Manuskript

Beitrag: Scheuers Mautdebakel – "Minister Ahnungslos"

Sendung vom 26. Januar 2021

von Joe Sperling

Anmoderation: Die Pkw-Maut haben Verkehrsminister und seine CSU bekanntermaßen krachend an die Wand gefahren. Aber Scheuer sah den Aufprall offenbar nicht kommen. Dokumente aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages legen nahe: Der Minister wusste wohl weder bei Vertrags- abschluss mit den Betreibern noch bei der Kündigung, wie viel Entschädigung fällig würde, wenn ein Gericht die Pkw-Maut kippt. Diese Ahnungslosigkeit könnte eine halbe Milliarde Euro kosten. Unser Autor Joe Sperling mit neuen Details zu Scheuers Mautdebakel.

Text:

24.07.2019

Minister Scheuer gibt sich gern entspannt, das ist schon lange so - trotz Mautdesaster. Da geht's immerhin um Hunderte Millionen Euro Schaden. Der Vorwurf: Er hat das Geld verspielt. Wusste er, was er tat? Wie ist der Mann eigentlich in den Schlamassel reingeraten?

14.03.2018

März 2018, CSU-Mann Scheuer wird Verkehrsminister.

O-Ton Andreas Scheuer, CSU, Bundesverkehrsminister: Herr Präsident, ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

30.12.2018

Neun Monate später lässt er den Mautvertrag unterschreiben.

18.06.2019

Ein halbes Jahr nach Vertragsabschluss entscheidet der Europäische Gerichtshof: Die sogenannte Ausländermaut ist rechtswidrig.

Gleich am nächsten Tag lässt Scheuer den Vertrag kündigen. Dumm nur: Im Vertrag steht eine Kündigungsklausel namens "Bruttounternehmenswert".

O-Ton , Bündnis 90/Die Grünen, MdB, Obmann im parlamentarischen Untersuchungsausschuss: Der Bruttounternehmenswert ist eine üppige Entschädigungsregelung für den Auftragnehmer. Wir reden hier über einen Betrag, der wahrscheinlich deutlich über 500 Millionen Euro sein wird. Der Unternehmer, der den Auftrag hier erbringen sollte, bekommt hier quasi für zwölf Jahre alles entschädigt, obwohl er gar nix leisten muss.

Wegen dieser Kündigungsklausel steht Scheuer jetzt vor dem Untersuchungsausschuss, dabei hat er das ganze Mautverfahren nur geerbt.

2014

- von CSU-Mann und Amtsvorgänger Alexander Dobrindt. 2014 hat der das Gesetz zur Ausländermaut ausgedacht, es durchgesetzt, die EU-Kommission beschwichtigt, das Vergabeverfahren gestartet, und dann ist er verschwunden - in ein anderes Amt.

30.12.2018

Also: Scheuer soll das CSU-Projekt durchziehen, lässt die Verträge unterschreiben, am letzten Sonntag des Jahres 2018. Die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof läuft da längst. Weiß er eigentlich damals, wie hoch er pokert?

Das fragt ihn Markus Lanz wenige Tage später am

10.Januar 2019

O-Ton Markus Lanz, Quelle: ZDF, Markus Lanz: Wie viel müssen Sie zahlen, für den Fall das es schiefgeht, wenn vor dem EuGH die österreichische Klage durchgeht?

O-Ton Andreas Scheuer, CSU, Bundesverkehrsminister: Ich bin sehr entspannt!

O-Ton Markus Lanz, Quelle ZDF, Markus Lanz: Wie viel müssen Sie zahlen?

O-Ton Andreas Scheuer, CSU, Bundesverkehrsminister: Ich bin sehr entspannt!

Entspannt, weil er weiß, wie viel es kostet? Oder: Entspannt, weil er noch nicht weiß, wie viel es kostet? Jedenfalls scheint ihn die Frage über Nacht beschäftigt zu haben, denn am nächsten Morgen - am "11. Januar 2019, 10.40" Uhr - lässt die "Hausleitung", also Minister Scheuer, bei den juristischen Beratern nachfragen:

"Sollte der EuGH die Infrastrukturabgabe in der derzeit geplanten Form kippen, in welcher Höhe muss der Bund Schadensersatz zahlen?"

O-Ton , FDP, MdB, verkehrspolitischer Sprecher: Dass der Minister sich auch in eine Talkrunde setzt und eine ganz simple Frage nicht beantworten kann, sich erst im Nachhinein den ganzen Vertrag erklären lässt, das zeigt, er hat nach der heutigen Erkenntnis weder beim Vertragsabschluss im Dezember 2018 die Entschädigungs- regeln gekannt und verstanden noch am Tag der Kündigung.

Wie teuer wird’s also? Das kann das Verkehrsministerium nicht selbst beantworten und fragt den externen juristischen Berater, Dr. Dieter Neumann.

Die Antwort kommt am "14.01.2019" an den "Herrn MIN"-ister, also Scheuer. Darin heißt es, vereinfacht gesagt: "Entschädigung", das wird der "Bruttounternehmenswert". Wie viel Geld das allerdings ist, wird dem Minister nicht erklärt.

18.06.2019

Und dann das langerwartete EuGH-Urteil am 18.06.2019: Die Ausländermaut ist rechtswidrig, also endgültig vom Tisch!

Was also tun, fragt der Minister seinen externen Berater Neumann. Der seinerseits fragt wieder bei Spezialisten nach, wie teuer Bruttounternehmenswert denn werden kann. Das können die so schnell aber nur vage schätzen. Neumann rät trotzdem zur Kündigung. Noch spätnachts wird das Kündigungsschreiben aufgesetzt, und am nächsten Morgen um "8.41" Uhr geht es per "Einschreiben" zur Mautfirma, unterzeichnet von "Dr. Dieter Neumann".

Doch erst Stunden später bekommt der Minister die solide Kostenschätzung: Im Untersuchungsausschuss ist die Rede von einer halben Milliarde Euro.

O-Ton Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, MdB, Obmann im parlamentarischen Untersuchungsausschuss: Also, eine belastbare Kostenschätzung gab es erst am 19. nachmittags. Die Kündigung war aber schon am 19.

vormittags dann rausgegangen und den Betreibern zugestellt worden. Das heißt, man hat gekündigt ohne belastbare Kostenschätzung.

Einer war von Anfang an dabei: Berater Neumann. Schon am "21. August 2014": Damals für die Kanzlei OLSWANG, die zur Ausländermaut feststellt:

"Das Konzept … ist mit dem Unionsrecht vereinbar."

Wie man heute weiß, eine Fehleinschätzung. Verantwortlich, laut einer internen Mail: Dr. Neumann. Der berät bis heute das Verkehrsministerium, jetzt für die Kanzlei GreenbergTraurig. Neumanns Team: 15 bis 20 Anwälte. Er ist Chef der Beratergruppe. Die hat die Ausschreibungsunterlagen für die Ausländermaut erstellt, hat das Vergabeverfahren organisiert, hat die Verträge entworfen, Neumann hat zur Kündigung geraten, und alle haben gut verdient. Seine Kanzlei allein - nach Auskunft der Regierung - bisher mindestens 14,3 Millionen Euro.

Neumann will mit uns weder reden noch unsere Fragen schriftlich beantworten. Das dürfe er nicht als Berater des Ministeriums.

Das hat den GreenbergTraurig-Vertrag gerade verlängert - weil die Kanzlei und Neumann sich so gut auskennen. Und es gibt großen Beratungsbedarf.

Derzeit läuft ein Schiedsverfahren: Hinter verschlossenen Türen streiten Bund und Betreiberfirmen um die Höhe der Entschädigung beim Mautdesaster.

O-Ton Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, MdB, Obmann im parlamentarischen Untersuchungsausschuss: Es ist ein absolutes Unding, dass jetzt ausgerechnet dieser Berater weiterhin im Schiedsverfahren tätig ist. Man könnte fast schon sagen, er hat, dieser Berater hat die Probleme geschaffen, an denen jetzt seine Kanzlei Geld verdient. Also, ehrlich gesagt, solche Berater, die will man nicht haben, die sind das Gegenteil von einer Hilfe, die sind ein Teil des Problems.

Dabei hätte es für Minister Scheuer vielleicht einen einfachen Ausweg gegeben.

Marco Nuñez, Anwalt der Kanzlei Chatham Partners, hat ihn aufgezeigt. Im Untersuchungsausschuss schlug er vor, die geforderte Entschädigungszahlung durch die EU-Kommission prüfen zu lassen. Hunderte Millionen Euro ohne Gegenleistung, das sei marktunüblich und wettbewerbsverzerrend, sagt Nunez - also, eine staatliche Beihilfe und deshalb genehmigungspflichtig.

O-Ton Marco Nuñez, Kanzlei Chatham Partners, Hamburg:

Wenn die Kommission nach einer beihilferechtlichen Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass hier eine staatliche Beihilfe vorliegt, die von der Kommission nicht genehmigt wird, dann darf die Bundesregierung diese Beihilfe nicht auszahlen, egal wie das Schiedsgericht entscheidet.

Gute Idee also - so eine Prüfung! Das könnte Hunderte Millionen Euro sparen. Wir fragen nach bei der EU-Kommission. Die wurde nicht um Prüfung gebeten. Warum nicht, fragen wir das Verkehrsministerium?

Das antwortet:

"Eine beihilferechtliche Klärung mit der EU-Kommission" sei "nicht angezeigt".

Außerdem:

"Die Betreiber haben keinen Anspruch auf Entschädigung ..."

Im Übrigen sei die Vergütung im Fall einer Kündigung "marktüblich geregelt".

O-Ton Oliver Luksic, FDP, verkehrspolitischer Sprecher: Es würde dem Bund, die Regierung nichts kosten, die Vertragsgestaltung und den Vertrag bei der EU zu notifizieren und beihilferechtlich prüfen zu lassen. Und das ist für mich völlig unklar, warum Herr Scheuer diese Option völlig ausschlägt.

Scheuer erklärt, er habe alle Risiken im Griff:

O-Ton Andreas Scheuer, CSU, Bundesverkehrsminister, am 23.1.2020, Quelle: ZDF, Markus Lanz: Nach meiner Bewertung und der Bewertung derer, die mich auch juristisch beraten, ist diese Entwicklung dieser Pkw- Maut, also Infrastrukturabgabe, nach Recht und Gesetz gelaufen. Und wir haben auch in allen Punkten recht, so.

Fest steht, seit 2014 ist die CSU-Idee Ausländermaut ein einziges Desaster. Das könnte den Steuerzahler teuer zu stehen kommen, möglicherweise eine halbe Milliarde Euro.

Kannte Andreas Scheuer bei Vertragsabschluss und Kündigung die Konsequenzen seines Handelns? Darauf antwortet das Ministerium nur so viel: Die Entschädigungsregelungen waren dem Verkehrsministerium beim Abschluss des Mautvertrags bekannt. Und so behauptet der Minister weiter:

O-Ton Andreas Scheuer, CSU, Bundesverkehrsminister, am 19.12.2019: Wir haben immer festgestellt, dass wir die Zahl Null sehen,

bei den Ansprüchen! Dankeschön.

Wenn dieser Minister das sagt, kann eigentlich nichts schiefgehen!

Abmoderation: Übermorgen steht der Minister vor dem Untersuchungs- ausschuss. Der Maut-Totalschaden ist da, aber Scheuer sieht ihn bis heute nicht.

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