Retrospektive Roman Polanski the PIANIST Roman Polanski
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Retrospektive Roman Polanski THE PIANIST Roman Polanski 31 Roman Polanski bei den Dreharbeiten zu Kino der Heimsuchung kennen. Und doch wird der Zuschauer augenblicklich Als die Cinémathèque française im Oktober letzten in den Bann des Films gezogen, in dessen Verlauf die Jahres eine große Ausstellung über die Geschichte der mulmige Enge nachbarschaftlichen Zusammenwoh- Filmtechnik eröffnete, fungierte er als Pate. Eine klü- nens nach und nach in einen Albtraum umschlägt. gere Wahl hätte die Pariser Kinemathek nicht treffen können, denn Roman Polanski hat immer wieder be- Ein Treibhauseffekt tont, wie unverzichtbar für ihn das Handwerk ist, das er Als LE LOCATAIRE 1976 herauskam, fügte er sich in an der Filmhochschule erlernt hat. Darin unterscheide einen Zyklus der klaustrophobisch-pathologischen Er- er sich, bemerkte der Regisseur mit maliziösem Stolz, zählungen, den der Regisseur ein Jahrzehnt zuvor mit doch ganz erheblich von seinen Freunden von der Nou- REPULSION (EKEL) und ROSEMARY'S BABY begonnen velle Vague, die als Filmkritiker angefangen hatten. hatte. Ihr erzählerischer Radius beschränkt sich weitge- Zur Eröffnung der Ausstellung präsentierte er LE hend auf einen Schauplatz. Der filmische Raum ist für LOCATAIRE (DER MIETER), der seinen virtuosen Um- diesen Regisseur eine Sphäre der Heimsuchung, an- gang mit der Technik spektakulär unter Beweis stellt. fangs auch der Halluzinationen und surrealen Verwand- 1976 war er der erste Filmemacher, der den Kamera- lungen. Sich auf einen Handlungsort zu konzentrieren, kran Louma einsetzte. Die Exposition des Films ist eine ist für ihn keine Begrenzung, sondern eine Herausfor- überaus akrobatische Kameraoperation, eine Kombi- derung an seine visuelle und dramaturgische Vorstel- nation aus Fahrten und Schwenks, der die Fassaden lungskraft. Bereits sein Kurzfilm DWAJ LUDZIE Z SZAFĄ und Winkel des Innenhofs erkundet, in dem der Film (ZWEI MÄNNER UND EIN SCHRANK) von 1958 weist ihn fortan spielen wird. Die Kamera stellt bereits einige der als einen Filmemacher aus, der es versteht, mit Motiven Figuren vor, entdeckt sie hinter zugezogenen Gardinen. und Requisiten hauszuhalten. Er ist ein Meister der Ver- Einmal hält sie inne, als sich hinter einem Fenster ein dichtung. Gleichviel, ob seine Filme in einem Segelboot, Gesicht in ein anderes verwandelt. Eine Atmosphäre einer Mietwohnung, auf einer entlegenen Insel, in einer der Künstlichkeit offenbart sich in dieser Sequenz; die römischen Villa, auf einem Passagierdampfer, in einem Dekors geben sich ungeniert als Studiokulissen zu er- Versteck im Warschauer Ghetto oder auf einer Theater- bühne spielen – regelmäßig gelingt es ihm, Konflikte einer feindseligen Welt zu sein, kennt er ebenso sehr auf engstem Raum zuzuspitzen. Seine frühen Filme in wie den Trost, darin Refugien der Hilfsbereitschaft und Polen und England spiegeln ein Klima des existenziellen Geborgenheit zu finden.) Zuweilen kehrte er heimlich Geworfenseins wider: Die Kamera rückt den Charak- in die Stadt zurück, um Geld als Zeitungsverkäufer zu teren oft grotesk nahe, extreme Weitwinkelaufnahmen verdienen. Und vor allem: um Filme zu sehen. Das Kino unterstreichen die Absurdität der Situationen. Seither sollte fortan der Ort sein, an dem er seine Traumata ist sein Stil klassischer geworden, hat aber nichts an verarbeitete. an Virtuosität und Lebendigkeit eingebüßt. Jede seiner Mitte der 1950er Jahre studierte er an der berühm- Arbeiten ist ein filmisches Experiment, das seine helle ten Filmhochschule in Łódź und erregte augenblicklich Freude an den eigenen, raffinierten Kunstgriffen hat – mit seinen Kurzfilmen Aufsehen. Sie schillern bereits und dabei die Charaktere stets auf die Unentrinnbarkeit zwischen Realität und Fantasie, verraten schwarzen ihres Schicksals festlegt. Humor und Sinn für das Absurde. Sein erster langer Film ŃOŻ W WODZIE (DAS MESSER IM WASSER) eb- Die Unmöglichkeit heimzukehren nete ihm 1962 den Weg in den Westen. Nach einem Das Erschrecken über die Duplizität der menschlichen Kurzfilm in Frankreich hatte Polanski Teil an der Blüte Natur, das Polanski in seinen Filmen in einem tückisch des britischen Kinos in den 1960er Jahren. Für die Re- ruhigen, aber nachdrücklich klaustrophobischen Ka- gie von REPULSION gewann er 1965 in Berlin einen merastil entfaltet, sollte durch die Wechselfälle seines Silbernen Bären, für CUL-DE-SAC (WENN KATELBACH Lebens immer wieder furchtbar beglaubigt werden. Im KOMMT...) im Jahr darauf sogar einen Goldenen. Mit August 1969 wurden seine hochschwangere Frau, die THE FEARLESS VAMPIRE KILLERS (TANZ DER VAMPIRE) Schauspielerin Sharon Tate, und einige Gäste in ihrer und seinem Hollywood-Debüt ROSEMARY’S BABY Hollywood-Villa brutal ermordet; nach dem kommer- wurde er zu einem veritablen Star-Regisseur. Roman Polanski ziellen und künstlerischen Triumph von CHINATOWN 32 wurde er der Verführung und Vergewaltigung einer Min- Unbedingte Kontinuität derjährigen angeklagt und entzog sich der Verhaftung Wer eine solch ungestüme Biografie hat, die reich an durch die Flucht nach Paris. Tragödien und Kontroversen ist, braucht Vertraute und Er lebt freilich seit jeher im Exil. Seine Karriere ver- Komplizen. Polanski hat zeit seiner Karriere Wert darauf lief, keineswegs nur freiwillig, kosmopolitisch. Zwar hat gelegt, einen engen, treuen Mitarbeiterstab um sich zu er sich stets erbittert gegen biografische Rückschlüs- versammeln. Sein Landsmann Krzysztof Komeda kom- se auf sein Werk verwehrt, aber es legt doch deutli- ponierte die lebhaft atmosphärische Musik zu fast all che Spuren aus: Der Holocaust hat sein Werk wie eine Grundierung eingefärbt. Die zahlreichen Preise, die er für THE PIANIST (DER PIANIST) erhielt, demonstrieren auch den Respekt der Filmbranche für den Mut und die Überwindungskraft, die es diesen Überlebenden gekostet hat, sich mit der eigenen Vergangenheit aus- einander zu setzen. THE PIANIST, im Studio Babelsberg und an Realschauplätzen in Polen gedreht, ist zwar die Verfilmung der Lebenserinnerungen des jüdischen Kla- vierspielers Władysław Szpilman, der der Deportation durch die Nazis entging, aber zugleich Roman Polans- kis erster offen autobiografischer Film. 1933 in Paris geboren, wuchs er im Polen der oman Polanski bei Dreharbeiten zu CHINATOWN Kriegszeit auf – seine Eltern kehrten nach Krakau zu- R rück, als er drei Jahre alt war. Seine Mutter wurde in Auschwitz ermordet, sein Vater hat Mauthausen über- seinen Filmen bis ROSEMARY'S BABY; seit THE GHOST lebt. Als Achtjähriger floh er aus dem Krakauer Ghetto (DER GHOSTWRITER) verpflichtet Polanski nun regel- und versteckte sich bis zum Kriegsende bei Bauernfa- mäßig den geschmeidigen Alexandre Desplat. Zusam- milien in der Umgegend. (Deshalb musste es gar nicht men mit dem französischen Autor Gérard Brach schrieb so sehr überraschen, dass Polanski auch Dickens' er zehn Drehbücher. Seine frühen englischen Filme hat, OLIVER TWIST verfilmte: Das Gefühl, unbehaust in mit einer Ausnahme, Gilbert Taylor fotografiert; seit THE PIANIST setzt der Kameramann Pawel Edelman Zürich Film Festival mehrere Monate lang unter Haus- zuverlässig das Licht für Polanskis Filme. Und seit er arrest der Schweizer Behörden stand. Unterlegt und sie 1987 für FRANTIC entdeckte, trägt er seiner Ehe- ergänzt werden die Gespräche mit Filmausschnitten, frau Emmanuelle Seigner regelmäßig Hauptrollen von Fotos und Zeitdokumenten. – La rivière des diamants wuchtiger Erotik und erfreulich feinsinniger Vulgarität (Das Diamantenhalsband) | Frankreich 1964 | R+B: an. Die Komödie LA VÉNUS À LA FOURRURE (VENUS Roman Polanski | K: Jerzy Lipman | M: Krzysztof Kome- IM PELZ), in dem sie eine Schauspielerin als janus- da | D: Nicole Karen, Jan Teulings, Arnold Gelderman | köpfige Naturgewalt verkörpert, ist der bisherige Hö- 33 min | OF | Eine Episode des Films LES PLUS BELLES hepunkt ihrer Zusammenarbeit. Dieser Kontinuität der ESCROQUERIES DU MONDE (DIE FRAUEN SIND AN Arbeitsbeziehungen entspricht die Beharrlichkeit, mit ALLEM SCHULD). der er über Jahrzehnte bestimmte Motive und Themen Donnerstag, 19. Oktober 2017, 19.00 Uhr verfolgt. Anfangs galt er als ein Meister des Makabren, der Obsessionen und Ängste. Seine Neugier ist jedoch Morderstwo (Das Verbrechen) | Polen 1957 | R+B: umfassender, er gibt ihr in unterschiedlichsten Genres Roman Polanski | K: Nikola Todorow | 2 min – Uśmiech nach. Polanskis Sinn für Humor ist nicht zu unterschät- zębiczny (Das Lächeln) | Polen 1957 | R+B: Roman zen: In CARNAGE (DER GOTT DES GEMETZELS) etwa Polanski | K: Henryk Kucharski | D: Nikola Todorow | zeigt er sich als unerbittlich vergnügter Satiriker. Sein 2 min – Rozbijemy zabawę … (Abbruch des Tan- Kino ist unentwegt fasziniert von der Unergründlichkeit zes) | Polen 1957 | R+B: Roman Polanski | K: Andrzej der menschlichen Natur: Die Machtspiele auf begrenz- Galiński, Marek Nowicki | 8 min | OmeU – Dwaj lud- tem Raum entzünden sich meist an der Ambivalenz der zie z szafą (Zwei Männer und ein Schrank) | Polen Wahrheit. Am Ehesten kommt er ihr auf die Spur, wenn 1958 | R+B: Roman Polanski | K: Maciej Kijowski | M: er seine Figuren in Extremsituationen versetzt. Er filmt Krzysztof Komeda | D: Jakub Goldberg, Henryk Kluba, sie in langen, analytischen Einstellungen, in denen die Andrzej Kondratiuk, Roman Polanski, Barbara Lass | 15 Roman Polanski Feindseligkeit vorerst nur ein atmosphärisches Element min | kein Dialog – Lampa (Die Lampe) | Polen 1959 33 ist, bevor sie sich gewaltsam Bahn bricht. In die Regeln | R+B: Roman Polanski | K: Krzysztof Romanowski | D: dieser Spiele um Unschuld und Erfahrung, Unterwer- Roman Polanski