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Die WareFESTIVALS Kino

Bei den 62. Filmfestspielen von Cannes machten sich Zukunftsängste breit. Die Branche fürchtet sich vor einem Einbruch des globalen Marktes.

Cannes-Gäste Monica Bellucci, Sophie Marceau

ames Moder ist ratlos. Vor ihm sitzen ner von etwa 10000 Produzenten, Verlei- Tatsächlich sind die Einkäufer in diesem zwei Einkäufer aus Südkorea und hern und Rechtehändlern, die jedes Jahr Jahr zurückhaltend wie selten, Gewinn- Jschauen sich ohne spürbare Regung nach Cannes kommen, um während des margen für Filme sind drastisch gefallen. Ausschnitte des Doku-Dramas „Forever Festivals Filme zu erwerben und zu ver- Die Verkaufs- und Verleihzahlen von Blonde – The Marilyn Monroe Story“ an, kaufen. Der Markt von Cannes ist der DVDs sinken weltweit, die Fernsehsender das er mit seiner Firma Allied Entertain- größte der Welt, jedes Jahr werden hier leiden unter dem Einbruch des Werbe- ment weltweit vertreibt. Dargestellt wird Abschlüsse in Milliardenhöhe getätigt. markts und können weniger Geld für Spiel- die 1962 verstorbene Hollywood-Legende Während die Stars auf dem roten Tep- film-Lizenzen ausgeben. Das Kino boomt von dem unbekannten Starlet Sunny pich die Treppen zum Premierenkino zwar noch, kämpft aber mit einem Über- Thompson. Einer der Südkoreaner schaut hochsteigen, wird einige Etagen tiefer, in angebot: Kamen 1990 gut 300 neue Filme unruhig auf sein Handy. den Katakomben des Festivalpalais, rund auf deutsche Leinwände, waren es 2008 Moder drückt auf die Fernbedienung, um die Uhr geworben und geschachert. schon fast 500 – viele davon Flops. das Bild wird schwarz. „Wussten Sie, dass Dort unten, im Souterrain von Cannes, „Wie viel willst du dafür haben?“, fragt Marilyn mal in Südkorea war?“, fragt er. werden auch die Schmuddelkinder des Ki- ein Interessent Lesoeur nach dem Preis für Einer der Einkäufer schüttelt den Kopf. nos gezeigt, Splatter- und Sex-Filme, in de- einen tschechischen Animationsfilm. Le- Moder drückt erneut, Dokumentarauf- nen Blut und Sperma fließen, oder russi- soeur, ein graumelierter Mann mit einem nahmen von Monroe aus dem Jahr 1954 sche Komödien wie „Hitler Goes Kaput“. traurigen Gesicht, lässt die Mundwinkel bei einem Besuch der in Korea stationier- Aber hier liegt zugleich das Fundament noch tiefer hängen: „Beim besten Willen, ten US-Truppen erscheinen auf dem Bild- der gesamten Industrie. Da mag der unter 60000 kann ich nicht gehen.“ Der schirm. Die beiden Südkoreaner sind nun Kunstanspruch noch so hoch gehalten wer- Einkäufer schüttelt den Kopf und geht weg. völlig gebannt. den – wenn in diesem Jahr die neuen Wer- Wird er wiederkommen? Lesoeur nickt: „Ich glaube, sie werden kaufen“, sagt ke von Jane Campion, Quentin Tarantino „Sicher. Ich kenne ihn seit Jahren. Der Moder zufrieden. „Der Film setzt sich oder Ang Lee von den Premierengästen macht ein Gegenangebot. Fragt sich nur, durch. Aber die anderen …“ Er blickt et- beklatscht werden, sind die Verleiher schon wie hoch.“ Filmhandel ist Pokern. was sorgenvoll auf die Plakate, sie sind dabei, jede Minute des Applauses in Ein- Tatsächlich ist der Filmmarkt in Cannes schrill und schlicht, sie werben für B-, C- spielergebnisse umzumünzen. ähnlich aufgebaut wie ein Spielcasino in und D-Produktionen wie „Shut up and In diesen Basar dringen weder Sonnen- Las Vegas. Wer hineingeht, verliert sofort Shoot!“, „HorrorVision“ oder „ Blade strahlen noch Starglanz vor; die Geschäf- jede Orientierung. Nichts ist so schwer zu – Blood Is Only the Beginning“. Blut ist temacher lassen sich nicht leicht blenden. finden wie der Ausgang. Es herrscht eine nur der Anfang? „Der Markt wird immer Während bei den Partys gefeiert und ge- nervtötende Kakophonie, nur machen den härter“, sagt Moder. „Doch so hart wie in tanzt wird und Zuschauerzahlen bejubelt Lärm nicht die einarmigen Banditen, son- diesem Jahr war er selten.“ werden, ist die Krise hier ganz und gar an- dern die Trailer der feilgebotenen Filme. Moder, in Graz geboren, in Vancouver gekommen. „Die Geschäfte sind mau“, Die fröhlichen Songs eines -Mu- aufgewachsen, nun in Los Angeles ansässig sagt Daniel Lesoeur von der französischen sicals mischen sich mit den düsteren Klän- und seit 30 Jahren im Filmgeschäft, ist ei- Firma Eurocine. „Viele haben Angst.“ gen eines russischen Zaren-Epos und den

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Geräuschen brechender Knochen eines in Israel. Das ist viel, vor allem angesichts Facilides, Geschäftsführerin des deutschen fernöstlichen Kampfsport-Krachers. der raubkopierten DVDs, die am Starttag Verleihs Universum („Unsere Erde“). „Wir Die rund 1500 Vorführungen in den über bereits in Umlauf waren. Filmpiraterie ist werden bald eine Marktbereinigung erle- 30 Kinosälen sind völlig emotionslos. Es nicht nur in Israel ein großes Problem. ben, die insbesondere auf das Wegbrechen herrscht ein ständiges Kommen und Ge- Würde Gilad-Herman auch „John Rabe“ der Filmfinanzierung durch Hedgefonds hen, es wird geredet und telefoniert – kaufen, einen Film über einen Nazi, der und Banken in den USA zurückzuführen jedes Pornokino ist dagegen die reinste 1937 in Nanking Tausende Chinesen vor ist. Viele der Filme, die man heute im Pro- Idylle. In diesem Jahr scheinen die Ein- dem Tod rettete? „Schwierig“, sagt sie. „Es jektstadium anbietet, werden nie realisiert. käufer ganz besonders unruhig und un- gibt bei uns viele, die denken: Genug ist Wer hat Chancen zu überleben? Gute Filme schlüssig zu sein. genug. Vielleicht sollte man den Film erst zusammen mit neuen Vermarktungskon- Im Palais E läuft die US- zepten – und leidenschaftli- Produktion „Alien Trespass“, chen Filmemachern.“ eine Hommage an das Science- Enthusiasten wie Bernd Fiction-Kino der fünfziger Reichert und Ivo Scheloske Jahre. Ein Außerirdischer mit vielleicht, die mit ihrer Firma langen Tentakeln und einem i-catcher media im bayeri- riesigen roten Auge in Ho- schen Haibach sitzen. Sie denhöhe frisst die Einwohner zeigen ihren Splatter-Film einer amerikanischen Klein- „Break“ in Cannes und sind stadt auf. Leider bricht bei mit viel Kunstblut, aber mit der digitalen Projektion im- noch mehr Herzblut bei der mer wieder das Bild zusam- Sache. Auf dem Plakat von men. Ständig versinkt das „Break“ baumelt von der knallbunte Billigspektakel in Decke ein Seil, an dem zwei langen Schwarzfilmpassagen; abgehackte Füße hängen. das Kino leert sich rasch. „Das Motiv hat voll einge- Im Palais B wird der fran- schlagen“, freut sich Reichert. zösische Krimi „La Taupe 2“ „Als wir nach Cannes kamen, gezeigt. Er hat schon vor ei- sagten alle: Ach, ihr seid die ner halben Stunde begonnen, mit den abgehackten Füßen.“ doch das macht gar nichts, In „Break“ geraten vier weil die Hauptdarstellerin Freundinnen bei einer Berg-

alle drei Minuten wiederholt, (R.) / DPA / AFP HORCAJUELO (L.); HARTMANN GUILLAUME CHRISTIAN tour in die Gewalt von zwei worum es geht: „Wer hat Regisseur Tarantino (M.), Begleiter*: Schmuddelkinder des Kinos? brutalen Hillbillies. Der Film Franck Sibony getötet?“ Wer spielt in den Rocky Moun- 20 Minuten dieses Films gesehen hat, wird einmal auf einem Festival in Israel zeigen.“ tains; gedreht wurde er im Oberammer- diesen Namen nie wieder vergessen. Zwei Gerade ist „John Rabe“ mit 750 Kopien in gau. Dort wohnt der Regisseur Matthias Frauen sitzen im Saal, eine geht nach we- China angelaufen. In kaum einem Land Olof Eich. Für die USA reichte das Budget nigen Minuten. Die andere bleibt – einge- werden so viele Raubkopien hergestellt von 300000 Euro, das Produzent Reichert schlafen. wie in China. vom eigenen Sparbuch nahm, leider nicht. Palais J, auf dem Programm steht die Eine junge Russin tritt an den Beta- Nun flattert eben eine amerikanische Flag- indische Produktion „The Forest“. Rainer Stand. Sie ist an DVD- und TV-Rechten in- ge ins Bild, eine der Heldinnen liest „USA Flaskamp von der ARD-Tochter Degeto teressiert. „Was haben Sie im Angebot?“ – Today“, und zwei Ami-Schlitten sollen die sackt in die erste Reihe. „Ich brauche mal „Zum Beispiel ,Nordwand‘, ein packendes Illusion perfekt machen. Außerdem spre- eine Pause von den ganzen chinesischen Bergdrama.“ – „Ein Drama? Um Gottes chen alle Englisch. Autorenfilmen mit Wackelkamera“, sagt willen! Dramen haben wir in unserem Natürlich kann man diese Oberammer- er. „The Forest“ zeigt Tiger, Leoparden, Land mehr als genug. Was ist ,Il Divo‘?“ – gauer Passionsspiele der besonders bluti- Spinnen, Affen, Elefanten, dazwischen im- „Ein Film über Giulio Andreotti, politische gen Art für Trash halten. Doch tatsächlich mer wieder ein paar Menschen. Nach einer Korruption.“ Die Russin erschauert: „Ha- ist der Film aus dem gleichen Stoff gemacht Viertelstunde geht Flaskamp. ben Sie gar keine leichten Komödien?“ wie Lars von Triers Wettbewerbsbeitrag „Man darf in Cannes nie einen Regis- Der Glaube an das krisenfeste Kino, das „Antichrist“, der auch in nordamerikani- seur in eine Marktvorführung seines Films am Bedürfnis nach leichter Unterhaltung schen Wäldern spielt, aber in Nordrhein- lassen“, sagt Dirk Schürhoff, Chef des sogar in der Rezession noch profitiert, er- Westfalen gedreht wurde und ebenfalls in deutschen Weltvertriebs Beta Cinema. weist sich diesmal als Illusion. Während Splatter-Effekten schwelgt, nur weit mehr „Der entleibt sich sofort.“ Schürhoff und des Festivals verlangten russische Verlei- Geld – Fördergeld – zur Verfügung hatte sein Kollege Andreas Rothbauer haben her von amerikanischen Weltvertrieben, als „Break“. Filme wie „Der Untergang“ oder „Das Le- die Preise für bereits vor der Wirtschafts- Selten zuvor kam der offizielle Wettbe- ben der Anderen“ in viele Länder ver- krise gekaufte Produktionen nachträglich werb in Cannes, in dem viele Regisseure kauft. Nun haben sie den Keller des Mark- zu senken – ansonsten würden sie gar auf klassische wie das Gefängnis- tes hinter sich gelassen und sind mit ihrem nichts mehr kaufen. Die einzige Nation, drama oder den Vampirfilm zurückgriffen Stand ans Tageslicht gezogen. Doch die die in Cannes einen gewaltigen Boom er- und Quentin Tarantino in seinem neuen Geschäfte laufen noch verhalten. lebte, war offenbar Indien. Nach „Slumdog Werk „Inglourious Basterds“ Nazis, Blut Die israelische Verleiherin Ronit Gilad- Millionär“ hoffen alle sehnsüchtig auf und das Trash-Kino der siebziger Jahre zu Herman schaut vorbei. Ihr Vater Ephraim Blockbuster aus Bollywood. einem wüsten -Mix vermengt, dem brachte einst Rainer Werner Fassbinders „Die Filmbranche steht vor einem deut- Markt so nahe wie in diesem Jahr. Fast Melodram „Die Ehe der Maria Braun“ in lichen Umbruch“, glaubt Tania Reichert- schien es, als holte sich der Kunstfilm beim die israelischen Kinos. Sie selbst hat den B-Film eine Bluttransfusion. In Zeiten der Oscar-Gewinner „Die Fälscher“ von Beta * Brad Pitt, Diane Kruger, Melanie Laurent, Christoph Krise rückt das Kino über alle Grenzen gekauft, 45000 Zuschauer fand der Film Waltz, Mike Myers am 20. Mai in Cannes. hinweg zusammen. Lars-Olav Beier

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