GRAHAM McNEILL

Die Krieger von Ultramar

Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN In der Reihe WARHAMMER 40000 sind im WILHELM HEYNE VERLAG erschienen:

William King: Wolfskrieger William King: Ragnars Mission William King: Der graue Jäger William King: Runenpriester William King: Wolfsschwert Graham McNeill: Nachtjäger Dan Abnett: Geisterkrieger Dan Abnett: Mächte des Dan Abnett: Nekropolis Dan Abnett: Ehrengarde Dan Abnett: Die Feuer von Tanith Dan Abnett: Tödliche Mission Dan Abnett: Das Attentat Dan Abnett: Der Verräter Dan Abnett: Das letzte Kommando Graham McNeill: Die Krieger von Ultramar Ben Counter: Seelentrinker Dan Abnett: Der doppelte Adler Ben Counter: Der blutende Kelch Graham McNeill: Toter Himmel, schwarze Sonne PHASE I Entdeckung PROLOG

Tief hängende Wolken zogen über den blauen Himmel von Tarsis Ultra, getrieben von der leichten Brise, die die dicken Stängel des Getreides beugte. Es war warm und roch durchdringend nach erntereifem Mais, der sich in alle Richtungen ausdehnte, so weit das Auge reichte. Ein großes Vehikel mit hohen Seiten holperte auf ei- nem Weg aus gestampfter Erde durch das sanft schwan- kende Feld. Blitzende Klingen an ausgefahrenen, ge- neigten Armen sensten den Mais auf beiden Seiten ab und beförderten ihn in einen Schüttgutbehälter auf sei- nem Rücken. Die Sonne hatte noch nicht ihren Zenit er- reicht, aber der Behälter war beinahe voll, da sich die Erntemaschine des Landwirtschaftskollektivs Prandium bereits vor Tagesanbruch an die Arbeit gemacht hatte. Rauch aus dem Motor der Erntemaschine durchlief eine Reihe von Filtern und wurde schließlich in einer giftfreien Wolke über dem kleinen Führerhaus ganz vorne in die Luft abgelassen. Die Maschine ruckte zur Seite, bevor einer der beiden Insassen dem waghalsigeren Fahrer die Kontrollhebel entriss. »Corin, ich schwöre, du fährst dieses Ding wie ein Blinder«, schnauzte Joachim. »Wie soll ich denn besser werden, wenn du mich nie fahren lässt?«, fragte Corin, während er empört die Hän- de in die Luft reckte. Er fuhr sich mit behandschuhter

6 Hand durch den widerspenstigen Haarschopf und starr- te seinen Begleiter verärgert an. Joachim spürte den funkelnden Blick seines Freundes und sagte: »Du hättest uns fast in den Bewässerungsgra- ben gefahren.« »Vielleicht«, räumte Corin ein. »Aber ich hab’s nicht getan, oder?« »Nur deshalb nicht, weil ich übernommen habe.« Corin zuckte die Achseln, da er nicht gewillt war, in diesem Punkt zuzustimmen, und ließ Joachim weiterfah- ren. Er zog seine dünnen Handschuhe aus und streckte die Finger, um die Steifheit aus den Gelenken zu vertrei- ben. Die ruckelnden Kontrollhebel einer Erntemaschine festzuhalten und sie damit über die großen Felder zu steuern, war anstrengend. »Diese Handschuhe sind nutzlos«, beklagte er sich. »Sie helfen überhaupt nicht.« Joachim grinste und sagte: »Also hast du sie noch nicht ausgepolstert?« »Nein«, erwiderte Corin. »Ich hatte gehofft, deine Elleiza würde das für mich tun.« »Ich würde nicht darauf warten, sie kümmert sich ohnehin schon um dich, als wäre sie deine Frau.« »Aye!«, lachte Corin. »Sie ist ein gutes Mädchen. Sie passt gut auf mich auf, ja, das tut sie.« »Zu gut«, stellte Joachim fest. »Es wird Zeit, dass du dir eine eigene Frau anschaffst, die sich um dich küm- mert. Was ist mit Bronagh, der Medika in Espandor? Ich habe gehört, sie steht auf dich.« »Bronagh. Ah, ja, das ist ein Mädchen mit einem wirk- lich guten Geschmack«, sagte Corin lachend. Joachim zog eine Augenbraue hoch und wollte gerade antworten, als die Welt rings um sie explodierte. Ein kra- chender Einschlag traf die Seite der Erntemaschine, und beide Männer wurden in der Fahrerkabine herumge- schleudert, als das riesige Fahrzeug zur Seite ruckte.

7 Joachim spürte Blut auf der Kopfhaut und griff nach den Kontrollen, da sich die Erntemaschine auf die Seite legte. Er riss daran, doch es war bereits zu spät. Die linke Kette glitt von der Straße in den Graben und das ganze Fahrzeug kippte. »Halt dich fest«, rief Joachim, als die Erntemaschine mit dem Kreischen von sich verbiegendem Metall auf die Seite fiel. Glasscherben überschütteten sie, und Joa- chim spürte, wie eine scharfe Kante in seine Schläfe schnitt. Die Maschine krachte auf die trockene Erde des Feldes und wirbelte riesige Wolken aus Mais und Staub auf. Ihre gewaltigen Ketten bewegten sich weiter und zerwühlten die Luft, während der Motor weiterlief. Fast eine Minute verstrich, bis sich die Seitentür des Führerhauses öffnete und ein Paar bestiefelte Füße auf- tauchte. Vorsichtig ließ Joachim sich aus dem Führer- haus gleiten und klatschte schließlich ins knietiefe Was- ser des Bewässerungsgrabens, der zwischen Straße und Feld verlief. Er landete unbeholfen und fluchte, während er sich den verschrammten, ramponierten Kopf hielt. Corin folgte ihm benommen in den Graben und hielt dabei einen Arm dicht vor der Brust. Wortlos begutachteten die beiden Männer den Scha- den an der Erntemaschine. Der Schüttgutbehälter war nur noch eine verbogene Masse aus verbeultem Metall. Rauchende Trümmer und der stinkende Rest von verbranntem Mais waren alles, was von seinem Mittelteil noch übrig war, wo ihn an- scheinend etwas extrem Starkes getroffen hatte. »Bei Guillimans Fluch, was ist passiert?«, fragte Corin atemlos. »Hat jemand auf uns geschossen?« »Das glaube ich nicht«, erwiderte Joachim, indem er auf eine Säule aus weißem Rauch zeigte, die sich gut hundert Meter entfernt im Feld himmelwärts erhob. »Aber was es auch war, ich wette, es hat etwas damit zu tun.«

8 Corins Blick folgte Joachims ausgestreckter Hand. »Was ist das?« »Ich weiß es nicht, aber wenn es ein Feuer ist, müssen wir es löschen, bevor die ganze Ernte verbrennt.« Corin nickte und kletterte unter Schmerzen ins Füh- rerhaus der Erntemaschine zurück, wo er zwei Feuer- löscher von der Rückwand löste und sie nach unten zu Joachim warf. Mit einigen Schwierigkeiten erklommen sie die steile Betonwand des Grabens, und Joachim dreh- te sich um und zog Corin hoch, nachdem er oben ange- kommen war. Sie eilten durch den Mais, wobei ihnen der Weg durch die lange, dunkle Narbe im Boden erleichtert wurde, die zu der Rauchsäule führte. »Bei Macragge, so etwas habe ich noch nie gesehen«, japste Corin. »Ist das ein Meteor?« Joachim nickte und wünschte sich dann, er hätte es nicht getan, da ihm ein heißer Schmerz durch den Kopf zuckte. »Ich glaube ja.« Sie erreichten den Rand des Kraters und blieben er- staunt über den Anblick stehen. Wenn es ein Meteor war, sah er nicht im Entferntesten so aus, wie die beiden Männer ihn sich vorgestellt hat- ten. Annähernd kugelförmig und aus einem leprösen braunen Material bestehend, ähnelte er einem riesigen Edelstein, der in ein Hitzeflimmern gehüllt war. Die Oberfläche sah glatt und glasig aus, wahrscheinlich in- folge der Reise durch die Atmosphäre. Nun, da sie das Objekt vor sich sahen, konnten die beiden Männer er- kennen, dass nicht etwa Qualm in stinkenden Wellen von ihm aufstieg, sondern Dampf. Geysire des übel rie- chenden Dampfes entwichen aus Spalten in seiner Ober- fläche wie durch Überdruckventile. Sogar vom Krater- rand konnten sie die intensive Hitze spüren, die das Objekt ausstrahlte. »Tja, das Ding brennt nicht, ist aber noch verdammt

9 heiß«, sagte Joachim. »Wir müssen es abkühlen, sonst könnte es immer noch das Feld in Brand setzen.« Corin schüttelte den Kopf und beschrieb das Zeichen des Adlers über dem Herzen. »Auf keinen Fall. Ich geh da nicht runter.« »Was? Warum nicht?« »Das Ding gefällt mir nicht, Joachim. Das ist was Schlimmes, das spüre ich.« »Sei kein Idiot, Corin. Das ist nur ein großer Stein, und jetzt komm.« Corin schüttelte vehement den Kopf und hielt Joachim den Feuerlöscher hin, den er in der Hand hielt. »Hier. Wenn du da runtergehen willst, dann geh, aber ich gehe zur Erntemaschine zurück. Ich rufe Prandium und lasse jemanden herkommen, der uns abholt.« Joachim sah, dass Corin nicht mit sich reden ließ, und nickte. »Ich sehe mir das Ding mal genauer an«, sagte er. »Ich komme gleich nach.« Er hing sich einen Löscher über jede Schulter und klet- terte vorsichtig in den Krater. Corin beobachtete ihn, bis er unten angelangt war, und machte sich dann auf den Rückweg zur Ernte- maschine. Er berührte seinen verletzten Arm und zuckte zusammen, als direkt über dem Ellbogen Schmerzen aufloderten – er fühlte sich gebrochen an. Er warf einen Blick zurück, als er ein lautes Zischen hörte, als werde Wasser auf eine heiße Ofenplatte gegossen, ging aber weiter. Das Zischen hielt an. Plötzlich gab es einen lauten Knall. Dann setzten die Schreie ein. Corin erschrak und fuhr herum, als er Joachim vor Schmerzen brüllen hörte. Der Schrei seines Freundes verstummte abrupt und ein heulendes Kreischen ertön- te, absolut fremdartig und absolut Grauen erregend. Corin fuhr herum und rannte zur Erntemaschine, wobei ihm die Furcht Flügel verlieh.

10 Im Führerhaus war ein Gewehr, und jetzt wünschte er sich verzweifelt, er hätte es mitgenommen. Er lief durch die in die Erde gerissene Furche, stolper- te über eine Wurzel im Boden und fiel auf die Knie. Hin- ter ihm ertönten schwere Schritte. Etwas Großes und unmenschlich Schnelles raste durch den Mais. Er hörte Stängel brechen, als es immer näher kam. Corin hatte keinen Zweifel, dass es ihn jagte. Er ächzte vor Furcht, rappelte sich auf und lief weiter. Er riskierte einen Schulterblick und sah eine verschwom- mene Gestalt wie einen Geist aus seinem Blickfeld in den Mais verschwinden. Die Schritte von etwas Großem schienen von überall- her auf ihn einzudringen. »Was bist du?«, schrie er im Laufen. Er rannte blindlings weiter, erreichte die Grenze des Maisfelds und stürzte kopfüber in den Bewässerungs- graben. Er landete schmerzhaft, da er sich den verletzten Ellbogen am Beton stieß, und schluckte brackiges Was- ser, als er vor Schmerzen aufschrie. Er kroch Wasser speiend rückwärts und schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen. Er schaute hoch, als eine dunkle Gestalt den Himmel über ihm verdeckte. Corin blinzelte das Wasser in seinen Augen weg und sah seinen Verfolger deutlich. Er holte Luft, um zu schreien. Doch er war schon bei ihm und ließ einen Hagel sen- sender Schlage auf ihn niedergehen, die ihn auseinan- derrissen, bevor er den Schrei ausstoßen konnte. Ein See aus Blut breitete sich von seinem verstümmel- ten Leichnam aus. Corins Mörder hielt nur einen Mo- ment inne, als wittere er. Er kletterte mühelos aus dem Graben und schlug die Richtung nach Prandium ein.

11 PHASE II Annäherung EINS

Die Basilica Mortis war die Heimat der Mortifactors. Das uralte Heim des Mortifactor-Ordens der Space Marines mit seinen zerklüfteten und gebirgsartigen Oberflächen drehte sich langsam im blassen Licht Posuls und seiner weit entfernten Sonne. Fast zehntausend Jahre, seitdem der Gründer des Or- dens, Sasebo Tezuka, vom Tarot des Imperators herge- führt worden war, standen die Mortifactors bereits Wa- che über die Nachtwelt Posul, und in dieser Zeit hatten diese heiligen Ritter des Imperiums immer Mitglieder ihres Kriegerordens innerhalb der Wälle ihres den Plane- ten umkreisenden Festungsklosters ausgebildet. Rein optisch ähnelte es einem riesigen Gebirge, das sich in die Weiten des Alls verirrt hatte. Die besten Tech- priester und Adepten hatten sich vereint, um diese Fes- tung in der Umlaufbahn zu erschaffen. Die Basilica war ein Wunder arkanen Konstruktionswissens, dessen Ge- heimnisse längst in Vergessenheit geraten waren. Seit Millennien sandten die Mortifactors Krieger aus der Basilica Mortis aus, um neben den Armeen des Imperiums in Diensten des göttlichen Imperators der Menschheit zu kämpfen. Kompanien, Trupps, Kreuzrit- ter waren in den Krieg berufen worden und dreimal so- gar der gesamte Orden, das letzte Mal erst kürzlich, um in den elenden Wüsten Armageddons gegen die Orks zu kämpfen. Die vom Orden errungenen Auszeichnungen konnten sich sogar mit denen solch legendärer Orden

14 wie den Space Wolves, Imperial Fists und Blood Angels messen. In voller Besetzung beherbergte das Kloster die tausend Schlachtbrüder des Ordens und deren Offiziere sowie einen Hilfsstab aus Servitoren, Schreibern, Technomaten und Funktionären, der insgesamt siebeneinhalbtausend Köpfe zählte. Ausgedehnte Docks mit schlanken silbernen Andock- Ringen ragten aus dem Bug des Adamantiumberges ins All. Zwei schwer bewaffnete Angriffskreuzer der Space Marines hatten an den Docks festgemacht, während klei- nere Fregatten der Gladius-Klasse und Zerstörer der Jäger-Klasse entweder vom Patrouillendienst in der Do- mäne der Mortifactors zurückkehrten oder zu ihm auf- brachen. Schlachtbarken, verheerende Kriegsschiffe von phänomenaler Macht, waren in gepanzerten Hangar- buchten tief in den Eingeweiden des Klosters unterge- bracht, deren stumme Rümpfe schreckliche Waffen von planetarer Zerstörungskraft bargen. Ein Leuchtfeuer, das in der Dunkelheit der am weites- ten von den Docks entfernten Ausleger aufflammte, re- flektierte das Licht vom Rumpf eines sich nähernden Angriffskreuzers. Von sechs schnellen Angriffsschiffen der Mortifactors eskortiert, glitt der Kreuzer elegant dem abgedunkelten Festungskloster entgegen. Uralte Codes und gewundene Begrüßungen auf Hochgothisch waren zwischen dem Schiffskapitän und dem Ordensmeister gewechselt worden, aber die Mortifactors gingen in Fra- gen der Sicherheit kein Risiko ein. Das Schiff, die Vae Victus, trieb langsam durch den Raum, nur durch Kor- rekturdüsen angetrieben, die ihre Fahrt zu den Docks kontrollierten. Die Vae Victus war ein Angriffskreuzer der Ultra- marines, der Stolz und die Freude des Flottenkomman- deurs des Ordens, und normalerweise mit einer kom- pletten Riege von Begleitschiffen unterwegs. Aber die

15 Schiffe des Geschwaders Arx Praetora lagen in der Nähe des Sprungpunkts des Systems vor Anker, da ihnen die Annäherung an das alte Sepulchrum der Mortifactors nicht gestattet war. Die Schiffsaufbauten waren lang und trugen die Nar- ben von vielen Tausend Jahren Krieg gegen die Feinde der Menschheit. Im Heck ragte eine von verzierten Strebebögen getragene kathedralenartige Zinne in die Höhe, und als Verbeugung vor den Mortifactors waren Geschützmündungen und Hangarschleusen hinter ihren Schutzschilden verborgen. Die Backbordseite des Schiffs glänzte, wo die Schiffszimmerleute von Calth den hor- renden Schaden repariert hatten, den ihm ein Schiff der zugefügt hatte, und die Insignien der Ultramarines leuchteten mit neuerlichem Stolz auf der Bugpanzerung. Als sich die Vae Victus der Basilica näherte, schwang ihr Bug langsam herum, bis sie mit der Steuerbordseite längsseits des Festungsklosters lag. Dort blieb sie stumm im All hängen, bis eine Vielzahl kleiner Schlepper aus der Basilica Mortis kamen und rasch Stellung auf der Backbordseite bezogen. Andere Schiffe mit gigantischen Andocktrossen, jedes davon dicker als ein Orbitaltorpedo, flogen der Vae Vic- tus entgegen und brachten die Trossen an sicheren Ver- ankerungspunkten an, während sich die Schlepper dem Kreuzer der Ultramarines langsam von der Backbordsei- te näherten. Wenig mehr als kraftvolle Antriebsmaschi- nen mit einem winzigen Servitor-Abteil obenauf, wur- den die Schlepper benutzt, um größere Schiffe in eine Position zu manövrieren, wo sie andocken konnten. Ein Dutzend von ihnen manövrierte ganz langsam an die Vae Victus heran, wie winzige parasitäre Fische auf einem riesigen Seeungeheuer, um dann kontrollierte Schub- stöße abzugeben. Schließlich überwand ihre vereinte Kraft die Trägheit des größeren Schiffs, und die Vae Vic- tus kroch langsam der Basilica Mortis entgegen, wobei

16 die dicken Kabeltrossen sie einholten und zu den gigan- tischen klauenartigen Andockklammern leiteten, die sie sicher mit dem Festungskloster verbinden würden. Tief im Innern des Raumschiffs waren gepanzerte Schritte und die entfernten Geräusche der Schlepper auf dem Rumpf das Einzige, was die ruhige, meditative Stille der Korridore störte. Durch unzählige Elektroker- zen hell erleuchtet, schienen die marmorweißen Wände alle Geräusche zu verschlucken, bevor sie Gelegenheit hatten, ein Echo zu erzeugen. Die sanft gewölbten Wände waren glatt und nur spar- tanisch verziert. Hier und da gab es winzige Nischen, die von zartem, diffusem Licht erleuchtet waren. Sie ent- hielten stasenversiegelte Behältnisse mit einigen der hei- ligen Reliquien des Ordens: den Oberschenkelknochen des Uralten Galatan, den Schädel eines Fremdwesens, der auf den Schlachtfeldern von Ichar IV erbeutet wor- den war, ein Buntglassplitter von einem vor langer Zeit zerstörten Schrein oder eine Alabasterstatue des Impera- tors persönlich. Vier Space Marines marschierten zu den Andockbuch- ten auf der Steuerbordseite, wo sie endlich in der Lage sein würden, die Basilica Mortis zu betreten. Der Anfüh- rer der Abordnung war ein kahlköpfiger Riese mit einer dunklen Haut zäh wie Leder und einem Netz von Narben kreuz und quer auf der linken Gesichtshälfte. Seine Züge hatten sich zu einer Miene des Missvergnügens verzogen, und seine Blicke huschten bei jedem Ächzen von Metall, das der Schiffsrumpf von sich gab, zur Decke des Korri- dors, da sie sich den Schaden ausmalten, den die Schlep- per an der Außenhülle des Kreuzers anrichteten. Lordadmiral Lazlo Tiberius trug seinen zeremoniellen Amtsumhang. Die steife Halskrause aus Fuchsfleder- mausfell scheuerte im Nacken, und die silberne Spange, die den Umhang mit der blauen Rüstung verband, kratzte an der Kehle. Er trug einen Lorbeerkranz um die

17 Stirn, und auf seiner Brust funkelten die vielen Aus- zeichnungen, die er errungen hatte, wobei der Gold- orden eines Helden von Macragge leuchtete wie eine Miniatursonne. »Verdammte Schlepper«, murmelte Tiberius. »Sie hat die Werften von Calth gerade erst verlassen, und jetzt werden sie Imperator weiß wie viele Paneele und Bögen verbeulen.« »Ich bin sicher, es wird nicht so schlimm, wie Sie den- ken. Lordadmiral. Und sie wird Schlimmeres erleben, bis wir mit Tarsis Ultra fertig sind«, sagte der Krieger direkt hinter Tiberius, der Hauptmann der Vierten Kom- panie, Uriel Ventris, dessen smaragdgrüner Gala-Um- hang hinter ihm herwallte. Tiberius grunzte. »Sobald wir zurück nach Tarsis Ultra kommen, will ich nach Chordelis ins Dock und alles über- prüfen. Ich führe sie nicht in die Schlacht, ohne mich vor- her zu vergewissern, dass sie in bester Verfassung ist.« Als Hauptmann der Vierten Kompanie lautete einer von Uriels Titeln Flottenmeister, aber in Anerkennung von Tiberius’ größerem Wissen in puncto Raumkampf hatte er ihn an den Lordadmiral abgetreten, der diese Rolle mit viel Enthusiasmus übernommen hatte. Darin lag keine Unehre, da die Krieger der Ultramarines den Lehren des heiligen Buchs ihres Primarchen folgten, dem Codex Astartes, der betonte, wie wichtig es war, dass jede Position von dem für sie am besten geeigneten Mann unabhängig von dessen Rang eingenommen wur- de. Tiberius und die Vae Victus kämpften seit beinahe drei Jahrhunderten gemeinsam, und Uriel wusste, dass der ehrwürdige Lordadmiral ein besserer Flottenmeister sein würde als er. In den Monaten seit der Zerstörung des Raumkolosses Tod der Tugend hatten die Rüstmeister auf dem Schiff ihr Bestes getan, um den Schaden zu reparieren, den Uriels Rüstung dabei erlitten hatte, und einen Schulterschutz

18 ersetzt sowie die tiefen Furchen gefüllt und neu lackiert, die die Krallen des Fremdwesens hinterlassen hatten. Doch ohne die Schmieden von Macragge war es unmög- lich, den Schaden völlig zu reparieren. An seinen grünen Umhang war eine kleine Brosche in Form einer gehämmerten weißen Rose geheftet, die Uriel als Held von Pavonis auswies, und darunter war eine ganze Reihe Bronzesterne an seinem Brustharnisch befestigt. Sein Gesicht war eckig, die Züge von klassischem Schnitt, aber ernst und hager. Die Gewitterwolken- Augen waren schmal und hatten schwere Lider, und die beiden goldenen Langdienst-Knöpfe an der linken Schläfe funkelten hell unter der Dunkelheit seiner stop- pelkurzen Haare. Uriels oberste Sergeanten marschierten im Gleich- schritt hinter ihm, Pasanius links und Learchus rechts. Pasanius überragte die anderen mühelos, und die Rüs- tung konnte seine Körperfülle kaum halten – und das trotz der Tatsache, dass ein Großteil davon von einer uralten, irreparabel beschädigten Terminator-Rüstung stammte. Sowohl er als auch Learchus trugen den grü- nen Umhang der Vierten Kompanie und wie ihr Haupt- mann Broschen in Form der weißen Rose von Pavonis. Pasanius’ blondes Haar lag eng am Kopf an, und ob- wohl er eine ernste Miene aufgesetzt hatte, konnte sein Gesicht auch Wärme und Humor ausstrahlen. Sein rech- ter Arm funkelte silbern unter dem Ellbogen, wo die Techpriester von Pavonis ihn nach der Auseinanderset- zung mit dem uralten Sternengott namens Nachtbringer in den Tiefen jener Welt ersetzt hatten. Seine monströse Sense hatte Rüstung und Knochen durchschnitten, und trotz aller Bemühungen von Apothekar Selenus war das von der Grabeskälte der Sense berührte Gewebe nicht mehr zu retten gewesen. Learchus war ein wahrer Ultramarine. Seine Abstam-

19 mung war makellos, und jeder Schritt verriet den ge- borenen Krieger. In der Ausbildung waren er und Uriel erbitterte Konkurrenten gewesen, aber im Zuge ihres gemeinsamen Dienstes an Orden und Imperator hatten sie jeglichen diesbezüglichen Groll längst hinter sich gelassen. Lordadmiral Tiberius zog an der Pelzkrause um sei- nen Hals und richtete den Lorbeerkranz an den Schlä- fen, während sie einer Biegung im Korridor folgten und sich dem Andockhangar näherten. Ein hallendes Kra- chen, welches das ganze Schiff durchlief, verriet Tibe- rius, dass sich die Andockklammern der Basilica ge- schlossen hatten. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Ich bin nur froh, wenn das hier vorbei ist.« Uriel konnte sich nicht dazu überwinden, Tiberius zuzustimmen. Er war erpicht darauf, diese Blutsbrüder kennenzulernen, und die Gefahr, der sie sich in Kürze auf Tarsis Ultra stellen mussten, machte ihn doppelt froh, dass die Vae Victus hierhergekommen war. Die Mortifactors hatten sich in der Zweiten Gründung vor beinahe zehntausend Jahren von den Ultramarines abgespalten, stammten aber von denselben Helden ab wie Uriel. Alte Geschichten berichteten, wie Roboute Guilliman, der Primarch der Ultramarines, das Reich des Impera- tors nach seiner Beinahe-Zerstörung seitens des verräte- rischen Kriegsmeisters Horus zusammengehalten und sein Buch, der Codex Astartes, das Fundament für das noch junge Imperium gelegt hatte. Von zentraler Bedeu- tung für dieses Fundament war das Dekret, die mehrere zehntausend Mann starken Legionen der Space Marines in kleinere Kampfeinheiten aufzuteilen, die bis zum heu- tigen Tag Orden genannt wurden, sodass nie wieder ein Mann in der Lage sein würde, über die Furcht erregende Macht einer ganzen Legion von Space Marines zu gebie-

20 ten. Jede der ursprünglichen Legionen behielt ihre Far- ben und Titel, während die neu gegründeten Orden einen anderen Namen annahmen und sich daran mach- ten, die Feinde des Imperators in der ganzen Galaxis zu bekämpfen. Ein Hauptmann der Ultramarines namens Sasebo Te- zuka hatte das Kommando über die neu gegründeten Mortifactors erhalten und sie zur Welt Posul geführt, wo er sein Festungskloster errichtet und bis zu seinem Tod viel Ehre im Namen des Imperators errungen hatte. Trotz ihrer gemeinsamen Abstammung von Guilli- mans Blut hatte es über viele Tausend Jahre keinen Kon- takt zwischen den Ultramarines und den Mortifactors gegeben, und Uriel freute sich darauf, diesen Kriegern zu begegnen, zu sehen, was aus ihnen geworden war und welche Schlachten sie ausgetragen hatten, und ihre Heldengeschichten zu hören. Eine Ehrengarde aus Ultramarines säumte den Zu- gang zu den Andockschleusen auf der Steuerbordseite, und die vier Krieger passierten das Spalier. Eine dicke goldene Tür mit einem Handrad und dem Motiv des Im- periumsadlers unter einem kunstvoll gestalteten Giebel wartete am Ende der Ehrengarde. Ein messingumrande- tes Licht über der Tür leuchtete grün, um anzuzeigen, dass der Durchgang ungefährlich war, und als sich die Ultramarines näherten, rollte ein kybernetisch veränder- ter Servitor auf Ketten vorwärts, um das Rad zu drehen. Es funktionierte problemlos, und Dampf zischte aus den vakuumversiegelten Rändern. Die Schleuse öffnete sich mit einem Zischen der De- kompression und glitt auf geölten Rollen zur Seite, um einen langen dunklen Tunnel aus schwarzem Eisen zu enthüllen, der zu einem von schwarzen Schädeln um- ringten, tropfenden Portal führte. Eiszapfen-Fänge hingen an den Kiefern der Schädel, und auf dem mit Steinplatten gekachelten Boden des

21 Andocknabels sammelte sich Feuchtigkeit. Tiberius wech- selte einen unbehaglichen Blick mit Uriel, der neben den Lordadmiral trat. »Sieht nicht sonderlich einladend aus, nicht wahr?«, stellte Tiberius fest. »Nicht sonderlich«, gab Uriel ihm recht. »Na, dann bringen wir es hinter uns. Je eher wir wie- der auf dem Weg nach Tarsis Ultra sind, desto glück- licher werde ich sein.« Uriel nickte und trat als Erster in den Andocktunnel. Er erreichte die Tür an seinem Ende, die aus demselben dunklen Eisen bestand wie der Rest des Tunnels. Hinter ihnen schloss sich die Druckschleuse und wurde mit hallendem Scheppern versiegelt. Ein Regen aus schmel- zendem Eis tropfte von Uriels Schulterschützern, lief in dünnen Rinnsalen die Riefen in seinem Brustharnisch herunter und durchnässte den oberen Teil seines Um- hangs. Er hob die Faust und hämmerte zweimal an die Tür. Dumpfe Echos der Schläge hallten hohl von den Wänden wider. Es kam keine Antwort, und er hob die Faust, um noch einmal vor die Tür zu schlagen, als sie mit dem Kreischen gequälten Metalls nach innen schwang. Trockene, tote Luft wie der letzte Atemzug eines Leich- nams wehte aus der Basilica Mortis, und Uriel nahm den muffigen Geruch von Knochen und Leichentüchern wahr. Drinnen herrschte Dunkelheit, die nur von flackernden Kerzen gemildert wurde, und es war genauso kühl wie im Andocktunnel. Uriel trat durch das mit Schädeln geschmückte Portal und setzte seinen Fuß in das Heiligtum der Mortifactors. Tiberius, Learchus und Pasanius folgten ihm und schau- ten sich wachsam um. Sie standen in einer langen Kammer, die von sitzen- den Statuen gesäumt wurde und deren Decke in Dun- kelheit getaucht war. Verblichene, schimmlige Banner hingen an den Wänden. Wasser sammelte sich hinter

22 Titel der englischen Originalausgabe Warriors of Ultramar Deutsche Übersetzung von Christian Jentzsch

Umwelthinweis: Dieses Buch wurde auf chlor- und säurefreiem Papier gedruckt.

Deutsche Erstausgabe 4/07 Redaktion: Catherine Beck Copyright © 2003 by Ltd. Erstausgabe by /Games Workshop Ltd. Warhammer® und Games Workshop Ltd.® sind eingetragene Warenzeichen. Umschlagbild: Games Workshop Ltd. Copyright © 2007 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Games Workshop Ltd., lizensiert an: Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH http://www.heyne.de Printed in Germany 2007 Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-453-52231-2 UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Graham McNeill Die Krieger von Ultramar Warhammer 40.000-Roman

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 432 Seiten, 11,5 x 18,3 cm ISBN: 978-3-453-52231-2

Heyne

Erscheinungstermin: März 2007

Nach „Nachtjäger“ nun der zweite große „Warhammer-40.000“-Roman von Graham McNeill. Die „Krieger von Ultramar“ entführt uns in eine düstere, weit entfernte Zukunft, in der letztlich nur eines zählt: zu überleben.

Der neue Roman in der beliebten Welt des Science-Fiction-Rollenspiels „Warhammer 40.000“!