______

2

MUSIKSTUNDE mit Trüb Dienstag, 12. 2. 2013

„Weber, Wald und Wolfsschluchzen: Das Theatergenie “ (2)

MUSIK: INDIKATIV, NACH CA. … SEC AUSBLENDEN

Was eigentlich machte Carl Maria von Weber zum „ersten deutschen Romantiker der Musik“? Warum wurde er nicht, wie seine Generationsgenossen E. T. A. Hoffmann und, ja, auch , zu einem der letzten Klassiker? Hoffmann schrieb zwar hochromantische Literatur, komponierte aber ausschließlich in der Mozart-Nachfolge; und Beethoven streckt schon mal den großen Zeh in den dunklen Fluss des Romantischen, etwa in der „Mondscheinsonate“, aber zugleich ist er der Vollender des klassischen Durchführungsprinzips. Der US-amerikanische Musikwissenschaftler Joseph Ilardo ist der Frage nachgegangen – und er landete bei dem, wie er schreibt, „Substrat der Romantik, dem Märchen“, was wiederum ein „Substrat der deutschen Seele“ darstelle. Auch in einem „Spiegel“-Artikel über die Gebrüder Grimm las man jüngst: „Grimms Märchen und die deutsche Romantik, darauf hat sich die Welt geeinigt, sind das Deutsche schlechthin: so utopisch und sentimental, so romantisch, so zerklüftet, so mondscheinselig.“ Kann man das aber noch als flinke „Spiegel“-Schreibe abtun, wiegt das Wort des marxistischen Philosophen Ernst Bloch schwerer: „Der Marxismus“, schreibt er, „in allen seinen Analysen der kälteste Detektiv, nimmt aber das Märchen ernst, den Traum vom goldenen Zeitalter praktisch.“ Carl Maria von Weber liebte Märchen und verschlang sie schon in der Jugend; zwar gab's die Sammlungen der Grimms, Wilhelm Hauffs, Ludwig Bechsteins oder Hans Christian Andersens erst nach 1800, aber Jung-Weber hatte wackere Übersetzungen des Franzosen Charles Perrault, der viele spätere Grimm-Märchen ein wenig anders erzählt, sowie eine Auswahl aus „Tausendundeiner Nacht“, auf die er später dann in seiner komischen Oper „Abu Hassan“ zurückgreift. E. T. A. Hoffmanns Groteskerien kamen später hinzu, auch Heinrich Heines zunehmend verzweifelt- spöttische Sehnsuchtsarien. Weber war zwar nicht, wie nach ihm Robert Schumann, unschlüssig, ob er selbst ein deutscher Dichter oder aber ein deutscher Komponist werden solle. Das Zeug zum Dichter hätte jedoch auch er gehabt; und hätte möglicherweise, gefragt, was er schreiben wolle, geantwortet: „Märchen.“

MUSIK: WEBER, OBERON, CD 1, TRACK 1 (8:48)

Carl Maria von Weber, die Ouvertüre zu seiner Märchenoper „Oberon“, gespielt vom Orchestre Révolutionaire et Romantique unter Leitung von John Eliot Gardiner. Oberon, das ist der König der 3

Elfen, kompiliert von dem belesenen Komponisten aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ und Christoph Martin Wielands Gedicht „Oberon“, das englischsprachige Libretto allerdings gab Weber in die Hand von James Robinson Planché. Eine deutsche Fassung wollte er selber herstellen, verstarb aber vorher.

Webers Lieblingslehrer wurde, in Wien und Darmstadt, , allgemein bekannt als Abbé Vogler. Dort freundete er sich übrigens an mit einem anderen Vogler-Schüler, nämlich Jakob Liebmann Meyer Beer, dem späteren Giacomo Meyerbeer in Paris, wo der junge Richard Wagner vergebens versuchte, Fuß zu fassen; um zu überleben, kopierte er dem Juden Meyerbeer seine Grand-Opéra-Erfolge, hasste ihn dafür – und wurde in der Folge zum flammenden Antisemiten. Meyerbeer und Weber allerdings verstanden einander glänzend. Und Abbé Vogler, der Allroundmusiker, erkannte vielleicht als erster das wirkliche Talent seines Schützlings Carl Maria von Weber. Als der 18 wurde, im Jahr 1804, empfahl Vogler ihn als Kapellmeister ans Opernhaus von Breslau, damals eine hohe Ehre, denn er war damit europaweit der jüngste! Bereits in Breslau reformierte das Theatergenie die Praxis des Opernbetriebs, oft gegen erbitterten Widerstand des Personals, aber so, dass es sich gehalten hat bis heute; zum Beispiel die Sitzordnung des Orchesters oder den Probenablauf mit Solo- und Ensembleproben, Orchestersitzproben mit Sängern, aber ohne Szene, Haupt- und Generalprobe. Ältere Sänger, deren Stimmen verbraucht waren, ließ er zügig pensionieren, und die Geschichte mit dem gerollten Notenblatt, aus dem später der Dirigierstab hervorging, begann ebenfalls in Breslau. Weber hatte so viele Ideen, wie der Opernbetrieb zu verbessern wäre, dass er sich beim Reformieren und Revolutionieren wohl manches Mal auch selber im Weg stand.

Und er hatte, ebenfalls in Breslau, einen potenziell tödlichen Unfall. Vater Franz Anton, der dem Sohn einst das Notenstechen beibrachte, hatte die hochgefährliche Angewohnheit, Salpetersäure zum Kupferstechen in alten Weinflaschen aufzubewahren – und die dann achtlos unter „normalen“ Weinflaschen stehen zu lassen. Eines Abends, nachdem er stundenlang komponiert hatte, setzte der durstige Carl Maria eine dieser Flaschen an den Hals – in dem Irrglauben, dass sie tatsächlich Wein enthalte. Er wurde am nächsten Morgen bewusstlos aufgefunden, schwebte bald zwei Monate lang zwischen Leben und Tod, genas dann aber wieder – nur seine schöne Singstimme, die hatte er sich für immer verätzt. Später rätselten Leute, die Weber trafen, immer wieder, wie solch ein schlanker, nobler, eleganter Mensch eine so bierkutscherhaft tiefe und heisere Stimme besitzen könne! George Smart in London meinte sogar, sie klänge „wie derbes Schuhwerk auf einem Kiesweg“. Nun, so konzentrierte sich Weber eben aufs Klavierspielen – und aufs Dirigieren. Seine Lieblingsoper stammte von seinem angeheirateten Cousin Mozart, und fast ist es müßig, den Titel zu nennen: Es 4 war natürlich der „“, damals bekannter unter dem spanischen Titel „Don Juan“. Dessen finale Höllenfahrt jedenfalls war möglicherweise der Initialfunke für Webers bekannteste Oper, den „Freischütz“, wo der Herr der Hölle ja eine zentrale Rolle spielt. Bezeichnenderweise aber lässt der Komponist Beelzebub (der hier Samiel, der schwarze Jäger heißt) nicht singen, nein, er konzipierte ihn als reine Sprechrolle, mit einer Stimme ähnlich seiner eigenen nach dem „Genuss“ der Salpetersäure … Die Haltung jedenfalls, die wirkmächtige Theatralik, die geniale Ballung des Geschehens – kommt geradenwegs aus dem Finale von „Don Giovanni“.

MUSIK: MOZART, DON GIOVANNI, CD 3, TRACKS 9 BIS 11 (7:39)

Einer der gewichtigsten Vorläufer des Weber'schen „Freischütz“: Mozarts Oper in zwei Akten „Don Giovanni“, das Finale mit Giovannis Höllenfahrt. Eberhard Wächter sang die Titelrolle, Giuseppe Taddei den Diener Leporello, Gottlob Frick die Statue des Commendatore, den der Don gleich zu Beginn des 1. Aktes im Duell tötet; dazu Philharmonia Orchestra & Chorus, die Gesamtleitung hatte Carlo Maria Giulini.

Carl Maria von Weber war, wie Mozarts „Don Juan“, ein großer homme à femmes, egal ob Primadonnen oder Chormädels, Ballettratten oder Näherinnen: Er ließ so gut wie keine aus. Da er zugleich aber ein Gentleman war, der jeder Frau die Sterne vom Himmel holte, wuchsen seine Schulden allmählich ins Uferlose: Von den 600 Thalern Jahresgehalt als Kapellmeister jedenfalls konnte er sich den ganzen Schampus, das Putzwerk und Geschmeide, das Speisen in Chambres séparées sowie Landpartien mit Kutschen und dergleichen nicht leisten! Zumal er auch noch seinen altwerdenden Vater unterhalten musste. Weber strampelte und strampelte, die Schulden aber wuchsen unbarmherzig. Als er dann noch genervt in Breslau kündigte, weil wieder einer seiner Verbesserungsvorschläge auf taube Ohren gestoßen war, wurden seine zahlreichen Gläubiger nervös und drängten auf Abgleich ihrer Forderungen. Carl Maria bedrückte all das sehr, er war nämlich kein Halunke – aber sein Vater war einer, er kannte die Situation aus eigener Erfahrung und drängte auf rasche Abreise. (Übrigens auch die Methode, wie später Richard Wagner seinen Gläubigern entkam!) Aber in Webers Fall war die Rettung eine in ihn verschossene Klavierschülerin, das Fräulein von Belonde, eine Ehrendame der Herzogin von Württemberg. Deren Gatte, Herzog Eugen Friedrich Heinrich von Württemberg, war ein Kunstmäzen und Musikliebhaber, er bewohnte ein Schloss im oberschlesischen Carlsruhe, das er nach dem Vorbild des „Weimarer Musenhofes“ aufwerten wollte – und wer fehlte ihm dazu noch? Richtig: ein Musicus von Rang. Er stellte Carl Maria von Weber ein, gab ihm den Fantasietitel Musik-Intendant – und ließ nicht nur den alten Vater nachkommen, sondern auch noch eine Tante Adelheid, die vor Napoleons Truppen aus 5

München geflohen war! Das oberschlesische Carlsruhe wurde für Weber, vom Spätsommer 1806 bis zum Februar 1807, zur Insel der Seligen, weit weg von den Gläubigern, kompositorisch überaus fruchtbar, auch die beiden Symphonien entstanden dort. Die Idylle zerbrach erst, als Napoleons Truppen auch noch das beschauliche Schlesien besetzten …

MUSIK: WEBER, SYMPHONIE NR. 1, TRACK 3 (7:15)

Carl Maria von Weber, der langsame Satz seiner 1. Symphonie C-dur op. 17, ein Andante, gespielt vom BBC Philharmonic Orchestra, der Dirigent war Juanjo Mena. Dieses Werk des 20-Jährigen – wie auch das Schwesterwerk, ebenfalls in C-dur – hatte es schwer, Aufmerksamkeit zu finden, wenige Jahre nach Beethovens „Eroica“, die einen ganz anderen Symphonieansatz propagierte; sogar der Komponist schätzte seine beiden Symphonien nicht sonderlich. Wir Heutigen haben aber den Vorzug, in die Zukunft blicken zu können – zumindest in die Zukunft Carl Maria von Webers! Und da entdecken wir, dass seine Symphonik mehr zu tun hat mit der eines Héctor Berlioz, eines Robert Schumann oder Gustav Mahler – als mit der Beethovenischen. Und natürlich, ähnlich wie bei dem anderen Theatergenie, Mozart, mit dem Drama der Bühne: Gerade dieses Andante entspricht einem Lamento, einer großen Klagearie …

Und dann kam . Von den Gläubigern gehetzt, mit seiner Musik noch nicht erfolgreich, flüchtete sich Carl Maria von Weber in artfremdes Tun: Er wurde „Geheimer Sekretär“ des Herzogs Ludwig Friedrich Alexander von Württemberg, eine Art Haushofmeister, „Geschäftsführer“ der herzoglichen Hofhaltung. Später sollte Max Maria von Weber schreiben, sein Sohn und erster Biograph: „(In Stuttgart fiel) auf das helle Licht seines edlen Charakters ein vorübergehender Schatten.“ Sein Amt war ein bürokratisches, aber es hatte immer auch damit zu tun, für den Herzog Kurven zu kratzen – Geld zu beschaffen „nahe der Grenze zum Betrug oder der Unterschlagung“, wie Michael Leinert schreibt. Hatte er zuvor schon gut gelebt, so schwamm er jetzt in Saus und Braus – sogar ein edles Reitpferd samt Knecht leistete er sich. Seine Kunst, das Komponieren, vernachlässigte er, gab sich stattdessen zufrieden mit „sozialem“ Künstlertum, mit dem Leben der Stuttgarter Bohème, die sich vor allem gegenseitig anhimmelte. „Faust's Höllenfahrt“ nannte sich ein Geheimbund von Dichtern, Malern und Musikern, die vor allem ausschweifende Zechgelage im Sinn hatten, nicht so sehr die Ausübung ihrer jeweiligen Kunst. Webers Geheimname war „Krautsalat“, der seines Freundes, des Hofkapellmeisters Franz Danzi, „Rapunzel“, der Stuttgarter Schriftsteller Franz Carl Hiemer hieß „Reimwol“.

Tatsächlich aber muss irgendwann im Alkoholdunst dann doch der Wunsch nach einem neuen Werk 6 aufgekeimt sein; Danzi – der selber fast nur Kammermusik für Bläser komponierte – drängte Weber, doch eine schöne Oper zu komponieren, und der „Logenbruder“ Hiemer sollte dazu das Libretto liefern. Übermütig schrieb Weber dem Dichter einen Brief: „Da Prosa Sie nicht rühren kann,/So fängt mein Brief mit Versen an./O allgewaltiger Reim-Tyrann!“ Und auf dass er bald ein Libretto in Händen halte, gelobt der Komponist: „Nicht eher will ich ruhen, rasten,/Und sollt ich zwanzig Tage fasten,/Kein Mädchen küssen,/In's Bette pissen,/Klavier nicht spielen,/Stets Hunger fühlen,/Nicht singen können,/Das Maul verbrennen -/Kurz, keine Note kennen mehr,/Zu Grunde gehen – und was noch mehr -/Bis dass ich freudig rufen kann -/Poetischer Ochsenziemer! -/O Brief! - Dir gleicht kein Gold Arcan/Denn – Du bezwangst den Hiemer!“ Herauskam das Lyrische Drama in vier Aufzügen „Silvana“, das imgrunde nur ein luxuriöseres Remake war des verschollenen „Stummen Waldmädchens“. Die Titelpartie ist nur eine Sprechrolle (womit auf der Opernbühne wohl „Stummheit“ sich ausdrückt), aber Mechthilde, die Tochter des Grafen Adelhart, komponierte Weber für seine damalige Geliebte, die Sopranistin Margarethe Lang. Und das Thema der Arie „Warum muss ich dich je erblicken?“, worin der Konflikt Vater/Tochter kulminiert, variierte der Komponist später noch für eines seiner Lieblingsinstrumente, die Klarinette sowie Klavier; Gervase de Peyer und Gerald Moore spielen.

MUSIK: WEBER, VAR. Ü. EIN THEMA A. „SILVANA“, CD 2, TRACK 10 (9:45)

Carl Maria von Weber, Variationen über ein Thema aus der Oper „Silvana“ für Klarinette und Klavier, gespielt von Gervase de Peyer und Gerald Moore.

Konfuzius hat einmal gesagt, die Söhne müssten büßen für die Sünden der Väter – so war es auch bei Carl Maria von Weber. Vater Franz Anton war ein Unterschlagungskünstler, er griff in des Herzogs Kasse und zwang so den eigenen Sohn, ebenfalls das Gesetz zu brechen. König Friedrich I. von Württemberg, der Bruder von Webers herzoglichem Dienstherrn, füllte seine Schatulle regelmäßig damit, dass er betuchte Familien ihre Söhne vom Wehrdienst „freikaufen“ ließ. Und so versuchte der Komponist, um des Vaters Schuld auszugleichen, eine ähnliche Kriegsdienst- Manipulation: Ein reicher Gastwirt zahlte ihm 1.000 Gulden, damit sein Sohn zu Hause bleiben könne. Der wurde aber trotzdem eingezogen, und Webers Plan flog auf. Dass Vater und Sohn kurzzeitig ins Kittchen mussten und dann aus Württemberg abgeschoben wurden, hatte allerdings noch einen zweiten Grund: Der König war scharf auf die schöne Sopranistin Margarethe Lang, und so kam ihm die Verfehlung von deren Geliebtem Carl Maria von Weber gerade recht, fort mit ihm, außer Landes, aus den Augen, aus dem Sinn! Tja, und damit war der nach wie vor hochverschuldete Komponist wieder einmal arbeitslos. Was also tun? Nun, er besann sich auf eines seiner größten 7

Talente: Wie später Franz Liszt reiste er als Klaviervirtuose durch die Lande, knickte die Herzen der stolzesten Frau'n und kassierte, kassierte, kassierte …

MUSIK: WEBER, KONZERTSTÜCK F-MOLL, TRACK 5 (7:32; ACHTUNG! FALLS NÖTIG, AUF ZEIT FAHREN!)

Absage: Das war … Zuletzt hörten Sie den zweiten Teil von Webers Konzertstück f-moll für Klavier und Orchester mit Alfred Brendel, dem London Symphony Orchestra und Claudio Abbado.

MUSIKLAUFPLAN

1) WEBER, Oberon (Ouvertüre); Orchestre Révolutionaire et Romantique, John Eliot Gardiner; Philips 475 6563 (LC 00305) 2) MOZART, Don Giovanni; Wächter, Taddei, Frick, Philharmonia Orchestra, Giulini; EMI 7 47260 8 (LC 6646) 3) WEBER, Symphonie Nr. 1 C-dur; BBC Philharmonic, Juanjo Mena; Chandos 10748 (LC 7038) 4) WEBER, Variationen über ein Thema aus der Oper „Silvana“; de Peyer, Moore; EMI 5 67990 2 (LC 06646) 5) WEBER, Konzertstück f-moll für Klavier und Orchester; Brendel, London Symphony Orchestra, C. Abbado; Philips 412 251-2 (LC 0305)