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Andrea Köhler-Ludescher, Stefan Geyerhofer – Person, Leben und Werk Anlässlich des 10-jährigen Todestages eines systemischen Pioniers

aul Watzlawick: Wirklichkeitsforscher und zwischen seinem Leben und Werk ein Stück näherzu- Weltkärntner, Pop-Bestseller unter den Phi- bringen. Diesen Versuch wollen wir nun schriftlich losophen titelten ihn die Medien. Er war fortsetzen. originell und zugleich traditionell, meinte Paul Watzlawick hat selbst geforscht, geschrieben und ein Kollege über den Querdenker. Er führte vorgetragen (und das in 5½ Sprachen) und lehrte in Pein abenteuerreiches Leben, das neben einer wissen- Kalifornien an der Eliteuniversität Stanford. schaftlichen Seite, die recht gut bekannt ist, auch eine Der einzige Sohn einer konservativen Bankiersfamilie philosophisch-spirituelle Seite hatte, die bis dato we- war – höchst ungewöhnlich in einer Zeit, als es keine niger Beachtung gefunden hat. Auf den nächsten Sei- Handys, kein Internet und keine Billigflieger für den ten wollen wir Ihnen einen Einblick in die Person Paul schnellen Weg nach Hause gab – sehr mutig: Er hat in Watzlawick und in dieses erkenntnisreiche und außer- den 1940er Jahren im Ausland studiert und bestieg gewöhnliche Leben verschaffen – aus der Sicht seiner dann in den 1950ern ein Schiff, um in Bombay seine Großnichte, die versucht hat, in einem Buch sein therapeutische Berufslaufbahn zu starten. Als er mit Leben aufzuarbeiten, und aus Sicht eines ehemaligen seiner Psychotherapiepraxis in Indien nicht Fuß fas- Schülers und späteren Kollegen. Dabei wollen wir sen konnte, kam der nunmehr Yogaversierte nach Eu- selektiv ein paar „Geschichten“ herauspicken, die un- ropa zurück und reiste schließlich in die andere Rich- seres Erachtens interessante Aspekte des Weges dieses tung der Welt – nach El Salvador, um an der dortigen bekannten österreichischen Kommunikationswissen- Universität einen neu errichteten Lehrstuhl zu über- schaftlers, systemischen Psychotherapeuten und Kon- nehmen. Bei seiner Abreise dorthin sprach er kaum struktivisten hervorheben. ein Wort Spanisch! Nach drei fleißigen Jahren gab es für ihn in Mittelamerika nur mehr „mehr vom Selben“ PROLOG zu erleben. Daher ging er trotz einer kurzfristigen Ab- sage zu John Rosen nach Philadelphia und schließlich Man sah gleich – Paul Watzlawick war „fesch und nach Kalifornien, wo er sich den psychotherapeuti- g’scheit“. So begannen wir beide unsere Vorträge am schen „Ketzern“ anschloss – also eine neue, für ihn be- Paul Watzlawick Symposium an der Fachhochschule reits zweite Therapierichtung wählte, die seiner bishe- Eisenstadt, aber auch in der ÖAS, an der la:sf und am rigen analytischen Denk- und Arbeitsweise in vielen IST. Wir versuchten, dem anwesenden Publikum die Punkten widersprach, damals massiv angefeindet Person Paul Watzlawick und mögliche Verbindungen wurde und deren Zukunft völlig ungewiss war.

4 SYSTEMISC HE NOTIZ EN 03/17 Neben diesem Mut zeichnete ihn auch eine sehr große ke im englischen Original durchzukämpfen. Ich hatte Reserviertheit aus, die von manchen als „Unnahbar- mein Leid einem Therapeuten am MRI geklagt, als die- keit“ interpretiert wurde. Seinem großen Interesse für ser mich auf die Seite nahm: „Stefan, Bateson versteht Menschen stand eine klare Trennung von Privat und man nur, wenn man eing’raucht ist! Du kannst aber Beruf gegenüber, die mit steigender Popularität auch auch einfach Watzlawick lesen!“. ein wichtiger Schutz seines Privatlebens wurde. So Watzlawick hielt den Menschen oft einen Spiegel vor, kommt es, dass viele Menschen sein Werk bestens sodass sie über ihr tragisch anmutendes Alltagsleben kennen, aber seine Person kaum. Ich selbst (SG) kenne auch lachen konnten. Er tat das, ohne belehrend zu nur zwei Handvoll Kolleg*innen, die seine private Te- wirken; denn auch über sich selbst konnte der Ge- lefonnummer hatten. Und Fritz Simon sagte einmal, schichtenerzähler gut lachen, was ihn für sein Publi- darauf angesprochen: „Ich glaube, er hat sie mir nur kum sympathisch machte. gegeben, weil er wusste, ich würde ihn nie anrufen!“ Was Paul Watzlawick auch auszeichnet, war sein ganz K.U.K. FAMILIENWURZELN besonderer Humor. Manche liebten ihn, manche hass- ten ihn, er selbst kultivierte ihn. „Kühl und ein biss- Wo liegen die Familienwurzeln des Villacher Globe- chen sarkastisch“ meinte Fritz Simon einmal – in Ös- trotters Paul Watzlawick?* Sein Vater Paul sen. kommt terreich geprägt und für Österreich zugeschnitten aus dem Norden Österreichs – aus Berg Reichenstein, könnte man auch sagen. Sein Buch „Die Anleitung einer deutschen Sprachinsel im tschechoslowakischen zum Unglücklichsein“ (Watzlawick, 1983) verkaufte Böhmerwald, während die Familie der Mutter Emy aus sich nirgendwo so gut wie im deutschsprachigen dem Süden, aus Italien kommt. Emy ist in Villach ge- Raum, wo es sogar Vorlage für eine Dokumentation boren, wo sie später Paul Watzlawick sen. im schicks- und für einen Spielfilm wurde. In den USA floppte das ten Hotel der Draustadt kennenlernt. Der Charakter Buch. Warum sollte sich jemand ein Selbsthilfebuch der Eltern ist unterschiedlich: Die Mutter ist sehr zu seinem eigenen Unglück anschaffen? sprachbegabt – sie wuchs zweisprachig auf, ist sehr Und der Vielschreiber verfügte schließlich über eine kreativ, lebenslustig und ein höchst positives Naturell. große Fähigkeit, die darin bestand, Komplexes so ein- Anders der Vater: Ernst, diszipliniert und fleißig ist er, fach darzustellen, dass jedermann es gut verstehen er lebt für seinen Beruf. Diese zwei Seelen wohnen in konnte. Er packte anspruchsvolle wissenschaftliche Pauls Brust und werden ihn ein Leben lang prägen, und philosophische Erkenntnisse humorvoll in bild- weil sie aus meiner Sicht (AKL) immer wieder in Wi- hafte Geschichten, die man sich gut merken konnte – derspruch stehen und Pauls Weg damit spannungs- wie die Geschichte vom Hammer des Nachbarn oder reich gestalten werden. Auch die anderen Mitglieder jene vom Glas Wasser, das halbvoll der Großfamilie (der Vater wie die bzw. halbleer ist. Denn lassen Sie Mutter hatten zahlreiche Ge- uns ehrlich sein: Welche Systemi- schwister, die zwischen dem Böh- kerin, welcher Systemiker hat Ba- merwald und Venedig verstreut teson wirklich gelesen – und auch wohnten) werden für Paul Watzla- verstanden? Keine Angst, Sie sind wick wichtig sein – ihre unter- nicht alleine! Auch zu Batesons schiedlichen Sprachen, Sichtwei- Lebzeiten berichteten zahlreiche sen und Kulturen. Und sie werden

Student*innen, dass sie nach sei- DR.IN ANDREA MAG. STEFAN ihm später auf seinen jährlichen nen Vorlesungen das starke Ge- KÖHLER-LUDESCHER GEYERHOFER ist Europareisen, wenn er sich neben fühl hatten, gerade etwas ganz ist hypno-systemi- Klinischer Psycholo- seiner Arbeit diese Zeit erlaubt, Wichtiges und Faszinierendes er- sche Business Coach ge, Gesundheitspsy- ein wichtiger Bezugspunkt sein. lebt, aber davon kein Wort ver- (u.a. I. Sparrer und M. chologe, Psychothe- Varga von Kibéd/SySt- rapeut (SF), Lehr- standen zu haben! Paul Watzla- Institut München, therapeut und Lehr- KINDHEIT UND JUGEND IN wick hat uns Gregory Batesons Gunther Schmidt/ supervisor in der WIEN UND KÄRNTEN Ideen (Bateson, 1972, 1980) „über- Milton-Erickson- ÖAS in Wien, Mit- setzt“ und mit konkreten, Institut Heidelberg, begründer des Es sind die 1920er Jahre nach dem schmackhaften Beispielen veran- Stephen Gilligan/ Instituts für Syste- ersten Weltkrieg. Paul Watzlawicks metaforum Abano mische Therapie (IST) schaulicht. Ich erinnere mich an Kindheit ist von zahlreichen Ver- Terme) mit Schwer- in Wien, Mitbegrün- meine eigene Verzweiflung (SG), punkt Leadership und der und Vorstands- als ich am Beginn meiner Ausbil- Organisationsent- mitglied des „Euro- * Wir wollen Ihnen die geschichtlichen Abrisse dung in Palo Alto versuchte, mich wicklung, Kommuni- pean Network for aus Watzlawicks Leben in der Gegenwart erzählen, um Ihnen mehr an Unmittelbarkeit zu durch Batesons zwei Standardwer- kationsexpertin, freie Brief Stategic and vermitteln. Autorin in Wien. Systemic Therapy“

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änderungen geprägt. Durch den Beruf des Vaters bedingt zieht die Familie von Villach, wo Paul – er kommt 1921 zur Welt – und seine ältere Schwes- ter Maria geboren wurden, in die Hauptstadt, nach Wien, und zwar nicht irgendwohin, son- dern ins schicke Viertel „Hiet- zing“. Die Familie kann sich Paul Watzlawick in jungen und in älteren Jahren und 1997 gemeinsam mit Harry Merl bei einer gut etablieren und findet Ein- Buchpräsentation am Institut für Systemische Therapie in Wien. gang in die feine Gesellschaft – in ihre geschäftigen und kultu- rell-intellektuellen Kreise. Doch die Zeiten sind labil, es kommt der österreichi- zielle Prüfungen Einser. Er interessierte sich für Astronomie, sche Bankencrash, und die Bankfiliale des Vaters reparierte Kraftfahrzeuge und Elektroherde. Sport war ihm wird 1928 geschlossen. Paul Watzlawick sen. verliert zu fad, obwohl er geschickt genug war. Und Maria weiter: seine Anstellung, die Familie muss zurück in die Pro- «Er war ein ernster Mensch, immer interessiert. Pauli war vinz. In Klagenfurt findet der Vater neue Arbeit in nicht der große Spieler, oben auf dem Dachboden ist er viel der Bank für Kärnten. Aber er bleibt nicht lange in gesessen. Ich weiß nicht, was er da oben immer gemacht hat, der Bank, und wieder steht die Familie vor einer neu- in dem Kammerl, er hat halt immer heruntergeschaut. Aller- en Situation. hand Schreiberei hat er wohl dort gemacht und studiert, Ast- Schließlich kauft Vater Paul eine Autobuslinie und die rologie. Das hat ihn interessiert. Er war eher ein Einzelgän- Familie zieht nach Villach. Als das Unternehmen lang- ger. Keine Rede von laut! Auf Ideen zu Lausbubenstreichen sam Fuß fassen kann, wird die deutsche 1000-Mark- ist er wahrscheinlich gar nicht gekommen.» Sperre eingeführt und der Fremdenverkehr in Kärnten Ganz anders erlebt Cousine Oda den Paul, denn mit ihr lebt kommt zum Erliegen – so auch die Autobuslinie von Paul seine andere Seite, die durchaus lausbubenhaft war. Pauls Vater, die er infolge verkaufen muss. Durch diese Oda erzählt: «Pauli und ich haben Polsterschlachten ge- Erlebnisse erfährt Paul Watzlawick schon als Kind und macht, oder wir sind ins Warmbad gegangen: Da war das junger Mensch, was Schicksalsschläge bedeuten und große Becken, und da waren solche Einstiege, keusch hat wie unterschiedlich die Menschen damit umgehen: Er man sich ausgezogen und ist ins Bad gegangen. Wir waren erlebt, dass der Vater schlussendlich am beruflichen allein, Pauli hat gefragt: Willst was hören? Und hat dann Miss erfolg zerbricht – er wird 1940 im Alter von 55 laut angefangen zu schreien und zu lachen, wir haben laut Jahren an Tuberkulose sterben – und dass die Mutter gelacht und wie schön, das war himmlisch.» Nicht nur aus Emy es ist, die mit ihrer positiv-kreativen Lebenskraft Klagenfurt, auch aus dem Norden und Süden reisen die die Familie und das Geld zusammenhält. Sie wird Paul Cousinen und Cousins immer gerne zur lieben und lustigen damit eine essentielle Stütze und wesentliche Bezugs- Tante Emy an. «Es war immer so vergnüglich, und es war person für sein kommendes bewegtes Leben werden. nicht so, dass man sich immer fabelhaft benehmen musste. Seine Kindheit war mit Sicherheit auch mitverant- Wir haben gelacht, geblödelt, sogar bei Waschlappen- wortlich für seine Verlässlichkeit und seine große Be- schlachten war Tante Emy mit dabei», erinnert sich der Be- scheidenheit. Vielen unvergesslich sind seine beiden such. Mit Resele Scarpa aus Venedig wiederum unternimmt Strickwesten, eine blaue und eine graue, die er ab- Paul Wanderungen auf der Flattnitzer und Turracher Höhe, wechselnd über so viele Jahre getragen hat – egal ob mit Erich und Kurt aus Wien fährt er in den Sommerferien am MRI in Palo Alto oder auf seinen Reisen nach zum Bankerl-Hüpfen im kleinen Fiat oder großen Gräf, den Wien. Oder auch sein alter VW Golf – am Parkplatz Autobussen des Vaters. «Wir durften halt in den Bussen des hinter dem Institut in Palo Alto. Onkel Paul gratis mitfahren, wir Kinder saßen alle auf der Krasse Gegensätze prägen nicht nur Paul Watzlawicks hintersten Bank, und wenn wir über Unebenheiten oder Leben in der Außenwelt, auch sein Innenleben, sein Schlaglöcher der [Schotter-]Straße fuhren, wurden wir an Wesen kann sehr unterschiedlich sein, wie Erlebnisse die Decke des Busses geschupft, es war eine Hetz!», so seiner Schwester und Cousine zeigen. Cousin Kurt.*

Pauls Schwester Maria erinnert sich, dass Paul in allem sehr * Kursiv gedruckte Absätze stammen aus Andrea Köhler-Ludeschers ersten und bis dato weltweit einzigen Biografie über Paul Watzlawick. gut war: Mit elf Jahren reversierte er im Hof große Autobusse Köhler-Ludescher, A.: Paul Watzlawick – die Biografie: Die Entdeckung des aus der väterlichen Firma, in der Schule bekam er ohne spe- gegenwärtigen Augenblicks. Hans Huber, Bern, 2014.

6 SYSTEMISC HE NOTIZ EN 03/17 KRIEGSZEIT IN EUROPA Befreiung und existenziellen Sicherheit vermittelt, das zum Beispiel Graf Dürckheim als die Große Erfahrung be- Die Zeiten ändern sich radikal. Die nächste Etappe in schreibt.» Und viele Jahre später wird Paul erzählen: «(…) Paul Watzlawicks Leben ist die Kriegszeit. 1938 erfolgt das Erlebnis der Todesnähe. Bei so einem Ereignis tritt ge- der Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland, und nau das Gegenteil dessen ein, was man sich naiver Weise so der frischgebackene Maturant muss zum Reichs- vorstellt: Es ist keine Panik, kein furchtbarer Schrecken, arbeitsdienst (RAD) und danach in den 2. Weltkrieg. sondern ein Gefühl des Friedens und der Stimmigkeit, das Die vollen sieben Jahre wird er als einfacher Soldat man vorher nie erlebt hat.» «Die sogenannte mystische Er- diese Jugendjahre im Krieg verbringen. Zuerst, indem fahrung ist etwas gänzlich Unbeschreibliches. Schon das er mit der Flugabwehrkompanie (FLAK) quer durch Etikett Mystik wird dieser Dimension von Erfahrung nicht Europa reist und ballistische Berechnungen tätigt, gerecht. Man tritt aus dem Gegebenen und Vorhandenen völ- später als deutsch-englischer Wehrmachtsdolmetsch. lig heraus und hat ein Erlebnis der Ruhe und Erfüllung und Paul Watzlawick ist kriegs- und regimekritisch einge- des Stimmens, das man nur nachträglich in die Sprache einer stellt und bringt seine Haltung in den Briefen an seine Ideologie oder Religion übersetzen kann. In dem Augenblick, Mutter zum Ausdruck. Mit fortschreitender Kriegszeit in dem man beginnt, diese Erfahrung zu beschreiben, zu beginnt er diese Haltung auch im Kontakt mit (aus klassifizieren und zu begründen, hat man sie zerstört.» abgeschossenen Flugzeugen stammenden) Alliierten- So beeindruckt ist Paul Watzlawick von seinem mystischen Soldaten auszuleben, die er verhören muss: Er entwi- Erlebnis, dass dieses das Thema seines letzten Buches wer- ckelt eine neue „Außensicht“ und Sympathien für die den soll – ein Roman mit dem Titel «Die Entdeckung des ge- jungen Männer, fängt an, unvollständig zu übersetzen genwärtigen Augenblicks». Und viele Jahre lang versucht er, – zum Vorteil des „Feindes“ und „zum Nachteil des sich dem Thema weiter zu nähern – wird seine Abschluss- deutschen Volkes“. Bis die Gestapo ihn verhaftet und arbeiten über Kenner der Seele und der Mystik schreiben, wegen „staatsfeindlicher Betätigung, Zersetzung der sich mit Karlfried Graf von Dürckheim in den Zen-Buddhis- Wehrmacht sowie Verstöße gegen das Heimtückege- mus vertiefen, in Bombay das Yoga lernen und die spirituel- setz (frecher Hohn gegen den Führer)“ einsperrt. Wo- len Lehren von Jiddu Krishnamurti hören. Der Schrecken der chenlang bangt Paul Watzlawick im Untersuchungsge- Nazi-Herrschaft, der ihn so sehr schockiert hat, mündet bei fängnis um sein Leben. Für uns Systemische Thera- ihm in das beeindruckende mystische Durchbruchserlebnis, peut*innen ist rückblickend interessant, dass er be- ins raum- und zeitlose «So-Sein». Dieses wird zum Leitmotiv reits damals in den Verhören der Gefangenen das Spiel seines Lebens werden. mit der Sprache und die damit verbundene Konstruk- tion von scheinbaren Wirklichkeiten zum Wohle der STUDIUM IN ITALIEN UND IN DER SCHWEIZ anderen zu nutzen versuchte – ganz ähnlich wie in seinem späteren Beruf als Psychotherapeut. Nach dem Krieg kehrt in Pauls Leben langsam Norma- Dennoch ist es im Anschluss an diese schlimme Zeit lität ein. Er beginnt eine Ausbildung und entdeckt mit auch etwas ganz Anderes, das er für sein Leben mit- großem Erfolg die Damenwelt. Der Verlauf dieser Zeit nimmt: ein Durchbruchserlebnis, wie er es nennt, das ist stark durch Zufälle bestimmt, wie Watzlawick den Verlauf seines weiteren Lebensweges ganz ent- selbst immer wieder betont. Als er aus dem Krieg nach scheidend mitbestimmen wird. Villach heimkommt, ist das Haus der Familie von den Briten besetzt. Diese heuern den jungen orientie- Paul erlebt Zwischenfälle, die sehr leicht zu seinem Tode rungslosen Sprachkundigen als Dolmetsch an und hätten führen können. Zu diesen Ausnahmemomenten seines nehmen ihn mit nach Italien, als sie abberufen wer- Lebens erzählt er einmal: «Der Tod hätte früher kommen den. Bei Padua spricht Paul zufällig mit einer Frau, die können, das hab ich auch erlebt, das Erlebnis der Todesnähe. zu ihm meint: „Sie können ja ruhig studieren.“ Paul Soll ich mich jetzt umbringen? Es ist ein überaus beeindru- wollte studieren – er wollte im Mekka der Medizin, in ckendes Erlebnis, es ist ein Durchbruch in eine völlig andere Wien, studieren, doch das erlaubten ihm die Umstän- Wirklichkeit, in der nun die Tatsache, dass ich in ein paar de leider nicht. So inskribiert er neben seiner Tätigkeit Sekunden tot sein werde, gar keine Bedeutung hat.» für die Engländer in Venedig an der renommierten In einem seiner Bücher wird Paul festhalten: «Mystische Ca’ Foscari „Philosophie und moderne Sprachen“. Sei- Durchbruchserlebnisse sind Augenblicke, in denen wir aus ne Therapieausbildung wiederum verdankt er einem der Selbstrückbezüglichkeit unseres Weltbildes heraustreten Regenguss, als er in Zürich weilt, denn ein Zeitungs- und es ‹blitzartig› von außen und damit in seiner Relativität artikel im Kaffeehaus, in das er vor dem Regen ge- und seiner Möglichkeit des Andersseins sehen. Nur wer dies flüchtet war, bringt ihn an das C.G.-Jung-Institut der erlebt hat weiß, dass das Ergebnis nicht eine Zersetzung und Stadt an der Limmat. Um die kostspielige Lehr- und Auflösung der Wirklichkeit ist, sondern ein Gefühl der Eigenanalyse der Ausbildung zu absolvieren geht er

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Watzlawick, Fisch und Weakland bei Fallbesprechungen am MRI, das Mental Research Institute in Palo Alto, Don D. Jackson und Gregory Bateson.

nach Rom; doch über Nacht verstirbt ihm seine Ein- über Philadelphia und aus San Salvador – kommt. Die kommensquelle. Durch Zufall kommt er daraufhin an Bateson Gruppe hatte ihre ersten Arbeiten, darunter die Food and Agriculture Organisation (FAO) der UNO, den Artikel zur Doppelbindungstheorie der Schizo- wo er schließlich deutlich mehr verdient, als er es bei phrenie (Bateson, Jackson, Haley, Weakland, 1956) seiner ursprünglichen Anstellung getan hätte. bereits publiziert, Don D. Jackson, , und Jules Riskin hatten das Mental Research In- BERUFSANFÄNGE IN INDIEN stitute in Palo Alto gegründet und hatten gemeinsam UND SAN SALVADOR mit und unter Supervision von Milton Erikson begonnen, ihren Ansatz zur Systemischen Fa- Nach Abschluss seiner Ausbildung in Zürich wagt milientherapie zu entwickeln, als Paul Watzlawick sich Watzlawick wieder etwas Neues: Der 33-jährige Jung- ihnen anschließt. Am MRI in Palo Alto erarbeitet er analytiker besteigt mit einer mittelgroßen Reisekiste sich in einem völlig neuen Umfeld sein künftig rich- ein Schiff, um in Bombay seine Berufslaufbahn zu tungsgebendes wissenschaftliches Fundament, das starten. Ein deutscher Jude hatte ihn in Zürich auf die von vier Mentoren geprägt wird: von den Psychiatern Idee gebracht, der Paul – die Mystik der Inder im Hin- Don D. Jackson und Milton Erickson, genialen Prakti- terkopf – raschen Entschlusses folgt. Hier im Land des kern, wie Paul sie bezeichnet, und vom Anthropologen Erwachten wird ein weiterer Samen für seinen späte- Gregory Bateson, einem wegweisenden Theoretiker, ren Richtungswechsel in Kalifornien – der systemi- sowie dem aus Wien stammenden Biophysiker Heinz schen Psychotherapie und dem Konstruktivismus – von Foerster. gesät, denn er kommt mit Jiddhu Krishnamurti in Es gibt „gestörte“ Beziehungen, aber nicht „gestörte“ Kontakt – einem seiner zwei spirituellen Lehrer. Aber Individuen, lernt Paul Watzlawick hier – eine neue sein Berufsstart in Indien wird ein Flop und der Su- Denkweise für den gelernten Analytiker. Er beginnt chende reist zurück nach Europa. Er besucht Vorlesun- bald mit der Tätigkeit, die seinen Lebensweg ausma- gen bei Viktor Frankl in Wien, arbeitet am Goethe-In- chen wird – er beginnt zu schreiben. stitut in München, untersucht eine Fernheilung des 1967 erscheint das Buch „Menschliche Kommunika- Padre Pio in Ligurien. Alsbald ergreift er die Möglich- tion“, in dem Watzlawick, Beavin und Jackson die fünf keit, nach Zentralamerika zu gehen, um einen neuge- Kommunikations-Axiome definieren. Völlig unerwar- gründeten Lehrstuhl für Psychotherapie und Psycho- tet für die Autor*innen wird das Buch ein Klassiker pathologie in San Salvador zu übernehmen. Binnen der Kommunikationsforschung über mehrere Genera- weniger Wochen lernt er im Land die spanische Spra- tionen hinweg. Das Mental Research Institut wird che und unterrichtet in tropischen Gefilden drei Jahre mittlerweile zum beobachteten Zentrum der Psycho- lang Psychodynamik nach Freud. In dieser Zeit erar- therapieentwicklung und zum Anziehungspunkt für beitet er sich das Basiswerkzeug für Vorträge, das ihm interessierte Kolleg*innen – wie Robert Kantor, John später helfen wird, seine Bücher weltweit zu verbrei- Weblin, Irvin Yalom, Arthur Bodin, Richard Fisch, ten. Noch ist es aber nicht soweit … Lynn Segal. Einige kommen und gehen, andere wie Fisch, Bodin und Segal bleiben. KARRIERE IN KALIFORNIEN Sie werden von der damals vorherrschenden analyti- schen Psychotherapeut*innen-Szene stark angefeindet Die nächste Etappe in Watzlawicks Leben ist sein be- und ihre Methoden als oberflächlich und manipulativ ruflicher Wendepunkt in Kalifornien, wohin er auf beschimpft. Pauls Antworten auf diese Vorwürfe in der Zwischenstation auf dem Weg zurück nach Europa – Öffentlichkeit waren oft genauso provokant wie die

8 SYSTEMISC HE NOTIZ EN 03/17 damals neue Denk- und Arbeitsweise: „Aber natürlich zweiter Ordnung. Erstere bezeichnet weitgehend ob- manipuliere ich meine Klient*innen. Sie mich aber ge- jektiv feststellbare Eigenschaften von Dingen, wäh- nauso! Denn Kommunikation ist immer auch Beein- rend die Wirklichkeit zweiter Ordnung rein subjektive flussung, und zwar wechselseitig. Wir können nicht Zuschreibungen von Wert und Sinn an die Dinge be- miteinander kommunizieren ohne uns auch zu beein- schreibt und daher auf Kommunikation beruht. Als flussen. Und wenn wir es nicht verhindern können, Beispiel nennt er das „Gold“: Die physikalischen Ei- sollten wir es wenigstens so gut wie möglich machen genschaften des gelben Edelmetalles sind bekannt und – zum Wohle und für die Anliegen unserer Klient*in- jederzeit verifizierbar. Der Wert jedoch, der dem Gold nen“, erinnere ich (SG) mich an seine Antwort auf die zugeschrieben wird, kann sich je nach Goldkurs von vorwurfsvolle Kritik der möglichen Manipulation von Tag zu Tag ändern – und diese zweite Wirklichkeit des Klient*innen in einem Workshop am Institut für Sys- Goldes lässt einen Menschen zum Krösus oder Bank- temische Therapie in Wien. rotteur werden. Für wen ist dieser Unterschied nicht 1974 erscheint das nächste bahnbrechende Buch, dies- von maßgeblicher Relevanz? „Von der Wirklichkeit (2. mal auf dem Gebiet der systemischen Familienthera- Ordnung) können wir nur wissen, was sie nicht ist“, pie: „Change“ bzw. „Lösungen“. In ihm skizzieren meint der Philosoph Watzlawick und bringt das von Watzlawick, Fisch und Weakland die grundlegenden Glasersfeld’sche Beispiel einer gefährlichen nächtli- Ideen eines problemorientierten systemischen Thera- chen Bootsfahrt. Das Buch wird ein großer Sachbu- pieansatzes. Die Art und Weise, wie Watz- lawick und Kolleg*innen am MRI Proble- me sehen, ist völlig neu: Sie fokussieren nicht auf mögliche Ursachen in der Ver- Watzlawik und das Mental Research gangenheit, sondern untersuchen die Aufrechterhaltung des konkreten Prob- Institute wurden von der damals lems der Patient*innen im „Hier und vorherrschenden analytischen Jetzt“, versuchen bereits in den ersten Stunden zu einem Therapieziel zu kom- Psychotherapeut*innen-Szene stark men und entwickeln Ideen, die Klient*in- angefeindet und ihre Methoden als nen helfen sollen, jene Muster familiärer Beziehungen zu unterbrechen, die das oberflächlich und manipulativ Problem aufrechterhalten. Dabei verste- beschimpft. hen sie Probleme als oftmalige Lösungs- versuche, postulieren sogar, „die Lösung selbst sei das cherfolg in Europa und Paul Watzlawick zum gefrag- Problem“ und entwickeln mit der Zeit unkonventio- ten Experten – nach den Kommunikationswissen- nelle, systemische Interventionen, wie die „Symptom- schaften, der Psychotherapie nun auch in der Wissen- verschreibung“, „die schlimmste Phantasie“, „thera- schaftstheorie. In seinem eigenen Leben muss der Er- peutische Doppelbindungen“ oder „Umdeutungen“. In folgsautor in schmerzlicher Weise erfahren, dass ein den 1970er und 1980er Jahren wird das MRI nun auch Weltbild zusammenbrechen kann, was er auch – wohl zum internationalen Zentrum der Systemischen The- autobiografisch anhand der Figur Janos – in seinem rapie. Mony Elkaim, Mara Selvini Palazzoli, Cloe Ma- Buch „Vom Schlechten Des Guten” beschreibt. danes, Wendel Ray, Insoo Kim Berg, Fritz Simon, Gior- gio Nardone, Gianfranco Cecchin, Teresa Garcia, Jean Nach Fertigstellung des Buches fällt Paul in ein Loch. Er ist Jacques Wittezaele usw. besuchen das MRI für einige in seinem Leben an einem Punkt angekommen, an dem er er- Monate bis zu einem Jahr, bringen die Arbeiten der reicht hat, was es für ihn zu erreichen gab. Sein Buch wird Gruppe nach Europa oder an andere Plätze, entwickeln ihm später viel Lob einbringen. Jetzt aber wacht der sonst so die Ideen weiter und bleiben in Kontakt. positive Paul mit ganz anderen Gedanken auf. Es ist Sonn- 1976 erscheint sein drittes wegweisendes Buch „Wie tag, der 25. Juli 1976. Der Mehrfachautor vollendet an die- wirklich ist die Wirklichkeit?”, welches Watzlawicks sem Tag sein 55. Lebensjahr. Er nimmt in sich selbst nur ein drittes Forschungsgebiet behandelt, den „Konstrukti- Gefühl der Leere wahr und eine wachsende Feindschaft ge- vismus“. Das Werk wird zu einem Standardwerk kon- gen sich selbst, wie er sie in dieser Stärke noch nie für einen struktivistischer Erkenntnistheorie werden, die be- anderen Menschen verspürt hat. Dass er sich in unmittelba- sagt: Die Wirklichkeit ist das Ergebnis von Kommuni- rer Weise bedroht fühlt, abgemagert und an Schlaflosigkeit kation, und nicht die Kommunikation das Ergebnis leidet, sind für ihn nur unerklärliche Nebenerscheinungen. der Wirklichkeit. Denn Watzlawick unterscheidet die Der Arzt jedenfalls hat keine körperlichen Ursachen dafür Wirklichkeit erster Ordnung von der Wirklichkeit gefunden. Die Monate vergehen, nicht aber die Kälte und

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Leere der Welt. Dabei – und das hält er sich immer wieder Rettung einer heilen, freien Welt zu erwarten war. Auch da- vor – sind alle seine materiellen Bedürfnisse erfüllt, noch ist mals hatte er eine Pistole; nun aber erst fiel es ihm auf, dass er gesund und mit seinen konkreten Lebensumständen eini- er in jenen Monaten des Hungers und der nackten Angst germaßen zufrieden. Und trotzdem ist alles unerträglich. auch nicht ein einziges Mal an die Sinnlosigkeit der Welt ge- Wenn das Leben keinen Sinn hat, welchen Sinn hat es dann dacht hatte, sondern immer nur ans Überleben. Es war, was zu leben? Und just in dieser Stimmung kommen ihm die George Orwell gemeint haben musste, als er in einem seiner «Dämonen» in den Sinn – unerwartet, nach vielen Jahren Essays schrieb: «Menschen mit leeren Bäuchen verzweifeln wieder Dostojewskis «Dämonen» – und vor allem jene Szene, nie am Universum, ja, sie denken nicht einmal daran.» Erst in der Kirillow erklärt, dass der Tod Christi die Sinnlosigkeit als all diese Erinnerungen in ihm aufstiegen, wurde es ihm der Welt erweise. Er schlägt nach und liest: (…) János[-Paul] klar, dass er auch jetzt in all seiner Verzweiflung und Ekel war nun entschlossen (…) und damit wird eine bloße Stim- keinerlei Wunsch hatte, zur Leiche zu werden. Was er wollte mung zur unmittelbar bevorstehenden Tatsache. und wonach er sich leidenschaftlich sehnte, war etwas Und dadurch erst wird es ihm schlagartig bewusst, dass er in grundsätzlich Neues, ein grundlegender Wandel. Und so seinem Leben bereits zwei Mal an dieser Schwelle gestanden verwarf er die Patentlösung mit der Pistole und trat in die- hat: Da war zunächst jenes Erlebnis vor einigen Jahren, das sem Augenblick wieder in den Dienst der Negentropie. Weni- ihm wie eine merkwürdige, von einer unbekannten Macht er- ger hoch-wissenschaftlich ausgedrückt: Er trat aus dem Ge- teilte Lektion erschienen war. Beim müßigen Sinnieren über gensatzpaar «Leere des Lebens oder Leere des Todes» heraus Alter und Tod war er zum festen, stolzen Entschluss gekom- und begab sich auf die Irrwege der Suche. men, im Falle einer unheilbaren Erkrankung diese zunächst auf sich zu nehmen, auch aus Respekt vor dem eigenen Leben INTERNATIONALES WIRKEN sich den vernünftig erscheinenden Behandlungen zu unter- werfen, sich aber das Recht vorzubehalten, beim Eintritt in Die Jahre des Höhepunkts von Watzlawicks Bekannt- die unerträglichen Stadien sich selbst zu erlösen. Nun hatte heit starten in den 1980ern. Diese Phase seines Lebens sich eines Tages der Verdacht auf einen Tumor und damit die ist geprägt von der Verbreitung seiner Ideen durch sei- Notwendigkeit der Untersuchung der Geschwulst ergeben. ne vielen Reisen und dem Verfassen seiner Populär- bücher. „Die Anleitung zum Unglücklichsein” (Watzlawick, 1983) wird ein Bestseller und ... der umwerfend elegante, schlanke Paul Watzlawick zum weltweit 63-Jährige mit den distanziert-ironischen gefragten Vortragenden. Auch die Verbreitung systemischer blauen Augen und den ordentlich ge- Therapieansätze in Europa wird kämmten grauen Haaren ist zwar äußerst von Pauls Reisetätigkeit mitbe- stimmt. Er supervidiert die Mai- höflich, charmant und witzig, aber er hält länder Gruppe (Selvini-Palazzo- – leider – eisern Distanz, wenn’s ans li, Cecchin, Boscolo, Prata), die die Arbeiten der Palo Alto Grup- Lebendige, sprich: an ihn selber geht. pe weiterentwickeln, trifft sich immer wieder mit seinem Auf den Urteilsspruch des Pathologen musste er 48 Stunden Freund und Kollegen Fritz Simon und dessen Kollegen warten. Und da war es nun um seine kühle Entschlossenheit am Heidelberger Institut in Deutschland, mit Mony geschehen. Auf einmal war der Tod keine Alternative mehr, Elkaim, Teresa Garcia, Jean Jacques Wittezaele und de- nur das Leben zählte – nicht vielleicht aus feiger Unreife, ren Student*innen in Belgien und Frankreich, gründet und das überraschte ihn am meisten. Die bloße Nähe des mit Giorgio Nardone das Zentrum für Strategische Todes erschuf in ihm Ehrfurcht vor dem Leben. Und daran Kurztherapie in Arezzo und ist immer wieder zu Gast änderte sich nichts, als ihm mitgeteilt wurde, dass kein in Österreich, seiner alten Heimat. Neben Systemi- Grund zur Besorgnis vorlag. Im Laufe der Zeit verblasste schen Instituten und Ausbildungseinrichtungen ha- aber diese Erkenntnis wieder. Das andere Erlebnis lag weiter ben ihn durch seine erkenntnistheoretischen Arbeiten zurück; in jenen Jahren, als es ihm und unzähligen anderen und seine Populärbücher aber auch die Universitäten nicht nur am Lebensnotwendigsten gebrach, sondern das in Europa, private Konzerne und andere Gruppen als Überleben in diabolisch dreifacher Weise bedroht war: von Vortragenden entdeckt. den Okkupanten und der von ihnen praktizierten Endlösung, von ihren immer näher rückenden Gegnern und von den In den 1980er- und 1990er-Jahren gehört es im deutschspra- allnächtlichen Bombenteppichen jener, von denen allein die chigen Raum zum leserfreundlichen Ton des Rauschens im

10 SYSTEMISC HE NOTIZ EN 03/17 Abb. 3: Weihnachtsfeier 1990 am MRI, 2004 auf den Stiegen im Innenhof des MRI und mit Wendel Ray und Study Tour Teilnehmer*innen am Eingang des Mental Research Instituts in Palo Alto.

Blätterwald, über den Konstruktivisten und Professor für Le- zugeknöpft und einsilbig.» Watzlawick wird zur Marke, benskunst Paul Watzlawick zu schreiben. Die Medien titeln: würde man heute sagen; und der ihm gegenüber positiv ein- «Wie wirklich ist die Wirklichkeit wirklich?» Pauls Aussa- gestellte Markenexperte analysiert: Er war authentisch, gen im Sinne von «Es gibt keine Wahrheit» und «Such nie kompetent und konsequent, er hatte Charisma und schaffte nach einer Lösung» wecken in ihrer scheinbaren oder offen- es so, die Menschen auch zu erreichen. sichtlichen Widersprüchlichkeit das Interesse der Men- schen. Seine Denkansätze wie «Man muss sich fragen, was Trotz des Erfolgs in der Außenwelt ist Paul Watzlawick kann ich noch schlechter machen?» widersprechen der kon- in seinem Innenleben noch auf der Suche, was er im ventionellen Logik und scheinen doch erfolgreich zu sein. „Vom Schlechten des Guten“ wohl autobiografisch wie Während das Volk die Bücher zu Bestsellern macht, bringen folgt beschreibt. intellektuelle Geister ihre kundige Skepsis zum Ausdruck. Der deutsche Politiker Norbert Blüm beispielsweise wird in „… erst, als er Novalis las und dabei auf das Symbol der Blau- einer Diskussion zur Frage veranlasst, ob der Konstruktivist en Blume stieß, jener Blume, die irgendwo im Verborgenen Paul Watzlawick der liebe Gott sei, da er glaube, nach Belie- blüht und deren Finden für die Romantik die Erfüllung der ben mit der Realität schalten und walten zu können. Blüm tiefsten Sehnsucht darstellte, bemerkte er, dass er sich selbst empfiehlt dem Philosophen, zur Verbesserung seines Wirk- als Suchender begriff. Bis dahin war ihm dieses Leitmotiv sei- lichkeitsverständnisses gegen eine fahrende Straßenbahn zu nes Lebens deswegen unbekannt geblieben, weil er so völlig laufen. darin enthalten war. Auf diese Einsicht folgte bald eine zwei- Paul ist schließlich richtig bekannt geworden. Prominent be- te, die aus der ersten hervorging, sie aber auch infrage stellte. kannt. Bei Vorträgen wird er als Nihilist und Manipulator Die Romantiker schienen zu wissen, was sie suchten; er aber angefeindet, als oberflächlich und als ein seelenloser Men- suchte, ohne zu wissen, wonach. Er wusste nicht nur nicht, wo schenverachter bezeichnet; als ein Schlawatzlawick, der sich das Gesuchte zu finden wäre, sondern nicht einmal, was es wiederhole, und als Dirigent, der die Stücke anderer spiele, war. Und doch begriff er jetzt, dass er in jeder Sekunde seines kritisiert. Paul erfährt Erfolg und Ruhm. Sein Terminkalen- Lebens durch jede, auch die unbedeutendste seiner Handlun- der und sein Bankkonto sind gefüllt, seine Person beliebtes gen die Frage an die Welt stellte: Ist es das? (...) Zielobjekt diverser Eitel- und Befindlichkeiten, seine Anwe- Für unseren Mann wirkte sich die Suche nach Sinn und Na- senheit gefragt. Paul fühlt sich geschmeichelt und verpflich- men so aus, dass er wie Faust durch die Welt rannte, ein jedes tet. Oft verpflichtet und geschmeichelt. Steht Paul einmal Glück bei den Haaren fasste, in sich hineinhorchte und fragte: auf dem Podium, ist er oft wie verwandelt. «Er war ein ruhi- «Ist es das?», und diese Frage immer wieder mit «Das ist es ger und zurückgezogener Mensch, aber wenn er vorgetragen nicht» beantworten musste. Immer wieder stand er mit leeren hat, kam eine andere Person aus ihm heraus. Er war fast Händen da, aber immer wieder zog er daraus den einzig mög- schüchtern, mochte nicht fotografiert werden, mochte nicht lichen Schluss, dass das jeweilige das eben nicht es war, dass angesprochen werden. Aber das stimmt nicht, denn er war er es eben noch nicht richtig benannt und an der richtigen sehr generös – im Privaten, im Kleinen», beschreibt ihn eine Stelle gesucht hatte. So heftete er seine Sehnsucht oft an frem- Freundin. Aus Sicht der Medien: «... der umwerfend elegan- de Städte und Landschaften, von denen er fest annahm, dass te, schlanke 63-Jährige mit den distanziert-ironischen blau- ihr Erreichen ihm diese Erfüllung vorenthielt, sobald er dort en Augen und den ordentlich gekämmten grauen Haaren ist ankam. Enttäuscht durchstreifte er sie; und er fuhr wieder hin, zwar äußerst höflich, charmant und witzig, aber er hält – in dieselbe Ernüchterung. Genauso oft waren es Frauen, die, leider – eisern Distanz, wenn’s ans Lebendige, sprich: an ihn bevor sie sich ihm hingaben, all seiner Sehnsucht Verkörpe- selber geht. Da wird die so sprachgewandte, schlagfertige rung wurden – und dann nur ein anderer Körper. Dann kam Galionsfigur des kalifornischen Palo-Alto-Instituts recht die bittere Trennung und mit ihr die Rückkehr der Illusion,

SYSTEMISC HE NOTIZ EN 03/17 11 ANDREA K ÖHL ER-LUDESCHER / STEFA N G EYERHO FER

2004 mit österreichischen Kolleginnen am MRI in Palo Alto, 1997 beim Büchersignieren am IST in Wien und 1999 bei der Verleihung des Ehrendoktorats der Webster University während seines letzten Wienaufenthalts.

nun aber durch das Gefühl des verlorenen Paradieses noch bisherigen Nichtfindens gewesen war; dass man das draußen leuchtender gemacht. Und ihr folgte wiederum die Leere. Er in der Welt nicht finden und daher nie haben kann, was man fühlte sich verraten, betrogen, ausgestoßen. Hätte er an Gott immer schon ist. Und damit erfüllt sich für ihn jenes Wort der geglaubt, so hätte er Ihn beschuldigt, ihn nicht heimkommen Apokalypse, wonach die Zeit nicht mehr sein wird – und er zu lassen. Als Atheist dagegen liebäugelte er gelegentlich mit stürzte in die zeitlose Fülle des gegenwärtigen Augenblicks. der Patentlösung des Selbstmordes, denn seine Zweifel wuch- Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde stand er in dieser sen, bis sie alles zu überwuchern und zu ersticken schienen. Zeitlosigkeit, denn um sie zu bewahren, verfiel er sofort auf Wozu also weiterleben? die Patentlösung, dem Erlebnis einen Namen zu geben und Dabei war sein Problem, von außen gesehen, recht banal. Nur nach seiner Wiederholung zu suchen.“ (Auszugsweise aus: das jeweils benannte Ziel stellte er nämlich infrage, nicht aber „Vom Schlechten des Guten“) die Suche selbst. Damit aber wurde die Suche endlos, denn der möglichen Fundorte gibt es unendlich viele. Was ja auch die ALTER UND TOD Romantik nicht in Betracht gezogen hatte war die banale Mög- lichkeit, dass es die Blaue Blume überhaupt nicht gibt – und Nach einem ereignisreichen Leben wird Paul Watzla- nicht der Trugschluss, dass der Sucher offenbar noch nicht am wick langsam alt. 1999 kommt er gesundheitsbedingt rechten Ort gesucht hatte. Daher schien es nur das manichäi- das letzte Mal nach Europa und dabei auch wieder sche Gegensatzpaar Finden und Nichtfinden zu geben, und in nach Wien. Er hält einen Vortrag für die Viktor Frankl diesem Nullsummenspiel mit sich selbst war unser Mann ge- Gesellschaft, erhält eine Ehrung der Wiener Ärztekam- fangen. Es war sehr schwer, klar und vor allem überzeugend mer, hält ein letztes Mal ein Seminar am Institut für darzulegen, wie er dieser Gefangenschaft doch entkam. Zwei- Systemische Therapie und bekommt an der Webster fellos trug dazu der Umstand bei, dass das Schicksal ihm fast University ein Ehrendoktorat für sein Lebenswerk nie das Ankommen am vermeintlichen Endziel versagte. Denn überreicht. Alle weiteren Treffen mit ihm finden wäh- wie wir schon sahen, ist nichts ernüchternder als eine erfüllte rend unserer Studienreisen nach Palo Alto 2001 und Hoffnung, und nichts trügerischer als eine versagte. 2004 statt, und ich (SG) treffe ihn ein letztes Mal 2006 Er hatte also den Punkt erreicht, dass er sich seines Suchens in seinem Büro am MRI. voll bewusst war, und damit auch seiner ewigen Fragen an alle Ein Kreis schließt sich langsam für ihn: In seiner ers- Inhalte und Aspekte der Welt: Ist es das? Und nun ergab sich ten Arbeit – der Dissertation in Venedig über den Reli- eines Tages ein ganz kleiner Wandel; eben einer von jenen, die gionsphilosophen Vladimir Solovev hatte Paul Watzla- so klein sind, dass sie Großes herbeiführen. So unwahrschein- wick dessen Leben in einer Dramaturgie beschrieben, lich es klingen mag, es war die winzige Verschiebung der Beto- die auch für Pauls eigenen Lebensweg zutrifft: Als nung von das auf es, wodurch die Frage plötzlich «Ist es das»? These die Mystik – sein Durchbruchserlebnis nach lautete. Und sofort kam ihm die Antwort: Kein Das, kein Ding dem Krieg, als Antithese der Rationalismus – Pauls da draußen in der Welt, kann je mehr als ein Name des Es sein wissenschaftliches Werk und als Synthese die Poesie – – und Namen sind Schall und Rauch. In diesem Augenblick Pauls „letztes Buch“, der Roman „Die Entdeckung des fiel die Trennung zwischen ihm und es weg; zwischen Subjekt gegenwärtigen Augenblicks“, den er nie geschrieben und Objekt, wie die Philosophen sagen würden. Kein Das hat, und den, so glauben wir, er schließlich gelebt hat konnte je dieses Es sein. Was die Welt nicht enthält, kann sie – wenn zum Teil auch in völlig ungeplanter Art und auch nicht vorenthalten, sagte er zu seinem eigenen Erstaunen Weise. immer wieder vor sich hin; und dazu noch die für ihn merk- würdig bedeutungsvolleren Worte: Ich bin icher als ich. Auf Paul fragt einmal seinen Interviewpartner «Können Sie einmal war es ihm klar, dass die Suche der einzige Grund des sich vorstellen, dass jemand sich ganz bescheiden als Mag-

12 SYSTEMISC HE NOTIZ EN 03/17 netnadel empfindet, die sich einfach einspielen will auf hö- hat uns dafür ein ästhetisch befriedigendes und gut here Kräfte, die der Magnetnadel vollkommen unverständ- verdaubares Menü bereitet. lich sind?»: Die Magnetnadel spielt sich ein, steht dann – Viele der von ihm mitentwickelten therapeutischen und es stimmt. Können Sie sich nicht vorstellen, dass man Methoden werden täglich in therapeutischen Behand- als Mensch unter Umständen so leben könnte? (...) Die lungen angewandt und von Kolleg*innen weltweit Vibrationen der Nadel erfolgen durch die Veränderungen weiterentwickelt – „Reframing“-Techniken, Als-Ob-In- des Magnetfeldes. Das Vibrieren, das Einspielen, das Ge- terventionen, 180-Grad-Interventionen und Zielorien- fühl des Stimmens und nicht das Erkennen des Sinns wäre tierte Fragen, wie die Erste-Zeichen-Frage oder die meines Erachtens sehr ausreichend. (Vielleicht) versuche Wunderfrage. Mit seiner Integration von problemori- ich damit eine Beziehung zwischen mir und der Welt auszu- entierten, lösungsorientierten und Hypnotherapeuti- drücken. Auf das Erlebnis dieses «Stimmens» kommt es an. schen Ansätzen war er seiner Zeit voraus. Heute ist die Wittgenstein drückt das sehr schön aus, wenn er schreibt: Integration dieser Ansätze „state of the art“ in der Sys- «Die Lösung des Problems merkt man am Verschwinden die- temischen Therapie. Oder, wie Fritz Simon in seinem ses Problems.» (Oder) mit Laotse: «Der Sinn, den man er- Nachruf schrieb: „Ohne Paul Watzlawick wäre die sys- sinnen kann, ist nicht der ewige Sinn; der Name, den man temische Szene weltweit heute weniger lebendig, viel- nennen kann, ist nicht der ewige Name.» (...) Es muss nicht leicht gäbe es sie gar nicht.“ gleich der liebe Gott unserer noch dazu trivialisierten All- tagsreligion sein. Eher jenes Mystische, wie es Buddha ur- sprünglich aufgezeigt hat, ohne von einem Gott oder einem BIBLIOGRAPHIE: Himmel zu reden. Vor allem aber sind wir ja nicht allein. Bateson, G.: Steps to an ecology of mind. New York: Ballantine Gegenüber dem Ich gibt es das Du, um das Ich herum gibt es Books, 1972. das Wir. Die Wirklichkeit wird ja nicht vom Einzelnen re- Bateson, G.: Mind and nature: A necessary unit. New York: Ballantine gellos und willkürlich konstruiert, sie ist eine Übereinkunft Books, 1980. von Kommunikation. (...)“ Bateson, G., Jackson, D., Haley, J., & Weakland, J. H.: Toward a theory of schizophrenia. Behavior Science,1, 251–264, 1956. Köhler-Ludescher, A.: Paul Watzlawick – die Biografie: Die Ent- Am 31. März 2007 stirbt Paul Watzlawick im Alter von deckung des gegenwärtigen Augenblicks. Hans Huber, Bern, 2014. 85 Jahren kinderlos in Palo Alto. Nachrufe zu seiner Watzlawick, P., Beavin, J. & Jackson, D. D.: Menschliche Kommuni- Person finden sich in zahlreichen Medien zwischen kation. Formen, Störungen, Paradoxien. Hans Huber, Bern, 1967. Wien, New York und San Francisco. Kolleg*innen und Watzlawick, P., Weakland, J. H., Fisch, R.: Change: Principles of Problem Formation and Problem Resolution. New York; Norton, Freunde gedenken seiner als Wegbegleiter. Paul Watz- 1974. Deutsch: Lösungen: Zur Theorie und Praxis menschlichen lawick hat ein Leben des Wandels und der Ziele ge- Wandels. Hans Huber, Bern, 1992. führt, bis er im flüchtigen Sein des Augenblicks ange- Watzlawick, P.: Wie wirklich ist die Wirklichkeit. Wahn, Täuschung, kommen ist – über die Kommunikation, den Kon- Verstehen. Piper, München, 1976. struktivismus und das zen-buddhistische Werkzeug Watzlawick, P.: Anleitung zum Unglücklichsein. Piper, München, 1983. des Koan – ankam im Sein des Moments. Nicht darü- ber zu reden oder zu schreiben – ihn einfach zu leben. Ganz im Sinne Goethes, der zur Erkenntnis gekommen war: Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Was von Paul Watzlawick bleibt, sind seine bahnbre- chenden Arbeiten auf den Gebieten der Kommuni - ka tionstheorie und der Erkenntnistheorie, seine unbe- schreibliche Gabe, komplexe Zusammenhänge bild- haft, einfach und klar darzustellen. Er hat uns die Grundlagen der Systemtheorie und damit die Basis Systemischer Therapie in eine einfache Sprache über- setzt und sie damit Menschen auch abseits der Wis- senschaft und Philosophie zugängig gemacht. Die Kri- tik, er hätte nichts davon selbst entwickelt, sondern nur Bateson in einfacheren Worten wiedergegeben, ist vielleicht berechtigt, aber nicht ganz nachvollziehbar. Wir schließen uns da Fritz Simon an, der im Epilog zur Biografie über Watzlawick schreibt, das wäre so, als würde man einem Koch vorwerfen, er hätte die Zuta- ten nicht selbst angebaut. Das mag stimmen, aber er

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