Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Der Berliner Fernsehturm Ansichten und Aussichten

Der Berliner Fernsehturm ist, bei aller Zweckmäßigkeit seiner Form als Sendemast, vor allem als Aussichts- und Ansichtsgebäude bekannt und beliebt. Seine allseitige Sichtbarkeit war seit dem im September 1964 gefällten Beschluss, ihn mitten im Zentrum der Hauptstadt zu errichten, ebenso wichtig wie seine Funktion, die Funk- und Fernsehprogramme der DDR zu verbreiten. Man sieht ihn, seit seiner Vollendung im Jahre 1969, aus allen Stadtquartieren und aus allen oberirdischen Verkehrsmitteln. Vom Turmrestaurant und von der Aussichtsplattform schaut man hinunter auf die Stadt und weit über deren Grenzen hinaus in die Welt. Und man sieht den Turm in seiner Gänze als Blickziel am Kopfende des großen Freiraums zwischen und , mit einer flachen Umbauung, die leicht und freizeitlich wirkt, ein wenig extravagant, mit ihren steil aufwärts und abwärts geknickten Betonschalenelementen, wie eine „Folly“ im englischen Park. Das Gebäude lädt zum Betreten ein, oder zum Setzen auf der großen Freitreppe, von der aus man das urbane Theater in dem Freiraum betrachten kann, den der Berliner Landschaftsarchitekt Stephan Abb. 1: Der Turm von Westen. Die Umbauung verankert ihn am Strauss einmal durchaus passend als ‚Central Boden und im städtischen Nahraum zwischen Park der DDR’ bezeichnet hat.1 (Abb. 1) Rathausforum und Alexanderplatz (Alfred Englert).

In der Literatur ist bislang vor allem die für die Fernwirkung des Turms prägende, in über 200 Metern Höhe um den Turmschaft gelegte kugelförmige Funktions-Kapsel diskutiert worden. Dies ist der erste- kugelför mige Turmkopf mit Café, Aussichtsplattform und technischen Einrichtungen in der mit dem Stuttgarter Bau von 1954-56 beginnenden Geschichte der Fernsehtürme in Deutschland. Der Streit um die Frage, wer diese Kugel wann erfunden hat, hat in den 1990er Jahren in einigen Staub aufgewirbelt.2 War es , der 1959 in seinem utopisch-modernistischen Entwurf für das „Forum der Nation“ das auf dem Marx-Engels-Platz vorgesehene zentrale Gebäude durch den dynamisch aufschwingenden „Turm der Signa- le“ mit kugelförmiger Funktionskapsel ersetzte? Oder war es tatsächlich Gerhard Kosel, Präsident der Deut- schen Bauakademie und 1964 vom Politbüro zum Gesamtleiter des Projektes ernannt, der sich selber wie- derholt als eigentlichen Urheber der Kugel-Idee bezeichnete? Sowohl Kosel als auch Henselmann könnten auf den Entwurf des französischen Architekten Jean Faugeron in seinem Beitrag zum Westberliner Wettbewerb Hauptstadt Berlin von 1957/58 zurückgegriffen haben, der für die Stadtmitte einen Fernsehturm mit einem Turmkopf vorschlug, der sich in einer der eingereichten Ansichten im Schattenwurf wie eine Kugel ausmachte.

1 Strauss hat diese Formulierung bereits in den 1980er Jahren gefunden und hat sie seitdem wiederholt in den De- batten zum Umgang mit dem sog. Rathausforum verwendet. Strauss, S., Rathausforum, 2015. 2 Müller, P., Symbol mit Aussicht, 2000, Kosel, G., Fernsehturm, 2003.

1 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Wer sie auch erfand, die Kugel war eine Innovation und es ist bezeichnend, dass der Streit um die Urheber- schaft erst nach der Wende begonnen wurde, als die Bauschaffenden der DDR Anlass und Gelegenheit hatten, sich mit individuellen Leistungen zu ihrem persönlichen Ruhm und für die Architekturgeschichtsschreibung der Zukunft zu profilieren. Peter Müller hat in seinem Buch „Symbol mit Aussicht“ die Positionen zusammen- fassend dargestellt.3 Die Quellenlage erlaubte indes keine klare Beweisführung und so stehen die persönli- chen Zeugnisse bis heute gegeneinander.

Die Fußumbauung I

Mit der Entscheidung, den schon seit 1954 geplanten Turm nicht in die Müggelberge oder in den Friedrichs- hain, sondern in die Stadtmitte dicht vor den Bahnhof Alexanderplatz zu stellen, waren weitreichende Konse- quenzen verbunden, die die Baulogistik, die städtebauliche Neuordnung des Gebietes zwischen Rathausstra- ße und Karl Liebknecht Straße und schließlich die Einbindung des Turmfußes in den zukünftigen Stadtraum betrafen.4 Der Turm musste, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne, umspielt werden. Er brauchte eine Umbauung, die vom himmelstürmenden Turm in irdische Maßstäbe überleitete und die Besucher ein- lud, sich zu nähern. Die Umbauung sollte den aus der Nähe imponierend und unzugänglich wirkenden Beton- schaft ästhetisch zur Geltung bringen und aus mittlerer Distanz ihre Wirkung gemeinsam mit dem schlanken Turm und der Kugel entfalten. Sie durfte aus der Distanz nicht zu klein und aus der Nähe nicht zu groß wirken und musste in die für das Ost-Berliner Zentrum geplante großräumige städtebauliche Komposition passen.

Abb. 2: Modell der Gesamtbebauung zwischen Friedrichswerder und Alexanderplatz, Stand 1964. Der Fernsehturm noch mit der von Horst Bauer entworfenen ringförmigen Umbauung.

3 Vgl. Müller, P., Symbol mit Aussicht, 2000, S. 54-55; 83-88. Vgl. auch Flierl, B., Der zentrale Ort, 1998, S. 146. 4 Zur Standortwahlgeschichte vgl. Müller, P., Symbol mit Aussicht, 2000, S. 20-35.

2 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Das war eine neue, nicht ganz einfache Entwurfsaufgabe, für die es keine Vorbilder gab. Zwar boten viele der damals gebauten Fernsehtürme Cafés und Aussichtsplattformen, brauchten also Eingangsgebäude für das erwartete Publikum, aber sie entstanden entweder auf Bergeshöhen, oft mitten im Wald, oder auf Frei- oder Restflächen am Stadtrand, weit entfernt von zentralen städtischen Räumen.5

Der erste Entwurf, der in verschiedenen Varianten gezeichnet wurde, stammte von Horst Bauer und zeigt eine exzentrisch liegende, in sich geschlossene Ringbebauung, die den Turmschaft vollständig umfassen sollte. Sie war zweigeschossig gedacht und, nach den Modellfotos zu urteilen, rundum durchfenstert. (Abb. 2) Der Bau erscheint ab 1964 in den Entwurfsmodellen für das Stadtzentrum und man kann beobachten, dass die bis dahin geplante Besetzung des inneren Baufeldes zwischen Liebknecht- und Rathausstraße angesichts seiner voraussehbaren massiven Präsenz weiter auseinandergerückt wird.6 Der zweigeschossige Ring, der in einem frühen Modell wie ein schlanker doppelter Reif wirkt,7 verdankt sich, ebenso wie die Kugel an der Spitze, offenkundig der Raumfahrtästhetik, die mit der erfolgreichen sowjetischen Sputnik-Mission in der DDR in Mode gekommen war. Das verdop- pelte Rund von Turm und Umbauung wirkte indes in dem nun von weiterer Bebauung frei gedachten Längsraum zwischen Alexanderplatz und Spandau- er Straße richtungslos und wenig dynamisch.

Im Sommer 1967 entstand der Entwurf von Walter Herzog, der von den einflussreichen Architekten Manfred Prasser und Heinz Aust aktiv unterstützt und für dessen technische Umsetzung im Herbst 1967 der Statiker Rolf Heider gewonnen wurde.8 Herzogs Turmumbauung findet sich bereits in dem besonders sorgsam ausgearbeiteten Planmodell von 1968,9 das die gesamte Ost-Berliner Innen- stadt zeigt. Im März 1969 erschien in der Zeitschrift Deutsche Architektur ein fünfseitiger Artikel, der das Projekt mit Grundrissen, Modellfotos und vom Architekten gezeichneten Ansichten vorstellt.10 Mit Herzogs Entwurf wurde ein gänzlich anderes Form- und Ordnungskonzept ins Spiel gebracht, das die städtebauliche und gärtnerische Gesamtkompositi- Abb. 3: Modell des späteren Rathausforums mit Randbebau- on des Raumes zwischen Alexanderplatz und Spree ung und Freiraumanlage, Stand 1968. Der Fernsehturm mit in Proportionen und Ausrichtung grundlegend ver- der Umbauung von Walter Herzog und Rolf Heider. ändert und geprägt hat. (Abb. 3)

5 Vgl. Borries, F. v./Böttger, M./Heilmeyer, F., TV Towers, 2009. Die Abbildungen im Buch zeigen vorzugsweise die Turmschäfte und die in der Höhe angebrachten Kapseln und Gondeln aber auch die oft phantastischen Fußumbauun- gen, etwa die in Liberecz und Brasilia, Taschkent und Teheran. 6 Vgl. Müller, P., Symbolsuche, 2005, S. 299 und 306 sowie Müller, P., Symbol mit Aussicht, 2000, S. 74 und 116. 7 Müller, P., Symbol mit Aussicht, 2000, S. 84, Abb. 8 Heider, R., Umbauung, 2015, S. 2. 9 Manfred Zache gibt in seinem Beitrag für das Modell das Jahr 1967 an. Vgl. Zache, M., Blick aus dem Osten, 2014, S. 115, Abb. 4 „Städtebaukonzept des Jahres 1967 für die Berliner Innenstadt […]“, Peter Müller in Müller, P., Symbol mit Aussicht, 2000, S. 117, Abb. das Jahr 1968 an. 10 Herzog, W./Aust, H./Heider, R., Umbauung, 1969.

3 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Die Reste des Alten

Ein Blick zurück: Als mit der Fundamentierung des Turms begonnen wurde, sah das städtische Umfeld noch ganz anders aus, als es auf den wohlgeordneten Modellen für die Zukunft suggeriert wird. In seinem direkten Umfeld an der Rathausstraße, an der Südseite der Marienkirche und im Bereich der Karl Liebknecht Straße standen noch zahlreiche Altbauten. Der Fernsehturm war gewissermaßen der Pionierbau der städtebaulichen Neuordnung, die bis dahin nur auf Plänen und Modellen entwickelt worden war. Der Bruch zwischen dem stehengebliebenen Rest des Alten und dem Zukünftigen, das ganz andere Dimensionen und eine ganz andere ästhetische und gesellschaftliche Ordnung schaffen sollte, wird am besten auf den Fotos vom Baufortschritt am Fernsehturm anschaulich. Das gleich nach seiner Eröffnung publizierte Fotobuch11 von 1969 feiert in aus- drucksstarken Schwarz-Weiß-Fotos die Arbeit, die Arbeiter und den wachsenden Turm, und nebenher sieht man im Hintergrund, wie nach und nach die Altbauten verschwinden und wie am Alexanderplatz und an der Rathausstraße allmählich die neuen Gebäude Form annehmen.

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre muss das Zentrum von Ost-Berlin eine gigantische Schlammwüste und später eine ebenso gigantische Großbaustelle gewesen sein. Umso glänzender musste jeder vollendete Bau wirken, und sicher ganz besonders der Fernsehturm, der am 4. Oktober 1969 zum 20. Jahrestag der DDR-Staatsgründung von eingeweiht wurde. Bis dahin war nur der Zugang zu den Aufzügen im Turm fertig gestellt. Mit der Errichtung der Bauten am Turmfuß konnte logischerweise erst nach dem Ab- schluss der Arbeiten am Turm begonnen werden.

Der Abriss der wenigen noch erhaltenen Altbauten, die Aufgabe des historischen Stadtgrundrisses, die Über- planung mehrerer Straßen und die großräumige Aufweitung des Stadtgefüges kann rückblickend als Gewinn moderner urbaner Großzügigkeit gewertet werden, aber auch als Verlust historischer urbaner Dichte. Und es hat im Berlin der Nachwendezeit nicht an Versuchen gefehlt, den Raum, gewissermaßen im Gegenzug zum sozialistischen Städtebau, wieder vollzustellen, die Fußumbauung abzureißen, den Turmfuß hinter neu- en Hochbauten zu verstecken und auch das Marx-Engels-Forum zwischen Spandauer Straße und Spree zu bebauen.12 In jüngerer Zeit wurde indes die städtebauliche Qualität des damals neu geschaffenen, inzwischen historisch gewordenen metropolitanen Stadtraumes rund um den Fernsehturm erkannt und gewürdigt.13 Die in den Jahren 2009-2013 durchgeführte Erneuerung der Freiflächen hat viel zur Aufwertung des Raumes bei- getragen und hat ihn um einige sehr gut eingepasste funktionale Elemente bereichert, beschränkte sich dabei jedoch leider auf die direkte Umgebung des Fernsehturms anstatt die Freifläche als gestalterische Einheit zu behandeln.14

Die Fußumbauung II: Entwurf und Konstruktion

Im Innenstadtmodell von 196815 steht, eindrucksvoll auf dunklem Grund, der Fernsehturm mit Walter Herzogs Umbauung, die mit weitgespannten Schwingen den neu geschaffenen Längsraum zwischen Rathausstraße

11 , I., Fernsehturm, 1969. 12 Hiervon zeugt vor allem die erste Fassung des Planwerks Innenstadt, die 1996 von Hans Stimmann und Dieter Hofmann Axthelm vorgestellt wurde. In der Fassung von 1999 erscheint der Fernsehturm wieder mit Umbauung und Freiraum. Vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Planwerke-Wechsel (Zugriff am 22.05.2015). 13 Pfeiffer-Kloss, V., Die Macht der Abwesenheit: zur städtebaulichen Gestaltungsdebatte um den Stadtplatz unter dem Berliner Fernsehturm, 2015 (= ISR Impulse Online, 56), Dolff-Bonekämper, G., Fernsehturm, 2013 und Herold, S., Platz am Fernsehturm, 2013. 14 Die Arbeiten des Büros Levin/ Monsigny begannen im Jahr 2009, siehe weiter unten im Abschnitt Freiraumgestal- tung. 15 Das Modell wird abgebildet in Müller, P., Symbol mit Aussicht, 2000, S. 117 und in Zache, M., Blick aus dem Osten, 2014, S. 115.

4 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015) und Spandauer Straße zugleich ausrichtet und ausfüllt. Eine Kaskadenanlage im Vorfeld leitet zur geplanten Grünanlage zwischen dem Roten Rathaus und der Karl-Liebknecht-Straße über, die hier noch nicht weiter aus- gearbeitet ist. Die ganze Grundrissfigur ist mit einem Flieger aus gefaltetem Papier verglichen worden, dessen Nase nach Westen und dessen Heck nach Osten zeigt. Dem mag man folgen oder nicht, das architektonische Konzept ist in jedem Falle Lichtjahre entfernt vom großen Ernst und Pathos der Stalinalleezeit.

Die rahmenden Hochbauten, eigentlich besser: Breitbauten an den Außenkanten, d.h. die späteren Rathaus- passagen und die langgestreckte Wohnzeile an der Karl-Liebknecht-Straße erscheinen im Modell in ihrer später verwirklichten Form. Die früheren Planvarianten, die noch Baumalleen zwischen Randbebauung und Binnenfläche vorsahen, sind weggefallen. Mit den weit ausgreifenden Flügelbauten rückt die Turmumbauung näher an die Marienkirche heran, die der von Südwest nach Nordost ausgerichteten Raumachse naturgemäß nicht angepasst werden konnte und so als einziges Bauwerk der neuen Orthogonalität widersteht. Sie wurde, so versichern die beteiligten Akteure,16 im gesamten Planungs- und Bauprozess jederzeit von allen Akteuren respektiert.

In dem im März 1969 veröffentlichten Artikel in der Zeitschrift Deutsche Architektur17 werden das architekto- nische, das funktional-betriebliche und das konstruktionstechnische Konzept für die Turmumbauung ausführ- lich vorgestellt. Modellfotos und Grundrisse zeigen die Baustruktur, wie sie geplant und bis 1972 umgesetzt wurde. Der Statiker Rolf Heider berichtet im Rückblick über die Besonderheiten der Ausrichtung und der Baugeometrie: „Aus der städtebaulichen Situation und Absicht, die langen Geschosstrakte, die eine Verspan- nung der Rathausstraße und Liebknechtstraße herstellen sollten, bei gleichzeitigem respektablen Abstand zur Marienkirche, um etwa 120 Grad im Turmbereich abzuknicken, ergab sich ein hexagonales Raster mit dem Basiswinkel von 60 Grad, was zu den Basisflächen des gleichseitigen Dreiecks, Sechsecks und des entspre- chenden Parallelogramms führte. Darauf basierten die Stützen (Sechseckquerschnitte), die ursprünglichen Außentreppen, jetzt Schrägrampen und Kragdächer (Dreiecke) und die Geschossdecken als durchlaufende Plattenbalkenkonstruktionen (Parallelogramme).“18

Mehrere Treppen führen zu einer brüstungsbewehrten Galerie im Obergeschoss, die die Pavillons umrundet und dicht an den Turmschaft heranführt. Das Eingangsgebäude für die Aufzüge zum Turmrestaurant befindet sich an der Seite zum Bahnhof Alexanderplatz und zwei auseinandergerückte, im Grundriss als langgestreckte Hexagone erkennbare Flügelbauten öffnen sich an der „Talseite“ zum Freiraum; der nördliche dient in beiden Geschossen als Ausstellungsraum, der südliche verschiedenen gastronomischen Betrieben. Zwischen den Flügeln fällt der Blick direkt auf den aufsteigenden Turmschaft. Dort führt eine breite Freitreppe zur Galerie hinauf, die Besucher sollen das kraftvolle Betonbauwerk nicht nur aus der Distanz, sondern auch aus großer Nähe betrachten können. Die Konstruktion der Flügelbauten ruht an den Außenkanten auf schlanken sechs- eckigen Stützen, eine Stützenreihe durchzieht in Längsrichtung die der Hexagone. Kleine Raumzellen im Inneren sind als Funktionsräume abgeteilt, im Übrigen sind die Räume frei bespielbar. (Abb. 4a-d und 5) Alle struktiven Beton-Elemente – Stützen, Brüstungen, Geländer, Gesimse, Dächer – sind weiß gefasst, alle Fens- terprofile und Geländerstäbe sowie die geschlossene EG-Wand hinter der Freitreppe in kräftigem Blau. Kreis- runde Scheiben aus leuchtend rot gefasstem Blech zieren die mit artikulierten Horizontal- und Vertikalfugen profilierten Brüstungen. Im Erdgeschoss treten die weißen Stützen vor den Fensterwänden plastisch in den Vordergrund, im Obergeschoss sind die gläsernen Wände in den frei stehenden Abschnitten vor die Stützen geschoben und die blauen Fensterprofile dominieren die Wirkung. Die klare und kontrastreiche Farbfassung unterstützt die plastische Wirkung des skulpturalen Baukörpers.

16 Die Abknickung der Flügelbauten im Winkel von 120 Grad sollte ausdrücklich den Abstandsraum zur Marienkirche vergrößern. Herzog, W., Abknickung, 2015. 17 Herzog, W./Aust, H./Heider, R., Umbauung, 1969, S. 143-147. 18 Heider, R., Umbauung, 2015, S. 3.

5 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 4a: Grundriss des Erdgeschosses, Entwurf von 1968.

6 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 4b: Grundriss des Obergeschosses, Entwurf von 1968.

7 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015) auf den abwärts geknickten Betonschalen. geknickten auf den abwärts Abb. 4d: Längs- und Querschnitte im Entwurf von 1968. Entwurf im Abb. 4d: Längs- und Querschnitte Abb. 4c: Verworfener Entwurf mit zusätzlichen Treppenanlagen Treppenanlagen mit zusätzlichen Entwurf Abb. 4c: Verworfener

8 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 5: Walter Herzog, verworfener Entwurf mit zusätzlichen Treppenanlagen auf den abwärts geknickten Betonfaltwerken.

9 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

An den Gebäudeecken kragen von den Dachkanten schräg nach oben geknickte, radial gefaltete und spitz zulaufende Vordächer weit in den umgebenden Raum. Gegenläufig nach unten gekippte V-förmige Elemente, die mit ihrer glatten Oberfläche schwer und massiv wirken, dienen der horizontalen Aussteifung der Konstruk- tion und sollten, wie Rolf Heider und Walter Herzog berichteten, ursprünglich zusätzliche Treppenläufe tra- gen.19 (Abb. 5) Wie eine große weithin sichtbare Willkommensgeste wirken an der Westseite die beiderseits der Freitreppe in einer weit gestreckten Schräge (21 m) von der Dachkante herabgesenkten, radial gefalteten Betonschalen, die mit ihrer Spitze nicht den Boden berühren, sondern durch die Kraft der Schalenkonstruk- tion in Spannung, quasi in der Schwebe gehalten werden. (Abb. 6) An der Ostseite, die nur einen geringeren Blickabstand erlaubt und überdies für den Eingang zum Turmaufzug eine andere Anordnung erforderte, sind die gefalteten Betonschalen von der Dachkante weit nach Außen gespreizt, um unter und zwischen sich Raum für Eingänge und Treppenaufgänge zu lassen. Auch ihre Spitzen „schweben“ über dem Boden.20 Sämtliche Schalenbetonelemente sind gleichfalls weiß gefasst, ihre Knickungen erzeugen scharfe Schattenkanten, die dem Bauwerk zusätzliche Plastizität verleihen.

Abb. 6: Ein Kunststück: die Spitze des abgesenkten Betonfaltwerkes an der Westseite schwebt über dem Boden, 1973.

19 Herzog, W./Heider, R., Ortstermin Fußumbauung, 2014. Vgl. auch Heider, R., Umbauung, 2015. 20 Die Idee für die in Spannung über dem Boden gehaltenen Betonfaltwerke kam von Rolf Heider: „Deshalb machte ich den Vorschlag, dass auch die großen, abwärts geneigten Dächer auskragen müssten, so dass die Dachspitzen über Terrain quasi schweben.“ Heider, R., Umbauung, 2015, S. 3. Vgl. auch Seeböck, T., Betonschalen, 2013, Kap. 8: Werkver- zeichnis, Ziff. 29.

10 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Zur Betonierung der Faltwerke stellte Ulrich Müther, dessen phantastische Hyparschalen etwa in Magdeburg, Rostock und Warnemünde seit geraumer Zeit große internationale Beachtung finden, dem Betrieb Ingeni- eurhochbau Berlin seine Maschinen, seine Rezepturen und seine fachliche Beratung zur Verfügung.21 Die Betonfaltwerke, die Knickungen, die Schrägen, die Spitzen, das „Schweben“ – all das lief dem funktionalen Rationalismus der industrialisierten Bauweise der DDR diametral entgegen, war aber offenbar an Sonderbau- ten wie diesem zulässig und konnte auch dauerhaft gelingen.

Die Fußumbauung III: Nutzung, öffentliche Wirkungen und Nebenwirkungen

Die von Walter Herzog zum Zeitschriftenartikel von 1969 beigesteuerten sehr fein gezeichneten Ansichten vermitteln schon die leichte und heitere Stimmung, die das Gebäude später erzeugen sollte: In der Hauptan- sicht steht der Turm vor einem hohen, mit einer schräg geschwungenen Wolkenlinie strukturieren Himmel; Linien am Boden laufen zu einem Fluchtpunkt in der Turmmitte zusammen und erzeugen Raumtiefe. (Abb. 7)

Abb. 7: Walter Herzog, Ansicht des Turms mit Umbauung von Westen, Entwurfszeichnung mit Sommerstimmung und Wolkenband.

21 Heider, R., Müther, ohne Datum. Müthers eigener Bau, die Großgaststätte „Ahornblatt“ auf der Fischerinsel in Berlin, eine Hyparschale mit steil hochgezogenen Schalenrändern, der bereits im Stadtmodell von 1968 steht und 1973 fertiggestellt wurde, wurde bekanntlich im Jahre 2000 abgerissen, vgl. Seeböck, T., Betonschalen, 2013, Werkverzeich- nis, Ziff. 22 und ausführlich Kap. 4.2.2 Verlust: Die Gaststätte Ahornblatt.

11 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 8: Ansicht des Turms mit Umbauung, Sommerstimmung, Blick von Westen. Eröffnungsbild des Artikels in der „Deutschen Architektur“ von 1973.

Die schrägen, geknickten und gefalteten Betonelemente beiderseits der Freitreppe wirken leicht und dünn und doch auch dramatisch und expressiv, jedoch keinesfalls feierlich erstarrt, sondern dynamisch. Die Staf- fagefiguren sind sommerlich gekleidet und freizeitlichem Müßiggang hingegeben. So sollte sie werden und wirken, die Fernsehturmumbauung und so wurde und wirkte sie auch, glaubt man dem im 1973 in der Deut- schen Architektur veröffentlichten, nun reich mit Fotos illustrierten Artikel.22 Das Titelbild auf der ersten Seite zeigt den Turm aus einigem Abstand, in der Mittagssonne, vor einem weiten, offenen Himmel, auf dem sich eine Wolkenformation abzeichnet, die der schrägen Wolkenlinie in Walter Herzogs heiterer Graphik von 1969 sehr nahe kommt. Die lebendigen Staffagefiguren streben, den Turm im Blick, in eben dem freizeitlichem Müßiggang, den Herzog zuvor gezeichnet hatte, der großen Freitreppe zu. (Abb. 8)

Die im Artikel abgebildeten Innenräume (leider ohne Personen) sind im aktuellen Stil der späten 1960er Jahre eingerichtet, funktional und modern; das Tanz-Café und das Espresso mit einem deutlich erkennbaren Zug ins Elegant-Luxuriöse. Über den Erfolg der Gaststätten wird nichts berichtet, aber über den der Ausstellungshalle im Nordflügel: Im Jahre 1972 fanden dort 16 Ausstellungen mit etwa 520.000 Besuchern statt. „Wir haben den Gästen einen Einblick in das künstlerische Schaffen unseres Landes und anderer Länder geboten, haben Informationsausstellungen über andere Hauptstädte gezeigt und Ausstellungen, die sich mit bestimmten ge- sellschaftlichen Teilbereichen befaßten.“23 Das Foto von der Ausstellungshalle lohnt näheres Hinsehen: Sie ist weit und offen, mit weißen Wänden, hellem Boden, weißen Stellwänden und Lichtdecke und einer Fenster- wand, die den Ausblick in die umgebende Stadtlandschaft erlaubt. Eine hochmoderne städtische Kunsthalle, für die das Raumkonzept der 1968 eröffneten Westberliner Nationalgalerie von Ludwig Mies-van-der-Rohe als Vorbild genannt werden kann. Die im Foto sichtbaren Ledersessel sehen nicht umsonst den Mies-Sesseln

22 Herzog, W./Aust, H./Witt, G., Umbauung, 1973, S. 358-363. 23 Herzog, W./Aust, H./Witt, G., Umbauung, 1973, S. 359 (Interview mit Geschäftsführer Günter Witt).

12 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 9: Die Kunsthalle im Nordpavillon, ein sachlich-moderner, lichter und offener Ausstellungsraum, 1973. in der Nationalgalerie zu Verwechseln ähnlich. „Die Halle war groß, geräumig, nach außen offen und durch- sichtig, anders als alle anderen, eher introvertierten Ausstellungsräume in Ost-Berlin und wurde von Künst- lern sehr geschätzt. Hier fanden regelmäßig die vom Künstlerverband ausgerichteten Bezirkskunstausstellun- gen statt, die wichtigsten Ausstellungen des jeweiligen Jahres in Berlin.“24 (Abb. 9)

Mit den Restaurants und Cafés im Südflügel, der über zwei Geschosse ausgebreiteten Ausstellungshalle im Nordflügel, mit der erhobenen Galerie, die wie ein Stadtbalkon zum Hinunterschauen einlud, den von der Galerie bis zum Boden geführten V-förmigen Betonschrägen als (unerlaubte) Rutschbahnen für die Kinder, der westlichen Freitreppe als Ort zum ungezwungenen Aufenthalt, war die Umbauung am Fuße des Fern- sehturms ein Ort heiterer Freizeitlichkeit. Keine vorbestimmte Choreographie lenkte die Bewegung und das Verhalten der Besucher, organisierte Zustimmung zum Sozialismus wurde hier nicht abgefragt. Die kleine, etwas versteckte Espressobar unter dem Fernsehturm („der Tunnel“), die erst um Mitternacht schloss, war in den 1970er Jahren das Szene-Café, wo man Künstler, Architekten und Intellektuelle traf, es war der Vorgänger des später dann legendären „Espresso“ im Lindenkorso.25

Seine ultimative öffentliche Nutzung erfuhr das Gebäude, genauer: der im Erdgeschoss liegende Teildes „Ausstellungszentrums am Fernsehturm“ im Winter der Wende. Im November 1989 verzichtete der Künst- lerverband auf die eigentlich für den Termin angesetzte Design-Ausstellung und stellte den Raum für die gesamte Dauer der üblichen Ausstellungszeit, also bis Ende Januar 1990, der revolutionären städtischen -Öf fentlichkeit zur Verfügung. Die ursprünglich für den Aufbau der Ausstellung engagierten Kuratoren konnten, mit eigenem Etat vom Verband Bildender Künstler, drei Monate lang den Raum bespielen. Sie wurden zu In-

24., Ausstellungen, Kil, W 2015. 25 Für diese Informationen danke ich [GDB] Wolfgang Kil Kil, W., Espressobar, 2015 und Kathrin Lompscher Lomp- scher, K., Espressobar, 2015.

13 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 10: Das „Treibhaus“: Das EG der Kunsthalle im Nordpavillon wird als demokratisches Veranstaltungsforum genutzt, im Bild das Transparent: „Großmutter, warum hast Du so große Zähne“ von der Groß-Demon- stration am 4. November 1989.

tendanten einer Bühne des politischen Neubeginns in der DDR.26 Der Ort war zentral, geheizt, beleuchtet und leuchtete in den Stadtraum hinaus. Er wurde nun „Treibhaus“ genannt - das war indes mehr programmatisch als architektonisch gemeint. Der Raum sollte das Klima für die neuen Ideen und Debatten schaffen. Regime- kritische Demonstranten fanden hier Zuflucht vor dem schlechten Wetter und luden ihre Transparente ab. Heiner Müller diskutierte einen Abend lang mit A.R. Penck, der hier erstmals seit seiner Ausreise aus der DDR wieder einen Auftritt im Osten hatte. Das „Treibhaus“ am Fernsehturm wurde zu einem wahrhaft öffentlichen Raum, einem offenen Markplatz der Ideen und Debatten; es war bis Ende Januar 1990 ein Schauplatz der Wende.27 (Abb. 10)

26 Die Kuratoren waren Wolfgang Kil, Romy Köcher und Grischa Meyer. Kil, W., Ausstellungen, 2015. 27 Kil, W., Ausstellungen, 2015

14 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Veränderungen und heutiger baulicher Zustand

Nach der Wende und in den 1990er Jahren, als der Streit um die Urheberschaft an der Kugel in der Öffent- lichkeit ausgetragen wurde, fand die Fußumbauung des Turmes wenig Beachtung. Im Planwerk Innenstadt, das Dieter Hoffmann-Axthelm und Hans Stimmann 1996 der Öffentlichkeit vorstellten, ist sie weggeplant.28 Der Turm ist von neuen Bauten, die die Dichte des „alten Zentrums“ wiederherstellen sollten, eng umstellt. Von dieser Idee wurde im Laufe der Debatten um das Planwerk Abstand genommen, aber die Fußumbauung war kein Gegenstand architekturhistorischer Untersuchungen oder fachlicher Debatten. Als im Jahre 2001 der Privatsender TV Berlin in die Mitte zwischen den beiden Flügelbauten im Westen, genau an der Stelle, an der der Blick auf den Schaft des Turmes fallen sollte, einen die Flügelbauten verbindenden und sie zugleich überragenden Pavillon bauen wollte, fand keine öffentliche Debatte statt.29 Der Zwischenbau wurde errichtet. Er verstellt bis heute den Blick auf den Turmfuß und reduziert die Galerie auf der Hofseite auf einen schma- len, wenig attraktiven Laufgang. Seine geringe Nutzfläche steht in keinem Verhältnis zum Schaden, den er der Erscheinung der Gesamtanlage zufügt.

An der Seite zum Bahnhof Alexanderplatz sind dem Eingangsgebäude zum Turmaufzug vier kleine Container- bauten aus Leichtmetall (buchstäblich!) untergeschoben worden, die dem Verkauf von Snacks, Backwaren und Milchkaffee sowie dem Verleih von Fahrrädern dienen. Sie blockieren das Erdgeschoss des Eingangspa- villons sowohl mit ihrer baulichen Präsenz als auch mit ihrem den Raum verstellenden Leichtmobiliar. Ins- gesamt ist die Umbauung indes sehr gut über die Zeit gekommen. Die Konstruktion, die Betonfaltwerke, die Fensterwände mit blau gespitzten Metallrahmen, die von Anfang an mit dicken Verbundglasscheiben ausge- stattet waren, und auch die Brüstungen und Geländer sind in bauzeitlichen Zustand erhalten. Nur einige der kreisrunden roten Scheiben, die die Brüstungen dekorieren, sind vermutlich durch Diebstahl abhanden ge- kommen. Der Eingangsbereich und die den Weg zum Turmaufzug säumenden Räume, die zu Recht gerühmte 6-läufige Treppenanlage, die Brücke zum Turm und die den Turmschaft umgebende Halle sind in gutem Zu- stand. Ob und wie dort im Laufe der 43 Jahre, die die Anlage inzwischen in Betrieb ist, Materialaustausch und Erneuerungen stattgefunden haben, kann hier nicht untersucht werden.

Freiraumgestaltung

Bereits Anfang der 50er Jahre wurde der Platz vor dem wiederaufgebauten Roten Rathaus als Grünfläche ge- staltet. (Abb. 11) Die durch Staudenbeete gerahmte und mit Birken bestandene Rasenfläche diente zugleich als Aufstellungsort für die von Fritz Cremer geschaffene Figurengruppe „Weg mit den Trümmern“ (der „Auf- bauhelfer“ und die „Aufbauhelferin“).30

Diese Grünfläche wurde im Zuge der 1969 beginnenden Entwurfsplanungen für die den Turm umgebende Freifläche aufgegeben. Beteiligt an den Planungen zur Neugestaltung des Areals waren die Architekten Man- fred Prasser und Dieter Bankert und der Landschaftsarchitekt Hubert Matthes, die Ausführung wurde bis 1973 unter Rolf Rühle beendet.31 Gottfried Funeck war für das Stadtgartenamt beratend beteiligt. Die Planun- gen schließen direkt an die Fußumbauung des Fernsehturms an, die von Walter Herzog geplanten Kaskaden bilden ein Bindeglied zwischen Architektur und Platzgestaltung. Gestalterisches Ziel war die „Erzeugung einer städtebaulichen Verspannung der Bebauung Rathaus und Liebknechtstraße und Herstellung differenzierter Räume in Richtung Alexanderplatz und Marx-Engels-Platz“.32 Die hexagonale Form der Fußumbauung dient

28 Vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Planwerke-Wechsel (Zugriff am 22.05.2015). 29 Aulich, U./Schneider, T., Fernsehturm-Pavillons, 2000. 30 Butenschön, S./Herold, S., Platz ohne Namen, 2012, S. 166. 31 Zutz, A., Park, 2013. 32 Zutz, A., Park, 2013.

15 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 11: Grünfläche vor dem Roten Rathaus mit der Skulptur „Die Aufbauhelferin“ (Fritz Cremer), Mitte der 50er Jahre. Im Hintergrund ist das Gebäude Bischofsstraße 8-6 zu sehen.

dabei der Überleitung zwischen den durch die Architekten am Platz vorgefundenen Geometrien. Das Hexa- gon vermittelt nicht nur zwischen der runden Form des Fernsehturms und der an den Platz angrenzenden rechteckigen Bebauung, sondern nimmt auch die Diagonale der Marienkirche als Thema mit auf.33

Der Bebauungsplan für das Stadtzentrum der Hauptstadt der DDR aus dem Jahr 1969 (Abb. 12) sieht für den Bereich zwischen Fernsehturm und Spandauer Straße bereits eine Grundform der heutigen Gestaltung vor, die in der Folge nur noch weiter entwickelt wurde.34 Der Plan zeigt bereits die Struktur für die direkt an den Fernsehturm anschließenden Kaskaden und, in derselben Achse, eine runde Struktur am heutigen Ort des Neptunbrunnens. Auch die Aufteilung in einen seitlichen, mit Bäumen bepflanzten Teil und einen Mittelteil mit Beeten ist bereits zu erkennen, wobei diese noch nicht ihre spätere, charakteristische Dreiecksform zei- gen. Insgesamt führte die Orientierung an der Fußumbauung des Fernsehturms aber zu einer Dynamisierung der Formen und schließlich zur Aufgabe der zunächst geplanten rechtwinkligen Beetstrukturen.

33 Zwar handelt es sich um keine genaue geometrische Übernahme, da die Marienkirche ganz offensichtlich nicht in dem sonst als Grundlage der Bebauung dienenden 60-Grad-Winkel zur Hauptachse steht, sondern leicht dazu gedreht. Dennoch betonen Herzog und Heider im Gespräch den Zusammenhang zwischen der Schrägstellung der Marienkirche und den verwendeten Diagonalen. Es handelt sich also eher um eine motivische Übernahme als eine streng geometri- sche. Herzog, W./Heider, R., Freiraumgestaltung, 2014. 34 Der Plan hält übrigens weiter am Bau eines zentralen Gebäudes auf dem heutigen Marx-Engels-Forum fest, das sich jetzt in seiner Form stark an der Fußumbauung des Fernsehturms orientiert. Darüber hinaus erkennt man im Be- reich der Fischerinsel auch das schon geplante „Ahornblatt“, das 1971-1973 erbaut wurde.

16 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 12: Ausschnitt aus dem Bebauungsplan für das Stadtzentrum , 1969.

17 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 13: Gestaltung der Freiflächen des Zentrumsbandes, Ausschnitt. Zeichnung Hubert Matthes und Erhard Stefke, 1973.

18 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 14: Kaskadenbrunnen vor dem Fernsehturm mit flexibler Bestuhlung, vor 1980.

Der nachfolgende Plan aus dem Jahr 1973 (Abb. 13) zeigt den Platz in seiner fertigen Gestaltung.35 Prägendes Element bleiben die beiden, die zentrale Achse flankierenden und sich an die Umbauung des Fernsehturms anschließenden Kaskadenbrunnen. (Abb. 14) Die jeweils vier abgestuften Bassins sind der zum Turm führen- den Freitreppe vorgelagert und verlängern sie optisch. Durch zwei-, vier- und sechsrillige Wasserläufe wird das Wasser von Bassin zu Bassin nach unten geleitet. Die in den Becken eingebauten 552 Düsen liefern ein 15-minütiges Wasserspiel, dem noch ein Lichtspiel mit dem Wechsel von blauem zu rotem Licht hinzugeschal- tet werden konnte.36

So, wie die Bassins der Kaskaden die Trapezform der Fußumbauung wieder aufnehmen und weiterführen, werden auch in der weiteren Platzgestaltung die prägenden geometrischen Elemente immer wieder auf- genommen, die Freiflächengestaltung „führt [die] hexagonale Geometrie der Turmumbauung fort“.37 Die zentralen, die Achse flankierenden Rosenbeete orientieren sich daran und leiten so zu einer weiteren, der Grundrißfigur des Fernsehturms als Gegenüber dienenden Kreisform über. Diese wird durch die Pflasterung besonders hervorgehoben und betont so den zentral stehenden (Abb. 15). Insgesamt spielte die farbige Gestaltung der Bodenbeläge eine große gestalterische Rolle für die Strukturierung des Raumes.

35 Lediglich die Idee, die Spandauer Straße zu untertunneln um eine Fußgängerverbindung zwischen dem Park am Rathaus und dem zwischenzeitlich „Park an der Spree“ genannten, heutigen Marx-Engels-Forum zu schaffen, wurde nicht ausgeführt. 36 Vgl. Funeck, G., Wasserkaskade, 1972, S. 85. 37 Gräbner, W., Berlin Hauptstadt der DDR, 1974, S. 43; Gräbner, W., Berlin Hauptstadt der DDR, 1974.

19 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 15: Moderne, repräsentative Freiflächengestaltung zwischen Rathaus und Fernsehturm, im Zentrum der wiederaufgebaute Neptunbrunnen, Mitte der 1970er Jahre.

Ziel war es, auf dem Platz unterschiedliche Teilräume zu schaffen, was nicht nur durch die Bepflanzung -er reicht werden sollte, sondern auch durch unterschiedliche Gestaltungselemente wie Wegeführung und Materialverwendung. Die gewünschten Teilräume führt Rühle in einem Artikel aus dem Jahr 1969 auf: 38

• der Vorplatz zwischen Turm und S-Bahnhof, • zwei Sondergärten nördlich und südlich der Turmumbauung mit Immergrünen, Rosen und Solitärstauden, • der Mittelraum mit Kaskaden, Rosenparterre und dem historischen Neptunbrunnen von Begas im Schnittpunkt der beiden Blickachsen Fernsehturm – Marx-Engels-Platz und – Liebknechtstraße, • der große Grünraum südlich vom Parterre mit lockeren Baumgruppen, Ziergehölzen und zahlreichen Sitzplätzen. Ein Pendant dazu bildet die Grünfläche nördlich vom Mittelraum mit dem Pflasterhof der Marienkirche, • der Rathausvorplatz als kleiner Versammlungsplatz.

38 Rühle, H., Freiflächen, 1969, S. 54.

20 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 16: In der vegetationsgeprägten Zone der Freiflächengestaltung zwischen Fernsehturm und Rathausstraße wurden Kreis- und Dreiecksformen mit bogenförmiger Wegeführung kombiniert. Der Palast der Republik bildet den westlichen Raumabschluss, Mitte der 1970er Jahre.

Die Ausbildung unterschiedlicher Teilräume wird durch die Pflanzenverwendung unterstützt. Im zentralen Raum beschränkt sich die Bepflanzung auf Blumen, hier sind Beete mit Frühblühern im Wechsel mit Rosen zu finden. Nach Außen, zu den Raumkanten hin, wird die Bepflanzung verdichtet, zunächst mit kleinwüchsigen Gehölzen wie Kugelahornen und japanischen Kirschbäumen, und schließlich, in den Randbereichen, auch mit größeren Gehölzen wie Linden.39 Dort, in den Rückzugsräumen der Randgebiete, tritt auch das Motiv des Krei- ses wieder auf, was diese Bereiche mit ihren stärker landschaftlich geprägten Teilen wieder an die Geometrie der Gesamtanlage anknüpfen lässt (Abb. 16).

39 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Denkmaldatenbank Berlin: Fernsehturm.

21 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Die verwendeten zeittypischen Gestaltungselemente sind, entsprechend der Prominenz des Ortes, von ho- her Qualität. Der damalige Stadtgartendirektor Helmut Lichey hebt 1968 den besonderen Anspruch, aber auch die besondere Sorgfalt hervor, mit der hier verfahren wurde. „Das [die sonst geltende Aufforderung zur Sparsamkeit (Anm. d. Verf.)] soll jedoch keine Geltung für die Neuanlagen des Stadtzentrums haben, die insbesondere im Bereich des Alexanderplatzes und um den Fernsehturm zwischen Rathaus und Liebknecht- straße den zentralen Bereich des Berliner innerstädtischen Stadtgrüns darstellen werden. Die zur Zeit hier laufende Projektarbeit wird zu interessanten Fachdiskussionen über zeitgemäße Gartenarchitektur anregen. Vor den Augen der Berliner Öffentlichkeit gilt es hier, eine ausgereifte Idee für ein einmaliges städtebaulich- grünplanerisches Objekt durch eine kollektive Leistung aller Beteiligten zu verwirklichen.“40 Die Anlage sollte also beispielhaft und beispielgebend wirken.

So entstand zwischen Fernsehturm und Spandauer Straße ein Raum, der zwar auf traditionelle Repräsentati- onsmuster zurückverweist, diese jedoch gestalterisch durch die Entwicklung einer zeitgemäßen Formenspra- che transformiert. Dies gilt insbesondere für die geometrische Ausrichtung des Raumes. Die Anlage folgt in ihrer Grundstruktur einer barocken Parkanlage mit Mittelachse, zentralen Wasserspielen und Blumenparter- res und angrenzenden schattigen Rückzugsräumen, den Bosketts. Diese barocken Elemente werden jedoch neu interpretiert und mit neuen Geometrien und neuen Materialien nach modernen gartenkünstlerischen Grundsätzen der Gegenwart anverwandelt. Der zentrale Bezugspunkt des Raumes bleibt der in der Achse liegende Fernsehturm, genauer: die Turmumbauung von Walter Herzog, die in der Komposition die Rolle einnimmt, die das Schloss in der barocken Anlage hatte. Der umlaufende Fußweg auf 5,50 m Höhe wird zum Aussichtsbalkon für die flanierenden Stadtbewohner und Besucher, die von dort aus auf die Anlage zu ihren Füßen, wie einst die feudalen Herrscher von ihren Schlossterrassen auf ihre Gärten, hinabblicken.

Seit den 1990er Jahren kam es im Bereich der Freiflä- che zu verschiedenen Veränderungen. In den Jahren 2005-2007 wurde die Brunnenanlage instand gesetzt. Dabei wurden die Betonschalen nicht nur neu abge- dichtet, auch die Verkleidung wurde ausgetauscht.41 Ursprünglich waren die Kaskadenbecken mit einem sehr hellen Kunststein verkleidet, der eine raue und matte Oberflächenstruktur hatte (Abb. 17). Als Materi- al für die neue Verkleidung wählte man graue, polierte Granitplatten, die mit ihrem dunklen glatten Schim- mer den für die Gesamtwirkung des Ensembles höchst bedeutenden kompositorischen Zusammenhang zwi- schen den Kaskadenbecken und der Architektur der Fernsehturmumbauung verunklären.

Abb. 17: Kaskadenbrunnen am Fernsehturm mit den ursprünglichen Kunststeinverkleidungen der Beckenränder, vor 1987.

40 Lichey, H., Grundsätze, 1968, S. 25. 41 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Wasserkaskaden.

22 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Der Platz selbst wurde in den frühen Nachwendejahren zu großen Teilen mit Verbundstein in verschiedenen Farben gepflastert. Dieser Belag ist aber an vielen Stellen schon wieder schadhaft, was zu örtlichen, kleineren Ausbesserungen führte. Dieses Flickwerk wirkt sich negativ auf die Gesamterscheinung aus, insbesondere wenn man bedenkt, dass auch der Bodenbelag ursprünglich ein wichtiges Gestaltungselement war.

Ende des Jahres 2009 wurde schließlich eine Umgestaltung der gesamten Anlage durch das Bezirksamt Berlin- Mitte beschlossen, das Landschaftsarchitekturbüro Levin / Monsigny wurde mit der Planung und Neugestal- tung beauftragt. Levin und Monsigny wählten ein minimal-invasives Vorgehen. Die Grundstruktur der Anlage sollte beibehalten werden, dabei aber insgesamt wieder offener und freundlicher gestaltet und zudem durch die Einführung neuer Elemente zeitgemäßen Nutzungen zugeführt werden.42 Grundlegende Elemente der ur- sprünglichen Gestaltung, namentlich die großräumigen Blickbahnen, von denen einige zwischenzeitlich voll- kommen überwuchert waren, wurden beibehalten bzw. wieder hergestellt. Die schlecht gepflegte Vegetation in den seitlich flankierenden Beeten wurde durch erhöhte Rasenflächen ersetzt. Die maroden Einfassungen der Beete wurden in Form verbreiterter Sitzmauern mit Holzauflagen erneuert, wodurch hier neue Ruheorte entstanden. Eine neue helle Bodengestaltung soll zu einer freundlicheren Atmosphäre des Ortes beitragen. Die Einfügung von öffentlichen sanitären Anlagen, Fahrradständern und Spielflächen passt sich an heutige Nutzungsanforderungen an, ohne die ursprüngliche Anlage zu beeinträchtigen. Insgesamt zeugen die Arbei- ten von einem sehr bewussten und zugleich künstlerisch kreativen Umgang mit der vorhandenen Gestaltung. Leider beschränkt sie sich jedoch auf die direkte Umgebung des Fernsehturms. Die im Westen anschließende Freifläche weist hingegen nach wie vor den weiter oben beschriebenen uneinheitlichen und schlechten Pfle- gezustand auf. Auch hier wäre eine erhaltende Erneuerung, möglichst in Sinne des Konzeptes von Levin und Monsigny, sinnvoll und wünschenswert.

Die heutige Wirkung

Die Turmumbauung ist, wie der Turm, zugleich Aussichts- und Ansichtsgebäude. Aber es wird kein stets gleich- bleibender Anblick geboten oder ein Überblick, der die Ordnung des Ganzen erkennbar machen könnte, son- dern eine Sequenz von Anblicken, die sich auftun, wenn man die Anlage umschreitet. Die Galerien und die Pavillons mit ihren Fronten, Schrägen, Spitzen und Kragdächern lenken den Weg und den Blick immer wieder in andere Richtungen und lassen das weitere städtische Umfeld in immer neuen Raumbildern erscheinen. (Abb. 18, 19 und 20) Die Rathauspassagen und die Wohnscheibe an der Karl-Liebknecht-Straße, die Marien- kirche, das Rote Rathaus und der große Freiraum erscheinen, gerahmt von den ausgreifenden Kragdächern, als Bilder in Bildern. Und sobald man sich wieder in Bewegung setzt, verschiebt sich die Perspektive, und es ergeben sich neue überraschende Zusammensichten. Von den erhöhten Galerien hat man zusätzlich den Überblick über das bunte Treiben der Passanten und Besucher. Der Königsblick, der von der Galerie zwischen den Pavillons auf den großen Raum fallen sollte, der sich vom Turm über die Kaskaden und die Marienkirche bis zur Spree aufspannt und der einmal vom Palast der Republik abgeschlossen wurde, ist durch den Einbau des Studiokastens verstellt. Geradezu albern sieht die Einzäunung der auskragenden Betonfaltwerke aus. Aus Sorge darum, daß leichtsinnige Personen die Schräge hochlaufen und dabei zu Schaden kommen oder das Gebäude beschädigen könnten, sind die schwebenden Spitzen mit stacheligen Sträuchern umpflanzt und mit Zaungittern umgeben, die das technisch und architektonisch eindrucksvolle Motiv unsichtbar machen. Hier sollte unbedingt eine Lösung gefunden werden, die dem hohen ästhetischen Anspruch des Bauwerks angemessener ist.

42 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Rathausforum Aktivitäten.

23 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 18: Der Nordpavillon mit den expressiven Betonfaltwerken. Die blauen Fensterprofile und die roten Dekorscheiben sind bauzeitlicher Bestand. Hochbeete mit Sitzbänken, Pflasterung und Baumpflanzungen von Levin und Monsigny.

Abb. 19: Die Ost-Spitze des Nordpavillons von Süden. Die aufwärts und abwärts geknickten Betonfaltwerke lenken, als skulpturale Elemente im Stadtraum, den Blick auf das Scheibenhochhaus an der Markthalle.

24 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 20: Der Südpavillon als Großfigur im Stadtraum lenkt den Blick auf die regelmäßig gegliederte plastische Rasterfassade der Rathauspassagen von Heinz Graffunder.

In diesen Tagen (Frühjahr 2015) mehren sich die Stimmen derer, die eine Versetzung des Neptunbrunnens fordern, vom Platz vor dem Roten Rathaus, wo er im Rahmen der hier diskutierten Freiraumgestaltung eine neue, für die Gesamtwirkung der Anlage höchst bedeutende Rolle zugewiesen bekam, auf seinen „alten“ Standort, vor das zukünftige Portal II des zukünftigen Berliner Schlosses. Der Brunnen ist ein konstitutiver Bestandteil der gartenkünstlerischen Gesamtanlage, die unseres Erachtens als ein kostbares Gartendenkmal der DDR Moderne zu bewerten ist. Sollte es nicht möglich sein, die Versetzung des Brunnens zu verhindern, dann muss zuvor ein dem Ort angemessener Ersatz, etwa in Gestalt einer zeitgemäßen, Festlichkeit und Frei- zeitlichkeit vereinenden Brunnenanlage, gefunden werden.

Aus größerem Abstand erscheint die nach Westen vorgeschobene Turmumbauung wie ein großes weiß-blau- es Flügelwesen. Mit ihrer weit ausgreifenden Geste gibt sie dem großen Längsraum zwischen Fernsehturm und Spree zugleich Ziel und Ausgangpunkt. Diese gestische Energie, die der Bau mit den Beton-Schalenbau- ten Ulrich Müthers gemeinsam hat, macht den Gebäudekomplex, der wenig Raum besetzt und viel Raum um- fasst, zu einem unverzichtbaren Element der städtebaulichen und gartenkünstlerischen Gesamtkomposition, die in den frühen 1970er Jahren vollendet wurde. Die Kaskaden am Fuß der großen Freitreppe sind sowohl Teil des architektonischen Konzeptes als auch strukturgebendes Element der gartenkünstlerischen Anlage. Es ist eingewendet worden, dass dieser Zielzustand nur eine Ersatzlösung sei. Sie stünde am Ende einer 20 Jah- re währenden Geschichte von gescheiterten Planungen für das eigentlich gewollte Regierungsgebäude, das die sozialistische Stadtkrone hätte werden sollen. Bruno Flierl hat über diesen langwierigen Planungsprozess mehrfach ausführlich berichtet und hat plausibel gemacht, dass all diese Gebäude schon während des Pla- nungsprozesses politisch oder architektonisch obsolet wurden und dass am Ende der Fernsehturm die Rolle der Stadtkrone übernahm.43 Aus dem anfangs gewollten Achtungsraum, der östlich der Spree für die Insze- nierung der geplanten Regierungsgebäude benötigt worden wäre, ist am Ende der metropolitane Freiraum

43 Flierl, B., Der zentrale Ort, 1998, S. 146, und jüngst Flierl, B., Stadtzentrum, 2014.

25 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

Abb. 21: Die Faltwerke wirken immer noch dramatisch, der schwebende Effekt ist durch Ein- zäunung und Bepflanzung unsichtbar gemacht. Die Fernblickenden schauen nach Westen. geworden, der als Sinnbild der zu Beginn der Honecker-Ära ausgerufenen „Weite und Vielfalt“ im Sozialismus interpretiert werden könnte, und den wir heute vorfinden. Wir sollten ihn weiterentwickeln. Solch einen kostbaren Raum baut man nicht zu. (Abb. 21)

Quellenangabe: Dolff-Bonekämper, Gabi/Herold, Stephanie: Der Berliner Fernsehturm, 2015, online verfügbar unter: http://stadtdebat- te.berlin.de/bibliothek.

26 Gabi Dolff-Bonekämper und Stephanie Herold: Der Berliner Fernsehturm (2015)

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Foto Alfred Englert, Juli 2015 Abb. 11: Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung, Abb. 2: Näther, J./Schweizer, P./Schulz, E., Aufbau, 1964, Werkfotosammlung S. 742 Abb. 12: Schweizer, P., Aufbau, 1969, S. 526 Abb. 3: Müller, P., Symbol mit Aussicht, 2000, S. 117 Abb. 13: Institut für Regionalentwicklung und Struk- Abb. 4a: Herzog, W./Aust, H./Heider, R., Umbauung, turplanung Erkner, Archiv, Vorlass Matthes, Sign. 1969, S. 144 C_14_1c Abb. 4b: Herzog, W./Aust, H./Heider, R., Umbauung, Abb. 14: Wolterstädt, K., Spaziergang, 1980, S. 31 1969, S. 145 Abb. 15: Institut für Regionalentwicklung und Struktur- Abb. 4c und d: Archiv Rolf Heider planung Erkner, Bildarchiv, Sign. D_1_1_17A-1 Abb. 5: Herzog, W./Aust, H./Heider, R., Umbauung, Abb. 16: Institut für Regionalentwicklung und Struktur- 1969, Archiv Rolf Heider planung Erkner, Bildarchiv, Sign. D_1_1_18-1 Abb. 6: Herzog, W./Aust, H./Heider, R., Umbauung, Abb. 17: Funeck, G./Schönholz, W./Steinwasser, F., Park- 1973, S. 358 und Grünanlagen, 1987, S. 20 Abb. 7: Herzog, W./Aust, H./Heider, R., Umbauung, Abb. 18: Foto Gabi Dolff-Bonekämper, Februar 2015 1969, S. 146 Abb. 19: Foto Gabi Dolff-Bonekämper, Februar 2015 Abb. 8: Herzog, W./Aust, H./Heider, R., Umbauung, Abb. 20: Foto Gabi Dolff-Bonekämper, Februar 2015 1973, S. 358 Abb. 21: Foto Gabi Dolff-Bonekämper, Februar 2015 Abb. 9: Herzog, W./Aust, H./Heider, R., Umbauung, 1973, S. 359 Abb. 10: Archiv Wolfgang Kil

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