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Basketball MONSTER UND MESSIAS Er steht für Disziplin und Ehrgeiz: hat deutsche Wertarbeit ins uramerikanische Spiel eingebracht, die Seattle SuperSonics sind mit ihm zum Favoriten der US-Profiliga avanciert. Doch der Erfolg, für den er wie besessen rackerte, stellt den besten deutschen Basketballspieler nicht zufrieden.

eden Sonntag, zur Frühschoppen- le zustimmend; doch sein Banknachbar, Führung und mentale Stärke gibt. Um zeit, wagt Berthold Schrempf einen Kendall Gill, rückt kaum merklich zur zu gewinnen, brauchen wir ihn“. Jneuen Versuch, seinen Sohn zu ver- Seite. Denn eigentlich bedauern sie im Der Weiße als verlängerter Arm des stehen. Dann sieht der ehemalige Stra- Team, daß der Spaßvogel Derrick weißen Cheftrainers zur Disziplinierung ßenbau- und Kanalarbeiter aus Lever- McKee im Tauschgeschäft nach India- eines Teams exzentrischer Schwarzer – kusen-Neuboddenberg fern, napolis abgegeben wurde – und dafür ei- die Denkraster des Profisports sind so aus der amerikanischen Profiliga. ner kam, der nie wegen seines Witzes, schlicht. Schrempf akzeptiert jede Rolle Der Sohn nimmt teil am Wettkampf sondern höchstens dadurch auffällt, daß und gibt, was er hat. Das ist nicht nur der Dollarmillionäre, meistens gewinnt er auch die größten Basketball-Entertai- ein Job, sondern das Leben an sich. er sogar. Den Vater macht das eher stut- ner zurechtweist: „Charles Barkley soll- Daran glaubt er. zig als stolz. Auch er sei ja „ein bißchen te sich weniger in Kneipen prügeln.“ Von Egotrips a` la Barkley träumt er ehrgeizig“ gewesen, aber gleich so stre- Wie einst Matthäus in Mailand wird allenfalls. In diesen Momenten versi- berhaft? Sein Junge, er hat es immer ge- Schrempf nicht geliebt. Doch geduldet chert er, daß man „nicht alles im Sinne ahnt, sei „irgendwie anders“. und anerkannt wird der Deutsche, weil von Verpflichtungen und Loyalität“ se- Detlef Schrempf, 31, sitzt in East Ru- er, so Ersatzspieler Rick King, „uns hen dürfe, wo doch die Klubs „Men- therford (New Jersey) nackt und breit- beinig in der Kabine. Deo, Haargel, Handcreme und CD-Player liegen, ak- kurat aufgereiht, neben ihm, Bandagen pressen Eisbeutel gegen die Schienbei- ne. Der Schweiß tropft noch vom Kör- per, da liest der Profi bereits die Stati- stik des Spiels, vor allem die eigene. 17 Punkte aus 9 Würfen, 7 Vorlagen. Schrempf war der Beste – die Seattle Su- perSonics haben dennoch verloren. Tage wie dieser sind ohne Sinn. Hatte er nicht vorher in knappen Worten aber- mals an das Gemeinschaftsgefühl appel- liert, hatte nicht Trainer George Karl den Weg des Balles gleichsam program- miert? Und doch haben die vier Schwar- zen um Schrempf alles anders gemacht und damit den New Jersey Nets den Sieg geschenkt. Als die Sündenböcke unter der Brau- se stehen, setzt sich der Coach kurz dem Blonden gegenüber. Fünf Schrempfs auf dem Feld, sagt Karl, „und wir hätten ge- wonnen“. So wie der Fußballklub Inter Mailand lange dachte, nur mit Lothar Matthäus und teutonischen Tugenden italienische Meistertitel gewinnen zu können, glaubt nun das Basketballteam aus Seattle an Detlef Schrempf aus Leverkusen, und damit an Arbeit, Einsatz, Disziplin. Seit der Deutsche für Seattle spielt, gelten die SuperSonics, die „Überschallflie- ger“, als Favorit der nordamerikani- schen Basketball-Liga NBA. „Show und Egoismus hasse ich“, sagt Schrempf. Bei solchen Sätzen lächeln al- Basketballprofi Schrempf: „Führung und mentale Stärke“

168 DER SPIEGEL 10/1994 links und stößt ihn mit rechts – wenn der Punktgewinn angesagt wird, ist Schrempf längst auf dem Weg in die eigene Hälfte, biegt bei Gratulatio- nen nur leicht die Hand zur Seite. Wenn Schrempfs Vater solche Szenen daheim im Wohnzim- mer beobachtet, scheint ihm sein Sohn noch kräftiger als frü- her, noch stärker: „Er hatte ja immer nur den Sport im Kopf.“ US-Star O’Neal: Im Zeitraffer Geld verdienen Weil die Mitspieler zu rauchen begannen, schenhandel“ betreiben. Sekunden spä- ist er mit 13 Jahren vom Fußball zum ter ist Schrempf jedoch wieder der, der Basketball gewechselt, radelt täglich elf er immer war: Basketballer, 24 Stunden Kilometer zum Training nach Leverku- im Dienst, stets topfit, denn „dafür wer- sen. Als ihm einer den Kiefer ausrenkt, de ich bezahlt“. legt die Zahnklinik eine Schiene an: Ei- Die große Geste eines Barkley, der gentlich darf der Schüler drei Wochen seine Überlegenheit zur Schau stellt, lang keinen Sport treiben, doch am liegt Schrempf nicht. Auch er liebt Dun- nächsten Tag spielt er wieder – das kings, und doch preßt er den Ball nur in Landrat-Lucas-Gymnasium muß sich den Ring. Das Beherrschen des Spiels für das Bundesfinale qualifizieren. Da ist die Aufgabe und nicht seine Schön- füllt sein Trainer Otto Reintjes einen heit. Selbst das Gardemaß von 2,07 Me- Bewertungsbogen aus: „Detlef kann ein ter scheint Produkt seines Willens zu guter Bundesliga-Spieler werden.“ sein, und so bleiben keine Schwächen. Dem reicht das nicht. Als er den El- Schrempf steht für deutsche Wertarbeit tern, die bis dahin nicht ein Spiel von im uramerikanischen Spiel. ihm gesehen hatten, sagt, daß er nach Was ablenkt, wird bestenfalls beiläu- Amerika will, antworten die: „Mach fig wahrgenommen. So hektisch wie de- nur, Junge.“ Er findet eine High-School vot unterrichtet ihn Öffentlichkeitsar- im Staate Washington, wo er als „dead beiter Marc Moquin, welche PR-Anfra- shrimp“, tote Krabbe, verspottet wird – gen er wieder abgebogen hat: Schrempf und bleibt, bis sie ihn „Det the Threat“ nickt nicht einmal, sondern referiert nennen: Detlef, die Bedrohung. Als er erkennt, wie im scheinbar kör- perlosen Basketballspiel hingelangt „Er ist fanatischer wird, geht er zum Zusatztraining in die als alle, Hinterhöfe, dorthin, wo einem die Ar- me gebrochen werden, bis man die die ich kenne“ Tricks kennt. Jeder Spitzenspieler, sagt der wohl nächstbeste deutsche Profi, weiter über die Teams, die ihm den Ti- der Leverkusener , tel streitig machen. müsse „basketballverrückt“ sein. Doch Natürlich ist sein Spiel nicht ohne Fas- Schrempf ist ihm „fremd“ – fanatischer zination; wenn er allein den Gegner so „als alle, die ich kenne“. hart attackiert hat wie eine sechsköp- Dennoch demütigten ihn die Profis fige Handballabwehr den Kreisläufer, der über vier Jahre. In schleicht er danach arrogant und sieges- den letzten Minuten, wenn das Spiel gewiß über das Feld wie Shir Khan, der schon gewonnen war, durften sich die Tiger aus dem „Dschungelbuch“. Neulinge profilieren; doch die Stars Bei Freiwürfen ist keinem so wie ihm warfen Pässe, die nicht zu fangen wa- die Sicherheit anzusehen: Da steht ei- ren. Schon am ersten Tag verstand ner, der weiß, daß sein zehntausendfach Schrempf, warum: „Du versuchst nun geprobtes Ritual definitiv dazu führt, mal, einem andern den Job zu neh- daß der Ball durch den Ring fällt. men.“ Zackig tritt er an die Linie, kaut den Uwe Blab, sein deutscher Leidensge- Kaugummi, drückt die Zunge gegen die nosse in Dallas, flog heim. Henning Backen und öffnet den Mund. Er tippt Harnisch gab nach drei Wochen im Col- den Ball dreimal auf, hebt ihn fast zärt- lege „den Gefühlen nach“, mochte nicht lich hoch und geht zugleich in die Hok- akzeptieren, daß Basketball in den USA ke, starrt auf den Korb, als wollte er ihn Selbstaufgabe verlangt. Schrempf hielt hypnotisieren. Er stützt den Ball mit durch, ließ sich nach Indiana verscha-

DER SPIEGEL 10/1994 169 SPORT chern – und schaffte die Karriere, die er gedrungen ist, glaubt, daß der Kampf einst wie am Reißbrett geplant hatte. nun vorbei ist – kennt er nicht. Wie an- So wurde er zu jener Art Symbolfigur dere Arbeiter des Sports, der Tennis- wie der Regisseur Wolfgang Petersen spieler Jim Courier etwa oder die Ski- oder der Schauspieler Armin Mueller- fahrerin Katja Seizinger, ist er nie wirk- Stahl: Deutsche, die Amerika erobern, lich mit sich zufrieden. Einzelkämpfer, die sich selbst in Boom- Mit Deutschland, sagt er, hat er abge- Zeiten nicht recht fassen lassen. schlossen. Er bittet nur noch, daß die Schrempf geht, wie NBA-Profis ge- Nation beim Hören der Hymne mehr hen. Die Füße scheinen zu rollen, die Rührung zeigen möge; den Zweiten Schultern schwingen, alles lässig, de- Weltkrieg, diesen „großen Block auf monstrativ cool. Der Kollege Shawn dem Rücken“, müßten die Deutschen Kemp trägt Nerz, Sam Perkins Sonnen- abwerfen, weil, ganz einfach, „jedes brille, Schrempf trägt immerhin das Land ’ne Geschichte“ habe. Hemd über der Hose und guckt, wie die Doch nicht einmal sportlich klappt es anderen, hartnäckig an Fans und Hotel- mit Deutschland noch. Bei Olympia in direktoren vorbei. Barcelona beklagte „Messias“, wie er Gesprächen versucht Schrempf sich bei den Mitspielern hieß, die „einfache zu verweigern, auch wenn er sich ihnen Taktik“; alles meinte er allein bewerk- stellt. „Ich habe es geschafft“, sagt er stelligen zu müssen und machte daher

In USA gescheiterte Profis Blab, Harnisch: Selbstaufgabe verweigert dann, und „der Ehrgeiz“, quetscht er viele Fehler. Daß die Kollegen von ihm noch durch die Lippen, „ist eine Sache lernten, aber erst ohne ihn Europamei- von Professionalität“. Dabei bewegt er ster wurden, hat ihn nachhaltig irritiert. die riesigen Hände nervös vor dem Kör- Seine Heimat, wenn er denn eine hat, per, als kneteten sie sich einen Ball. ist Seattle. Dort lebt er mit seiner Frau, Was treibt, was peitscht ihn wirklich der Hürdenmeisterin Mary Wagner und voran? Die Angst, nicht zu genügen? seinen Söhnen Alexander und Michael. Manchmal lacht er das verlegene Lachen Aber auch hier, wo er den Erfolg fand, derer, die ihren eigenen Worten nicht findet er keine Gelassenheit. Weil Jung- trauen. Wenn er imSprung zwischen zwei profis wie Shaquille O’Neal, 22, im Zeit- Sprachen Stilblüten produziert („Kinder- raffer das Geld verdienen, für das garden-Gärtnerin“), findet er das nicht Schrempf ein Jahrzehnt rackerte, muß lustig; es ist ihm peinlich. Erinnerungen der weiter spielen, immer weiter: „Das erzählt er meist nur in Andeutungen. nächste Jahr ist meines.“ Dann soll auch Als Kind sei er sehr lang und sehr dünn Schrempfs Gage von 1,5 auf 4 Millionen gewesen –die Körperhaltung großer Kin- Dollar aufgestockt werden. der, leichter Rundrücken und eingezoge- So bleibt er ein Getriebener, den nie- ner Kopf, brachte Schulkameraden auf mand begreift. Seine Welt sind die vier dieIdee,ihn „Monster“zurufen.Das war mal zwölf Spielminuten, 82 Ligabegeg- die Zeit, als er den Sport der Großen ent- nungen, die Play-offs und die Zahlen, die deckte. Er begann zu arbeiten und hat bis der Computer ausspuckt. Verliert er, heute nicht aufgehört. Das Problem vie- bricht die Welt des Detlef Schrempf je- ler NBA-Profis – wer zu den Dollars vor- desmal neu zusammen. Y

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