Einleitung

Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Aktuell

Dynamiken einer Rechtskoalition Wie das Scheitern des Friedensprozesses innenpolitischen Populismus in fördert Peter Lintl

Israel sieht sich zunehmend der Kritik ausgesetzt, substantielle demokratische Prinzipien zu verletzen. Ansatzpunkt war eine Reihe von Entscheidungen und Initiativen: Erst im Juli 2016 verabschiedete die ein verschärftes Transparenzgesetz für Nicht- regierungsorganisationen (NGOs), die aus dem Ausland finanziert werden, sowie ein Gesetz, das es dem Parlament erlaubt, Abgeordneten das Mandat zu entziehen. Schon Wochen und Monate zuvor gab es verschiedene Vorschläge aus der Regierung, etwa Kultur- und Medieneinrichtungen stärker zu kontrollieren. Außerdem wurden wieder- holt Urteile des Obersten Gerichtshofs missbilligt, was mit der Forderung nach einer Möglichkeit einherging, dessen Entscheidungen durch das Parlament zu überstimmen. Diese Vorstöße haben in Israel, aber auch international für negatives Echo gesorgt.

Die Parteien der aktuellen Koalition – können. Tatsächlich nehmen Diskussionen Kulanu, Israel Beitenu, , , Thora- über solche Gesetzesvorschläge zurzeit in judentum und Jüdisches Heim – sind mit der Regierung viel Raum ein. Oft aber wird der partiellen Ausnahme von Kulanu im übersehen, dass diese Gesetzesinitiativen rechten politischen Spektrum anzusiedeln. meist von einem Teil der Regierung einge- Daher wird die Regierung in internationa- bracht werden, der als populistisch oder len und israelischen Medien als »rechteste radikal gilt und am äußeren rechten Rand Regierung aller Zeiten« bezeichnet. Dies des politischen Spektrums steht. Zudem hängt mit der politischen Grundausrich- sind diese Vorstöße kaum erfolgreich, da sie tung der Parteien zusammen, aber auch mit selbst innerhalb der Regierung keine Mehr- ihrer politischen Arbeit. Besondere Auf- heit finden. Dennoch beeinflussen sie die merksamkeit finden Gesetze und Gesetzes- Koalition, vor allem beim Agendasetting. vorlagen, die unter Prämissen substantiel- Dadurch gerät insbesondere Minister- ler Demokratie wie Minderheitenrechte, präsident und Likud-Vorsitzender Benjamin Meinungsfreiheit oder Gewaltenteilung Netanjahu in Zugzwang, da er mit diesen kritisch gesehen werden. Israel bewege sich Strömungen um Wählerstimmen konkur- stärker in Richtung einer formellen Demo- rieren muss. Angesichts dieser Konstellation kratie, in der substantielle Rechte durch rückt der politische Diskurs in Israel selbst Mehrheitsbeschluss beschnitten werden nach rechts. Die Stärke des rechten politi-

Peter Lintl ist Wissenschaftler im Projekt »Israel in einem konfliktreichen regionalen und globalen Umfeld: SWP-Aktuell 60 Innere Entwicklungen, Sicherheitspolitik und Außenbeziehungen«. Das Projekt ist in der SWP-Forschungsgruppe Naher/ Mittlerer Osten September 2016 und Afrika angesiedelt und wird vom Auswärtigen Amt gefördert.

1 schen Spektrums erklärt sich aber auch aus wert des Kollektivs hervorheben, meinen sie der Desillusionierung der Bevölkerung über damit auch, dass abweichende Positionen den Friedensprozess und der Schwäche der kaum zu akzeptieren sind und nichtjüdi- Oppositionsparteien, vor allem der Zionisti- sche Teile der Bevölkerung nicht dazu- schen Union. Immer noch ist die Einstellung gehören. Arabische Parteien wiederum zum Nahostkonflikt und dessen Lösungs- stehen außerhalb des Links-rechts-Schemas, möglichkeiten ein wahlentscheidendes da sie statt eines jüdischen Staates einen Kriterium. Die verbreitete Skepsis in der »Staat für alle Bürger« anstreben. Doch israelischen Gesellschaft gegenüber den auch für sie bildet das Schema den politi- Erfolgsaussichten des Friedensprozesses schen Referenzrahmen. eröffnet denjenigen rechten Parteien einen Bis auf Kulanu sind alle Regierungspar- politischen Vorteil, die ihn schon immer teien im rechten Spektrum der politischen ablehnten. Da zum ersten Mal eine nahezu Landschaft angesiedelt (siehe Schaubild). lupenreine Rechtsregierung am Ruder ist, Trotzdem gibt es innerhalb der Koalition gewinnen deren populistische Teile mehr eine Bandbreite von Positionen, von den Gewicht und versuchen den politischen Dis- Liberalkonservativen über Strengreligiöse kurs durch immer neue Gesetzesvorstöße bis zu einer populistischen oder radikalen weiter nach rechts zu verlagern. Verstärkt Rechten. Letztere will zum Beispiel alle wird diese Dynamik dadurch, dass Netan- Siedlungen im Westjordanland annektie- jahu auf Wählerstimmen vom rechten ren, was die Liberalkonservativen hingegen Rand angewiesen und bereit ist, diese Posi- mehrheitlich skeptisch betrachten. Ähn- tionen mitunter aufzunehmen. Was in liche Unterschiede gibt es bei Verfassungs- Israel aber als politisch »links« oder »rechts« fragen. Während die Rechtspopulisten eini- gilt, wird durch spezifische Konfliktlinien ger Parteien darauf drängen, substantielle in der israelischen Gesellschaft bestimmt. liberal-demokratische Rechte im Namen jüdischer Kollektivrechte zu beschränken, bemühen sich die Liberalkonservativen »Rechts« und »links« in Israel eher um einen Ausgleich zwischen kollek- Entscheidend für die Positionierung im tiven und individuellen Rechten. Links-rechts-Schema sind zwei Themen- Besondere Brisanz gewinnt diese Konstel- komplexe. An erster Stelle steht die Haltung lation, seit Netanjahu während des letzten zur Frage, ob der Nahostkonflikt durch die Wahlkampfs 2015 (wobei er die Wahl fast Schaffung eines palästinensischen Staates verloren hätte) klar wurde, dass er nur friedlich gelöst werden kann oder ob ein Premierminister bleibt, wenn er sich inner- solcher Staat die Bedrohung Israels ver- halb des rechten Lagers konsolidieren kann stärken würde (bzw. ob das Westjordanland und der Likud die größte Knessetfraktion sogar annektiert werden sollte). Die zweite stellt. Angesichts der knappen Mehrheit (67 Frage betrifft die normative Identität von von 120 Sitzen) können mehrere Parteien Staat und Gesellschaft in Israel: Was ist die der Koalition die Regierung zu Fall bringen. richtige Balance zwischen jüdischen und Das zwingt den Premier, bisweilen rechts- liberal-demokratischen Normen im Staat populistische Positionen zu vertreten. Seine und was bedeutet dies für die Rechte nicht- ideologische Flexibilität hat er in den letz- jüdischer Minderheiten? Je weiter »rechts« ten Jahren häufig unter Beweis gestellt eine Partei steht, desto stärker betont sie und auch vor Populismus schreckt er nicht die ethnische und/oder religiöse Kompo- zurück, wenn es ihm opportun erscheint. nente des Judentums im israelischen Staat; Aufgrund dieser Situation wird innerhalb je weiter »links«, desto mehr Bedeutung der Regierungskoalition eine Art ständiger misst sie universellen und pluralistischen Wahlkampf um die Stimmen des äußersten Werten bei. Wenn Vertreter am rechten rechten Rands geführt. Politiker sehen sich Rand des politischen Spektrums den Stellen- genötigt zu beweisen, dass sie die wahren

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2 Heuristisches Schaubild: Parteipolitische Positionierung im parlamentarischen System Israels

Liberal-demokratisch

Vereinigte Arabische Liste* (13)

Meretz (5)

Yesh Atid (11)

Kulanu (10)

Zionistische Union (24) Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung

Befürwortung der Zwei-Staaten-Lösung Israel Beitenu (6)

Likud * Die Arabische Liste entzieht sich in vielerlei (30 Sitze) Hinsicht diesem Schema, u.a. weil die darin vertretenen Parteien divergierende Standpunkte einnehmen. Keine unterstützt die Idee des Shas (7) Jüdisches jüdischen Staates und zur Zwei-Staaten-Lösung Heim (8) beziehen sie unterschiedliche Positionen. Thora- judentum (6) Regierungsparteien sind durch Kursiva Stand: August 2016 Jüdisch-republikanisch gekennzeichnet.

Repräsentanten der israelischen Rechten Justizministerin Ayelet Shaked (Jüdisches sind. Deswegen überbieten sich vor allem Heim), die Befugnisse des als zu liberal Vertreter des Jüdischen Heims, des Likud wahrgenommenen Obersten Gerichtshofs und Israel Beitenus in politischen Vorstößen, zu beschneiden. Unterstützung findet sie Äußerungen und Gesetzesinitiativen. Die bei mehreren Likud-Mitgliedern (etwa Zeev meisten davon sind nicht mehrheitsfähig Elkin und ). Zu Beginn der Legis- und haben nur zum Ziel, das Thema auf die laturperiode beispielsweise hatte Shaked Agenda zu setzen und den politischen Dis- einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der es kurs zu verschieben. Nur selten gelingt es, der Knesset erlaubt hätte, Urteile des Obers- populistische Initiativen in Gesetzesform ten Gerichtshofs zu überstimmen. Moti zu gießen, beispielsweise in ein Transpa- Yogev (Jüdisches Heim) rief gar dazu auf, renzgesetz für aus dem Ausland finanzierte das Gerichtsgebäude mit einem Bulldozer NGOs oder ein Gesetz, das den Ausschluss niederzureißen. Kontrovers wurde auch der von Parlamentariern aus der Knesset regelt. Vorschlag von Kultur- und Sportministerin (Likud) diskutiert, die finanzielle Förderung kultureller und künstlerischer Rechtspopulistische Vorstöße Einrichtungen von ihrer Loyalität gegen- Zu den bekanntesten Vorstößen gehört die über dem Staat abhängig zu machen. Dabei regelmäßig wiederkehrende Forderung der ist es kein Geheimnis, dass Regev linken

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3 und arabischen Künstlern diese Loyalität hatte zusichern lassen. Dessen ungeachtet abspricht. Sie hatte Fragebögen an Künstler bestimmen diese Initiativen oftmals die gesandt, in denen diese beantworten soll- nationale wie internationale Berichterstat- ten, ob sie bereit wären, in Siedlungen des tung. Auf diese Weise wird offenbar, dass Westjordanlandes aufzutreten. Andernfalls die populistische Rechte, also etwa ein werde die staatliche Förderung gekürzt. Drittel der Koalition, in der Lage ist, den De facto verlangen alle Abgeordneten des Rest der Regierung vor sich herzutreiben. Jüdischen Heims, aber auch viele Parlamen- Ziel dieser Vorstöße ist kein Gesetz, sondern tarier des Likud (darunter Tzipi Hotovely, die Öffnung des gesellschaftlichen Diskur- Miri Regev, Danny Danon und Yariv Levin) ses für Auffassungen, die bis dato als in- immer wieder, die jüdischen Siedlungen akzeptabel galten. des Westjordanlandes zu annektieren. An Ausdruck dieser Entwicklung war Ende der Spitze dieser Bewegung steht derzeit Juli 2016 ein Streit zwischen Bildungs- Shaked, die beharrlich Gesetzesentwürfe minister Bennett und Premier Netanjahu, einbringt, um dieses Bestreben zu unter- in dessen Verlauf sich beide fortgesetzt als stützen. Erst im Mai 2016 hatte sie vor- »links« beschimpften und als jeweils der geschlagen, das israelische Zivilrecht auf bessere Repräsentant der israelischen Rech- die Siedlungen auszuweiten, um sie als ten darzustellen suchten. Doch erhebt sich rechtlichen Körper Israel anzugleichen. auch Widerspruch gegen diese rechtspopu- Bildungsminister (Jüdisches listischen Diskurse. Moderatere Politiker Heim) strich seinerseits die Kurzgeschichte der Regierungskoalition wenden sich mit- »Borderlife« vom Lehrplan staatlicher Schu- unter in scharfer Form dagegen, darunter len, weil sie eine Liebesbeziehung zwischen viele Abgeordnete von Kulanu, aber auch einer jüdischen Israelin und einem Palästi- Teile des Likud wie oder Gila nenser zum Thema hat. Die Abgeordneten Gamliel. Verteidigungsminister Moshe und Nissan Slomiansky Jaalon (Likud) und Umweltschutzminister (beide Jüdisches Heim) legten einen Ent- Avi Gabbay (Kulanu) sind im Mai 2016 aus wurf vor, der das jüdische religiöse Gesetz Protest gegen den erstarkenden Rechts- (Halacha) im Falle unklarer Rechtslage zum populismus zurückgetreten. Hauptreferenzpunkt für Richter machen sollte. Auch Verteidigungsminister Avigdor Lieberman (Israel Beitenu) profilierte sich Erfolge populistischer Politik mit einer Reihe ähnlicher Initiativen. Seine Die beschriebene politische Dynamik ver- Partei brachte einen Gesetzesentwurf zur ändert jedoch nicht nur Diskurse, sondern Wiedereinführung der Todesstrafe ein. bringt auch handfeste politische Ergebnisse Außerdem zitierte er den Programmchef hervor, wie zwei verabschiedete Gesetze des Armeeradios, Galei Zahal, zu sich und illustrieren. bestand darauf, dass Gedichte des preis- Dabei handelt es sich zum einen um das gekrönten palästinensischen Dichters Mah- vielbeachtete »NGO-Gesetz«, das eigentlich mud Darwisch, zuvor bemerkenswerter- nur eine Gesetzesänderung ist. Demnach weise im Armeeradio ausgestrahlt, als müssen NGOs, die mehr als die Hälfte ihrer Volksverhetzung einzustufen seien. finanziellen Mittel von ausländischen Re- Wie erwähnt, fehlte den meisten der gierungen oder internationalen Organisa- genannten Vorschläge von vornherein die tionen beziehen, dies bei allen öffentlichen parlamentarische Mehrheit. Zum Beispiel Auftritten und Korrespondenzen deutlich war Shakeds Gesetzesvorschlag zur parla- machen. Zwar wurde die ursprüngliche mentarischen Überstimmung des Obersten Klausel fallengelassen, laut der Vertreter Gerichtshofs schon deshalb zum Scheitern solcher NGOs im Parlament einen entspre- verurteilt, weil sich Kulanu im Koalitions- chenden Sticker hätten tragen müssen. vertrag zu diesem Punkt ein Vetorecht Zündstoff birgt das Gesetz dennoch, weil

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4 25 der voraussichtlich 27 betroffenen Orga- Sicht fragwürdig, weil es Aufgaben von nisationen als regierungskritisch gelten. Judikative und Legislative vermischt und Rechtsgerichtete israelische NGOs erhalten politische Grundrechte zu Mehrheitsent- ihre Einnahmen zwar auch zu großen Tei- scheidungen verwässert. Damit ist es ein len aus dem Ausland, vor allem den USA. weiterer Ausdruck der für populistische Doch das Geld stammt überwiegend von Politik typischen Tendenz zu einer Mehr- privaten Spendern, die von dem Gesetz heitsdemokratie, die rechtliche oder konsti- nicht betroffen sind. Daher wirkt das Ge- tutionelle Schranken für die Entscheidun- setz maßgeschneidert, um regierungskriti- gen parlamentarischer Mehrheiten zu be- sche Organisationen in der Öffentlichkeit seitigen sucht. Freilich hat sich bei diesen als vom Ausland gesteuert und »unisrae- Gesetzen auch erwiesen, dass populistische lisch« zu brandmarken. Außerdem zieht es Vorstöße im parlamentarischen Prozess auch gesellschaftspolitische Kreise. So hat abgeschwächt werden, gerade durch den die nationalistische NGO »Im Tirtzu« die Widerstand von Teilen der Koalition. Den- betreffenden Organisationen offen als »aus- noch sind diese Beispiele Indikatoren für ländische Agenten« bezeichnet und einen eine Dynamik der israelischen Politik nach direkten Zusammenhang zwischen deren rechts. Möglich wurde sie erst durch die Arbeit, der Finanzierung aus dem Ausland Situation im israelischen Parlament, die und Terroranschlägen hergestellt. Zwar wiederum eng mit der Einstellung zum kritisieren Politiker diese Art der Äußerung Friedensprozess zusammenhängt: Je näher durchweg als überzogen. Dies ändert nichts die Parteien bei diesem Thema beieinander- daran, dass ein solcher Diskursbeitrag vor liegen, desto wahrscheinlicher ist die Koali- wenigen Jahren noch vollkommen indisku- tionsbildung. tabel gewesen wäre. Ein zweites Beispiel ist die Änderung des Grundgesetzes »Die Knesset«. Sie erlaubt es Friedensprozess mit den Palästinen- dem Parlament, per Abstimmung künftig sern und Koalitionsbildung in Israel einzelne Abgeordnete auf Grundlage der Anhand der letzten beiden Regierungen Tatbestände rassistischer Volksverhetzung lässt sich gut veranschaulichen, wie die oder der Unterstützung des bewaffneten Koalitionsbildung in Israel vonstatten geht. Kampfes gegen Israel auszuschließen. Aus- So wurden 2013 Parlamentswahlen nötig, löser war ein gewiss auch als Provokation weil der Oberste Gerichtshof 2012 ein gedachter Kondolenzbesuch dreier Abge- Gesetz zur Befreiung der Ultraorthodoxen ordneter der Vereinigten Arabischen Liste von der Wehrpflicht bemängelt und dessen bei Familien von Palästinensern, die getötet Änderung verlangt hatte. Daraufhin blieb worden waren, als sie einen Terroranschlag deren Parteien Shas und Vereinigtes Thora- verübten. In der ursprünglichen Gesetzes- judentum nicht viel anderes übrig, als die vorlage sollte schon eine Mehrheit von 61 Regierung zu verlassen. Die Wahlen brach- der 120 Abgeordneten für einen Ausschluss ten eine Koalition von Parteien aus unter- genügen. Die schließlich angenommene schiedlichen ideologischen Spektren her- Fassung sieht dagegen vor, dass bereits der vor, der unter anderem Parteien der Mitte Einleitung dieses Prozesses mindestens angehörten. Abgesehen von persönlichen 70 Abgeordnete zustimmen müssen, davon Animositäten war klar, dass auch die mindestens zehn aus der Opposition. Ein beiden großen gesellschaftlichen Konflikt- Ausschluss würde demnach das Plazet von linien – Friedensprozess und Identität des mindestens 90 Abgeordneten erfordern – Staates – früher oder später eine gewichtige eine Zahl, die in Israels Vielparteiensystem Rolle für den Koalitionsfrieden spielen kaum je erreicht werden dürfte. würden. Über mitunter heftigen Differen- Gleichwohl bleibt dieses Gesetz aus zen zerbrach die Regierung denn auch demokratietheoretischer und praktischer nach nur zwei Jahren mitten in der Legis-

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5 laturperiode. Daher überrascht es nicht, den Nahostkonflikt beizulegen, etwa im dass sich je nach Möglichkeit Koalitionen Vergleich zu einer Ein-Staaten-Lösung. von Parteien bilden, die sich ideologisch Gleichzeitig findet sich auch eine Mehrheit, nahestehen. die nicht glaubt, dass dieser Prozess zurzeit Dennoch ist die Lage komplexer, als sie mit den Palästinensern umzusetzen sei. auf den ersten Blick scheinen mag. So vari- Sie traut der Palästinensischen Autonomie- ieren die Einstellungen zum Friedenspro- behörde (PA) nicht zu, dass sie fähig oder zess in der derzeitigen rechten Koalition willens sei, von palästinensischem Territo- stark. Während alle eine gewisse Skepsis rium gestartete Angriffe zu verhindern. Das eint, lehnen das Jüdische Heim und Teile deckt sich weitgehend mit der Ansicht der des Likud eine Zwei-Staaten-Lösung kate- israelischen Gesellschaft: Während immer gorisch ab. Andere im Likud halten die noch eine wenn auch knappe Mehrheit die Zwei-Staaten-Lösung zwar für eine theo- Zwei-Staaten-Lösung unterstützt, glauben retische Möglichkeit, die sich aber bis auf nur 11%, dass sie in den nächsten zehn Weiteres nicht umsetzen lasse. Außen- Jahren zu verwirklichen sei. minister Lieberman formulierte einen eige- Vor diesem Hintergrund muss man so- nen Vorschlag zur Zwei-Staaten-Lösung, wohl die israelischen Koalitionsbildungs- der die Umsiedlung der in Israel lebenden mechanismen als auch Ministerpräsident Araber vorsah. Für die ultraorthodoxen Netanjahus wechselhafte Positionierung im Parteien Shas und Vereinigtes Thorajuden- Friedensprozess verstehen, die zwischen tum hat das Thema nicht die höchste Priori- vorsichtiger, erstmaliger Unterstützung der tät, doch sie sind in der Tendenz eher kri- theoretischen Möglichkeit (Grundsatzrede tisch, vor allem was die Teilung Jerusalems 2009) und kategorischer Ablehnung eines betrifft. Innerhalb der Regierungskoalition palästinensischen Staates (Wahlkampf sprach sich allein der Vorsitzende von Kula- 2015) oszilliert. Für dieses Schwanken gibt nu, Moshe Kahlon, jüngst für die Wieder- es verschiedene Gründe. Einerseits kann aufnahme von Friedensverhandlungen aus. der Premier nicht die Mehrheit der Bevölke- Noch komplizierter wird das Bild, wenn rung ignorieren, welche die Zwei-Staaten- man den Blick über die restliche Parteien- Lösung zumindest theoretisch in Betracht landschaft schweifen lässt. Mit Ausnahme zieht. Auch der internationale Druck spielt einiger Stimmen der Arabischen Liste be- hier sicherlich eine Rolle. Andererseits fürworten alle Parteien eine Zwei-Staaten- spricht aus Netanjahus Sicht einiges gegen Lösung, auch wenn die Einschätzungen eine solche Lösung: Als Vertreter klassischen darüber auseinandergehen, ob und wie sie israelischen Sicherheitsdenkens folgt der sich verwirklichen ließe. Nicht bestritten Regierungschef der Prämisse, Israel befinde wird, dass Schritte hin zu einer Zwei-Staaten- sich in einem ständigen Überlebenskampf, Lösung überfällig sind. Je näher die Partei- der vor allem militärische Stärke erfordere. en der politischen Mitte stehen (, Zudem hegt er tiefes Misstrauen gegenüber Teile der Zionistischen Union), desto nach- den Palästinensern und zumindest derzeit drücklicher machen sie sich derzeit für erhebliche Zweifel daran, dass ein Friedens- unilaterales Handeln stark, das heißt einen schluss mit ihnen möglich ist. Frieden Rückzug aus Teilen der Gebiete ohne Ver- müsse Israel Sicherheit garantieren, doch handlungen. Je weiter links sich die Akteu- die Vertreter des israelischen Sicherheits- re verorten (andere Teile der Zionistischen denkens sehen (wohl nicht ganz zu Un- Union, , Arabische Liste), desto lauter recht) PA-Präsident Abbas außerstande, in fordern sie Verhandlungen. dieser Frage verbindlich für die Palästinen- Mithin stellt sich die Situation folgender- ser zu sprechen. maßen dar: Die Mehrheit der israelischen Selbst wenn Netanjahu glühender An- Parlamentarier hält die Zwei-Staaten-Lösung hänger einer Zwei-Staaten-Lösung wäre, grundsätzlich für die beste Möglichkeit, dürfte er einen Kurswechsel in diese Rich-

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6 tung politisch kaum überleben. In der aktu- israelische Premier geschickt mit einem ellen Koalition reicht der Austritt einer eigenen Vorschlag. So begrüßt er Sisis For- Partei mit mehr als sechs Sitzen, um die derung im Grundsatz, koppelt sie aber an Mehrheit zu verlieren. Doch auch eine die breitere Perspektive des sogenannten Koalition mit Parteien aus der Opposition saudischen Friedensplans. Einigt sich Israel wäre für Netanjahu schwierig. Da diese mit den Palästinensern im Rahmen der aller Voraussicht nach auf eine Weiterent- Zwei-Staaten-Lösung, so der Plan, sollen im wicklung des Friedensprozesses drängen Gegenzug die meisten arabischen Staaten würden, liefe diese Konstellation entweder Israel anerkennen. Netanjahu kehrt jedoch auf ein Ende der Koalition hinaus oder die Reihenfolge um. In einer Grundsatzrede würde Netanjahu das Ministerpräsidenten- sprach er davon, dass zuerst Friedensver- amt kosten. Ein substantieller Teil der handlungen mit den arabischen Staaten Likud-Fraktion lehnt zwei Staaten als Lösung stattfinden sollten. Erst danach wolle er mit des Nahostkonflikts kategorisch ab. Sollte den Palästinensern verhandeln. Auf diese diese Möglichkeit in Friedensverhandlun- Weise versucht Netanjahu zwei Fliegen mit gen ernsthaft thematisiert werden, würden einer Klappe zu schlagen. Zum einen ver- sich die Gegner im Likud vermutlich von bindet er Israels stärkere sicherheitspoli- der restlichen Fraktion abspalten, wie schon tische Integration in die Region mit der beim Rückzug aus Gaza 2005 unter Scharon fernen Hoffnung auf dessen Anerkennung geschehen. Netanjahu hätte dann nicht durch die arabischen Staaten. Zum anderen mehr die größte Fraktion in der Knesset ist er aber auch bestrebt, einen Versuch zur hinter sich und müsste als Ministerpräsi- Lösung des Konflikts mit den Palästinen- dent zurücktreten. sern weiterhin auf unbestimmte Zeit zu In dieser Sachlage drückt sich das ganze vertagen. Dilemma der israelischen Politik aus: Zwar spricht sich die Mehrheit der Knessetmit- glieder zumindest prinzipiell für zwei Staa- Ausblick und Empfehlungen ten als Lösung des Konflikts aus, aber die Ist Israel also nach rechts gerückt? Wenigs- parteipolitische Konstellation bringt nur tens in einer kurzzeitigen Perspektive kann Koalitionen hervor, die dagegen operieren. man dies bejahen. Die israelische Politik Netanjahus derzeitige Position ist daher wird zurzeit immer weniger von der mode- relativ klar: Er verwirft die Idee eines Frie- raten Rechten und immer stärker von densprozesses nicht grundsätzlich, glaubt Rechtspopulisten beeinflusst. Ablesen lässt aber nicht an die Möglichkeit eines Erfolgs. sich dies an der Amtsführung von Minis- Das schlägt sich auch in seiner Einstellung tern, einzelnen Gesetzen und vor allem am zu den gegenwärtigen Vorstößen für eine Bestreben, gesellschaftliche Grundnormen neue Runde im Friedensprozess nieder. Er nach ethnischen oder religiösen Kriterien lehnt Frankreichs Initiative ab, Verhand- zu bestimmen. Damit einher geht der Ver- lungen auf Grundlage der UN-Sicherheits- such, liberal-demokratische Prinzipien wie ratsresolutionen 242 und 338 zu führen. Minderheitenrechte einzuschränken und Stattdessen fordert er direkte Verhandlun- den Spielraum der zivilgesellschaftlichen gen mit den Palästinensern ohne vorher Opposition zu verkleinern. Generell ist zu festgelegte Parameter. Allerdings würde beobachten, dass sich die israelische Regie- dies beiden Seiten Maximalforderungen rungspolitik von einem substantiellen erlauben, Kompromisse erschweren und Demokratieverständnis entfernt und einem einen Abbruch der Unterredungen erleich- reinen Mehrheitsprinzip annähert. Das tern – ein Szenario, das augenblicklich Erstarken der populistischen Rechten hat durchaus in Netanjahus Sinne ist. Den verschiedene Gründe. Erstens ist Minister- Aufruf des ägyptischen Präsidenten Sisi zu präsident Netanjahu darauf angewiesen, direkten Verhandlungen flankierte der möglichst viele Wähler aus dem rechten

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7 Spektrum hinter dem Likud zu vereinen, gespräche mit den Palästinensern nicht auf Kosten der anderen rechten Parteien. verzichtet werden kann. Das zwingt ihn, mit dem rechten Rand um Gleichwohl, und das bleibt die Haupt- Wählerstimmen zu konkurrieren – ein sorge der Israelis, müssen künftige Frie- Spiel, das er bereit ist zu spielen. Zweitens densverhandlungen auch zum Ziel haben, verfügt die Koalition nur über eine knappe dass Israels Sicherheit gewährleistet bleibt. Mehrheit. Die meisten Parteien der Koali- Hier sind verschiedene Maßnahmen vor- tion wären in der Lage, die Regierung zu stellbar, etwa Blauhelmtruppen an einer stürzen. Das verleiht den Akteuren an den zukünftigen Grenze oder ein demilitarisier- Rändern des politischen Spektrums größere ter Staat Palästina. Denn trotz Israels mili- Handlungsfreiheit, da sich die Koalition tärischer Dominanz muss das weitverbrei- nur schwer disziplinieren lässt. Ein dritter tete Argument entkräftet werden, dass das bedeutender Aspekt ist die Frustration in Land seit Beginn des Friedensprozesses der israelischen Gesellschaft über das fort- nach jedem Rückzug aus Gebieten ange-

© Stiftung Wissenschaft und gesetzte Scheitern des Nahostfriedens- griffen wird. Andernfalls wird sich keine Politik, 2016 prozesses. Wichtigstes Kriterium für die Mehrheit für die Wiederbelebung des Alle Rechte vorbehalten israelische Politik ist nach wie vor die Friedensprozesses finden lassen. Angesichts Das Aktuell gibt die Auf- Positionierung der Akteure zu den Möglich- dessen scheint guter Rat von außen nötig fassung des Autors wieder keiten einer Konfliktlösung. Dem rechten zu sein, da sich die israelische Politik SWP Lager kommt die Hoffnungslosigkeit sehr gegenwärtig hauptsächlich durch Mecha- Stiftung Wissenschaft und zustatten, denn es stand dem Friedens- nismen der Koalitionsbildung selbst Politik Deutsches Institut für prozess von jeher skeptisch gegenüber. Die blockiert. Internationale Politik und Opposition ist derzeit auch nicht in der Dieser Weg bietet zudem die Möglich- Sicherheit Lage, glaubwürdige Vorschläge zur Konflikt- keit, die unter Druck geratenen demokra- Ludwigkirchplatz 3−4 lösung zu unterbreiten. Nicht dass die tischen Institutionen zu stärken. Engage- 10719 Berlin Regierungskoalition eher imstande wäre, ment für liberale demokratische Werte und Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 eine wie auch immer geartete Entschei- Unterstützung für die Zwei-Staaten-Lösung www.swp-berlin.org dung zu treffen: Für die Annexion der sind zwar nicht dasselbe, aber dennoch mit- [email protected] Siedlungen fehlt dem rechten Rand eine einander verbunden. Die Vorstellung eines ISSN 1611-6364 Mehrheit, eine andere Lösung ist momen- legitimen palästinensischen Staates ist vor tan nicht in Sicht. So bleibt das, was allem eine liberale Idee in Israel. Mit der Netanjahu seit langem betreibt, Gebot der Stagnation des Nahostfriedensprozesses ver- Stunde: Konfliktmanagement. Jenseits liert der Gedanke einer liberalen Demokra- seines Sicherheitsdogmas scheint der tie damit auch binnenstaatlich an Boden Premier keine politische Vision zu haben. zugunsten national-kollektivistischer An- Europäische Politik, die sich sowohl um schauungen über den Staat Israel. Wenn- den Friedensprozess sorgt als auch substan- gleich mit der Regierung Netanjahu nur tielle Demokratie in Israel fördern will, schwierig zu bewerkstelligen, könnte ein kann hier ansetzen: Die nachdrückliche solider Friedensprozess neue Hoffnung Unterstützung für einen palästinensischen wecken, der zusammen mit den stabilen Staat bleibt schon mangels tragfähiger arabischen Staaten der Region und allen Alternativen die einzige Option zur Bei- voran Saudi-Arabien in die Wege geleitet legung des Nahostkonflikts. Gerade im wird. Zusammenhang mit Netanjahus Versuch, auf die arabischen Staaten zuzugehen und dabei die Palästinenser auszuklammern, kann die EU aktiv werden. Im Konzert mit arabischen Staaten muss sie der israelischen Regierung verdeutlichen, dass auf Friedens-

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