/Michael Liebe, Bielefeld 2007, S. 133–156. 86. Vgl. Kapitel 3. 87. Vgl. Raymond: Assassin’s Creed Developer Diary: Art Direction (wie Anm. 44).

32 Designern wichtig zu betonen, weil die Formatierung der Daten durch das Actionspiel nur so die Verbindung mit Geschichte zulässt. Über Einschrän- kungen strenger historische Methode setzt man sich hinweg, indem das Spiel um historische Authentizität in ein Spiel um die gelungene Darstellung von Cyberfiktionen eingebettet wird. Durch die Rahmenhandlung verliert die Ge- schichtserfahrung im virtuellen Raum des Actionspiels die eigentliche Nar- rativität, in dem kollektive Geschichtsbilder mit jedem Spielakt nochmals wiederholt und gleichsam einem Dromenon in Szene gesetzt — ,erinnert’ — werden. Spiel um historische Authentizität ist daher kein Spiel um Nachstel- lung richtiger Geschichte, sondern ihrer richtigen Remediation. So darf sich der geneigte Käufer der Illusion hingeben, tatsächlich an für die Gegenwart relevanten Ereignissen teilzuhaben.

33 Kapitel 2

Strategien der Immersion

2.1 Archäologie

Eine Fortsetzung des erfolgreichen Attentäterspiels ließ nicht lange auf sich warten. Neben der Chance mehr Profit aus dem branding zu schlagen, ergab sich auch die Möglichkeit einer Wiedergutmachung. Denn bei aller historischer Akkuratesse innerhalb der zugestandenen künstlerischen Freiheit musste man doch eine Peinlichkeit eingestehen: Man war gar nicht vor Ort im Nahen Osten gewesen! Kein Lokalaugenschein bürgte für die Authentizität der Tatorte des Attentäters. Für Assassin’s Creed II reisten die Entwickler daher nach Italien, einem idealen Schauplatz für die nächsten Mordanschläge im Rahmen von Politik und Intrige. Man ließ sich ausgesuchte Städte im Detail zeigen, und erklären, welche Häuser zur Spielzeit schon standen und daher in der Kulisse nachgebildet werden konnten und somit jene Fixpunkte bildeten, um die herum die historische Lebenswelt animiert wird. Mit Wolfgang Ernst könnte man diese touristische Form der Geschichts- vermittlung so erörtern: “Hermeneutic empathy here clashes with pure data naviga- tion: there is a world of difference between an archaeology of knowledge and historical imagination, which seeks to replace pos- itive evidence by an act of reanimation.” 1 Für Medienarchäologen gälte es, genau dieser Verlockung wiederstehen, das Leben zu imaginieren zwischen den realen, widerständigen Trümmern, die ei- gentlich vergangen sein sollten. Um der archäographischen Methode im Sinne Ernsts treu zu bleiben, fragt man nach der Prähistorie der Massenmedien, den technischen Gesetzmäßigkeiten, die dem Mediengebrauch zu Grunde lie- gen und die noch nicht durch Geschichte — im Doppelwortsinn — verknüpft sind, daher auch keine zeitliche Abfolge ausdrücken müssen.

1. Wolfgang Ernst: Media Archaeography. Method and Machine versus History and Narrative of Media, in: Media Archaeology: Approaches, Applications, and Implications, Berkeley – Los Angeles – London 2011, S. 239–255, hier S. 249.

34 Die spielerische Umsetzung reiner Datennavigation heißt Adventure: Nut- zer steuern diese Datensätze sprachlich nacheinander an, verzeitlichen das komplett vorliegende Skript und erzeugen so künstliche Welten, in der schon sämtliche Entscheidungen, die die Erzählung voranbringen programmiert sind — Adventure-Spiele erzählen nicht im dramaturgischen Sinn, sondern zeichnen Karten, bzw. Labyrinthe, durch die Routen gelegt werden. So zeig- te es Pias in Computer Spiel Welten, die Ernst als exemplarische Studie für seinen methodischen Entwurf nennt. 2 Unsere Ausgangsfrage, wie Historizität in digitalen Medien strukturiert und dargestellt wird, wird von einer noch grundsätzlicheren Frage aufgescho- ben: Wie kommen überhaupt Narrationen zu Stande? Weder das eine, noch das andere Medium ist zum Erzählen geschaffen worden: Cinematographen zeichnen Bewegung auf, Computer rechnen. Die Ausgaben auf der Oberflä- che des Monitors basieren auf der Zerhackung von Zeit in binären Compu- tercode und diskreten Bilderfolgen, deren Zusammensetzung durch das Auge des Spielers aus Diskursen Geschichte 3 und aus einer Rechenmaschine ein Medium 4 macht. Bolter und Grusin weisen Arcade-Spielen den hypermedialen Part in ih- rer Geneaologie der Computerspiele zu und bezeichnen das unmittelbare Gegenüber als interactive film. Ihre Analyse beschränkt sich dabei auf die Inszenierung anderer Medien, so wird Letzteres als Remediation des Films durch Interaktivität begriffen: „Although the interaction between the player and the filmed scene is clumsy, the goal of this genre is to close such gaps and give the player the sense that she has ,fallen into a movie.’ Role-playing computer games are attempting to move from hypermediacy to immediacy by concealing the signs of their mediation.” 5 Es wird ein Trend diagnostiziert, der anstrebt die Unzulänglichkeiten des Films auszubessern durch interaktive Navigation durch diese Film-Räume. Wir operieren mit den archäologisch gegebenen Größen Action und Adven- ture, um zu zeigen, wie auch die visuelle Entwicklung als die Remediation des entscheidungskritischen Spiels durch das zeitkritische verstanden werden kann, was nicht zuletzt die Komptabilität der beiden Theorien bestätigen soll.

2.2 Geruchsinn

Im Plauderton erläuterte einst ein Geschichte-Lehrer, wie er seinen Schü- lern den Umgang mit seinem Fach wohlmeinend vermittle: “Ihr müsst das Pulver riechen!”, pflegte er diese zu beraten und zu begeistern; und das bie-

2. Ebd., 239: Anm.2. 3. Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, S. 180. 4. Vgl. Kapitel 4.2 5. Bolter/Grusin: Remediation: Understanding New Media (wie Anm. 10), S. 99.

35 tet nebenher eine vortreffliche Metapher für das Streben nach Immersion. Ausgerechnet olfaktorische Daten sind bislang noch immer nicht autonom speicherbar. So bleibt zumindest die Vorstellung des nahen Geruchs eines Salpeter-Holzkohle-Schwefelgemischs immer dem Rezipienten über. Authen- tisch wirkt Geschichte laut diesem Erzähler, sobald vom Hörer die letzte Er- satzleistung gebracht wird, die nicht medial durch Bild und Ton mitteilbar ist — Erinnerung an Unerfahrbares durch Imagination. Der geschichtsdidak- tische Anspruch ist es, die Entwicklung eines Geschmacks zu fördern, der auf die feinen Nuancen zwischen dem medial Wahrnehmbaren achtet; so ist ei- ne Aufforderung zur Immersion formuliert: totale, nämlich selbstgesteuerte Aufmerksamkeit. Immersion brachte 1938 Béla Balasz 6 in den Film-Jargon ein und ist auch heute noch im Diskurs der Game Studies wirkmächtig, wenn man ihn ausdifferenziert, um damit die Sogwirkung von Spielen zu beschreiben. 7 Da- mals beschreibt er das Erlebnis des Eintauchens in Filmnarrationen als neue Offenheit des Werks: „Der Film hat dieses Prinzip der alten räumlichen Künste — die Distanz und die abgesonderte Geschlossenheit des Kunstwer- kes — zerstört. [...] Ich gehe mit, ich fahre mit, ich stürze mit — obwohl ich körperlich auf demselben Platz sitzen bleibe.” 8 Das man sitzen bleibt, während das Bewusstsein auf Reisen geht, zeigt da- bei schon, dass ein distanziertes Verhältnis zum Inhalt gewahrt bleibt; dass das Medium selbst bewusst bleibt oder zumindest durch einen bewussten Akt verdrängt wird — nämlich das Faktum, dass außer Pop-Corn nichts zu riechen ist. Immersion geschähe demzufolge nicht durch Penetration, einen Akt des Eindringens; sie funktioniere ganz ohne Haptik, welche die wörtliche Übersetzung von Immersion impliziert („Eintauchen”); vielmehr sei es die Abbildung von Bewegung selbst, die Nähe vorspiele: die eigentliche Neue- rung von Film im Vergleich zu Vorgängern wie perspektivischer Malerei und Photographie. Als ein Fortschritt in die Richtung ganzheitlicher Vermittlung kann das analoge Sensorama aus den frühen 60er-Jahren gelten: Ein Automat, der ge- gen Münzeinwurf kurze, dreidimensionale Filme zeigte und das Erlebnis mit Stereo-Sound, Gerüchen, Wind und Vibrationen anreicherte. „Wenn aber das Entscheidende des Medienverbundes virtual reality gerade in der Integration aller Sinnesreize auf einer technischen Basis liegt, dann ist [der Patentinha- ber] Heilig alles weniger als der ,Vater der VR’. Seine Versuche gehören eher

6. Béla Bálasz: Zur Kunstphilosophie des Films, in: Texte zur Theorie des Films, hrsg. v. Franz-Josef Albersmeier, Stuttgart 1995, S. 204–226. 7. Bspw. Renata Gomes: The Design of Narrative as an Immersive Simulation. Inter- national Perspectives on Digital Games Research, in: Worlds in Play, hrsg. v. Suzanne de Castell/Jennifer Jenson, New York 2007, S. 55–62; Frans Mäyrä: An Introduction to Game Studies, London 2008. 8. Bálasz: Zur Kunstphilosophie des Films (wie Anm. 6), S. 215.

36 in die Krise des Kinos und seiner Erweiterung in Richtung eines expanded cinema als in eine Genealogie des Spielens von und an Computern, auch wenn Medienhistoriker beide Bereiche notorisch gerne vermischen.” 9 Das genealogisch widerstreitende Begriffspaar Unmittelbarkeit und Hy- permedialität lässt sich nicht nur auf visuelle Darstellungen reduzieren. Dies liefert einen Hinweis, wieso das Immersions-Konzept, das sich beim Kino um Bewegung drehte, auch auf Computerspiele so problemlos übertragen wer- den konnte, wo es doch schon weitaus fortgeschrittenere Versuche gab, alle Sinne zu adressieren, noch bevor man begann, die Möglichkeiten auszute- sten, die Bildschirme an Computern abseits militärischer Zwecke bieten. 10 Die Möglichkeit der Navigation durch computergenerierte Welten setzt vor- aus, dass diese nicht vollständig am Bildschirm angezeigt werden — also eigentlich nicht komplett zu überblicken sind. Auch in Texten soll so eine perspektivische Wahrnehmung simuliert werden, nämlich, wenn der Leser den Geschichtsverlauf durch eigene Entscheidungen steuern soll. Interaktivität ist ein Kind des Whirlwind-Projekts des MIT, das in den 40er-Jahren lanciert wurde. Bis dato waren Computer Rechenmaschinen, de- nen man Aufgaben zur Verarbeitung gestellt hat; diese Batch-Prozesse mus- sten abgewartet werden, damit im Anschluss die ausgegebenen Ergebnisse von Menschen weiterverwertet werden konnten. „So war also Interaktivität nur zum geringeren Teil eine ästhe- tische Frage der Visualität, sondern erst einmal eine systemati- sche Frage der Temporalisierung von Komplexität. Interaktivität gründet darin, daß Prozesse von einer höheren Instanz unter- brochen werden können, um Beobachtungen vorzunehmen, die Auswirkungen für den weiteren Verlauf der Prozesse haben. Das Machtzentrum der Interaktivität ist daher [...] ein Schalter na- mens Interrupt, der die Prozessierung zu regelmäßigen Zeitpunk- ten unterbricht, um an unterschiedlichen Systemstellen Daten zu erheben.” 11 Die Geschichte der Interaktivität handelt von der Einbindung des Menschen in einen Datenverarbeitungsprozess; von einer Verschaltung mit simultan rechnenden Maschinen. Wie verläuft historisch die Verschränkung von nar- rativem Film und Computerspiel? Woher kommen diese — aus technischer Sicht — überflüssigen Einspielungen in kommerziellen Verwertungen von Computertechnologie? Dieser Teil der Diplomarbeit weitet die bisherigen Analysen aus; bemüht sich um eine Geschichte von Assassin’s Creed, welches am Ende einer Reihe von Entwicklungen steht, wo sich diese Verschränkung von Spiel- und Fil-

9. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), 87; Hervorh. im Original. 10. Ebd., S. 89. 11. Claus Pias: Chimäre Interaktivität, in: Carte Blanche. Mediale Formate in der Kunst der Moderne, hrsg. v. Silke Walther, Berlin 2007, S. 119–130, 122; Hervorh. im Original.

37 mästhetik in zahlreichen Details äußert und somit als Geschichte der cutsce- nes geschrieben werden könnte, jenen nicht-interaktiven Momenten im Spiel, in denen Spieler nur zusehen dürfen. Assassin’s Creed baut selbst in diese Zwischensequenzen noch ein interaktives Element ein: Per Klick lässt sich die Kameraeinstellung wechseln, auch die Figur kann noch innerhalb eines beschränkten Bereichs bewegt werden. So bleibt dem Spieler für die Dauer von Dialogen die Möglichkeit, den Blickwinkel auf die Szene abzustimmen. 12 Ob das tatsächlich die Aufmerksamkeit auf die dargestellte Geschichte lenkt, bleibt fraglich; doch scheint hinter dieser Möglichkeit, stilistisch einzugreifen, die Annahme zu stecken, dass die Selbststeuerung der Aufmerksamkeit auf einem noch intensiveren Erlebnis einer Narration abzielt, indem Interaktivi- tät partiell nun in die bislang unangetasteten Filmsequenzen eindringt.

2.3 Cutscenes

Diese Geschichte wäre falsch verstanden als allgemeine Historie der in- teraktiven Spiele; es gilt vorher herauszuarbeiten, wie diese Spiele mit der Interaktivität, die anfänglich kleine Szenen in die Spiele schnitten und später ganze Filmtechniken implementierten bzw. umgekehrt interaktive Spielele- mente in cutscenes integrierten. Erste Filme in Computerspielen tauchen auf zwischen zwei Missionen, wenn der Spieler pausiert. Umgekehrt sind Unterbrechungen in Kinos unüb- lich und oft Überlängen geschuldet und bilden eher ein dramaturgisches Pro- blem im Hinblick auf die Immersions-Phantasien; während in Spielen dadurch erst die Frage nach einer solchen Dramaturgie aufkommen kann: Es soll ein Zusammenhang hergestellt werden zwischen den Tätigkeiten der Anwender und den Ausgaben auf dem Bildschirm, bei denen das eifrige Hantieren auf den Armaturen zwecks Levelabschlusses eigentlich indifferent ist: Pac-Man lernt Ms. Pac-Man kennen und gründet mit fortschreitendem Spielverlauf zwischen den einzelnen Spiel-Sequenzen eine Familie. Eine Geschichte, die nichts mit dem Punkte-Sammeln oder dem Fliehen vor Gespenstern zu tun hat, wofür Pac-Man solche Berühmtheit erlangte. 13

2.3.1 Intermission In Adventures hingegen sind Narrationen in ihrer logischen Struktur not- wendig, da nur so Zusammenhang von Menschen zwischen zwei bezifferten

12. Diesen Umstand betont Désilets, um die Innovation kundzutun, bei einer Video- Führung durch das Entwicklungsstudio, speziell dessen „Hollywood-Bereich”, wo diese Zwischensequenzen entstehen.At the Ubisoft Montreal-Studio with Patrice Desilets, http: //www.youtube.com/watch?v=Rx8p7Bgzsng&feature=youtube_gdata_player,Zugriffam 18.12.2012 13. Vgl. Sacha A. Howells: Watching a Game, Playing a Movie: When Media Collide, in: ScreenPlay. Cinema/Videogames/Interfaces, hrsg. v. GeoffKing/Tanya Krzywinska, London 2002, S. 110–121, hier S. 111.

38 Datensätzen hergestellt werden kann. 14 Diese Datensätze sind in diskreten Konfigurationen abgespeichert, die zusammen eine abgeschlossene Welt bil- den, die wie ein Labyrinth durchschritten wird; wobei solche Wege meta- phorisch zu verstehen sind, da sie auch aus anderen Tätigkeiten bestehen können — etwa einen Schlüssel aufnehmen, um woanders einen Kasten öff- nen zu können. Damit also der Eindruck einer kontinuierlichen Geschichte entsteht, werden diese logisch-funktionalen „Kerne” in ausschmückende Er- zählungen gebettet, die selbst redundante „Katalysen” sind: Wenn ein Messer folgerichtig eingesetzt wird, um einen Troll zu töten, „könnte eine Kampfbe- schreibung folgen, deren Fehlen in frühen Adventures nur dem mangelnden Speicherplatz geschuldet ist, später jedoch oft eingesetzt wird, um die diskre- ten Übergänge zu verwischen und zu verzeitlichen: ,With great effort, you open the window far enough to allow entry.’ statt ,The window ist open’. Die Katalysen der Adventurespiele dienen dazu, den Unterschied zwischen zeitlichen und logischen Folgerungen zu verschleiern.” 15 In einer Anmerkung bestätigt Pias den spätestens jetzt aufkommenden Verdacht, dass filmische Animationen genau diese Katalysen darstellen. In Textadventures erscheint der aufgerufene Datensatz sofort als Absatz, wäh- rend ganze Filmszenen diese Zeitlichkeit in ihrer eigenen Dauer umsetzen und somit die Interaktionsmöglichkeiten aussetzen müssen, bis die Animation be- endet ist. Es entsteht eine zeitliche Parallel-Achse zur Lese- und Schreibge- schwindigkeit des Spielers; zeitliche Längen, welche die Narration zwischen ausgeführte Spielzüge schiebt, bzw. an erfolgreich abgeschlossene Levels an- hängt: Durch die neuen Speicherkapazitäten — insbesondere der CD-ROM — war es eben möglich solche aufwändigeren Filme zu distribuieren. 16 Der Begriff cutscene stammt von Ron Gilbert 17, der ihn während der Pro- duktion des comic-haften Graphik-Adventures Maniac Mansion: The Day of the Tentacle seiner eigenen Aussage nach prägte. Hier schnitt man den Spie- ler von der Handlung ab, stoppte also die Interaktivität, um mit kleinen filmischen Animationen zu zeigen, was an anderen Orten der Handlung ge- schah. Für Gilbert ein reines Provisorium, eine noch nicht ausgereifte Lösung, um mit Computerspielen Geschichten zu erzählen, eben wegen der nicht zur Erzählung passenden Unterbrechung: „Geschichten können für uns so viel mehr bedeuten, wenn wir erstmal mit ihnen interagieren können. Wir müssen halt noch rausfinden, wie man sie richtig erzählt.” 18

14. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 173. 15. Ebd., S. 144. 16. Howells: Watching a Game, Playing a Movie: When Media Collide (wie Anm. 13), 114f. 17. Ron Gilbert: Maniac Mansion in 9, http://grumpygamer.com/8139425,Zugriff 18.12.20012, 2007. 18. Felix Knoke: Quick and Dirty – Ron Gilbert, http://fm4v2.orf.at/knoke/17002 5/main,Zugriffam12.11.2012,2004.

39 (Was folgt, wenn wir Geschichten durch Interaktion mit unseren Bedeutun- gen aufladen, zeigt eXistenZ. Vgl. Kapitel 1.6.2.)

Abbildung 2.1: Monkey Island im Rahmen von SCUMM

Dieses Spiel fährt zweigleisig: Es teilt den Bildschirm in ein Fenster, das auch als Leinwand betrachtet werden könnte und expliziert darunter die Parser-Sprache, die Textadventure-Spieler noch selbst herausfinden mussten. Per cursor kann er jetzt verschiedene Operationen auswählen („Schau an”, „Benutze”, „Nimm”, etc.), um damit im oberen Fenster zu operieren. Extra für dieses Spiel wurde SCUMM (Script Creation Utility for Maniac Man- sion) entwickelt; eine virtuelle Maschine, die jedes Spiel zerteilt, das damit produziert wird; nämlich stellt es Programmierern eine eigene Scriptsprache zur Verfügung, die schnell Musik, Graphiken und Charaktere arrangieren las- sen. (Mit der Regieanweisung „cut” etwa, werden cutscenes eingefügt.) Diese virtuelle Maschine verwandelt sodann dieses script in Bytecode, also Aus- gaben, die von jedem Computer eingelesen werden können und somit durch die gleiche game-engine an den Benutzerbildschirmen die Spiele bedienbar werden lassen: Eine ,Lingua Franca’, wie schon das erste kommerzielle Ad- venture Zork einführte. 19 Zwei Benutzeroberflächen werden eingezogen: Eine textbasierte für Produzenten und eine graphische für Spieler — etwa als Fol- ge einer neuen Zielgruppe? Computerspiele können so recht schnell für den Heimgebrauch programmiert werden. Erzählbausätze, die von Designern in

19. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 127. Auch King und Krzywins- ka erwähnen den Effekt der „commercial convenience” von 3D-Graphik-Engines(King/ Krzywinska: Introduction. Cinema/Videogames/Interfaces [wie Anm. 82], S. 28).

40 Dialogzeilen und Inventarobjekten zu einem Set zusammengestellt und am Desktop zu Hause nachgebaut werden, mit deren Ende nach neuen Geschich- ten gefragt wird. Parsergerechte — d.i. für den Computer lesbare — Dateneingabe war in Textadventures noch ein Spielerproblem, nun wird es eine Frage des Interface- Designs. Benutzeroberflächen sind Pias zu Folge die „unheimlichen Doppel- gänger” der Actionspiele. 20 Denn was einmal als ein zeitkritischer Leistungs- test von Maschine und Mensch erscheint, ist auf Seiten der graphical user interfaces eine Frage der Redundanz: Diese muss einerseits minimiert wer- den, weil Schleifen und Wiederholungen der linearen Narration widerspre- chen und den Spannungsbogen aushebeln; andererseits muss die Ähnlichkeit zu Kinoproduktionen gewahrt bleiben: So wie Betriebssysteme Schreibtische imitieren, um Sekretärinnen einen leichten Einstieg zu ermöglichen, so adres- sieren Graphikadventures die Kinoerfahrung der Spieler. Ziel ist in beiden Fällen eine fließende Bewegung auf dem Schreibtisch bzw. durch Räume, die so zum Film animiert wird. 21 Die Leistung, Parser-Sprachen zu meistern, wird dem Spieler abgenom- men, indem die Handlungsoptionen und zur Verfügung stehenden Objek- te am unteren Bildschirmrand gelistet werden; also unheimlich verdoppelt: Programmierer werden zu Spieldesignern, deren Skripte von der Geschichte, ihren Visualisierungen und ihrer Musik handelt. Diese nunmehr bewussten Mechanismen des Programms haben ihr Gegenüber in einem filmischen Dis- play, das orchestriert wird durch die Eingaben per Maus. Passend zur neuen Benutzerfreundlichkeit der Lucas Arts-Spiele schuf Gilbert nicht etwa einen Helden, sondern den Möchtegern-Piraten Guybrush Threepwood für Monkey Island. 22 Er kann nicht sterben; auch nicht in Fecht-

20. Vgl. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1): Während Benutzeroberflächen auf maximale Sichtbarkeit setzen, Benutzerfreundlichkeit auf ihre Verpackungen schreiben und die Langsamkeit und Fehleranfälligkeit ihrer User immer schon einrechnen, vermessen Computerspiele die Grenzwerte, Wahrnehmungsschwellen und Reaktionsgeschwindigkei- ten ihrer Spieler, machen die Herausforderung des ,schnellsten anzunehmenden Benutzers’ zu ihrer Devise und bestrafen Langsamkeit und Fehlverhalten durch den Verlust symbo- lischer Leben. Zwar sucht die Entwicklung von GUIs dieselben Systemstellen auf wie die Spieleentwicklung (Wahrnehmung, Reaktion, mögliches Fehlverhalten), doch ist es ihr Ziel, diese Bedingungen anschließend unter der oberflächlichen Güte einer ,Benutzerfreundlich- keit’ zu verbergen. Das zeitkritische Spiel hingegen macht genau diese Verborgenheiten zu seinem Gegenstand und ist im Sinne einer agonalen Konstellation, die Lerneffekte und dauerhaften Spielspaß erst ermöglicht, geradezu benutzerfeindlich und damit eine Art ,un- heimlicher’ Doppelgänger des Desktops. 21. Die Verwandtschaft von Kino und Computerspiel, durch experimentalpsychologische Versuche und Theorien (Psychotechnik) interessiert uns noch in Kapitel 3.1. 22. Einer weiter verbreiteten Anekdote zufolge nahm Gilbert seine Idee für Monkey Island von der Disneyland Attraktion Pirates of the Carribean,dieauchdieVorla- ge für die gleichnamige Spielfilmreihe lieferte.(Ron Gilbert: On Stranger Tides, http : //grumpygamer.com/6476640,Zugriffam13.12.2012,2004,Vgl.)Dochdortistmanauf Schiene, während man durch ein Arrangement fährt, bestehend aus Bühnenbild und me- chanischen Marionetten. Während Bushnell, der Schöpfer von Pong fasziniert war, wie

41 duellen, zu denen er andere Piraten herausfordert. Diese werden über das Anwählen von Dialogzeilen ausgetragen, die eine Beleidung bzw. eine elo- quente Antwort auf eine solche zum Ausdruck bringen. Auf drei unerwiderte Beschimpfungen endet das Säbelrasseln mit Entwaffnung — ein bloß verba- ler Schlagabtausch, bei dem jeder Punkt mit einem Ausfallschritt belohnt wird, der nur Katalyse ist und damit Filmbilder ironisiert. Jedenfalls ist das entscheidungskritische Prinzip nicht aufgehoben: Man muss nur lang genug spielen, um „vom ersten Ort zum letzten Ort zu gelangen und en passant alle Katalysen herbeizuführen, die nötig sind, um von einem Ausgangspunkt namens Spielbeginn zu einem Endpunkt namens Spielende zu gelangen.” 23 Das Ende wird in dem Fall erreicht, in dem die Beleidigungen mit ihren Ant- worten gelernt werden, das heißt einmal gehört und ab dann richtig aus dem Speicher aufgerufen.

2.3.2 Gemäuer Fechten muss auch ein namenloser Held 24, der 1989 aus dem Gefäng- nis ausbricht: Wie uns eine cutscene vorher informiert, hat er hat nur eine Stunde Zeit, um die Prinzessin zu retten, die der verräterische Wesir Jaf- far zur Heirat nötigen möchte. Der Weg führt über zahlreiche Ebenen und Plattformen aus dem Kerker in den Palast; ein Weg, der wegen zahlreicher Fallen, Stockwerken und Abgründen den persischen Prinzen in spe zu akro- batischer Hochleistung zwingt. Im ersten Level gilt es die anonyme Spielfigur mit einem Schwert zu bewaffnen, damit sie auch gegen die Wachen und Gei- ster bestehen kann, denen er in dieser Stunde begegnet. Prince of Persia ist eins der ersten Actionspiele, in welchem Fechtduelle und nicht Schießereien stattfanden 25. Als Schöpfer dieses Spiels gilt Jordan Mechner, der eigentlich Drehbuchautor werden wollte. 26 Die Verschränkung mit Filmtechnik beginnt hier schon vor der Program- mierung: Mechner filmte seinen Bruder bei Turnübungen auf einem Spiel- platz und rotoskopierte 27 diese Filmausschnitte, um mit Animationen sei- ne Vision eines interaktiven Filmerlebnisses umzusetzen. Das Resultat wa- ren damals beeindruckende Bewegungsabläufe auf dem Bildschirm des App- le II. 28 die beachtliche Technik hinter naiv-bunter Verschalung der Themenparks versteckt wird, beklagte sich Gilbert: Er wäre gern abgesprungen, um herumzuwandern zwischen den kuriosen Charakteren und Bühnenbildern. Er wollte seine Aufmerksamkeit selber steuern. 23. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), 157; Hervorh. im Original. 24. Broderbound: Prince of Persia, 1989. 25. All your History are belong to us: Prince of Persia Part 1: Out of the Dungeon, http://www.youtube.com/watch?v=FixuIk64bI4,Zugriffam18.12.2012,2012. 26. Jordan Mechner: The Making of Prince of Persia. Journals 1985-1993, ebook 2011. 27. Rotoskopie ist ein simples Animations-Verfahren, mit dem Bild für Bild einer Vi- deoaufnahme abgepaust werden kann, um so realistische Bewegungen tricktechnisch um- zusetzen. Vgl. Kapitel 3.2.1 28. Vgl. All your History are belong to us: Prince of Persia Part 1: Out of the Dungeon

42 Die Absicht, ein kinematografisches Erlebnis im Spiel zu liefern, hatte also nicht eine ausgeklügelte Narration zur Folge: diese in ihrer Banalität ar- chetypisch zu nennen, wäre bereits Übertreibung. Eher schrumpfte dadurch das als Puzzle konzipierte Spiel auf 10 kurze Sequenzen ein, obwohl 40 Le- vels geplant waren und diese ganz ohne Gegner hätte auskommen sollen. 29 Mechner verwarf schließlich auch die ursprüngliche Idee, den Level-Editor mitzuliefern, wie es Broderbound schon mit Lode Runner getan hatte 30,um die Spieler anzuregen, eigene Rätsel herzustellen. Die Auflage, das Spiel in einer Stunde durchzuspielen, stilisiert die Levels stattdessen zu Szenen und den symbolischen Tod zu einem missglückten take, der sich nach Klappe wie- derholen lässt. Da es unmöglich ist, das Spiel von einem selbst gesicherten Speicherstand aus fortzusetzen, wird es zu einem abendfüllendem Unterfan- gen, das allerdings ein klar definiertes Ende 31 kennt: kein Highscore sondern Happy End. Die gleiche Geschichte von Entführung und Rettung erzählt Donkey Kong, mit welchem laut Frans Mäyrä Nintendo die erste interaktive ,story world’ 1981 auf den Spielemarkt bringt: „The top-down puzzle of Pac-Man is here replaced by a side- ways view to a set of construction platforms — a setting that cemented the ,platformer’ as a particular kind of genre, con- sisting of the combination of navigation (running, jumping and climbing) on platforms and ladders while making avoiding and attacking actions. While the controls of Pac-Man had consisted only of a Joystick, Donkey Kong set the direction for future ar- cade action games by adding a jump button. As button presses an joystick movements were combined, this paved the way that eventually led into sophisticated and demanding ,combo’ action configurations in the future games in the 1980s and 1990s.” 32 Eine unbestimmte Narration, deren Ergebnis offen ist und daher von Spiel- verlauf zu Spielverlauf unterschiedlich ausfällt, benötigt mehrere Dimensio- nen von Spielfortschritt, die sich in zwei verschiedenen Schaltern äußert: Annäherung an das Ziel mit dem Joystick und erfolgreiche Abwehr eines Angriffs mit dem zusätzlichen Knopf. Nach wie vor sind die dargestellten Figuren auswechselbar, weswegen na- türlich fraglich bleibt, ob das schon reicht, um von einer Geschichte zu spre- (wie Anm. 25). 29. Vgl. Mechner: The Making of Prince of Persia. Journals 1985-1993 (wie Anm. 26), S. 76. 30. Mäyrä: An Introduction to Game Studies (wie Anm. 7), S. 112. 31. Natürlich kennen auch Arcade-Spiele ein Ende, dessen Herbeiführung allerdings Aus- nahmefälle sind, wie etwa Bill Mitchell, der alle 256 Pac-Man-Levels durchspielte, was 19 Jahre dauerte und damit ein einleuchtendes Beispiel liefert, wie menschliches Spiel durch den Computer in Arbeit umgekehrt wird (vgl. Pias: Computer Spiel Welten [wie Anm. 1], S. 110-118). 32. Mäyrä: An Introduction to Game Studies (wie Anm. 7), S. 73.

43 chen, was Mäyrä auch sofort zugesteht. 33 Damit ist die zeitkritische Achse, um die sich alle Actionspiele drehen, in die gegensätzliche Richtung verlän- gert: Nur gegnerische Angriffe zu vermeiden bringt noch keinen Spielfort- schritt. Man könnte mit Jesper Juul 34 behaupten, dass hier ein emergentes Spiel in ein progressives eingebaut ist. Nachdem innerhalb eines Fechtduells die Regeln als vollständig bekannt vorausgesetzt werden können (emergent), entwickeln sich die Spielabläufe vor und nach diesen Kämpfen unterschied- lich mit der Narration (progressiv). Scheitern ist nach wie vor eine Frage der Pünktlichkeit, doch wird diese Frage serialisiert, an verschiedenen Orten in einem Labyrinth wiederholt und dadurch für jeden erfolgreichen Ortswechsel aktualisiert. Die Katalysen, also die Bewegung von einem Ort zum nächsten, werden schon im Graphik-Adventure durch die Animation von Körperbewegungen verzeitlicht; eine Zustandsänderung nicht nur schlicht konstatiert, sondern graphisch animiert. Für diese Dauer ist man in Actionspielen zusätzlich ver- schiedenen Attacken ausgesetzt, sodass das Navigieren eines Avatars das ent- scheidungskritische Wegesuchen remediatisiert. Die Modularität der Level- gestaltung ist das hypermediale Gegenstück zur fließenden Bewegung von Stacheln, Messern, Wächtern und vor allem des Helden, die Transparenz er- zeugen wollen. So können nur durch Steuerung des Körpers Entscheidungen

Abbildung 2.2: Verblüffend echte Bewegungen und serialisiertes Risiko

33. Mäyrä: An Introduction to Game Studies (wie Anm. 7), S. 74. 34. Juul Jesper: A Dictionary of Video Game Theory, http://www.half-real.net/di ctionary/,Zugriffam12.12.2012,2005,Vgl.

44 getroffen werden: Seine Bewegungen müssen überwacht werden, und werden zugleich überwacht von Gegnern, die ihn nicht von Anfang an jagen, sondern denen ein spezifisches Wissen unterstellt wird. Sie bewegen sich nicht algo- rithmisch stur hin und her. Für die Klugheit der Wächter ist maßgeblich, ob ihnen ein Sehen unterstellt werden kann und sie dadurch dem Prinzen in den nächsten Bildschirm hinein folgen, aber nur bis zu dem Ort, an dem sie selber nicht gefährdet sind. 35 Sie lassen sich dafür indirekt steuern und durch geschicktes Kämpfen auch in die tödlichen Fallen und Abgründe manö- vrieren. Die Antropomorphisierung von Avataren hat also designtechnische Auswirkungen, vor allem auf die Gestaltung der Umgebungen.

2.3.3 Infiltration

Auch der Spieldesigner Hideo Kojima macht kein Geheimnis aus seiner Film-Obsession, die er in einer anderen, bis heute erfolgreichen Computer- spiel-Serie einbrachte: Metal Gear 36 gilt in Spielemagazinen als wegberei- tend, da hier zum ersten Mal spielgeschichtlich eine heimliche Infiltration in eine feindliche Basis geschieht: die Munition ist streng limitiert; es wird schon eine kleine Überzahl an Gegnern gefährlich; man sucht Sichtschutz hin- ter Mauern. So wird die lose Genre-Bezeichnung Stealth-Shooter abgesteckt und Kojima angeblich Wegbereiter von Assassin’s Creed.

Abbildung 2.3: Metal Gear als Vorläufer von Commandos.

Bei diesem Spiel wurde journalistischen Berichten zu Folge aus techni- scher Not eine Tugend: Die Leistungsfähigkeit des in Japan damals üblichen Spielesystems für Haushalte MSX2 schaffte nicht mehr als fünf bewegliche Figuren abzubilden. Kojima stand vor dem Problem, unter diesen Vorausset-

35. Mechner: The Making of Prince of Persia. Journals 1985-1993 (wie Anm. 26), S. 89. 36. Konami: Metal Gear, 1987.

45 zungen mit Spielen wie Contra 37 mitzuhalten 38, die das nationale Vietnam- Trauma Rambo als Arcadespiel inszenierten, also Muskelprotze mit Waffen ausstattete und Horden von Gegnern zerschießen ließ. Hier gilt es, der Reiz- überflutung Herr zu werden; dabei helfen bessere Waffen, worauf wiederum mehr Gegner zum Abschuss freigegeben werden. Kojima rüstet seinen Held nur mit einer Packung Zigaretten aus, die na- türlich nicht zum Kampf taugt, die aber eingesetzt werden kann, um logische Schließungen hervorzurufen, um also etwa übermächtige Wachen anzulocken und sie von hinten zu überraschen. Es handelt sich also um ein Adven- ture, welches zusätzlich die zeitkritische Anforderungen in sein Programm schreibt. Auch hier kommen reichlich cutscenes in Form von Dialogfenstern zum Einsatz, die den Spieler unbeteiligt zurücklassen. Folglich ist Metal Gear als Adventure mit Action-Elementen eine andere Spielgattung, als Assassin’s Creed, das umgekehrt Erzählungen durch Ein- spielungen implementiert. Die Darstellung von Heimlichkeit ist im Interface grundsätzlich verschieden angelegt, was an der Perspektive und der Rolle des Spielers festgemacht werden kann: In dem Spieleklassiker ist die An- sicht von schräg oben bestimmend, auch wenn sie später einer ausgefeilteren 3D-Graphik Platz machen musste: Der Spieler positioniert seine Spielfigur außerhalb der gegnerischen Sichtfelder hinter Mauern. Deckung ist also eine Frage der Verortung auf bespielbaren Karten, ihrer Topographie sowie der Bewegungsalgorithmen von Gegnern. Dieses Prinzip wurde von Commandos 39 in den Zeitraum des zweiten Weltkrieges verlagert. Der Spieler steuert hier eine Reihe von Charakteren, die nur bei ihrer Funktion genannt werden: Green Beret, Taucher, Fahrer, Pionier, etc. Jeder von ihnen verfügt über andere Fähigkeiten, Ausrüstungs- gegenstände und Waffen, die eingesetzt werden, um deutsche Stützpunkte zu infiltrieren: ein Sabotageakt, eine Rettungsaktion oder ähnliches. Die Fä- higkeiten der Teilnehmer dieses Einsatzkommandos gilt es zu koordinieren, um nicht entdeckt zu werden. Dazu kann man die Sichtkegel der patrouil- lierenden Wachmänner anzeigen lassen und damit den richtigen Zeitpunkt indizieren, um unbemerkt an diesen vorbeizulaufen. Rund um das Sehen des Sehens formiert sich das taktische Prinzip, das zwar zeitkritisch ist, jedoch nicht das zentrale Kombinieren von erzählerischen Kernen aushebeln kann: Nur der Fahrer kann Lastwagen bedienen; nur der Taucher kann den Fluss durchqueren; und nur der Green Beret ist stark genug, Wachen unbemerkt aus dem Weg zu räumen, damit die anderen ungestört ihre Arbeit machen können. Dies ist folglich ein Adventure, das, wie üblich, auf einer Karte basiert und dessen Ablauf wir vorher erklärt bekommen, um dann mehrere Wege gleichzeitig durch das Labyrinth zu koordinieren. In diesem Taktikspiel

37. Konami: Contra, 1987. 38. All your History are belong to us: Metal Gear Part 1: Infiltration, http://www.you tube.com/watch?v=sbOqETbQiG0,Zugriffam18.12.2012,2012. 39. Eidos Interactive: Commanods. Hinter feindlichen Linien, 1998.

46 ist also ein zeitkritisches Moment dem entscheidungskritischen untergeordnet durch sehr eindeutige Verteilung von Funktionen auf verschiedene Rollen. Bei Assassin’s Creed hingegen ist Heimlichkeit ein Habitus, ein Modus der Bewegung, der per Tastendruck an- und ausgeschalten werden kann. Solange der Spieler seine Hauptfigur nicht auffällig bewegt, d.h. auf dessen Kletter- und Lauffähigkeiten verzichtet, kann er als gewöhnlicher Stadtbewohner ge- tarnt, direkt an Wachen vorbeispazieren — dabei spielt es keine Rolle, ob diese Altaïr sehen können. Dieses Spielprinzip erinnert wesentlich stärker an I, Robot 40, das als erstes Spiel gelten kann, dessen Interface mit polygoner Vektorgraphik ausgestattet wurde, somit im virtuellen Raum dreidimensio- nale Objekte erscheinen ließ. 41 Das strapazierte damals die Rechenleistung, wodurch nur sehr kleine Levels darstellbar waren, in denen es galt, alle blau- en Polygone rot einzufärben. Um das simple Schießspiel auf so kleinem Raum anspruchsvoller zu machen, installierte man den Big Brother, ein rotes Au- ge, im Fluchtpunkt des Screens, dass beachtet werden musste, sofern man Springen wollte. Auch hier ist ,Überwachung’ ein Zustand und keine Frage der Deckung und Sichtfelder, I, Robot und somit eher in die Genealogie von Assassin’s Creed einzuordnen. Die dreidimensionale Ausgestaltung der Spielumgebung funktionalisiert Heimlichkeit unterschiedlich: Was vorher eine Frage der Sichtbarkeit von Fi- guren war, dem Verhältnis ihrer Positionen zueinander auf einer Karte, wird jetzt in drei Dimensionen zu einem panoptischem Verhältnis; die Wachsam- keit des allgegenwärtigen Computergegners wird dem Spieler durch ein icon vermittelt, das ihn in seinem Handeln beschränkt und gegebenenfalls sank- tioniert.

Abbildung 2.4: Signale der Überwachung in I, Robot und Assassin’s Creed

Zusammenfassend kann man festhalten, dass zwei frühe Spiele Heimlich- keit sehr unterschiedlich thematisieren, was angesichts der Tatsache, dass

40. Atari: I, Robot, 1983. 41. Matthias Bickenbach: Der virtuelle Grafik-Raum oder: „It’s not a game.” Die Gesetze des Videospiels, in: Game over!? Perspektiven des Computerspiels, hrsg. v. Jan Distelmeyer u. a., Bielefeld 2008, S. 43–58, hier S. 47.

47 der Computer sowieso alle Daten verwaltet, dies zur einer Frage des Si- gnals macht: Wie weiß der Spieler, dass der Rechner mit ihm rechnet? In Metal Gear wird die Szenerie von schräg oben dargestellt, die Aufmerksam- keit auf verschiedene Wächter verteilt, die algorithmisch Raum abschreiten, der durchquert werden muss; im zentralperspektivisch organisierten I, Robot gilt die Aufmerksamkeit des Computergegners nur zu gewissen Zeitfenstern; die Lücken müssen genutzt werden, damit der Raum komplettiert wird. Die Vektorgraphiken erlauben es, dem Spieler eine Zoomfunktion zugänglich zu machen, was das Spiel zum ,Ego-Shooter’ macht. Mangels der Übersicht ist das aber nur schwieriger, weswegen sich dies gut auf den Highscore aus- wirkt. Jedenfalls wird die subjektive Kamera aus der Position der Spielfigur als Schwierigkeit betrachtet. Die Wichtigkeit der Kameraführung in 3D-Umgebungen markiert eine Zäsur im Gameplay, die durch die Polygone entstanden ist: Die Remediati- on des Adventurespiels durch das Actionspiel, die ihren hypermedialen Teil an der Wahrnehmung des Avatars hat, und ihren unmittelbaren durch die selbstgesteuerte Kamera. In den Räumen zwischen Polygonen unterscheidet sich die Perspektive des Spielers nicht von jener eventueller Wächter. Was wir in Ego-Shootern nicht sehen — etwa den Gesundheitszustand, oder eben wie in I, Robot den Überwachungszustand — muss durch zusätzliche An- zeigen kenntlich gemacht werden, da nicht mehr sichergestellt ist, dass dem Spieler alle Informationen zugänglich sind, wie bei einer Kartenansicht.

2.4 Doppelgänger

An diesen Beispielen wurde ersichtlich, wie die Arbeit an den Labyrin- then 42 unter zeitkritischen Bedingungen Film auf mehreren Ebenen auf den Plan ruft: Die Vermittlung von Adventures durch eine graphische Benutzero- berfläche instrumentalisiert ihn als Interface und ermöglicht die Bebilderung von Katalysen, die damit tatsächlich eine eigene Dauer erhält; ragen mög- liche Spielzüge in Form von unterschiedlichen Schaltern dem Nutzer noch außerhalb des Bildschirms entgegen, so laufen diese wieder in einem Avatar zusammen, dessen Tätigkeiten nicht mehr nur Fortsetzung der Kommunika- tion oder Game Over bedeuten, sondern durch den der Spielfortschritt nicht mehr eindeutig ist und so zu einer Dramaturgie stilisiert werden kann, die ihre eigene realweltliche Zeitlichkeit besitzt. Zuletzt wird durch Blickwinkel die Frage der künstlichen Intelligenz gestellt, die bei ständigem Monitoring zum Problem der Sichtbarkeit und des Registrierens von Bewegung stilisiert werden kann. Jede Remediation des unmittelbaren Adventures erschafft einen Doppel- gänger, in dem die Hypermedialität offenbar wird: Der Spieler wird nicht so angesprochen, als ob er selber sich in den Räumlichkeiten der Erzählung be-

42. Vgl. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 163-170.

48 findet; ebensowenig sind die Bilder stets zentralperspektivisch subjektiviert. Er steuert Avatare, also Charaktere, über die der Nutzer verfügt; womit der Ort, an dem er sich befindet und in den er einsichtig ist, nicht mehr gleichzu- setzen ist mit den Rekonfigurationsmöglichkeiten, da diese vom Ort abhängig sind, wo sich die Spielfigur befindet. Durch die Steuerung des Protagoni- sten befehligen wir zugleich eine virtuelle Kamera. Der Avatar ist immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit; auch in dreidimensionalen Actionspielen, die keine Ego-Shooter sind, sondern mit der Verfolgerkamera arbeiten. Es bewahrheitet sich das etwas kryptische Postulat Friedrich Kittlers: „Film- doppelgänger verfilmen Verfilmung selber. Sie führen vor, was mit Leuten geschieht, die in die Schußlinie technischer Medien geraten. Ein motorisier- tes Spiegelbild wandert in Datenbänke der Macht.” 43 Dazu sei ein Blick zu populären Hollywood-Produktionen erlaubt, die sich methodisch nicht filmwissenschaftlich legitimieren, sondern dadurch, dass sie als eine Art Gegenprobe und Veranschaulichung dienen: als Medium, dass keine Eingriffe in sein data processing duldet, muss es Interaktivität abbilden und ist somit an rezenten Cyber-Fiktionen beteiligt.

2.4.1 Großcomputer In Disney’s Tron 44 passiert, was Kittler beschreibt, buchstäblich 45: Jeff Bridges wird dort von einem Laserstrahl in eine Computerwelt eingelesen, die komplett aus Computergraphik bestand, wodurch der Film trotz seiner Plattheit als bahnbrechend gilt. Nur die Akteure in dieser Welt — „Pro- gramme” — werden durch menschliche Schauspieler dargestellt, die je ein unbewusstes alter ego in der realen Welt haben, ihren user. In dem naiven Plot erwacht eine künstliche Intelligenz namens Master Control zu Selbst- bewusstsein und Größenwahn und muss folglich bezwungen werden. Dabei muss der Protagonist Flynn unter anderem sein eigens programmiertes Spiel spielen, nun allerdings hinter dem Bildschirm an Stelle des Vehikels, das sonst von außen gesteuert wird — ein Spiel, wie in einer Gladiatoren-Arena. Gerahmt wird Erzählung innerhalb der elektronischen Welt von einem Einbruch in den materiellen Raum, wo sich der Computer befindet; hier noch als riesiges System in einer Labor-Einrichtung. Gesichert ist dies durch eine schwere, meterdicke Panzertür, deren Zufallen auch in Wargames 46 für Spannung sorgen soll. Die Visualisierungen hier greifen die massenmedial ver- ankerte Formatierung des Computers, die Huhtamo als „vertrauter Fremder” etikettiert: „Für die breite Masse war der Computer über Jahre ein ausge- sprochen ,ungreifbares’, fernes Objekt, hinter fest versperrten Türen in den

43. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 224. 44. Steven Lisberger: Tron, 1982. 45. Übrigens auch in Prince of Persia:NochbevorandereGegnerimplementiertwurden, zauberte Mechner einen unheimlichen Doppelgänger aus dem Negativ des Prinzen. 46. John Badham: Wargames, 1983.

49 Abbildung 2.5: Ein unmittelbares Erleben einer hypermedialen Welt in Tron.

Steuer- und Maschinenräumen der Gesellschaft unter Verschluß. Die ersten öffentlichen Auftritte gab es in Fernsehshows, Comic Strips und populärwis- senschaftlichen Geschichten. Es gab zum Beispiel Fernsehquiz mit riesigen ,Elektronengehirnen’ von der Größe eines Zimmers, denen ein Mensch (oft eine Großmutter oder ein Kind) Fragen stellen durfte. Der Computer ant- wortete dann auf seine Weise, entweder durch Blinklichter oder indem er Text über eine Art Fernschreiber ausspuckte.” 47 Zu dieser Gestalt als Orakel samt ,Priesterschaft’ in weißen Mänteln ge- sellt sich in Wargames noch die „wohl prominenteste Visualisierungslösung für die [Kriegs-]Spiele der 1960er Jahre, nämlich die später in unzähligen Filmen mythisierten Großdisplays der Kommandozentralen” 48. Spiele, die den Ernstfall simulieren, verbreiten ein Unbehagen, das mit der Angst vor dem worst case scenario selbst begründet werden kann. Zugleich stellt der Computer noch einen nicht durchschauten Faktor dar und damit die Allein- stellung menschlicher Intelligenz in Frage; eine Variable, deren Kontrolle von einem Generationenkonflikt überschattet wird: Die Techno-Logik der Hacker und Kinder basiert auf der „Funktionslust” von Programmierern, auf einem ,Herumspielen’ mit Geräten 49 — Geräten, an denen offensichtlich sehr viel hängt. Hier wird ein Unterschied zu Filmen um die Jahrtausendwende deutlich:

47. Erkki Huhtamo: From Cybernation to Interaction. Ein Beitrag zur Archäologie der Interaktivität, in: Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. v. Brigitte Felderer, Wien 1996, S. 192–203, hier S. 198. 48. Diese wurde zuletzt von Sam Mendes in Skyfall (2012) neuinszeniert und macht so 007 zum Avatar von Q, der nun nicht mehr kauziger Wissenschaftler im Arbeitsmantel, sondern als ,Geek Chic’ die Wege des Agenten überwacht und ihn souverän lenkt. 49. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 80.

50 Computer auf der einen Seite werden zu immersiven, intimen Medien stili- siert, die nicht einen Doppelgänger betreffen, der autonomen Projektion in dieser programmierten Welt. In Strange Days 50, The Matrix, eXistenZ drin- gen Computer direkt in das Nervensystem ein. Die Visionen und Visualisie- rungen haben ihre Gemeinsamkeit nicht in einem großen Bildschirm, auf dem Symbole auf die reale Welt verweisen, sondern in einer unausgesprochenen, fiktiven Medientechnologie, die direkten Anschluss an die Wahrnehmung der Nutzer ermöglicht. Der Übergang in andere Welten wird nicht dargestellt, nur sauber geschnitten. Auf der anderen Seite werden Spielinhalte und Gewaltdarstellungen naiv in Lebensgröße als massenmediale Inszenierung dargestellt, als moderne Neu- auflage archaischer Gladiatorenkämpfe, etwa in Hunger Games 51 oder Ga- mer 52 — ein plumper Versuch, entsprechende Spiele eines menschenverach- tenden Zynismus zu überführen. Auch Camerons Avatar 53 kann hier dazu gerechnet werden, wo Naturverbundenheit und Technologieaffinität als zwei gegensätzliche Formen der avatariellen Prothesen dargestellt werden: Dort verbinden sich Außerirdische mit anderen Lebewesen über natürliche Ka- bel, während die Menschen, die den Weltraum kolonisieren, sich in Roboter einbauen — extensions of men.

2.4.2 Avatar

Während also früher Menschen in die orakelnden Maschinen eingedrun- gen sind, um sich dort in einer schrillen Welt aus Lichteffekten wiederfinden, um mit kinematographisch inszenierbaren Mitteln Unglück abzuwenden su- chen und das Ruder wieder an die Menschenhand zu geben, zeugen neuere Filme von einem Unbehagen gegenüber der Entgrenzung von Spielwelten durch das Verschwinden des Interfaces und den Möglichkeiten von Simula- tion und direkter Manipulation, die sofortige Rückkopplungen hervorrufen und die Grenze zwischen Realität und Simulakrum (Baudrillard) verwischen lassen. Der Mensch steht nicht mehr vor dem Computer, wie vor einem ver- trautem Fremden, sondern wie ein „wartender Bediener” 54 wie Huhtamo in Anlehnung an Lev Manovich feststellt: „Diese Beobachtung [einer post- industriellen Arbeitswelt] führt zur Behauptung, daß der wirkliche Vorläufer dieser Beziehung Mensch-Maschine die Erfahrung beim Ansehen eines Films ist, nicht die Arbeit an einem mechanisierten Fließband.” Daran beanstandet Huhtamo, dass die Häufigkeit der Interaktion übersehen wird, eher die Rolle

50. Kathryn Bigelow: Strange Days, 1995. 51. Gary Ross: Hunger Games, 2012. 52. Mark Neveldine/Brian Taylor: Gamer, 2009. 53. James Cameron: Avatar, 2009. 54. Huhtamo: From Cybernation to Interaction. Ein Beitrag zur Archäologie der Inter- aktivität (wie Anm. 47), S. 200.

51 eines „ungeduldigen Benutzers” eingenommen wird. 55 Allemal verfilmt der Film Filmnutzung selber; er macht Ernst mit Im- mersion, indem zur Darstellung von Interaktivität Computerwelten um Men- schen und ihre Doppelgänger errichtet werden, in der Ladebalken keinen Platz finden. „Das Medienzeitalter läuft — im Unterschied zur Geschichte, die es beendet — ruckhaft wie Turings Papierband.” 56: Und doch gleiten, schwingen, schieben und springen Interfaces verschiedener Applikationen in Animationen über unsere Monitore und touchscreens reagieren träge, wenn wir scrollen, um eben dieses Rucken mit schier gigantischer Rechenkapazitä- ten zu kompensieren. Dazu Wolfgang Ernst: „In the presence of discrete data, ,streaming’ is a metaphorical disguise. But with accelerated data processing that is faster than what our optical and acoustic senses can consciously follow, discrete operations have become able to represent continuous ones, approaching the reality of physical signals themselves.” 57 Nicht nur metaphorisch, sondern auch graphisch wird diese Verkleidung der eigentlichen Rechenprozesse immer ausgefeilter und in kommerziellen Spielen immer filmischer, wie wir hier nachzeichnen konnten: Die Geschichte der Narrationen in Computerspielen hat eine technische Seite, zugleich liegen ihr aber auch kulturelle Vorstellungen von Interaktivität und Immersion zu Grunde und so als eine synchrone Genealogie einer Remediation beschrieben werden kann, einer Remediation von Adventurespielen durch Actionspiele, deren Fortschreiten eine immer dichtere Verschränkung von Film und Spiel ist. In den Game Studies ist die Frage nach der Narrativität von Spielen schon zum Kanon-Problem geworden, wenn bei so einer jungen Disziplin davon die Rede sein kann. Gonzalo Frasca ist hierbei häufig zitiert, weil er versuchte Narratologie mit Theorien des Spiels auszusöhnen. 58 Seine Be- schreibung des Computerspiels als erzählendes Medium, deckt sich im Grun- de mit Pias’ Analyse des Adventurespiels als Erzählung selbst; doch muss er, um Erzählungen in die Matrix der Caillois’schen Spiellehre einzubau- en, Plot-Strukturen mit ludus gleichsetzen und diese ergänzen mit paidia, dem freieren kindlichen Spiel, das in den Freiräumen stattfindet, die Com- puterprogramme bieten, wenn sie etwa dem Nutzer gestatten ohne Zeitdruck virtuelle Landschaften auszukundschaften: „According to our definition of paidea, many software pro- grams that are not videogames can enter into this category: for

55. Huhtamo: From Cybernation to Interaction. Ein Beitrag zur Archäologie der Inter- aktivität (wie Anm. 47), S. 200. 56. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 33. 57. Ernst: Media Archaeography. Method and Machine versus History and Narrative of Media (wie Anm. 1), S. 246. 58. Gonzalo Frasca: Ludology meets Narratology: Similitude and Differences between (video-)games and narrative, http : / / www . ludology . org / articles / ludology . htm, Zugriffam 17.12.2012, 1999.

52 example, a paint or design software. Some videogames can be lost, but never be wined. Let’s think about simulators: there is not a clear goal in SIM CITY. The player can define his own goal: to build a big city, or a pretty city, or a safe city. The same is true with flight simulation. Even though many flight simula- tors include missions with goals (’bomb the building’ or ,land the plane’), most of the pleasure of the software may be just in the ride. The player is free to decide what she wants to do (for example, do some acrobatic loops, or fly under that bridge, or over that city). These simulations do have rules of defeat, but not rules of tri- umph: the main goal is up to the player. As Le Diberder affirms, they are more like toys or even playgrounds. They give freedom to the player to decide what to do.” Diese Überlegung ist bezüglich unserer Frage nach historischen Narrativen interessant: Diese haben sich verpflichtet, sich an geschichtliche Tatsachen zu halten, und wollen gleichzeitig dem Spieler Freiräume schaffen, in denen er das Gefühl einer selbstbestimmten Zeitreise genießen darf. Andererseits sind selbst Handlungen entgegen vorgeschriebener Spielzie- le durch den Programmcode determiniert: Auch hier ist wieder der Kate- gorienfehler begangen worden, Computerspiel von Simulationsensembles zu trennen, wo sie doch bestenfalls verschiedene Typen ein und derselben Art sind, die sich nur graduell unterscheiden, nämlich durch die Anzahl an Re- geln, die vorgeschrieben werden. Für digitales Tennis, müssen nicht nur die Spielregeln programmiert werden, sondern auch die physikalischen Gesetze — Erzählungen kommen auch ohne Geschichtlichkeit aus. Was macht Narrationen zu computertechnisch vermittelten Historiogra- phien? Diese Frage aus genuin historisch-fachwissenschaftlicher Perspektive betrachtet, hilft auch den Game Studies, da mit Blick auf die Geschichte die gemeinsame Wurzel von Film und Computerspiel kenntlich gemacht wird und zeigt, wo theoretisch nachgeschärft werden muss, was wir im folgenden Kapitel machen wollen.

53 Kapitel 3

Hochauflösende Geschichtsbilder

3.1 Bullet Time

Max Payne erscheint 2001 und besticht durch einen innovativen Mecha- nismus: Der Bullet Time-Mode lässt den Spieler bei Bedarf eine Zeitlupe ak- tivieren, sodass er gegnerischen, heranschwebenden Geschoßen ausweichen und umgekehrt leichter zurückschießen kann, da er mehr Zeit zum Zielen hat. Dieses Spielelement imitiert Filmtechnik, d.h. Filmtrick: Manipulation der Sehnerven, wie es Kittler 1 gleichsetzt. Die Produktion des Spiels lief schon, als Warner Brothers The Matrix in die Kinos brachte und seitdem Bullet Time deren eingetrages Marken- zeichen ist. Gemeint sind damit Aufnahmen vor einem Green Screen,mit zahlreichen Kameras, die alle um ein Motiv gerichtet sind und gleichzeitig ausgelöst werden. Projiziert man die Bilder nachher mit Filmgeschwindig- keit, ergibt sich der Eindruck einer Bewegung durch die stillstehende Zeit, die Gunnar Schmidt kommentiert: „Es ist eine der ironischen Subtilitäten des Films, dass Trinity [die Protagonistin, Anm. S.H.] in dieser Szene nicht festgenommen, sondern fotografisch aufgenommen wird: In einer plötzlichen Kampfhandlung erhebt sie sich nach Art eines Martial-Arts-Kämpfers in die Höhe. Im Sprung dann friert für wenige Sekunden die Bewegung ein. Die Regisseure verschieben das polizeiliche freeze in die mediale Bedeutung.” 2 Im Fall von Max Payne und der Bullet Time erhält dieses dekorative Element eine Spiel-Funktion, nämlich die Toleranzschwelle für etwaige Un- pünktlichkeiten und ineffiziente Entscheidungen zu senken. Statt Ende der Kommunikation beim Versagen pünktlicher Dateineingabe, entsteht die Il-

1. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 177. 2. Gunnar Schmidt: Simultaneintät der Blicke, in: Visualisierungen des Ereignisses. Medienästhetische Betrachtungen zu Bewegung und Stillstand, hrsg. v. dems., Bielefeld 2009, S. 115–134, 116; Hervorh. im Original.

54 lusion machtvoller Magie. [...] — das Gegenteil eines Maximums an Schmer- zen, 3 das der Titel verspricht. Der Spieler kann damit also gleitend die Schwierigkeit homöostasieren. Immersion, die wir als Selbststeuerung von Aufmerksamkeit kennen gelernt haben, wird perfektioniert als interaktive Filmtechnik. Bullet Time ist keine Errungenschaft letzter Jahre, sondern steht schon ganz am Beginn des Films. Das bezeugen frühe Momentphotographien Ernst Machs 1885 von aufschlagenden Gewehrkugeln 4 sowie Étienne-Jules Mareys noch frühere chronophotographische Flinte, die entwickelt wurde, um Ana- lysen von Bewegungsabläufen zu ermöglichen. Kittler folgert: „Die Geschichte der Filmkamera fällt zusammen mit der auto- matischer Waffen. Der Transport von Bildern wiederholt nur den von Patronen. Um im Raum bewegte Gegenstände, etwa Leute, visieren und fixieren zu können, gibt es zwei Verfahren: Schießen und Filmen. [...] Mit der chronophotographischen Flinte wurde der mechanisierte Tod perfekt: Seine Transmission fiel zusammen mit seiner Speicherung. Was das Maschinengewehr vernichtete, machte die Kamera unsterblich.” 5 Diese Wiederbelebung im Programmcode des Computerspiels bzw. der ge- schilderten Szene aus The Matrix macht auf drei Punkte aufmerksam, die weitere Ausführungen lohnen: Erstens, analog zum Schießen von Filmen als „Feststellen von Körpern” steht das Schneiden von Filmen für die tricktechni- sche (Re-)Animation von Körpern, die — zweitens — die Illusion entstehen lässt, einer Bewegung durch stillstehende Zeit. Drittens wird damit visuali- siert, was eigentlich unerfahrbar ist. Entscheidende Zäsuren werden bis zur Unkenntlichkeit gedehnt und umgeformt, so dass diese Figur ein eindrucks- volles Beispiel liefert, was der Kittler 6 am Beginn seiner Abhandlung über Film schreibt: „Medien kreuzen sich in einer Zeit, die keine Geschichte mehr ist.” Wir haben einen Trend zur zunehmenden Verschränkung von Spiel- und Filmästhetik nachzeichnen können; dass dieser Trend in einem längeren Dis- kurs um Immersion zu verorten ist, der am Film den Umstand hervorhob, dass Bewegung abbildbar ist. Die Integration von spielunterbrechenden Film- sequenzen in Actionspielen geschieht in elementarster Form als lebensecht

3. Just im selben Jahr wurde von der Künstlergruppe //////////fur//// mit der Pain- Station ein tatsächlicher Maximal-Schmerztest entworfen (http://www.painstation.de/ history.html,Zugriffam17.12.2012).Bullet Time ist hingegen vielmehr eine schmeichel- hafte Illusion der Partizipation an technologischen Errungenschaften (Vgl. Andrew Mac- tavish: Technological Pleasure: The Performance and Narrative of Technology in Half-Life and other High-Tech Computer Games, in: ScreenPlay. cinema/videogames/interfaces, hrsg. v. GeoffKing/Tanya Kryzywinska, London – New York 2002, S. 33–49). 4. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 194. 5. Ebd., S. 190. 6. Ebd., S. 177.

55 wirkende Bewegung auf Tastendruck: ein Sprung ist nicht nur ein sich para- bolisch bewegendes Objekt, sondern zugleich eine Abfolge von Bildern, die detailgetreu Bewegung abbilden und so noch vor der eigentlichen Ortsände- rung den Spieldoppelgänger Schwung holen lassen und damit die sofortige Wirkung des Tastendrucks aussetzen. Was auf den ersten Blick als technische Errungenschaft und visuelle Kultur wahrgenommen wird, ist im Grunde eine zeitliche Ausdehnung einer parasitären Katalyse, einer überflüssigen Anima- tion, die je hochauflösender graphisch dargestellt, desto echter wirkt. Gegenüber dieser synchronen Geschichte der cutscenes, die genealogisch als Remediation des Adventures durch das Actionspiel bezeichnet werden kann, bleibt noch immer die Frage bestehen, durch welche Strategien dieser Bewegung in zeitlosen Räumen historische Aura verliehen wird: Wie wird in diesen Medienverbänden, die Narrationen transportieren, Geschichtlichkeit simuliert? Dieses Kapitel verknüpft nochmals diachron die Zusammenhän- ge, um das Problem historischer Authentizität aus den vermittelnden Medi- en heraus zu erklären. Während die medienarchäologische Beschreibung der Computerspiele gegeben ist, muss noch die des Films nachgetragen werden, wobei wir uns an Friedrich Kittler 7 halten, in dessen Tradition der materia- listischen Mediengeschichtsschreibung auch Pias zu verorten ist. Es dreht sich um die Motive, mit denen Spielfreiheit im Rahmen histori- scher Vorlagen gerechtfertigt wird. Die medienarchäologische Beschreibung der Prähistorie von Computerspielen wurde schon durch Pias gegeben; zu- nächst müssen die technologischen Bedingungen, die der Film mit sich bringt, nachgereicht werden, um zu verstehen, wie diese mit der Geschichte der Com- puterspiele verwickelt ist.

3.2 Motive

Nach Kittler schreibt der Immersionstheoretiker Balász nur Hugo Mün- sterbergs psychotechnische Studien zum Film fort, die besagen, dass jeder Spielfilmtrick sein Korrelat in einem unbewussten Mechanismus findet, wie etwa die Aufmerksamkeit durch eine Großaufnahme wiedergegeben wird. 8 Das als Beispiel für ein solches close-up ein Revolver gebracht wird, ist für Kittler keinesfalls zufällig: „Münsterbergs geduldiger Blick [...] gilt nicht umsonst einem Revolver: An der Wiege des Kinos stand seine Trommel. Wenn sie in Großaufnahme wieder erscheint, verfilmt der Film unbewußte und technische Mechanismen zugleich. Großaufnahmen sind nicht nur ,Objektivierungen’ der Aufmerksamkeit; die Aufmerksamkeit selber erscheint auch umgekehrt als Interface einer Apparatur.” 9

7. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3). 8. Ebd., S. 242. 9. Ebd., S. 242.

56 Die Schnittstelle von Zuseher und Apparatur ist die Leinwand, auf die Ob- jektivierungen unbewusster Mechanismen projiziert werden: eine Veräußer- lichung innerer psychischer Mechanismen, also Verdoppelung. Der Revolver ist ein Motiv im Doppelwortsinn: Sujet, das Geschichte in Bewegung hält und unbewusster Antrieb des Rezipienten sich diesem anzunehmen. Diese Selbs- treferenzialität des Filmmediums wäre hypermedial, wenn das mechanische Prinzip ebenso als Medium aufgefasst werden würde. Doch Remediation ist digitalen Medien vorbehalten, aufgrund der Unbstimmtheit des universalen Computers, der sämtliche andere Medien imitieren kann. Dass Computer- spiele oft Film remediatisieren, kann vielleicht zurückgeführt werden auf die selbe Aussagemenge, um die sie sich herum ansiedeln — zeitkritische Opti- mierungsversuche in Experimentalpsychologie, Arbeitswissenschaft und ar- my mental test.

3.2.1 Schießen und Fechten Diese Projektion innerer psychischer Mechanismen zugleich wiederholte sich folglich durch den Einbau von Filmtechnik in Spiele, wie im vorherigen Kapitel gezeigt. Etwa bei Maniac Mansion: Die Aufmerksamkeit des Ad- venturespielers richtete sich bis dato ganz auf jene Schlüsselwörter im Text, die ihm Zugänge zu noch unentdeckten Datensätzen öffneten. Spieler mus- sten das Parser-Vokabular seit SCUMM nicht mehr kennen, denn dieses wird am unteren Bildschirmrand gelistet und per cursor zugänglich gemacht — Objektivierungen der Aufmerksamkeit in Form eines Fadenkreuzes. Dieses Vertrautmachen des Nutzers mit unbewussten und technischen Mechanis- men dient einer noch stärkeren Einbindung durch Selbststeuerung, die per- fektioniert wird in dreidimensionalen Räumen, wenn mit einem Joystick die Kamera gesteuert wird, mit einem zweiten der Avatar. Die Steuerung von Actionspielen und Benutzeroberflächen müssen sich selbst erklären. 10 Die Maus, die dieses Fadenkreuz in SCUMM-Spielen steu- erte, hatte ebenso Rivalen und Vorläufer, die in den ersten Versuchen Text- verarbeitung zu ermöglichen ausgetestet wurden: den Joystick etwa oder die Lightgun, mit der an Radarbildschirmen gearbeitet wurde. 11 Die Universa- lität, die in der Turing-Maschine und damit allen Von-Neumann-Systemen angelegt ist, die wir im Grunde heute noch bedienen, macht aus Schießen, Flugzeugsimulationen und Arbeit an Radarschirmen ebensogut auch Büro- arbeit und digitales Tennis. Mit SCUMM wird Text kompiliert und dessen Erzählung sofort visualisiert, über ein Interface, mit dem man im Grunde Handlungsoptionen, Dinge, Personen, Orte „abschießt”. 12 Ego-Shooter un-

10. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 24. 11. Vgl. ebd., S. 96-101. 12. Vgl. ebd., 18; Hervorh. im Original: „Seeßlens Vorschlag [Nämlich die Auffassung des Schießens als Bedeutungsproduktion in Form eines semantischen Aktes, mit dem defi- niert wird, Anm. S.H.] macht jedoch erst Sinn, wenn der Begriffdes ,Schießens’ erweitert

57 terscheiden sich daher nicht dadurch, dass diese Blut fließen lassen, sondern dadurch, dass eine subjektive Kamera umgesetzt und die Führung dieser selbst zum zeitkritischen Unterfangen wird, indem Schusslinie und Blick- richtung in einer Achse zusammenfallen. Kino bei Kittler 13 und Actionspiel bei Pias basieren auf experimental- psychologischen Versuchsanordnungen, die Grundlagen schufen für Arbeits- wissenschaft und army mental test und Körper bis auf die notwendigste, ele- mentarste Reiz-Reaktions-Bewegung festsetzen, um genau die Zeit messen zu können, welche die Hand-Auge-Koordination einnimmt. Zuseher bleiben sitzen für die Dauer einer Traumsequenz alias Spielfilm 14; Computerspieler in Filmen schlafen ein, um ihre Träume selbst ineinander zu überblenden alias cutscene. Ballistische Probleme, die an Radarbildschirmen bearbeitet wurden, lie- gen auch dem ersten Tennisspiel zu Grunde, das auf einem digitalen Rech- ner lief: „Die Arbeit am Bildschirm definiert sich also als Beherrschung einer Sprache, die unter zeitkritischen Bedingungen Sequenzen standardisierter Elemente herstellt. Und da mit der Arbeit am Computer ja das Denken selbst auf dem Spiel steht, darf man wohl in Abwandlung von Gumbrechts Definition schließen, dass für [Joseph] Licklider der unter zeitkritischen Be- dingungen gelingende Rhythmus der Mensch-Maschine-Kommunikation das Gelingen des Denkens selbst ist. Daher ist es mehr als eine hübsche Miszelle, wenn Licklider 1968, also genau dem Jahr, in dem Ralph Baer das Patent seiner tennisspielenden Odyssey einreicht, ausgerechnet das Tennisspiel zur Metapher gelingender Interaktivität wählt.” 15 In der Tennis-Metapher wiederholt sich die Funktion des psychotechni- schen Motivs: Das Hin und Her des Tennis versteht jeder als Aufforderung zum Spiel, die keine weitere Erklärung braucht. Die Funktion von Geschich- ten, die über ein Spielfeld hinausgehen hat schon Jordan Mechner auf den Punkt gebracht: „At the beginning of the game, story is everything. By the end, it’s practically nothing. The experience destills into pure game play.” 16 Prinz wird man, indem die Prinzessin gerettet wird; von was man Prinz ist — etwa von Persien oder Indien — ist dann schon egal. Es geht nicht wird, dass er das Auslösen eines bestimmten Vorgangs zu einem bestimmten Zeitpunkt als Reaktion auf eine spezifische Sichtbarkeit meint. So gilt es beispielsweise bei einem Jump and Run-Spiel mit den Optionen Hüpfen und Werfen, bei Sichtbarkeit eines Gegners im richtigen Moment eine der Optionen zu wählen und auszulösen. Diese Kombination aus Wahrnehmung und Selektion oder — in [Wilhelm, S.H.] Wundts Worten — aus ,Apper- zeptionszeit’ und ,Wahlzeit’, würde im erweiterten Sinne eines ,semantischen Aktes’ so etwas wie ,schießen’ bedeuten. 13. Vgl Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 238. 14. Vgl. ebd., S. 243-245. 15. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 96. 16. Mechner: The Making of Prince of Persia. Journals 1985-1993 (wie Anm. 26), S. 76.

58 darum, eine gute Geschichte in ein Programm einzubauen, sondern sie durch die Spielerfahrung darin aufzulösen. Sie erledigt sich mit dem Auftrag, den sie formuliert. In Prince of Persia fanden wir den zweiten Schalter innerhalb der emer- genten Kämpfe mit Wächtern, die durch die Möglichkeit einer Parade berei- chert sind. Gegnerischen Angriffen kann der Spieler nicht nur durch Auswei- chen entgegnen, wie etwa bei Schüssen, sondern sie lassen sich durch einen eigenen Tastendruck unschädlich machen. Durch diese Einführung lässt sich das Ringen um den symbolischen Tod choreographieren: Schwerttänze in Räumen, die voller Stacheln, Messern und herabfallenden Bodenplatten auch diese Mensch-Maschine-Kommunikation vorzeitig abrechen können — was der Spieler sich zu Nutze machen kann, um Wachen in die gleichen Fallen zu drängen und so den Kampf abzukürzen. Auf den überschaubaren zehn Levels konnten immer wieder Überraschungen eingebaut werden, wie zum Leben er- wachende Skelette, Doppelgänger und unsichtbare Brücken, die versuchten den repetitiven Charakter des Spiels zu unterlaufen. 17

Abbildung 3.1: Rotoskopien lassen Fechtkämpfe dem Film entspringen.

Die Parade ist der erste Schritt auf dem Weg von einem Interrupt- Schalter, der am Beginn der Interaktivität stand, zur Bullet-Time-Schaltung, welche sie nun visualisiert. Für die Dauer des Aufeinanderprallens zweier Klingen ist das Spiel des gegenseitigen Abpassens unterbrochen und erlaubt neue Eingaben in den Prozess, der bislang die Kommunikation beendete, wenn jemand im entscheidenden Moment des Treffens anwesend war. Bälle und Projektile sind eindeutig: es gilt sie weiterzuspielen oder zu vermeiden; Klingen von Kämpfern hingegen sind zweischneidig: Der Spieler muss unter zeitkritischen Bedingungen Entscheidungen treffen, etwa ob er parieren, an- greifen oder einen Ausfallschritt wagen soll. Die Katalyse — man denke an die Kampfbeschreibung des Trollmordes — wird als emergentes Spieldesign ausgetragen. Umgekehrt kann das rein zeitkritische, repetitive Spiel wie ein Kippbild, für einen Moment, durch taktische Urteile ausgehebelt werden. Wächter müssen nicht zwangsläufig erschlagen werden, man kann sie auch

17. Vgl. Kapitel 4.3

59 in Abgründe drängen oder vor ihnen fliehen. Mit den Rotoskopien für Prince of Persia wurde der Einsatz von martial arts in Computerspielen revolutioniert. Die Kinematographien menschlicher Körper sind der Versuch, das synchronisierende Hin und Her von Pong mit abwechslungsreichen Film-Katalysen auszustaffieren, die Redundanz und Re- petition kaschieren. Leon Hunt untersucht anhand zahlreicher Kampfspiele, wie diese durch die Integration von Choreographien aus einschlägigen fernöst- lichen Kung-Fu-Filmen den Kinokenner das Gefühl geben, diese Kampftech- niken zu meistern:

„[S]hock-dispensing joypads, fast-cut action replays and ine- vitable kinaesthetic Identification may have set new challenges for film choreography, but the kinetic pleasures of fighting games remain rooted in remediated martial arts action and a cinematic construction of the authentic.” 18 Die Abbildung der Körperbewegungen, ist der medienarchäologisch freige- legte Zweck der Kinematographie, den sie bis in das digitale Zeitalter erfüllt, indem sie den Tastendruck durch einen authentischen visuellen Eindruck von Körperbewegung rückkoppelt und so auch noch wesentlich an dem Er- folg von Spielen beteiligt zu sein scheint: Es bleiben also die die Bewegung der Stars aus Filmvorlagen relevant, um ein Gefühl von Echtheit und Au- thentizität zu erzeugen — „Aura” mit Walter Benjamin gesprochen. „In the case of martial arts, at least, it is not just films and games that remediate one another, but, by necessity, technology and the body. The martial artist’s body may be extensively (re-)mediated, but technology has yet to make it disappear.” 19 Im Falle von historischen Räumen wird deren Aura durch die realistisch anmutende Bewegung der Bevölkerung erzeugt.

3.2.2 Stadtluft

Das Gefühl historischer Echtheit ist klar in den Städten von Assassin’s Creed zu verorten. Ein Gefühl von Urbanität vermittelte zuvor die GTA- Reihe, erstmal mit dem dritten Ableger 20 in seiner dreidimensionalen Form: Seitdem werden Verbrechen nach ähnlichem Prinzip in fiktiven amerikani- schen Großstädten begangen, die zugleich reale Vorbilder haben. Mafia 21 umgibt das selbe Spielprinzip mit dem Charme der 30er-Jahre — freilich, so wie wir diesen von Gangsterfilmen kennen: Man stiehlt Autos, fährt mit die- sen durch die Stadt, missachtet die Verkehrsregeln, und offen gelassen wird,

18. Hunt: ’In Know Kung Fu!’ The Martial Arts in the Age of Digital Reproduction (wie Anm. 61), S. 203. 19. Ebd., S. 204. 20. Rockstar Games: Grand Theft Auto III, 2001. 21. Illusion Softworks: Mafia, 2002.

60 Abbildung 3.2: Städtetourismus und organisierte Kriminalität: Mafia, GTA3 ob man den Missionsvorgaben folgt 22, oder ziellos durch die Stadt fährt — digitales cruisen. 23 Für Assassin’s Creed wurde eine ebenso moderne Entsprechung gefun- den, die allerdings ohne motorisierte Vehikel auskommt und deshalb auch in mittelalterlichen Gassen taugt: Parcour ist ein Sport urbaner Akrobaten, die den direktesten Weg suchen und halsbrecherisch wie beeindruckend auch kühne Sprünge und Rollen über Geländer, Stufen und Mauern wagen. Diese spielerische Praxis war Vorbild für die Bewegungen des Assassinen. 24 Désilets übertitelt dieses Konzept einer Stadt, deren Bewohner auch na- türlich auf unorthodoxe Bewegungsmuster reagieren als „Organic Design” 25 und meint damit, dass einem Spieler sofort klar wird, wie er sich zu verhalten habe und dass seine Entscheidungen nachvollziehbare Konsequenzen nach sich ziehe — Spielfreiheit durch Erschwerungen, die wir aus dem Alltags- leben kennen: Die Bewohner mokieren sich über halsbrecherische Manöver, wollen behutsam bei Seite geschoben werden, bzw. auf der Flucht gilt es, sie wegzurempeln, was die Aufmerksamkeit feindlicher Wachen nach sich ziehen kann. Damit dieses Flanieren nicht ausartet, werden visuelle Unterstützungen angeboten, die den Spieler wieder auf seine Ziele ausrichten. Der Gebrauch der Karten und anderer Orientierungshilfen arbeiten mit einfach Farbco- dierungen und Zielerfassungen, so dass die Kamerafahrten nicht in Details abdriften und Überdruss verursachen, sondern in der Handlung bleiben.

22. GTA stattet die Stadträume zudem mit kleineren Spielen aus, die angesteuert und angewandt werden können: man kann Zeit vergeuden bspw. mit Fernsehen — Tätigkeiten, die keinen Spielfortschritt bedeuten. 23. Vgl. dazu Mitgutsch/Rosenstingl: Computerspiele zwischen Kult und Kultur (wie Anm. 81). 24. Raymond: Assassin’s Creed Developer Diary: Art Direction (wie Anm. 44), Vgl. 25. Patrice Désilets: Assassin’s Creed Video Game, Developer Diary: Freedom, http: //www.gametrailers.com/video/developer-diary-assassins-creed/26024,Zugriff am 17.12.2012, 2007.

61 Marktstände, wie sie als Zeichen urbanen Lebens in den mittelalterli- chen Städten auftauchen, geben dem Spieler die Möglichkeit, lästige Ver- folger durch akrobatische Ablenkungsmanöver abzuhängen. Sie bilden kein eigentliches Spielziel, sondern werden von aufmerksamen Spielern entdeckt und diese dafür mit einer graphisch aufwendigen Zwischenszene belohnt, die den Missbrauch jener Infrastruktur anzeigt, die eigentlich den Warenverkehr regelt. Solche subversive Gangarten durch urbane Strukturen scheinen Stadt- luft auch in ihren digitalen Replika frei zu machen: dominierendes Thema ist organisiertes Verbrechen. Matthias Bickenbach kommt zum selben Schluss, dass Tastendruck und Feedbackschleife die bestimmenden Faktoren für erfolgreiche Spiele sind: „Wenn heute historische Kostüme und Waffen oder auch die realen historischen Wetterdaten in aktuelle Kriegsspiele imple- mentiert werden, wenn Autorennspiele die Physik von Fahrver- halten, Straßenzustand, Unfalldeformationen sowie die Streckenab- messungen von realen Rennstrecken [...] oder deutschen Innen- städten [...] darstellen, so hat dies nur als Attraktion mit dem Spiel selbst etwas zu tun. Die visuelle Opulenz der Bilder ist [...] vor allem für die Öf- fentlichkeit und das Marketing relevant.” 26 Könnte die Inszenierung des zweckfreien Missbrauchs von Verkehrstruktu- ren als eine Folge der Opulenz von Graphikräumen gelten? Diese ist ja gar nicht notwendig, um packende Spiele zu programmieren — so lehren es uns Pac-Man, Tetris und Asteroids, auf die nostalgisch zurückgeblickt wird. Wo am Anfang eine überschaubare Ansammlung von einfärbigen Polygonen im leeren Raum war, erscheinen nun texturiertes Fachwerk mittelalterlicher Städte und gerasterte Straßenzüge amerikanischer Metroplen. In Graphik- karten wird Rechenkapazität ausgelagert und damit ganze Simulationspro- gramme zur Darstellung von fließendem Wasser, glänzendem Chrom oder ähnlichem 27, so dass es möglich ist, diese großen Städte und mit künstlichen Intelligenzen belebt, dass sie die Flüchtigkeit des Stadtlebens selbst imitieren können: Man sieht immer nur einen Ausschnitt aus einer Fülle von Informa- tionen, so wie uns auch der Arbeitsalltag städtisch Ereignisse bei Seite liegen lässt. „Daher gehört auch die Fehlhandlung und der Versuch durch gezielte Fehlhandlungen der Programmierung zu entkommen, zum Spiel: den Renn- wagen gegen die Streckenführung lenken, Versuche, durch Wände zu brechen. Es sind Versuche, zu unbekannten Bildern zu gelangen.” 28 Diese Lust, ungesehende Bilder anzusteuern, die Bickenbach beschreibt, wird hier für den Spielverlauf produktiv umgesetzt, beispielsweise als lang

26. Bickenbach: Der virtuelle Grafik-Raum oder: „It’s not a game.” Die Gesetze des Videospiels (wie Anm. 41), S. 45. 27. Vgl. ebd., 46f. 28. Ebd., S. 54.

62 bewährte touristische Praxis von weit oben, etwa Kirchtürmen, die Stadt als Panorama zu erfassen. Assassin’s Creed hat das Installieren solcher Panorama-Blicke in sein ga- meplay eingebaut: Um herauszufinden, was es in einer Stadt zu tun gibt, muss man als Spieler die Karte aktualisieren, d.h. den Avatar ein hohes Ge- bäude erklimmen lassen und dieses als Aussichtsplattform zu benutzen. (Die sind u.a. daran erkennbar, dass ein Adler um die Turmspitzen kreist.) Man aktiviert die Funktion „Adlerauge” und genießt einen Moment das Stadt- panorama. Sodann finden sich auf der Karte jene Orte und Missionsziele eingezeichnet, die man anzusteuern hat, um die Erzählung voranzutreiben. Die Beschreibung, die John Fiske vom für Touristen unvermeidlichen Stadt- rundblick gibt, könnte ohne weiters vom Spiel handeln. „The city is textualized by the height. [...] The birds-eye rea- ders see the hidden, the rooftop gardens, jogging tracks, and swimming pools normaly exclusive to their owners. They chart the traffic jas, their extent and their causes, in a way that is im- possible on the ground. They see the city more powerfully, with fewer restrictions; they see (look over) it an see (understand) it in a way that the horizontally of the everyday denies them. [...] The city is a text to be read, a toy to be played with.” 29 Das Lesen der Stadt ist hier also nicht nur das Lesen einer Karte. Es un- terscheidet sich durch den Versuch, Souveränität zu vermitteln. Im Spiel werden alle Register gespielt, indem auch die vertikale Achse begehbar ge- macht wird. Es geht nicht nur um die Orientierung zu alltäglichen Zwecken, sondern auch darum, teilnahmslos die Stadt in ihrer Lebendigkeit zu erfassen und souverän die Blicke schweifen zu lassen — ein Spielzeug. 30 Das Motiv der Stadt verstärkt noch den Effekt opulenter Graphik. Auch der einschrän- kenden Horizontalität des Alltags wird Rechnung getragen. Damit Spieler nie den Faden verlieren, gibt es den Schalter „Adlerauge”, der je nach Si- tuation unterschiedliche Effekte hervorruft, die dabei helfen sollen, in der detailreich-unübersichtlichen Welt zurechtzukommen. Beispielsweise lassen sich ausgewählte Leute belauschen: Benjamin Beil analysiert dieses darauf- hin einsetzende Spiel mit der Farbgebung, Tiefenschärfe und Soundsteuerung bis ins letzte Detail und kommt zum Schluss: „Einerseits orientiert sich As- sassin’s Creed im Fall der Tiefenschärfe-Veränderungen damit eher an foto- grafischen/filmischen Techniken, andererseits geht die Darstellung aber über diese Techniken hinaus, denn der Unschärfe-Effekt mutet gerade bei einem beweglichen Ziel fast schon surreal an, da tatsächlich nur der Mann und des- sen nähere Umgebung scharf dargestellt wird und nicht etwa eine bestimmte Ebene, wie es bei einer normalen Kameraaufnahme der Fall wäre.” 31

29. John Fiske: Reading the popular, London 2005, S. 205. 30. Vgl. Kapitel 4.2.3 31. Beil: First Person Perspectives. Point of View und figurenzentrierte Erzählformen

63 3.2.3 Mind Maps Im Normalfall, wenn mit dem „Adlerauge” keine spezielle Spielsituation aufgelöst wird, springt die Ansicht in die Ego-Perspektive, womit wir durch Altaïrs Augen die Welt sehen, was uns vor allem über die vorüber spazieren- den Personen Auskunft gibt: sie werden eingefärbt, je nachdem, ob sie dem Spieler feindlich, freundlich oder neutral gesinnt sind. Diese Lichtspiele kennt man auch aus Hollywood: Ron Howard etwa lässt in leuchtender Schrift versteckte Zusammenhänge als Bildern leuchtend her- austreten, derer ein Charakter plötzlich einsichtig wird — eine hyperme- diale Form der Großaufnahme. Etwa der Protagonist aus The Da Vinci- Code 32, ein Symbologe der Verschwörungstheorien auf der Spur ist; oder der paranoide Spieltheoretiker und Codeknacker John Nash in ABeauti- ful Mind. 33 Eine zeitgenössische Einstellung vom Einsichtig werden in die Einsichten anderer. Um deren Genie und Wahnsinn Ansichtig werden zu können, wird ihr intuitives Absuchen des Raumes auf Information, wie die Folie eines Radarschirmes, über den realen Raum gelegt und so werden ver- borgene Verhältnisse erhellt. Dies verhält sich wiederum spiegelverkehrt zu den Anfängen des Interface-Designs für gewöhnliche Menschen am Radar- schirm, über den die Folie eines Koordinatensystems gelegt worden ist 34, weil man dies für Karten-literate Nutzer vorher bereits voraussetzen konnte. Genies blicken hinter das Simulakrum, was in popkultureller Visualisierung als hypermedial-selbstreferenzielle Sicht umgesetzt wird, die in Signalfarben Übersicht simuliert. Seit Avatare in dreidimensionale Räume verpflanzt werden, wird oft die Möglichkeit einprogrammiert, einen Kartenbildschirm aufzurufen und sich Überblick über das Level zu verschaffen, um drohender Desorientierung vor- zubeugen. Unter Hodologie fasst Stephan Günzel die Diskrepanz zweier dia- metral entgegengesetzter Bildansichten 35 — tiefenräumliches Sehen und Kar- tenansicht ohne Betrachterstandpunkt. In der Erfassung anwendungsbezo- gener Wege finden sie ihren Übergang im Benutzer. Die Topographie der Landschaften und Städte wird bisweilen überlagert von objektiven Karten, wodurch topologische Bezüge hergestellt werden: „Eine Topographie bildet idealtypisch alle örtlich vorhandenen physischen Gegebenheiten, seien sie natürlichen oder kulturellen Ursprungs, in planer Ansicht ab: also Flüsse, Berge, Täler, Straßen, Grenzen, ohne Rücksicht auf deren tatsächliche Ver- wendung durch einen Benutzer. Eine Topologie oder die topologische Be- schreibung räumlicher Gegebenheiten hingegen besteht in den wesentlichen im Film und Computerspiel (wie Anm. 82), 145; Hervorh. im Original. 32. Ron Howard: The Da Vinci Code, 2006. 33. Ders.: A Beautiful Mind, 2001. 34. Vgl. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 76-82. 35. Vgl. Stephan Günzel: Raum, Karte und Weg im Computerspiel, in: Game over!? Perspektiven des Computerspiels, hrsg. v. Jan Distelmeyer u. a., Bielefeld 2008, S. 115– 131, hier S. 125-127.

64 Abbildung 3.3: Aufleuchtender Code für Genies und den Autoren.

Merkmalen und Relationen, deren Relevanz nicht von der Topographie deter- miniert sein muss. Was in der Interaktion mit dem Computerspielbild erlebt wird, ist jedoch nicht die reine topologische Struktur, sondern immer eine Konkretion derselben.” Daraus folgt: „zwischen zwei Bildansichten wird die Räumlichkeit des Spielbildes erlebt — in der Reziprozität zwischen Karten- ansicht und tiefenräumlichem Sehen. [...] Dies geschieht aber nicht wie beim herkömmlichen Kartengebrauch in Beziehung auf einen existierenden Ort, sondern bildimmanent — in der Simulation.” 36 Dass die Karte immer erst durch eine Kletterpartie und Sturz aktuali- siert werden muss, kann verstanden als Versuch werden, dieser Reziprozität selbst ein spielbares Simulationsbild zu geben. Die Bewegung durch die Com- putermodelle bilden folglich Simulationsbilder unserer Gedächtnisarbeit: Das Abschreiten der Wege verzeitlicht die in der virtuellen Welt angelegten In- formationen; was gleichzeitig gespeichert ist, wird gereiht und so erzählt.

36. Ebd., 128; Hervorh. im Original.

65 Die Entscheidungsbäume von flowcharts wurden in frühen Adventures als Höhlen umgesetzt, was an die lange Kulturgeschichte des Labyrinths an- knüpft. Dieses ist ein diagrammatisches Bild solcher Zusammenhänge. In der Neuauflage dieser künstlichen Welten als Stadt können sich an diesen diagrammatisch-topologischen Beziehungen, welche den Plot ausmachen und in Hellsichts-Funktionen zu Tage treten auch verschwenderisch Geschehnisse anlagern, die keinen Zweck haben und in ihnen das Gefühl von Alltäglichkeit durch Detailreichtum entsteht. Authentisch wirkt die Stadt im Gegensatz zu den eigens für das Spiel geschaffenen Höhlen durch großflächig verteilte, nie gesehene Details. Diese Betonung des Wissens als Ausschnitt feiert auch in expliziten Prä- sentationsformen des Wissens Erfolge: das Programm Prezi, remediatisiert nicht mehr wie Microsofts Powerpoint Diaprojektoren, sondern Leinwände auf denen Gedanken und Ideen angeordnet werden. „Make your presentations zoom!” 37, lautet der Werbespruch und deutet an, dass das Publikum, mit ei- ner Kamerafahrt durch eine Gedankenwelt geführt wird. Man kann zusehen, wie sich entlang eines Diagramms Bilder, Filme und Notizen anordnen und zusammenfügen. Solcherart gefilmte Mind Maps nehmen für sich zahlreiche Vorteile in Anspruch gegenüber herkömmlich-linearer Syntax. Für eine systematische Kritik dieses Konzeptes ist hier kein Platz 38 ; es soll lediglich darauf hinge- wiesen werden, wie durch diese assoziative, kognitive Technik es vorrangig darum geht, ungefähres Wissen sichtbar zu machen, das noch in seinem vor- sprachlichem Stadium nicht logisch-systematisch zu Papier gebracht werden kann — ganz im Gegensatz zu in die Antike zurückreichenden Mnemotech- niken, die allem Merkenswertem einen bestimmten Platz zuweisen. 39 Es sti- lisiert so Lernprozesse zu einem organisch anwachsendem Baumdiagramm, das sich vor allem die wuchernde Dichte von Information zu der angelegten Diagrammatik in Beziehung setzt; es ist immer offen für neu hinzukommen- des Wissen, weil es ja selbst organisch ist. Wenn es stimmt, dann ist nicht zufällig der revolutionäre Biologe Charles Darwin der Zeichner der ersten Mind Map. Ein Notizbuch-Eintrag beginnt mit den Worten „I think” und wird mit der ersten Zeichnung einer Genealogie fortgesetzt. Diese findet sich als einzige Abbildung in The Origin of Species: „Doch das Diagramm sollte mit Bedacht kein Bild sein. Seine Funktion war es, ein Argument darzustellen, um das, was weder ausgesagt noch gezeigt werden konnte, sichtbar werden zu lassen, ohne dass es etwas Sichtbares

37. http://prezi.com/,Zugriffam21.7.2012.Vgl.auchdieVideosvonhttp://www. thersa.org/events/rsaanimate,Zugriffam19.12.2012 38. Weswegen wir uns hier uns auch damit begenügen auf den deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag zu verweisen: Wikipedia: Mind Map, http://de.wikipedia.org/w iki/Mind-Map,Zugriffam12.12.2012 39. Frances Yates: The Art of Memory, London 2007, Vgl.

66 Abbildung 3.4: Vielleicht die erste Mind Map von Charles Darwin. abzubilden gäbe.” 40, so Phillipp Sarasin. Der Wunsch ein Spiel organisch wirken zu lassen, soll also neben der Faktizität biologischer Motive auch noch ein ungefähreres Gefühl von Glaubwürdigkeit durch intuitive Bedienbarkeit unsichtbaren Wissens ermöglichen.

3.3 Abstammung

Es wurde schon an mehreren Stellen in dieser Arbeit darauf hingewiesen, wie Assassin’s Creed beim Entwurf seiner Phantsmen unverhohlen biologi- stischen Annahmen folgt. Die Möglichkeit der Zeitreise wird in der Fiktion des Spiels mit der Abtastung von in der DNA gespeicherten Erinnerungen begründet. Ganz umgekehrt das organic design der Game-Pods aus eXi- stenZ, bei denen die Fiktionalität der Spiele in Abrede gestellt wird, durch das Gefühl der Echtheit, welche die fleshware durch Einverleibung erzeugt. Allemal zeigen sich die realen Bedingungen, die historische Prozesse und fik-

40. Philipp Sarasin: Darwin und Foucault. Genealogie und Geschichte im Zeitalter der Biologie, Frankfurt am Main 2009.

67 tive Plots 41 speisten, als natürliche. Woher kommt diese Diskursmacht der Biologie, der sich das Spiel bedient?

3.3.1 Analog Phillip Sarasin 42 fällt es schwer diesen Einbruch zu datieren: „Wann be- gann das Zeitalter der Biologie?” Diese Frage bestimmt sein Werk Darwin und Foucault, während eine andere sich auf einen kleinen Exkurs beschränkt: Hat die Wahrnehmung bewegter Bilder das Denken von Evolution möglich gemacht? Als Darwin von seiner Forschungsreise mit der Beagel zurückkehr- te, waren bereits Experimente zur Untersuchung der Nachbildwirkung Gang und Gebe; Sarasin merkt an, dass er eventuell gar durch diese inspiriert war, seine Erfahrungen von der Reise in einem inneren, geistigen Zeitraffer zu Transformationen zusammenzufügen, also frühe Bilder der Evolution beweg- te waren. 43 Nachdem „Biotechniken [...] alle auch Medientechniken sind” 44, könnte man versuchen, das Zeitalter der Genealogie ebenso medientechnisch zu bestimmen: dabei wird man allerdings nach wie vor kein eindeutiges Da- tum erhalten, weil auch die Geburtstunde des Films sich nicht durch eine Erfindung (Photographie, Kinematographie, Kino) markieren lässt. Fried- rich Kittler meint, „weil Verfilmung schon vom Prinzip her Schnitt ist: Zer- hackung der kontinuierlichen Bewegung vorm Sucher.” 45 Dafür erhalten wir ein Indiz, durch die Unmöglichkeit einer Antwort: nachdem beide Fragen nach einer epochalen Zäsur offen bleiben, dürften sie sich aus dem selben Problem heraus stellen, nämlich, dass Zeit eine Serie aus gleichwertigen Zä- suren bildet, die Frage nach der entscheidenden sich erübrigt. Uns geht es aber nicht um die Beschaffenheit von vergangener Zeit, son- dern um die Vermittlung dieser, die man oft selbst nicht mehr miterlebte. Julia Voss beschreibt Darwins visuelle Strategien zur Verteidigung seiner Theorie als Versuch den Zufall zu zeichnen: Er trat in Konkurrenz zu Annah- men, denen zu Folge göttliche Perfektion in den Dingen der Natur äußerte; somit etwa Schönheit, wie jene der Pfauenfeder nicht nach Malthus’schem natürlichen Selektionsprinzip erklärbar waren: „Auf die Suche begab er sich mit Stift und Papier, vor seinen Augen das natürliche Bild auf der Argusfasanfeder, unter sei-

41. Der renommierte scriptdoctor John Truby bevorzugt auch in seiner Anatomy of Story eine organische Vorgehensweise beim Schreiben eines Drehbuchs, in dem alle Fak- toren — Charaktere, die Welt, in der die Geschichte spielt, Handlung, etc. — in ihrem Zusammenspiel beachtet werden. Dabei grenzt er sich von Konzepten, wie Aristotles’ Drei- Akt-Theorie ab, die er als mechanisch etikettiert. Vgl. John Truby: The Anatomy of Story. 22 Steps to Becoming a Master Storyteller, New York 2007, S. 5 42. Sarasin: Darwin und Foucault. Genealogie und Geschichte im Zeitalter der Biologie (wie Anm. 40), S. 267. 43. Ebd., S. 53-55. 44. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 234. 45. Ebd., S. 180.

68 ner Hand die Zeichnung auf einem Blatt Papier. Das natürliche Bild, das dem Argusfasan aufgeprägt worden war, zeichnete er selbst, wodurch es ein zweites Mal, diesmal im gesteuerten Pro- zess der Reproduktion erschien. Der Zeichenakt führte dabei zu einer merkwürdigen Neuanordnung der in der Debatte verhandel- ten Objekte; Auge, Augenornament, Natur und Künstler fingen an zu kreisen: Die Stelle der Natur als Künstlerin nahm Darwin ein, der auf dem Papier das natürliche Bild, das er auf den Argus- fasanfedern fand, noch einmal zeichnete. Und mit dem Forscher trat nun selbst ein Erzeugnis der Natur an, die Evolution eines anderen nachzustellen, da zeichnende Hand und sehendes Auge nach Darwins Theorie ebenso von Zufall und Auslese geformt worden waren, wie der Argusfasan, sein Ornament oder die den Hahn bei der Balz betrachtende Henne. Auge, Augenornament und Forscher gingen am Schreibtisch eine neue Verbindung ein, aus der die evolutionstheoretische Bilderreihe für die Abstam- mung des Menschen von 1871 hervorgehen sollte.” 46 Der hypothetische Charakter der einzelnen Zeichnungen wurde nie verleug- net. Als gezeichnete sind sie nur als Annäherungen zu verstehen, Abtastun- gen eines nicht miterlebten historischen Prozesses. Diese Visualisierungen sollten nur als Variationen der perfekten Pfauenfeder eine mögliche Ent- wicklung hin zum Endergebnis, seine Historizität als Genealogie sichtbar machen 47: er liefert nur Variationen, die eine von mehreren denkbaren Ge- nesen darstellt. Im Abdruck des erwähnten Buches ergibt sich aus dieser ein Daumenkino, mit „eigenwilliger Dramaturgie”: „Er begann mit dem prächtigsten Ornament des Argusfasans, zeigte darauf das einfachste, und schritt dann mit den drei nach- folgenden Bildern wieder zum prächtigsten fort. Anstatt in der zeitlichen Reihenfolge abzulaufen, wechselt die im Bild vorgeführ- te Evolution des Ornaments demnach die Richtung auf dem Zeit- strahl, indem sie mit der letzten Stufe beginnt, zur ersten zurück- springt und sich dann wieder zur letzten aufbaut. Ungleichmäßig werden noch dazu die Bilder über die Seiten verteilt, wodurch der umfließende Begleittext die Abfolge des dritten und vierten Bildes mit einer Seite unterbricht. Von Blatt zu Blatt hüpfen die Illustrationen nach oben und unten, werden etwas größer oder kleiner, so dass sich die Reihe nur stotternd zusammensetzt. Un- terbrochen durch unregelmäßige, mit Text gefüllte Abstände und in wechselnder Richtung auf dem Zeitstrahl zeigt sich Evolution

46. Julia Voss: Die Entdeckung der Unordnung. Wie Charles Darwin den Zufall zeich- nete, in: Ludi Naturae. Spiele der Natur in Kunst und Wissenschaft, hrsg. v. Natascha Adamowski/Hartmut Böhme/Robert Felfe, München 2011, S. 257–284, hier S. 275. 47. Vgl. ebd., 276f.

69 als ein zögerlich suchender Prozess; im Unterschied zur teleolo- gischen Gerichtetheit von Entwicklung in embryologischen Bild- atlanten, wirkt Darwins Bilderreihe unruhig, als könne sie beim Umblättern jederzeit eine überraschende und neue Wendung neh- men.” 48 In der gar nicht gleitenden, sondern eigentümlich stotternden Graphik-Si- mulation von Evolution macht Darwin auf die mediale Verfasstheit auch des eigenen naturhistorischen Wissens aufmerksam. Seine Unvollständigkeit wird nicht verschwiegen, sondern sogar noch überzeichnet, so dass das unaus- gesprochene Wissen zwischen den Fakten und jenseits der Ordnungen und Klassifizierungen zu Tage treten kann. In der Argumentation, der Vermitt- lung seiner Thesen, steckt schon der Hinweis, wie Medientechnik — Film — an der Entwicklung dieser mitarbeiteten. Am Ende seines Werkes fasst Sarasin die Ergebnisse seines Vergleichs zweier enorm einflussreicher Denker zusammen, hinter deren Lehren sich je- weils eine biologistisch-deterministisch, argumentierende bzw. eine kultura- listisch, alles-relativierende Schule gebildet haben. 49 Zwei dogmatische Leh- ren, deren verhärtete Fronten Sarasin bestrebt ist aufzubrechen: „Denn offenbar sind Biologie und Kultur auf eine eigentüm- liche und nur schwer entwirrbare Weise ineinander verschränkt. Ein Tier trifft bei der Paarung eine Wahl, die evolutionär ge- sehen wirkungsvoll ist — oft aber ist es schlicht der Macht der produzierenden Codes unterworfen und den Anforderungen, ihre Reproduktion zu ermöglichen, indem es erst einmal sein eige- nes Leben sichert. Umgekehrt geht es im Feld der Kultur häufig, vielleicht sogar meist nur um die Reproduktion eines Codes, die Sicherung einer Wahrheit, die Produktion von gesellschaftlicher Realität über das nur scheinbare ,Verstehen’, tatsächlich aber oh- ne den Einfluss des ,Bewusstseins’ eines Subjekts. Und doch ist dabei oft eine Entscheidung, ja eine Wahl nötig, und es ist ein Selbstverhältnis möglich, das diese Wahl beeinflusse. Auch die faktische Interpretation von einem noch so sehr eingeschränkten Satz von Zeichen - von ,Information’, wie sie von einem Diskurs oder einem sonstigen kulturellen Setting zur Verfügung gestellt wird — bleibt außerhalb des speziellen Falls der Ausführung von Befehlen im Kasernenhof der différance unterworfen, das heißt, der eben nicht kopiergenauen Reproduktion des diskursiv Gege- benen. Die Kopien im Feld der Kultur variieren ebenso, wie die DNA im Feld des Biologischen spontan variiert und damit auch

48. Voss: Die Entdeckung der Unordnung. Wie Charles Darwin den Zufall zeichnete (wie Anm. 46), 277f. 49. Vgl. Sarasin: Darwin und Foucault. Genealogie und Geschichte im Zeitalter der Biologie (wie Anm. 40), S. 413-425.

70 die Voraussetzung für die sexual selection schafft. Nur dank dieser doppelten Verschiebung — Variation und Wahl — ist es möglich, dass das Leben ebenso wie die menschlichen Gesellschaften nicht nur die zyklische Zeit der Wiederholung kennen, sondern auch je- ne der Geschichte. Es wäre daher eine Illusion zu glauben, dass es allein die Historizität und Kontingenz unseres Sprechens ist, die gleichsam in letzter Instanz die Historizität der Dinge begründet, denn die Natur selbst ist historisch, zum Teil sogar ,kulturell’.” 50 Die Gemeinsamkeit, die Sarasin bei Darwin und Foucault ausmacht und ih- nen zugleich als wissenschaftlichen Verdienst in unterschiedlichen Disziplinen hoch anrechnet, wirkt auch im Zerrspiegel der popkulturellen Inszenierung glaubwürdig und durch ihre buchstäbliche Imitation für Historiker geradezu komisch: Computerspieler unterwerfen sich so gesehen der Macht Kultur- produzierender Programmier-Codes und ermöglichen so die Reproduktion gesellschaftlicher Realität über das nur scheinbare ,Verstehen’ — etwa der mittelalterlichen Gesellschaft. Ebenso ist die Interpretation der Zeichen, das Verfolgen von Signalen, die zu Spielfortschritt führen, nicht mehr mit die- sem gleichzusetzen, wegen der doppelten Verschiebung von zeitkritischen und entscheidungskritischen Spielen, von hypermedialen und unmittelbaren Vi- sualisierungen: Variation und Wahl werden durch zweierlei Spielregeln um- gesetzt.

3.3.2 Digital

Assassin’s Creed: Linneage 51 heißt ein Kostüm-Kurzfilm, der in mehreren Teilen über YouTube die Fortsetzung der historischen Abenteuer anpries. Darin erfährt man von einem Assassinen in Florenz, der hintergangen wird; wodurch wir annehmen können, dass im Spiel dessen Sohn — Ezio Auditore — an der epochendurchdringenden Strippe zahlloser Computerspieler hängt und das Programm der Assassinen umsetzen wird. Während wir von Anfang an auf die besondere Rolle filmischer Stilmittel aufmerksam wurden und im zweiten Teil die Durchdringung kommerzieller Spiele mit Narration und Filmtechnik nachvollzogen haben, hat er sich nun als eigenständiges Produkt von sämtlichen interaktiven Erscheinungsformen abgelöst — ausgenommen der YouTube -Benutzeroberfläche, auf welcher der Film abgespielt wird. Man könnte Geschichte in solchen Computerspielen lediglich als Market- ing-Gag verstehen, dessen Vorteile Schüler kurz auflistet und zusammenfasst: „Aus Marketingsicht ist ein geschichtliches Setting zudem gleich- zusetzen mit einer Kinolizenz oder dem Vorgängertitel einer Rei- he, was es erlaubt, auf lange Einführungen zu verzichten und

50. Ebd., S. 424. 51. Simoneau: Assassin’s Creed: Lineage (wie Anm. 78).

71 den Ankauf von Lizenzen erspart. Geschichte wird also selbst zur Marke.” 52 So gesehen ist Geschichte ein austauschbares branding mit gewissen Vor- und Nachteilen, durch die es sich von anderen Narrativen und Settings unterschei- det, da es ungefähres Wissen im Rezipienten adressiert. Doch abgesehen von der Qualität des Spielfilms, beeindruckt er doch durch den Aufwand; ebenso wie die Arbeit an der urbanen Topographie, die penibel nachempfunden und dann wieder, um keine religiösen Gefühle zu verletzen, entsprechend retu- schiert wird. 53 Hinter der Mühe rund um Gebäudetexturen, Ausleuchtung, Gesprächen mit Drehbuchautoren und Historikern steckt ein Vorhaben, das auch in der fiktiven Rahmengeschichte zu Tage tritt: Die Spieldesigner möch- ten ihr Produkt in die Genealogie der Menschheitsgeschichte einordnen. Eine funktionierende Marke ist allerdings einfacher zu haben; braucht nicht mal notwendigerweise einen Namen, wie beispielsweise der Prinz von Persien. Jahre nach Mechners Erfolg fragte die Firma Ubisoft um die Rechte die- ses Klassikers an, da sie Potential in seinem Nicht-Namen vermutete. Eine Gruppe an Programmierern unter der Führung von Patrice Désilets konnte Mechner überzeugen und ihn als Autor für die Rahmengeschichte vom neuen Prince of Persia: The Sands of Time 54 gewinnen. Auch hier standen eine anmutende Akrobatik und Fechtduelle im Vordergrund; Ganzkörper-Puzzles mit in großen Höhen angebrachten Schaltern und Hebeln, zufallenden To- ren und magisch-mechanischen Fallen. Als zentrale Innovation wurde der „Sand der Zeit” angepriesen: weil Sterben in solchen Umgebungen zwar sehr wahrscheinlich ist und ständiges „Zurück zum Start!” frustrierend sein kann, gab man dem Spieler die Möglichkeit per Knopfdruck die Zeit zurückzu- drehen. Der Filmtrick schlechthin — Zeitachsen-Manipulation — katalysiert den regelmäßig unterbrechenden Tod zu einer ruckfreien Narration, mit der Möglichkeit, Fehler auszubessern und durch eine leichtere Bedienbarkeit den Spielern die Illusion zu gewähren, die Computerdarstellungen selbst hervor- zurufen. Der nächste Coup Désilets lief unter dem Arbeitstitel Prince of Persia HD, für den er begann, umfassender zu recherchieren und bald vor dem Hin- tergrund der Assassinen die Chance auf ein neues branding witterte. 55 As- sassin’s Creed ist selbst Nachfahre eines pixeligen Blondschopfes im weißen Strampler, der nun in historischen Städten, statt in märchenhaften Palästen

52. Benedikt Schüler/Christopher Schmitz/Karsten Lehmann: Geschichte als Marke. Historische Inhalte in Computerspielen aus der Sicht der Softwarebranche, in: „Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?” Eine fach- wissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel, hrsg. v. Angela Schwarz, Münster 2010, S. 199–216, hier S. 202. 53. Vgl. ebd., 205f. 54. Ubisoft: Prince of Persia: The Sands of Time, 2003. 55. All your History are belong to us: Prince of Persia Part 3: A Prince with a Thousand Faces, http://www.youtube.com/watch?v=b3b0FprvwY4,Zugriffam18.12.2012,2012.

72 und ihren Verließen seine Fechtkämpfe auf sehr ähnliche Art ausficht. Die Abstammung dieses Produkts — seine tatsächlichen Vorgänger und Vorbil- der — wird verheimlicht mit dem Verweis auf die fiktiven, anonymen Ur- ahnen. Optimiert wird dieses Verbergen der tatsächlichen Herkunft in den Fortsetzungen, die durch immer umfassenderes Einbeziehen der Umgebung authentisch wirken sollen. Die pointierte Zuspitzung durch ein Symbol auf der einen Seite, hat flächendeckende Ausbreitung in der Weltgeschichte auf der anderen zur Folge. Neue real existierende Orte, werden in ihren simu- lierten, historischen Zuständen zugänglich, indem der Avatar immer mehr Bewegungsmuster nachstellt: In Venedig kann der Assassine schon durch die Kanäle schwimmen, was noch für den Vorfahren Altair den Tod bedeutet hat. Die Darstellung von Bewegung per Filmtechnik und nicht Dramatur- gie bildet die gemeinsame Wurzel der digitalen Kopien des märchenhaften Persiens und des historischen Heiligen Landes. Die einzige Steigerung, die gegenüber dem Bekanntheitsgrad von Mär- chen und Filmtricks noch blieb, ist die Faktizität der Weltgeschichte, die im Spiel archiviert und durch sämtliche andere Medien pulverisiert und distri- buiert wird. Sie erklärt sich nicht aus der Opulenz der Bilder, sondern muss angekündigt und kolportiert werden. Ähnlich wie auch D.W. Griffith die Zwi- schentitel seines frühen, stummen Historienepos Intolerance 56 mit Fußnoten ausstattete. Geschichte kennt so keinen Erzählbogen mehr, sondern wird zum endlos dichten Netz an Verweisen, in das ein durch stimmige Symbolik und deutliche Zeichen Produkt eingeflochten werden soll; eine Marke, die filmisch implementiert die „Merkzeit unterlaufen” 57 kann, ähnlich wie die Reklame für Coca-Cola, die nur ein Bild von 24 pro Sekunde beansprucht und somit zwischen der erwarteten Darstellung gar nicht bewusst wahrgenommen wird.

3.4 Dark Ages

Es ist typisch für Historienfilme, dass in länger vergangene und verhält- nismäßig schlecht dokumentiere, ,dunkle’ Epochen zeitgenössische Konflikte projiziert werden. In denen jene „großen Erzählungen” wieder auferstehen, deren Ende Lyotard diagnostiziert hat. Simona Slanička dazu: „Der Bedarf nach diesen ,großen Erzählungen’ scheint paradoxerweise vor allem in jenen Perioden der Zeitgeschichte am stärksten zu sein, die von einer großen Be- drohung gekennzeichnet sind, nämlich die 1950er Jahre mit der Bedrohung des atomaren Weltkriegs und die Verunsicherung durch den ,unsichtbaren’ und ,omnipräsenten’ islamistischen Terror nach den Anschlägen vom 11. Sep- tember 2001, die eine Erklärung für die Wiederaufnahme von Historienfil- men in den letzten Jahren darstellen könnte: So scheint es ein Bedürfnis zu geben, das zeitgenössische Auftauchen von extremen, lebensbedrohlichen

56. David W. Griffith: Intolerance, 1916. 57. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 177.

73 Abbildung 3.5: Remediation von Dokus in Cutscenes von Call of Duty.

Kriegsbildern mit der verstärkten künstlichen’ Produktion von geordneten, verstehbaren Kriegserzählungen zu bearbeiten.” 58 Geschichtliche Erzählungen sind also Erzählungen von Kriegen, auf deren Schlachtfeldern sich historische Verläufe entscheiden: Hier lässt sich noch ein Wendepunkt datieren. Auch die Pulver-Metapher von Kapitel 2.2 themati- siert den bewaffneten Konflikt; offenbar ein Thema, welches unabhängig von Interessen und Motiven historischer Akteure die Fluchtpunkt der Aufmerk- samkeit sind, um die sich historische Narrationen vom Wandel anordnen. Auch Friedrich Kittlers paranoischer Blick auf Unterhaltungsmedien stilisiert diese zu missbrauchtem Heeresgerät, das im Schafspelz die Zivilbevölkerung auf Weltkriege n+1 zurichtet. So hat jede Zäsur in der Mediengeschichte eine Analogie in der Kriegsführung: „Speichertechnik, 1914 bis 1918, hieß festgefahrener Stellungs- krieg in den Schützengräben von Flandern bis Galli. Übertra- gungstechnik mit UKW-Panzerfunk und Radarbildern, dieser mi- litärischen Parallelentwicklung zum Fernsehen, hieß Totalmobil- machung, Motorisierung und Blitzkrieg vom Weichselbogen 1939 bis Corregidor 1945. Das größte Computerprogramm aller Zei- ten schließlich, Zusammenfall von Testlauf und Ernstfall, heißt bekanntlich Strategic Defense Initiative. Speichern/Übertragen/- Berechnen oder Graben/Blitz/Sterne. Weltkriege von n bis 1.” 59 Die Allgegenwart dieser Medien verflüssigt so das Phänomen der Schlacht,

58. Simona Slanička: Historienfilme als große Erzählungen, in: Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion, hrsg. v. Mischa Meier/Simona Sla- nička, Köln – Weimar – Wien 2007, S. 427–438, hier S. 436. 59. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 352.

74 die vorher als historischer Ausdruck eines Strukturwandels stand — bei- spielsweise — eines Herrschaftswechsels, einer Revolution. 60 So ist es zwar nicht unbedingt bedenklich, doch charakteristisch, dass Geschichte-Spiele so oft Kriegsspiele sind, auch wenn sie Frieden zum Ziel machen; so auch un- ser Paradebeispiel Assassin’s Creed: Der dritte Teil der Serie ist eben in die Schwarzpulverwolken des amerikanischen Bürgerkrieges eingetreten, aus denen die Speichertechniken heraustraten, die der historischen Einbildungs- kraft nur noch den Geruchsinn überließen, um sich metaphorisch von Pro- dukten technischer Medien abzugrenzen. Während mit ,dunklen Zeiten’ quellenkritisch ein quantitativer Unter- schied bezeichnet ist, also eine graduelle Abstufung vorgenommen wird, könnte der Term medientechnisch einen qualitativ zu unterscheidenden Zu- stand bedeuten, nämlich einen, in dem technische Medien noch nicht existent sind. Uns bleiben also nur die bildenden Künste und materielle Kultur dieser Zeiten, um deren Lebenswelten zu imaginieren, während nach der Medien- revolution, Speicherungen von auditiven und visuellen Daten dieser Zeiten selbst zum Sprechen gebracht werden können und nebeneinander arrangiert werden. Über Geschehnisse in dunkle Zeiten können demzufolge nur Histo- rienfilme gedreht werden — transparentes Reenactment, das auch in hyper- medialen Dokumentarfilmen neben anderem Medien-Archivmaterial Platz findet, ebenso wie Zeitzeugen-Interviews, historische Karten, auf denen Be- wegungen von Völkern, Truppen oder Ausdehnungen und Annektierungen animiert werden und Oxford-Professoren auf Schlachtfeldern spazierend ar- chäologische Funde besprechen. Umgekehrt kann der Eindruck, den die mo- dernste Kriegstechnologie hinterlässt, wenn sie den Sternenhimmel zu ihrem Schlachtfeld erklärt, dazu führen, dass dieser entgrenzte Kampf in geord- neten, archaischen Laserschwertduellen und auf Kino-Leinwände umgesetzt wird. In Star Wars 61 verweisen die Klingen der Jedi-Ritter auf materiel- le Schwerter dadurch, dass sie nicht mit angemessener Lichtgeschwindigkeit ausfahren, sondern erst blank gezogen werden müssen — eine Remediati- on vormoderner Kämpfe? Die Handlung trägt sich zu „einer weit entfernten Galaxis”, in lang vergangener, mythisch dunkler Zeit. Authentizität ist in epischen Filmerzählungen des digitalen Zeitalters eine Frage der Lichteffek- te. 62 “Nichts ist wahr; alles ist erlaubt!” lautet das Credo der Assassinen und könnte auch den Spieldesignern gedient haben: Zunächst ist einmal nichts wahr, sondern alles vermittelt: Der Wahrheitsgehalt der Geschichte ist von Anfang an durch eine fiktive Rahmenerzählung in Abrede gestellt; diese er- zählt uns allerdings von einer mangelhaften Geschichtsüberlieferung, die uns

60. Vgl. Kapitel 4.2.2 61. George Lucas: Star Wars, 1977. 62. Im making-of Assassin’s Creed: Lineage wird betont, wie der Dreh, der komplett vor dergreen-box stattfand, aufwändige Nachbearbeitung verlangte, um beispielsweise glaub- würdige Schattenwürfe zu ermöglichen, durch erst nachher eingearbeiteten Kerzenschein.

75 nicht über das Wirken und Kämpfen von Geheimgesellschaften aufklärt. Vor diesem Hintergrund ist in der Darstellung von Geschichte alles erlaubt, was mit gängigen moralischen Prämissen zu bewaffneten Interventionen vereinbar ist: magische Artefakte, unbesiegbare Kämpfer, vor allem aber Wundercom- puter zur perfekten Geschichtsschreibung, dessen Relevanz und Attraktion in den anbrechenden Zeiten der informationstechnisch hochgerüsteten Cy- berkriege auf der Hand liegt: „Reproduktion jagte Reproduktion. Mit dem Erfolg, daß unter hochtechnischen Bedingungen der Wahnsinn womöglich gar nicht stattfindet. Er wird, wie der Krieg, zum Simulakrum.” 63

63. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 217.

76 Kapitel 4

Erinnerung durch Simulation

4.1 Sandkasten

Patrice Désilets vergleicht die Art Spiel-Freiheit 1 in Assassin’s Creed nicht mit einer Sandkiste, vielmehr mit einer Blumenkiste, deren wunder- schönen, historischen Umgebung man einfach erklettern und ausspähen — also filmisch einfangen — kann. Eine ähnliche Gegenüberstellung steht nun am Ende unserer bisherigen Analyse: Hier die Erzählungen mythischer Zwei- kämpfe, in denen sich nach Spielregeln und ihrer virtuosen Meisterung Ge- schichten entscheiden und dort totaler Krieg, der informationstechnisch in den Weltraum hinausreicht und bei dem die gesamte Bevölkerung, ihre Pro- duktivkraft, ihre Ressourcen in ein Spiel eingebaut wird zur Berechnung und Planung. Damit ist der wesentliche Unterschied von Assassin’s Creed zu den mei- sten Computerspielen historischen Inhalts markiert: Bei diesen handelt es sich meist um Strategiespiele. Jedes Zweite 2 fällt unter die dritte Kategorie, die Pias einführt und die sich dadurch auszeichnen, dass sie konfigurations- kritisch sind. Angela Schwarz schätzt diesen Sachverhalt aus ihrer fachwissenschaftli- chen Perspektive bemerkenswert unhistorisch ein; es überwiegt die didakti- sche Vernunft: „Die Dominanz des Strategiespiels [...] lässt sich nicht verleug-

1. Désilets: Assassin’s Creed Video Game, Developer Diary: Freedom (wie Anm. 25). 2. Angela Schwarz: Computerspiele – ein Thema für die Geschichtswissenschaft?, in: „Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?” Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel, hrsg. v. dems., Münster 2010, S. 7–28, hier S. 11-13: In den Statistiken, die Schwarz liefert, wird nicht nur die stetige Zunahme an Neu-Erscheinungen mit historischen Inhalten thematisiert, sondern auch der deutliche Überhang von Strategiespielen, zu deren Anteil von 44,9% auch noch die 5% der Aufbau-Simulationen gerechnet werden dürfen, wenn man sich an Pias’ Trias hält — also knapp die Hälfte. Der Unterschied, dass Letztere kein Spielziel außerhalb des unbestimmten Bauens und Wirtschaftens kennen, macht sie nicht weniger konfigurationskritisch.

77 nen. Zwar entspricht dieser Umstand gewissen Erwartungen, ein- mal dem kompetitiv angelegten Gameplay des Sich-Bekämpfens bis zum Erfolg des einen, dann der Präsenz von Kriegen in der Menschheitsgeschichte. Dennoch ist die statistische Überlegen- heit der Strategiespiele bemerkenswert, und zwar deshalb, weil das Thema Geschichte wohl eher eine Betonung oder zumindest einen größeren Anteil des Adventures oder Rollenspiels erwar- ten ließe. Denn es ist gerade das Adventure, das der Spielerin und dem Spieler die Möglichkeit gibt, in Gestalt eines anderen eine andere Welt, eben eine vergangene Welt, zu erkunden und in Form einer handelnden und mit der Spielwelt interagierenden Person zu beeinflussen. Letztlich vermag dieses ,PC-Kino’ zum Mitmachen potenziell am stärksten die Illusion eines Eintauchens in die Vergangenheit zu erzeugen.” 3 Hier hört man den Wunsch, den schon ein Geschichtelehrer in Kapitel 2.2 äußerte ein weiteres Mal durchklingen, die Vermittlung von historischen Le- benswelten hautnah zu gestalten, in all den Facetten, die herausgearbeitet wurden. 4 Schwarz’ Verwunderung ist der an sich richtigen Annahme geschul- det, das Geschichte nur entlang ihrer Faktizität vermittelt werden kann, die sich mit dem kontrafaktischen, prognostischen Verfahren von Strategiespie- len nicht verträgt, die nämlich aus ihren Algorithmen uchronische, futuristi- sche Zustände entwerfen, während Actionspieler Gegenwarten synchronisie- ren und Adventurespieler Vergangenes nacherzählen. 5 Unbeeindruckt davon nehmen kommerzielle Spiele, wie auch Serious Ga- mes für sich in Anspruch, Geschichte per Simulation zu vermitteln. 6 Bei- spielsweise verhielt sich die öffentliche Resonanz merkwürdig reziprok auf das Auftauchen hin von Spielen wie Sid Meier’s Civilization 7 gegenüber 3D-

3. Schwarz: Computerspiele – ein Thema für die Geschichtswissenschaft? (Wie Anm. 2), 12f. 4. Ein frühes Beispiel für solche didaktische Versuche belegt, dass geschichtliche In- formation immer schon Wert schien vermittelt zu werden und doch sich nicht wirklich bewährt hat: Where in Time is Carmen SandiegoBroderbound: Where in Time is Carmen San Diego?, 1989 ist ein frühes point-and-klick-Adventure, in dem man nur eine begrenzte Anzahl an Zügen hat, um verschiedene Orte zu verschiedenen Zeiten zu besuchen, und die wesentliche Information über den Verbleib der fiktiven Verbrecherin herausgefunden werden muss — man also die dazu gereichte geschichtliche Hintergrundinformation besser bei Seite lässt: Der „Terror der Effizienz” lässt keine mußevolle Vertiefung zu. 5. Vgl. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 195. 6. Vgl. Thomas Kubetzky: Computerspiele als Vermittlungsinstanzen von Geschichte? Geschichtsbilder in Aufbausimulationsspielen am Beispiel Civilisation III, in: „Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?” Eine fachwissen- schaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel, hrsg. v. Angela Schwarz, Münster 2012, S. 63–94; Annette Vowinckel: Peacemaker. Die Lösung des Nahost-Konflikts zwi- schen Experiment und Simulation, in: „Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuch- te Kühe auf Ihre Gegner werfen?” Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel, hrsg. v. Angela Schwarz, Münster 2010, S. 149–170. 7. Microprose: Civilization, 1990.

78 Action-Adventures, die diese Arbeit behandelte, als deren Frühform der Ego- Shooter Doom gelten kann: 8 „Whereas Civilization occasionally both features as one of the rare positive examples of digital games in public discussions (due to its supposed possible educational benefits), but has also re- ceived ample critique from the academics, the next example is almost the total opposite. Abhorred by the non-playing media and public, the release of shooter game Doom in 1993 by id Soft- ware is heralded as a landmark event by most gamers and game historians.” 9 Wenn wir also unsere bisherigen Ergebnisse verallgemeinern wollen und ein Fazit ziehen möchten, ist dieser Umstand zu berücksichtigen, dass die bisher besprochenen Strategien der Immersion solcherlei Aufmerksamkeit erhalten. Diesem Gestaltungsprinzip entsprechende Spiele scheinen stärkere psycho- logische Wirkung auszuüben — so sehen das Laien, aber auch Historiker wie Schwarz —, sodass die Ängste um die interaktive Inszenierung der Ge- walt die öffentliche Debatte bislang dominierten. Umgekehrt beziehen sich pädagogische Hoffnungen, die im Fall von Civilization geschichtsdidaktische Hoffnungen sind, auf Sandkastenspiele und strategisches Problemlösen 10 — obwohl in diesen Geschichts- und Sozialtheorien und Ideologie des 19. Jahr- hunderts impliziert werden, wie herausarbeiten: ein “Amalgam aus kulturel- lem Rassismus, Theorien vom ‘Großen Mann’, unilinearer Evolutionismus und amerikanischer Pionier-Ideologie” 11, das sich durch Spielstruktur aus- drückt. Hängt der Transport historistischer Ideologie durch das gameplay etwa mit dessen Wurzeln in den Kriegsspielen der Militärs zusammen? Tatsächlich erobern Simulationen als Letzte den Markt digitaler Spiele 12,obwohlsieauf

8. Diese Klassifizierung ist problematisch, da der Ego-Shooter sich als eigenständiger Spieltyp in der Terminologie etabliert hat; doch im Grunde ist in dieser Frühform die in den vorangegangenen Kapiteln beschriebene Remediation der Labyrinthe in Adventures durch das Action-Spiel als interaktive Kameraführung besonders offensichtlich. 9. Mäyrä: An Introduction to Game Studies (see n. 7), 101; Hervorh. im Original. 10. Dies ist übrigens mit ein Grund, warum Doom solche Anerkennung bei Eingeweihten gefunden hat: Hinter den dargestellten Gewaltorgien entstand eine breitenwirksame Level- Mod-Kultur, indem Spielern die Möglichkeit gewährt wurde, Level umzugestalten.(vgl. ebd., S. 112) “Architektonische Kommunikation” nennt Mertens den Austausch von solchen Modifikationen, die das Geschichten-Erzählen ablösen. Das hypothetische Vorschreiben, wie solche programmierte Welten durchlaufen werden sollen, setze ein schwer zu fassendes Meta-Wissen voraus. Die rege Beteiligung von jungen Spielern macht Eindruck und hält die Hoffnungen am Leben auf die Möglichkeit interaktiven Erzählens. 11. Vgl. Kaindel Christoph/Ilja Steffelbauer: Civilizations, Inventions and Empires. Im- plicit theories of history and society in computer games, in: Exploring the Edges of ga- ming, hrsg. v. Konstantin Mitgutsch/Christoph Klimmt/Herbert Rosenstingl, Wien 2010, S. 251–263, 260; Übers. S.H. 12. Vgl. Benjamin Sterbenz: Genres in Computerspielen – eine Annäherung (Game Stu- dies), Boizenburg 2011, S. 15-28.

79 die längste Geschichte zurückblicken können: Während Action- und Adventu- respiele Missbrauch von Rechenmaschinen sind durch Hacker, deren virtuelle Doppelgänger oft als Attentäter auftreten, (ihre Geschichte also schon auf der weiter zurückreichenden Herkunft des Computers aufsetzt), tritt in die diskursive Formation des Strategiespiels in Schachvariationen und am Sand- kasten erst später der Computer ein, und beteiligt sich an der Aushandlung ernster Lagen. 13 Als Spiel versetzt es den Spieler in die Rolle des Feldherren, dessen Intentionen und Kalkül es zu imitieren gilt. Es gibt also schon deutlich länger edukative Geschichtespiele als Com- puter, was uns Anlass gibt, die Grenzen jener Aussagemenge einzuschätzen, die eine Teilmenge der Strategiespiele bildet. Uns interessiert zum Abschluss weniger der exakte didaktische Wert, der zudem Herangehensweisen empiri- scher Medienrezeptionsforschung verlangte, auch nicht mutmaßliche Poten- tiale von Geschichte-Simulationen, dafür mehr, wie historische Fakten im Format des (Kinder-)Spiels, diesem offiziellen Ernst verleihen: Gibt es eine strukturelle Verwandtschaft zwischen Historien-Spielen und Serious Games? Diese behaupten von sich, abseits des Kommerzes, ernste Themen spielerisch abhandeln zu können. Konkret fragen wir nach medientechnischen Parallel- entwicklungen zu Geschichts- und Geschichtsrezeptionstheorien. Eine umfas- sende Erforschung würde den gegebenen Rahmen sprengen: Nur skizzenhaft können wir die strukturelle Verwandtschaft von Kriegs-, Geschichte- und Bildungsspiel andeuten, die eine eigene systematische Aufarbeitungen wert wären. Somit wollen wir zugleich Ausblick geben, auf welche Art die hier angewandten Methoden weitere nützliche Einblicke geben könnten.

4.2 Ernst Spielen

„Ernst ist Nichtspiel und nichts anderes. Der Bedeutungsinhalt von Spiel dagegen ist mit Nichternst keineswegs definiert oder erschöpft: Spiel ist et- was Eigenes.” 14 So erklärt Huizinga das Verhältnis von Spiel und Ernst und schließt damit Serious Games eigentlich systematisch aus, weil Spiel ja gera- de durch das Ausgrenzen der Lebensnot 15 und der edukativen Maßnahmen zur Vorbereitung auf diese, seine begeisternde Wirkung entfaltet — „heiligen Ernst”. Gegen eine solchen Begriffdes Spiels tritt Pias an, der skeptisch ist ge- genübert einem „anthropologisch hypostasierten und allzu menschlichen play, das die kriegsentscheidenden Ernsthaftigkeiten der Computerbenutzung (wie bspw. Kryptoanalyse) scheinend ungern bei ihrem Namen nennt, der Spiel heißt”. 16 Militärs rechnen mittels Computertechnik die hypothetischen Räu-

13. Vgl. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), 196f. 14. Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel (wie Anm. 8), S. 56. 15. Vgl. ebd., 17f. 16. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), 198; Hervorh. im Original.

80 me aus, das gedankliche „als-ob”, das menschlichen Spielhandlungen unter- stellt wird, wird gleichermaßen weggekürzt. Dass kriegerischer Ernst nicht spielerisch sublimiert werden kann, schließt Huizinga nicht aus — im Gegen- teil, er sieht Krieg und Spiel sehr eng beieinander, da nämlich Spiel brutales Schlachten und Gemetzel erst zu Krieg macht: „Bis in jüngste Zeit konnte der Krieg unter dem Aspekt einer Kulturfunktion betrachtet werden, so- lange eine Gemeinschaft die andere als ,Menschheit’ mit Rechten und An- sprüchen auf Behandlung als ,Menschen’ anerkannte und den Kriegszustand deutlich und ausdrücklich — durch eine Kriegserklärung — vom Friedens- zustand einerseits und von verbrecherischer Gewalt andererseits schied. Erst die Theorie des totalen Krieges verzichtet auf den letzten Rest des Spielmä- ßigen im Kriege und damit zugleich auf Kultur, Recht und Menschlichkeit überhaupt.” 17

4.2.1 Feldherren Der kalte Krieg und die gleichzeitige Karriere der ökonomischen Spiel- theorie ließen in der öffentlichen Meinung die Kritik laut werden, dass der Krieg nicht mit gehörigem Ernst betrieben werde, was den Psychoanalytiker Erik Erikson zu seinem Buch Kinderspiel und politische Phantasie (1978) veranlasste. Ohne „den technischen Wert von Manöverplänen in den Hän- den geschulter, verantwortungsbewußter Fachleute” 18 bestreiten zu wollen, so sieht er primär im „Spiel auf einer Spielzeugbühne nur ein Modell der mensch- lichen Neigung [...], ein Arrangement von Figuren, das einen schicksalhaften Augenblick dramatisiert, auf eine umschriebene ,Mikrosphäre’ zu projizieren. Im kindlichen Spiel erblicken wir das Modell der kreativen Vision, die später ein umschriebenes Feld, eine ,Ebene’ oder einen Plan benutzt, um mit Hilfe evolu- tionärer und historischer, technischer und persönlicher Entwick- lungen den Prozeß des Werdens zu meistern.” 19 Seine klinische Methode zur Erforschung der Kinderpsyche bildet eine Par- allele zum taktischen Spiel am Sandkasten: Hier legen sich Kinder nicht wie in der talking cure auf die Couch, sondern erhalten ihrem voralphabetischem Stadium gemäß einen Satz Bauklötze und Spielfiguren und sollen es belie- big arrangieren. Das Ergebnis dient sodann der Analyse. 20 Hier wird davon ausgegangen, dass innerweltliche Konflikte in einen Spielraum projiziert wer- den, also eine Simulation. In Einklang damit Kittler: „Klar fallen die metho- dischen Distinktionen einer modernen Psychoanalyse zusammen mit techni-

17. Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel (wie Anm. 8), S. 102. 18. Erik Erikson: Kinderspiel und politische Phantasie. Stufen in der Ritualisierung der Realität, Frankfurt am Main 1978, S. 17. 19. Ebd., S. 99. 20. Ebd., S. 24-33.

81 schen Distinktionen der Medien. Jede Theorie hat ihr historisches Apriori.” 21 Er datiert auf 1880 die Medienrevolution, die „den Möglichkeitsgrund für Theorien und Praktiken gelegt [hat], die Information nicht mehr mit Geist zu verwechseln” 22: Anstelle eines geplanten, göttlichen Denkens tritt Zufall, so wie „anstelle eines Bewußtseins ein Unbewußtes”. 23 Abgeschlossen wird die Medienrevolution durch die Turing-Maschine, in deren binären Code alle analogen Daten übersetzt werden können. „1950 wird Alan Turing, der Praktiker unter Englands Mathe- matikern, auf Nietzsches Frage [ob Menschen nicht bloß Denk-, Schreib- und Rechenmaschinen sind, Anm. S.H.] die Antwort ge- ben. Sie besagt, in formaler Eleganz, daß die Frage keine ist.” 24 Die Turing-Maschine kann Schach spielen; also wird im Versuchsaufbau des Turing-Spiels, nur anhand der Züge auf einem Schachspiel entschieden, wel- che der Parteien durch einen menschlichen Spieler gesteuert werden. Durch die Benutzeroberfläche des Schachs ist unentscheidbar, ob Nervenstränge oder Schaltalgebra das Regelwerk spielen: „Im Turing-Spiel fällt der soge- nannte Mensch zusammen mit seiner Simulation”. 25 Simulation kann auch hier wieder in zweierlei Hinsicht verstanden werden: Erstens, als Vortäu- schung eines menschlichen Spielers; Zweitens, als Testlauf im Sinne einer experimentellen (Schach-)Problemlösungsmethode. Didaktiker sehen nämlich von einer Entwicklung ab, die Kriegssimula- tionen gemacht haben, wenn zwecks besseren Verständnisses der Gesetzmä- ßigkeiten von Auseinandersetzungen, sie diese nochmals durchspielen lassen, und so die Folgen für nachfolgende bis gegenwärtige Verhältnisse ersichtlich werden sollen: „Folgt man Alfred Hausrath, so hat das Spielen von Kriegs- spielen drei Funktionen, die nicht nur eine systematische Unterscheidung, sondern auch eine historische Abfolge markieren. Erstens das Training von Offizieren, zweitens das Testen von vorliegenden Plänen und drittens die Her- stellung eines Virtuellen.” 26 Was Pias so beschreibt, ist seit dem 19. Jahrhun- dert eine verbreitete Möglichkeit für Militärs Gesetzmäßigkeiten des Gefechts zu lernen und wird in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem progno- stischem Verfahren, deren Anwendung im U-Boot-Krieg „Karten des Virtuel- len” produziert, „in denen alle möglichen Ereignisse ihrer Wahrscheinlichkeit nach geordnet und aufgetragen sind und deren weiße Flächen jene Territo- rien unmöglicher Ereignisse markieren”, wodurch „gerade das Nicht-Wissen produktiv und operabel” 27 gemacht wird. In weiterer Folge lassen Betreiber

21. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 28. 22. Zu denen auch Darwins Evolution gezählt werden kann: Vgl. Kapitel3.3 23. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter (wie Anm. 3), S. 30. 24. Ebd., S. 30. 25. Ebd., S. 31. 26. Claus Pias: Synthetic History, in: Mediale Historiographien, hrsg. v. Lorenz Engell/ Joseph Vogl, Weimar 2001, S. 171–184, hier S. 172. 27. Ebd., S. 173.

82 von Computerspielern, allen voran Gamow den Computer mit seiner gigan- tischen Rechenkapazität einfach Unmengen an Spielverläufen mit zufälligen Zügen durchrechnen und reiht die Ergebnisse nach ihrer Wahrscheinlichkeit; man widmet sich nur noch den unwahrscheinlichsten Möglichkeiten. Diese Praxis delegiert das Spielen an Computer und macht die Strategen zu den Betreibern von Spielen, die das selber gar nicht mehr tun und nur noch Ergebnisse interpretieren — contingency management. 28

4.2.2 Totaler Krieg Stratgegisches Kalkül unterläuft spielerisch-sportliche Fairness 29 und da- her können Totalisierungstendenzen auch leicht ins 19. Jahrhundert zurück- datiert werden; nämlich zu den Schachvariationen, die darauf abzielen, die Realität präziser abzubilden, als durch das abstrakte Set von gleichstarken 16 Figuren pro Partei: Zum Beispiel geht es nicht mehr darum, den König zu besiegen, sondern Raum zu besetzen. Sieg ist nicht mehr etwas eindeu- tiges, sondern graduelles; in das agonale, faire Spiel im Symbolischen wird wieder Anschluss an das Reale gesucht. 30 Spiel im Huizinga’schen Sinn zieht sich aus der formal definierten Kultur der Kriegssimulation, die es geschaffen hat, wieder zurück; es kann auch ohne heiligen Ernst betrieben werden, als Methode militärischer Arbeit. Der Krieg, der zum Sieg führen soll, ist nur noch anderes Mittel zur Fortsetzung der Diplomatie, in Clausewitz’ bekann- tem Diktum: Hier sind also im Gameplay jene gedanklichen Vorausetzungen für eine neue Kultur des Krieges gelegt, wie sie David A. Bell 31 als Wurzel totaler Kriege betrachtet. 32 Die zur selben Zeit verwissenschaftlichte Ge- schichtsschreibung 33 zählt hier dazu: “For a time, the historical profession differed from the social scientists. In the nineteenth Century, history was still preemi- nently a literary, narrative art, and the past offered no more dra- matic or compelling subject than war. Such masters as Ranke, Macaulay, Michelet, and Parkman all gave it a major place in their works, took military science seriously, and put climactic battles at the heart of their stories. In the twentieth Century,

28. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 244-253. 29. Vgl. auch Huber: Visualisierungen des Mittelalters im Computerspiel (wie Anm. 13), S. 40. 30. Pias: Synthetic History (wie Anm. 26), S. 203-225. 31. David A. Bell: The First Total War. Napoleon’s and the Birth of Modern Warfare, London 2007, S. 11. 32. Etwas ähnliches passiert, wenn diverse historische Waffengattungen in kommerziel- len Computerspielen nur bestimmten Kulturen vorenthalten werden — etwa Langbogen- schützen nur für Spieler britannischer Armeen zur Verfügung stehen(Vgl. Huber: Visuali- sierungen des Mittelalters im Computerspiel [wie Anm. 13], S. 40). 33. Markus Völkel: Geschichtsschreibung. Eine Einführung in globaler Perspektive, Köln –Weimar–Wien2006,S.277-288.

83 however, history turned in a more explicitly scientific, academic direction, and so, many historians followed the social scientists’ lead away from the battlefield. The leaders of the influential ‘An- nales school’ of social history, which developed in France in the early twentieth Century, explicitly downplayed ‘event history’ – by which they particularly meant military history – in favor of ‘deeper’ geological, social, and economic factors.” 34 Bildungswissen ist im Alltagsverständnis oft typischerweise historisches Wis- sen 35 , das folglich in ihrer althergebrachten nationalgeschichtlichen Form vor allem Bewegungen von Völkern und Truppen an Karten visualisiert und heute in hypermedialer Form schon früh in voralphabetisches Spielzeug einge- baut werden kann: Geschichtsatlanten, die einst als Schulbücher distribuiert, Geschichtsbilder prägen und nun interaktiv und kontrafaktisch Geschichte neu simulierbar machen. Die für diese neue Kultur des Krieges typische Trennung von zivilem und militärischem Volk, zeigt sich bis heute in gegenwärtigen Computerspielen in einem Unverhältnis von kontrollierbaren Kampfeinheiten gegenüber zi- vilen. 36 Aus der Vogelperspektive betrachtet, lassen sich alle jederzeit per Maus auswählen und neu aufstellen. Kommandos werden unverzüglich umge- setzt. Wenn wir für diese Vorstellung ferngelenkter Armeen ein medienhisto- risches Datum nennen wollten, könnte man die Revolutionskriege anführen, in denen zum ersten Mal Telegraphen zum Einsatz kamen und somit die Steinzeit des Kommandos beendeten, in der diese noch von menschlichen Boten überbracht wurden. 37 David Bell bezeichnet Napoleons Feldzug als den ersten totalen Krieg und sieht diesen schon gedanklich im 18. Jahr- hundert vorbereitet 38, was mit diesem medientechnischen Datum korreliert. Er markiert einen Diskurs 39, indem Erziehung, Handel und politische Ge- schichte sich im Sinne Clausewitz’ auf Krieg zuspitzt, der bis heute noch im Spiel modelliert wird — zumindest was die letzten beiden Faktoren angeht. Bildungsideale wurden gegen eine allgemeine Kompetenz getauscht: Unter kybernetischen Bedingungen entsteht aus Brettspielen Geschichte-Spielzeug,

34. Bell: The First Total War. Napoleon’s Europe and the Birth of Modern Warfare (wie Anm. 31), S. 11. 35. Vgl. Alfred Schirlbauer: Junge Bitternis. Eine Kritik der Didaktik, Wien 1992, Ka- pitel 1 zum alltäglichen Gebrauch des Begriffs ,Bildung’. 36. Vgl. Jan Pasternak: 500.000 Jahre an einem Tag. Möglichkeiten der Darstellung von Geschichte in epochenübergreifenden Echtzeitstrategiespielen, in: „Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?” Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel, hrsg. v. Angela Schwarz, Münster 2010, S. 29–62, hier S. 40-44. 37. Vgl. Friedrich Kittler: Lakanal und Soemmering. Von der optischen zur elektrischen Telegraphie, in: Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen im 18. Jahrhundert, hrsg. v. Brigitte Felderer, Wien 1996, S. 286–295, 286f. 38. Vgl. Bell: The First Total War. Napoleon’s Europe and the Birth of Modern Warfare (wie Anm. 31), S. 11. 39. Vgl. ebd., S. 52-83.

84 das wegen dieser Verwandtschaft wie gemacht für Unterricht zu sein scheint.

4.2.3 Spielzeug Soziologisch betrachtet und ungeachtet der tatsächlichen kognitiven, psy- chologischen Auswirkungen didaktischer Spielpräparate attestiert Shan Nel- son-Rowe diesen vor allem das Ergebnis von erwachsener Ritual-Magie zu sein. 40 Eltern versichern sich ihrer Fürsorge und tragen pädagogischen Äng- sten Sorge, die massenmedial verbreitet werden. Edukatives Spielzeug ist so symbolisch aufgeladen und kann spezifisches Lernen sehr allgemeiner Lern- kompetenzen (etwa kindliche Neugier oder Kreativität) ermöglichen. Bei den Spielehistorikern Ulrich Schädler und Ernst Strouhal 41 wird die Didaktisie- rung von Brettspielen und Spielsachen mit bürgerlicher Kultur in Verbindung gebracht, folglich auch mit einem darin eingebettetem Bildungsideal. Interessanterweise machte das voralphabetische Lernen der Kinder Casey Alt 42 zu folge aus der Computer ein Medium. Er vermutet im object oriented programming ein entscheidendes Umdenken: Es handele sich dabei um ein Designparadigma, das spätestens in der Programmiersprache Smalltalk um- gesetzt worden ist. Dabei werden, einzelne Teilaufgaben eines Programms als Objekte definiert; so dass ein Programm ein Bündel von Subroutinen darstellt, die interagieren, indem Ergebnisse untereinander verschickt und weiter verrechnet werden. Der Rechenvorgang wird entlinearisiert: Was vor- mals Zeile für Zeile mathematische Probleme in binären Code kompilierte, stellt sich nun dem menschlichen Nutzer als ein komplexes Feld einander bedingender Prozessen dar. Eine Folge dieser Klassifizierung von Operationen ist laut Alt, dass Pro- grammierer beginnen, sich räumlicher Metaphern zu bedienen, um Desi- gnprobleme zu erörtern. 43 Das ist notwendig, um der Gleichzeitigkeit gerecht zu werden, mit der verschiedene Rechenprozesse durchgeführt werden; das Weitergeben der Ergebnisse aus diesen Subroutinen an andere, welche die- se Daten weiterarbeiten, führt zu der Auffassung, dass Programme Räume einnehmen, in denen Datenverkehr stattfindet. Doch Kay sieht im Verkehr und seinen Vehikeln etwas, das der Erwachse- nenwelt vorenthalten ist; versteht man jedoch Computer als ein Medium des Lernens, müsse man nicht auf den Führerschein warten. 44 Daraus mag sich

40. Shan Nelson-Rowe: Ritual, Magic, an Educational Toys: Symbolic Aspects of Toy Selection, in: Goodness personified: the emergence of gifted children, hrsg. v. Leslie Mar- golin, New York 1994, S. 117–132, Vgl. 41. Ulrich Schädler/Ernst Strouhal: Spiel und Bürgerlichkeit: Passagen des Spiels I, hrsg. v. dems., New York – Wien 2010, S. 4. 42. Casey Alt: Objects of Our Affection. How Object Orientation Made Computers a Medium, in: Media Archaeology: Approaches, Applications, Implications, hrsg. v. Erkki Huhtamo/Jussi Parrikka, Berkeley – Los Angeles – London 2011, S. 278–301. 43. Vgl. ebd., S. 296. 44. Vgl. ebd., S. 287.

85 vielleicht der besondere Status von Civilization erklären: Kay, der den Com- puter zum Medium erklärte, nachdem er Kindern im Unterricht ansichtig wurde. „Das ,gebunden-freie’ Experimentieren der Reformpädagogik — von den jeux educatifs der Fröbel’schen Baukästen bis zu Maria Montessoris Casa dei bambini mit ihrem Selbstunterricht am abstrakten Formengut — feiert bei Kay [...] seine Wiederkehr unter kybernetischen Bedingungen. Im lernfä- higen computer-kid findet gewissermaßen der Jünger’sche Analphabet seine Erflüllung, dessen Alphabetisierung am informatischen Spielmaterial jene Sprache ehrt die ,im Arbeitsraume gültig ist’.” 45 In Simulationen, welche die Verräumlichung von Rechenprozessen ausbuchstabieren und durch Schach- brettmasken nebulöse Zustände diskret verorten 46, werden höchst komple- xe, also auch historische Prozesse abbildbar. Man kann also auf Computern, die Kinderhänden zugängliche Interfaces besaßen, schon gymnasial-klassische Bildungsinhalte in ihrer Bewegtheit zeigen, etwa Geschichte des Altertums: In Echtzeit-Strategiespielen werden Rundenabläufe sogar wieder filmisch ver- zeitlicht und verflüssigt. Die schnelle Erlernbarkeit durch Sichtbarkeit ist oberstes Kriterium beim Design von Computerspielen, insbesondere bei den unübersichtlichen Da- tenmengen, die Strategiespiele verwalten. Das Programm TEMPER ist ein strategisches Instrument, das mathematisch die Beziehung von 39 Staaten und 20 Konfliktgebiete modellierte und markiert ein historische Datum bei Pias, indem die wechselseitige Verbergung des Interfaces konstitutiv für das Programm wird: „Seit der Einführung graphischer Benutzeroberflächen haben kommerzielle Strategiespiele dieses Problem durch die Maus, durch Buttons, Menüs und Schiebebalken gelöst. Im Bild von TEM- PER besteht ihr Spiel darin, die Daten einzelner Sub-Modelle so zu verändern, dass — je nach Spielvorgabe — Konflikte ent- weder vermieden oder ausgetragen werden müssen, um einer be- stimmten Partei zum Vorteil zu gereichen. Die Beziehung dieser Modelle untereinander ist jedoch hinter dem Interface verborgen, das ihre Steuerung zugleich erst ermöglicht. Die Funktionsweise der künstlichen Welt bleibt dem Spieler unzugänglich, damit sie funktionieren kann. Durch die konstitutive wechselseitige Verber- gung des Interface ergibt sich gewissermaßen eine symmetrische Anordnung mit einer Steuerungsroutine namens Spieler auf der einen und einer Steuerungsroutine namens TEMPER auf der an- deren Seite. Am Interface erscheinen nur einzelne Wissensberei- che oder Sub-Modelle (Ernährung, Medizin, Bildung, usw. — je nach Spiel), deren Daten der Spieler manipuliert. Diese Einga- ben werden vom Hauptprogramm gegen alle anderen Bereiche

45. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), 304; Hervorh. im Origial. 46. Vgl. ebd., S. 237-242.

86 abgeglichen und als Zug-Ergebnis an den Spieler zurückgegeben, worauf dieser wiederum Abgleichungen vornimmt. Der Spieler irritiert das System mit seinen Eingaben, dessen Ausgaben ir- ritieren ihn und nötigen zu neuen Eingaben. Es ist ein Spiegel- Spiel regelungstechnischer Instanzen, in dem der Spieler selbst zum Programm oder zu einer zweiten ,Technological, Economic, Military, Political Evaluation Routine’ wird, die eine Welt tem- periert.” 47 Im Gegensatz zu der diagrammatischen Beziehung der Graphiksimulationen, die zwischen dem was der Spieler eines Action-Adventures per Tastendruck wissen kann, und sich so anzeigen lassen kann, was er tun soll; wird hier die dem Spiel zu Grunde liegende Struktur komplett verborgen. Solange im Code vorgeschriebene Annahmen über Geschichte unreflektiert bleiben, ist Einsatz im Unterricht nicht zu verantworten: schließlich waltet Programmierung, wo Verwunderung über die historische Kontingenz historische Ausgangsfragen nach sich zieht. Historisches Lernen kann folglich vorerst nur in einem ge- nealogischen Verständnis gefasst werden, das im Gegensatz zu teleologischen Lerntheorien “weniger das Ziel als den Vollzug der Spielhandlungen und der Lernprozesse in den Blick nehmen.” 48

4.3 Subversive Games

Pias hält es historiographisch mit Hayden Whites Poetologie: In den drei ,naiven Tropen’ ausgedrückt wäre die Echtzeit von Actionspielen metaphorisch (idiographisch), wären die Entschei- dungsbäume von Adventurespielen metonymisch (mechanistisch) und wäre die Integration mehrerer Datenquellen in Strategiespie- len synekdochisch (organizistisch) — womit der Programmierung all solcher Spiele vielleicht der ,sentimentalische’ Modus der Iro- nie zustünde.” 49 Während wir festgestellt haben, wie durch die Kopplung von Actionspielen mit interaktiven Filmtechniken auch andere Spiele in einer organizistischen, synekdochischen Erzählung aufgehen können, hat sich vielleicht auch der Status der Programmierung in seiner Art ausdifferenziert. Konstantin Mit- gutsch und Matthew Weise berichten von einem Katalog an Spielen mit ern- sten Anliegen, die dieses durch die subversive Spielmechanik ausdrücken. 50

47. Ebd., S. 286. 48. Sabrina Schrammel/Konstantin Mitgutsch: Computerspielen als medial-kulturelle Praktik. Ein medienpädagogisch-kulturtheoretischer Zugang zum Phänomen Computer- spielen, in: Medienpädagogik Themenheft.15/16 (2009), S. 3. 49. Pias: Computer Spiel Welten (wie Anm. 1), S. 11. 50. Konstantin Mitgutsch/Matthew Weise: Subversive Game Design for Recursive Lear- ning, in: DIGRA 2011: Think Design Play, http://www.digra.org/dl/db/11310.4730 5.pdf,Zugriffam17.12.2012.

87 Sie sollen Lernprozesse auslösen, indem dem Spieler ein Umlernen eingeübter Spielweisen abverangt wird. Ernst Strouhals Zeitdiagnose, resultierend aus seiner Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Kunst und Spiel im 20. Jahrhundert, kann auch auf Spieldesigner übertragen werden, wenn man Strouhal beim Wort nimmt: „Die Kunstspiele der Gegenwart erfolgen heute im Wissen des Künstlers um den regressiven und disziplinären Charakter seiner Spiele und um die Permanenz des Spiels innerhalb einer Kul- turindustrie, die kein Außen mehr kennt. Einen Spielraum für den Einzelnen wie Freiheit gibt es nicht mehr im emphatischen Sinn, sondern eher im technischen: Der künstlerische Spiel-Raum und die ästhetische Freiheit meinen jenen winzigen Abstand zwi- schen den Rädern und Achsen einer Industrie, der als Raum not- wendig frei bleiben muss, damit ihre Mechanik funktionstüchtig bleibt. Versteht man Spielraum und Freiheit als technische Ter- mini, bleibt auch im schönen Spiel ein Restbestand von Freiheit, der allerdings nur in selbstironischer Distanz, in skeptischer Hal- tung gegenüber der Beschränktheit der eigenen Möglichkeiten seinen Ausdruck finden kann. Der Spielraum ist, so aufgebläht die Maschine sein mag, winzig. In einer skeptischen Spielästhe- tik ist der Künstler nicht mehr heroischer Spielverweigerer, aber auch nicht eilfertiger Mitspieler. Der Künstlerfigur der Gegen- wart stehen meines Erachtens zwei historische Rollenbilder zur Verfügung.” 51 Für beide Fälle, lässt sich ein Beispiel mit historischem Inhalt finden: Cat and the Coop 52 stellt den Zauberkünstler: Es beginnt mit dem Tod des irani- schen Politikers Mossadegh, dessen Katze man steuert. Als erste Spielhand- lung weckt man seinen Geist auf, den man nun bestimmte Momente seiner politischen Laufbahn Revue passieren lässt. Jeder dieser Momente ist in die- sem surrealen Arrangement als Raum dargestellt, in dem Mossadeghs Geist neurotisch die Arbeit wieder aufnimmt. Als Katze muss man verschiedene Rätsel lösen, um ihn dazu veranlassen, ein Stück weiter in seine Vergangen- heit zurückzugehen, also in den nächsten Raum. Diese sind alle mit dem Datum des Ereignisses beschriftet, das sie darstellen und scheinen an einem Punkt im leeren Raum voller Erinnerungsfragmente aufgehängt zu sein, so- dass sie in die entsprechende Richtung kippen, wenn man mit der Katze das sensible Gleichgewicht beeinflusst. Jedes ,Level’ bildet so eine Bühne, auf die wir durch die Katze nur indirekt Einfluss nehmen können. Am Ende ist klar, dass es um die iranische Ölkrise geht: einem historischen Ereignis,

51. Ernst Strouhal: Stetiges Spiel, Flüchtige Kunst? Zum Verhältnis von Spiel und Kunst im 20. Jahrhundert, in: Hrsg. v. Mathias Fuchs/Ernst Strouhal, Wien 2010, S. 101–116, 113f. 52. Peter Brinson/Kurosh ValaNejad: Cat and the Coop, 2010.

88 an dem gezeigt werden soll, wie westliche Mächte an der Entstehung gegen- wärtiger Problemsituationen beteiligt sind. 53 Der Spielmechanismus ist im Grunde ein Actionspiel wie jedes andere, doch zeigt er jeden fatalen Moment in einem Politikerleben als kontingentes Ereignis, auf das sogar die Anwe- senheit der Hauskatze Einfluss nimmt und folglich nicht vorherbestimmt ist, nicht den gegenwärtigen status quo legitimiert, sondern als Kräftespiel in der Rückschau inszeniert wird. Es ist nicht nur kritisch durch die thematisierten Inhalte, sondern unterwandert auch die Zielgerichtetheit historischer Narra- tionen. Diese wird hier nicht auf einen heroischen Moment am Schlachtfeld zugespitzt, der lange vorbereitet und auf taktisches Kalkül eines genialen Feldherren zurückgeführt werden kann — Umstände, die durch historische Arbeit freigelegt werden. Vielmehr ist hier Geschichte eine Versammlung von Erinnerungs-Fragmenten, Daten, Dokumenten die in ihrer Zusammenschau Rätsel aufgeben, die durch das gameplay nicht aufgelöst werden: „Auch wenn er noch in ein exotisches Gewand gekleidet ist, der säkulare Zauberkünstler kein echter Magier mehr, sondern ein Schauspieler, er im Einverständnis sei- nes Publikums einen Magier spielt. In manchen Momenten gelingt es ihm, die Grenze vom trickster zum enchanter zu überschreiten und dieses Publi- kum tatsächlich zu bezaubern und für ein paar Augenblicke lang in Atem zu halten.” 54 Skeptisch stehen auch die Macher von Cat and the Coop ihrem Metier gegenüber, eine lineare Erzählung zu liefern, weswegen diese symbo- lisch codiert, also in exotisches Gewand gekleidet wird. Das zweite Vorbild, der Spielverderber wäre September, 12th 55, ein klei- nes Spiel, das uns von oben eine arabische Stadt zeigt, in der Zivilisten spazieren, aber auch stereotypisierte Terroristen mit Waffen um die Wege sind. Der Mauszeiger ist ein Fadenkreuz, wer als geübter Computerspieler nun das Naheliegendste tut, nämlich eine der bewaffneten Figuren anklickt, um sie auszuschalten, der wird überrascht mit einer Bombe, die auf den anvisierten Ort geworfen wird und einen ganzen Häuserblock zerstört. Der Kollateralschaden besteht jedoch nicht nur aus vernichteter Bausubstanz, sondern zudem entstehen mehr Terroristen, sowie mit jedem weiteren Ab- wurf. Die einzige Möglichkeit zu gewinnen, ist folglich das Spiel nicht zu spielen. „Der Spielverderber verweigert sich nicht dem Spiel, er setzt sich mit an den Tisch, kollaboriert zu Beginn, verwirft jedoch dann die Spielregeln, statt sie anzuwenden, und sprengt das Spiel im Mitspielen.” 56 Die Arbeitsteilung, die durch Programmierung hier und Anwendung da geschieht, wie sie in Kapitel 1.6.3 beschrieben wurde, verlangt nach Aktua-

53. Ders.: Subjective Documentary. The Cat and the Coup, in: International Conference on the Foundations of Digital Games, London 2012. 54. Strouhal: Stetiges Spiel, Flüchtige Kunst? Zum Verhältnis von Spiel und Kunst im 20. Jahrhundert (wie Anm. 51), 114; Hervorh. im Original. 55. Water Cooler Games: September, 12th, 2003. 56. Strouhal: Stetiges Spiel, Flüchtige Kunst? Zum Verhältnis von Spiel und Kunst im 20. Jahrhundert (wie Anm. 51), S. 114.

89 lisierung der Konsequenzen, die Strouhal zieht — sofern man Spieldesign als Kunst 57 betrachten möchte: „Die Formulierung von Skepsis und radikalem Zweifel ist in der Philosophie wie in der Kunst eine Frage der Form. Indem Skepsis ihre Existenz ausschließlich im Negativen hat, lebt sie von der eigenen Substanzlosigkeit. Die Werke, die eine (selbst-)- skeptische Ästhetik ausbildet, können daher nicht von Dauer sein, wie der Funke des Zweifels, der manchmal zündet, wohl Wirkung, aber selbst kaum Gegenwart hat. Die Ästhetik des Spielverder- bers wäre eine Kunst des Flüchtigen.” 58 Was der Grund ist, warum man subversive Spiele nur einmal Spielen kann. Doch mit der Programmierung, die kein Außen der Spielregeln kennt, wird die Skepsis notwendigerweise im Quelltext abgespeichert. Das Negative er- hält hier eine Form, die ähnlich einem Bildschirmschoner durch unsere Ein- gaben nicht gestört werden will: die kleinste Irritation bedeutet hier Game Over. Freilich ist sie nur vor dem kulturellem Hintergrund wirksam, den wir Computerspieler mitbringen. 59 Narrationen, die über die Spiele gelegt werden, können dazu veranlas- sen, am Interface eingeübte Konditionierungen durch Urteile aufzuheben — sofern wir sie verstehen: Zum Beispiel besiegt man in Prince of Persia den Doppelgänger des Prinzen nicht in einem Schwertduell, da er sich damit zu- gleich selbst tötet. Man muss den Prinzen in einen Abgrund manövrieren. Nach dem ausnahmsweise nicht tödlichen Sturz, kann das Spiel weitergehen. Bei September 12th verhält es sich im Prinzip nicht anders: Hier wird der Wunsch nach einem ,sauberen’ Vergeltungsschlag, einem war on terror, der wie im Computerspiel kontrolliert und präzise Terrorzellen ausschaltet, der tatächlichen Entgrenztheit moderner Gewaltspiralen entgegengesetzt. Nur das Verstehen dieses Narrativs lässt einen das Spiel gewinnen und lehrt uns Zurückhaltung.

57. Vgl. dazu auch Alessandro Ludovico: Radikale Desillusionierung. Die Hacker der Spiele, in: Das Spiel und seine Grenzen. Passagen des Spiels II, hrsg. v. Mathias Fuchs/ Ernst Strouhal/Gerald Bast (edition:angewandte), Wien 2010, S. 145–156. 58. Strouhal: Stetiges Spiel, Flüchtige Kunst? Zum Verhältnis von Spiel und Kunst im 20. Jahrhundert (wie Anm. 51), S. 114. 59. Vgl. Mitgutsch/Weise: Subversive Game Design for Recursive Learning (wie Anm. 50), S. 8: Video game literacy was therefore key to this process, since video game conventions were essentially what were being unlearned and relearned. For the purposes of examining recursive learning in general, one might imagine it would be advantageous to base a game on some other literacy, one not so game culture centric, to study a wider range of people. However, such thinking demonstrates a fundamental misconception about video games and games in general. As Jesper Juul argues, all games are abstractions, even the so-called ,realistic’ ones. No game models reality, only an abstraction of reality, otherwise it would be reality and not a game. All logic in a video game is therefore game logic in a sense, once it is abstracted and implemented as part of a game design.

90 Kapitel 5

Schlusswort

Das schillernde Beispiel, das hier ganz am Anfang gestanden ist und ausführlich besprochen wurde, hat Anlass gegeben, sehr viele verschiedene kulturhistorische Aspekte anzusprechen, von dem freilich jedes für sich erfül- lender Gegenstand einer eigenen Arbeit sein könnte. Das brisante Gemisch populärer Vorstellungen über mittelalterliche Geschichte, Kino, Heldenbil- der, Cyberfiktionen, virtueller Realität, Kryptologie und Biologie zwingt zu einer tour de force durch vielerlei kulturelle Motive, die aber alle gemeinsam an der Konstruktion einer glaubwürdigen Geschichtswahrnehmung mitar- beiten. Das zeigt vor allem deutlich, dass es bei historischer Authentizität in Computerspielen weniger um solide durchargumentierte Narrative geht, sondern um die detaillierte, visuelle Ausgestaltung von virtuellen Räumen, was letztlich eine (im wahrsten Wortsinne) oberflächliche Auffassung von Geschichte zum Ausdruck bringt. Kohärenz ist in dieser Arbeit dadurch geleistet, dass die Wahrnehmung medialer Artefakte von ihren elementarsten, technischen Bedingungen her untersucht worden ist — eine Methode, die im radikalen Materialismus von Kittlers Schule angelegt ist. Die Gemeinsamkeit der Ausgaben — egal, was diese im Detail artikulieren — liegt in Speicherung, data processing und den Verschaltungen mit Menschen. Dies eröffnet die Möglichkeit einer genu- in historischen Perspektive auf Computerspiele, die nicht nur systematisch unterschieden werden sollten, sondern eben vor allem nach ihrer Provenienz. Auch wenn durch das medienwissenschaftliche Thema Geschichte inhalt- lich nur als Vergleichsparameter vorkam, so ist vor allem versucht worden zu zeigen, wie historische Betrachtungen auch in empirischen Fragen nach der Rezeption gegenwärtiger Medien helfen können. Historiographie, Medienge- brauch und -wirkungsforschung und darum kreisende Phantasien, die hier im Zentrum standen, haben selbst Geschichte. Das Spiel Ubisofts und das damit verbundene Bemühen um historische Authentizität bedeutet nicht nur detaillierte, hochauflösende Darstellung der Vergangenheit, sondern die gleichzeitige Betonung der Relevanz für die un-

91 mittelbare Gegenwart: es beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Programm, eine einzelne Computerspielwelt, sondern möchte dieses in einen größeren Kosmos einbauen. Die visuellen Strategien, derer es sich bedient, gehen auf eine Reihe von Computerspielen Ende der 1980er Jahre zurück, die graphisch die Leistungsanforderungen an Maschinen hoch halten, zu Gunsten einer Ver- einfachung für Menschen, da Kaufanreiz nicht durch Frust geschaffen wird. Ein medienarchäologischer Blick in die Geschichte kommerzieller Com- puterspiele lässt diesen Umstand als Resultat einer Präparation für den Heimgebrauch erscheinen: Damit das Geld, das sonst für jede Spielrunde in Spielhallenautomaten geworfen wurde, nun weiterhin in die Taschen der Spieldesigner fließt, müssen deren Produkte zu einem Ende finden, damit weitere Spiele für Heimsysteme entwickelt und verkauft werden können. Die Ausstattung häuslicher Computerspiel-Arrangements beeinflusst somit deut- lich die Produktion von Spielsystemen und Programmen: Auf der Ebene der Kompatibilität dieser beginnt am Markt ein Kampf, der in immer opulente- ren Graphiksimulationen ausartet und zum Leistungstest für die heimische Hardware wird. Der Bedarf an Geschichten, die Enden mitbringen, ruft Filmfreunde auf, ihr Kino-Wissen über Dramaturgie in das Spieldesign einfließen zu lassen, an das schließlich auch die Spieler wieder anknüpfen können. Die Unvereinbar- keit linearer Plots mit repetitiven Spielzügen lässt um die Jahrhundertwende die Zeitachsenmanipulation als Regelungstechnik von Schwierigkeit erschei- nen, was sich konsequent in das Spiel mit vorgefundenen Graphiksimulatio- nen einbauen lässt. Filmtechnik wird zur visuellen Strategie, mit der Brüche in der Logik der Handlung überbrückt und gleitende Übergänge zwischen Spielzügen geschaffen werden, um Redundanz in der Abwicklung von Ge- schichten zu reduzieren. Diese wird auch von Desktop-Interfaces gespiegelt: Intuitive Bedienung wird erfahren als Imitation natürlicher Trägheit der an- zuzeigenden Daten — Hypertext wird wieder geblättert, Programmfenster werden geöffnet und Inhalte werden entpackt. Das Gefühl von historischer Glaubwürdigkeit dieser filmisch inszenier- ten Interaktionen wird jenseits des Visuellen kolportiert: Dass Schauplät- ze zusammen mit Hilfe von Historikern virtuell nachgebaut wurden oder dass Gewehrschüsse in Spielen wiedergegebene Tonaufnahmen echter Waffen sind, muss dazu gesagt werden. Was im Medienverbund Computerspiel an historischen Daten archiviert wird und jenseits unserer eigenen Zeugenschaft liegt, wird immer noch in Erzählungen formatiert und deren Authentizität bleibt stets eine Frage historischer Redlichkeit. Als Frage offen bleibt, ob in Kriegsspielen ein genuin historisches Medium geschaffen wurde, parallel zur Institutionalisierung der Geschichtsschreibung; ob Militärs des 19. Jahrhun- dert versuchten, das Lernen aus der Vergangenheit zu instrumentieren als Interaktion mit Spiel-Strukturen, die der Realität nachmodelliert sind, und so intuitiv durch Anschauung erlernt werden sollten. Also, ob in der Simu- lation virtueller Erzählungen das didaktische Konzept des Geschichtsbildes

92 vorweggenommen worden ist, in dem auch die Möglichkeit anderer Verläufe, also historische Kontingenz angelegt ist. Ubisoft hält sich mit Assassin’s Creed hier raus: Denn die Graphiksimu- lation des Animus, wird durch eine fiktive Erzählung gerahmt, womit die Bilder Authentizität vermitteln sollen, aber nicht müssen: Man rechnet hier mit unserem Spiel — mehr als ein solches, sei es gar nicht.

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Filme

All your History are belong to us: Metal Gear Part 1: Infiltration, http: //www.youtube.com/watch?v=sbOqETbQiG0,Zugriffam18.12.2012, 2012. Ders.: Prince of Persia Part 1: Out of the Dungeon, http://www.youtube. com/watch?v=FixuIk64bI4,Zugriffam18.12.2012,2012. Ders.: Prince of Persia Part 3: A Prince with a Thousand Faces, http : //www.youtube.com/watch?v=b3b0FprvwY4,Zugriffam18.12.2012, 2012.

99 At the Ubisoft Montreal-Studio with Patrice Desilets, http://www.youtub e.com/watch?v=Rx8p7Bgzsng&feature=youtube_gdata_player,Zugriff am 18.12.2012. Badham, John: Wargames, 1983. Bernier, Laurent: Assassin’s Creed: Embers, 2011. Bigelow, Kathryn: Strange Days, 1995. Cameron, James: Avatar, 2009. Cronenberg, David: eXistenZ, 1999. Désilets, Patrice: Assassin’s Creed Video Game, Developer Diary: Fight Sy- stem, http://www.gametrailers.com/video/developer-diary-assas sins-creed/27509,Zugriffam17.12.2012,2007. Ders.: Assassin’s Creed Video Game, Developer Diary: Freedom, http://w ww.gametrailers.com/video/developer-diary-assassins-creed/26 024,Zugriffam17.12.2012,2007. Griffith, David W.: Intolerance, 1916. Howard, Ron: A Beautiful Mind, 2001. Ders.: The Da Vinci Code, 2006. Lisberger, Steven: Tron, 1982. Lucas, George: Star Wars, 1977. Mendes, Sam: Skyfall, 2012. Neveldine, Mark und Brian Taylor: Gamer, 2009. Raymond, Jade: Assassin’s Creed Developer Diary: Art Direction, http : //www.gametrailers.com/video/jade-raymond-assassins-creed/26 613,Zugriffam17.12.2012,2007. Ders.: Assassin’s Creed Developer Diary: Storyline, http://www.gametrai lers.com/video/developer-diary-assassins-creed/13648,Zugriff am 17.12.2012, 2006. Ross, Gary: Hunger Games, 2012. Scott, Ridley: Kingdom of Heaven, 2005. Simoneau, Yves: Assassin’s Creed: Lineage, http://www.youtube.com/wat ch?v=rUeABamPlc0,Zugriffam18.12.2012,2009. Wachowski, Andy und Lana Wachowski: The Matrix, 1999.

Spiele

Activision: Call of Duty, 2004. Atari: I, Robot, 1983. Brinson, Peter und Kurosh ValaNejad: Cat and the Coop, 2010. Broderbound: Prince of Persia, 1989. Ders.: Where in Time is Carmen San Diego?, 1989. Eidos Interactive: Commanods. Hinter feindlichen Linien, 1998. Illusion Softworks: Mafia, 2002. Konami: Contra, 1987.

100 Ders.: Metal Gear, 1987. Microprose: Civilization, 1990. Naughty Dog: Uncharted: Drake’s Fortune, 2007. Quantic Dream: Heavy Rain, 2010. Replay Studios: Velvet Assassin, 2009. Rockstar Games: Grand Theft Auto III, 2001. Ubisoft: Assassin’s Creed, 2008. Ders.: Assassin’s Creed: Project Legacy, 2009. Ders.: Assassin’s Creed: Recollection, 2011. Ders.: Prince of Persia: The Sands of Time, 2003. Water Cooler Games: September, 12th, 2003.

101 Abbildungsverzeichnis

1.1 Screenshot: Assassin’s Creed, Quelle: http://crog.wordpress.- com/category/new-technology/, Zugriffam6.9.2012 . . . . . 14 1.2 Screenshot 2: Assassin’s Creed ...... 16 1.3 Filmstill: The Matrix, Screenshot: Assassin’s Creed II, Quel- le: http://www.gamezone.com/gzreviews/r37937.htm, Zugriff am 6.9.2011 ...... 19 1.4 Screenshot 3: Assassin’s Creed, Quelle: http://assassinscreed.- wikia.com/wiki/File:Animus.jpg, Zugriffam6.9.2012 . . . . . 19 1.5 Artwork: Assassin’s Creed, Quelle: http://www.creativeuncut.- com/wallpaper/assassins-creed-01a.jpg, Zugriffam 6.9.2012 . 24 1.6 Filmstills:eXistenZ...... 27

2.1 Screenshot: Monkey Island, Quelle: http://linux.softpedia.com/- progScreenshots/ScummVM-Screenshot-126.html, Zugriffam 6.9.2012 ...... 40 2.2 Screenshot: Prince of Persia, Quelle: http://www.ilbaluardo.- com/Gif/prince5.gif, Zugriffam6.9.2012 ...... 44 2.3 Screenshot: Metal Gear, Quelle: http://www.retrothing.com/- 2008/10/page/3/, Zugriffam 6.9.2012, Screenshot: Comman- dos, Quelle: http://www.verycd.com/topics/49483/, Zugriffam 6.9.2012 ...... 45 2.4 Screenshot: I,Robot, Quelle: http://dingoo-a320.dcemu.co.uk/, Zugriffam 6.9.2012, Screenshot 4: Assassin’s Creed, Quelle: http://portforward.com/games/walkthroughs/Assassins-Creed/- Memory-Block-5.htm, Zugriffam6.9.2012 ...... 47 2.5 Filmstill: Tron ...... 50

3.1 Screenshot: Prince of Persia, Quelle: http://web1.weshow.- com/br/videos/post/search?text=videogames, Zugriffam 6.9.2012, Screenshot 5: Assassin’s Creed, Quelle: http://gnn.gamer.com.- tw/6/23456.html, Zugriff6.9.2012...... 59

102 3.2 Screenshot: Mafia, Quelle: http://img.neoseeker.com/view.php?- entityid=14936imageid=102737, Zugriffam 6.9.2012, Screens- hot: GTA3, Quelle: http://pc.zonagames.com/juego/grand_- theft_auto_3/ ...... 61 3.3 Filmstill: A Beautiful Mind, Quelle: http://www.blue2sky.- com/597, Zugriffam 6.9.2012, Screenshot: Sublime Text . . . 65 3.4 Darwins Notebook B, Quelle: http://veja.abril.com.br/090507/- p112.shtml, Zugriffam6.9.2012 ...... 67 3.5 Screenshot: Call of Duty ...... 74

Ich habe mich bemüht, sämtliche Inhaber der Bildrechte ausfindig zu machen und ihre Zustimmung zur Verwendung der Bilder in dieser Arbeit eingeholt. Sollte dennoch eine Urheberrechtsverletzung bekannt werden, er- suche ich um Meldung bei mir.

103 Simon Huber Bachelor of Arts (Bildungswissenschaft)

Liechtensteinstr. 24/9 Herkunft 1090 Wien a T +436505151535 Geboren in Wien als Sohn von Mag. Hubert Huber (Journalist) und Mag . Anna [email protected] Huber (Übersetzerin).

Akademischer Werdegang Matura, BGRG XIII Fichtnergasse, Wien — 1998-2006 Neusprachlicher Zweig: Englisch, Französisch, Latein. Matura in den Fächern Deutsch, Englisch, Geschichte (Fachbereichsarbeit). In den Sommerpausen Ferialpraktika bei der Tageszeitung Kurier.

Diplomstudium Geschichte, Universität Wien — 2007-2013 1. Diplomprüfungszeugnis, 2010

Zweitstudium (BA) Bildungswissenschaft, Universität Wien — 2007-2012 Thema der BA-Abschlussarbeit II: Didaktik und Passion. Die Auslöschung des Lehrsubjekts durch interpassive Unterrichtsmethodik

Tutorium am Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien – WiSe 2010 Unter der Leitung Prof. Frank Sterns: Zeitgeschichte als Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts: Clio goes to the movies!

Berufserfahrung Zivildienst, Johanniter Unfallhilfe, Wien — 2006-2007 Ausbildung zum Rettungssanitäter.

Angestellt, Schloss Schönbrunn, Kindermuseum — 2008 bis 2012 Museumsaufsicht, Schulklassenführungen, Absolvierung entsprechender rhetorischer Fortbildungsseminare, Später auch Mitarbeit an Ausstellungskonzeptualisierung.