Man on Fire – Erinnerung an Tony Scott
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Man on Fire – Erinnerung an Tony Scott ting, befeuert von berauschenden Bildbearbeitungstak - tiken, in denen Bewegungen impressionistisch zerflos - sen. Darin ist Tony Scott seinen Anfängen als Maler treu ge - blieben. Von ihm stammt auch die Animationssequenz, die als Logo der seit 1995 gemeinsam mit Bruder Rid - ley betriebenen Filmfirma Scott Free Productions 62 diente. Am Anfang war Tony in die Fußstapfen des Älteren getreten, studierte ebenfalls am Royal College of Art in London und ließ sich dann bei Ridleys neu - gegründeter Werbefirma anwerben, weil der ihm einen Ferrari versprochen hatte. Ob als Autonarr, Motorrad - fetischist oder Felskletterer: Tony Scott war ein Adrena - linjunkie, der den »größten Nervenkitzel« im Regiefüh - ren entdeckte. Das schlug sich in der enormen Energie seines Grenzen sprengenden Werks nieder. Zwischen dem ersten Kurzfilm ONE OF THE MISSING (1969) nach Ambrose Bierce und seinem Langfilmdebüt THE HUN - GER (1983) praktizierte er sein Handwerk als hochpro - duktiver Werbefilmer in der erfolgreichen Firma des Bruders. Aus deren Mitarbeitern rekrutierte sich eine britische Generation: die Scott-Brüder, Alan Parker t t oder Hugh Hudson etablierten parallel zum französi - o c Als Tony Scott am 19. August 2012 mit 68 Jahren von schen Cinéma du look eine Hochglanzästhetik aus dem S y einer Brücke in Los Angeles in den Tod sprang, verlor Geiste von Werbung und Musikvideos. n o das aktuelle Blockbuster-Kino seinen bedeutendsten Tony debütierte als Nachzügler. Die bisexuelle Vampir - T Filmemacher. Beim Großteil der Kritik stand er lange im geschichte THE HUNGER war trotz Starbesetzung mit 62 Schatten seines älteren Bruders Ridley, mit dem er zeit - Catherine Deneuve, David Bowie und Susan Sarandon lebens eng zusammenarbeitete. Dabei hatte ihn Tony ein Flop, entwickelte sich aber rasch zum Kultfilm und als übersehener Ausnahmekünstler im Mainstream der ist in vieler Hinsicht die Quintessenz der Bewegung. Wo Traumfabrik längst überflügelt. Er war einer jener selte - Tony Scotts Kino später heißlief, widmete er sich hier nen Regisseure, denen es gelungen war, Publikums - noch formvollendet kühlen Arrangements von Atmo - filme zu machen, in deren Ästhetik nachgerade avant - sphären und Zeitgeist-Kompositionen, samt Jalousien - gardistisches Potenzial steckte – wie Alfred Hitchcock, schatten und Rauchschwaden im 1980er-Jahre-De - Yasujiro Ozu oder Jerry Lewis. sign. Das ausgeprägte Bewusstsein für Bildwirkungen, In der letzten Dekade seines Schaffens hatte Tony die transgressiven Handlungselemente und ein unge - Scott einen expressionistischen Stil perfektioniert, des - wöhnlicher Zugang zum Genre nahmen spätere Ent - sen Kühnheit im kommerziellen Kino nichts gleichkam: wicklungen schon vorweg. Zunächst gelang Scott aber eine kubistische Montage, dazu komplexe Text-Bild- der kommerzielle Durchbruch dank der profitablen Kol - Collagen wie sonst nur bei Jean-Luc Godard, und laboration mit dem Produzenten Jerry Bruckheimer: immer kühnere Abstraktionen, erzeugt mit dem Einsatz TOP GUN leitete 1986 eine Serie von Großproduktionen des ganzen Arsenals der Kinogeschichte – von filmi - ein, deren Einfluss nachhaltig war, von Scotts Teleob - schen Effekten durch die Verwendung einer hundert - jektiv-Tableaux bis zu seinen beschleunigten Bildfolgen jährigen Handkurbelkamera bis hin zu malerischen und auf den Soundtrack abgestimmten Montagen. Möglichkeiten dank jüngster Digitaltechnologie. Die Mit LAST BOY SCOUT (1991), TRUE ROMANCE (1993) hyperaktive Erzählweise und die radikalen Perspektiv - und CRIMSON TIDE (1995) zeichnete sich ein Umbruch wechsel seiner Filme nutzte Tony Scott für ein viel - ab, der bald zum Ausbruch eskalieren würde. Mit dem schichtiges Kino im Wortsinn: buchstäblich Action Pain - Drogenthriller-Roadmovie TRUE ROMANCE wurde erst - mals ein Film Tony Scotts ernsthafter rezipiert, was dem geratenen Gegenwart: world out of order . Die US-Vi - Drehbuchautor zu verdanken war – Quentin Ta ran tino, sion von George Bushs New World Order dient nicht kurz vor dem Sprung zum Regie-Superstar. Tarantinos nur im provokanten Psychogramm einer Nation nach unverwechselbare popkulturgesättigte Dialoge würzten 9/11, das MAN ON FIRE liefert, als Triebfeder. In DEJA auch die Jagd auf ein frischverheiratetes Paar, das Ko - VU ist es ein Terror-Anschlag, der Denzel Washington kain gestohlen hat. Aber Scott brachte nicht nur in cha - durch die Zeit reisen lässt. Bei den Ermittlungen zum rakterstarkem Casting und atemberaubenden Action- Attentat wird eine Science-Fiction-Maschine (»Schnee - Arrangements seine Handschrift ein. Er setzte auch als wittchen«) eingesetzt, die wie ein Live-Stream aus der »hoffnungsloser Romantiker« gegen Tarantino ein Vergangenheit funktioniert: ein Virtual-Reality-Update Happy-End durch, das er der zentralen Liebesge - von Hitchcocks REAR WINDOW, wobei sich der Held in schichte als angemessen empfand. eine Tote verliebt (man denkt an VERTIGO oder Otto Mit DEJA VU drehte Tony Scott 2006 seine Variation Premingers LAURA), und die unglaublichste Autoverfol - auf Hitchcocks ultimative nekrophile Kinoromanze VER - gungsjagd der Filmgeschichte absolviert, vier Tage und TIGO, und der zeitgerecht dunkle Unterton seines sechs Stunden zeitversetzt. Die Zeit muss aus den Werks war da längst nicht mehr zu übersehen. Bei den Fugen geraten, damit die Wunden geheilt werden kön - Agententhrillern ENEMY OF THE STATE (1997) und SPY nen: DEJA VU ist zugleich Liebeskrimi-Furioso, meta - GAME (2001) wurde nicht nur die Form seiner Filme phorisches Nationenbild und als analytischer Essay immer gewagter, er beschäftigte sich auch mit aktuel - zum Kino selbst gleichermaßen dekonstruktiv und uto - len Krisenthemen wie Überwachungsstaat und Terroris - pisch auf eine Weise, die sich Chris Marker ausgedacht mus. Der Quantensprung zu einer Art terroristischem haben könnte. Kino im formalen Sinne gelang mit MAN ON FIRE Er ist somit auch die Kehrseite der Medaille des Vor - (2004). Denzel Washington, der als Scotts Idealdarstel - gängers DOMINO (2005), in dem die Biografie einer ler seine beseeltesten, bewegendsten Leistungen er - Kopfgeldjägerin (Keira Knightley) im Medienfeuer förm - brachte, spielt darin einen ehemaligen Marine und CIA- lich atomisiert wird – der surrealste und unbeschreib - Spezialagenten, der durch Alkoholismus zum preiswer - lichste aller Scott-Filme, somit vielleicht sein zentraler. t t ten Leibwächter heruntergekommen ist. In Mexiko City Geradezu klassisch, mit nur gelegentlichen bildmächti - o c S hütet er ein Kind aus den gesicherten Rückzugsgebie - gen Geschwindigkeits-Abstraktionskaskaden, dagegen y ten der Reichen im Zentrum globaler Armut – und sein Abschiedsfilm. UNSTOPPABLE (2010) war – wie n o schreitet blutend zum blutigen Rachefeldzug, als sein davor das Remake THE TAKING OF PELHAM 1 23 T Schützling entführt wird. Seinen Marsch durchs Fege - (2009) – ein soziales Zeitbild im Gewand unprätentiö - 63 feuer der Slums und weiter orchestriert Scott als Deli - ser Genre-Aktualisierung. Dabei ein virtuoser Hoch - rium des Protagonisten: Mann brennt, Film brennt. Die spannungsthriller, der – ganz gegen die Hollywood- sensationelle Sinnesüberflutung ist wie eine im Block - Tendenz – an die Glanzzeit eines tatsächlich proletari - buster-Maßstab durchgezogene Avantgarde-Explosion: schen Unterhaltungskinos anschließt. Wie in Holly - überwältigende Repräsentationen einer aus den Fugen woods wendigen Depressionszeit-Filmen der 1930er r E G N u H E H t erzählt UNSTOPPABLE schnörkellos seine Suspense- pher Walken, Samuel L. Jackson, Michael Rapaport – Story über die Versuche des Lokomotivführers Denzel 120 min, OF – Eine Kino-Zufallsbekanntschaft führt zu Washington, einen außer Kontrolle geratenen Zug mit einer heißen Liebesnacht: das Mädchen entpuppt sich giftigen Chemikalien aufzuhalten – und ebenso von der als Callgirl-»Geburtstagsgeschenk«, aber die Liebe ist Wirklichkeit der krisengebeutelten Nation zwischen Ent - echt. Als der Junge nach der Spontanheirat ihren Zu - lassungen, Klassenkonflikten und sozialer Unzufrieden - hälter ermordet, fällt den beiden ein Koffer voll mit heit. Zugleich führt Scott seine Geschichte(n) des Kinos Kokain in die Hände. Auf dem Weg nach Los Angeles an den Anfang zurück: bis zur Einfahrt des Zuges der geraten sie ins Fadenkreuz von Mafia und Polizei. Ein Brüder Lumière. Christoph Huber explosives Roadmovie mit dem typischen Pop-Humor seines Drehbuchautors Tarantino, von Tony Scott als TONY SCOTT, FILM DIRECTOR – USA 2009 – 9 min, Overdrive-Action-Lovestory interpretiert und mit gran - OF – Tony Scott spricht über seine Karriere und seine diosen Gastauf tritten (Christopher Walken vs. Dennis Filme. – THE HUNGER (BEGIERDE) – GB 1983 – R: Hopper!) garniert. Tony Scott – B: Ivan Davis, Michael Thomas, nach dem ▶ Dienstag, 7. Mai 2013, 21.00 Uhr Roman von Whitley Strieber – K: Stephen Goldblatt – M: Michel Rubini – D: Catherine Deneuve, David Bowie, MAN ON FIRE (MANN UNTER FEUER) – USA 2004 – Susan Sarandon, Cliff De Young, Beth Ehlers, Willem R: Tony Scott – B: Brian Helgeland, nach dem Roman Dafoe – 97 min, OF – Ein Partnertausch in der New von A. J. Quinnell – K: Paul Cameron – M: Harry Greg - Wave Disco führt zu vampirischem Mord: Ein jahrhun - son-Williams – D: Denzel Washington, Dakota Fanning, dertealtes Paar lebt unerkannt in New York, die Bedin - Christopher Walken, Mickey Rourke, Giancarlo Gian - gung ihrer ewigen Jugend ist das gelegentliche Trinken nini, Radha Mitchell, Marc Anthony – 146 min, OmU – von Blut. Doch als der Gatte plötzlich rapide