DEUTSCHLAND

tagswahlen vertagt. Und die Regierung als Kandidatin für das Amt des Bundes- FDP hat eine Gnadenfrist (siehe Interview tagsvizepräsidenten, kündigte gleichfalls Seite 29). die Loyalität. Sie wollte nicht länger Düster entschlossen war Kinkel schon Kinkels Stellvertreterin sein. vom Essener EU-Gipfel zum Parteitag Am Donnerstag abend setzte die Netter nach Gera gekommen. Dort mußte er Bonner Fraktion das Werk der langsa- dann erleben, daß die Delegierten ihn men Selbstzerstörung fort, weniger ge- mit eisiger Ablehnung empfingen und hässig als nachdenklich und ratlos. Kin- Dilettant gnadenlos niedermachten. kel war nicht erschienen. Er müsse aus- Wie erstarrt saß die Führungsriege in ländische Besucher in seinem Wahlkreis Die Liberalen haben ihre Führungs- langen Reihen auf dem Podium des Par- empfangen, ließ er sich entschuldigen. krise gerade noch einmal vertagt. teitags, während im Saal ein Scherben- Gisela Babel, Abgeordnete aus Mar- gericht über Kinkel niederging. burg, rief in Erinnerung: „Wir haben Aber was passiert, gehen auch die Nur die Ehrenvorsitzenden suchten doch gewußt, daß wir mit Kinkel einen nächsten Wahlen verloren? die Ehre des Angegriffenen zu retten. sympathischen Dilettanten wählten.“ kann gut nach- Zumindest in der Fraktion waltet all- fühlen, wie Kinkel zumute ist. Als einer mählich die Einsicht, daß nicht alle Feh- laus Kinkel ist verbittert, und er der Hauptbeschuldigten hatte er den ler und Gebrechen immer nur Kinkel läßt es alle spüren. Wie es seine Kopf für die illegale Parteienfinanzie- anzulasten sind. Auch dessen Vorgän- KArt ist, macht er aus seinem Her- rung hinhalten müssen. Und Hans-Diet- ger Genscher, Lambsdorff oder Martin zen keine Mördergrube – ein Opfer der rich Genscher hatte nach dem Macht- Bangemann hatten sich nie für Program- Verhältnisse, das sich herausnimmt, Po- wechsel 1982 als Vorsitzender auch viele me interessiert. Auch sie kultivierten litik und Privates zu vermengen. Landtagswahlen verloren. Er trat als vorzugsweise die Rolle der FDP als un- Als Parteichef und Außenminister ha- Parteichef zurück, blieb aber Außenmi- entbehrliche Mehrheitsbeschafferin und be er sich bis an die Grenzen der physi- nister – ein Modell für Kinkel? nannten das Profilschärfe. schen Belastbarkeit verausgabt. Nicht Die Hilfsaktion der alten Kämpen Zudem hatte Genscher seinem Nach- einmal Zeit habe er gefunden, seinen blieb jedoch zwiespältig. Genscher ließ, folger im Außenministerium ein schwie-

Zuviel für Kinkel „Kritiker meinen, sei durch seine Doppel- „Für welche politische Position steht belastung als Außenminister und Parteivorsitzender Ihrer Ansicht nach der FDP-Vorsitzende überfordert, er solle sich von einem Amt trennen. Klaus Kinkel am ehesten?“ Was meinen Sie, soll er... gesamt fdp-wähler ...beide Ämter behalten?“ 21 33 für Bürgerrechte und 32 Grundrechtsschutz 52 ...das Außenministe- 14 rium abgeben?“ 6 für günstige Bedingun- 43 36 ...den Parteivorsitz 34 gen der Wirtschaft abgeben?“ 31 14 für nationale Werte ...beide Ämter abgeben?“ 19 0 14

An 100 fehlende Prozent: keine Angabe; Emnid-Umfrage für den SPIEGEL, 1500 Befragte, 12. bis 14. Dezember 1994 K.-B. KARWASZ

Vater zu beerdigen, klagt er. Für die Se- als er vom Rednerpult zurückging, die riges Erbe vermacht. Als Kinkel seine rie von Wahlniederlagen in Ländern zaghaft ausgestreckte Hand Kinkels un- Ratschläge in den Wind schlug und eige- und Kommunen stehe er allein am Pran- beachtet. ne Wege ging, kühlten sich die Bezie- ger; das findet er zutiefst ungerecht. Kinkel machte einmal mehr die er- hungen merklich ab. Eine lange Liste voller Beschwerden nüchternde Erfahrung, daß keiner sich Immer wieder ließ Genscher durch- hat sich da angesammelt. Am vorigen gern für einen Verlierer schlägt. Seit die blicken, daß ein anderer seiner Zöglin- Montag bekam Kinkel im Präsidium der Partei zerfällt, sucht jeder nur sich selbst ge, Günter Verheugen, der zur SPD FDP wenigstens ein Minimum an Soli- aus den Trümmern zu retten. entlief, dem Ziehvater mehr Freude be- darität. Als einziger von drei Genscher-Zöglin- reitet als der amtierende Außenmini- Die Liberalen könnten es nicht ver- gen hat Kinkel politisch überlebt. Jürgen ster. Genscher freue sich, so wird eine kraften, beschworen ihn seine Partei- Möllemann verlegte er den Weg an die seiner typischen Bemerkungen kolpor- freunde, wenn er sie im Stich lasse. Sie Spitze der Partei, zerstörte ihm auch sei- tiert, „wenn mein richtiger Nachfol- führten ihm die chaotischen Auswirkun- ne Machtbastion in Nordrhein-Westfa- ger eines Tages ins Amt kommt“. Über gen vor Augen, die Turbulenzen für die len. In ihm hat Kinkel einen unversöhnli- solche Späße kann Kinkel gar nicht Koalition, wenn er alle Ämter niederle- chen Widersacher, der auf Revanche lachen. ge. Auch von „Staatskrise“ war die Re- sinnt und „die Geheimdienstmethoden“ Auch Wolfgang Gerhardts Auftritt in de. Kanzler bat telefo- des Vorsitzenden anprangert: „Wer ihn Gera hatte ihn nicht froh gestimmt. Ge- nisch darum, daß Kinkel jeden Ab- bedroht, wird erschossen.“ gen die Verdächtigungen, er habe sich schiedsgedanken fahren lasse. , verhinderte Par- mit seiner kritischen Rede auf dem Par- Doch das Verhältnis zwischen Kinkel tei- und Fraktionsvorsitzende, für einen teitag schon um den Parteivorsitz be- und seiner Partei ist zerrüttet. Die Krise Tag designierte Außenministerin, ge- worben, wehrte sich der Kinkel-Vize al- ist lediglich bis zu den nächsten Land- scheiterte Bauministerin, ausgebootet lerdings vehement. Es sei nicht seine

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Art, sich nach vorne zu drängen, be- hauptete er, deshalb seien auch seine CSU Verdienste nicht richtig aufgefallen. Aber der Argwohn bleibt, der „schnar- chende Löwe von Wiesbaden“, wie ihn Spötter nennen, halte sich begierig bereit „Ich kann die CDU – unterstützt von seinem hessischen Landsmann . Der Bonner Fraktionschef Solms ver- stand es bislang nahezu meisterlich, nur warnen“ überall mitzumischen, ohne dafür ver- antwortlich sein zu wollen. Schon seit Interview mit Staatsminister Erwin Huber über Schwarz-Grün und FDP langem gilt er als einer der unheilvollen Einflüsterer Kinkels. Er sei es, der, ho- fiert von Kanzler Kohl und dem Frakti- SPIEGEL: Herr Huber, auch in Ihrer Huber: Auch Glos hält politische Zu- onschef der Union, Wolfgang Schäuble, Partei ist Streit um den richtigen Um- sammenarbeit mit den Grünen für un- der FDP ständige Kompromisse aufnöti- gang mit den Grünen ausgebrochen. Sie möglich. Ich gehe weiter: CSU und Grü- ge, werfen ihm Fraktionsgegner vor. nannten die Ökos vor kurzem noch ne verhalten sich wie Feuer und Wasser, Auch Solms hält mittlerweile Distanz „extremistisch“. dagegen, da führt kein Weg zueinander, verläßli- zum doppelten Amtsträger Kinkel. Auf- der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe che Politik ist mit denen nicht zu ma- fällig fanden es viele Liberale, daß er in in Bonn, hält sie für „eine ganz normale chen. Viele Positionen der Grünen tra- Gera kein gutes Wort für Kinkel fand. Partei“. gen einen starken radikalen Zug und Der Fraktionschef habe ausdrücklich er- rütteln an den Grundfesten klärt, daß er nicht auf die Rednerliste unseres Staates. wollte, erfuhren sie zu ihrem großen Er- SPIEGEL: Über Schwarz- staunen nachträglich. Und in der Haus- Grün wird ja nur spekuliert, haltsdebatte des Bundestages vorige weil CDU und CSU Antje Woche überließ Solms die Verteidigung Vollmer zur Bundestagsvize- Kinkels ausgerechnet Helmut Kohl. präsidentin mitgewählt ha- Der Kanzler hatte allerdings nicht ben. Vorsorge getroffen, daß die angeschla- Huber: Ich sehe mit Sorge, gene FDP von der Union, die den Mitre- daß durch die Wahl von Frau genten unbedingt braucht, geschont Vollmer in der CDU eine wird. schwarz-grüne Diskussion in Daß CDU-Innenminister Manfred Gang gesetzt wurde. Ich Kanther in der Debatte wieder die alten kann die CDU nur warnen, Forderungen nach Lauschangriff und auf diesem Weg fortzufah- dem Einsatz von Geheimdiensten gegen ren. Diese Linksbewegung organisierte Kriminalität forderte, fan- würde die CSU auf keinen den die Liberalen „unverschämt“. Diese Fall mitmachen. Lieblingsvorhaben der Union waren in SPIEGEL: Wäre das der den Koalitionsgesprächen bewußt ausge- „Riß“, vor dem Bayerns Mi- klammert worden. nisterpräsident Edmund Stoi- Darüber werde er mit dem Kanzler ber warnt? sprechen, suchte Solms die Aufmüpfigen Huber: Ja. CDU und CSU zu beruhigen. „Was da hinter verschlos- können grundlegende Wei- senen Türen beredet wird“, höhnte Möl- chenstellungen nur miteinan- lemann, „wird die Öffentlichkeit sehr be- der treffen. Eine schwarz- eindrucken.“ grüne Koalition wäre ver- Immerhin raffen sich die Liberalen hängnisvoll. Sollte sich die nun zu guten Vorsätzen auf. CDU zu den Grünen hinwen- Im Januar ist die Abgrenzung zur Uni- den, ohne diesen Schritt vor- on Thema einer Fraktionssondersitzung. her mit uns zu erörtern, wäre Für den nächsten Parteitag im Juni ver- der Riß zwischen den Schwe- langt der von Ex-Innenminister Gerhart

M. DARCHINGER sterparteien da. Baum angeführte „Freiburger Kreis“ ei- SPIEGEL: Viel Zeit bleibt Ih- ne Diskussion über die Rolle von Solms. Erwin Huber nen nicht, einen neuen Koali- „Die Fraktion kann sich nicht einfach tionspartner zu suchen – die über die Partei hinwegsetzen“, so Baum, ist fast unbemerkt einer der wichtigsten Politi- Selbstzerfleischung der FDP „da gibt es erhebliche Spannungen.“ ker in der CSU geworden. Als Leiter der Münch- in Gera war doch nichts an- Wahrscheinlich werden dann aber grö- ner Staatskanzlei – zuständig auch für die Euro- deres als der Startschuß zum ßere Ereignisse die liberalen Gemüter papolitik – soll er das Scharnier sein zwischen Zerfall der Bundesregierung. bewegen. Gehen die Landtagswahlen in Parteichef und Ministerpräsident Huber: Die Koalition steht. Hessen (19. Februar) und Nordrhein- Edmund Stoiber. Huber, 48, war 1987 als Abge- SPIEGEL: Noch. Westfalen (14. Mai) verloren, wird nie- ordneter von Franz Josef Strauß entdeckt wor- Huber: So wie Kinkel ist noch mand Kinkel vom Rücktritt zurückhal- den, stieg zum CSU-Generalsekretär auf. Zum kein Parteivorsitzender be- ten, ist die düstere Prognose – mit un- Jahreswechsel gibt der gelernte Finanzbeamte handelt worden. Wer seinen absehbaren Folgen: raus aus der Koali- und studierte Ökonom Huber sein Amt als Gene- eigenen Parteichef so demon- tion, ab in die Opposition, Große Ko- ralsekretär an Bernd Protzner ab. tiert, wird vom Wähler nicht alition? Y mehr ernst genommen.

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