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ANTHROPOS

111.2016: 395 – 414

Miḻāvu – göttliches Perkussionsinstrument im südindischen Sanskrit-Drama Kūṭiyāṭṭam Karin Bindu

Abstract. – The ritual context of the ’s Sanskrit genre of dern der Nampyār-Kaste, den Perkussionisten der drama, Kūṭiyāṭṭam, demands the exclusive use of percussionists miḻāvu (Trommel). Laut Moser (2008: ​4, 24) haben of sacral and secular miḻāvu drums in kūṭiyāṭṭam, naṅṅyār- and diese Kasten bis ins 11. Jahrhundert voneinander cākyār kūttu performances as well as orchestral temple music. The classification of the anthropomorphic “divine” instrument unabhängige Formen der Darstellung praktiziert. miḻāvu goes back to the book “Nāṭya Śāstra” of Bharatamuni Die performative Praxis des kūṭiyāṭṭam im südindi- around 2,000 years ago. Eight private and governmental train- schen Bundesstaat Kerala wird dabei von den ma- ing centers in Kerala, e.g., the “,” offer habharatabhattatiri, den Erzählern des “Mahabha- methodic mixed forms between traditional Guru-Shishya and contemporary training methods for the literally nearly unmen- rata” in Keralas Tempeln, hergeleitet. tioned copper drum miḻāvu. Sociocultural criteria, such as affilia- Ein dritter Aspekt des Zusammenspiels ergibt tion to training centers, age differences, training’s level, gender, sich durch die musikalische Koordination von fünf and a variety of tasks related to the context of performance prac- Instrumenten (pañchavādyam), die ich in weiterer tice form a complex network of close relationships, difficulties, Folge noch genauer anführen werde. Der vierte­ As- and responsibilities between traditional mi āvu percussionists of ḻ pekt basiert auf dem Zusammenspiel zwischen Per- Nampyār caste, students from other castes, gurus, and kūṭiyāṭṭam actors of both sexes. [, Sanskrit, theatre, drum percussion] formerInnen und Gottheiten: Zu Beginn jeder kū­ ṭi­yāṭṭ­am- und kūttu-Performance spielt einer­ der Karin Bindu, Dr. (Universität Wien), seit 1996 als Perkussionis- beiden miḻāvu-Perkussionisten mit konzentrierter tin sowie als Kultur- und Sozialanthropologin in den Bereichen Exaktheit eine Solophrase namens mi­ā­vo­chap­ Erziehung, Kunst und Kultur tätig. – Als Dozentin und Prakti- ḻ kerin beschäftigt sie sich in erster Linie mit den Musikrhyth- pe­dut­tal in der Bühnenmitte. Diese bezweckt die men in verschiedenen Kulturräumen (Indien, Trinidad, Orient Vertreibung der Dämonen (asuras) sowie die dar- und Westafrika) und führt wissenschaftliche Untersuchungen zu auf folgende Einladung der Gottheiten (devas) an Aspekten ritueller Kommunikation, Bewusstsein und Emotio- den Ort des Geschehens. Devas dienen dabei laut nen durch. – Der regionale Schwerpunkt ihrer Forschungen sind P. K. N. Nambiar, dem Senior Maestro der mi āvu, Trinidad und Kerala. Die 2012 erstellte Dissertation behandelt ḻ “Aspekte der Produktion und Kommunikation südindischer talas als “security guards” zur sicheren Begleitung der im Kūṭiyāṭṭam” (Wien 2013). – Siehe auch Zitierte Literatur. Per­for­mance (Bindu 2013: ​312). Die wechselseitige Reaktion des Publikums auf dargestellte Emotionen der Bühnencharaktere – unterstützt durch die ver- Einleitung stärkenden Klänge der miḻāvu – stellen einen fünf- ten Aspekt des Zusammenspiels dar. In der Landessprache Keralas bedeutet kūṭiyāṭṭam Geschichten aus den indischen Nationalepen “Zusammenspiel”. Der Begriff umfasst sowohl das “Maha­ bha­ rata”­ und dem “Ramayana” bilden die Zusammenspiel von männlichen und weiblichen Inhalte der kūṭiyāṭṭam-Aufführungen, wobei in der DarstellerInnen der Cākyār- und Naṅṅyār-Kasten heutigen Zeit für die Performances nur jeweils ein als auch die gemeinsame Performance mit Mitglie- Aus­zug aus einem Akt eines Dramas gewählt wird.

https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 396 Karin Bindu

Während im kūṭiyāṭṭam mehrere DarstellerInnen manity” ausgezeichnet. Das Hauptinstrument der auf der Bühne agieren, handelt es sich bei kūttu- kūṭiyāṭṭam-Performances stellt die kupferne Trom- Aufführungen um Soloperformances der Naṅṅyār mel miḻāvu dar, die in gegenwärtigen Publikatio- (naṅṅ­ yār kūttu) oder der Cākyār (cākyār kūttu). Da- nen über indische Musikinstrumente kaum erwähnt rin werden Themen aus den Epen und literarische wird. Klassifizierungen des Instrumentes gehen auf Kompositionen (prabandhas) erzählt, die vor allem das “Nāṭya Śāstra” zurück, das vor zweitausend von Mellapattur Narayana Bhattatiripad, einem be- Jahren geschrieben wurde (Bharatamuni). Die miḻ­ā­ rühmten Poeten aus Kerala aus dem 16. Jahrhundert vu gilt als anthropomorphes deva vadyam, als gött- verfasst wurden. Diese prabandhas enthalten Epi- liches Instrument mit menschlichen Eigenschaften. soden aus der Mythologie Indiens. Darsteller des Miḻāvu-Perkussionisten kommunizieren und koor- cākyār kūttu adoptieren das Kostüm des vidushakas dinieren spezifische tālas (rhythmisch-musikali- (Tricksters) und demonstrieren damit auf der Bühne sche Zyklen) mit kuḻitāḷam (Zimbel) Spielerinnen, ihre enorme Kraft der Kommunikation. Dabei spie- dem iṭakka-Perkussionisten, den Bewegungen der len sie alle Rollen, die im Stück vorkommen, selbst. AkteurInnen, und auch mit den devas (Gottheiten) Ihre Rollen beinhalten auch moralische Verantwor- selbst. Sie werden zu Beginn jeder Performance tung, sie tragen laut Pisharoty (1994: ​113) sozusa- nach der perkussiven Solophrase des Perkussionis- gen das Bewusstsein der Gesellschaft ihrer Zeit. ten und nach dem Eintreffen der übrigen MusikerIn- Die Präsentationen von kūṭiyāṭṭam- und kūttu- nen mit speziellen Rhythmen und Liedern gepriesen Perfor­ mances­ mit all ihren Regeln und beschreiben- (Bindu 2013: ​15, 18). Bei der iṭakka handelt es sich den Abläufen sind handschriftlich auf Palmblätter um ein sanduhrförmiges, beidseitig bespanntes Per- geschrieben worden, die auch heute noch gemein- kussionsinstrument, das durch Zusammendrücken sam mit den attaprakaram- und kramadipika- der Spannriemen mit einem Stick gespielt me­lo­ Bühnen­ anwei­ sun­ gen­ von den jeweiligen Familien­ diöse Klänge produziert. Tempelpriester verwen- sorg­sam gehütet und in matrilinearer Erbfolge­ wei- den die iṭakka zur Begleitung sakraler Melodien. tergegeben werden. Gopal Venu – Darsteller, Autor Laut Panchal (1984: ​62) bilden alle soeben ge- und internationaler Promotor und Leiter des Perfor- nannten Instrumente gemeinsam mit einem Blas­ mance-Zentrums “Natana Kairali” in Irinjalakuda instru­ment (kuṟuṅ kuḻal), das in früheren kūṭiyāṭṭam- – übersetzt attaprakaram mit “Schauspiel-Hand- Performances verwendet wurde, und der Muschel buch” und kramadipika mit “Produktionshandbuch” saṅkhu, die den Beginn einer Performance ankün- (2002: 175–178). digt, die pañchavādyam – fünf Instrumente – des Kūṭiyāṭṭam wurde im Jahre 2001 von der kūṭ­i­yāṭṭ­am. Anleitungen zur Verwendung der Mu- ­UNESCO als “Oral and Intangible Heritage of Hu- sik wie auch zu den Bewegungen der PerformerIn-

Abb. 1: Kūṭiyāṭṭam-Performance mit Kalamandalam Artists, Tri- vandrum 2005 (Foto: © Karin Bindu).

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Miḻāvu – göttliches Perkussionsinstrument im südindischen Sanskrit-Drama Kūṭiyāṭṭam 397 nen und der Bühnenkonstruktion, gleichwie oben anstrengend für die Hände – die Haut an den Fin- erwähnte Klassifizierungen der Instrumente, wur- gern war meist bereits nach 20-minütigem Training zeln im “Nāṭya Śāstra” von Bharatamuni. an verschiedensten Stellen eingerissen. Bei Perfor- Die mangelnde Beschreibung der miḻāvu-Per­ mances beobachtete ich, dass auch die männlichen kussio­ nisten­ und des von ihnen gespielten Instru- Spieler ihre Finger mit Pflaster schützen mussten. mentes hat mich im Jahre 2004 bewogen, meine Gegenwärtig befinden sich miḻāvu-Perkussionisten Forschungen im Rahmen eines Dissertationspro- im soziokulturellen Spannungsfeld zwischen Vertre- jektes am Institut für Kultur- und Sozialanthropo- terInnen der traditionellen Kasten und kūṭiyāṭṭam- logie der Universität Wien auf diese Perkussionis- KünstlerInnen anderer Kasten, denen die Ausübung ten und der Ausübung ihrer perkussiven Kunst zu der Kunst erst seit siebzig Jahren ermöglicht worden fokussieren. Zahlreiche Publikationen über perfor- ist (Bindu 2013: ​40, 112, 125). mative Aspekte des kūṭiyāṭṭam – beispielsweise von Die im kūṭiyāṭṭam verwendeten tālas werden Unni (1977), Panchal (1984), Sarabhai (1994), Nair ge­le­gent­lich in Publikationen genannt, jedoch nicht (1995), Chakyar (1995), Pisharoty (1994), Pau- durch Notation dargestellt. Die einzigen Buch­ lose (1998, 2003, 2006), Venu (1989, 2002), Paul ausga­ben, die sich inhaltlich zur Gänze der miḻāvu (2005), Paniker (2005), Gramaprakasan (2007) und widmen, existieren bis heute nur in , der Moser (2008) – erwähnen dessen Hauptinstrument Landessprache Keralas. Es handelt sich hierbei um nur am Rande. In meiner Forschungsarbeit im Rah- das Buch “Miḻāvu Nampyārūde Kramadipika” des men der Dissertation an der Universität Wien ging Maestros P. K. N. Nambiar und war 2005 in Killi- es mir nicht nur um soziokulturelle Aspekte in der mangalam erschienen, fünf Jahre später folgte in Kunst der Perkussionisten, sondern auch um eine Cheruthuruthy das Werk “Miḻāvoli” seines Schülers detaillierte Beschreibung der miḻāvu, ihrer Spiel- Kalamandalam Eswaranunni, der bis 2014 das mi­ technik und Rhythmik, ihrer Funktion als deva va- ḻā­vu-Department am Kerala Kalamandalam geleitet dyam, der Unterrichtsmethoden, der Anforderungen und die meisten der gegenwärtig aktiven Perkussio- an das Bewusstsein der Spieler und der Notations- nisten ausgebildet hat. möglichkeiten rhythmisch-musikalischer Zyklen Aufgrund dieser Tatsachen und einer Art “in- (tālas). neren Anziehung” zum Thema “Rhythmik im kū­ Die performative Umsetzung dieser tālas in ver- ṭi­yāṭṭ­am” wie auch zu den miḻāvu-Protagonisten schiedene Geschwindigkeiten korreliert laut Raja- und ihren einzigartig klingenden Instrumenten, ver- gopalan (2005: ​33 f.) mit den von AkteurInnen in tiefte ich mich in mehreren Feldforschungen zwi- der Sprache Sanskrit rezitierten rāgas (Melodien). schen 2004 und 2012 sowohl in die Evolution süd- Diese werden je nach beabsichtigter Qualität spezifi- indischer Rhythmik als auch in die Welt der miḻāvu scher Emotionen von den dargestellten Charakteren als Schülerin von K. Eswaranunni am Kerala Ka- rezitiert, die vom Publikum als rāsas wahrgenom- lamandalam, der “Deemed University of Perform- men werden. Tālas dienen andererseits der atmo- ing Arts”. In diesem interdisziplinären Forschungs- sphärischen Verstärkung in der szenischen Umset- projekt kombinierte ich Methoden der Ethnografie, zung der Dramen je nach Bühnencharakter und je Musikethnologie und empirischen Sozialforschung nach Abschnitt der Gesamtperformance. Dabei im- mit eigenem Vorwissen aus der Praxis diverser Per- provisiert der erste miḻāvu-Perkussionist auf die Be- kussionsinstrumente aus Afrika und Indien und den wegungen der DarstellerInnen reagierend, während langjährigen Inspirationen durch meinen geschätz- der zweite Spieler den Rhythmus beibeihält. Da es ten Mentor und Betreuer o. Univ.-Prof. Dr. Manfred sich bei den Spielern ausschließlich um männliche Kremser. Grundsätzliche Erfahrungen mit Konzep- Spieler handelt, wird auf die Genderschreibweise ten indischer Perkussion hatte ich bereits 1991 und verzichtet. Obwohl kūṭiyāṭṭam-Darstellerinnen alle 1992 bei meinen ersten Tabla-Lehrern K. J. Thom- tālas aus der performativen Praxis kennen und um- as aus Kumily und Gopan aus Trivandrum sam- setzen können, sind sie laut Jayanthi Nambiar zu meln können (Bindu 2013: ​10), auch wenn sich die schwach, um diese auf der miḻāvu zu spielen (Bindu Rhythmik der nordindischen Tablas wesentlich von 2013: ​248). Grundsätzlich ist es in der heutigen Zeit der südindischen Rhythmik unterscheidet. auch Frauen möglich, das Instrument zu erlernen. In diesem Artikel stelle ich das Instrument miḻ­ā­ Meine eigene weibliche Identität stellte bei der vu in den Fokus der Ausführungen und gebe sowohl Aufnahme als miḻāvu-Schülerin des “Kerala Kala- wesentliche Einblicke in die Performing Art des kū­ mandalam” kein Hindernis dar. Durch das jahre- ṭi­yāṭṭ­am und dessen ProtagonistInnen als auch einen lange Djembe-, Congas- und Tabla-Spiel habe ich kurzen Überblick über soziokulturelle Progressio- entsprechende Muskeln aufgebaut. Dennoch emp- nen der Perkussionisten von antiker Tradition bis fand ich die praktischen miḻāvu-Stunden als extrem zur kontemporären Repräsentation.

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 398 Karin Bindu

Kūṭiyāṭṭam-Aufführungen in Tempeltheatern Regierung Keralas den Landbesitz neu regelte, ver- loren die Cākyār jedoch alle Rechte und die Päch- Sanskrit-Dramen bilden die literarische Basis für ter erhielten die Ländereien der Tempel. Dadurch kūṭiyāṭṭam-Performances. Sie beruhen in Indien auf waren alle Cākyār- und Nampyār-Familien von Ar- einer 2500 Jahre andauernden Tradition: Paulose mut betroffen. Viele gaben den Beruf auf und such- (2006: ​41) bezeichnet das erste Millennium dieser ten sich andere Einkommensmöglichkeiten. Die Periode von 500 v. Chr. bis 400 n. Chr. als “golden dadurch bedingte Öffnung der Kunst für Interes- era of Sanskrit theatre”. Aus dieser Zeit stammen sentInnen aller Kasten wird auch heute noch von die natasutras, die Dramen von Bhasa und Kalida- manchen VertreterInnen der Nampyār, Cākyār und sa sowie das “Nāṭya Śāstra”. Es enthält detaillier- Naṅṅyār mit Skepsis betrachtet (Bindu 2013: ​112, te Anleitungen für die performative Praxis südindi- 125, 142, 232). scher “Performing Art”, für Theorien und Konzepte In der heutigen Zeit gibt es laut Venu (1989: 6) in Bezug auf rasas, Verwendung der tālas und Klas- nur mehr eine geringe Anzahl von Cākyār der alten sifizierung der Musikinstrumente. In den folgenden Generation, die ihre Tradition als Beruf ausüben. fünfhundert Jahren trugen Sanskrit-Autoren wie Während jährliche kūṭiyāṭṭam-Performances in al- Har­sha, Bha­vabhuti,­ Bhattanarayana und andere ten Zeiten in siebzehn Tempeln Keralas stattgefun- zum Kulturgut bei. den haben, sind in der heutigen Zeit – abgesehen Das Drama “Mattavilasa” von König Mahen- von modernen Aufführungsstätten – nur noch Per- dravikrama gilt als erstes populäres Sanskrit-Dra- formances in den Tempeln Trichur und in Venganel- ma in Kerala aus dem 7. Jahrhundert. Nilakantha- lore zu sehen. Andererseits haben sich in den letz- kavi war laut Paulose (2006: ​65–67) der erste Poet ten Jahrzehnten in Kerala acht kūṭiyāṭṭam-Zentren aus Kerala, der ein Sanskrit-Drama namens “Ka- entwickelt, die zum Teil auf den Traditionen unter- lyanasaugandhika” schrieb. Aus dem 11. Jahrhun- schiedlicher Cākyār-Familien aufbauen, wie etwa dert sind die beiden Dramen “Subhadradhanan- das Natana Kairali in Irinjalakuda kombiniert mit jaya” und “Tapatisamvarana” des Chera-Königs dem Ammanur Chachu Chakyar Gurukulam, das Kulashekara belegt, die Geschichten aus dem “Ma- Manimadhavachakar Smarak Gurukulam in Killi- habharata” beinhalten. Keralas populärstes Drama kurussimangalam, das Smaraka Kalapitam in Pain- “Ascharyacudamani” von Shaktibadra stammt aus kulam und das Pottiyil in Ernakkulam. Die anderen dem 13. Jahrhundert und basiert auf dem indischen Zentren arbeiten mit KünstlerInnen aus Familien Nationalepos “Ramayana”. Ihm zufolge entstanden unterschiedlicher Herkunft: Das Kerala Kalaman- weitere Sanskrit-Dramen verschiedenster Autoren dalam in Cheruthuruthy, Margi in Trivandrum und bis ins 18. Jahrhundert. Nepatya in Muzhikulam (Bindu 2013: ​235). Nach Kulashekara Varmans Zeit wurden viele Kūṭiyāṭṭam-Aufführungen fanden und finden Akte aus diesen Dramen von den Cākyār ins Reper- noch heute in eigenen Tempeltheatergebäuden (kūt­ toire aufgenommen. Die Cākyār – die männlichen tampa­ lam­ ) statt. In Kerala existieren gegenwärtig Darsteller im kūṭiyāṭṭam – sind seit der Sangam-Pe- sechzehn an der Zahl. Die ein Meter hohe Bühne riode des 5. Jahrhunderts in Südindien bekannt, in im hinteren Teil der Tempeltheater wird von ei- der Arier das Land zunehmend beeinflusst hatten. nem separaten Dach überdeckt. An den vier Ecken Sie zählten zu einer Subkaste der arischen Brah- der Bühne stützen verzierte Säulen das Dach, des- manen (Namputiris) – der Kaste der Ampalavāsi sen Unterseite mit Blumenmotiven geschmückt ist. (Tem­pel­bewoh­ner), die zu jener Zeit diverse Diens- Im kūt­tam­pa­lam des Kerala Kalamandalam weisen te im Tempel verrichteten (Pisharoty 1994: ​101 f.). Säulen rund um den Bereich des Publikums neben Moser betont (2008: ​4), dass die Mitglieder dieser Blütenmotiven auch Statuen von Gottheiten in den Kaste zur Aufführung von kūttu- und kūṭiyāṭṭam- 108 Tanzpositionen (karanas) auf, die im “Nāṭya Aufführungen verpflichtet waren. Diese Aufführun- Śāstra” angeführt sind. SchülerInnen des Kerala gen werden bis heute vom miḻāvu-Spiel der Männer Kalamandalam schmücken den Bühnenbereich vor aus der Nampyār-Kaste und dem Zimbel-Spiel (ku­ Performances mit frischen Girlanden aus Palmblät- ḻi­tā­lam) ihrer Frauen, der Naṅṅyār begleitet. tern und Blumen. Die Wand auf der Rückseite des Venu erwähnt (1989: ​5), dass die Remuneration kūt­tam­pa­lam ziert ein für Kerala typisches Mauer- für oben genannte Aufführungen der darstellenden gemälde von Mammiyoor Krishnankutty Nair, wie Familien in der Vergabe von Land der jeweiligen Gramaprakasan (2007: ​49 f.) erwähnte. Die Bühne Tempel bestand, das als kūttuvirutti bezeichnet wor- wird entsprechend des ritualistischen Aspekts der den war. Wegen der Kunst hatten die Cākyār jedoch kūṭ­i­yāṭṭ­am-Performances als heilig betrachtet. Gott- wenig Zeit für das Land – sie verpachteten es und heiten bewachen und beschützen die Bühne vor den erhielten dafür einen Teil der Ernte. 1970, als die Dämonen (asuras) (Panchal 1981: ​134 f.).

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Miḻāvu – göttliches Perkussionsinstrument im südindischen Sanskrit-Drama Kūṭiyāṭṭam 399

Kūṭiyāṭṭam gilt als “visual sacrifice”, dessen ri- 3. Bühnendekoration und Kostümierung werden als tualisierter Ablauf mit dem Anzünden der kleinen aharyabhinaya bezeichnet. nilaviḷakku (Öllampe) im “Green Room” hinter der 4. Sprachgebrauch (vacikabhinaya): Die Rezita- Bühne beginnt: DarstellerInnen verrichten dort das tion einer Auswahl an Sanskrit-slokas (Versen) erste Gebet, bevor sie sich kostümieren und schmin- in 24 ragas (Melodien) wird mit der Expres- ken. Die Bühne selbst wird mit blühenden Bananen- sion bestimmter bhavas (Emotionen, die in den bäumen, Kokosnüssen, Kokosblättern und weiteren DarstellerInnen produziert werden) und mit der saisonalen Früchten und Gräsern dekoriert. An der Handlungsabsicht der Charaktere des jeweiligen vorderen Mitte entzündet ein Nampyār bzw. einer Dramas abgestimmt.1 In meinen Feldforschun- der miḻāvu-Perkussionisten die nilaviḷakku (Venu gen beobachtete ich, dass die Rezitation der slo- 1989: 5). kas von DarstellerInnen individuell interpretiert Miḻāvu-Perkussionisten nehmen bei Performanc- und ausgeführt wird, so dass eine einheitliche es den Platz in der hinteren Bühnenmitte ein, wo- Melodieführung kaum feststellbar ist. Rezitierte durch sie auf Abbildungen in diversen Artikeln über Worte werden dabei in die Länge gezogen und das kūṭiyāṭṭam nur im Hintergrund zu sehen sind. tonal auf- oder abwärts “verbogen”. Durch den Fokus meiner Betrachtungen rücken sie jedoch ins Zentrum des Geschehens, das sich für Das Identifikationssystem im aharyabhinaya des sie zwischen Bühne und dem dahinter befindlichen kūṭiyāṭṭam (Punkt 3.) baut auf dem namam oder na- “Green Room” (Umkleideraum) befindet. Dieses makuri, dem aufgemalten Symbol auf der Stirne Zentrum korreliert symbolisch mit der Vielzahl ihrer des jeweiligen Charakters, auf: “conch” (Muschel), Funktionen, die von Vorbereitungen für die Perfor- Dreizack, Halbmond, Swastika und andere identifi- mance bis zur Darstellung selbst reichen: Nambiar kationsstiftende Symbole aus dem Hinduismus wer- erzählte mir in einem Interview 2006 (Bindu 2013: ​ den laut Pisharoty (1994: ​103) vom “Chutty Artist”, 115), dass Nampyār nicht nur inhaltlich und perfor- dem Make-Up Spezialisten mittels Farben aus na- mativ über das komplette Wissen einer kūṭiyāṭṭam- türlichen Materialien aufgetragen. Das Kerala Kala- Aufführung verfügen, sondern auch vom Beginn mandalam (Deemed University of Performing Arts) bis zum Schluss der Performances für die Bühne bietet seit 1965 neben “Performing-Art-Studien” für verantwortlich sind. Die Ankündigung des jeweili- StudentInnen aller Kasten eine institutionalisierte gen Aktes gehört gleichfalls zu ihren Aufgaben wie mehrjährige Chutty-Ausbildung an. auch die Betreuung der Öllampen, der Auf- und Ab- Die Aufführungspraxis im kūṭiyāṭṭam basiert bau der Instrumente sowie die Mithilfe beim Kos- bis in die gegenwärtige Zeit auf detaillierten An- tümieren der DarstellerInnen. Da sich die Cākyār weisungen aus dem “Nāṭya Śāstra” und den Palm- aufwendig kostümiert im vorderen Teil der Bühne blattmanuskripten der Cākyār-Familien. Im Laufe bewegen und durch ihre Darstellung die Drama­ ­ der Jahrhunderte fusionierten laut Panchal (1994: ​ inhal­te vermitteln, stehen sie meistens für das Pu- 16) zusätzlich lokale Einflüsse aus dravidischen wie blikum wie auch für ForscherInnen im Mittelpunkt auch arischen Kulturen. Panchal erwähnt in diesem des Interesses. Bevor ich nun den Fokus dieses Ar- Zusammenhang vor allem den Einfluss lokaler dra- tikels auf die miḻāvu richte, möchte ich hier die we- vidischer Performing-Art-Formen wie mutiyettu, sentlichsten Elemente der komplexen kūṭiyāṭṭam- patayani und teyyam auf die Kostümierung, die Mu- Per­for­mance­kunst aufzeigen. sik und die Handgesten der Performance.

Kūṭiyāṭṭam abhinaya Die Darstellungstechnik (abhinaya) der Performe- Kathakali ist eine dreihundert Jahre alte Form der rInnen erfolgt im Kūṭiyāṭṭam auf vier Ebenen: Performing Art in Kerala und zählt zu den rezen- teren Künsten, die sich durch wechselseitige Be- 1. Körperbewegungen (angikabhinaya) kombinie- einflussung mit dem kūṭiyāṭṭam auszeichnet. Es ren die 24 mudras (Handgesten) zur “Formu- entstand im 17. Jahrhundert als volksnahe Theater- lierung” von Inhalten des jeweiligen Dramas kunst, die zwei Sänger in die Performance integ- in Kombination mit Körperpositionen und be- rierte. Diese singen in der Landessprache Malaya- stimmten Schrittfolgen. 2. Gesichtsbewegungen (satvikabhinaya) und Au- 1 Chakyar (1995); Paulose (2003: ​97–107); Venu (2005: ​171– genbewegungen (netrabhinaya) drücken vor allem 179); Mani Paniker (2005); Paulose (2006: ​122–137); Gra- emotionale Aspekte dargestellter Charaktere aus. maprakasan (2007: ​18–23); Moser (2008: ​106–118).

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 400 Karin Bindu lam Lieder über die dargestellten Handlungen aus be), hasa (Freude), shoka (Trauer), kroda (Ärger), den Nationalepen. Im kathakali sind nur männli- utsaha (Stärke), bhaya (Angst), jugupsa (Grau­ che Darsteller erlaubt, welche in der Performance en), vismaya (Erstaunen) und sama (Ruhe). Miḻ­ā­ weibliche und männliche Rollen übernehmen (Bol- vu-Perkussionisten verstärken durch ihr Spiel die land 1996: ​3). Dies steht in großem Gegensatz zum Darstellung dieser neun bhavas, wobei laut K. Sa- kūṭiyāṭṭam, in dem weibliche Darsteller auch Cha- jith Vijayan auch die miḻāvu selbst auf jene bha- raktere beider Geschlechter repräsentieren können vas reagiert, die der Perkussionist aus seinem In- (Bindu 2013: ​43). neren erzeugt. Die gemeinsame Performance von Vasudevan Namputirippad, ehemaliger Tourma- Perkussionisten und AkteurInnen transportiert diese nager und Organisator des Kerala Kalamandalam, Emotionen zum Publikum. Bhavas werden dadurch betonte in einem Interview 2006 einerseits die Of- von jenem als rāsas wahrgenommen. Diese neun fenheit des kathakali für alle Kasten seit Anbeginn als rāsas wahrgenommenen Gefühlszustände tragen dessen Entwicklung, wie auch die freie Wahl der die Bezeichnungen sringara, hasya, karuna, veera, Aufführungsplätze. Die Brahmanen Keralas stan- raudra, bhayanaka, bheebatsa, adbhuta und shanta. den ihm nach der Entstehung des kathakali kritisch Paulose (2003: ​98–103) beschreibt noch weitere gegenüber. Gründe dafür waren nicht nur die Nähe Variationen von Interaktionen zwischen Performe- zum gewöhnlichen Volk und der “Bhakti Bewe- rIn und Publikum im kūṭiyāṭṭam, wobei im Grun- gung”, sondern auch der Performancemodus, der de zwischen einem gewöhnlichen Publikum (nana- die ganze Nacht andauerte, und die Offenheit der loka) und einem die satras kennenden Publikum Kunstform für Darsteller aus allen Kasten (Bindu (prek­saka) unterschieden wird. Hradayasamvada 2013: 136 f.). (Kommunikation des Herzens) betrifft die Kommu- Inspirationen durch das kūṭiyāṭṭam sind im kat- nikation zwischen Charakteren und gewöhnlichem hakali an der Verwendung ähnlicher Kostüme und Publikum durch die Mittel des vierteiligen abhina- Make-Up Techniken ersichtlich wie auch laut Gra- ya. Auf suggestive Weise wird das Publikum dazu maprakashan (2007: ​4) am Einsatz eines Vorhangs bewogen, die Vision der DarstellerInnen zu rekreie­ ­ zwischen den Akten. Laut Gramaprakashan soll ren und die imaginative Welt des Dramatikers zu be- in umgekehrter Weise Painkulam Rama Chakyar treten. Antarabhinaya hingegen beinhaltet für das dem kathakali Elemente entlehnt haben, die dem künstlerisch erfahrene Publikum noch eine zusätz- kūṭiyāṭṭam zusätzlichen Glanz verliehen. Ein gros- liche Präsentationsebene, die subtil durch Augenbe- ser Unterschied zum kūṭiyāṭṭam besteht auch im wegungen (netrabhinaya) hervorgerufen wird. Aus Einsatz von Musikinstrumenten: Das begleitende eigener Erfahrung füge ich hinzu, dass auch detail- Hauptinstrument im kathakali sowie im ist lierte Dialoge, die durch mudras vermittelt werden, die von Männen gespielte “Nationaltrommel Ke- sowie die rezitierten Sanskrit-Verse (slokas) nur ralas”, die über weite Distanzen kräftig klingende vom künstlerisch erfahrenen Publikum verstanden centa-Trommel, deren Rhythmik einem eigenen werden. System folgt (Bindu 2013: ​47). Kathakali-Perfor- Miḻāvu-Perkussionisten können aufgrund ihrer mances werden musikalisch durch weitere Instru- Bühnenposition DarstellerInnen nur von der Rück- mente wie Gong, maddalam, thimila und thalam seite aus sehen und auf deren Emotionen reagie- (große Zimbel) untermalt. Im Gegensatz zu den kū­ ren. Ihnen müssen daher alle Aspekte des rasabhi- ṭi­yāṭṭ­am-DarstellerInnen bewegen sich kathakali- naya aus dem Kontext des Dramas heraus bekannt Performer immer im Rhythmus der Musik, was von sein. Darüber hinaus geben laut Paulose (1998: 5–7) einem miḻāvu-Spieler scherzhaft als “robot dance” spezifische Körperpositionen der DarstellerInnen bezeichnet wurde. Auskunft darüber, welche rāsas sie damit hervor- Eine wesentliche Gemeinsamkeit beider Per- rufen wollen: samāvastha (Normalposition) für die forming-Art-Formen bildet die Darstellung von rāsas “sringara” und “karuna”, irunnāṭṭam (Bewe­ Charakteren und deren Gefühlen (bhavas) aus den gun­gen am Boden) für unglückliche Stimmungen, indischen Nationalepen “Mahabharata” und “Ra- iḷakiyāṭṭam (ein Fuß vorne, der andere hinten) für mayana”. Wie jede andere indische Kunstform die rāsas “veera”, “raudra”, “adbhuta” u. a. Eine sprechen kūṭiyāṭṭam und kathakali neun Emotio- spezifische halbkreisförmige Gestik der Darstel- nen an, die als navarāsas bezeichnet werden. Sie lerInnen, die auch von der Bühnenrückseite gut weisen unterschiedliche Benennungen auf, je nach- sichtbar ist, fordert die Perkussionisten auf, das dem ob sie durch die DarstellerInnen als bhavas er- Spiel zu stoppen. Die rhythmische Unterstützung zeugt oder vom Publikum als rāsas wahrgenom- bei der Wahrnehmung von rāsas durch miḻāvu- men werden. Bei den bhavas handelt es sich laut Perkussionisten wird von Nambiar (1995: ​107) als Suresh (2003: ​28–30) um die Emotionen rathi (Lie- eine der drei Arten des Trommelns im kūṭiyāṭṭam

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Miḻāvu – göttliches Perkussionsinstrument im südindischen Sanskrit-Drama Kūṭiyāṭṭam 401 angeführt – als mēlam bezogen auf den emotional Rajagopalans Artikel geben jedoch weder Hin­weise signifikanten Handlungsverlauf im kūṭiyāṭṭam in zu den Perkussionisten selbst noch zur Notation der Reaktion auf wechselnde rāgas, rāsas und bhavas. tālas. Auch andere kūṭiyāṭṭam-SpezialistInnen, wie Venu (1989: ​3; 2002: ​16 f., 33) und Moser (2008: 5), für die Dramatiker sowie DarstellerInnen der Cā­ Die Miḻāvu in der Literatur kyār- und Naṅṅyār-Kaste im Mittelpunkt der Be- trachtungen stehen, erwähnen Perkussionisten und Bei der Durchsicht englischsprachiger Literatur in ihr Instrument nur am Rande, Notationen sind auf- verschiedensten Bibliotheken Keralas und New Del- grund der oralen Tradition in keiner der angeführ- his erging es mir ähnlich wie auf der Suche nach ten Artikel zu finden, mit Ausnahme von Nambiar, Notationen über die tālas im kūṭiyāṭṭam: Wenige In- der Notationsbeispiele ohne erkennbare metrische formationen über das Hauptinstrument dieser Per- Struktur in den dafür üblichen mnemotechnischen forming-Art-Form waren bei Sangeet (1956: ​17) zu Silben (vaittari) anführt. finden. Seiner Beschreibung nach wurde die miḻāvu Paulose rief bereits im Jahre 1998 zur intensi- mit einer Kombination von Hand und “stick” ge- veren Erforschung der Musik im kūṭiyāṭṭam auf, spielt, der Ton des Instrumentes war laut und hoch womit sich – abgesehen von meinem Lehrer K. und deren schmaler Hals mit dicker Haut bespannt. Es­wa­ra­nunni – auch Hareesh Nambiar am kūṭ­i­yāṭ­ Samba­moorthy, der bekannteste Musikethnologe ṭam-Zentrum Madhava Chakyar Smaraka Guruku- Süd­indiens, erwähnte eine Kupfertrommel aus Ta- lam befasste. Zur Zeit meines Aufenthaltes im Jahre mil Nadu mit fünf “Gesichtern” (1960: ​195), die 2007 zeigte er mir in Trivandrum eine Videoaufnah- nach Ansicht meines Lehrers K. Eswaranunni vom me, auf der sein Vater P. K. N. Nambiar alle tālas kū­ṭi­yāṭ ­ṭ am-Zentrum “Natana Kairali” als Medien­ ­ des kūṭiyāṭṭam auf seiner miḻāvu demonstrierte und attrak­tion nach Kerala geholt worden war. durch Informationen zur Entstehungsgeschichte des Sowle wies in seiner Dissertation auf die ­große Instrumentes in der Landessprache Malayalam er- Verantwortung der miḻāvu-Perkussionisten im Zu­ gänzte (Bindu 2013: ​160). In seiner neuesten Pub- sammen­ hang­ mit der Projektion der Emotionen likation widmet Paulose (2006: ​132 f.) der Rhyth- auf die jeweiligen Charaktere der kūṭiyāṭṭam-Dar­ mik im kūṭiyāṭṭam ein oberflächlich informierendes stellung­ hin (1982: ​177 f.). Als teilnehmender Be- Kurzkapitel, in dem er miḻāvu thyambaka – eine obachter des Trainings am Kerala Kalamandalam konzertante musikalische Tempelperformance mit berichtete er vom Morgentraining der Schüler an mehreren Instrumenten – als Neuentwicklung er- einer kleinen Trainingstrommel, die er als “mizhāvu wähnt, über die Nambiar jedoch bereits 1995 be- kutti ” (Baby-mizhāvu) bezeichnete. Ausführliche- richtet hatte (1995: ​111). re Beschreibungen fand ich bei Panchal (1984: ​35): In einer Publikation des Kerala Kalamandalam Hier wurden nicht nur Wandmalereien an Tempeln beschreibt Gramaprakasan die miḻāvu-Trommel als erwähnt, die Lord Śiva bei der Aufführung destan - die in der Sangam-Literatur genannte perumpara dava-Tanzes in Begleitung einer miḻāvu-spielenden (Kriegstrommel). In anderen alten Tamil-Werken Gottheit zeigen, sondern es wurde auch auf die ist das Intrument als muzha bezeichnet worden, Verwendung unterschiedlicher swaras und tālas, was eine allgemeine Bezeichnung für Instrumente je nach Emotion, Tageszeit und Ende eines Aktes, mit lautem Klang darstellt. Gramaprakasan (2007: ​ hingewiesen. Panchal schrieb sowohl über die Posi­ 25) listet auch die tālas des kūṭiyāṭṭam auf, verwen- tion des Instrumentes auf der Bühne als auch über det dafür zum Teil jedoch unübliche Bezeichnun- die sechzehn Zeremonien (saṁskāras), mit der die gen aus der rhythmischen Terminologie der karna- miḻāvu geweiht wird (1984: ​62). tischen Musik. Detailliertere Charakterisierungen des Instru- Wie bereits erwähnt, sind die beiden wesentlich­ ­ mentes waren in einer Sonderausgabe des Sangeet sten Buchausgaben über die miḻāvu in Malayalam Natak der in Delhi 1995 zu geschrieben, der Landessprache Keralas: Das Buch finden. Einblicke in die tālas des Instrumentes sowie “Miḻāvu Nampyārūde Kramadipika ” des Maestros dessen Verbindung zu den ragas und rasas vermit- P. K. N. Nambiar aus dem Jahre 2005 und das Werk telten Nair (1995: ​23), Nambiar (1995: ​101–119) “Miḻāvoli” seines Schülers K. Eswaranunni aus dem und Rajagopalan (1995: ​113–122). In einem jünge- Jahre 2010, der bis heute das miḻāvu-De­part­ment ren Artikel wurde auch auf die Betrachtung des In- am Kerala Kalamandalam leitet.2 In ihrer Disser- struments als “brahmacari” (Schüler Brahmas) hin- gewiesen, was heute nur noch auf miḻāvus zutrifft, 2 In seiner Klasse konnte ich mit Hilfe von Stipendien der Uni- die in Tempeltheatern von Männern der Nampyār- versität Wien und des Landes Niederösterreich in den Jahren Kaste gespielt werden (Rajagopalan 2005: ​29–30). 2005–2006 vier Monate als miḻāvu-Schülerin und Feldfor-

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 402 Karin Bindu tation über kūṭiyāṭṭam widmet Leah K. Lowthorp Buddhisten. Der Begriff bhanda wird in der Bear- (2013: 108–111) der miḻāvu ein dreiseitiges Kapi- beitung des “Nāṭya Śāstra” von Gupta (2003: ​510) tel, in dem sie den Status quo dreier Perkussionis- vom Verb “bhramayati” (sich bewegen) abgeleitet, ten des kūṭiyāṭṭam-Zentrums Margi in Trivandrum was mit den unterschiedlichen Spielpositionen der porträtiert, über das Instrument selbst jedoch weni- Trommeln zu tun haben kann: Der heilige Svāthi ge Informationen liefert. In Zusammenhang mit der schuf laut Gopal drei Typen von mrdangam-Trom- Überlegung, ob eine kūṭiyāṭṭam-Darstellung auch meln (Trommeln aus Ton): alingya mridangam, an- zu auf Tonträgern gebrannten rhythmischen Phrasen kya mridangam und urdhva mridangam. Die zuletzt geprobt werden könne, betont sie, dass die Kom- genannte Trommelart wird laut Gopal (2004: ​27– munikation zwischen Perkussionisten und Darstel- 30) in aufrechter Position gespielt – sie ist nur mit lerInnen zu dynamisch sei, um mechanisch ersetzt einer Haut am oberen Ende bespannt. zu werden (2013: ​136). An anderer Stelle erwähnt Die Bezeichnung als vadya wird laut Kasliwal einer der miḻāvu-Perkussionisten die spezielle Ener- (2004: 1) vom Wort vad (sprechen) abgeleitet – va- gie, die beim Spiel im kūttampalam entsteht. Diese dana bedeutet literarisch, “das Musikinstrument sei seiner Erfahrung nach auf “profanen” Bühnen spre­chen zu lassen”. Nambiar ordnet die Bezeich- nicht spürbar (Lowthorp 2013: ​129). Auf diese spe- nung ghaṭavādya aus dem Buch “Sangeeta Ratna- ziellen Energien soll später zurückgekommen wer- kara” von Sarngadeva der miḻāvu zu (1995: ​102). den, zunächst geht es um Klassifizierung und Kör- Im “Śilappatikaram”, einem der Hauptwerke der perbau der miḻāvu. tamilischen Sangam-Literatur, wird die miḻāvu als muzha oder kuṭa muḻa bezeichnet. Der in alten Ta- mil-Werken verwendete Begriff muḻa – hier muzha Die Miḻāvu als Membranophon geschrieben – gilt allgemein als Bezeichnung für Instrumente mit lautem Klang. Muzha-Instrumente Membranophone gelten in Indiens “Nāṭya Śāstra” werden in akamuzha, akappuramuzha, puramuzha, von Bharatamuni als avanaddha vadya, die aus hun- purappuramuzha, pannamaimuzha, nanmuzha und derten an Variationen bestehen, wobei drei Trom- kalimuzha unterteilt. meltypen unterschieden werden: mrdanga, panava In Südindien werden laut Nirmala Paniker und dardura (Gupta 2003: ​484 f.). Die ersten beiden (1992: ​27) die meisten Perkussionsinstumente der Typen sind beidseitig bespannt, während es sich bei akamuzha-Gruppe zugeordnet. Dazu gehören sol- den dardura-Trommeln um einköpfige Instrumen- che Instrumente wie maddalam, iṭakka, karadika, te handelt. Bharatamuni bezeichnete diese auch als bheri, padaham und kudamuzha. Panikers Annah- pushkara und vadyabhandamukha (Kessel­ instru­ ­ me, dass die kudamuzha-Trommel mit der heutigen mente mit Gesicht). Laut Deva erfolgt eine weite- miḻāvu kongruent sei, wird von Nambiar bestätigt. re Kategorisierung in Trommeln, die geschlagen Letzterer berichtet im folgenden Zitat über weitere werden, in Reibetrommeln und in Zupfinstrumente. Referenzen zur miḻāvu in den Büchern “Kaṇ ­ṇ aś­śa­ Zu den Schlagtrommeln zählen auch Rahmentrom- rā­mā­ya­ṇam” und “Bāṇayuddhapṛabhanda” (Nam- meln und Kesseltrommeln, wobei von Deva (2000: ​ biar 1995: ​102 f.): 62) hier noch zwischen “monofacial” (einseitig be- spannten), “bifacial” (zylindrisch, beidseitig be- Kaṇṇaśśarāmāyaṇam also has a reference to this instru- spannten) sowie “multifacial” (vielseitig bespann- ment in “iṭiyākina milāvoliyālēvaṛkkum paritāpam ka­ḷa­ ten) Instrumenten unterschieden wird. vān” (to remove the sorrows of everyone by the thunder- Kesseltrommeln werden auch als bhanda vadya ing sound of the mizhāvu). Bāṇa has drummed on the bezeichnet, wobei bhanda mit “Kessel” oder “Topf” mizhāvu impressively in accompaniment to the cosmic dance (tāṇḍava) of Lord Siva and was rewarded with a übersetzt werden kann. In der vedischen Literatur thousand hands – this allusion to the mizhāvu occurs in werden laut Deva (2000: ​65) Perkussionsinstru- the Bāṇayuddhapṛabhanda as “ye vadyēna ta­va­pṛasā­da­ mente dieser Art erwähnt, so z. B. vadha bhanda matu­lam nṛttai purā pūrayam”. From all theses scattered im Buch “Arthasastra” von Kautilya, kumbha (Topf) referenes, it is evident that the mizhāvu had been in popu- im “Ramayana” und in einem heiligen Buch der lar use in this country for centuries.

scherin im Beisein meiner Kinder verbringen. – In einem In- Curt Sachs, der die Klassifizierung der Instru- terview mit Saraswathy Nagarajan vom 30. 01. 2014 kündig- mente aus dem “Nāṭya Śāstra” übernommen hat- te Eswaranunni in The Hindu weitere Publikationen an, in te, erwähnte die miḻāvu in den Beschreibungen di- denen er seinen Erfahrungsschatz als miḻāvu-Perkussionist, centa-Perkussionist und Entwickler verschiedenster Variati- verser Kesseltrommeln nicht (1923: ​55). Dies lag onen an miḻāvu-Perkussion-Ensembles weitergeben will (Na- möglicherweise an der Vielfalt indischer Perkus­ ­ garajan 2014). sionsinstru­ mente,­ die seiner Ansicht nach für Eu-

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Miḻāvu – göttliches Perkussionsinstrument im südindischen Sanskrit-Drama Kūṭiyāṭṭam 403 ropäerInnen kaum fassbar sein soll. Seiner Ansicht Länge von 2 cm – und die Höhe von großen miḻāvus nach stand die Unmenge indischer Per­kus­sions­ mit über 50 angulams. instru­mente in keinem Verhältnis zu den drei oder Die miḻāvu wird in drei Formen je nach Präfe- vier Trommelarten, die für europäische MusikerIn- renz des Perkussionisten und je nach der Form des nen völlig ausreichten. Er beschrieb das Vorhanden- Tempeltheaters (kūttampalam), in der sie residie- sein von zwei Duzend Kesseltrommeln aus Ton in ren wird, produziert: länglich, ballförmig und eiför- Hindustan als besondere Herausforderung an Euro- mig. Es wird zwischen großen, mittleren und klei- päerInnen, da diese sich nur wenig voneinander un- nen miḻāvus unterschieden, die ebenfalls je nach der terschieden. Sachs erwähnte auch bereits die starke Form des kūttampalam konstruiert werden, um da- Verbindung zwischen indischen Perkussionsinstru- durch den optimalen Klang zu erzeugen. So wird menten und heiligen Zeremonien sowie deren dar- laut Nambiar (1995: ​102) eine große miḻāvu in ei- aus resultierende sakrale Funktionen. nem rechteckigen Tempeltheater plaziert, eine mit- Auch kūṭiyāṭṭam gilt als “visual sacrifice” telgroße in einem quadratischen Gebäude und eine (chaks­bus­ba yagna), daher müssen für Performanc- kleine miḻāvu in einem dreieckigen kūttampalam. es im sakralen Kontext nicht nur alle Materialien, Heute werden in Kerala hauptsächlich eiförmi- die mit diesem yagna zu tun haben, geweiht und ge und runde miḻāvus verwendet. Durch die Öff- purifiziert sein, sondern auch die PerformerInnen nung des kūṭiyāṭṭam für alle Kasten und für pro- und deren Instrumente selbst. Hierbei gilt die mi­ḻā­ fane Bühnen werden heute meist mittelgroße und vu als sakrales Instrument (deva vadyam), das den kleine “Reise-miḻāvus” produziert, die ca. 55 cm Gottheiten geweiht ist.3 Trotz zunehmender inter- hoch sind. Im Unterschied zu den großen miḻāvus nationaler Bekanntheit der miḻāvu durch deren Ein- befinden sich diese nicht in einem Holzgestell, auf satz bei Darstellungen auf profanen Bühnen betonte dessen Ausbuchtung am oberen Rand die Tromm- Nambiar in einem Interview 2006, dass die miḻ­ā­vu ler sitzen, sondern auf kleineren Konstruktionen aus idealerweise nur im Kontext von kūṭiyāṭṭam- und Holz (in Notfällen auf einem umgedrehten Hocker), kūttu-Darbietungen sowie orchestraler Tem­pel­ die vor den Perkussionisten stehen. Jene sitzen auf musik eingesetzt werden sollte (Bindu 2013: ​113). einem Stuhl dahinter. Die Form der miḻāvu selbst Im Tempelambiente wird sie auch heute noch aus- entspricht laut Nambiar dem Rumpf des Menschen. schließlich von Perkussionisten der Nampyār-Kaste Bei der Kreation von Klang beginnt der mensch- gespielt. liche Atem im Basischakra (muladhara zwischen Anus und Genitalien) und reicht bis zu den Stimm- bändern in der Kehle. In identischer Weise schwingt Die Miḻāvu als anthropomorpher Körper bei der miḻāvu die Haut, wenn Klang erzeugt wird. Durch kräftigeres Atmen im Brustbereich wird der Der bauchige Körper der miḻāvu wurde in alten Zei- Klang der menschlichen Stimme verstärkt – das- ten aus Ton hergestellt. Dies führte zu Verwechslun- selbe gilt für die miḻāvu und erklärt dadurch ihre gen mit der mrdangam, dem Perkussionsinstrument Form. Auch in der Praxis des Yoga zeigt die Energie der karnatischen klassischen Musik Südindiens, die die Tendenz, aufzusteigen, demnach praktiziert die damals ebenso aus Ton erzeugt wurde (Rajagopa- miḻāvu ebenfalls Yoga (Bindu 2013: ​312, FP 54). lan 2005: ​29). In seinem Interview 2006 bestätigte Die anthropomorphen Eigenschaften der miḻāvu Nambiar diese Ansicht und verwies auf die Refe- sind auch in den Bezeichnungen ihrer Kör­per­teile renz “Mridangopanayanavidhi” im “Tantrasamuch- enthalten, die mir mein Lehrer K. Eswaranunni ayam”, einer Abhandlung über symbolische Rituale (Bindu 2013: ​164) vermittelt hat: Der Boden wird in Tempeln. In der heutigen Zeit befinden sich sei- als aṭi bāgam (Tanzplatz) bezeichnet. Darüber befin- ner Meinung nach miḻāvus aus Ton in zerbrochenem det sich der Bauch (vayar) des Instrumentes, wofür Zustand im Madayikkavu Tempel in Nord-Malabar im Malayalam dasselbe Wort wie für den menschli- und im Tempel von Kurumathur Mana. Das Instru- chen Bauch verwendet wird. Die kleine Öffnung im ment im Madayikkavu Tempel ist ca. 500 Jahre alt. oberen Drittel der Trommel, die immer zum Publi- Ein jährliches kūttu findet dort an jedem 15. Sep- kum zeigt, wird karṇṇam (Ohr) oder karṇ ­ṇ a­duā­ram tember statt (Bindu 2013: ​160). Rezentere miḻāvus (Ohrloch) genannt. Die obere Öffnung der Trommel, werden aus Kupfer erzeugt. Gramaprakasan (2007: ​ die mit Kalbshaut bespannt wird, heißt vāya vaṭṭam 25 f.) gibt die Höhe einer mittelgroßen miḻāvu mit (runder Mund). Der “Hals” der Trommel reicht vom 30–36 angulams an – ein angulam entspricht einer “runden Mund” bis zum Bauch und wird wie beim Menschen als kaḻuttu (Hals) bezeichnet. Die Kuh- 3 Paniker (1992: ​28); Rajagopalan (2005: ​29); Nambiar (1995: ​ haut (paśutōl ) bedeckt den Mund der miḻāvu. Sie 103). wird dem menschlichen Stimmband gleichgesetzt.

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 404 Karin Bindu

Abb. 2: K. Bindu, K. Anup und K. Sajith Vijayan an den abhya­ sa­kuṭ ­ṭ ikkal, 2006 (Foto: © Karin Bindu).

Zur Fixierung der Haut am Instrument dient eine mit Zangen leicht nach hinten gebogen, so dass ein um den Hals gewickelte Schnur (vār). Das Instru- weiteres Kupferplattenteil im Reißverschlusssys- ment steht aufrecht in einem quadratischen hölzer- tem angefügt werden kann. Die gebogenen Metall- nen Kasten (miḻāvaṇam), an dessen oberen Rand teile werden mit dem Hammer an den angefügten eine Sitzfläche für den Perkussionisten montiert Teil gehämmert und anschließend durch Hitze ver- ist. Im Kerala Kalamandalam und auch in anderen schmolzen. Auf diese Art wird der runde Bodenteil kūṭiyāṭṭam-Zentren üben miḻāvu-StudentInnen auf an den Bauchteil gelötet, ebenso ein breiter Ring hölzernen Übungstrommeln (abhyasakuṭṭikkal im zwischen Bauch und Hals. Zum Schluss wird das Plural), die nur ca. 30 cm hoch sind, jedoch ähnlich Ohrloch gebohrt.4 der kupfernen miḻāvu eine Schlagfläche mit dem Abhyasakuṭṭikkal (Übungstrommeln) werden hin­- Durchmesser um die 20 cm aufweisen. ge­gen aus dem Holz des Brotfruchtbaumes (plā­vu) In Tamil Nadu existiert eine dritte Form einer hergestellt. Das Holzstück wird in Form eines Trich- miḻāvu: Eine Kupfertrommel mit fünf “Gesichtern” ters ausgehöhlt. Vor der Bespannung der Übungs- (panchamukha vadhyam), wobei laut Nambiar nur trommel, für die im Kerala Kalamandalam die noch zwei oder drei dieser Instrumente in Tempeln miḻāvu-Schüler zuständig sind, wird eine Kalbshaut zum Einsatz kommen. Die Anzahl der Perkussio- vier Stunden im Wasser eingeweicht. Dann werden nisten, die darauf traditionelle Rhythmen spielen die wulstartig verstärkten Ränder des Trommelkör- können, ist seiner Aussage nach auf zwei bis drei pers mit zerquetschtem, gekochtem Reis oder mit Personen zurückgegangen. Ein Modell, das nur sel- Paste aus pappadam (dünnem, in Fett gebackenem ten eingesetzt wird, befindet sich auch heute noch Fladenbrot) bestrichen. Auf den derart vorbereite- im kūṭiyāṭṭam-Zentrum “Natana Kairali” in Irinja­ ­ ten Mund wird die Kalbshaut aufgelegt und mit ei- la­kuda (Bindu 2013: ​313). ner Schnur im Uhrzeigersinn solange umwickelt, Die Konstruktion kupferner miḻāvus wird in der bis sie gut gespannt ist. Um einen perfekten Klang heutigen Zeit Herstellern von Kochgefäßen und zu garantieren, ist während der Trocknung jede Be- Messinglampen oder Experten für Instrumenten- rührung verboten. Meist “überleben” die Übungs- bau in Auftrag gegeben. Jeder Instrumentenkörper trommeln nur eine Trainingswoche, so dass sie je- besteht aus vier Kupferplattenteilen. Durch Trei- den Sonntag erneut bespannt werden müssen. ben erhalten sie halbrunde Formen, die Halsöff- Die Prozedur der Bespannung größerer miḻāvus nung wird ausgeschnitten. An einem der Platten- gleicht jener der Übungstrommeln, wobei der auf- ränder werden in Abständen von 4–5 cm jeweils zwei kleine Einschnitte im Abstand von ca. 1 cm 4 Dieser Herstellungsvorgang ist auf der DVD “Rhapsody of vorgenommen. Diese kleinen Metallstücke werden Beats” von Invis Multimedia aus Kerala (2007) zu sehen.

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Miḻāvu – göttliches Perkussionsinstrument im südindischen Sanskrit-Drama Kūṭiyāṭṭam 405 getragenen Paste ein wenig Kleber beigemischt nern gestellt, dann spricht der tanṭri ein Gebet an wird, um ein Nachlassen der Spannung während ei- Ganapathi (Ganesh), der alle Hindernisse aus dem ner Performance zu verhindern (Bindu 2013: ​167). Weg räumt. Nach einführenden Riten und Purifi- kation wird Nandikeshvara, der Gott aller Perkus- sionsinstrumente und zugleich das Vehikel von Lord Sakrale Miḻāvus Śiva, angerufen. Im Anschluß daran erfolgt das ritu- elle Bad, die rituelle Bekleidung des Instrumentes, Kūṭiyāṭṭam wird als Schöpfung Brahmas betrach- danach das Opfer (homam) für Agni, den Gott des tet, wobei die Worte dem “Rig Veda”, die Kunst der Feuers. Die weiteren acht Zeremonien entsprechen Darstellung (abhinaya) den “Yajur Vedas”, die mu- jenen, die für jeden Hindu (mit Ausnahme der Hoch- sikalischen Töne (svāras) dem “Sama Veda” und die zeitszeremonie) durchgeführt werden: Zeremonien Gefühlsexpressionen (rāsas) den “Atharva Vedas” für die Erschaffung von Leben im Mutterleib, für entnommen wurden. Rajagopalan (1995: ​119) er- den Schutz des Embryo, für dessen Fähigkeit auf wähnt, dass den Schülern Bharatas die miḻāvu im Klänge zu reagieren, für die Geburt, die Namens- Traum als passendes Instrument für kūṭiyāṭṭam- gebung, die erste Aufnahme fester Nahrung, für das Aufführungen erschienen sein soll. Nach Ansicht Haareschneiden und für die Ausbildung des Kindes Nambiars, dem Lehrer meines Lehrers, wurde sie durch einen Guru (Nambiar 1995: ​103). erstmals vom Dämonen-König Bana, dem ältesten Die sakrale miḻāvu wird als “Schüler Brahmas” Sohn von Bali (König von Mahabalipura) zur Be- betrachtet und besitzt daher ein Eigenleben. So wird gleitung des kosmischen Tanzes von Lord Śiva ge- angenommen, dass sie selbst um die Initiation (upa- spielt. Dieser war von Banas Spiel derart begeistert, nayana) bittet, wofür vom tantri eine ideale Zeit de- dass er ihn mit tausend Armen ausstattete (Bindu finiert wird. Wenn der Moment gekommen ist, wird 2013: 116). sie mit dem Schultertuch der Brahmanen sowie ei- Mein Lehrer K. Eswaranunni erzählte mir diese­ nem Stück Rehhaut bedeckt. Ursprungsmythe in der ersten miḻāvu-Un­ter­richts­ stunde am Kerala Kalamandalam in einer anderen Then the holy rites signifying the sacrifices connected with the study of the four sections of the Vedas (chatur- Variation: Demzufolge ist die miḻāvu erstmals von dravya hōma) are performed. Finally pṛasannapuja (a Nandikeshvara, dem Vehikel von Lord Śiva gespielt ceremony that suggests that the deity is pleased) and worden (Bindu 2013: ​310). Er residiert in der sa­ nīrānjana (a rite with a view to propitiate) are performed kra­len miḻāvu. Nandikeshvara gilt wie die Trommel (Nambiar 1995: 103). selbst als brahmacari (Schüler Brahmas), der mit der Energie eines auf die Musik fokussierten Aske- Sodann legt ein Nampyār ein Stück Kuhhaut über ten ausgestattet ist. den Mund der miḻāvu und fixiert es. Der tanṭri spielt Als brahmacari wird die sakrale miḻāvu, die im daraufhin die Trommel, dann der Nampyār selbst. Tempel wohnt, wie ein Hindu durch sechzehn ve- Bevor das Instrument erstmals auf der Bühne ge- dische Rituale (shōdhashakriyakal ) geweiht, wobei spielt werden kann, durchläuft es weitere Riten, die nur das Hochzeitsritual entfällt. Als Asket verehrt vor Ort durchgeführt werden müssen. Eine sakrale die miḻāvu den Schöpfer Brahma durch Medita- miḻ­ā­vu wird nach den im Buch “Tantrasamuchcha- tion über das nadabrahma mit dem om-karam. Der ya” angeführten Begräbniszeremonien (samskara) durchgehende obertonreiche Klang desselben ist begraben, sobald sie irreparable Defekte aufweist. während des Spiels am Instrument ununterbrochen Nach einer derartigen Zeremonie muss Nandi- zu hören. Die rituellen Texte für die Weihen sind im keshvara rituell von der alten miḻāvu in das neue In- “Tantrasamucchaya” enthalten (Rajagopalan 1995: ​ strument transferiert werden (Nambiar 1995: ​104). 119). Sakrale miḻāvus dürfen auch heute noch nur Sollte kein neues Instrument dafür vorhanden sein, von Männern der Nampyār-Kaste gespielt werden so wird der Geist (chaintanya) des Nandikeshvara (Rajagopalan 2005: ​30)! Im Gegensatz zur Bespan- nach Reinigungszeremonien aus der alten miḻāvu in nungsmethode profaner Instrumente durchläuft die einen mit heiligem Wasser gefüllten Topf (kalasa) sakrale miḻāvu eine Anzahl hinduistischer Rituale, transferiert. Dieses Wasser wird dann nach den er- die vom tanṭri, dem Leiter religiöser Zeremonien, forderlichen Gebeten und Opfergaben in das “Sanc- durchgeführt werden.5 tum Sanctorum” – das innerste Heiligtum des Tem- Laut Nambiar wird der neue Korpus einer sakra- pels – gegossen, um den chaintanya mit der dem len miḻāvu auf einen Sitz aus Reis und anderen Kör- Tempel vorsitzenden Gottheit symbolisch zu verei- nigen (Rajagopalan 2005: ​31). 5 Der Ablauf einer solchen Weihe ist ebenfalls auf der DVD “Rhapsody of Beats” (2007) zu sehen.

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 406 Karin Bindu

Spielweise der Miḻāvu 90 Grad zu den waagrecht erhobenen Oberarmen stehen. Beim langsamen Spiel werden die Hände Im kūṭiyāṭṭam existieren drei Arten von Perkus­ ­ senkrecht bis auf Kopfhöhe angehoben, bevor sie sionssystemen,­ die durch das Spiel der miḻāvu ab- mit aller Wucht der Schwerkraft auf die Membran gedeckt werden. Dies ist einmal die Perkussion für der miḻāvu auftreffen. Devas lieben Kunst und Mu- Kriya Nrittam, wobei die Trommel genau definier- sik, daher werden in Indien vor allem sakrale Instru- ten caris (Bewegungsabläufen) der DarstellerInnen mente gerne laut gespielt, damit die Gottheiten bes- folgt. Nach Ansicht von Nambiar (1995: ​108) er- ser daran teilhaben können. Die Schwerelosigkeit gibt die Gesamtheit der cārīs, die auch rituelle Be- bzw. Nichtgewichtung der Handgelenke beim Spiel wegungsabläufe beinhaltet, durch deren phrasierte der miḻāvu ist von besonderer Bedeutung – die Hän- Umsetzung in diversen tālas das “Skelett” des musi- de bewegen sich durch diese Lockerheit fast flat- kalisch-rhythmischen Ensemblespiels (mēlam). Die ternd auf der Trommel, wodurch das Spielen in vier zweite Art des Spiels beschreibt Nambiar als mē­lam Geschwindigkeiten möglich wird. bezogen auf den emotional signifikanten Handlungs- Abgesehen von den beiden prinzipiellen Schlä- verlauf im kūṭiyāṭṭam in Reaktion auf wechselnde gen sind noch diverse Klangvariationen durch rāgas, rāsas und bhavas. Praktisch bedeutet dies die “Taps” einzelner Finger möglich, die ebenso wie Anpassung des miḻāvu-Spiels an verschiedenste Si- die Basisschläge eigene mnemotechnischen Silben tuationen, Gefühlsexpressionen und Melodien der erhalten (Bindu 2013: ​174). Im kūṭiyāṭṭam werden Charaktere innerhalb der kū­ṭiyā­ ṭ ­ṭ am-Performance die Silben, in denen tālas notiert werden, vayttāri (Nambiar 1995: ​7). Die dritte Spielweise ergibt sich genannt. Ein konkretes Silbenangebot für aufrecht für die Perkussionisten in Passagen, zu denen sich stehende einköpfige Trommeln aus dem “Nāṭya keine DarstellerInnen auf der Bühne befinden. Hier Śāstra” (Gupta 2003: ​486) wurde im Verlauf der erhalten sie die Möglichkeit, ihrer Spielkunst freien Jahrhunderte verändert und erweitert, wobei über Lauf zu lassen (Bindu 2013: ​97). Andere Möglich- die konkreten akṣaras (Silben für die jeweilige An- keiten perkussiver Expressionen ohne DarstellerIn- zahl der Schläge) für die im kūṭiyāṭṭam verwendeten nen bieten diverse orchestrale Tem­pel­kunst­for­men, tālas bis heute aufgrund der oralen Tradition kaum die erst in den letzten Jahrzehnten von Nam­biar Aufzeichnungen vorhanden sind. und Eswaranunni entwickelt wurden: Hierzu zäh- Rajagopalan erwähnt in einem Artikel über die len miḻāviltāyampaka, miḻāvoli, miḻ­ā­vil­kēḷi und mi­ miḻāvu vayttāris die “ThaKiTa” oder “Dhi Ka Tha ḻā­vil­paṇ­cā­ri­mē­lam (Bindu 2013: ​99). Ka, Dhi Ka Tha Ka, Dhi Kat ha ka Tha”, um Bei- Das praktische Spiel auf der miḻāvu oder der spiele für Übungslektionen zu veranschaulichen abhyasakuṭṭi ist nur initierten Spielern aller Kasten (2005: ​32). Ein anderes Beispiel notierter und in la- und inskribierten SchülerInnen aller Nationen vor- teinische Buchstaben übertragener Silben stammt behalten. Nach anfänglicher Initiation beginnt und von Nambiar. Die nun zitierte Rhythmusphrase im endet jeder Kontakt mit dem Instrument vor Perfor- muṟukiya tripuṭa tāḷam für einen als taṭṭu bezeich- mances gleichwie vor dem Training mit einem drei- neten Akt veranschaulicht die soeben beschriebene fachen abhivādiyam, der Begrüßung der drei Hin- Problematik der Notation: Sie weist kein er­kenn­ du Gottheiten Ganapati, Sarasvati und Lord Śiva. bares und nachspielbares Metrum auf. Mit überkreuzenden Handbewegungen berühren dabei die Finger dreimal abwechselnd die Trom- Ti tti tta, taṛahatthṛēm, taṛahatthṛēm, taṛahatthṛēm Ti tt kki tim ta ahatth ēm-ti tti tta, ti tti tth ēm melhaut und die eigenen Ohrläppchen. In weite- ṛ ṛ ṛ Ti tti tta taṛahatthṛēm … (Nambiar 1995: ​108). rer Folge werden auf der miḻāvu zwei prinzipielle Töne durch den Aufschlag der ganzen Hand erzeugt. Miḻāvu-Schüler des Kerala Kalamandalam notie- Sie werden als “Ta” und “Tu” bezeichnet, wobei ren alle tālas und kriyas (in diesem Fall spezielle der “Ta”-Schlag dem “Slap” der westafrikanischen rhythmische Phrasen) in Malayalam geschriebenen Djembe-Trommel ähnelt: Der schnalzende Auf- vayttāris, wobei meistens jedoch keine Zähl­zeiten schlag auf die vordere Mitte der Trommel erzeugt darüber geschrieben werden, sondern höchstens die einen hellen “knallenden” Klang. Der “Tu”-Schlag jeweilige Anzahl der Schläge (mātras). Sie wieder- wird ebenfalls durch Schnalzen mit Mittelfinger und holen lange Phrasen zunächst nur durch das Spre- Ringfinger auf den vorderen Rand des Instrumentes chen der jeweiligen Silben mit Hilfe eines Leh- in Körperrichtung zum/zur Spielenden ausgeführt. rers so lange, bis sie die komplette Phrase wie ein Der dabei erzeugte Ton klingt etwas tiefer als das Gedicht internalisiert haben. Erst dann erfolgt die zuvor beschriebene “Ta”. Beide Schläge werden Umsetzung derselben am Instrument. Ein Assis- aus der Schulter heraus ausgeführt, wobei die senk- tenzlehrer führt dazu mit der rechten Hand die ent- recht aufgestellten Unterarme in einem Winkel von sprechenden kriyas (Handgesten) aus, die eine me-

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Miḻāvu – göttliches Perkussionsinstrument im südindischen Sanskrit-Drama Kūṭiyāṭṭam 407 trische Unterteilung des jeweiligen tāla darstellen zum Unterricht afrikanischer und orientalischer (Bindu 2013: ​176). Wie auch in der südindischen Rhythmen verwende, für die Darstellung der kū­ karnatischen Klassik werden damit rhythmische ṭi­yāṭ ­ṭ am tālas angepasst (siehe Tabelle 1), die mir Elemente (angas) wie laghu (variable Anzahl von von K. Eswaranunni und dem Assistenzlehrer K. Schlägen), drutam (zwei Schläge) und anudrutam Achu­tha­nan­dan vermittelt wurden: Erklärungen zu (ein Schlag) innerhalb eines rhythmischen Zyklus den Inhalten der entsprechenden Zeilen sind in den markiert und durch besondere Symbole notiert. Spalten ganz rechts zu finden, die über die Zählzeit Aufgrund der Aneinanderreihung dieser drei angas hinausgehen (Bindu 2013: ​176). zu einem ganzen Zyklus (tāla avarta) wird die indi- Die erste Zeile jeder tāla-Tabelle enthält von sche Rhythmik im Gegensatz zur westlichen “divi- links nach rechts gelesen die Zählweise eines kom- siven Rhythmik” als “additive Rhythmik” bezeich- pletten Zyklus (tāla avarta), die aus ganzen und net (Bindu 2013: ​67–71). manchmal auch aus halben Schlägen (mātras) be- Kūṭiyāṭṭam-DarstellerInnen lernen Bewegungen, steht. Ganze Schläge werden durch Zahlen gekenn- die mit dem gesamten Körper ausgeführt werden, zeichnet, halbe Schläge durch ein “+” zwischen den ebenso über Silben. Diese unterscheiden sich je- Schlägen. doch mit Ausnahme der Silben für die kriyas von Die zweite Zeile symbolisiert die entsprechen- den vayttāri der miḻāvu, da jene mit spezifischen den kriyas, die betont oder unbetont durch Hand­ Schlagtechniken des Instrumentes in Zusammen- gesten ausgedrückt werden: Die Symbole “x”, hang stehen. In einer Tabelle wurden häufige Sil- “1”, “2” usw. entsprechen der Notation der kriyas benkombinationen aufgelistet, die beim Spiel der (Handbewegungen) wie in der karnatischen Musik. mi­ḻā­vu gebräuchlich sind: nrittum, tum, rihākkim, Das “x” wird als “Sam” bezeichnet und durch Klat- ttik­kim, tarhim, taṇdam, tatta, rittum u. ä. (Bindu schen gestikuliert, die “1” bedeutet das Tippen mit 2013: ​177). Einige davon werden bei spezifischen dem kleinen Finger der rechten Hand auf die nach rhythmischen Phrasen verwendet: Am Beginn eines oben gerichtete Handfläche der linken Hand, die “2” tāla (vaṭ ­ṭ a­miṭ ­ṭ uko­ ṭ ­ṭ uka), in der Schlussphrase eines bedeutet ein Tippen des rechten Ringfingers auf die tāla (vī­lak­kuka), bei spezifischen Rhythmen wie linke Handfläche, alle weiteren Zahlen werden mit aṭan­ta tāḷam, lakṣmi tāḷam und bei den als kriyas den nachfolgenden Fingern der rechten Hand dau- bezeichneten Zwischenphrasen, die oft unisono mit menwärts tippend bewegt. Tanzbewegungen der kūṭiyāṭṭam-DarstellerInnen Die dritte Zeile enthält bereits die Silben für die ausgeführt werden. Startphrasen (vaṭṭamiṭṭukoṭṭuka) der tālas, die da- Die in Kerala übliche Art, Rhythmen durch die rauf folgenden Zeile darunter jene für den durch- Symbole von laghu, drutam und anudrutam darzu- laufenden tāla-Zyklus (oḻukku), der zuletzt in ei- stellen bzw. durch ausgeschriebene mnemotechni- ner rhythmischen Schlussphrase (vīlakkuka) endet. sche Silben (vayttāri) mit vorangestellter Notiz­ der Unterstrichene Silben symbolisieren eine Betonung jeweiligen Anzahl von Schlägen (mātras), reicht des Schlages. nicht aus, um die genauen Zusammenhänge zwi- Das Symbol “# ” bedeutet eine längere Pause, die schen Zählzeit, kriyas und Schlagtechnik zu erken- der Länge einer Viertel- oder Achtelnote nach west- nen. Daher habe ich die Notationsmethode, die ich licher Notation entspricht, ein “*” zeigt eine kür-

Tabelle 1: ത്രിപുട താളം tripuṭa tāḷam: 7 mātras. 1 2 3 4 5 6 7 Zählweise X 1 2 x v X V Kriya

Ti Ti Ti Trēm Ki Ti Ki Trēm Ki Ti Tare Vaṭṭamiṭṭukoṭṭuka des Tāḷa, “Tare” = “Tareketa” Hakataka Takataka Takataka Tikataka Takataka Tikataka Takataka Durchgehender Rhythmus (Tikataka) des Tripuṭa Tāḷa Tikataka Takataka Takataka Ta*Ta Ti Ke ta ta* Ta Ti*Ta Ke ta ti* Bei Zahl 4 unserer Zählweise beginnt die Schlussphrase. Trēm Trēm = Flam

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 408 Karin Bindu zere Pause an, die mit einer Sechzehntelpause ver- auch als Grundlage aller sozialen und spirituellen glichen werden kann. Rhythmische Anfangsphrasen Relationen. (vaṭṭamiṭṭukoṭṭuka) enthalten – wie bereits erwähnt – spezielle Schläge, die “mit Silben wie ‘Nritum’, ‘Ritum’, ‘Ti’, ‘Ke’, ‘Tarrehā’, ‘Tei’, ‘Him’, ‘Ri’ ” be- Miḻāvu-Perkussionisten zeichnet werden (Bindu 2013: ​177 f.). am Kerala Kalamandalam Die obige Tabelle 1 aus Bindu (2013: ​179) zeigt meine Notationsmethode am Beispiel des tripuṭa Das soziale Umfeld der miḻāvu-Perkussionisten tāḷam, dessen Zyklus sieben Schläge um­fasst: am Kerala Kalamandalam entwickelt sich im Zu- Die ersten drei “Ti”-Schläge werden dabei mit sammenhang mit ihrer künstlerischen Ausbildung dem Zeigefinger der rechten Hand zart auf den vor- auf vier Ebenen durch ihre Relationen zu 1) Gurus, deren Rand der miḻāvu geschlagen, so dass ein dem 2) kū­ṭi­yāṭ ­ṭ am-DarstellerInnen, 3) MusikerInnen und “Tu”-ähnlicher Klang entsteht. Das anschließen- 4) der miḻāvu. de “Trēm” bedeutet einen “Flam”-Schlag: Zwei “Slap”-Schläge links beginnend werden schnell nacheinander gesetzt, wobei der zweite Schlag 1) Gurus (rechte Hand) ­exakt am vierten mātra landet. Die darauf folgenden Silben “Ki”, “Ti”, und “Ki” be- Miḻāvu-SchülerInnen des Kerala Kalamandalam deuten drei weitere “Slap”-Schläge, die zuerst mit sprechen männliche Gurus als accan (Vater) an der linken, dann mit der rechten, und schließlich und weibliche Gurus als “teacher”. In modifizier- wiederum mit der linken Hand auf die vordere Mitte ter Form wird hier seit der Gründung des kū­ṭi­yāṭ­ der Membran gespielt werden. Das folgende “Tare” ṭam-Institutes im Kalamandalam im Jahre 1965 das könnte zur Annahme führen, dass hier zwei Schlä- alte Unterrichtssystem, das Chelladurai (1991: ​15) ge erforderlich sind, dabei handelt es sich jedoch als “Gurukula Vasam” bezeichnet, mit den Metho- um eine Verkürzung der Silbenkombination “Ta- den einer kontemporären Internatschule verknüpft. ReKeTa”, die vier Schläge umfasst. Deren Spiel- Durch die anfangs erwähnte Öffnung der kū­ṭiyā­ ṭ­ geschwindigkeit ist mit Zweiunddreißigstel Noten ṭam-Kunst für SchülerInnen aller Kasten findet der vergleichbar. Unterricht losgelöst von der ursprünglich matriline- Das erste “Hakataka” der nächsten Zeile be- aren Art der Weitergabe innerhalb der Cākyār- und schreibt den Beginn des durchgehenden tripuṭa tā­ Nampyār-Familien statt (Moser 2008: ​26–28). ḷam. Das am vierten mātra befindliche “Tikataka” Steinmann (1986: ​35 f.) vergleicht das Guru-Śiṣ­ wird auf die gleiche Weise gespielt: Durch abwech- ya-Verhältnis mit der Beziehung zwischen Mutter selnde “Slap”-Schläge der rechten und linken Hand, und Kind und zwischen Vater und Sohn, wobei die wobei das unterstrichene “Ha” und “Ti” betont wer- vertrauensvolle Hingabe in die Führung durch den den. Diese Betonungen passieren zeitgleich mit dem Guru eine zentrale Rolle einnimmt (s. auch Bindu Klatschen auf dem ersten Schlag (Sam) der kriyas. 2013: ​256). In den “Viṣṇu-smṛti” repräsentieren laut Bei kūṭiyāṭṭam-Aufführungen produzieren kuḻ­itā­ ­ Steinmann (1986: ​39–41) Mutter, Vater und Leh- lam-Spielerinnen ebenfalls einen hellen Klang auf rer (acārya) als aligurus, die höchsten Gurus eines der “Eins”, so dass hiermit ein hörbarer gemeinsa- Menschen. Sie werden mit den drei vedas, den drei mer Orientierungspunkt für den Beginn des rhyth- Gottheiten Brahmā, Viṣṇu und Śiva, den drei Welten mischen Zyklus entsteht (Bindu 2013: ​78 f.). (der Menschen, der Götter und des Brahman) und Wie man am Beispiel des tripuṭa tāḷam erken- den drei Feuern gleichgesetzt. Der Vater gilt hier- nen kann, gibt es keine einheitliche Ordnung in der bei als Haushaltsfeuer, die Mutter als zeremoniel- Korrelation von Silben und Schlagkombinationen les Feuer und der Guru als heiliges Feuer (s. Bindu am Instrument, deren Anwendung noch zusätzlich 2013: 256). von LehrerIn zu LehrerIn Variationen aufweisen kann. Das Erlernen eines indischen Perkus­ sions­ ­ Nach der einen Etymologie “hemmt” (ru) der Guru “die instru­men­tes im traditionellen Kontext ist daher Finsternis” (gu) – eine Worterklärung, die weiteste Ver- breitung gefunden hat –, nach der anderen charakteri- ohne LehrerIn nicht möglich und auch nicht emp- sieren den Guru die Qualitäten “Reichtum des Wissens” fehlenswert. Viele Feinheiten und Besonderheiten (gu), “Erwecker” (r) und “Identität mit Śiva” (u) (Stein- individueller Spielweisen und Arrangements gehen mann: 1986: ​101). durch Notation verloren. Wie im nächsten Kapitel zu lesen sein wird, dient die in Indien übliche inten- Kūṭiyāṭṭam- und miḻāvu-LehrerInnen überneh- sive Beziehung zwischen LehrerInnen und Schüle- men für die im Internat lebenden SchülerInnen aus rInnen nicht nur der Wissensvermittlung, sondern verschiedensten Kasten die Rolle der Eltern und

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Miḻāvu – göttliches Perkussionsinstrument im südindischen Sanskrit-Drama Kūṭiyāṭṭam 409

Ours is a marumakkathaya (matrilineal) family. My first Guru is Meledath Govindan Nambiar. Under him, I learnt the fundamental lessons, Mathavilasom kriyas, Angu­ ­lee­ yan­kam kriyas. Mostly the ritual elements. Advanced lessons I had were from my uncle, Kochambilly Raman Nambiar. I learnt from him all major aspects related to the playing for detailed acting. For certain slokabhinaya (en- actment of stanzas) the playing is distinctive. This I stud- ied from him besides Mizhavil (solo perfor- mance on the ). I was the first one to present a Mizhavil Thayambaka recital. I composed new patterns of playing in it; three forms of playing (Interview mit Nam- biar in Bindu 2013: ​112).

P. K. Naranayan Nambiar begann im Jahre 1966 das Spiel auf der mi āvu außerhalb der Fami­lien­ Abb. 3: P. K. Naranayan Nambiar, 2006 (Foto: © Karin Bindu). ḻ tradi­tion am kūṭiyāṭṭam-Department des Kerala Ka- lamandalam zu unterrichten und K. Eswaranunni, des Gurus, wodurch sie höchste Verehrung und Re- mein accan, war sein erster Schüler gewesen, der spekt erhalten. SchülerInnen werden wie eigene nicht aus der Nampyār-Kaste stammte. Nambiar be- Kinder behandelt, die einerseits elterliche Liebe so- fürwortete in seinem Interview mit mir (2013: ​116) wie die Liebe zur Kunst erfahren, andererseits je- die Tatsache, dass in der heutigen Zeit auch Schü- doch wie von leiblichen Eltern für Nichtkönnen und ler anderer Kasten miḻāvu lernen können. Ein Nach- Fehlverhalten bestraft werden dürfen. Körperliche teil ergibt sich jedoch seiner Ansicht nach aufgrund Züchtigungen im geringen Ausmaß, das Untergra- des Verlustes der Übernahme spiritueller Pflichten: ben des Selbstbewusstseins und der Ausschluss aus Für die Nampyār bedeutet das Spiel der miḻāvu die der Klasse bei negativem Prüfungsausgang gehö- Hingabe an die Gottheiten sowie die Verpflichtung ren trotz Modernisierung zu den praktizierten Be- ritueller Wissensweitergabe zur Aufrechterhaltung strafungsmethoden einiger LehrerInnen des Kerala der Tradition, für die Perkussionisten anderer Kas- Kalamandalam (Bindu 2013: ​256). ten aber oft nur Hingabe an die Kunst selbst. Das miḻāvu-Department des Kerala Kalaman- Nambiars erster Schüler aus einer anderen Kas- dalam ist vor allem durch die beiden Gurus P. K. te (Wāriyar) – K. Eswaranunni – beendete seine Naranayan Nambiar und dessen Schüler K. Eswa- Ausbildung am Kalamandalam mit Auszeichnung ranunni geprägt. Nambiar wurde 1927 in eine der und wurde 1981 vom kūṭiyāṭṭam-Zentrum “Margi” achtzehn Nampyār-Familien – der Familie Kocham- in Trivandrum als Lehrer engagiert. 1983 kehrte er pilly – geboren. wieder ins Kalamandalam zurück, wo er seitdem als

Abb. 4: K. Eswaranunni, 2010 (Foto: © Karin Bindu).

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 410 Karin Bindu

Leiter des miḻāvu-Departmenst unterrichtet. 1998 dalam 1965, wodurch die miḻāvu-Perkussionisten wurde sein Schüler K. Achuthanandan sein Assis- aus nächster Nähe den Bewegungen und emotio­ ­ tenzlehrer, wodurch die unterschiedlichen Niveaus na­len Expressionen der DarstellerInnen folgen der Schüler, die im praktischen Unterricht in einer konnten.­ Diese Entwicklung der vom Aussterben Klasse zusammengefasst werden, effizienter -be be­droh­ten Kunstform war durch den ersten “Tradi­ ­ rücksichtigt werden konnten. 2008 folgten K.Sajith tions­bruch” – Painkulam Rama Chakyars erste Auf- Vijayan sowie K. Dhanarajan als temporäre Assis- führung außerhalb der Tempeltheater im Jahre 1949 tenzlehrer. – ermöglicht worden. Auf performativer Ebene un- Obwohl K. Eswaranunni die meisten Studenten terscheiden miḻāvu-Perkussionisten nicht zwischen der heutigen miḻāvu-Abteilung selbst angeworben DarstellerInnen aus Cākyar- und Nampyār-Familien hat und den Großteil aller gegenwärtig praktizieren- und DarstellerInnen anderer Kasten – hier haben die den miḻāvu-Perkussionisten ausgebildet hat, wird er Perfektion der Aufführung und effektives Zusam- in den meisten Artikeln über kūṭiyāṭṭam nicht na- menspiel Priorität (Bindu 2013: ​235). mentlich erwähnt. Trotz vielfältiger Auszeichnun- Die Zugehörigkeit zum Ausbildungszentrum ist gen als Meister-Perkussionist mit großer “devotion” vor allem durch namentliche Kennzeichnung der Per- erhielt er aufgrund seiner Abstammung nicht die kussionisten definiert: Der Anfangsbuchstabe des- Anerkennung, die ihm als Nampyār zuteil gewor- selben wird mit einem darauf folgenden Punkt dem den wäre. Innerhalb der kūṭiyāṭṭam-Gemeinschaft Namen des miḻāvu-Perkussionisten vorangestellt wird er jedoch hoch angesehen. Die Assistenzlehrer (K. Eswaranunni bedeutet demnach Kalamandalam wie auch seine siebzehn Schüler (im Jahre 2012) re- Eswaranunni). “In Kerala gibt es inzwischen acht spektieren ihn nach wie vor als accan (Bindu 2013: ​ kūṭiyāṭṭam-Zentren: Kerala Kalamandalam (Che-­ 261). In einem Artikel in der Zeitschrift The Hindu ru­thu­ruthy), Natana Kairali (Irinjalakuda), Margi vom 30. 01. 2014 kündigte K. Eswaranunni weite- (Tri­vandrum),­ Pottiyil (Ernakkulam), Nepatya in re Publikationen sowie die Kreation neuer rhyth- Muzhi­ku­lam (Aluwa), Ammanur Chachu Cha­kyar mischer miḻāvu-Ensembles nach seiner Pensionie- Gu­ru­ku­lam (Irinjalakuda), Manimadhavachakyar rung 2015 an. Sma­ra­ka Gurukulam (Killikkurussimangalam) und das Smaraka Kalapitam (Painkulam)” (Bindu 2013: ​ 235). 2) Kūṭiyāṭṭam-DarstellerInnen Moser (2008: ​72) betrachtet das Ammanur Cha­ chu Chakyar Gurukulam in Verbindung mit Natana Die Relationen der miḻāvu-SchülerInnen zu kū­ṭi­yāṭ­ Kairali, das Kalamandalam und das Zentrum Margi ṭam-DarstellerInnen werden von den folgenden Kri- als “große” Institutionen, die an den jeweiligen Tra- terien beeinflusst: ditionen der Mentoren festhalten und die jeweils ei- gene Tradition als vielversprechendste propagieren. – Unterscheidung nach Herkunft der DarstellerIn- Im Rahmen meiner Feldforschungen erhielt ich nen aus Cākyar- und Nampyār-Familien oder an- den Eindruck, dass jedes Zentrum für sich indivi- deren Kasten, duellen Entwicklungen folgt, die nicht nur eigene – Zugehörigkeit zum Ausbildungszentrum als Stile der Performance, eigene Publikationen und Träger einer spezifischen Tradition innerhalb des Unterrichtsmethoden umfassen, sondern auch un- kūṭ­i­yāṭ ­ṭ am, terschiedliche Vorgehensweisen im Marketing und – Altersunterschied in Verbindung mit dem Ausbil- bei der Vernetzung mit anderen Institutionen und dungsniveau, SponsorInnen haben. – Geschlecht und den Aufgaben im Kontext der Geschlecht und Ausbildungsniveau beinflussen performativen Praxis. die Relationen der miḻāvu-SchülerInnen zu kū­ṭi­yāṭ­ ṭam-DarstellerInnen im Kerala Kalamandalam auf Bereits mehrfach wurde auf den Traditionskon- folgende Weise: Der Internatsunterricht findet in ge- text und die Problematik zwischen konkurrierenden schlechtlich getrennten kalaris (Trainingsräumen) TraditionshüterInnen und KünstlerInnen anderer statt. Die achtjährige Ausbildung endet mit dem Titel Kasten hingewiesen, hier soll nun noch ein weite- B. A., der bei Interesse in zwei weiteren Jahren zum rer Aspekt genannt werden, der sich laut Vasudevan M. A. erweitert werden kann (Gramaprakasan 2007: ​ Namputirripad (Bindu 2013: ​133) am stärksten auf 5 f.). Neue miḻāvu-Schüler bezeichnen ihre miḻāvu- SchülerInnen des Kerala Kalamandalam ausgewirkt und ihre kūṭiyāṭṭam-Mitschüler als “Brüder”, wobei hat. Es ist dies die Einführung kombinierter Unter- noch zwischen “Bruder” und “älterem Bruder” un- richtsklassen mit SchülerInnen aus verschiedens- terschieden wird. Kūṭiyāṭṭam-Schülerinnen werden ten Kasten in den Anfängen des Kerala Kalaman- als “Schwestern” angesprochen, ihre männlichen

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Miḻāvu – göttliches Perkussionsinstrument im südindischen Sanskrit-Drama Kūṭiyāṭṭam 411

Lehrer als “Väter” und die kūṭiyāṭṭam-Lehrerinnen Geborgenheit, um die Härte der Ausbildung abseits als “teacher”. Miḻāvu-Schüler nehmen erst ab einem des Elternhauses zu ertragen (Bindu 2013: ​251). spezifischen Perfektionsgrad ihrer Spielkunst bzw. Im Kontext der Performance reagiert auf die dem ersten Bühnenauftritt (arrangetam) nach drei DarstellerInnen jener miḻāvu-Perkussionist, der Ausbildungsjahren an gemeinsamen Proben mit mehr Spielerfahrung mitbringt, während ein zwei- kūṭiyāṭṭam-SchülerInnen teil, die im kūtampalam ter Spieler gemeinsam mit den kuḻitālam(Zimbel)- stattfinden (Bindu 2013: ​245). Spielerinnen den tāla aufrechthält. Die Perkus- Die Aufgaben der miḻāvu-Perkussionisten im sionisten müssen den Inhalt und Ablauf einer performativen Kontext umfassen nicht nur die Invo- Dar­stellung­ bereits kennen, um auf die Darstellung kation der Gottheiten und Kräfte zu Beginn der Per- und deren Unterbrechung durch die Intonation von formance, die rhythmische Aufrechterhaltung des Sanskrit-Versen reagieren zu können. Sofern darge- tāla und die fein abgestimmte Begleitung aller Ex- stellte Akte aus bestimmten Sanksrit-Dramen noch pressionen der DarstellerInnen, sondern auch eine nicht in der Klasse unterrichtet wurden, werden vor ganze Palette von Nebentätigkeiten, die hier kurz einem Auftritt Kramadīpika (Handbuch für den Ab- aufgezählt werden sollen: Bespannung und Aufbau lauf) ausgetauscht. Iṭakka Perkussionisten erfüllen der miḻāvu, die Reinigung der viḷakku (Öllampe) für im performativen Kontext lediglich die Aufgabe zur Garderobe und Bühne, das Entzünden und Nachfül- klanglichen Gesamtatmosphäre durch Improvisati- len derselben, Hilfestellung bei der Kostümierung on beizutragen (Bindu 2013: 254). der DarstellerInnen sowie die Ankündigung des je- weiligen Stückes vor dem Beginn der Darstellung. Innerhalb der Klasse erfüllen miḻāvu-Schüler noch 4) Miḻāvu weitere Aufgaben, wie Massage des Lehrers, die Wartung der abhyasakuṭṭis, Auflegen und Wegräu- Die Beziehung der Perkussionisten zur miḻāvu be- men der Reismatten, Einladen des Bühnenequip- ginnt mit der Initiation, die nach einer rituellen Rei- ments in das Tourenfahrzeug, kleine Einkäufe, Pflü- nigung die Aufnahme in den spirituellen Kreis der cken von Blumen für die Dekoration der Bühne u. ä. Gurus, devas und der miḻāvu-Perkussionisten be- (Bindu 2013: ​248 f.). deutet. Durch die Erzählung der Mythologie des Abgesehen von diesen Aufgaben sind Nampyār- Instrumentes und die Gebete an devas und an den bzw. miḻāvu-Perkussionisten zur Aufführung von als “timekeeper” im Instrument wohnenden Nan- padhakam verpflichtet: Laut Gramaprakasan (2007: ​ dikeshwaran erhalten auch profane Ausführungen 12 f.) bezeichnet padhakam eine Art des Geschich- der miḻāvu sakrale Bedeutung, die Ehrfurcht und be- tenerzählens, die von den Nampyār im Unterschied sonderen Respekt gebietet. Die ersten Instrumente, zur Soloerzählung des cākyār kūttu entwickelt wor- mit denen miḻāvu-SchülerInnen durch den Lehrer in den war und bei Tempel-Festivals außerhalb des Berührung gebracht werden, sind die Übungstrom- kūttampalam aufgeführt wird. meln (abhyasakuṭṭikkal) aus dem Holz des Jack- fruchtbaums. Abhyasakuṭṭikkal bedeutet aus dem Malayalam übersetzt “Übungskinder”. Mit dersel- 3) MusikerInnen ben liebevollen Umsicht und Hingabe, mit der Kin- der behandelt werden, pflegen miḻāvu-SchülerInnen Die Beziehungen der miḻāvu-Perkussionisten zu die Instrumente (Bindu 2013: ​167) des Kerala Ka- weiteren MusikerInnen im Kontext des kūṭiyāṭṭam lamandalam, die ihnen während der Ausbildung zur können nach ihren Relationen innerhalb des kalari Verfügung gestellt werden. und im Kontext der Performance differenziert wer- Das arrangetam, die zeremonielle erste Auffüh- den. Innerhalb des “Miḻāvu Kalari” funktionieren rung nach drei Jahren Unterricht, bei der Schüle- Unterricht, Aufgabenverteilung und Sitzordnung rInnen mit großen kupfernen miḻāvus vor Publikum beim praktischen Training nach einem – vom Grad im kūttampalam spielen, bedeutet einen Meilenstein der Ausbildung abhängigen – hierarchischen Sys- in ihrer Ausbildung als professionelle Perkussionis- tem. Neue Schüler nehmen nach der Initiation ih- ten. Die Lehrer erhalten Ehrungen, Geschenke und ren Platz auf der Reismatte in größter Entfernung Gebete von SchülerInnen sowie deren Eltern im zum ältesten Schüler ein. Sie werden von den älte- “Green Room” hinter der Bühne, bevor die Schüle- ren Schülern angeleitet, ein selbstständiges Leben rInnen zum ersten Mal die Bühne mit der rhythmi- abseits vom Elternhaus zu führen und alle für die schen Invokation miḻāvoccappeṭuttal von den Dä- miḻāvu-Kunst notwendigen Tätigkeiten zu verrich- monen befreien. Damit werden nicht nur die devas ten. Der gemeinsame Alltag mit den älteren Schü- für die folgende Performance eingeladen, sondern lern bietet ihnen ein neues Zuhause sowie die nötige es wird auch eine besondere Art energetischer Ver-

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 412 Karin Bindu

Abb. 5: K. Sajith Vijayan, 2007 (Foto: © Karin Bindu). bindung zwischen Perkussionisten, dem Instrument, nen digital vernetzt, sondern neueste Fotos und den devas und auch den DarstellerInnen aufgebaut. Videos von Performances werden im Cyberspace Sobald eine DarstellerIn die Bühne betritt, führt gepostet ( 2009; Mizhavu 2009: diese mit dem Gesicht zur miḻāvu gewandt hinter mit ­Ashan K. Eswaranunni und K. Sajith Vijayan in dem Vorhang eine rituelle Schrittfolge durch, die jungen Jahren). Einige miḻāvu-Spieler nehmen welt- maṟayilkriya genannt wird, wie auch Moser (2008: ​ weit an Roysten Abels Show “The Kitchen” (Abel 88) erwähnte. Dabei wird von der miḻāvu durch das 2013) teil, deren Kulisse aus einem hohen Stahlge- Spiel der Perkussionisten Kraft auf die DarstellerIn- rüst eine halbierte miḻāvu mit mehreren Ebenen dar- nen übertragen. stellt, auf denen die Perkussionisten spielen. Während aller weiteren Ausbildungsjahre sind Mein Weg als miḻāvu-Schülerin von K. Eswara- miḻāvu-SchülerInnen, wie bereits angedeutet, für nunni begann 2005 mit einem dreimonatigen Auf- die Wartung und Pflege der Instrumente des Kerala enthalt in der miḻāvu-Klasse in Begleitung meiner Kalamandalam zuständig. Erst nach dem Abschluss beiden Kinder, dem im Folgejahr ein weiterer Mo- legen sich AbsolventInnen eigene Instrumente zu, nat sowie mehrere Kurzaufenthalte bis 2012 folgten. die meistens wegen des leichteren Transports eine Durch den Fokus meiner Forschungsarbeit habe ich mittlere Größe aufweisen. mich auf das Erlernen der sieben tālas kon­zen­triert. Sakrale miḻāvus, die als brahmacari (­Schüler Aufgrund der physischen Anstrengung, die das Brahmas) (Bindu 2013: ​168) betrachtet werden, Spiel der miḻāvu mit sich bringt, und wegen meiner dürfen nach wie vor nur von Mitgliedern der Nam­ musikalischen Vielfalt an Per­kus­sions­instru­men­ten pyār-Kaste gespielt werden und residieren im kūt­ diverser Kulturen, habe ich beschlossen, den Weg tam­pa­lam der jeweiligen Tempel. Bei der Weihe ei- als miḻāvu-Spielerin derzeit nicht fortzusetzen. Den- ner neuen sakralen miḻāvu fungiert ein Nampyār als noch fühle ich mich nach wie vor mit meinem accan Assistent des Priesters. Durch das erstmalige Spiel und den Brüdern der miḻāvu-Abteilung des Kerala wird durch den Nampyār der im Instrument residie- Kalamandalam im Herzen und in der hinduisti- rende Nandikeshwaran im Sinne der Familientradi- schen Spiritualität verbunden. Mit dem nun folgen- tion erweckt. den Gebet an die Gottheiten, das Teil meiner Initia- In Bezug auf die miḻāvu-Perkussionisten des Ke- tionszeremonie war (Bindu 2013: ​15), bedanke ich rala Kalamandalam bedeutet diese Phase eine neue mich für eine lehrreiche Zeit am Kerala Kalaman- Art und Weise der Entwicklung und Kom­mu­ni­ka­ dalam: tions­mög­lich­keit ihrer Kunst. So sind bei­spiels­weise miḻ­āvu­ -AbsolventInnen nicht nur in einer Face­ Mahaa ganapatee nama book-Gruppe vereint sowie auch als Ein­zel­perso­ Großer Ganapathi/Ganesh sei gegrüßt

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https://doi.org/10.5771/0257-9774-2016-2-395 Generiert durch IP '170.106.202.8', am 30.09.2021, 17:54:13. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Miḻāvu – göttliches Perkussionsinstrument im südindischen Sanskrit-Drama Kūṭiyāṭṭam 413

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