308 Musik des 20. Jahrhunderts

Claire Badiou (Paris) »It was the portrait that had done everything« Zur Oscar Wilde-Rezeption von Franz Schreker

1908 beauftragen dieBallett-TänzerinnenElsaund GreteWiesenthalden jungenFranz Schrekermit der Kompositioneiner Musikfür eine Pantomimenachdem Märchen Der Geburtstag der Infantin von OskarWilde.Der Kompositionsauftrag erfolgtineiner Zeit, in der Wien dasŒuvre des1900gestorbenen Schriftstellersentdeckt. Zehn Jahrespä- terwirdSchrekers Oper DieGezeichneten in Frankfurt erfolgreich uraufgeführt.Das vom Komponistenselbstverfasste Libretto isteineVariation über die›Tragödie deshässlichen Menschen‹ undweist offensichtlicheParallelenmit Wildes Märchenauf.ImRahmendes Beitrags wurde dieEntwicklung undBedeutung von FranzSchrekers produktiver Wilde- Rezeption anhand dieser zwei Werkediskutiert.

Sabine Beck (Frankfurt a.M.) Gibt es eine Verbindung von Improvisation und Komposition? Nachforschungen am Beispiel des zeitgenössischen Musikers Vinko Globokar

VinkoGlobokarwurde 1934 geboren.Bekannt wurde er in den 1960er Jahren alsInterpret fürNeueMusik1,und er brachtemit der PosauneWerkevon , , KarlheinzStockhausen u.a. zurErstaufführung. WährendRenéLeibowitz ihn im Kompositionsunterrichtmit der Wiener Moderne bekanntmachte, ebneteBerio Globo- karden Wegzueiner eigenenPosition. ZurselbenZeitgründeteerzusammenmit ehe- maligenStudienkollegen dieGruppeNew Phonic Art, mitder er eine radikale Abkehr von allen vorgeprägten Normen der Kunstmusik vollzog. DieseImprovisationsgruppebe- standimUnterschied zu anderen in jener Zeit vielfach gegründeten über einen langen Zeitraum undinkonstanterBesetzung.Neben Globokar waren der Klarinettist,

1 Der Begriff»Neue Musik« wird in AnlehnunganCarlDahlhausals Synonymfür »avancierte«, »rückhaltlose« Musikverwendet, diemehraneineIdeeund Institutiongebundenist alsanmusikalisches Material oder eine Kompositionstechnik;vgl.CarlDahlhaus, VorwortzuHansHeinz Stuckenschmidt, Neue Musik,Frankfurt a.M. 1981,S.VII–XXVI,hier: S. VIII. Beck: Gibt es eine Verbindung von Improvisation und Komposition? 309

Saxophonistund Bandoneonspieler Michel Portal,der PerkussionistJean-Pierre Drouet undder PianistCarlosRoqué Alsina beteiligt. Alle vier zeichnen sich durcheinemehrglei- sige Ausbildungaus,waren aber zumZeitpunkt der Gründung vor allem alsJazzmusiker (Portal, Drouet)und Komponistender Neuen Musik(Globokar,Alsina) bekannt. Anders alsandere Komponistenwie CorneliusCardewoderFrancoEvangelisti,die zeitweiligoder ganz zurImprovisationkonvertierten, verfolgte Globokar sowohl dasfreieZusammenspiel alsauchdie Kompositionindauerhafter, komplementärerErgänzung. Sein kompositorisches Werk lässtsichinsechs stilistische Dimensionenunterteilen,die keinen chronologischenEpochen gleichkommen, sondernverschiedene, sich ergänzende FacettenseinesGesamtschaffensdarstellen: –Werkstattstücke –Indetermination,genannt ›der kreative Interpret‹ –Musik undSprache –Musik undText –GesellschaftskritischeWerke,genannt Musiqueengagée –SzenischeMusik DieseDimensionen werden in jeweils verschiedenen Epochen seines Lebens zumSchwer- punktseineskompositorischenDenkens,und dennoch lassen sich vonAnfanganbis heute Werkefinden,die dieAnteile der sechsDimensionen vertreten.Für diesen Beitragwur- den dieFormender anteiligen Indetermination alsSchwerpunktgewählt.

Anteilige Indetermination In den 1970er Jahren entwickelteGlobokarein Konzept,das Indetermination in Kompo- sitionen integriert.Ernennt es den »kreativen Interpreten«2 undverpflichtet dieAuffüh- renden zu Aufgaben,die aufformaler, innermusikalischer undpsychologischerEbene wirken.Sie fließen a) durchnicht-lineare,mobileKompositionsformen,b)durch diebe- wusste Überforderungder Kapazitätenund c) durchdie Stimulationder Erfindungskraft in diedeterminiertenWerkeein.Einen Teil der kompositorischen Verantwortunggibt Globokar an den Interpreten ab,ohnejedoch dieKontrolle über dasGesamtwerk zu ver- lieren.Aus diesem Grundist von anteiliger Indetermination zu sprechen,die im Unter- schied zu John Cage niemalsmit aleatorischenKompositionsverfahren arbeitet,sondern ausschließlich dieUnbestimmtheitder Aufführungbetrifft. a) Um nicht-lineare Kompositionsformen handeltessich, wennder kon- tinuierliche Verlaufeiner Partitur durchbrochen wird,wie in KarlheinzStockhausens XI.Klavierstück,wodie Reihung der 19 Einzelteile vom Interpreten bestimmt wird.3 Diesenicht-linearen Formen könnendas ganze Stückbetreffen oder nurTeilstückeum-

2 VinkoGlobokar, »Der kreative Interpret«, in: Melos 43 /2 (1976),S.105–108. 3 DieEntscheidungfälltbei manchenimVerlauf derAufführung(DavidTudor,BernhardWambach), andere wiederum wieHerbertHenck oder AloysKontarsky legeninAbsprache mitdem Komponisten vorabeineAbfolge fest;vgl.RudolfFrisius,Art.»Improvisation«,in: MGG2,SachteilBd. 4, Kassel u.a. 1996,Sp. 589–593,hier: Sp. 591(Kapitel»VeränderungenimVerhältnisvon Kompositionund Impro- visation seit den1950erJahren«). 310 Musik des 20. Jahrhunderts fassen.Dann–und dasgehtauf einsehrfrühesWerk von Globokar zurück –werden sie »Mobile«4 genannt. b) Diebewusste Überforderung einesInterpreten reflektiert in kritischer Form die Virtuositätund den Kampf desVirtuosen gegendas oder mitseinemInstrument undder Partitur.Ein bekanntesBeispielist dasStück Res/As/Ex/Inspirer (1973),das der Komponist in seinem -ProgrammseitseinerEntstehung immerwiederaufführt. DabeiwirdsowohlbeimEinatmenals auch beim Ausatmen Klangerzeugt, wasamEnde fast zurErstickungdes Posaunistenführt.Soerläutert Globokar gegenüberArminKöhler in einemInterview:

WieSie wissen,befinden sich in einerPosaune ca.2Liter verbrauchte Luft.Beim Ausatmen bleibt dieseMenge im Instrument.BeimEinatmenjedoch ziehtman zu- nächst zwei Literinden Körper hinein unddannzweiweitere in dasInstrument. Dasist unheimlich anstrengend.Nacheiner gewissen Zeit fängtder Spieler an zu schwitzenund es wird ihmschwarz vor Augen. Obwohl es einige Hilfsmittelgibt, kommt irgendwann der Punkt, an dem er nichtmehrweiterkann. Undebenan diesem Punktendet dasStück.Daher istesauchinseinerDauer nichtfixiert. Auch innerhalbdes Stückesgibtessolche Verfallsprozesse. Solangeder Spieler ›fit‹ ist, wird er ganz genaudas spielen, wasvorgeschriebenist.Esklingt zunächst fast wie dodekaphone Musik. Doch bereits nach einerMinutebeginnt er dasMaterialzude- formieren,weilerphysischnicht mehr in derLageist,alles laut Spielanweisung auszuführen.Esist letztendlich einKampf um dasLeben.5

Dieseübersteigerte Virtuositätist eine Haltung, dieGlobokarmit einigenZeitgenossenwie BrianFerneyhough,Heinz Holliger undMauricioKagel teilt. Zumeinen setztGlobokar dieseÜberforderungals Kritik an der Wettbewerbshaltung mancherInterpreten,ins- besondere in der Neuen Musik, einund zumanderen alsMittel, dieinstrumentalen Klangmöglichkeitenzuerweitern.Das Stück Res/As/Ex/Inspirer entstand zunächst auf dem Papier alsAnalogiezum kontinuierlichenKlang der Streichinstrumenteund musste anschließendals neue Spieltechnik beim Einatmen am Instrument realisiert werden.6 Insgesamtfindet er zwölfmoderne Spieltechniken deseinatmenden Spiels. EinanderesWerk,für Solo-Violine, verweistimTitel, Limites (1973),bereitsauf die Überschreitung derkörperlichenGrenzen. Währendder Streicher acht Minuten lang

4 Mitten in demlineardurchkomponierten Stück Fluide fürneunBlechbläser unddrei Schlagzeuger gibt es eine Passage, in derdie zwölfMusiker ihreneigenen Wegdurch ebenso viele Strukturen wählen können, wobei keineder bereits gespieltenwiederholtwerdendarf. EinDirigentkoordiniert dasZusam- menspiel mittelsHandzeichen undPausen; vgl.Partitur Fluide fürneunBlechbläser unddrei Schlag- zeuger, EditionC.F.Peters1967, S. 19 –23. 5 ArminKöhler, »Individuumund Kollektiv«,in: Positionen 3(1989), S. 12 –15, hier:S.13. Vgl. hierzu dieEinspielung desKomponistenauf der CD Balkan,Koch-Schwann-Aulos3-1497-2, Aufnahme o.J., RadioSlovenija,veröffentlicht1994. 6 »Alsohabeich zuerst dasWerkgeschrieben wieeineUtopieund dann versucht,esauszuarbeiten.Es hatsichgezeigt,daß daswirkt.[…] Wenn ichnicht erst dasWerkgeschrieben hätteund dann versucht, es auszuarbeiten, hätteich dasnie entwickelt.« Michael Kurtz, »Interview mitVinkoGlobokar«, in: ZfMP 30 (1985),S.3–9,hier: S. 4. Beck: Gibt es eine Verbindung von Improvisation und Komposition? 311 ohne Pausemit dem Bogentremoliert(Anfangstempo MM =100), greift dieandere Hand in einemunabhängigenTempo einenstetigkomplexer werdenden Notentext. Währenddie motorische Kraftanstrengung der Hand am Bogenauf Dauer an physische Erschöpfung reicht, muss der Musikerdie Kontrolleüberzweiunabhängige Tempi beibehalten, daszu- deminder einenfünfmal gesteigert wird,während dieHandamGriffbrettdas langsame Ausgangstempobeibehält.7 c) Zwei Artenvon Stimulationsollenden Interpreten in GlobokarsKompositionen zumeigenverantwortlichen, schöpferischen anregen.Die eine wirktauf dasIndivi- duum, dieandere in Abhängigkeitzueiner Gruppe. DieÜberforderungder Kapazitäten durchdie übersteigerte Virtuositätzählt zu der erstenFormvon Stimulation, diedurch Reaktionen aufelektronischeMittel(Tonbandaufnahmen,Echtzeit-Computer-Programme etc.), graphische Vorlagen,umgebaute Instrumente, ungewöhnlicheSpielhaltungenu.a. ergänzt wird. DiezweiteArt geht von einemsystematischenModellder Reaktionen aus, dassich parallel zurkomplexeren Improvisationspraxis von NewPhonicArt entwickelt hat. Globo- karleitetesvon seinen Erfahrungenmit dieser Gruppeab.8 Betrachten wirein weiteres Beispiel ausder Werkgruppe Laboratorium (1973–85), zu der außer Fluide allebisherge- nanntenWerkegehören.Das Stück Réactions (1973) fürzweiBläserwirdvon vier Reaktions- artenbestimmt, diemit geometrischenSymbolennotiert werden:Imitation (Quadrat), Integration(Kreis),Indifferenz(Sanduhr),Opposition(Kreuz).9 In anderen Werken kommt zudem dieReaktion»etwasNeues spielen« hinzu, diesich von der dritten, »etwas Anderesspielen«, nurnominellunterscheidet.Die erstenbeiden Reaktionen der Imitationund Integrationerfordernkeine besondere Reflexion,sondern eine möglichstschnelleund genaue Nachahmung, dieerste identischimKlangbild,die zweite ähnlich bzw. im selben Sinnespielend. Dieder Differenzund Opposition, d.h. »etwas Anderesspielen«und »das Gegenteilspielen«, beinhalten eine kurzeAnalyse des Gehörten,zudem der Interpret dasGegenteil oder eine neue,andere Informationspielt. Globokar spezifiziert in dem oben genanntenStück Réactions dieKlangparameter, auf diereagiertwerden soll,mit Buchstabenkürzeln. EinMusiker soll z.B. eine vorgegebene Tonhöhespielen,aberRhythmus, Dynamikund Artikulation desVorangegangenen genau imitieren.10 Dasgesamte Stückbesteht auseinem Wechselvon Mobilesund Reaktionen underhältals übergelagerte Schicht einenselbstreferentiellenText, der von einerdritten Person in einerelektronisch bearbeiteten Fassung vorgetragenwird, undder dasSystem eben jener Reaktionsformenbeschreibt:

7 TremolierendeBogenhand (MM =121,142,163,184,205), Greifhand(MM =66);vgl.Partitur Limites füreinen Geiger oder Bratschistenaus derWerkgruppe Laboratorium (1973–1985),Edition C. F. Peters 1973,S.43–45. 8 Vgl. Globokar im Interviewmit Daniel Caux von1971; zitiertnachVinkoGlobokar, Laboratorium. Textezur Musik1967–1997,hrsg. vonSigridKonrad, Saarbrücken1998, S. 345. 9 DasSymbolder Sanduhrbesteht auszweigleichschenkeligenDreiecken, dieSpitzeanSpitzeauf- einanderstehen. 10 Vgl. Réactions füreineOboeund eine Klarinette ausder Werkgruppe Laboratorium,Edition C. F. Peters 1973,S.17. 312 Musik des 20. Jahrhunderts

Pour l’exécutant, imiter ou s’intégrer sont desréactions simples,instinctives, com- plaisantes.Par contre,dumomentqu’on luidemande de réagir surunmodèleen faisantl’opposédecequ’ilentend, il estobligéd’analyserrapidementlasituation, la disséquer en paramètres,afin de pouvoirdécider ensuiteceque pourrait être l’opposédumatérieldiffusé.Lasélection du ou desparamètressemblantimportants estplutôtune opérationinstinctive,par contre l’invention de l’opposédeceux-ci est un procédédéjàcompositionnel.11

Nach diesem Prinzipder Reaktionen aufeinzelneKlangparameterschafft Globokar kom- plexere Abhängigkeitsverhältnisse in einerGruppe, indem einMusiker den Rhythmus einesanderen,die Tonhöheeines drittenund dieLautstärkeeines viertenübernehmen muss.Oderaberdrei Paareimitieren gegenseitigeinzelneKlangparameter, währenddie anderen,fehlenden Parametervon einemanderen Paar imitiert werden müssen.12 Diezweite, komplexere Variante verbindet aufähnlicheWeise dieAbhängigkeitdes Spielseinzelner Klangparameter von sechsMusikern, diesmalmit jeweils vier zueinander abhängigen Personen.Die gesteigerteKomplexität könnteman mitfolgender,zugegeben sehr unübersichtlicherSkizzewiedergeben,die jedoch dasdichteGeflecht derinternen Vernetzung widerspiegelt:

Abbildung: Darstellung der Interdependenz im Modell 22b, Individuum ↔ Collectivum13

ÄhnlicheReaktionsketten entstehennachdem Vorbild desSpielsStillePost, beidem ein MusikerseinemNachbarneinemusikalischeStruktur vorspielt,die jener nach bestimmten Vorgaben aufnimmt,verändert undweiterleitetwie in La Ronde (1970).Die Unbestimmtheit derAufführungwirdindiesenFälleninerheblichemMaßeintegriert, denn diemusika- lischenReaktionenhängenvon jedem individuellenMusiker,seinenErfahrungen und Kapazitätenab. So stehendennauchzweider insgesamt55Einzelstückeaus der Werk- gruppe Laboratorium an der Grenze zurstrukturierten Improvisation, wiesie Globokar

11 Réactions (Laboratorium), S. 18.»Fürden Ausführendensinddie Reaktionen derNachahmungoder Integrationeinfach,instinktivund gefällig.Von demZeitpunkt an,daman ihnaberauffordert aufeine Vorlagemit demGegenteil desGehörtenzureagieren,ist er gezwungen, dieSituation schnellzuanaly- sieren,sie in Parameterzuzerlegen, um anschließendzuentscheiden,was dasGegenteil deserklungenen Materialsseinkönnte. DieAuswahl desoderder Parameterscheint wichtigund istdennoch einunwill- kürlicherAkt,die Erfindung desGegenteilsdagegen istbereits einkompositorischer Vorgang.«(Übers. derVerf.). 12 Vgl. VinkoGlobokar, Individuum ↔ Collectivum,Heft1–3,übers.von Hildegard Wollbold,Saar- brückeno.J.[1996], o.S.,Modell22a derModellsammlung. 13 Modell22a der Modellsammlung Individuum ↔ Collectivum. Beck: Gibt es eine Verbindung von Improvisation und Komposition? 313 mitseinerModellsammlung Individuum ↔ Collectivum fürdie Arbeit einerGruppevon Künstlern, Musikern oder andern, vereint hat. In Surprise,dem letztenStück der Werkgruppe Laboratorium,wirdein Partnerspiel mit zehn Musikernaufgeführt.Jeder Musiker bereitetfür sein GegenübereineAufgabe, ein Spiel oder eine Aktion vor,die aufeineDauer von fünf bissiebenMinuten begrenzt ist. DieSpielanweisungen werden möglichstpräzise notiert, in Umschlägegesteckt undwäh- rend desSpielsausgetauscht; es sind keinenachträglichenErklärungen oder Rückfragen möglich. DiezehnMusiker spielenihreAnweisungen sofort undsimultan, ohne siezu wiederholen.Für dieErfindungder Aufgaben könnensichdie Musikerauf dasmusika- lische Basismaterialder Werkgruppestützen,14 müssen dies aber nicht: »aufondtoutest permis«15 (imGrundeist alles erlaubt,Übers.der Verf.) lautet dieAnmerkunginder Par- titur. In diesem Beispiel übernehmen es dieInterpreten selbst,ihren Mitspielernmusika- lische Aufgaben zu stellen. Betrachtet mandas Gesamtwerk Globokars, ausdem hier nurein kleiner, spezifischer Ausschnitt präsentiertwurde,erkennt manParalleleninder Arbeit alsKomponistund Improvisator.Essindkeine ÜbereinstimmungenoderKausalitätenimSinne einerein- deutigen Abfolgevon Ursacheund Wirkung. Dennoch gibt es Entsprechungenzur ent- wickeltenund elaborierten Improvisationspraxis von NewPhonicArt.Diese Gruppefand erst in der Überwindungder anfänglichen Tabu-Phase zu einerselbstorientiertenund eigenverantwortlichen Spielpraxisdes Einzelnen,ohnedie größtmögliche,gegenseitige Toleranz zurGruppeaufzugeben.16 In ihren spätenImprovisationenfinden sich Korres- pondenzenzuallen sechsDimensionen deskompositorischen Schaffensvon Globokar: durchRollenspiele, verbaleAktionenund Sprachanalogien,Klangexperimente, szenische Aktionen undsozialesEngagement. Globokar zeigtsichals Musiker, der nebender Improvisationund Kompositionauch alsInterpret,Pädagogeund Theoretiker einkonsistentes Bild bietet,ein übergreifendes Werk verwirklicht. Eine Verbindungvon Improvisationund Kompositionlehnt er selbst strikt ab. Notenverzeichnis Fluide (1967) für9Blechbläser und3Schlagzeuger,Edition C. F. Peters. Laboratorium (1973–85)für 11 Musiker, EditionC.F.Peters. Limites (1973) für1GeigeroderBratschisten, EditionC.F.Peters. Res/As/Ex/Inspirer (1973) für1Blechbläser,Edition C. F. Peters. Réactions (1973) für1Oboeund 1Klarinette,Edition C. F. Peters. La Ronde (1970) füreinebeliebigeAuswahl an Melodieinstrumenten, EditionC.F.Peters.

14 Dieses besteht auseiner erweitertenZwölftonreihe,zehnrhythmischen Patterns,zehnzugeordneten Tonhöhen,siebenDichtegradenund zehn Verlaufsformen;vgl. Partitur Surprise (Laboratorium), Edition C. F. Peters 1973,S.185. 15 Ebd. 16 Eine ausführliche Darstellungder Improvisationspraxis sowieder weiteren fünf kompositorischen Dimensionensindinder Dissertation derVerf. über Globokar nachzulesen. 314 Musik des 20. Jahrhunderts

Diskographie Res/As/Ex/Inspirer,VinkoGlobokar(Pos.) Balkan, CD Koch-Schwann-Aulos 3-1497-2, 1994,Aufnahmeo.J., RadioSlovenija. Fluide,EnsembleMusique Vivante; Ltg. DiegoMasson, BASF EA 291812,Aufnahmeo.J., o.O. Laboratorium,EnsembleMusique Vivante; Ltg. DiegoMasson, ColLegno WWE 1 CD 31906, 75 JahreDonaueschingerMusiktage 1921 –1996 CD 7, 1996,Aufnahme1973, Do- naueschingen.

Tobias Bleek (Berlin) Die Concerts Jean Wiéner Eine Begegnungsstätte unterschiedlicher Musikkulturen im Paris der 1920er Jahre1

ZwischenDezember1921und April1925veranstaltete der junge französische Pianistund Komponist Jean Wiéner unterseinemNamen 23 Konzerteinunterschiedlichen Pariser Spielstätten. Dasungewöhnlicheästhetische Programm,das dieser Konzertreihe zu- grunde lag, unddie Experimentierfreude ihresVeranstalters spiegeln sich bereits in der Dramaturgiedes erstenAbends, der am 6. Dezember1921inder gutbesuchten Salledes agriculteursstattfand.2 DasKonzert begann miteinem einstündigen Auftrittvon Billy Arnolds Jazz-Band,jenem , dasden mitWiénereng befreundeten Darius Mil- haud bereits einJahrzuvor in London beeindruckthatte.3 Nach einerPause erfolgte dann dieerste öffentlicheAufführungvon Auszügenaus Le Sacreduprintemps in Stravinskijs Transkriptionfür Pleyela, wobei dasmechanische Klaviervom Komponistenselbstbe- dientwurde. Alsdritter undletzter Programmpunkterklang schließlich Milhauds Sonate pour pianoetinstruments àventop. 47. DasaußergewöhnlicheKonzert wurde fürseinenVeranstalterzueinem großen Erfolg. In einemArtikel in L’Esprit nouveau begrüßte Albert Jeanneret diegewagte Dramaturgie desAbendsund schrieb: »M.JeanWiénerestime, àjuste titre, qu’une salledeconcert est

1 Der vorliegende Forschungsberichtbasiert in wesentlichem Maßeauf umfangreichen Quellen- materialien(Rezensionen, Briefe,Konzertprogrammeund Plakate),die sich in denArchivesJeanWiéner derÉcole Nationale de MusiqueetdeDanse Jean Wiéner in Bobignybefinden(im Folgendenabgekürzt als AJW). 2 Eine detailliertereSchilderung desEröffnungskonzertes findetsichinWiéners Autobiographie Alle- groappassionato,Paris 1978,S.48ff.,inder auch dasProgrammdes Abends abgedrucktist (S.50). 3 Vgl. hierzu u.a. Darius Milhaud, Ma Vieheureuse,Paris 1973,S.99f.