Wissen, Können, Kompetenz Bemerkungen Zur Kunstdidaktik in Kiel Und Ihrer Geschichte
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WISSEN, KÖNNEN, KOMPETENZ BEMERKUNGEN ZUR KUNSTDIDAKTIK IN KIEL UND IHRER GESCHICHTE KLAUS GEREON BEUCKERS Didaktik und dem entsprechend auch Kunstdidaktik ist immer ein kommunikativer Prozess, da eine Vermittlung komplexer Inhalte die wechselseitige Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden voraussetzt. Jede Didaktik ist als Vermittlungs- form zudem genuin inhalts- und zielgruppenorientiert sowie dezidiert abhängig von der Person des Lehrenden und dessen inhaltlicher sowie kommunikativer Kom- petenz. Ändern sich die Inhalte, die Zielgruppen oder die Lehrenden, so müssen sich auch die Konzepte einer Didaktik methodisch und inhaltlich ändern. Deshalb sind didaktische Konzepte immer historisch gebunden, können immer nur für eine spezifische Vermittlung in einer bestimmten Zeit und mit einer bestimmten Inhalt- lichkeit für bestimmte beteiligte Personengruppen formuliert werden. Sie müssen sich bei ändernden Konstellationen jederzeit ob ihrer Passgenauigkeit hinterfragen lassen und entsprechend modifizieren. Jede statische Festlegung einer Didaktik, die sich dieser Änderungsprozesse entzieht, ist deshalb ideologisch und aufgrund ihrer fehlenden kommunikativen Flexibilität verfehlt. In der Kunstdidaktik stehen sich dabei zwei Grundansätze gegenüber: Auf der einen Seite steht der Ansatz, Kunst im Sinne einer Kenntnis über Kunst zu vermit- teln, auf der anderen Seite der Ansatz Kunst im Sinne einer Befähigung zur Kunst zu lehren. Die eine Richtung zielt auf Kennerschaft und Wissen, die andere auf Produktion und Fertigkeit. Trennscharf sind beide Ansätze nicht voneinander zu scheiden, denn Kennerschaft setzt die Kenntnis, wenn nicht sogar die persönli- che Erfahrung praktischer Grundlagen voraus, wie Produktion die Kenntnis bishe- rige Lösungen, wenn nicht alle Erfahrungen und Techniken basal neu entwickelt werden sollen, was jede höhere Qualität unerreichbar machen müsste. Dennoch unterscheiden sich hier zwei Ausrichtungen durch eine einerseits primär intel- lektuelle, wissensorientierte Form und eine andererseits primär praktische, erfah- rungsorientierte Form voneinander. Die eine Richtung bildet Kunstkenner aus, die andere Künstler; die eine zielt auf Kennerschaft, die andere auf Könnerschaft. Bevor eine Kunstdidaktik als Methode der Vermittlung entworfen wird, ist des- halb grundsätzlich zu klären, welches Ausbildungsziel sie – unabhängig von ihrer institutionellen Ausrichtung auf Schule, Universität, Museum oder allgemeine Bevölkerungsbildung – anstrebt. In den vergangenen gut einhundert Jahren 173 der Diskussion über die theoretische Begründung einer Kunstdidaktik bestand weitgehende Einigkeit, dass Kunstunterricht Kenntnisse über Kunst zu vermitteln habe und die praktischen Übungen beispielsweise des Zeichnens vornehmlich der Schulung eines analytischen Zugangs und analytischem Sehens dienen soll- te. Die heute gelegentlich erhobene Forderung nach einer praktischen Befähi- gung von Kunstlehrern zu eigener Kunstproduktion ist hingegen relativ jung. Da- hinter verbirgt sich nicht nur eine Frage kunstdidaktischer Schwerpunktbildung, sondern auch ein anderes Kunstverständnis und ein anderes Verständnis der Zie- le eines heutigen Anforderungen angemessenen Kunstunterrichts. Solche Aspek- te sind nur vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der Kunstdidaktik verständlich, die hier am Beispiel Kiels in einigen Aspekten vorgestellt werden soll. Adelbert Matthaei und eine erste Kieler Kunstdidaktik Die Anfänge einer intensiv diskutierten Theorie des Kunstunterrichts sind in Kiel und weiten Teilen Deutschlands insbesondere mit der preußischen Schulreform zu einem dreigliedrigen Schulsystem Ende des 19. Jahrhunderts fassbar.1 Hier wurden auch die Fragen des musischen Unterrichts, zu dem neben der Bilden- denden Kunst immer vor allem die Musik, gelegentlich aber auch das Theater- spiel zählten, in Reaktion auf das humboldtsche Bildungsideal und die Ideen der Kunsterziehungsbewegung diskutiert. In Preußen, zu dem Kiel seit 1867 gehörte, wurden 1893 in Berlin Leitlinien für den Kunstunterricht festgelegt. Dies fiel in Kiel auf das Jahr genau mit der Neueinrichtung einer damals seit gut zwei Jahren diskutierten kunsthistorischen Professur an der Christian- Albrechts- Universität zusammen.2 Nachdem Kunstgeschichte seit dem 17. Jahrhundert mit wechselnden Anbindungen an andere Professuren eher nebenbei gelehrt wor- 1 Zur preußischen Schulreform vgl. u.a. Eckhard Glöckner: Zur Schulreform im preußischen Imperia- lismus. Preußische Schul- und Bildungspolitik im Spannungsfeld der Schulkonferenzen von 1890, 1900 und 1920, Glashütten 1976. – Dieter Dietrich: Friedrich Althoff und das Ende der preußischen Schulreform. Vorgeschichte und Inhalt der Schulreform des Jahres 1900, Norderstedt 2008. 2 Zur Geschichte des Instituts vgl. grundlegend Hans Tintelnot: Kunstgeschichte, in: Geschichte der Christian-Albrechts-Universität 1665–1965, Band 5, Teil 1: Geschichte der Philosophischen Fakultät, hg. v. Karl Jordan, Neumünster 1969, S. 163–187. – Kunstgeschichte in Kiel 1893–1993. 100 Jahre Kunsthistorisches Institut der Christian-Albrechts-Universität, red. Hans-Dieter Nägelke, Kiel 1994. – Ein Anhang mit einer Zusammenstellung der Lehrpersonen von 1893 bis heute bei Klaus Gereon Beuckers: Das Kunsthistorische Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zwischen Zweitem Weltkrieg und Neuausrichtung (1945–1974), in: Wissenschaft im Aufbruch. Beiträge zur Wiederbe- gründung der Kieler Universität nach 1945, hg. v. Christoph Cornelißen (Mitteilungen der Gesell- schaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 88), Essen 2014, S. 82–100, hier S. 99 f. 174 _ KLAUS GEREON BEUCKERS den war,3 entschloss man sich nach dem Vorbild der Universität Göttingen, wo 1813 erstmals eine temporäre Professur für Kunstgeschichte eingerichtet worden war, 1893 zur Einrichtung einer solchen Professur auch in Kiel. Die akademische Kunstgeschichte war in Deutschland an den Technischen Hochschulen wie Stutt- gart und Karlsruhe aus der Architektenausbildung heraus erwachsen, an anderen Orten wie Bonn oder der Humboldt-Universität in Berlin unter anderem aus der Klassischen Archäologie oder der Geschichte.4 Lehrstühle gab es zu dieser Zeit im deutschsprachigen Raum noch nicht sehr viele: Neben Göttingen sind vor allem Wien, Bonn, Leipzig, Stuttgart, Karlsruhe, Zürich und Berlin zu nennen, während später wichtige Institute wie Heidelberg, Marburg oder Tübingen erst jünger sind. In Kiel verband man die Professur nicht zuletzt auf Betreiben der naturwissen- schaftlichen Fächer mit dem Amt des Universitätszeichners und berief hierfür aus Gießen den Historiker Adelbert Matthaei (1859–1924), der in Halle bei Ernst Ludwig Dümmler (1830–1902) mit einer Arbeit über die Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Otto II. und König Lothar von Frankreich im 10. Jahrhundert pro- moviert worden war und sich gerade in Gießen mit einer Schrift zur Zisterzien- ser-Architektur habilitiert hatte.5 Der Universitätszeichner hatte in Kiel seit den Anfängen der Universität im 17. Jahr- hundert die Aufgabe zur Dokumentation universitären Geschehens, aber vor allem der Erstellung von Abbildungen für wissenschaftliche Arbeiten und für die Lehre in den verschiedenen, insbesondere naturwissenschaftlichen Fächern. Hierfür bil- dete er auch Studierende aus, betrieb also einen dezidierten Zeichenunterricht.6 Vor der Erfindung beziehungsweise der breiten Durchsetzung der Fotografie war das Zeichnen das wichtigste Dokumentationsmedium, das jedoch insbesondere im wissenschaftlichen Bereich über eine analoge Wiedergabe hinaus eine oft spe- zialisierte Umsetzung spezifischer Aspekte beinhaltete. Die dafür notwendige Aus- 3 Vgl. Tintelnot 1969 (wie Anm. 2), S. 165–173. – Uwe Albrecht: Vom Universitätszeichenlehrer zum Lehrstuhl für Kunstgeschichte, in: Nägelke 1994 (wie Anm. 2), S. 9–24. 4 Vgl. immer noch grundlegend Heinrich Dilly: Kunstgeschichte als Institution. Studien zur Ge- schichte einer Disziplin, Frankfurt am Main 1979. 5 Adelbert Matthaei: Die Haendel Ottos II. mit Lothar von Frankreich (978–980) nach den Quellen dargestellt mit besonderer Berücksichtigung Richers, Diss. Halle 1882. – Adelbert Matthaei: Bei- träge zur Baugeschichte der Cistercienser Frankreichs und Deutschlands mit besonderer Berück- sichtigung der Abteikirche zu Arnsburg in der Wetterau, Habil.schr. Gießen 1893. – Zur Person ohne Berücksichtigung seiner kunstdidaktischen Arbeiten vgl. Uwe Albrecht: Adelbert Matthaei (1859–1924). Vom Provisorium zum Institut, in: Nägelke 1994 (wie Anm. 2), S. 25–28. – Albrecht 1994 (wie Anm. 3), S. 21–23. 6 Zum Zeichenunterricht allgemein vgl. Wolfgang Kemp: ‚… einen wahrhaft bildenden Zeichen- unterricht überall einzuführen‘. Zeichnen und Zeichenunterricht der Laien 1500–1870. Ein Hand- buch, Frankfurt am Main 1979. WISSEN, KÖNNEN, KOMPETENZ _ 175 einandersetzung mit verschiedenen bildnerischen Mitteln griff hierfür sehr stark auf künstlerische Techniken sowie Lösungen aus der Kunstgeschichte zurück und reflektierte dies auch. Insbesondere in dem auf historische Bildung Wert legenden Bürgertum des 19. Jahrhunderts war die Beschäftigung mit der Kunst vergangener Zeiten zum zentralen Thema geworden und hatte damit den Zeichenunterricht, der bereits seit Jahrhunderten zu einer intellektuellen Ausbildung hinzugehörte, zunehmend geprägt. Diese Verbindung zwischen Zeichenunterricht und Kunstge- schichte wurde in Kiel zur Grundlage der neu geschaffenen Professur. Adelbert Matthaei war jedoch nicht nur ein profilierter (Kunst-)Historiker, sondern er beteiligte sich aktiv an der in Preußen und darüber hinaus