Nie Geschämt Die Simple Minds, Protzigste Band Der Achtziger, Melden Sich Zurück – in Vorbildlicher Bescheidenheit
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Pop Nie geschämt Die Simple Minds, protzigste Band der Achtziger, melden sich zurück – in vorbildlicher Bescheidenheit. aß unsere Welt nur eine unter vie- len sei, gilt unter Freunden außer- Dirdischer Phantasterei zwar als ge- sichert, mit der Kontaktaufnahme zu fernen Galaxien allerdings haperte es bisher. Nun aber scheint die Suche nach fremden Lebensräumen wenigstens ei- nem Erdenbürger geglückt zu sein. Der Schotte Jim Kerr jedenfalls berichtet froh gestimmt: „Da gibt es eine Welt voll mit Liebe und Liedern.“ Kerr, Sänger und Kopf der Rockband Simple Minds, schwärmt von einer Rei- se, für die „jeder den Weg in sich selber suchen muß“. Auch bei der Namens- wahl für das jüngste, gerade erschienene Album der Simple Minds zeigt sich der Popstar von dieser neuen kosmischen Euphorie beflügelt: Das Ding heißt „Good News From The Next World“. In den achtziger Jahren zählten die schottischen Bombast-Rocker zu den er- folgreichsten Bands der Welt. Nun ist das einstige Quintett zum Duo ge- schrumpft – „die anderen sind von Ufos entführt worden“, erklärt Kerr –, und, das ist die wirklich gute Nachricht, der von vielen Kritikern verspottete Pomp ist dabei dann auf der Strecke geblie- ben. Denn während der Tüftelei an der neuen Platte haben Kerr und Gitarrist Charlie Burchill ihren Hang zu monu- mentaler Elektronik und wuchtigem Ci- nemascope-Kitsch offenbar bezähmt. Nun präsentieren sie kleine melodiöse Songs, die für Simple-Minds-Verhältnis- se geradezu kärglich mit Gitarre, Baß und Schlagzeug instrumentiert sind – und zugleich die beste Platte seit zehn Jahren. Daß sie für die Arbeit am neuen Werk vier Jahre benötigten, hat viele Fans betrübt: Immerhin hatte die Band einst ihre ersten drei Alben innerhalb von nur 18 Monaten veröffentlicht. Aber das war Ende der Siebziger, da- mals spielten die Simple Minds eine Art New Wave; und ob sie überhaupt irgend etwas rausbrachten, interessierte in die- ser Zeit sowieso nur ein paar Einge- weihte. Heute ist jede Platte der Band ein mit maximalem Werbeaufwand annoncier- tes Großereignis. Kerr selbstkritisch: 208 DER SPIEGEL 6/1995 . KULTUR VIRGIN RECORDS Duo Simple Minds: „Die anderen sind von Ufos entführt worden“ „Was würde passieren, wenn wir im „Früher habe ich vor jedem großen Jahr 1995 mit drei Platten ankämen? Auftritt vor Aufregung gekotzt. Heute Unser Manager würde fragen, ob wir weiß ich, daß eine gute Lightshow alles den Verstand verloren haben. Und die retten kann“, sagt Kerr. Mittlerweile ist Plattenfirma würde uns verklagen.“ er die Spektakel auf großen Bühnen Zudem hat der Rocker, so scheint es, derart gewohnt, daß er jüngst bei einem die Vorzüge eines gemächlichen Pro- Konzert in einem kleinen Klub über die duktionstempos entdeckt: „Wer gut er- Rampe kippte – und sich dabei fast den holt ist, kann ohnehin viel besser arbei- Hals brach. ten“, sagt er. Solche Unfälle werden sich in diesem In frühen Tagen wurden die Simple Frühjahr nicht wiederholen. Denn für Minds gern mit so abgebrühten Stilisten die Deutschland-Tournee der Band wie Bryan Ferry und dessen Band Roxy wurden nur die größten Säle gebucht. Music verglichen. Kerr aber hatte bald Von dort aus wollen die Schotten zwar anderes im Sinn: „Schon zu Punk-Rock- weiterhin die Liebe predigen, doch mit Zeiten habe ich mich niemals geschämt aktuellen politischen Lebenshilfepro- zuzugeben, daß mich die bombastische grammen halten sie sich heute zurück. Atmosphäre von Genesis, Yes oder Led Es ist nicht einmal mehr sicher, ob alt- Zeppelin tief beeindruckt.“ bewährte Gassenhauer wie „Mandela Day“ oder „Belfast Child“ Gnade bei der Programmgestaltung für die aktuelle Kerr trat an, um Gutes Tour finden. zu verkünden und Denn Jim Kerr ist zwar immer noch ein guter Mensch, aber die Rolle des das Böse zu verteufeln Pop & Politik-Heilands hat er abgelegt. „Als wir immer wieder gefragt wurden, So sorgte er dafür, daß auch Musik warum wir noch kein Lied über Jugosla- und Gehabe der Simple Minds im Ver- wien parat haben, wußte ich, daß etwas lauf der achtziger Jahre ins Protzige ab- verdammt schiefgelaufen ist“, sagt Kerr. drifteten – zuletzt konnten die Auftritte Gut und Böse zu scheiden fällt in diesem der Schotten, was Zuschauerzahl und Fall selbst einem Schwarzweiß-Maler Sendungsbewußtsein betraf, durchaus wie ihm schwer. mit denen des Papstes konkurrieren. Andere Lieblingsthemen des singen- Daß Genesis, Yes und all die anderen den Wanderpredigers haben sich zumin- Riesen der Siebziger eigentlich gar dest vorläufig erledigt. In Südafrika re- nichts zu sagen hatten, wertet Kerr als giert Nelson Mandela, in Belfast dummen Fehler. Deshalb traten seine herrscht Waffenstillstand. Ist die Wen- Simple Minds an, um Gutes zu verkün- dung zum Besseren am Ende auch ein den und das Böse zu verteufeln. wenig Kerrs Verdienst? Ein Stadion zu unterhalten ist eine Der Verkünder der „Frohen Bot- Kunst. „Die Pretenders oder Elvis Co- schaften aus der nächsten Welt“ ist da- stello sind an dieser Aufgabe geschei- von überzeugt: „Wir stehen eben immer tert“, sagt Jim Kerr. Nur wenige beherr- noch für Songs, die mehr aussagen als schen das Spiel mit den Massen. Die die von Prince, der nur von seinem Pe- Simple Minds gehören dazu. nis singt.“ Y DER SPIEGEL 6/1995 209.