SIR-Mitteilungen und Berichte Band 36/2016

Salzburg, November 2016

SIR – Salzburger Institut für Raumordnung & Wohnen SIR-Mitteilungen und Berichte Band 36/2016

IMPRESSUM © Eigentümer u. Verleger: Salzburger Institut für Raumordnung & Wohnen (SIR) Herausgeber: Hofrat Arch. DI Hanns Peter Köck Schriftleitung: Mag. Alois Fröschl Layout: Gabriele Kriks Englische Übersetzungen: BA Romana Winkler Adresse: SIR – Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen, Schillerstr. 25, Stiege Nord, 5020 Telefon: +43-(0)662-62 34 55, Telefax +43-(0)662-62 99 15 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.sir.at Einzelheft: € 15,– zuzügl. 10 % USt. Druckerei: DDM Druck & digitale Medien, bei Salzburg

In den „Mitteilungen und Berichten“ des Salzburger Instituts für Raumordnung und Wohnen werden fachliche und wissenschaftliche Bei­träge zu den Themenbereichen Raumordnung und -forschung, Wohnforschung, Gemeindeentwicklung sowie Energie veröffentlicht. Manuskripte für Publikationsbeiträge sind an die Redaktion zu richten; Autorenhonorare werden keine geleistet. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion wiedergeben. In dieser Publikation wird von der Doppelverwendung weiblicher und männlicher Endungen aus rein sprachlichen Gründen Abstand ­genommen, um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen. In jedem Fall sind selbstverständlich immer beide Formen gemeint. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Inhalt

BAULANDMOBILISIERUNG UND FLÄCHENMANAGEMENT

Mehr quantitativer Bodenschutz! Gerlind Weber Aber wie? 7 Flächen- und kostenintensive Siedlungsentwicklung Erich Dallhammer Folgen und Lösungsansätze 19 Wohnbau-Herausforderung Nr. 1 Karl Wurm Mangelnde Bauland­verfügbarkeit und 29 hohe Grundstückspreise Flächenmanagement als Instrument Claus Hensold zur Baulandmobilisierung­ 35 Innenentwicklung und Flächensparen in Bayern Planungsgrundlagen für ein Wolfgang Spitzer grenzübergreifendes Flächenmanagement 43 Thomas Prinz im Raum Salzburg Möglichkeiten der Baulandmobilisierung Helma Hamader und deren Anwendung 53 in Niederösterreich Möglichkeiten der Baulandmobilisierung Liliane Pistotnig und deren Anwendung 63 in der Steiermark Möglichkeiten der Baulandmobilisierung Hermann Öggl und deren Anwendung 77 in Tirol Baulandmobilisierung und Flächenmanagement Christoph Zindel im Kanton Graubünden 91

Kurzbericht aus Wissenschaft und Forschung mit Salzburgbezug

Martin Heintel Regionale Benachteiligung und Markus Speringer 99 Daseinsgrundvorsorge am Beispiel des Oberpinzgaus: Judith Schnelzer Ein Widerspruch? Ramon Bauer

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016

BAULANDMOBILISIERUNG UND FLÄCHENMANAGEMENT

Regelungsmöglichkeiten und Anwendungsbereitschaft

Baulandmobilisierung und Flächenmanagement 7

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 SIR-Mitteilungen Mehr quantitativer Bodenschutz! Aber wie? More quantitative soil protection! But how?

Zusammenfassung o. Univ.-Prof. DI Dr. Gerlind Weber Viele Korrekturversuche am Raumordnungsrecht erzielen bei ihrer Anwendung Institut für Raum­­planung und ländliche Neuordnung oft wenig Effekte, was die weit fortgeschrittene Zersiedelung und Zerschnei- Universität für Bodenkultur Wien dung der offenen Kulturlandschaft in ganz Österreich betrifft. Auch aus dem Professorin im Ruhestand vom Salzburger Raumordnungsgesetzgeber im Zusammenhang mit dem Sied- Müllnergasse 13 lungs- und Straßenbau angeordneten sparsamen Flächenverbrauch ist sichtlich A-1090 Wien wenig geworden: Österreich hat europaweit den höchsten Pro-Kopf-Verlust an [email protected] www.gerlindweber.at Boden durch Versiegelung, zu dem auch das Bundesland Salzburg das Seine beiträgt.

„Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“, witzelt der Volksmund. Das kann auch im Hinblick auf die Bodenpolitik aus dem Erklärungsmodell der im Bei- trag vorgestellten Baulandtreppe mit ihren vielen Stolpersteinen und ihrer aus- schließlichen Reparaturmöglichkeit durch eine Gesamtstrategie herausgelesen werden. In aufsteigender Richtung erklären die verschiedenen Stadien der Baulandtreppe den „Ernst der Lage“ und die hohen Ansprüche einer voraus- schauenden effektiven Bodenpolitik. In absteigender Richtung deutet sie die erforderlichen komplexen Lösungsschritte an. Es sollte nicht länger gezögert werden, ihre Aussagen zur Grundlage für entschlossene, systematisch ange- legte Korrekturen zu machen!

Abstract

Concerning the far advanced urban sprawl and dissection of the open cultural landscape in whole , attempts to correct the regional planning legisla- tion often achieve little effect. Also, the economical usage of land in connection with housing development and road construction instructed by the legislator for regional planning of Salzburg was not implemented sufficiently: Europe- wide, Austria has the highest per capita loss of land caused by soil sealing, to which the state of Salzburg also contributes its share.

“The situation is serious but not hopeless”, popular wisdom says tongue-in- cheek. With regard to the land policy, this can also be deduced from the explan- atory model of the so called “building-land stairway” with its numerous stum- bling blocks and exclusive possibility of repair by an overall strategy, which is presented in this article. In ascending order, the different stages of this stairway explain the “seriousness of the situation” and the high demands of an anticipa- tory and effective land policy. In descending order, it indicates the necessary complex steps towards a solution. One should not hesitate any longer to use its information as a basis for the implementation of determined, systematically generated corrections. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 8 WEBER

1. Die Ausgangslage 2.8 Der geltende Erzählstrang des SROG

„Wir schreiben auf einer Tafel, die bereits vollge- Im Mittelpunkt jedes Landesraumordnungsge- kritzelt ist!“ Mit diesem Vergleich hat einst Helmut setzes (ROG) – so natürlich auch des Salzburger Feuerstein die Schwierigkeiten verbildlicht, auf die Raumordnungsgesetzes (SROG) – steht das Bemü- die Korrekturversuche am Raumordnungsrecht hen, Regeln für die Umwandlung von Freiland zu stoßen und in ihrer Anwendung meist wenig Ef- Bauland vorzugeben. Dieser „Erzählstrang“ ist der fekte erzielen. Die „vollgekritzelte Tafel“ steht „rote Faden“, der quasi der Landesraumordnung in hier für die in ganz Österreich weit fortgeschritte- Österreich durch das VfGH-Erkenntnis 2674/1954 ne Zersiedelung und Zerschneidung der offenen „in die Wiege gelegt“ wurde und der bis heute die Kulturlandschaft. Aus dem auch vom Salzburger immer umfangreicheren einschlägigen Rechtsvor- Raumordnungsgesetzgeber im Zusammenhang schriften prägt. Mit anderen Worten, das Raum- mit dem Siedlungs- und Straßenbau angeordneten ordnungsrecht zielt darauf ab, zu bestimmen, wie sparsamen Flächenverbrauch ist sichtlich nichts die „grüne Wiese“ in ein bebautes Gebiet oder in geworden: Österreich hat europaweit den höch- lokale Verkehrswege umgewandelt werden kann. sten Pro-Kopf-Verlust an Boden durch Versiege- Es folgt der idealtypischen Vorstellung, dass noch lung; zu dem auch das Bundesland Salzburg das unbebaute, als Freiland gewidmete Parzellen allein Seine beiträgt. als zwingende Folge der Umwidmung in Bauland zügig erschlossen und dann unverzüglich zur Gän- Dieses Zustandsbild ist x-fach von Seiten der Ex- ze ihren plangemäßen Widmungszweck zugeführt pertInnen in allen denkmöglichen Variationen würden. Die zügige und geordnete Erschließung beschrieben und durch Zahlen – gerade auch für und die Bebauung würden sich als zwingende Fol- das Land Salzburg – bestens belegt worden (z.B. gen der Nutzungschance „Bauland“ quasi „von al- Dollinger F., 2015, Salzburger Raumordnungsbe- leine“ daraus ergeben. richt 2011-014, 2016). Verunsicherung herrscht daher nicht bei der „Anamnese und Diagnose“ Das war jedoch von Anfang an nicht der Fall. Es räumlicher Fehlentwicklungen, sondern bei den hat sich vielmehr über die Jahrzehnte praktizierter einzuschlagenden „Therapien“ dagegen. Hier ist Raumordnung eine relativ intransparente Ge- es nach Meinung der Autorin heute Aufgabe der mengelage an unterschiedlichen Reifestadien Wissenschaft, sich nicht von vornherein in Details der Bebaubarkeit des gewidmeten Baulandes zu verlieren, sondern die großen Zusammenhän- herausgebildet, die in Summe in der Realität die ge erkennbar zu machen, damit die abzuleitenden Zersiedelung und Zerschneidung und die damit erforderlichen „Medikamentationen“ einsichtig verbundenen hohen Kulturlandverluste verurs- werden. acht. Damit die dringend erforderlichen umfas- senden rechtlichen Korrekturen im SROG wahr- Es geht hier um ganz simple Fragen, die aber nie genommen werden können, ist zunächst diese gestellt werden wie: „raumplanerische Gemengelage“ offen zu legen. Das soll durch nachfolgende Ausführungen hier • Wovon handelt das geltende Raumordnungs- geschehen, um insbesondere für den Gesetzgeber gesetz? erkennbar zu machen, worin überhaupt der Kor- • Warum scheitern die oftmaligen Versuche im rekturbedarf bei der Effektivierung der Zersied- Dienste des quantitativen Bodenschutzes punk- lungsabwehr besteht. tuell nachzubessern? • Warum muss ein Perspektivenwechsel ange- strebt werden? 3. Die Baulandtreppe in aufsteigender • Welche neue Antworten kann ein Perspekti- Richtung venwechsel hervorbringen? Metaphorisch ausgedrückt, handelt jedes Raum- Diese und mehr zentrale Fragen stecken im Zitat ordnungsgesetz in Österreich – so auch das SROG „Wir schreiben auf einer Tafel, die bereits vollge- – von der Frage, wie steigt man die Baulandtreppe kritzelt ist!“ Die nun folgenden Ausführungen hinauf? Denn die Baulandtreppe veranschaulicht möchten erhellen, warum man diesen einpräg- welche Stadien eine Liegenschaft von der „grü- samen Satz im Dienste des Bodenschutzes mehr nen Wiese“ bis zum Aus-der-Nutzung-Fallen von beherzigen sollte. Siedlungsteilen aus dem Blickwinkel der Raum- ordnung durchlaufen kann. Sie macht transparent, SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MEHR QUANTITATIVER BODENSCHUTZ! ABER WIE? 9 in welchem Reifestadi- um welche Fehlerquellen („Stolpersteine“) auftreten. Mittels der Baulandtreppe kann gut verdeutlicht wer- den, dass die Reparatur der unerwünschten Entwick- lungen sich nicht auf Einzel- maßnahmen beschränken darf, sondern nur in einer Gesamtstrategie zu finden sein wird.

Im Einzelnen können in auf- steigender Richtung aus je- Abb. 1: Die Baulandtreppe in aufsteigender Richtung (eigene Darstellung) der Stufe dieses Erklärungs- modells folgende Informati- onen herausgelesen werden: 2. Stufe: Bauerwartungsland 1. Stufe: Freiland Mit Bauerwartungsland werden hier jene Teile des Die unterste Stufe der imaginären Baulandtreppe Freilandes bezeichnet, für die aus fachlichen Grün- bildet die Widmung „Freiland“. Damit sind all je- den die berechtigte oder ungerechtfertigte Hoff- ne Flächen angesprochen, die aufgrund ihrer La- nung auf Umwidmung in Bauland innerhalb ab- ge und/oder ihrer agrarischen bzw. ökologischen sehbarer Zeit (etwa binnen 10 Jahren) besteht. Das Bedeutung auch auf lange Sicht nicht der Bebau- sind z.B. noch unbebaute „Zwickel“ zwischen ung zugeführt werden sollen. Mit der Widmung zwei bereits bebauten Gebieten oder noch nicht Freiland nimmt die Raumordnung vor allem eine als Bauland gewidmete Flächen im Anschluss an im öffentlichen Interesse gelegene Schutzfunktion bereits gewidmetes Bauland. Das Bauerwartungs- gegenüber der Landwirtschaft, dem Landschafts- land ist wesensgemäß die eigentliche „Kampfzo- und Naturschutz ein. ne“ zwischen Baulandausweisung und Freilander- haltung. Stolpersteine Stolpersteine • Die Widmung „Freiland“ wird aber vom Ge- setzgeber als bloße „Rest-Flächen-Kategorie“ • Da im Falle des Bauerwartungslandes oft die definiert, wenn er bestimmt: „Alle nicht als Grundeigentümer mit großer Vehemenz und Bauland oder Verkehrsflächen festgelegten Beharrlichkeit auf die Umwidmung in Bau- Grundflächen gehören zum Freiland“ (vgl. § 33 land drängen, wird nicht selten diesem Wunsch Abs 1 SROG). Heißt das doch, zunächst können seitens der EntscheidungsträgerInnen nachge- alle konsumtiven Nutzungsansprüche befrie- geben, obwohl im Land Salzburg Bauland­ digt werden, nur was übrig bleibt, steht weiter reserven für die nächsten hundert Jahre existie- der Landwirtschaft zur Verfügung. ren (Dollinger 2015).

• Der Gesetzgeber ordnet nicht explizit an, dass • Das Bauerwartungsland liegt mittlerweile oft die Bodengüte und die Agrarstruktur in die in raumplanerischen Ungunstlagen und trägt Widmungsentscheidung zwingend miteinflie- meist den Keim der Zersiedelung in sich. ßen müssen. • Derartige vermeintlich zur Umwidmung an- • Das Problem des gewidmeten Freilandes ist, stehende landwirtschaftlich genutzten Flächen dass viele LiegenschaftseigentümerInnen in ihr sind immer mehr Ziel von Spekulations- bzw. bloß eine „ruhende Baulandreserve“ sehen, für Veranlagungskäufen von Nichtlandwirten die die Umwidmung oder Ausnahmegenehmi- („Landraub“). gung kein absolutes „No-go“ sind. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 10 WEBER

3. Stufe: Stolpersteine10 Gewidmetes, noch unerschlossenes Bauland • Heute sind die bereits erschlossenen Bauland- Gewidmetes, aber noch unerschlossenes Bauland, reserven so groß, dass selbst diese nicht „auf ist deshalb bei den GrundeigentümerInnen so be- einen Schlag hin“, sondern nur schrittweise gehrt, weil sich allein aufgrund der Änderung der mobilisiert werden sollten. Es gilt vielmehr Flächenwidmung der Verkehrswert der Liegen- einen Teil auch dieses Widmungsüberhangs schaft um ein Vielfaches gegenüber seinem Wert einzufrieren (Stop!) und den erforderlichen als ausgewiesenes Freiland erhöht und sich dieses Rest rasch zu mobilisieren (Go!). somit gut z.B. als Sicherung von Hypothekarkre- diten oder als Abfindungsportion für weichende • Die Vertragsraumordnung ist als ein Modul Erben eignet. im Aufbau einer „Stop-and-Go-Strategie“ zu begreifen und nicht als Möglichkeit damit zu- Stolpersteine sätzlich verfügbares Bauland zu widmen!

• In der Realität ist der rechnerisch große Bau- • Eine rasche Überwälzung der Erschließungs- landüberhang teilweise aber noch nicht zur kosten, losgelöst vom Bauanlassfall, ist (auch Baureife geführt, weil die öffentliche Hand – oft nachträglich) sicherzustellen. über Jahrzehnte – ihrer Erschließungspflicht, die aus der Baulandwidmung erwächst, nicht • Der „Erzählstrang“ des SROG endet hier! nachgekommen ist. 5. Stufe: Bebautes Bauland • Es wird – da der Planungsmehrwert schlagend wird – tendenziell mit dieser Art von Flächen Das Erscheinungsbild, das die bebauten Flächen passiv spekuliert. Das heißt, sie dienen der Ver- in Summe an den Stadträndern und in den Land- anlagung und sind nicht verfügbar. gemeinden abgeben, weicht weit von den gesetz- lichen Raumordnungszielen ab: klare Siedlungs- • Vielfach wird dieses „unreife“ Bauland auch kanten sind nicht auszumachen, vielmehr chao- deshalb nicht auf dem Baulandmarkt angebo- tisch anmutende Siedlungsmuster allen Orts. Man ten, da es sich oft um für die Landwirtschaft kann das Resultat jahrzehntelanger praktizierter unverzichtbare Wirtschaftsflächen handelt. Sie Raumplanung etwa mit folgenden Stichworten be- sind „Widmungsleichen“. legen: Boden verschleudert! Landschaft verschan- delt! Agrarland zerstückelt! Zukunft verbaut! 4. Stufe: Erschlossenes, unbebautes Bauland Stolpersteine Wie überall in Österreich, so gibt es auch im Bun- desland Salzburg viele Bauflächen, die ganz oder • Es wurden über Jahrzehnte schwer korri- teilweise mit Straße, Wasser, Kanal und Strom gierbare, teure Siedlungsstrukturen mit viel versorgt sind, aber dennoch – oft seit Jahrzehnten Nachverdichtungspotential geschaffen. – nicht bebaut wurden. Diese sog. „Baulandbra- chen“ gelten im volkswirtschaftlichen Sinne als • Der Flächenwidmungsplan als zentrales Pla- „Millionengräber“, da ihre Baureifmachung viel nungsinstrument auf örtlicher Ebene, entfaltet Geld kostete und kostet, aber ihre hohe Erschlie- nur Wirkkraft auf der „grünen Wiese“ und ist ßungsqualität nicht oder nur zum geringen Teil ohnmächtig im bebauten Gebiet. Außerdem genutzt wird. Vielmehr müssen aufgrund des hat er seine Steuerungskraft im Dienste des Bo- „ausgetrockneten Baulandmarktes“ periphere denschutzes durch den enormen Baulandüber- Lagen zusätzlich ver- und entsorgungsmäßig auf- hang längst eingebüßt. geschlossen werden, um die Nachfrage nach Bau- plätzen dennoch befriedigen zu können. Der ho- • Dringend erforderlich sind die notwendige he Baulandüberhang resultiert dementsprechend Verlagerung der Lösungskompetenz und auch aus der Nichtverfügbarkeit von baureifem Ausweitung der Lösungsmöglichkeiten der Bauland Raumordnung auf bereits (teilweise) bebaute Gebiete, denn „Wir schreiben auf einer Tafel, die bereits vollgekritzelt ist!“ SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MEHR QUANTITATIVER BODENSCHUTZ! ABER WIE? 1111

6. Stufe: Brachgefallenes bebautes Bauland … viele „Karrieren“ von als Bauland gewidme- ten Liegenschaften in diesen Zwischenstadi- Als „Kind seiner Zeit“ ist die Raumordnung aus- en „hängenbleiben“ und ihrerseits massive schließlich auf ein Wachstums-Szenario ausgerich- Raumnutzungsprobleme verursachen; tet. Erst in jüngerer Vergangenheit kristallisierte sich aber heraus, dass nicht zuletzt durch die Jahr- … alle Instrumente der örtlichen Raumordnung zehnte forcierte Außenentwicklung, die die Woh- auf die Umwandlung der „grünen Wiese“ in nenden und Wirtschaftsbetreibenden aus dem bebautes Land fixiert sind und dementspre- bestehenden Siedlungsverbänden auf die „grüne chend keine Lösungen für die Entschärfung der Wiese“ gelockt hat, nun immer mehr Baubestand „Stolpersteine“ in den Zwischenstadien anbie- vor allem im historisch gewachsenen Siedlungs- ten können; teilen ungenutzt oder krass unternutzt wird. Es entstanden von Schrumpfung geprägte Teilräume. … der Shift von der raubbauartigen Bodenver- Das geltende Raumordnungsrecht geht bislang mit wendung zu einer künftig haushälterischen keinem Wort auf diesen Niedergang ein und bietet Inanspruchnahme von Flächen für konsumtive wesensgemäß diesbezüglich auch keine Lösungs- Zwecke nur auf Basis einer zu entwickelnden wege an. Es stehen vielmehr neue Probleme zur Gesamtstrategie, die insbesondere diese Zwi- Beantwortung an: schenstadien fokussiert, gelingen kann;

Stolpersteine … der geltende „Erzählstrang“ des SROG auch durch fortlaufende Modifikationen (z.B. durch • Innenentwicklung und Außenentwicklung die Vertragsraumordnung) nicht entschei- sind kommunizierende Gefäße. Es stellt sich dende Verbesserungen für den sparsamen Bo- daher die Frage, wie die Nachfrage nach Bau- denverbrauch bringen kann, sondern nur die substanz von der „grünen Wiese“ auf den Ergänzung durch einen grundsätzlich neuen brachgefallenen Baubestand in raumplaneri­ Zugang, der den Satz beherzigt „Wir schreiben schen Gunstlagen gelenkt werden kann? auf einer Tafel, die bereits vollgekritzelt ist“

• Welche Nachnutzungsmöglichkeiten gibt … jede Treppe auch in absteigender Richtung es, wenn sich keine kommerziellen Verwen- gegangen werden kann und eine „Umkehr“ dungen z.B. für Wohnungen, Geschäftslokale, hier den erforderlichen Perspektivenwechsel Werkstätten mehr finden? symbolisiert, aus dem ein neuer Erzählstrang und die zu setzenden Teilschritte aus dem Hi- • Welche Handlungsmöglichkeiten existieren, nuntersteigen erwachsen können. wenn sich überhaupt keine Nachnutzung mehr findet? 5. Die Baulandtreppe in absteigender Richtung­ 4. Zwischenresümee Zusammenfassend kann also das Erklärungsmo- Die vielzitierte „vollgekritzelte Tafel“ unterschei- dell der Baulandtreppe in aufsteigender Richtung det sich von den existierenden raumprägenden, gelesen klarlegen, dass… bodenverschlingenden Siedlungsformationen we- sensgemäß dadurch, dass man erstere löschen, … das geltende Raumordnungsrecht dem Wachs- zweitere aber in absehbarer Zeit nicht auf entschei- tumsstreben verpflichtet ist, was sich in der Be- dende Weise wieder aus der Welt schaffen kann. reitstellung des Rechtsrahmens ausschließlich Mit dem Straßen- und Siedlungsbau werden für den Zuwachs an Bauland- und Verkehrsflä- eben persistente Strukturen geschaffen, die viele chenwidmungen ausdrückt; Generationen notgedrungen als Ausgangspunkt weitergehender Überlegungen binden. Hingegen … über „Freiland“ und „bebautes Bauland“ hi- hat die Raumordnung – wie hier gezeigt wurde – naus es weitere Zwischenstadien der Baureife in dem diskutierten Zusammenhang den Vorteil, von Liegenschaften gibt; dass viele ihrer Anordnungen erst gar nicht reali- siert wurden, weil entweder nach der Baulandwid- mung überhaupt keine Umsetzungsschritte gesetzt Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 12 WEBER

wurden bzw. diese auf halbem Wege steckenge- Mit12 der Ergänzung des Raumordnungsgesetzes blieben sind. Daraus ergibt sich nun ein gewisser um diesen „Erzählstrang“ wird ein grundsätzlicher Spielraum für korrigierende Interventionen. Auf Paradigmenwechsel von der Baulandmehrung welche Weise diese Teilschritte vom Gesetzgeber zur Baulandreduktion aufgebaut, der nur greifen angeordnet werden sollten, das kann ebenfalls aus kann, wenn er einerseits informell durch Informa- tions- und Bildungsarbeit jen- seits der Anordnungen des Gesetzgebers und anderer- seits durch Umstellung des einschlägigen Förderwesens gezielt unterstützt wird.

Um die volle Bandbreite der diesbezüglichen Handlungs- notwendigkeiten anzudeu- ten, wird hier im Folgenden nicht zwischen Ge- und Ver- boten, finanziellen Anreizen oder Sanktionen sowie brei- ter Bewusstseinsbildung un- terschieden. Die folgenden Anregungen erheben keinen Anspruch auf Vollständig- keit.

1. Priorität: Setzung von Maßnahmen zur Nachnut- zung brachgefallener Ge- bäude und Anlagen Abb. 2: Die Baulandtreppe in absteigender Richtung Oberste Priorität für jede Gemeinde sollte die rasche der Stufenfolge der Baulandtreppe herausgelesen Rückführung bestehender Bausubstanz in den werden, wenn man dieser imaginär nicht in auf- Immobilienzyklus sein, um Verfallserscheinun­ steigender, sondern in absteigender Richtung folgt: gen im Stadt-, Orts- oder Landschaftsbild mög- Die Baulandtreppe in absteigender Richtung lichst hintanzuhalten, denn diese signalisieren „No zeigt also, welche Maßnahmen in welcher Rei- future!“. Es sollte im öffentlichen Bewusstsein Klar- henfolge gesetzt werden sollten, um eine mög- heit darüber hergestellt werden, dass Niedergang lichst sparsame Bodenverwendung für Bauzwecke einzelner Altobjekte und/oder ein Überangebot an zu gewährleisten und wie gleichzeitig nachträglich Wohn- und Arbeitsraum den Wert bestehender mehr Ordnung in die bestehenden, verschwende- Objekte (einschließlich der von Neubauten) absa- rischen, oft chaotischen Siedlungsformationen ge- cken lässt und so mitunter ganze Lebensleistungen bracht werden kann. Um dies zu ermöglichen, hat durch ein Überangebot an Immobilien vermögens- vorauseilend der Raumordnungsgesetzgeber den mäßig vernichtet werden. Um dies vorausschau- Arbeitsauftrag an die Vollziehung grundsätzlich end zu vermeiden, sind beispielsweise folgende zu modifizieren. Dieser kann in neuer Fassung et- Maßnahmen zu setzen: wa wie folgt lauten: „Das Bauland ist innerhalb von drei Jahren auf den absehbaren Bedarf von • Leerstandskataster: jede Gemeinde hat einen zehn Jahren zu reduzieren. Die Gemeinde hat da- elektronischen Leerstandskataster in tabella- zu raumordnungsfachlich begründete Unterlagen rischer und geographischer Form zu führen, anzufertigen und nachvollziehbar darzustellen, in dem der aktuelle und potenzielle Leers- mit welchen Maßnahmen sie die Baulandredukti- tand und krass untergenutzte Objekte parzel- on erreichen kann. Dabei hat das Land die Gemein- lenscharf evident zu halten sind. Potenzieller de im Wege der Amtshilfe in angemessener Weise Leerstand wird angenommen, wenn ein Objekt zu unterstützen.“ SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MEHR QUANTITATIVER BODENSCHUTZ! ABER WIE? 1313

Abb. 3: Leerstandskataster (Quelle: IRUB)

2. Priorität: Schließung von Baulücken und innerhalb von 10 Jahren mit hoher Wahrschein- Nutzung von Nachverdichtungspotenzialen im lichkeit aus der Nutzung fallen wird. bereits bebauten Gebiet:

• Leerstandsmanagement: Betrauung fachkun- Der Schließung von Baulücken kommt deshalb diger Personen mit der pro-aktiven Vermitt- auch eine hohe Priorität zu, weil davon auszuge- lung von brachgefallenen Objekten auf – je hen ist, dass diese Flächen bereits voll erschlos- nach Gemeindegröße – lokaler oder kleinregi- sen sind. Eine Baulücke ist zu definieren als ein onaler Ebene.

• Leerstandslotsen: sind geschulte Ehren- amtliche, die insbesondere Erstkontakte zu den EigentümerInnen von Immobili- enbrachen herstellen (wie in Rheinland- Pfalz).

• Gewährung eines Zentrumszuschlags, der sich seiner Höhe nach an der Einspa- rung der Neuerschließung einer Baupar- zelle orientiert.

Abb. 4: Baulückenkataster (Quelle: Mühlheim/Ruhr) Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 14 WEBER

als Bauland gewidmetes, unbebautes Grundstück Damit14 dieses Ziel in der Vollziehung erreicht wer- unter 2000m², das von mindestens drei Seiten an den kann, sind etwa folgende Teilschritte zu emp- bebaute Grundstücke angrenzt. fehlen:

• Baulücken- und Nachverdichtungskataster: • Datenblatt: Für jedes erschlossene, aber unbe- Jede Gemeinde hat einen solchen in tabella- baute Grundstück, das i.S. des Gesetzes keine rischer und geographischer Form anzulegen Baulücke ist, ist ein Datenblatt samt graphi- und zu führen, in dem „unbebaute, nur ge- schen Erläuterungen anzulegen, aus dem etwa ringfügig bebaute und falsch genutzte Grund- Lage, Größe, Erschließungsgrad und Verlauf stücke“ (Baulückenkataster Mühlheim an der der Erschließung, Bedeutung für die Agrar- Ruhr) zu verzeichnen sind. Die Realisierungs- struktur sowie Verfügbarkeit verzeichnet pflicht beträgt maximal 10 Jahre ab Inkrafttre- sind. Derartige Grundlagen sind sorgfältig zu ten des Flächenwidmungsplans. Lässt der/die erstellen und aktuell zu halten, weil sie die er- EigentümerIn diese Frist ungenutzt verstrei- forderlichen Eingriffe in den „planerischen Be- chen, so wird als Sanktion eine jährlich zu ent- sitzstand“ nachvollziehbar begründen können richtende, eventuell im Zeitverlauf progressiv müssen. steigende Infrastrukturabgabe verhängt. • Baulandfreigabe: Der Gesetzgeber bestimmt, • Infrastrukturabgabe: Die Androhung einer dass die Bebaubarkeit von Grundstücken sich Strafzahlung bei Fristversäumnis ist der An- erst nach Erlassung einer Baulandfreigabe und drohung einer Rückwidmung aufgrund der ab einer Größe von 5 000m² und mehr nach Er- hohen strategischen Bedeutung von Baulücken lassung eines Teilbebauungsplanes möglich ist für die Innenentwicklung zweifellos vorzuzie- (= „Freigabegebiet“). hen. Der Nachteil einer Pönale ist, dass sie auf einem Anbietermarkt wie dem Immobilien- • Trennung von Innen- und Außenbereich: Der markt preistreibend wirkt. In der Regel wird sie Gesetzgeber bestimmt, dass im Räumlichen aber schon als „Rute im Fenster“ die mobilisie- Entwicklungskonzept Grenzlinien die den In- rende Wirkung entfalten. nen- vom Außenbereich parzellenscharf tren- nen, und die prioritären Freigabegebiete prin- • Widmung als Vorbehaltsfläche für den geför- zipiell im Innenbereich zu bestimmen sind. derten Wohnbau: In Zentrumslage werden sich manche Baulücken gerade für diese Widmung • Abfolge der Baulandfreigabe: Der Gesetzge- besonders gut eignen, um beispielsweise neue ber bestimmt, dass die Abfolge der Freigabege- Formen des Zusammenlebens wie z.B. interge- biete im Flächenwidmungsplan entsprechend nerationelles Wohnen, Wohnen mit Service als der zu erwartenden Baulandnachfrage parzel- Alternative zum freistehenden Einfamilienhaus lenscharf auszuweisen und im Erläuterungsbe- etablieren zu können. richt zum Flächenwidmungsplan nachvollzieh- bar zu begründen sind. 3. Priorität: Bebauung von (teilweise) erschlos- senen, unbebauten Bauflächen im Innenbereich • Zeitliche Befristung der Baulandfreigabe: Der Gesetzgeber begrenzt die Erteilung der Bau- Die „Wiesen mit Straßenanbindung und Kanalan- landfreigabe auf eine Geltungsdauer von 10 schluss“ sind insofern eine besondere legistische Jahren nach Überarbeitung des Flächenwid- Herausforderung als in vielen Gemeinden das An- mungsplans. Verstreicht diese Frist ungenutzt, gebot an diesen baureifen Liegenschaften die nach- verfällt die Möglichkeit zur Bebauung der be- zuweisende Nachfrage innerhalb des 10-jährigen treffenden Liegenschaft(en) für 20 Jahre. Planungshorizonts bei weitem übersteigt. Um diese Inbalance in den Griff zu bekommen, ist auch in die- • Bevorzugte Junktimierung mit Baulandver- sem Zusammenhang (unter Einrechnung von Nach- trag: Der Gesetzgeber empfiehlt die Junktimie- nutzungs- und Nachverdichtungspotenzialen) eine rung der Baulandfreigabe mit dem Abschluss konsequente „Stop-and-Go-Strategie“ zu verfolgen, eines Baulandvertrages, in dem beispielsweise die einerseits das überschießende erschlossene Bau- eine nachträgliche Überwälzung der angefal- land einfriert (Stop!) und andererseits die benötigten lenen Erschließungskosten oder der Erwerb Flächen unter Einrechnung der Gebäudebrachen von Teilen des Freigabegebiets durch die Ge- und Baulücken zügig der Bebauung zuführt (Go!). meinde festgelegt werden. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MEHR QUANTITATIVER BODENSCHUTZ! ABER WIE? 1515

die Aufrechterhaltung einer funktions- fähigen Landwirtschaft aufgrund ihrer hohen Boden- und Bewirtschaftungsgü- te sowie dem Zusammenspiel von Berg- und Tallandwirtschaft. Andererseits spricht aus volkswirtschaftlicher Sicht dafür, den zukünftigen Baulandbedarf primär aus den bereits erschlossenen Baulandflächen abzudecken, weil da- mit ein weiteres Ansteigen der Kosten für zusätzliche Erschließung und Pflege von Infrastruktur vermieden werden kann.

Folgt man diesen Überlegungen, so schiebt sich die Frage in den Vorder- grund, wie diese Art des Baulandüber- hangs konfliktvermeidend und kosten- schonend abgebaut bzw. eingefroren werden kann. Denkmöglich sind: Abb. 5: Ausweisung von Freigabegebieten (eigene Darstellung) • Einfrieren des Baulandüberhangs: 4. Priorität: Bebauung von gewidmetem, noch Der Gesetzgeber legt ausdrücklich fest, unerschlossenen Bauland im Innenbereich dass zuerst die erschlossenen Baulandflächen der Bebauung zuzuführen sind. Damit wird Die Tendenz in der Vergangenheit weit über den das noch unerschlossene Bauland de facto ein- absehbaren Bedarf hinaus Bauland zu widmen, es gefroren. aber dann doch nicht der Baureife zuzuführen, hat einerseits im Siedlungsgebiet zu großen grünen • Erschwerung des Zugriffs auf noch uner- „Inseln“ geführt und zum anderen an der Sied- schlossenes Bauland: Der Gesetzgeber be- lungsperipherie zu Bauland, das als solches gar stimmt kumulativ Bedingungen, wann aus- nicht zu erkennen ist, weil es oft auch Jahrzehnte nahmsweise noch unerschlossene bereits als nach der Umwidmung nach wie vor landwirtschaftlich genutzt wird und zwischenzeitlich keine Vorlei- stungen auf ihre Bebaubarkeit ge- tätigt wurden. Das entsprechende Siedlungsmuster gleicht oft dem eines „Emmentalers“:

Hier gilt es, die Mobilisierung von unerschlossenem Bauland durch hohe Anforderungen für die be- troffenen Liegenschaftseigentüme- rInnen bewusst unattraktiv zu ma- chen, sodass auf absehbare Zeit nur mehr in Ausnahmefällen (z.B. zur Realisierung eines Großprojekts) auf diese bereits als Bauland gewid- meten Flächen zugegriffen wird. Dies kommt einerseits dem Boden- schutz und der langfristigen Siche- rung von Agrarland zugute, haben doch diese „grünen Inseln“ oft nach wie vor eine hohe Bedeutung für Abb. 6: Ausweisung von Aufschließungsgebieten (eigene Darstellung) Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 16 WEBER

Bauland gewidmete Flächen der Bebauung zu- 5.16 Keine Priorität: geführt werden dürfen wie Umwidmung von Freiland zu Bauland

· nachzuweisender zusätzlicher Baulandbe- In Anbetracht der Tatsache, dass man im Bundes- darf und land Salzburg aufgrund des enormen Bauland- · keine geeigneten, bereits erschlossenen Bau- überhangs noch einmal halb so viel Bausubstanz flächen verfügbar und und Verkehrsfläche in den gegebenen Mustern · verpflichtende Erstellung eines Bebauungs- versiegeln könnte, ohne auch nur eine einzige Par- plans für das betreffende Gebiet und zelle zusätzlich umwidmen zu müssen, darf auf · vorhergehender Abschluss eines Bauland- absehbare Zeit in der Mehrung weiteren Baulandes vertrages zwischen GrundeigentümerIn keine geläufige Option mehr gesehen werden. Da- und Gemeinde, in der auch (!) eine ange- mit dies tatsächlich auch von Seiten der Gemeinde- messene Kostenbeteiligung ersterer an der verantwortlichen und den GrundeigentümerInnen Erstellung des Bebauungsplans und der so wahrgenommen wird, ist die Umwidmung mit Erschließung fixer Teil des Vertragswerkes erheblichen Gegenleistungen zu verbinden: ist. • Gegenleistungen der Gemeinde: • Ausschluss von Entschädigungsleistungen: Da bei dieser Vorgehensweise keine Wid- · Gemeindeumlage: Um in Hinkunft die mungsänderung durchgeführt wird und auch Widmung Bauland nicht so sorglos wie keine Vorleistungen auf die Bebaubarkeit sei- in der Vergangenheit zu verteilen, ist eine tens des/der Privaten ins Treffen geführt wer- Gemeindeumlage per Landesrecht einzu- den können, fällt prinzipiell keine Entschädi- führen. Die „Widmungssteuer“ berechnet gung an. sich nach der Größe der umzuwidmenden Fläche. Die Einnahmen fließen der Bauland- • Ansuchen um Rückwidmung: Der Gesetzge- sicherungsgesellschaft zu. ber bestimmt, dass der/die Grundeigentümer um eine Rückwidmung von Bauland zu Frei- · Säumigkeitsabgabe: Vorschreibung einer land ihrer unerschlossenen Liegenschaften bei Pönale für jene Gemeinden, die säumig der Gemeinde ansuchen können. Wird diesem sind, die vom Gesetzgeber vorgegebenen Ansuchen stattgegeben, weil keine öffentli- Baulandreduktionsziele umzusetzen, weil chen Interessen dem entgegenstehen, so ist ei- sie nicht oder zu wenig Bauland zurückge- ne angemessene Abstandszahlung (= Plange- widmet oder neues gewidmet haben. währleistungsanspruch) seitens der Gemeinde den Ansuchenden zu leisten. In diesem Fall · Erstellung eines Freiraumkonzepts: Die dürfen die betreffenden Liegenschaften min- Gemeinde hat ein Freiraumkonzept als Teil destens 20 Jahre nicht mehr als Bauland ge- des Räumlichen Entwicklungskonzepts zu widmet werden. erstellen, das die Flächenausstattung für die Landwirtschaft, die Erhaltung und Ent- Dieser nicht zwingend zu setzende Schritt brächte wicklung von Natur und Landschaft, die folgende Vorteile, dass Freiraumansprüche von Kindern, Jugend- lichen sowie der Naherholungssuchenden · die Realnutzung auch durch die entspre- erhebt und entwickelt. chende Widmung abgesichert wäre und ih- Das Freiraumkonzept berücksichtigt die Bo- re Schutzwirkung gegenüber der Landwirt- dengüte entsprechend der Bodenfunktions- schaft entfalten könnte, karten. · „klare Verhältnisse“ geschaffen würden, Auf den Inhalten des Freiraumkonzeptes · der sonst zu erwartende Widerstand gegen baut das zu erstellende Siedlungskonzept eine Rückwidmung von vornherein gebro- auf (und nicht umgekehrt!). chen wäre, · auch nominell der Baulandüberhang abge- · Erschließungsplan: Mit der Umwidmung baut werden würde. von Frei- auf Bauland müssen die Gemein- den dem Ansuchen um aufsichtsbehördliche Genehmigung einen Erschließungsplan dem Land vorlegen, in dem die technische SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MEHR QUANTITATIVER BODENSCHUTZ! ABER WIE? 1717

Machbarkeit und gesicherte Finanzierbar- … sie die Prioritätenreihung vorgibt, nach denen keit sowie ein Zeitplan für die zu setzenden die öffentliche Hand ihre legistischen Realisie- Realisierungsschritte nachzuweisen sind. rungsanweisungen und die entsprechenden Unterstützungsleistungen für eine geordnete · Weitere Bedingungen: Die im Zusammen- Umsetzung orientieren sollte; hang mit der 4. Priorität genannten Bedin- gungen wie Nachweis des zusätzlichen … nicht mehr die peripher gelegene, noch nicht als Baulandbedarfs, keine geeigneten, schon Bauland gewidmete „grüne Wiese“ der zentra- erschlossenen Baulandflächen verfügbar le Anknüpfungspunkt ist, um Raumordnungs- sowie Erstellung eines Bebauungsplans für probleme nach dem Motto „ab jetzt machen wir das umzuwidmende Gebiet gelten auch es besser!“ zu lösen; hier. … vielmehr die Prioritätenreihung für Lösungen • Gegenleistungen des Grundeigentümers: sich aus der Struktur bestehender Fehlentwick- lungen ableitet und dabei das bisherige Den- Es soll Klarheit darüber herrschen, dass die Liegen- ken buchstäblich „auf den Kopf“ gestellt wer- schaftseigentümer für eine Bauflächenwidmung den muss; auch Gegenleistungen, die im öffentlichen Interes- se liegen, zu erbringen haben. Mit anderen Worten, … die zu entwickelnde Gesamtstrategie auch den die ursprünglich als Nutzungschance konzipierte Gesetzgeber aufgrund des hohen „Reparatur- Baulandwidmung ist hinkünftig vom Gesetz- bedarfs“ stark fordert. Keineswegs dürfen die geber als Nutzungsverpflichtung umzudeuten. erforderlichen „Reparaturmaßnahmen“ ohne Wichtig erscheint dabei, dass i.S. des Gleichheits- entsprechende legistische Unterstützung aus- satzes die verpflichtenden Elemente durch das Ge- schließlich von der Vollziehung erwartet wer- setz in ihren Grundzügen vorgegeben und nicht den; erst durch Baulandverträge individuell festge- schrieben werden. Mit dieser Vorgangsweise wird … der neue Arbeitsauftrag der Baulandreduktion Gemeinde und Aufsichtsbehörde „der Rücken ge- schon in den Raumordnungszielen und -grund- stärkt“ und zudem hilft sie Rechtsstreitigkeiten zu sätzen seinen Niederschlag finden und zudem vermeiden. die Ge- und Verbote von bewusstseinsbilden- den Maßnahmen sowie einer Anpassung des Denkbar sind etwa folgende verpflichtende Ele- einschlägigen Förderwesens begleitet werden mente, die ein Grundeigentümer im Gegenzug für müssen; eine stets im öffentlichen Interesse gelegene Bau- landwidmung kumulativ (!) erbringen muss: … wesensgemäß bodenpolitische Interventi- onen die örtliche Planungsebene fokussieren, · eine fristgerechte widmungsgemäße Reali- aber dennoch seitens der Landesvollziehung sierung, alle nur denkmöglichen Unterstützungslei- · Abgabe bis zu einem Drittel der Fläche stungen den Gemeinden gegenüber erbracht der betreffenden Liegenschaften zu einem werden sollten, wie beispielsweise Einziehen „Vorzugspreis“ an die Gemeinde bzw. von überörtlicher Siedlungsgrenzen, Festlegung ihr namhaft gemachte Dritte zur Realisie- von regionalen Grünzonen, Schulung der Ge- rung von Gemeindebedarfseinrichtungen meindeorganwalter, Finanzierung von Orts- oder für den sozialen Wohnbau, kernmanagern, Evaluierung der Baulandre- · angemessene Beteiligung an den anfal- duktionen, Einsetzen von Fachbeiräten etc. lenden Erschließungskosten, · Details und Sanktionen bei Nichteinhaltung regelt ein Baulandvertrag. 7. Schluss „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“, wit- zelt der Volksmund. Auch das kann im Hinblick 6. Zweites Zwischenresümee auf die Bodenpolitik aus dem Erklärungsmodell Zusammenfassend kann das Erklärungsmodell der Baulandtreppe herausgelesen werden: In auf- der Baulandtreppe in absteigender Richtung gele- steigender Richtung erklärt sie den „Ernst der La- sen klarlegen, dass… ge“ und die hohen Ansprüche einer vorausschau- Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 18 WEBER

enden effektiven Bodenpolitik. In absteigender 18 Richtung deutet sie die erforderlichen komplexen Lösungsschritte an. Es sollte nicht länger gezögert werden, ihre Aussagen zur Grundlage für ent- schlosse, systematisch angelegte Korrekturen zu machen!

Literatur

Land Salzburg, Salzburger Raumordnungsbericht 2011– 2014, 2. überarbeitete und ergänzte Auflage, 2016 Dollinger, F., Wieviel Ordnung braucht der Raum?, in: natur & land, Heft 4/2015, S. 18–23 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement 19

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 SIR-Mitteilungen Flächen- und kostenintensive Siedlungsentwicklung – Folgen und Lösungsansätze Space- and cost-intensive settlement DI Dr. development – Consequences and approaches for Erich Dallhammer Geschäftsführer solutions Österreichisches Institut für Raumplanung (ÖIR) Franz-Josefs-Kai 2 A-1010 Wien Zusammenfassung [email protected] Der Bodenverbrauch ist in Österreich weiter ungebremst hoch. Neben ökolo- gischen Folgen sind damit vor allem Kosten für den Bau und den Betrieb der zur Siedlungserschließung erforderlichen Infrastruktur verbunden. Diese hängen wesentlich von der Art und Dichte der der Bebauung ab. Der Artikel zeigt an- hand von Richtwerten die bebauungsabhängigen Kosten für die technische In- frastruktur (Kanal, Wasserversorgung, Straßenerschließung) und die mobile so- ziale Infrastruktur (mobile Pflegedienste, Essen auf Rädern, innergemeindlicher Transport von Kindergartenkindern und Schülern). Er thematisiert die Frage der Kostenwahrheit und entwickelt als Lösungsansatz Vorschläge zu einer enkel- tauglichen Gemeindeentwicklung.

Abstract

In Austria, land consumption continues to be unabatedly high. Besides ecologi- cal consequences, especially costs for the construction and maintenance of the required infrastructure are connected to this. Those substantially depend on the type and density of the building development. By means of approximate val- ues, the article reveals the building-dependent costs for technical infrastructure (sewerage, water supply, road development) and mobile social infrastructure (mobile nursing service, home-delivered meals, municipality-internal transport of kindergartners and pupils). It addresses the question of cost transparency and develops suggestions as approaches to solutions for a grandchild-suitable community development. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 20 DALLHAMMER

1. Bodenverbrauch und Siedlungs­ (b) das Ausufern der Siedlung an den Rändern entwicklung – meist entlang von Straßen –, während gleich- zeitig im Innerortsbereich oftmals voll erschlos- Die Inanspruchnahme von Flächen für Bau- und senes Bauland ungenutzt bleibt, Verkehrszwecke, Sportanlagen und Infrastruktur ist in Österreich weiter ungebremst hoch. Zwi- (c) das Entstehen von äußerst locker – meist mit schen 2009 bis 2012 wurden täglich 22,4 ha an freistehenden Einfamilienhäusern – bebauten land- und forstwirtschaftlichen sowie natürlichen Gebieten mit geringen Siedlungsdichten, in und naturnahen Flächen umgenutzt (Umweltbun- denen zudem im Schnitt ein Drittel der Grund- desamt 2013, 247). Im Vergleich dazu liegt im be- stücke unbebaut bleibt (Emrich 2013). völkerungsmäßig zehnmal größeren Deutschland die tägliche Flächeninanspruchnahme mit 74 ha Um die Siedlungen für die Bewohner nutzbar zu lediglich beim 3,3-Fachen Österreichs (Bundesmi- machen, betreibt die öffentliche Hand die erforder- nisterium für Umwelt 2013). liche Infrastruktur. Insbesondere für die technische Infrastruktur (Straßenerschließung, Abwasserent- Hauptursache für die Flächeninanspruchnahme sorgung, Wasserversorgung, Stromversorgung) ist nicht etwa das Bevölkerungswachstum. Der ge- sowie die mobile soziale Infrastruktur (Kinderbe- stiegene Lebensstandard und Veränderungen des gleitdienst, innergemeindlicher Schülertransport, Lebensstils sowie der Wirtschaft treiben den Flä- Heimhilfe und Essen auf Rädern) hängen die dafür chenverbrauch an (Umweltbundesamt 2012, 190). aufzuwendenden Kosten maßgeblich von der An- So nahm die Bevölkerung zwischen 2009 und 2012 schlussdichte und damit von der Siedlungsform ab. um 1,1 % und die Zahl der Haushalte um 2,4 % zu (Statistik Austria 2012a). Zeitgleich vergrö- Im gegenständlichen Artikel wird aufgezeigt, wie ßerte sich die Bau- und Verkehrsfläche um knapp die Siedlungsform die Infrastrukturkosten be- 10 % (BEV 2009, 2012). Im Wohnbereich nahm die einflusst. Dazu werden auf Basis von Richt- und durchschnittliche Bruttogeschoßfläche neuer Ein- Erfahrungswerten die relevanten Errichtungs- uns familienhäuser um 16 % bzw. 41 m² zu und beträgt Betriebskosten der Infrastruktur abgeschätzt und nun 294 m². Hingegen blieb im gleichen Zeitraum mit unterschiedlichen Siedlungstypen in Bezie- die Wohnungsgröße in Mehrgeschoßbauten annä- hung gesetzt.1 hernd gleich (Statistik Austria 2012b). Geringfügig mehr Menschen beanspruchen durch ihre Le- Zum Vergleich der nachfolgend durchgeführten bensweise also prozentuell deutlich mehr Fläche. Kostenschätzungen werden folgende Siedlungs- typen herangezogen (siehe Tab. 1 und Abb. 1):

Siedlungstyp (Nettobaulandfläche / Wohneinheit) WE/ha WE in ha in % EW/ha *) Freistehendes Einfamilienhaus (1.000 m2) 10 100 23 Einfamilienhaus, sparsam/Doppelhaus (750 m2)* 13 75 30 Einfamilien-Reihenhaus (500 m2) 20 50 45 mehrgeschossiges Mehrfamilienhaus (300 m2) 33 30 76 dichtes mehrgeschossiges Mehrfamilienhaus (100 m2) 100 10 227

Tab. 1: Dichtewerte in Abhängigkeit der Bauform *) Annahme: Haushaltsgröße im Österreichschnitt von 2,27 Personen, Quelle: Statistik Austria

Auf lokaler Ebene ist der hohe Flächenverbrauch • freistehendes Einfamilienhaus mit den in zumeist mit negativen Siedlungsentwicklungen ländlichen Regionen nach wie vor üblichen (Zersiedelung) verbunden. Darunter fallen fol- Parzellengrößen von 1.000 m² und einer da- gende Siedlungsmuster: raus resultierenden Wohnungsdichte von zehn Wohneinheiten pro Hektar (WE/ha). (a) das Entstehen von Siedlungssplittern in der 1 freien Landschaft durch Wohngebäude in Ein- Im Einzelfall können aufgrund der örtlichen Verhältnisse die tatsächlichen Kosten von den über Richtwerte errechneten zellagen oder Kleinstgruppen abseits von Kosten natürlich abweichen (z.B. durch einen geländebedingt Siedlungskernen, höheren bautechnischen Erschließungsaufwand). Richtwerte ermöglichen es jedoch, unterschiedliche Standorte und un- terschiedliche Siedlungstypen miteinander vergleichbar zu machen (z.B. Land Niederösterreich 2013). SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement FLÄCHEN- UND KOSTENINTENSIVE SIEDLUNGSENTWICKLUNG 21

land)

Abb. 1: Wohneinheiten pro Hektar in Abhängigkeit von der Bebauungsform Quelle: eigene Berechnung, Grafik: ÖIR

• sparsames Einfamilienhaus/gekuppeltes Haus 2. Folgekosten für die technische mit einer Parzellengröße von 750 m² und einer Infrastruktur­ Wohnungsdichte von ca. 13 WE/ha. Für die Abschätzung der Kosten der Errichtung der technischen Infrastruktur können in der Litera- • Einfamilien-Reihenhaus mit einer Parzellen- tur vorhandene Richtwerte mittels Baupreisindex größe von 500 m² und einer Wohnungsdichte für den Straßenbau auf 2012 hochgerechnet wer- von 20 WE/ha (Mit dieser Parzellengröße gibt den (Doubek, Zanetti 1999, Dallhammer, Mollay es im städtischen Ballungsraum durchaus auch 2008, Statistik Austria 2013): Eine Gemeindestraße freistehende Lösungen). von etwa 5,5 m Breite mit beidseitig straßenbeglei- tenden Gehsteig (je 1,5 m Breite) samt Beleuch- • mehrgeschossiges Mehrfamilienhaus mit tung einschließlich dem in der Straße verlaufen- einem Flächenbedarf von 300 m² pro Wohn- den Abwasserkanal (300 mm Rohrdurchmesser) einheit und einer Wohnungsdichte von und der Trinkwasserversorgungsleitung sowie 33 WE/ha. der Stromversorgung kostet unter diesen Annah- men im Schnitt 1.210 Euro (Detailberechnung siehe • dichtes mehrgeschossiges Mehrfamilien- folgende Tabelle). Straßen und Gehsteige müssen haus mit einem Flächenbedarf von 100 m² pro erhalten, beleuchtet und im Winter von Schnee Wohneinheit und einer Wohnungsdichte von befreit werden. Abwasserkanal, Trinkwasser- und 100 WE/ha (Diese kann in städtischen Bereichen Stromversorgung müssen gewartet werden. All noch deutlich übertroffen werden). diese Maßnahmen erzeugen laufende Kosten. Diese variieren in Abhängigkeit u.a. von topo- grafischer Lage der Gemeinde, Ausbaustandard

Errichtungskosten­ Erhaltungskosten (EUR) Kosten pro Laufmeter Straße (EUR) min mittel max Gemeindestraße (Breite: 5,5 m) 460 4,5 12,0 19,6 Gehsteig (Breite: je 1,5 m) und Errichtung Beleuchtung 190 1,9 2,9 3,8 Beleuchtung (Betrieb) 0,8 1,2 1,7 Schneeräumung 0,8 1,2 1,7 Abwasserkanal (300 mm Rohrdurchmesser) 320 1,3 5,4 9,6 Trinkwasserversorgung 140 0,6 2,9 5,1 Strom 100 Gesamtkosten pro Laufmeter 1.210 9,9 25,7 41,5 Tab. 2: Richtwerte für Bau- und Erhaltungskosten der technischen Infrastruktur, Richtwerte mittels Baupreis­ index für den Straßenbau hochgerechnet auf 2012, Quellen: Doubek, Zanetti 1999; Dallhammer, Mollay 2008. Statistik Austria 2013 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 22 DALLHAMMER

der Straßen und die Organisation der Dienstlei- ein Zehntel auf etwa 2.420 Euro reduzieren (siehe stungen. In einer Untersuchung ausgewählter stei- Tabelle 3). rischer Gemeinden wurden Werte zwischen 9,90 und 41,50 Euro und ein Mittelwert von 25,70 Euro Die Erhaltungskosten für die technische Infra- pro Laufmeter Gemeindestraße ermittelt. (Dall- struktur verhalten sich analog. Für freistehende hammer, Mollay 2008; Werte mittels Baukosten- Einfamilienhäuser mit 1.000 m²-Parzellen ist im index für den Straßenbau auf 2012 hochgerechnet Schnitt mit jährlichen Instandhaltungskosten pro – Detailberechnung siehe Tabelle 2). Wohneinheit von über 500 Euro zu rechen. Bei Rei- henhauslösungen liegen sie mit etwas über 250 Eu- Entscheidend für die ökonomische Effizienz des ro bei der Hälfte, bei dichten Mehrfamilienhauslö- Erschließungssystems sind die erforderlichen sungen bei knapp über 50 Euro (siehe Tabelle 3).

Errichtungskosten Erhaltungskosten Siedlungstyp (Nettobaulandfläche / Wohneinheit) WE/ha % (EUR) (EUR) Freistehendes Einfamilienhaus (1.000 m²) 10 24.200 514 100 Einfamilienhaus, sparsam/Doppelhaus (750 m²) 13 18.150 385 75 Einfamilien-Reihenhaus (500 m²) 20 12.100 257 50 mehrgeschossiges Mehrfamilienhaus (300 m²) 33 7.260 154 30 dichtes mehrgeschossiges Mehrfamilienhaus (100 m²) 100 2.420 51 10

Tab. 3: Erschließungskosten pro Wohneinheit in Abhängigkeit von der Bebauung Quelle: eigene Berechnung

Lauf­meter pro Wohneinheit. Siedlungssplitter in Zu den Betriebs- und Erhaltungskosten sind die Einzellagen, erweisen sich als äußerst kosteninten- jährlichen Finanzierungskosten dazuzurech- siv, da einzelne Wohnobjekte über lange Wege zu nen, da etwa 40 % der Kosten für Kanalisation verbinden sind. Die Neuerrichtung der Erschlie- und Trinkwasser über Fremdmittel durch Kredit- ßung für ein lediglich 100 m vom nächsten er- aufnahmen finanziert werden (Kommunalkredit schlossenen Gebäude entferntes Wohnhaus kostet 2013). Eine Untersuchung in ausgewählten stei- 121.000 Euro. Die zudem notwendige Erhaltung rischen Gemeinden kam bei der Kanalisation auf der technischen Infrastruktur schlägt im Schnitt jährliche Kosten von 10,80 bis 22,70 Euro und bei nochmals mit jährlich ca. 2.570 Euro zu Buche – in der Trinkwasserversorgung von 1,20 bis 2,40 Euro zehn Jahren sind das mehr als ein Fünftel der Er- pro Laufmeter (Dallhammer, Mollay 2008, hochge- richtungskosten. rechnet auf 2012 mittels VPI).

Dient die Straße der inneren Erschließung einer Der Lebenszyklus der technischen Infrastruk- Siedlung, sind bei einer Parzellentiefe von 25 m tur wird üblicher Weise mit 50 Jahren angesetzt. zur Aufschließung eines Hektars Bauland 200 m An dessen Ende sind Re-Investitionen notwendig. Straße erforderlich. Die Erschließungskosten für 1 Bereits jetzt sind etwa ein Drittel aller Wasserlei- ha Bauland betragen unter Umlegung der obigen tungen und 13 % der Kanalisation älter als 40 Jahre. Annahmen ca. 242.000 Euro.2 Die Zahl der auf 1 ha Damit wird der Anteil an Sanierungsmaßnahmen Bauland untergebrachten Wohneinheiten – und – bei zurückgehenden Neuinvestitionen – einen damit die Wohnungsdichte – bestimmt die ökono- immer höheren Prozentsatz am Investitionsvolu- mische Effizienz der Erschließung. men aufweisen (Laber 2013a). Somit stellt sich die Frage, ob nicht angesichts der politisch geforderten Während sich die Errichtungskosten der techni- Kosteneffizienz der öffentlichen Hand im Falle ei- schen Infrastruktur für freistehende Einfamilien- ner anstehenden völligen Re-Investition bei be- häuser mit 1.000-m²-Parzellen mit etwa 24.200 Eu- sonders teuren Erschließungen Rückbauszenarien ro zu Buche schlagen, sind bei sparsamerem der technischen Infrastruktur angedacht werden Grundstückszuschnitt, wie etwa bei einer Reihen- sollten. Eine Siedlungsentwicklung, die bewusst hauslösung nur noch die Hälfte der Kosten pro weiter Zersiedelung forciert, steht dieser Notwen- Wohneinheit erforderlich. Für dichte Mehrfamili- digkeit diametral gegenüber und prolongiert hohe enhauslösungen lassen sich die Kosten auf bis zu Infrastrukturausgaben der öffentlichen Hand auf weitere Jahrzehnte. 2 Diese Kosten beinhalten die straßenseitige Infrastruktur, je- doch nicht die Anschlüsse der einzelnen Wohnobjekte. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement FLÄCHEN- UND KOSTENINTENSIVE SIEDLUNGSENTWICKLUNG 23

Abb. 2: Erschließungskosten/Wohneinheit in Abhängigkeit der baulichen Nutzung Quelle: eigene Berechnung, Grafik: ÖIR

3. Folgekosten für die mobile ­soziale Personal erforderlich sind oder ob aufgrund von Infrastruktur­ bereits zu versorgenden Personen Synergien mit bestehenden Fahrtrouten genutzt werden können. Für die mobile soziale Infrastruktur (mobile Pflegedienste, Essen auf Rädern, innergemeind- Für die Ermittlung der Kosten ist somit entschei- licher Transport von Kindergartenkindern und dend, welche Fahrtrouten zurückgelegt werden Schülern) sind die Fahrtkosten – und damit die müssen, damit die Versorgung mit mobilen sozi- erforderlichen Wegelängen – entscheidend. Die- alen Diensten gewährleistet ist. Bei lokaler Einzel- se werden von der Lage der Nachfrager zueinan- betrachtung variieren die Kosten extrem stark nach der bestimmt, wobei sich die Wohnstandorte der der tatsächlichen Verteilung der Nachfrager. Auf Nachfrager von (Schul-)Jahr zu (Schul)Jahr bzw. der Makroebene betrachtet, zeigen sich eindeutige im Falle der Dienstleistungen für pflegebedürftige Unterschiede zwischen unterschiedlichen Sied- Menschen praktisch täglich ändern (Dallhammer, lungsformen. Mollay 2008). In Gemeinden mit einer Entwicklungstendenz in Bei den Kinderbegleitdiensten (Kindergarten- Streusiedlungen beträgt die Länge der Fahrtwege und Schulkinder) ist davon auszugehen, dass in etwa das Zwanzigfache im Vergleich zu kompak- zentraler Lage wohnhafte Kinder bei fußläufiger ten Siedlungen in ländlichen Gemeinden (z.B. in Erreichbarkeit von Kindergarten bzw. Schule kei- einem Straßendorf). Für den Betrieb der mobilen nen Bring- und Holdienst benötigen. Siedlungs- sozialen Infrastruktur (Essen auf Rädern, Heimhil- splitter und Siedlungen mit geringen Wohndichten febesuche, Kinderbegleitdienst und innergemeind- verlängern die Wege über die zumutbare Fußweg- licher Schülertransport) ist in den kompakten distanz hinaus. Dann wird ein Kinderbegleitdienst ländlichen Siedlungen mit jährlichen Kosten von erforderlich. Besteht kein öffentlicher Linienver- durchschnittlich ca. 2.250 Euro pro 1.000 Einwoh- kehr, so fällt diese Aufgabe und damit die Kosten ner zu rechnen. In Gemeinden mit dynamischen der Gemeinde zu. Streusiedlungen beläuft sich dieser Wert auf ca. 50.000 Euro (Wertermittlung aus Doubek 2001, Bei mobilen Pflegediensten und Essen auf Rä- mittels Verbraucherpreisindex hochgerechnet auf dern hängen die Grenzkosten einer zusätzlichen 2012.) zu betreuenden Person vor allem davon ab, ob zusätzliche Wege für das pflegende/betreuende Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 24 DALLHAMMER

Abb. 3: Kosten der sozialen mobilen Infrastruktur (Essen auf Rädern, Heimhilfebesuche, Kinderbegleitdienst und innergemeindlicher Schülertransport/Einwohner) in Abhängigkeit der Siedlungsstruktur einer Gemeinde Quelle: Doubek 2001, Statistik Austria 2013, Grafik: ÖIR

Bei der mobilen sozialen Infrastruktur wird ein 4. Finanzierung – Wer zahlt? Teil der distanzabhängigen Kosten den Klienten der mobilen Hilfsdienste (Heimkrankenpflege, Al- Aus den beschriebenen Berechnungen wird deut- tenbetreuung, Essen auf Rädern) unabhängig von lich, dass lockere Bebauung und Zersiedelung hö- der tatsächlich zurückgelegten Entfernung in Form here Infrastrukturkosten verursachen als kompakte einer Pauschale pro Tag bzw. Anfahrt verrechnet. Siedlungen. Das Bild der siedlungsabhängigen In- Den Rest teilen sich meist Gemeinden und Länder. frastrukturfolgekosten wird aber erst durch den Für die Kosten der Kinderbegleitdienste kommt in Blick auf die Finanzierungsseite vollständig. der Regel ausschließlich die öffentliche Hand auf.

Die Errichtung der Abwasserentsorgung wird nur Ob nun ein Bewohner in einer bezüglich Infra- zu 11 %, jene der Trinkwasserversorgung nur zu strukturfolgekosten (teuren und ineffizienten) 7 % aus den Anschlussgebühren finanziert. Überwiegend kommt dafür die öffentliche Hand auf. Bei der Abwasserinfrastruktur verteilt sich die Finanzierung auf Bund 27 %, Länder 10 % und Ei- genmittel der Gemeinden 12 %. Bei der Trinkwasserversorgung ist das Verhältnis Bund 17 %, Län- der 13 % und Eigenmittel der Ge- meinden 24 %. Jeweils ca. 40 % der Kosten werden über Fremdmittel aufgebracht (Kommunalkredit 2012, siehe folgende Abbildung). Diese können z.T. über die die laufenden Gebühren refinanziert werden (Laber 2013b). Abb. 4: Aufteilung der Finanzierung der Erschließungskosten für Trink- wasserversorgung und Abwasserentsorgung Quelle: Kommunalkredit 2012, Grafik: ÖIR SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement FLÄCHEN- UND KOSTENINTENSIVE SIEDLUNGSENTWICKLUNG 25

Streusiedlung oder in einer (günstigen und effi- Österreicherinnen darstellt. Dass es von vielen als zienten) kompakten Siedlung wohnt, fließt we- „ideale“ Wohnform angesehen wird, hat nämlich der bei der sozialen Infrastruktur noch bei der unterschiedliche Ursachen. Das klassische freiste- technischen Infrastruktur in die Berechnung der hende Einfamilienhaus eröffnet dem Bauwerber Kostenbeiträge ein. Anschluss- und Betriebsge- u.a. folgende Möglichkeiten: Eigenleistung beim bühren für die Wasserver- und entsorgung dürfen Bau einzubringen, auf den Grundriss und die Ge- nicht lageabhängig verrechnet werden. Gleiches staltung des Hauses Einfluss zu nehmen, über ei- gilt für die Kosten der mobilen Hilfsdienste (Dall­ nen eigenen Garten zu verfügen und Wohnungsei- hammer, Mollay 2008). Die tatsächlichen Kosten gentum zu bilden gesehen (Dallhammer/Schrem- können also nicht nach Lagekriterien entsprechend mer/Wimmer 2006). dem Verursacherprinzip zugeordnet werden. Es besteht keine Möglichkeit, jene, die in dünner Hier gilt es alternative Modelle zu entwickeln, besiedelten und damit kostenintensiveren Sied- welche die angesprochenen Bedürfnisse befriedi- lungen wohnen, höher zu belasten, als jene, die in gen, gleichzeitig aber die Nachteile des freistehen- dichteren, kompakten Siedlungen wohnen. den Einfamilienhauses vermeidet, wie hohe Infra- strukturkosten, hohe individuelle Mobilitätskosten Damit findet eine Querfinanzierung statt. In- (oftmals verbunden mit der Notwendigkeit der nerhalb der Gemeinde tragen die Haushalte in Anschaffung eines Zweit-PKWs), fehlende Dichte, den Ortszentren die zusätzlichen Kosten der tech- die ein Angebot für die Nahversorgung und den nischen Ver- und Entsorgung der peripheren Lagen ÖV ermöglicht, sowie hohen Bodenverbrauch. Sol- in Form höherer Beiträge in der ganzen Gemeinde che Wohnformen (z.B. in Form von Baugruppen) mit. Auf regionaler und überregionaler Ebene trägt gilt es zu entwickeln, anzuwenden und als Pilot- die Bevölkerung der kompakteren Gemeinden die projekte auch unter den Bauwerbern zu verbreiten. in den Gemeinden mit hohem Zersiedelungsanteil entstehenden höheren Infrastrukturfolgekosten Prinzipien einer enkeltauglichen Gemeinde­ durch allgemein höhere Ausgaben der öffentlichen entwicklung Hand und damit höheren Abgaben und Steuern mit. Damit sind die Kosten der Infrastruktur nicht Eine zukunftsfähige bauliche Entwicklung in einer nur eine Effizienz- sondern auch eine Verteilungs- Gemeinde ist so ausgelegt, dass auch die künftigen frage. Generationen noch gut darin leben können. Sie er- möglicht die Bewältigung des Alltags (Arbeiten, Einkaufen, Schulbesuch, Freizeit) ohne auf die 5. Wege zu einer enkeltauglichen Verfügbarkeit eines PKWs angewiesen zu sein. Gemeindeentwicklung­ Eine solche „enkeltaugliche Siedlung berücksich­ Die Art der Siedlungsentwicklung entscheidet tigt folgende Prinzipien: über die Infrastrukturausgaben der öffentlichen Hände. Siedlungssplitter in der Landschaft, Streu- 1. Die Verdichtung von Siedlungen in zentralen siedlungen und großzügige, z.T. mit unbebauten Bereichen erhält Vorrang gegenüber der Sied- Parzellen durchsetzte Einfamilienhausgebiete mit lungserweiterung. Dies betrifft die Nutzung geringer Siedlungsdichte belasten das Budget mehr derzeit bestehender Baulandreserven ebenso als kompakte Siedlungen. Will man diese Kos­ten wie die Wiedernutzbarmachung bestehender besser in den Griff bekommen, ist die künftige Baulandbrachen. Dazu zählen leerstehende Siedlungsentwicklung ein entscheidender Hebel. Wohnobjekte in den Ortszentren sowie unge- nutzte ehemalige Industrieareale. Im Sinne der Unbestritten ist das eigene Haus für Viele der Kosteneffizienz sind bestehende Baugebiete Wunschtraum. In einer Umfrage entscheiden sich besser zu nutzen, um damit Auslastung und 68 % der 18–39-jährigen für ein eigenes Haus als Effizienz der bestehenden technischen Infra- bevorzugte Wohnform. 50 % wollen zudem in struktur und der mobilen sozialen Dienste zu einem Dorf leben, weitere 13 % in einer Kleinstadt steigern. (GFK 2013). 2. Ist die Errichtung neuer Siedlungen trotz kom- Siedlungspolitisch ist zu hinterfragen, ob das munaler Bemühungen zur inneren Verdichtung freistehende Einfamilienhaus tatsächlich die ge- unumgänglich, dann erfolgt diese möglichst samthaft gesehen optimale Umsetzung der oben kompakt und im unmittelbaren Anschluss an abgefragten Wohnwünsche der Österreicher und bestehende Siedlungsgebiete. Bei der Neuaus- Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 26 DALLHAMMER

weisung von Wohngebieten werden folgende Fläche (maximale Grundstücksgröße) und Randbedingungen beachtet: trägt so der Reduktion der Kosten für Bau und Betrieb der erforderlichen Infrastruktur Rech- a) Neue Siedlungen weisen Fußwegdistanz nung. Andererseits werden auch bei dichteren zum Orts(teil)zentrum auf. Das Ortszen- Bauformen (z.B. Reihenhäusern, Wohungen) trum bietet sich die wesentlichen Einrich- Angebote entwickelt, um wichtige Bedürf- tungen der Grundversorgung (Geschäft, nisse abzudecken. Dazu zählen der eigene Haltestelle des öffentlichen Verkehrs, Kin- Garten, Eigeninitiative bei Planung und Bau dergarten, ev. Volksschule). sowie die Schaffung von Wohneigentum.

b) Die Gemeinde sichert sich ein Mitspra- Die politische Umsetzung anstoßen cherecht bei der Parzellierung des neuen Baulandes. Die Grundstücksteilung erfolgt Konkrete Maßnahmen zur Mobilisierung beste- derart, dass Straßenmeter und damit Infra- hender Baulandreserven, um die innere Verdich- strukturkosten eingespart werden. tung zu fördern, sowie zur effizienten Nutzung neu gewidmeten Baulandes, setzen bei der Raum- c) Bei Neubaugebieten ist eine ausreichende planung an und reichen bis in die Wohnbauförde- Dichte vorgesehen, die eine wirtschaftliche rung und ins Steuerrecht hinein. Sie sind im Prin- Grundlage für Busverbindungen und Nah- zip schon seit Jahren fachlich ausgearbeitet und versorgungseinrichtungen bildet. bekannt (vgl. Schadt, et.al. 1994).

d) Mittels Baulandsicherungsverträgen wird Allein sie werden nicht angewandt. Damit be- die widmungskonforme Nutzung abgesi- steht nach wie vor eine häufig die Zersiedelung chert. Wird ein Grundstück nicht in der ver- antreibende Raumplanungs- und Förderpraxis, einbarten Frist genutzt, wird der Gemeinde die neben dem hohen Bodenverbrauch hohe Infra- ein Vorkaufsrecht zu konkreten Konditi- strukturfolgekosten hervorruft. Von der dadurch onen eingeräumt. Damit kann die Nutzung impliziten Querfinanzierung profitieren vor allem der Infrastruktur sichergestellt werden. jene, die in zersiedelten Gebieten leben, denn dort fällt Anteil der Subventionen an den Infrastruktur- 3. Die Gemeinde entwickelt sich nach dem Prinzip kosten deutlich höher aus als in kompakten Sied- der Gemeinde der kurzen Wege: Zu Fuß Gehen, lungen. Radfahren und der öffentliche Verkehr werden attraktiviert. Es entsteht nach und nach eine Allerdings werden weder die Infrastrukturfolge- akzeptable­ Alternative zum PKW Verkehr. kosten noch die dahinter liegenden Verteilungs- fragen politisch diskutiert. Einer der Gründe da- 4. Siedlungsentwicklung bedeutet auch im länd- für könnte sein, dass das eigene Haus in Österreich lichen Raum nicht ausschließlich Einfamili- einen immens hohen Beliebtheitswert aufweist. enhausbau. Unterschiedliche Personen haben unterschiedliche Wohnansprüche. Junge Men- Gegen diese Grundstimmung mittels ordnungs­ schen, getrennte Paare, ältere Personen even- politischer Maßnahmen anzukämpfen, damit tut tuell mit Betreuungsbedürfnissen und einge- sich die örtliche Raumplanung sowohl auf der Ebe- schränkter persönlicher Mobilität fragen nach ne der Gemeinde als auch auf der Landesebene als anderen Wohnformen als Einfamilienhäusern Aufsichtsbehörde schwer. Die Gemeindepolitik nach. Als umfassend attraktiver Wohnstand- könnte bei der konkreten Flächenwidmungsent- ort für ihre Bevölkerung bietet eine Gemeinde scheidung Zersiedelungstendenzen entgegenwir- auch flächensparende Alternativen zum freiste- ken. Die Landespolitik könnte über Vorgaben für henden Einfamilienhaus an. Dies schließt auch Flächenwidmungs- und Bebauungspläne die Ge- Eigentumshäuser und -wohnungen ebenso wie meinden zu einer kostenbewussteren Siedlungs- Wohnungen in Miete mit unterschiedlichen entwicklung anhalten. – Offensichtlich fehlt da Wohnungsgrößen mit ein. Wille und/oder Kraft.

5. Einfamilienhäuser werden auch künftig auf Daher braucht es die richtigen Impulse, um vom der Wunschliste Vieler stehen. Eine Gemeinde Wissen um die notwendigen Maßnahmen den Weg Einerseits ermöglicht deren Errichtung unter zur politischen Umsetzung zu finden. Ein Ansatz Beachtung eines sparsamen Umgangs mit der ist, die Sichtbarkeit der Folgekosten der Zersie- SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement FLÄCHEN- UND KOSTENINTENSIVE SIEDLUNGSENTWICKLUNG 27 delung für Gemeinden und Einzelpersonen zu Die oben angeführten Maßnahmen tragen „sanft“ erhöhen. Dadurch rücken die Folgekosten von dazu bei, Kostenbewusstsein bei den kommunalen Standortentscheidungen ins Bewusstsein und kön- Entscheidern und den Wohnungssuchenden zu nen in den Entscheidungsprozess einfließen. Dazu erhöhen. Dies verringert den Druck auf die Ge- wurden mehrere im Internet frei verfügbare Tools meinde- und Landespolitik, bei der Flächenwid- entwickelt. Beispiele dafür sind: mungs- und Bebauungsplanung Entscheidungen zu treffen, die – meist auch gegen besseres Wissen • In Salzburg stehen der moreco Siedlungsrech- – Zersiedelung mit ihren negativen Folgen antreibt. ner und der moreco Haushaltsrechner (http:// Sie bereiten den Weg für Maßnahmen zu einer hö- www.moreco.at) zur Verfügung. Der Sied- heren Effizienz der Infrastruktur für Wohngebiete. lungsrechner ermittelt in Abhängigkeit des Standortes und der Erreichbarkeit wichtiger Ein weiterer Schritt wäre dann die Etablierung Einrichtungen die durchschnittlichen Jahres- von Kostenwahrheit bei Neubauten: Jene, welche kilometer, die mit dem PKW und mit öffentli- neue Wohnhäuser errichten, die mehr Infrastruk- chen Verkehrsmitteln im Schnitt zurückgelegt turleitungen und -wege benötigen, sollten auch werden und den daraus resultierenden CO2- mehr zu den durch ihre Siedlungsform verursach- Ausstoß. Der Haushaltsrechner bietet eine Ko- ten Infrastrukturfolgekosten beitragen. Dies wür- stenberechnung, welche Immobilienkosten mit de die Menschen, die kompakt wohnen, und die Mobilitätskosten kombiniert. Über die Eingabe Gemeinden, die eine kompakte Siedlungsentwick- unterschiedlicher von Standorte lassen sich so lung forcieren, bei den Infrastrukturfolgekosten individuelle Wohnentscheidungen kostenmä- entlasten. Damit wären auf der Kostenseite Rand- ßig vergleichen. bedingungen geschaffen, welche eine enkeltaug- liche Gemeindeentwicklung unterstützen. • In Niederösterreich steht mit dem Infrastruk- turkostenkalkulator (NIKK) ein Bewertungs- instrument zur Abschätzung der Folgekosten LITERATUR von Siedlungserweiterungen den Gemeinden zur Verfügung. Er ist als Freeware herunterlad- BEV – Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, 2009, bar (http://www.raumordnung-noe.at/index. Regionalinformation der Grundstücksdatenbank, Stand: php?id=148). Sein Aufbau ermöglicht es relativ 1. Jänner 2009 einfach, die Kosten verschiedener Planungsva- BEV – Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, 2012, rianten zu vergleichen und auch mit den durch Regionalinformation der Grundstücksdatenbank, Stand: die Neuansiedlung von Wohnbevölkerung und 1. Jänner 2012 Betrieben zu erwartenden Steuereinnahmen Bundesministerium für Umwelt, 2013, Flächenverbrauch für eine Gemeinde gegenzurechnen (Hamader – Worum geht es? http://www.bmu.de/themen/ 2012). strategien-bilanzen-gesetze/nachhaltige-entwicklung/ strategie-und-umsetzung/reduzierung-des-flaechen • Der Mobilitätsausweis für Immobilien (MAI) verbrauchs/ – Abfrage 17.11.13 berechnet u.a. die individuellen Mobilitätsko- CEIT Alanova, 2013, Mobilitätsausweis für Immobilien. – sten sowie deren Folgekosten (Unfallrisikoko- http://www.mobilitaetsausweis.at, Abfrage 3.12.2013 sten, Reisezeit, CO2-Emissionen) und kombi- Dallhammer, E., Mollay, U., 2008, Infrastrukturkosten der niert sie mit den jährlichen Immobilienkosten Siedlungserweiterung bei bestehenden Leitungsnetzen. (Mietkosten, Energiekosten, Instandhaltungs- – Studie des Österreichischen Instituts für Raumpla- kosten bzw. Betriebskosten) für einen Haus- nung, Wien halt. Damit können benutzerspezifisch auf Dallhammer, E., Schremmer, C., Wimmer, H., 2006, Räum- einfachem Wege die Immobilien- und Mobili- liche Strukturen und Entwicklungsschwerpunkte. – tätskosten gemeinsam ermittelt und dargestellt Amt der Kärntner Landesregierung, Abteilung 20, Wien werden (CEIT ALANOVA 2013). Doubek, C., Zanetti, G., 1999, Siedlungsstruktur und öffent- liche Haushalte. – Gutachten des österreichischen Insti- Eine österreichweite Verbreitung solcher Instru- tuts für Raumplanung, in: ÖROK – Schriftenreihe Nr. mente und deren standardisierte Nutzung vor 143. Wien einer Standortentscheidung wäre ein wichtiger Emrich, H., 2013, Flächenverbrauch im ländlichen Raum. Schritt zur Hebung des Kostenbewusstseins der – Interview in Wirtschaft und Umwelt, Zeitschrift für Gemeinden sowie der Einzelpersonen. Umweltpolitik und Nachhaltigkeit der Arbeiterkammer. Heft 3/2013, S. 24 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 28 DALLHAMMER

GFK, Hrsg. 2013, Lifestyle Studie 2013, Einstellungen zum Wohnen. – Zit. in: URL, Manfred (2013): Die Wohnwün- sche der jungen Österreicher und ihre Ansprüche an die Finanzierung. – Unterlagen zum Pressegespräch vom 6.8.2023. Wien Hamader, H., 2012, Kosten neu bewerten. Der NÖ Infra- strukturkostenkalkulator. – Raumdialog, Magazin für Raumplanung und Regionalpolitik in Niederösterreich, Heft 2/2012, S. 6f. Kommunalkredit, Hrsg. 2012, Gemeindefinanzbericht 2012. Wien Laber, J., 2013a, Hoher Investitionsbedarf in der Siedlungs- wasserwirtschaft – Investitionen generieren Wertschöp- fung und Arbeitsplätze. – Kommunal, S. 54–56 Laber, J., 2013b, Finanzierungsstruktur im geförderten Sied- lungswasserbau: Nächster Generation droht Finanzie- rungsloch. – Kommunal, S. 49 Schadt, G., et.al., 1994, Möglichkeiten oder Grenzen der Bo- denpolitik. – Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK Hrsg.). Schriftenreihe Nr. 123. Wien SIR – Salzburger Institut für Raumordnung & Wohnen (2007): Infrastrukturkostenstudie Salzburg, Zusammen- hänge von Bebauungsart und -dichte sowie Erschlie- ßungskosten. – SIR Konkret, Heft 04/2007 Statistik Austria, 2012a, Bevölkerungsstand 1.1.2012. Wien. http://www.statistik.at/web_de/services/publikationen/ 2/index.html?id=2&lis tid=2&detail=541 Statistik Austria, 2012b, Adress-, Gebäude- und Wohnungs- register. Erstellt am: 06.07.2012. http://www.statistik .at/web_de/statistiken/wohnen_und_gebaeude/ errichtung_von_gebaeuden_und_wohnungen/baube- willigungen/index.htm Statistik Austria, 2013, Baukostenindex Gesamtbaukosten an Basisjahr 1990. Ergebnisse im Überblick. Wien Umweltbundesamt, 2010, Neunter Umweltkontrollbericht. Umweltsituation in Österreich, Bericht des Umweltmi- nisters an den Nationalrat. Wien Umweltbundesamt, 2013, Zehnter Umweltkontrollbericht. Umweltsituation in Österreich, Bericht des Umweltmi- nisters an den Nationalrat. Wien Baulandmobilisierung und Flächenmanagement 29

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 SIR-Mitteilungen Wohnbau-Herausforderung Nr. 1: Mangelnde Bauland­ verfügbarkeit und hohe Grundstückspreise Prof. Mag. Karl Wurm Challenge No.1 in housing construction: Verbandsobmann Österreichischer Verband ­ Insufficient availability of building land and gemeinnütziger Bauvereinigungen Bösendorferstraße 7 high cost of land A-1010 Wien [email protected]

Zusammenfassung

Die Wohnungsfrage ist wieder zurück. Lange galt sie als eher gelöst. Heute be- richten die Medien wieder intensiv über die zunehmende Schieflage am Woh- nungsmarkt und „leistbares Wohnen“ steht ganz oben auf der politischen Priori- tätenliste. Einzig: Wirksame und nachhaltige Maßnahmen gegen die Knappheit an bezahlbarem Wohnraum bleiben aus.

Zur wirksamen Mobilisierung von Grundstücken zu leistbaren Preisen und zur Eindämmung der Preissteigerungen sind vor allem unbequeme Entschei- dungen der Politik gefragt. Zahlreiche baulandmobilisierende Instrumente exi- stieren bereits in den Bundesländern, allein diese Maßnahmen finden aus kom- petenzrechtlichen Bedenken bislang keine flächendeckende Anwendung. Es sind daher zu allererst verfassungsrechtliche Klarstellungen und grundsätzliche Abwägungen erforderlich: Angesichts der Bodenknappheit und der spekula- tiven Hortung von Bauland gilt es in eine Diskussion über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu treten.

Abstract

The issue of housing is back again. For a long time, it has rather been regarded as solved. Today, the media intensively cover the increasing imbalance at the housing market again and “affordable housing” is on the top of the political priority list. Solely: efficient and sustainable measures against the scarcity of af- fordable housing stay away.

For the efficient mobilisation of building land at affordable prices and for the control of price increases, mainly inconvenient political decisions are needed. In the provinces, numerous tools for the mobilisation of building land already ex- ist, but these measures are not applied comprehensively so far due to concerns about legal competences. Thus, first and foremost constitutional clarifications and fundamental considerations are required: In the light of the land scarcity and the speculative hoarding of building land, it is necessary to launch a discus- sion about the social responsibility of property. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 30 WURM

Die Wohnungsfrage ist wieder zurück. Lange galt sprechen die Budgetkonsolidierung und der Sta­ sie als gelöst. Heute berichten die Medien wieder bilitätspakt. Kurz: Die Wohnbauförderung steht intensiv über die zunehmende Schieflage am unter Finanzierungsvorbehalt. Seit Aufhebung der Wohnungsmarkt und „leistbares Wohnen“ steht Zweckbindung der Wohnbauförderungszweckzu­ ganz oben auf der politischen Prioritätenliste. schüsse im Jahr 2009 hat sich durch den Rückgang Einzig: wirksame und nachhaltige Maßnahmen des Förderungsoutputs ein erheblicher Wohnungs­ gegen die Knappheit an bezahlbarem Wohnraum fehlbestand aufgebaut. Während der geförderte bleiben aus. Das liegt an der fehlenden Ursachen­ Neubau seit dem eingebrochen ist, braucht es auf­ forschung und mangelnder politischer Entschei­ grund des Nachfragedrucks in den Städten eine dungskraft. Dabei ist klar: Die Wohnungsfrage ist deutliche Ankurbelung des geförderten Wohnbaus zu allererst eine Grundstücksfrage. Vereinfacht ge­ von jährlich mindestens 6.000 Mietwohnungen. sagt: Ohne leistbare Grundstücke, kein leistbares Wohnen. Genau daran mangelt es. Der Neubau geförderter Mietwohnungen wird aktuell nahezu zur Gänze von den GBV sicher­ Eindrucksvoll bestätigt wird das Kernproblem am gestellt. Gewerbliche Bauträger haben sich dem­ Wohnungsmarkt durch eine Umfrage des Ver­ gegenüber weitestgehend aus diesem Segment bandes gemeinnütziger Bauvereinigungen. „Wo zurückgezogen und ihr Geschäftsfeld auf den Bau drückt der Schuh am stärksten?“, wollte er von sei­ freifinanzierter Eigentumswohnungen verlagert. nen 190 Mitgliedsunternehmen (GBV) wissen. Die Verantwortlich dafür ist die infolge der Finanz­ Antwort fiel eindeutig aus: 80 % aller GBV sagen, krise zu verzeichnende Vermögensumschichtung dass die mangelnde Verfügbarkeit von Grundstü­ privater Haushalte in den Immobiliensektor und cken zu vertretbaren Preisen das größte Hemmnis die günstigen Finanzierungsbedingungen durch für die Errichtung leistbarer Wohnungen ist. Da­ das stark gesunkene Zinsniveau. Durch den damit mit rangiert die Grundstücksfrage an 1. Stelle der verbundenen veranlagungsbedingten Preisanstieg Prioritätenliste. Auf Platz 2 folgen die kostentrei­ hat der Bau bzw. die Vermarktung von nicht ge­ benden Baustandards. förderten Wohnungen stark an Attraktivität zuge­ nommen. Bauland ist nicht wie andere Wirtschaftsgüter be­ liebig vermehrbar. Es kann nicht durch andere Gü­ Mit der Expansion des freifinanzierten Wohnungs­ ter ersetzt werden und ist immobil, lässt sich also baus konnte zwar der Einbruch im geförderten nicht dorthin verlagern, wo gerade großer Bedarf Sektor rein quantitativ ausgeglichen werden. Die herrscht. Verstärkte Nachfrage nach knappem nahezu unveränderten Wohnungsfertigstellungs­ Bauland führt daher nicht zu höherem Angebot, zahlen hat die Politik jedoch in falscher Sicherheit sondern einzig und allein zu Preissteigerungen. gewogen. Mit der Konsequenz, dass zwar der Genau diese Entwicklung zeigt sich in den Bal­ Wohnungsoutput hochblieb, aber mit der Verla- lungsräumen und Städten aktuell besonders dras­ gerung in das freifinanzierte Wohnungssegment tisch. Dabei treten mehrere Entwicklungen gleich­ vor allem nun jene durch die Finger schauen, die zeitig zutage: auf ein ausreichendes Angebot günstiger Miet- wohnungen angewiesen sind. Zum Vergleich: In den Städten und Ballungsregionen zeigt sich Während sich die mittleren Nettojahreseinkom­ ein durch Zuzug bedingtes starkes Bevölkerungs­ men der unselbständig Erwerbstätigen zwischen wachstum. In den letzten zehn Jahren ist die Bevöl­ 2008 und 2014 um nur 10 % erhöht haben, sind die kerung in Wien und Graz um 11 % bzw. 14 % oder Mieten in diesem Zeitraum im Durchschnitt um 188.000 bzw. 35.000 Einwohner (Durchschnitt: 28 % angestiegen – am stärksten bei den Privaten 5,4 %) gewachsen. Alleine auf Wien und seine Um­ mit 32 %, bei den Gemeinnützigen mit 16 % am ge­ gebung konzentriert sich 45 % des gesamtösterrei­ ringsten. chischen Bevölkerungsanstiegs.

Geförderter Wohnbau im Hintertreffen Nachfragedruck in den Städten Insgesamt ist es durch die Ausweitung des frei­ Der daraus resultierende erhöhte Wohnungsbe­ finanzierten Neubaus und des gleichzeitigen darf kann durch eine Steigerung des geförderten Rückgangs der geförderten Wohnungsproduk­tion Wohnungsbaus nicht abdeckt werden. Dagegen zu einer erheblichen Verschiebung des Kräftever­ SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement WOHNBAU-HERAUSFORDERUNG NR. 1: MANGELNDE BAULANDVERFÜGBARKEIT UND HOHE GRUNDSTÜCKSPREISE 31 hältnisses im Neubausektor gekommen. Belief sich men ab, größere Bauplätze sind die Ausnahme das Verhältnis zwischen geförderter und freifinan­ und befinden sich meist auf aufgelassenen Gewer­ zierter Neubauleistung im Geschoßsektor im letz­ be- oder Industrieflächen bzw. Liegenschaften im ten Jahrzehnt noch auf 80 % zu 20 %, hat es sich öffentlichen Besitz, die für eine Wohnbebauung zuletzt auf 55 % zu 45 % verschoben. Zwar konnte aufgeschlossen und an den Bestbieter verkauft durch den Boom des freifinanzierten Wohnbaus werden. die Reduktion des geförderten Neubaus wettge­ macht werden, gleichzeitig wurde durch die Ver­ Insbesondere durch Bieterwettbewerbe bei schiebung weg von den in den Wohnbauförde­ Grundstücken der öffentlichen Hand kommt es rungsbestimmungen limitierten förderbaren hin zu einem Hochlizitieren des Preises. Damit fließt zu marktkonformen Grundstückskosten der Preis­ zwar Geld in die Staatskasse, das zur Budgetkon­ auftrieb am Grundstücksmarkt weiter verstärkt. solidierung braucht wird, die Liegenschaften sind aber für eine Verbauung zu Konditionen des ge­ Mit dem durch die „Flucht in das Betongold“ förderten Wohnbaus nicht mehr geeignet. Das war und das günstige Finanzierungsumfeld wesentlich nicht immer so: Dass die Gemeinden heute ihre ver­ursachten Boom des freifinanzierten Wohn­ Liegenschaften nicht mehr zu einem symbolischen baus ­engagieren sich auf den städtischen Woh­ Schilling- oder besser: Cent-Betrag für den geför­ nungsmärkten verstärkt auch finanzkräftige Im­ derten Wohnbau im Baurecht reservieren oder mobiliengesellschaften, Immobilienfonds bzw. deutlich unter Marktniveau veräußern können, in­­sti­tutionelle Investoren. Mit den Geldern ihrer ist auf Budgetkonsolidierungszwänge der öffent­ veranlagungsorientierten Kunden im Rücken kon­ lichen Hände infolge des Stabilitätspakts zurück­ kurrenzieren sie sich um die begrenzte Ressource zuführen. Erschwerend kommt auch das Vergabe­ Boden. Sie können weitaus höhere Grundstück­ recht hinzu. spreise zahlen. In den Bieterwettbewerben wer­ den die Preise hochlizitiert und durchbrechen die Wenn nun eine Kommune eine andere Grund­ Schwelle der angemessenen Grundstückskosten stückspolitik, nämlich die Förderung des gemein­ im geförderten Wohnbau. nützigen Wohnungsbaues durch die Bereitstellung von Bauland zu für eben dieses Segment angemes­ Insgesamt hat die verschärfte Konkurrenz nicht nur sene Grundkosten verfolgt, ist bei den obersten die Grundstücks-, sondern auch die Eigentums­ Kontrollorganen der Republik Feuer am Dach. So preise stark ansteigen lassen. Zwischen 2008 und geschehen erst jüngst auf Wiener Ebene, wo der 2015 sind die Preise für Eigentums­wohnungen Rechnungshof die Vergabe von deutlich unter dem in Wien um 2/3 angestiegen, im österreichischen Marktwert liegenden Baugrundstücken durch die Durchschnitt immerhin um 46 %. Die Grundstücks­ Stadt Wien beanstandete. preise haben sich im gleichen Zeitraum in Wien um über 50 % erhöht. Wohninfrastruktur und Widmungsverfahren

Mengenproblem als politisches Problem? Hinzu kommt, dass die Grundstücke aufgrund der fehlenden Widmung der Kommunen oftmals Grundsätzlich resultiert die Grundstücksproble- nicht bebaut werden. Die Widmung erfolgt erst, matik für den geförderten Wohnbau nicht allein wenn die Frage der Wohninfrastruktur, d.h. die aus dem Anstieg der Grundstückspreise (Preis- Finanzierung von Straßen und Bildungseinrich­ problem), sondern stellt auch ein Mengen- bzw. tungen geklärt ist. Umwidmungen bedeuten für Angebots- und Verfahrensproblem dar. Das heißt: die Kommunen sehr oft hohe Investitionen in die es kommen überhaupt zu wenige Grundstücke auf Wohninfrastruktur, die in Zeiten klammer Haus­ den Markt bzw. können aufgrund überbordender haltskassen immer schwerer zu stemmen sind. bürokratischer Verfahren sehr spät bebaut werden. Um die Kosten schultern zu können, kommen Co- Kommunen verfügen kaum noch über eigene Finanzierungsmodelle (städtebauliche Verträge) Grundstücke für die unmittelbare Wohnbaunut­ zum Einsatz, bei denen die Investoren die Errich­ zung, die Vergabe von Baurechten zeigt sich jetzt tung der infrastrukturellen Einrichtungen mitab­ vermehrt bei Banken, bei Gemeinden kommen sie wickeln. eher spärlich zum Einsatz. Widmungen größerer zusammenhängende Entwicklungsgebiete neh­ Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 32 WURM

Ein weiteres Kernproblem für die mangelnde Be­ bauten Grundstücken reduziert sich daher die baubarkeit von Grundstücken sind überlange bü- Miete bzw. es können bei gleichbleibenden rokratische Verfahren. Zwischen Widmung und Grund- und Aufschließungskosten mehr Woh­ Bebauungen vergehen (in Wien) in der Regeln 3–4 nungen errichtet werden. Jahre. In manchen Fällen werden moderierte Bür­ • Zum dritten: Um bei deutlich über den för­ gerbeteiligungsprozesse vorgesehen, die rd. ½ Jahr derbaren Angemessenheitsgrenzen liegenden in Anspruch nehmen. Im freifinanzierten Wohn­ Grundstückskosten dennoch im Förderregime bau beträgt die Zeitspanne dagegen nur 1 ½ Jahre. zu bleiben, „helfen“ sich die GBV mit der zu- Es wundert nicht, dass immer mehr Bauträger die sätzlichen Errichtung von freifinanziertem überbordenden und zeitraubenden baubehörd­ Wohnungseigentum und der Zuweisung von lichen Auflagen des geförderten Wohnbaus um­ höheren Grundkostenanteile auf diese Ob­ gehen und in den freifinanzierten Wohnbau oh­ jekte. Dadurch können auch weiterhin kosten­ ne Limits von angemessenen Grundstückskosten günstige geförderte Mietwohnungen errichtet „ausweichen“. Erfreulich und vielversprechend werden. ist, dass jüngste Reformschritte auf Wiener Ebe­ ne auf eine nachhaltige Verkürzung der Bau- und Widmungsverfahren abzielen. Baulandmobilisierungspaket Zu Verzögerungen kommt es auch durch Bürger­ initiativen. Medial nachhaltig artikulierte Anrainer­ Diese Maßnahmen tragen zwar zur Linderung interessen sind ernst zu nehmen, die Wohnversor­ der hohen Grundkosten bei, zur wirksamen gung der wohnungssuchenden Bevölkerung aber Mobilisierung von Grundstücken zu leistbaren mindestens ebenso. Die Wohnungspolitik wird Preisen und Eindämmung der Preissteigerungen sich letztlich entscheiden müssen, wem sie mehr müssen allerdings andere Instrumente Anwen- Gehör verleiht: Vertretern von Individualrechten dung finden. Und hier ist die öffentliche Hand ge­ oder dem Gemeinwohlinteresse. fordert, sind auch unbequeme Entscheidungen der Politik gefragt.

Das Rad müsste nicht neu erfunden werden. Zahl­ Ansätze der Gemeinnützigen reiche baulandmobilisierende Instrumente exi­ stieren bereits in den Bundesländern. Widmungs­ Gegen die hohen Grundstückskosten in den Städ­ kategorien oder Vorbehaltsflächen für geförderten ten versuchen die Gemeinnützigen auf mehrerlei Wohnbau sind vielerorts in den Raumordnungs­ Wege gegenzusteuern: gesetzen der Länder bereits verankert. Mit der Vertragsraumordnung steht den Gemeinden ein • Zum einen haben sie ihren Eigenmittelein­satz wirksames Instrument via privatwirtschaftliche zur Finanzierung der Grundstückskosten in Verträge mit den Grundstückseigentümern zur den letzten Jahren deutlich erhöht. Dadurch, Verfügung. Allein diese Maßnahmen finden aus dass die GBV die Grundstücke zu einem Gut­ kompetenzrechtlichen Bedenken bislang keine teil mit Eigenkapital finanzieren, ist es gelun­ flächendeckende Anwendung. gen, den Anteil des Finanzierungsbeitrages der Mieter an den Grundkosten spürbar zu senken Zur rechtlich „wasserdichten“ und damit auch ver­ und zusätzliche Belastungen durch die den stärkten Anwendung von baulandmobilisierenden Schwankungen des Kapitalmarktes unterlie­ Instrumenten in den Ländern und Gemeinden genden – andernfalls aufzunehmende – Bank­ ist daher zu allererst eine verfassungsrechtliche darlehen zu vermeiden. Klarstellung gem. Art. 11 Abs. 1 Z 3 B-VG erfor- derlich. Das heißt, dass Maßnahmen zur Grund­ • Zum zweiten zeigt sich, dass die GBV die hohen stücksbeschaffung wie jene der Wohnbauförde­ Grundkosten mit einer kompakteren Bauweise rung in die Gesetzgebungs- und Vollziehungs­ bzw. größeren Dichte begegnen. Das lässt sich kompetenz der Länder fallen sollten. Auf Basis vor allem in Ländern (Wien, Salzburg, Tirol) mit dieser gesicherten rechtlichen Grundlage sollten dem höchsten Preisniveau veranschaulichen. weitere Maßnahmen Einsatz finden: Kann ein Grundstück dichter verbaut werden, entfallen auf jeden m²-Wohnnutzfläche gerin­ • Umsetzung des im Regierungsprogramms ver­ gere Anteile an Grundkosten. Bei dichter ver­ ankerten Vorhabens, Grundstücksflächen der SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement WOHNBAU-HERAUSFORDERUNG NR. 1: MANGELNDE BAULANDVERFÜGBARKEIT UND HOHE GRUNDSTÜCKSPREISE 33

öffentlichen Hand für den geförderten Wohn- bau zu reservieren, • Forcierung von Vertragsraumordnungsmaß- nahmen in den Kommunen, • in Kombination mit einer auf die Kriterien der Wohnbauförderungsrichtlinien verweisenden Widmungskategorie „förderbarer Wohnbau“, • Einführung und auch Sicherstellung von im Gemeinbedarf liegenden Vorbehaltsflächen für den förderbaren Wohnbau in den Raum­ ordnungsgesetzen der Länder, • Rückwidmung von länger als 10 Jahren unbe­ bauten Grundstücken, • verstärkter Einsatz von Baurechtsmodellen.

Jedenfalls begleitet sollte die Debatte über die Grundstücksfrage von einer grundsätzlichen Ab­ wägung werden: Angesichts der Bodenknappheit und der spekulativen Hortung von Bauland gilt es in eine Diskussion über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu treten. Steht das Eigentum über ge­ meinwohlverpflichtende Daseinsvorsorgeleistun­ gen wie dem gemeinnützigen Wohnungsbau oder sind Eingriffe in das Eigentumsrecht zugunsten der Wohnversorgung zulässig. Manche Länder handhaben diese Interessenabwägung in ihrer Rechtsordnung in einem ausbalancierteren Ver­ hältnis wie hierzulande – zum Beispiel Deutsch­ land oder insbesondere Bayern. In der bayrischen Verfassung heißt es in Art. 103, Abs. 2: „Eigen- tumsordnung und Eigentumsgebrauch haben auch dem Gemeinwohl zu dienen“. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 34 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement 35

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 SIR-Mitteilungen Flächenmanagement als In­ strument zur Baulandmobili­ sierung, Innenentwicklung und Flächensparen in Bayern Claus Hensold Bayerisches Landesamt für Umwelt Area management as a tool for mobilising buil­ Bürgermeister-Ulrich-Str. 160 D-86179 Augsburg ding land, inner development and economising [email protected] land in

Zusammenfassung

Der Freistaat Bayern unterstützt seit 2001 mit Modellprojekten, Broschüren, Hilfsmitteln und intensiver Öffentlichkeitsarbeit die Einführung und Umset- zung eines Flächenmanagements zur flächensparenden Siedlungsentwicklung der Städte und Gemeinden. Die Methodik des Flächenmanagements ist in der Praxis vielfach erprobt und zeigt umfangreiche Innenentwicklungspotenziale in vielen Kommunen. Die große Herausforderung bleibt die Aktivierung dieser Potenziale. Diese erfordert neben innovativen Herangehensweisen ein hohes Engagement von Bürgermeister und Verwaltung in den Kommunen und einen langen Atem für die Umsetzung. Die Vorteile der Innenentwicklung müssen in- tensiv beworben werden. Das 2003 gegründete „Bündnis zum Flächensparen“ vernetzt hierzu in Bayern die Aktivitäten von 53 Partnern, die sich in ihrem Wir- kungskreis für eine flächensparende Siedlungsentwicklung einsetzen.

Abstract

Since 2011, the Free State of Bavaria promotes the introduction and implemen- tation of a floor-space management for a land-saving settlement development of the cities and municipalities by model projects, brochures, auxiliary means and intense publicity. The methodology of the floor-space development has been multiply approved in practice and displays comprehensive potentials for inner development in many municipalities. It is the activation of these poten- tials that remains the great challenge. In addition to an innovative approach, it requires a high level of commitment of the mayor and the administration department in the municipalities and perseverance in its implementation. The advantages of an inner development have to be advertised intensively. For this purpose, the “confederation for economising land” that was founded in 2003, links the activities of 53 associates that advocate land-saving settlement develop­ment in their sphere of influence. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 36 HENSOLD

1. Grundlagen für die flächensparende durchschnittlich 30 Hektar pro Tag reduzieren.2 Siedlungsentwicklung in Bayern und Aktuell liegt der Wert bei 69 Hektar pro Tag3. Um- Deutschland gerechnet auf Bayern würde das 30-Hektar-Ziel des Bundes einen Flächenverbrauch von rund 5 Gesetzliche Grundlagen für eine flächensparende Hektar pro Tag bedeuten4. Siedlungsentwicklung sind in Deutschland vor- handen. Als Grundlage für die Bauleitplanung In der Bayerischen Nachhaltigkeitsstrategie ist (Flächennutzungspläne [Flächenwidmung] und hierzu festgeschrieben, dass der Flächenverbrauch konkretisierende Bebauungspläne für Teilgebiete) deutlich reduziert werden soll. Langfristig ist eine der Städte und Gemeinden fordert das Bundes- Flächenkreislaufwirtschaft ohne weiteren Flä- Baugesetzbuch1 bereits einleitend in § 1, Absatz 5: chenneuverbrauch anzustreben. Dazu soll so weit „Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche wie möglich die erneute Nutzung vorhandener Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und um- Flächen (Brachflächen, Baulücken, bereits genutzte weltschützenden Anforderungen auch in Verantwor- Flächen) im Sinne eines Flächenrecyclings erfolgen. tung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Die Inanspruchnahme von land- und forstwirt- Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit schaftlich nutzbaren Böden soll auf das unbedingt dienende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten. notwendige Maß begrenzt werden, insbesondere Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Um- hochwertige Böden sollen für die Landwirtschaft welt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten werden5. schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtent- Auch das Bayerische Landesentwicklungspro- wicklung, zu fördern, sowie die städtebauliche Gestalt gramm (LEP)6 aus dem Jahr 2013 enthält Rege- und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu er- lungen für eine flächensparende Siedlungsent- halten und zu entwickeln. Hierzu soll die städtebauliche wicklung. Im Kapitel Siedlungsstruktur werden Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innen- zu den Gliederungspunkten „Flächensparen“, entwicklung erfolgen.“ „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ und „Vermeidung von Zersiedelung“ Ziele und Grund- § 1a (Ergänzende Vorschriften zum Umweltschutz) sätze festgelegt. ergänzt in Satz 2: „Mit Grund und Boden soll spar- sam und schonend umgegangen werden; dabei sind zur • Die Ausweisung von Bauflächen soll an einer Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von nachhaltigen Siedlungsentwicklung unter be- Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der sonderer Berücksichtigung des demographi- Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wieder- schen Wandels und seiner Folgen ausgerichtet nutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und werden (Grundsatz). andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß • Flächensparende Siedlungs- und Erschlie- zu begrenzen. Landwirtschaftlich, als Wald oder für ßungsformen sollen unter Berücksichtigung Wohnzwecke genutzte Flächen sollen nur im notwen- der ortsspezifischen Gegebenheiten angewen- digen Umfang umgenutzt werden. Die Grundsätze det werden (Grundsatz). nach den Sätzen 1 und 2 sind in der Abwägung […] zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit der Umwandlung • In den Siedlungsgebieten sind die vorhandenen landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen soll Potenziale der Innenentwicklung möglichst begründet werden; dabei sollen Ermittlungen zu den vorrangig zu nutzen. Ausnahmen sind zuläs- Möglichkeiten der Innenentwicklung zugrunde gelegt werden, zu denen insbesondere Brachflächen, Gebäu- 2 deleerstand, Baulücken und andere Nachverdichtungs- www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/Nachhal- möglichkeiten zählen können.“ tigkeit-wiederhergestellt/perspektiven-fuer-deutschland- langfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=3 3 www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbe- Ergänzt werden die Vorgaben zum Flächenspa- reiche/LandForstwirtschaftFischerei/Flaechennutzung/ Flaechennut­zungAktuell.html ren durch Ziele in den Nachhaltigkeitsstrategien 4 des Bundes und des Freistaats Bayern. Der Bund Umweltbundesamt (2012): Projekt FORUM: Handel mit Flä- chenzertifikaten; UBA-Texte 60/2012 will bis zum Jahr 2020 die Inanspruchnahme neu- 5 www.bestellen.bayern.de/shoplink/stmug_nachhaltig- er Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke auf keit_002.htm 6 www.landesentwicklung-bayern.de/fileadmin/user_upload/ landesentwicklung/Bilder/Instrumente/Landesentwick- 1 www.gesetze-im-internet.de/bbaug lungsprogramm_Bayern.pdf SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement FLÄCHENMANAGEMENT ALS INSTRUMENT ZUR BAULANDMOBILISIERUNG, INNENENTWICKLUNG UND FLÄCHENSPAREN IN BAYERN 37

sig, wenn Potenziale der Innenentwicklung mehr wie früher zur Siedlungs- und Verkehrsflä- nicht zur Verfügung stehen (Ziel). che gerechnet werden. Diese werden erst nach ih- rer Bebauung in der Siedlungs- und Verkehrsfläche • Eine Zersiedelung der Landschaft und eine­ statistisch erfasst. Ein tatsächlicher Rückgang des ungegliederte, insbesondere bandartige Sied- Flächenverbrauchs in Bayern lässt sich aus den ak- lungsstruktur sollen vermieden werden tuellen Zahlen nicht ableiten. (Grundsatz). Weiter wird in Bayern jährlich der sogenannte • Neue Siedlungsflächen sind möglichst in An- Flächenverbrauchsbericht im Internet veröf- bindung an geeignete Siedlungseinheiten aus- fentlicht8. Dieser enthält ergänzende Indikatoren zuweisen. […] (Ziel). (Unterkategorien der Siedlungs- und Verkehrs- fläche) sowie einen einwohnernormierten Wert Die Ziele des LEP sind bereits abschließend ab- für den Flächenverbrauch. Angebunden an den gewogene verbindliche Vorgaben, während die bayerischen Statistik-Atlas im Internet wird eine Grundsätze nur allgemeine Aussagen als Vorgaben regionalisierte Abfrage und Visualisierung auf Re- für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessens­ gierungsbezirks-, Landkreis- und Gemeindeebene entscheidungen sind. Insbesondere die Ziele des ermöglicht. LEP sind damit eine wichtige Grundlage bei der Erstellung flächensparender Flächennutzungs- pläne. 3. Stand der Siedlungsentwicklung in Bayern­ Bayern weist aufgrund seiner späten Industriali- 2. Indikatoren zum Flächenverbrauch sierung im Vergleich zu anderen Bundesländern Zum Monitoring des Flächenverbrauchs werden in Deutschland eine relativ geringe Siedlungs- in Deutschland und den Bundesländern die beiden und Verkehrsfläche auf. Aktuell sind 11,8 Prozent Indikatoren „Anteil der Siedlungs- und Verkehrs- der Landesfläche Siedlungs- und Verkehrsflächen fläche an der Gesamtfläche“ sowie der „Flächen- (Bundesdurchschnitt 13,7 Prozent – Stand 2014). verbrauch“ herangezogen. Der Flächenverbrauch Nach einer satellitengestützten Untersuchung des ergibt sich durch die Zunahme der Siedlungs- und Versiegelungsgrads sind in Bayern 47,2 Prozent Verkehrsfläche innerhalb eines Jahres, der in Hektar der Siedlungs- und Verkehrsflächen versiegelt9. pro Tag angegeben wird. Die Siedlungs- und Ver- Bayern hat 2.056 Städte und Gemeinden, von de- kehrsfläche beinhaltet anthropogene Nutzungen nen 80 Prozent im ländlichen Raum liegen. Dabei und kann auf die Unterkategorien “Gebäude- und haben 75 Prozent der Gemeinden weniger als 5.000 (zugehörige) Freifläche“, „Verkehrsfläche“, „Er- und 50 Prozent weniger als 3.000 Einwohner. Auch holungsfläche“ (Grünflächen, Sportanlagen, Cam- die Bevölkerungsentwicklung zeigt ein ungleiches pingplätze und Kleingärten), „Betriebsfläche“ (für Bild. Vor allem im Norden und Osten Bayerns Gewerbe oder öffentliche Zwecke) sowie „Fried- zeigt sich ein bereits seit Jahren andauernder Be- höfe“ aufgeteilt werden. Die beiden Indikatoren völkerungsrückgang, der kleinräumig aber auch werden durch die amtliche Statistik seit 1980 bun- in allen anderen peripher gelegenen Regionen Ba- desweit erhoben und können so auch für Vergleiche yerns erkennbar ist. Das Siedlungsflächenwachs- der Bundesländer herangezogen werden. Durch tum orientiert sich aber nicht nur an der Bevölke- ein neues Kataster-Informationssystem (ALKIS), rungsentwicklung. Insbesondere die Konkurrenz das bundesweit in den letzten Jahren eingeführt der Städte und Gemeinden um Einwohner und wurde, ergeben sich erfassungstechnische Verbes- Gewerbe führt dazu, dass auch in Regionen mit Be- serungen, aber auch eine erschwerte Vergleichbar- völkerungsrückgang die Siedlungsflächen weiter keit zu den Daten vor der Umstellung. So hat der wachsen. Nach Berechnungen des für die Raum- Flächenverbrauch in Bayern, der im Jahr 2013 noch ordnung zuständigen Landesentwicklungsmini- 18,1 Hektar pro Tag betrug, sich auf 10,8 Hektar steriums findet rund 50 Prozent des Flächenver- pro Tag im Jahr 2014 verändert7. Ein Hauptgrund brauchs im Grenzland und überwiegend struk- hierfür ist dem Umstand geschuldet, dass entspre- turschwachen Regionen statt, weitere 30 Prozent chend der tatsächlichen Nutzung in ALKIS unbe- baute Flächen mit vorhandenem Baurecht nicht 8 www.stmuv.bayern.de/themen/boden/flaechensparen/ver- brauchsbericht.htm 9 www.lfu.bayern.de/umweltkommunal/flaechenmanage- 7 www.statistik.bayern.de/presse/archiv/2015/261_2015.php ment/versiegelung/index.htm Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 38 HENSOLD

in sonstigen ländlichen Regionen. Nur gut 20 mit bereits bestehendem Baurecht (Innenent- Prozent des Flächenverbrauchs wird in Regionen wicklungspotenziale). Zu den Innenentwick- mit großen Verdichtungsräumen generiert. Auf- lungspotenzialen gehören Baulücken, gewerbliche lösen lässt sich dieser scheinbare Wiederspruch Brachflächen, Konversionsflächen, leerstehende durch die Tatsache, dass in den Verdichtungsräu- Wohngebäude, Althofstellen und die Nachver- men durch Flächenknappheit und hohe Grund- dichtung. Das Flächenrecycling ist somit Bestand- stückspreise generell flächensparend und verdich- teil des Flächenmanagements. Falls Innenentwick- tet gebaut wird. In den ländlichen Regionen sind lungspotenziale nachgewiesen nicht für die Sied- Flächen jedoch aufgrund niedriger Grundstücks- lungsentwicklung ausreichen, kommt als weiterer preise leicht verfügbar und werden vor allem für Baustein des Flächenmanagements das flächen- eingeschossige Bauten genutzt. sparende Bauen hinzu. Ziel ist eine möglichst flä- chendeckende Anwendung des Flächenmanage- Will man den Flächenverbrauch in Bayern wir- ments in den bayerischen Städten und Gemeinden. kungsvoll reduzieren, so muss man vor allem die Siedlungsentwicklung in kleinen ländlichen Bereits ab dem Jahr 2001 hat das Bayerische Lan- Städten und Gemeinden – und hier vor allem desamt für Umwelt (LfU) in mehreren Modellpro- den Bau von Einfamilienhäusern am Ortsrand – jekten die Methodik zur Erfassung von Innenent- in den Fokus rücken. Insbesondere im ländlichen wicklungspotenzialen und die systematische Klä- Raum bestehen große Potenziale für die Innenent- rung der Verkaufsbereitschaft der Eigentümer von wicklung. Baulücken (Grundstücke mit Baurecht) Baulücken und Leerständen erfolgreich erprobt und Leerstände bei landwirtschaftlichen Hof- und in Arbeitshilfen dokumentiert. In den Mo- stellen sind in fast allen ländlichen Gemeinden in dellprojekten wurde insbesondere die Situation in großer Anzahl vorhanden. Eine Untersuchung im kleinen Gemeinden berücksichtigt, weiter wurden Auftrag des Bundes schätzt aufgrund einer reprä- auch die Möglichkeiten der interkommunalen Ko- sentativen Stichprobe die in Deutschland vorhan- operation beim Flächenmanagement erprobt. denen Innenentwicklungspotenziale auf rund 20 Quadratmeter pro Einwohner bzw. 165.000 Hek- Allen Projekten war gemeinsam, dass die vorhan- tar. Nach Einschätzung der Autoren ist auf Basis denen Innenentwicklungspotenziale auch von den von Ergebnissen regionaler Studien eine weitere lokalen Experten deutlich unterschätzt wurden Verdopplung des vorhandenen Innenentwick- und dass bei einer systematischen Klärung der lungspotenzials nicht auszuschließen10. Dies deckt Verkaufsbereitschaft durchaus kurzfristig aktivier- sich auch mit den Erfahrungen bayerischer Kom- bare Innenentwicklungspotenziale identifiziert munen, die ein Flächenmanagement betreiben. werden konnten. Bei der meist hohen Anzahl von Baulücken und Leerständen in den Kommunen kann auch eine geringe Verkaufsbereitschaft von 4. Umsetzung einer flächensparenden 5 bis 10 Prozent durchaus die Größenordnung eines Neubaugebiets erreichen. Siedlungsentwicklung in Bayern Bei der Aktivierung von Innenentwicklungs- Leitlinie der Bayerischen Staatsregierung ist es, die potenzialen haben die Städte und Gemeinden Städte und Gemeinden bei einer flächensparenden ein breites Maßnahmenspektrum zur Ver- Siedlungsentwicklung zu unterstützen. Hierfür fügung, das individuell auf die lokale Situati- stellt sie kostenlose Hilfsinstrumente zur Verfü- on angepasst oder auch ergänzt werden kann. gung und betreibt eine intensive Bewusstseins- Regelmäßig präsentieren Städte und Gemeinden bildung insbesondere bei kommunalen Entschei- die zum Verkauf stehenden Immobilien mit Zu- dungsträgern und Bediensteten. stimmung der Eigentümer in eigenen Interne- tauftritten. Darüber hinaus bieten die Gemeinden 4.1. Flächenmanagement oftmals z. B. einen kommunalen Ansprechpartner für die Innenentwicklung, eine kostenlose Archi- Das Flächenmanagement beinhaltet die systema- tektenberatung, Unterstützung bei Abriss und Ent- tische Erfassung und Aktivierung von Flächen sorgung oder ein eigenes Förderprogramm für die Wiedernutzung von Leerständen. Besonders er- 10 Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, 2013: folgversprechend sind umfassende Maßnahmen- Innenentwicklungspotenziale in Deutschland – Ergebnisse bündel, die mit einer intensiven Öffentlichkeitsar- einer bundesweiten Umfrage und Möglichkeiten einer auto- matisierten Abschätzung. – Bonn. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement FLÄCHENMANAGEMENT ALS INSTRUMENT ZUR BAULANDMOBILISIERUNG, INNENENTWICKLUNG UND FLÄCHENSPAREN IN BAYERN 39 beit und hoher Motivation bei den örtlich Verant- getauscht beziehungsweise in einen Gesamtdaten­ wortlichen einhergehen. bestand integriert werden.

4.1.1. Flächenmanagement-Datenbank Mehrere Anbieter kommunaler GIS-Software ha- ben die Funktionalitäten der FMD in ihre GIS-Soft- Im Jahr 2009 wurde die Flächenmanagement- ware integriert. Hierdurch können auch Gemein- Datenbank (FMD) des LfU den Kommunen in den mit vorhandenem GIS innerhalb der bereits Bayern kostenlos zur Verfügung gestellt11. Aus- vorhandenen Software bei identischer Methodik gangslage war, dass insbesondere in kleinen Kom- das Flächenmanagement betreiben. Durch die munen geringe personelle Kapazitäten, wenige Fi- Schnittstelle ist auch hier der Datenaustausch bei nanzmitteln und oftmals auch kein geografisches interkommunaler Zusammenarbeit gewährleistet. Informationssystem vorhanden sind. Weiter hat sich gezeigt, dass trotz einer langjährig erfolgreich Die FMD hat drei Hauptmodule und ein Ergän- erprobten Methodik für das Flächenmanagement zungsmodul. Die Hauptmodule ermöglichen die und einer intensiven Auf- bereitung und Bewer- bung dieser Ergebnisse, der Aufwand für die Durchführung des Flä- chenmanagements von den Kommunen oftmals übertrieben hoch ein- geschätzt wurde. Auch gute beispielhafte Umset- zungsergebnisse konnten daran nichts ändern.

Mit der Entwicklung der FMD sollte den Städ- ten und Gemeinden ein Werkzeug für die Um- setzung des Flächenma- nagements an die Hand gegeben werden, das weitgehend selbst erklä- Abb. 1: Startmaske der Flächenmanagement-Datenbank rend, klar strukturiert Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt 2016 und benutzerfreundlich ist. Aufgrund der dezen- tralen Datenhaltung verbleibt die Datenhoheit bei Erfassung der Innenentwicklungspotenziale, den Kommunen. die Klärung der Verkaufsbereitschaft sowie die Erstellung von Steckbriefen für zum Verkauf ste- Die FMD ist modular aufgebaut und zeichnet da- hende Immobilien. Ein Ergänzungsmodul ermög- bei die Arbeitsschritte des Flächenmanagements, licht die Berechnung des Wohnbaulandbedarfs. wie in der bayerischen Arbeitshilfe „Kommu- Die FMD steht auch in Hessen (seit 2012) und Nie- nales Flächenmanagement“12 dargelegt, nach. Sie derösterreich (seit 2016) in adaptierten Versionen kann sowohl in einzelnen Kommunen, als auch für zur Verfügung. mehrere Kommunen verwendet werden. Durch eine öffentliche Schnittstelle mit Import- und Ex- 4.1.2. FolgekostenSchätzer portfunktionen können die Daten auch bei größe- ren interkommunalen Zusammenschlüssen aus- Ein ergänzendes Instrument für Kommunen bei der Diskussion um das Für und Wider neuer Baugebiete ist der FolgekostenSchätzer13. Dieses 11 www.lfu.bayern.de/umweltkommunal/flaechenmanage- ebenfalls kostenlos angebotene EDV-Programm ment/fmdb/index.htm 12 www.bestellen.bayern.de/shoplink/stmug_flaeche_00001. 13 www.stmuv.bayern.de/themen/boden/flaechensparen/folge- htm kosten_schaetzer.htm Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 40 HENSOLD

kann bereits in einem frühen Planungsstadium die wachsendem Wohlstand, erhöhten Steuereinnah- Infrastruktur-Folgekosten für die technische Infra- men und mehr Arbeitsplätzen positiv assoziiert. struktur und Grünflächen in Neubaugebieten ab- Der Nutzen unbebauter Böden für die Ökosysteme schätzen. und ihre Leistungen für die Allgemeinheit blei- ben jedoch abstrakt und in der Regel nachrangig Der FolgekostenSchätzer wurde im Rahmen des gegenüber ökonomischen Aspekten. Die Mög- Bundes-Forschungsprogramms REFINA14 erstellt. lichkeiten und Chancen der Innenentwicklung als Im Jahr 2011 wurde er in Bayern durch ein Modell- Alternative zur klassischen Außenentwicklung projekt in der kommunalen Praxis ausführlich ge- werden nicht intensiv genug genutzt. Die Liste der testet, nachfolgend zur Version 4 weiterentwickelt Einflussfaktoren auf den Flächenverbrauch ist lang und zusammen mit einer Begleitbroschüre15 veröf- und kommt aus allen Bereichen von Gesellschaft, fentlicht. Mit dem einfach zu bedienenden Folge- Wirtschaft und Finanzen. Deshalb ist die Redu- kostenSchätzer können zwei Kostenszenarien für zierung der Flächeninanspruchnahme eine ge- eine Wohngebietsplanung abgeschätzt werden: samtgesellschaftliche Aufgabe. Nicht nur Städte Zum einen werden bei einem Flächenvergleich die und Gemeinden – alle gesellschaftlichen Akteure, Kosten alternativer Standorte verglichen, zum an- insbesondere die Bürger, haben durch ihre Aktivi- deren können für eine Fläche mehrere Planungsva- täten Einfluss auf den Flächenverbrauch. rianten untersucht werden.

Abb. 2: Startmaske des FolgekostenSchätzers Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt 2016

4.2. Bewusstseinsbildung 4.2.1. Das Bündnis zum Flächensparen

Aufgrund des jahrzehntelangen Wachstums in In Bayern wurde im Jahr 2003 das „Bündnis zum der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ha- Flächensparen“ gegründet16. Die Partner des ben sich in Gesellschaft und Politik Handlungs- Bündnisses setzen sich für eine deutliche Reduzie- weisen verfestigt, die heute kontraproduktiv zu rung des Flächenverbrauchs in Bayern im Sinne einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung wirken. einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung ein, be- Das flächige Wachstum durch Neubaugebiete und kennen sich zu einem schonenden und flächenspa- Verkehrswege wurde und wird allgemein mit renden Umgang mit Böden, unterstützen auf allen

14 www.refina-info.de 16 www.bestellen.bayern.de/shoplink/stmuv_flaechenspa- 15 www.bestellen.bayern.de/shoplink/03500147.htm ren_0001.htm SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement FLÄCHENMANAGEMENT ALS INSTRUMENT ZUR BAULANDMOBILISIERUNG, INNENENTWICKLUNG UND FLÄCHENSPAREN IN BAYERN 41

Ebenen die Bemühungen für eine flächensparende schaftliche Erkenntnisse und gelungene kommu- Nutzung und eine möglichst geringe Versiegelung nale Praxisbeispiele berichtet. Die Veranstaltungs- von Böden und fördern in ihrem Einflussbereich orte wechseln, so dass das Flächenspar-Forum das Bewusstsein für den Bodenschutz. im Laufe der Jahre in allen bayerischen Regionen stattfinden wird. Es bietet Kommunalvertretern, Zu den mittlerweile 53 Partnern gehören die Planern und Behördenmitarbeitern und allen an- kommunalen Spitzenverbände, Umweltverbän- deren Interessenten Information, Diskussion und de, Kirchen, Universitäten, Architekten und wei- Erfahrungsaustausch zum Flächenmanagement tere Akteure, für die der Schutz unseres Bodens und zur Innenentwicklung. eine hohe Priorität hat. Das Bündnis vernetzt die Aktivitäten zum Flächensparen und ergreift ei- gene Maßnahmen insbesondere im Bereich der 5. Ausblick Bewusstseinsbildung.­

Das Bündnis verfügt unter www.flaechensparen. Die Methodik des Flächenmanagements ist aus- bayern.de einen eigenen Internetauftritt. Neben gereift und praxiserprobt. Die Anzahl der Städte den verschiedenen Bündnis-Aktivitäten wird dort und Gemeinden, die sich intensiv mit Flächenma- auch eine Best-Practice-Sammlung präsentiert. nagement und Innenentwicklung auseinanderset- Das Bündnis betreibt mit Hilfe seiner Partner eine zen wächst kontinuierlich an. Insbesondere die breite Bewusstseinsbildung, z. B. über die Schulen Integration der Flächenmanagement-Datenbank für Dorf- und Landentwicklung, die Bayerische in den sogenannten Vitalitäts-Check19 der Länd- Verwaltungsschule, das Bayerische Selbstverwal- lichen Entwicklung (Analyseinstrument zur tungskolleg oder Fachveranstaltungen der Bünd- Innenentwicklung für Dörfer und Gemeinden) nispartner. bringt eine künftig umfassendere Anwendung in den Verfahren der Dorferneuerung und Länd- 4.2.2. Flächenspar-Ausstellung lichen Entwicklung. Kommunen, die sich intensiv mit dem Flächenmanagement beschäftigen, kön- Die Ausstellung „Wie wohnen? Wo leben? Flä- nen auch in Regionen mit Bevölkerungsverlusten chen sparen – Qualität gewinnen“ wurde im Auf- eine überdurchschnittlich positive Innenentwick- trag des Bayerischen Umweltministeriums vom lung erzielen. Bund Naturschutz in Bayern e .V. in Kooperation mit der Bayerischen Architektenkammer und der Als künftig verstärkt zu beachtendes Handlungs- Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landes- feld haben sich ältere Einfamilienhausgebiete planung e.V., die allesamt Bündnispartner sind, erwiesen. Insbesondere in Räumen mit geringer erstellt. Ziel der Ausstellung ist es, in der Öffent- Immobiliennachfrage kann es auch hier künftig lichkeit und insbesondere bei Umzugswilligen verstärkt zu Leerständen und Immobilienwertver- und Wohnungssuchenden für die Qualität von lusten kommen. Mit einem Modellprojekt „Revi- Wohnstandorten in Zentrumsnähe und quali- talisierung von Einfamilienhausgebieten der 50er tätvolle Alternativen zum Neubau auf der grünen bis 70er Jahre“20 haben vier Ministerien (Umwelt, Wiese zu werben. Die Ausstellung ist seit 2006 im Innen, Landwirtschaft, Soziales) in Bayern Hand- Einsatz und war in allen bayerischen Landkreisen lungsansätze erprobt, die dieser Entwicklung ent- sowie im In- und Ausland an bisher über 125 Orten gegenwirken sollen. zu sehen17. Leider haben die bisherigen Maßnahmen trotz 4.2.3. Bayerisches Flächenspar-Forum aller Erfolge bis heute nicht zu der in der Baye- rischen Nachhaltigkeitsstrategie geforderten Seit 2007 veranstalten das Bayerische Umweltmi- „deutlichen Reduzierung“ des Flächenverbrauchs nisterium und das Bayerische Innenministerium geführt. Um die auch aus Umweltgesichtspunk- alle zwei Jahre im Rahmen des „Bündnis zum ten wünschenswerte flächendeckende Umset- Flächensparen“ das Flächenspar-Forum18. In ihm zung des Flächenmanagements zu erreichen, wird über aktuelle Entwicklungen, neue wissen- wäre eine verpflichtende Erfassung der Innen-

17 www.lfu.bayern.de/veranstaltungen/leihausstellungen/aus- 19 www.stmelf.bayern.de/landentwicklung/dokumentati- stellung_wie_wohnen.htm onen/059178/index.php 18 www.stmuv.bayern.de/themen/boden/flaechensparen/fo- 20 www.stmuv.bayern.de/themen/boden/flaechensparen/einfa- rum.htm milienhaeuser.htm Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 42 HENSOLD

entwicklungspotenziale oder zumindest eine konsequentere Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Innenentwicklung durch die Genehmigungsbehörden der Flächen- nutzungspläne erforderlich.

LITERATUR

Bayerisches Landesamt für Umwelt, 2007: Satellitenge- stützte Erfassung der Bodenversiegelung in Bayern. – Augsburg Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, Bayerisches Staatsministerium des Innern, 2009: Arbeits- hilfe „Kommunales Flächenmanagement“. – München Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Baden-Württemberg, 2010: Kleine Lücken - Große Wir- kung. Baulücken, das unterschätzte Innenentwicklungs- potenzial. – München, Karlsruhe Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbrau- cherschutz, 2013: 10 Jahre Bündnis zum Flächensparen in Bayern. – München Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbrau- cherschutz, Oberste Baubehörde im Bayerischen Staats- ministerium des Innern, für Bau und Verkehr, 2014: Fol- gekosten von Wohnbaugebieten. – München Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Ver- braucherschutz, Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr, Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Land- wirtschaft und Forsten, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, 2015: Ältere Einfamilienhausgebiete – fit für die Zukunft ! – München Baulandmobilisierung und Flächenmanagement 43

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 SIR-Mitteilungen Planungsgrundlagen für ein grenzübergreifendes Flächenmanagement im Raum Salzburg Mag. Wolfgang Spitzer Research Studios Austria Forschungs­ Planning information for a cross-border land gesellschaft mbH – Studio iSPACE Schillerstraße 25, Stiege Nord ­management in the area of Salzburg A-5020 Salzburg [email protected]

Zusammenfassung

Vorausschauendes, nachhaltiges Flächenmanagement braucht planerisch be- lastbare Datengrundlagen, um Maßnahmen der Flächenmobilisierung wirksam überprüfen und einsetzen zu können. Der vorliegende Beitrag zeigt u.a. anhand der Ergebnisse des Interreg IV A Projektes „Grenzübergreifendes Flächenma- nagement“ einen GIS-gestützten Ansatz zur parzellenscharfen Lokalisierung und Quantifizierung der vorhandenen Wohnbaulandreserve im Widmungsbe- Dr. Thomas Prinz stand. Die planerische Verwertungsmöglichkeit wird anhand des Einbezugs der Research Studios Austria Forschungs­ infrastrukturellen Lagequalität (u.a. Öffentlicher Verkehr / Nahversorgung) und gesellschaft mbH – Studio iSPACE der voraussichtlichen Nachfrage nach Wohnbauland skizziert. Dadurch lassen Schillerstraße 25, Stiege Nord A-5020 Salzburg sich Steuerungsinstrumente der Baulandmobilisierung für Planung und Politik [email protected] entwickeln und evaluieren. ispace.researchstudio.at

Abstract

In order to be able to effectively implement and evaluate actions on supply of residential land standardized and comparable planning information is required for forward-looking sustainable land management. The following article pre- sents a GIS-based method for the detection and quantification of zoned but unused reserves for residential use on a parcel-scale mainly based on the results of the Interreg I A project „Grenzübergreifendes Flächenmanagement“. The im- plementation in planning processes is outlined by combining the reserves with availability of infrastructures (public transport, daily requirements) and a fore- cast demand for residential building land. Thus different controlling actions can be developed and evaluated for planning and policy. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 44 SPITZER, PRINZ

1 Ausgangslage landschaftlichen Strukturen möglichst ressour- censchonend und nachhaltig nutzen zu können.

Die Verfüg- bzw. Bebaubarkeit von Flächen ist im Aus Abb. 1 wird die Schere zwischen Flächen- Alpenraum naturgemäß sehr begrenzt. Urbanisie- und Bevölkerungsentwicklung ersichtlich. Diese rung und räumliche Konzentrationsprozesse füh- beiden Entwicklungen haben sich in den letzten ren gebietsweise zu steigendem Siedlungsdruck. Jahrzehnten entkoppelt und werden sich ohne Kombiniert mit sich verändernden Lebensstilen Gegenmaßnahmen in Zukunft weiter auseinan- und erhöhten Wohnflächenansprüchen entsteht der entwickeln. Die Gemeinden der Masterplan- daraus gebietsweise hohe Flächenneuinanspruch- Kernregion haben von ca. 1981 bis 2011 einen nahme und damit verbunden Flächenkonkurrenz. Bevölkerungsanstieg von durchschnittlich ca. 13 % (Salzburger Seite) bis 15 % (Bayerische Sei- Eng damit verknüpft sind Landschaftszersiede- te) zu verzeichnen. In derselben Zeit stiegen die lung und -zerschneidung, die zu den großen He- Siedlungs- und Verkehrsflächen um 37,4 % für rausforderungen der Raumplanung zählen. Sie die bayerischen und um 88,9 % für die Salzburger haben weitreichende soziale/städtebauliche, öko- Gemeinden. Die Entwicklung der Siedlungs- und logische und ökonomische Konsequenzen: Neben Verkehrsfläche steift also gegenüber der Bevölke- dem Verlust von Artenvielfalt und landwirtschaft- rung überproportional stark an. Diese Entkoppe- lichen Produktionsflächen entstehen hohe Er- lung ist ein dynamischer Prozess, der v.a. in den schließungs- und Infrastrukturkosten, da eine dis- Jahren 1981 bis 2001 stark zugenommen hat. perse Siedlungsstruktur längere Wege für Ver- und Entsorgungsnetze mit sich bringt; auch für nicht ausgelastete Infra- strukturen fallen Kosten an. Am wenigsten davon betroffen sind Privatper- sonen/Hauseigentümer; sie müssen v.a. durch die öffentliche Hand ‒ Gemeinden, Länder und Bund ‒ getragen wer- den. Auch die räumliche Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit ist problematisch, da dies eine Zunahme des Zeit- aufwands und oftmals Abb. 1: Entkoppelung von Flächen- und Bevölkerungsentwicklung in der Master- unterschätzte Kosten plan-Kernregion (SuV = Siedlungs- und Verkehrsfläche; Ew = Einwohner) der täglichen Mobili- tät zusätzlich zu Verkehrs-, Erreichbarkeits- und Insbesondere auch in Zeiten deutlich zunehmender Mobilitätsproblemen mit sich bringt (vgl. BOCK, Verkehrsbelastungen und Stauzeiten gewinnt eine HINZEN & LIBBE 2011; BMLFUW 2011). kompakte und an den Infrastruktureinrichtungen orientierte Siedlungsentwicklung an Bedeutung. Gerade auch für die gren­zübergreifende Region Salzburg treffen viele dieser Gegebenheiten zu: Nachhaltiges Flächenmanagement zunehmender Siedlungsdruck; demographischer Wan- del; ansteigende Wohnnutzfläche pro Kopf; Trend zu Unter dem Schlagwort Flächenmanagement sam- kleineren Haushalten; hoher Anteil an Ein- und Zweifa- meln sich in der jüngeren Vergangenheit ‒ als Kon- milienhäusern; Zersiedelungstendenzen. Diese Situa- sequenz aus einstigen Fehlentwicklungen ‒ ver- tion macht einen zukünftigen sorgsamen Umgang schiedenste Instrumente, die einen nachhaltigen mit dem vorhandenen Bauland ‒ ein grenzüber- Umgang mit Flächen gewährleisten und den nega- greifendes Flächenmanagement ‒ unverzichtbar, tiven Erscheinungen der Flächeninanspruchnah- um die sozialen, ökologischen, baulichen und me steuernd entgegenwirken sollen. Ihr Haupt- SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement PLANUNGSGRUNDLAGEN FÜR EIN GRENZÜBERGREIFENDES FLÄCHENMANAGEMENT IM RAUM SALZBURG 45 augenmerk liegt i.d.R. auf der Förderung der Bedarfslage: Belastbare Datengrundlagen Innenentwicklung zugunsten einer kompakten Siedlungsentwicklung. Kompakte Siedlungsstruk- Für eine derart zukunftsorientierte Raum- und turen können hergestellt werden, indem un- oder Siedlungsentwicklung sind jedoch belastbare Da- untergenutzte Flächen in ihrer Nutzung optimiert ten- und Planungsgrundlagen sowie aussagekräf- werden. Dazu zählen Baulückenaktivierung, Sa- tige Indikatoren notwendig. Die Kenntnis der nierung, Umnutzung („Flächenrecycling“) sowie vorhandenen Baulandreserven, der Nachverdich- Nachverdichtung. tungsreserven und des zukünftigen Bedarfs spielt dabei eine zentrale Rolle. Geographische Informa- Nachhaltiges Flächenmanagement kann unter- tionssysteme (GIS) und räumliche Analysemodelle schiedlich ausgestaltet sein; einige wesentliche ermöglichen die Quantifizierung, wo bzw. wie viel Bausteine werden jedoch für ein Funktionieren als Entwicklungspotenzial für eine bauliche Nutzung notwendig erachtet (vgl. hierzu BOCK, HINZEN im Bestand vorhanden ist, ohne Neuausweisungen & LIBBE 2011). Den groben Ablauf dieser Kompo- von Bauland vorzunehmen. Sie können damit be- nenten illustriert Abb. 2: Die Grundlage stellt mit lastbare Informationen zur „Baulandreserve“ für A die Kenntnis aller verfügbaren Flächenpotenzi- Planer, Behörden und Kommunen liefern und eine ale dar, die erfasst und verwaltet werden müssen. Objektivierung und Vergleichbarkeit wesentlich Wesentlich ist dabei, dass der erforderliche Flä- unterstützen. Ihr Monitoring dient der Planung chenbedarf abgeschätzt und eine ‒ diesem entspre- und Politik zur Evaluierung von Instrumenten der chende ‒ Flächenmanagementstrategie entwickelt Baulandmobilisierung. wird. Bei der Maßnahmenumsetzung (B) werden Möglichkeiten geprüft, welche Flächenpotenziale mit welchen Mitteln zu mobilisieren sind. Dabei 2 Interreg IV A Projekt „Grenzübergreifen- können naturgemäß Flächen auch ohne Nachnut- des Flächenmanagement“ zung bleiben und aus dem Prozess ausscheiden. Ein laufendes Monitoring der Wirksamkeit und des Umsetzungsgrades der gesetzten Maßnahmen Aus dem aktuellen Mangel an belastbaren und wird parallel dazu in C durchgeführt. Durch Doku- v.a. grenzübergreifend vergleichbaren Kenngrö- mentation und Bewertung können die bekannten ßen zum Flächenneuverbrauch und Bauland­ quantitativen und qualitativen flächenpolitischen überhang wurde das Interreg IV A Projekt „Grenz- Zielen evaluiert und festgestellt werden, ob die an- übergreifendes Flächenmanagement“ (J00344; gestrebten Zielvorgaben erreicht und auch umge- 11/2013–3/2015) aktiv, mit dem Ziel bislang nicht setzt werden. Die Anpassung und Weiterentwick- verfügbare Planungsgrundlagen für Kommu- lung bedarf einer Überprüfung der gewählten nen und Behörden bereitzustellen, um die zu- Flächenmanagementstrategien (D). Sie müssen künftigen Herausforderungen der Europaregion u.U. adaptiert werden, wenn sich Rahmenbedin- Salzburg hinsichtlich Siedlungsdruck und Flä- gungen (bspw. flächenpolitische Zielvorgaben) chenkonkurrenz in einem zukünftigen gemein- verändern (vgl. hierzu BOCK, HINZEN & LIBBE samen Flächenmanagement meistern zu können 2011; SPITZER, KERSCHBAUMER, PREISSLER & (siehe SPITZER, KERSCHBAUMER, PREISSLER PRINZ 2015). & PRINZ 2015). Das Projekt wurde in einer Län- derkooperation (Bayern – Salzburg) in Zusammenarbeit mit der Stadt Salz- burg, der Regierung von Oberbayern und der EuRegio Salzburg – Berchtes­ gadener Land – Traunstein mit den Forschungspartnern Research Stu- dio iSPACE und Institut für Geoinfor- matik Plus e.V. umgesetzt.

Projektgebiet waren die 21 Gemein- den im zentralen Siedlungskern der Masterplan-Kernregion (vgl. AMT DER SALZBURG LANDESREGIE- Abb. 2: Bausteine eines nachhaltigen Flächenmanagements RUNG, ABTEILUNG RAUMPLA- (verändert nach BOCK, HINZEN & LIBBE 2011) NUNG & REGIO BERCHTESGA- Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 46 SPITZER, PRINZ

DENER LAND – TRAUNSTEIN E.V. 2013), siehe • Typ 1/2 weist diejenigen Parzellen aus, die un- auch Abb. 7: bebaut sowie theoretisch selbständig bebaubar sind. • Bayerische Gemeinden (7): Ainring, Bad Rei- chenhall, Bayerisch Gmain, Freilassing, Laufen, • Typ 3 weist diejenigen Parzellen aus, die unbe- Piding, Saaldorf-Surheim baut sowie theoretisch über Parzellengrenzen • Salzburger Gemeinden (14): , , hinweg verdichtet bebaubar sind. Bergheim, , , , Grödig, Großgmain, Hallwang, , Nuß- • Typ 4 weist diejenigen Parzellen aus, die bereits dorf am Haunsberg, Oberndorf bei Salzburg, bebaut sind, aber dennoch theoretische Ver- Salzburg, Wals-Siezenheim dichtungsreserven aufweisen).

Ein Projektmodul behandelt die Frage, wie viel Entwicklungspotenzial für eine bauliche Nutzung im Bestand ohnehin noch vorhanden ist, ohne Neuausweisungen von Bauland vorzunehmen. Ziel war die prototypische Entwicklung von GIS- Analysemodellen/Bewertungskriterien zur groß- maßstäbigen Abschätzung von Wohnbaulandpo- tenzialen im Bestand, um auf Grundstücksebene planerisch und politisch belastbare Informationen zur „Baulandreserve“ (wo? wie viel?) zu erhalten. Dazu wurde mit dem „Analysemodell Wohnbau- landpotenziale“ ein Ansatz entwickelt und auf Durchführbarkeit, grenzübergreifende Übertrag- barkeit und fachliche Belastbarkeit geprüft (siehe Kap. 3). Es liefert eine GIS-gestützte Abschätzung von als Wohnbauland gewidmeten aber un oder nur teilverbauten, aber theoretisch bebaubaren Parzellen.

Abb. 3: Typologie theoretischer Wohnbau- landpotenziale 3 Analysemodell Wohnbaulandpotenziale Die Entwicklung der Methodik erfolgte in der Mo- Zur Lokalisierung und Quantifizierung der Wohn- dellierungsumgebung ArcGIS ModelBuilder. Dies baulandreserven wurde ein GIS-gestütztes Analy- ermöglicht eine verhältnismäßig unkomplizierte semodell entwickelt, um auf Parzellenebene eine Erstellung von Varianten mit veränderten Parame- gemeinde- und grenzübergreifend vergleichbare tern, eine einfache räumliche Übertragbarkeit des Abschätzung von theoretisch bebaubaren, aber Modells und gewährleistet auch ein Monitoring. derzeit noch unverbauten oder nur teilverbauten Abb. 4 zeigt eine Übersicht zu den verwende- und als Wohnbauland gewidmeten Flächen zu er- ten Datengrundlagen und ihrer Grundfunktion halten. In der Verfahrensweise werden sowohl An- im Analysemodell, um grenzübergreifend ver- zahl und Größe des theoretischen Bauplatzes als gleichbare Ergebnisse zu erreichen. Dabei war es auch des theoretischen Baufensters ausgewiesen. erforderlich, vielschichtige grenzübergreifende Sie werden nach drei Typen unterschieden, die Datengrundlagen miteinander abzustimmen und den „Bebauungsgrad“ (unbebaut, bebaut) und vergleichbar zu machen. die „theoretische Bebaubarkeit“ (selbständig bebaubar, verdichtet bebaubar, Verdichtungs- Filter „Theoretische Bebaubarkeit“ (Abstandsvor- reserve) berücksichtigen und damit auch die un- gaben, Größen- und Formanforderungen): terschiedliche Mobilisierungswahrscheinlichkeit widerspiegeln sollen (vgl. zur Übersicht Abb. 3): Grundlegend für die Typisierung (vgl. Abb. 3) ist die Beurteilung der theoretischen Bebaubarkeit. Dieser Filter berücksichtigt Mindestabstände des theoretischen Baufensters zu den theoretischen SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement PLANUNGSGRUNDLAGEN FÜR EIN GRENZÜBERGREIFENDES FLÄCHENMANAGEMENT IM RAUM SALZBURG 47

Abb. 4: Datengrundlagen für grenzübergreifend vergleichbare Wohnbaulandpo- tenziale

Bauplatzgrenzen bzw. zu bestehenden Gebäu- bayerischer Seite; 322,6ha auf salzburger Seite; den sowie Größen- und Formanforderungen für vgl. Abb. 6 links). Etwa die Hälfte dieser gesamt das theoretische Baufenster. Eine Parzelle gilt als 4.204 einzelnen theoretischen Bauplätze kann theoretisch bebaubarer Bauplatz, wenn unter Be- dem Typ 1/2 ‒ also unbebauten und selbstän- rücksichtigung von rechtlichen Abstandsvorga- dig bebaubaren Parzellen ‒ zugewiesen werden ben zu den Bauplatzgrenzen (D) ein Baufenster (254,4ha). übrig bleibt, das eine Mindestfläche (A) sowie eine Mindestbreite (B) aufweist (vgl. Abb. 5 links und Auf Ebene der einzelnen Gemeinden differenzie- Parametrisierung rechts). Für die rechtlichen Ab- ren sich die vorhandenen Wohnbaulandpotenzi- standsvorgaben werden die Bayerische Bauord- ale deutlich (siehe Abb. 7). Typ 1/2 ist beinahe in nung (BAYERISCHE STAATSREGIERUNG 2007) allen Gemeinden dominierend. Die Flächenaus- bzw. das Salzburger Bebauungsgrundlagengesetz maße reichen hier von unter 5 ha (bspw. Groß­ (SALZBURGER LANDESREGIERUNG o.D.) he- gmain, Bayerisch Gmain, Elsbethen) bis 30,8 ha rangezogen. in Wals-Siezenheim und 42,1 ha in der Stadt Salz- burg. Der Typ 3 nimmt eine zwar hinsichtlich der Flächen kleinere Rolle ein; aufgrund der hier na- turgemäß deutlich kleineren Bauplätze ist deren 4 Wohnbaulandpotenziale 2014 Master- Anzahl jedoch durchaus beachtenswert. So wer- plan Kernregion den hier allein in der Stadt Salzburg 193 Bauplät- ze, in Wals-Siezenheim 162 Bauplätze, in Nußdorf Das entwickelte Analysemodell (vgl. Kap. 3) wur- 117 Bauplätze oder in Freilassing 97 Bauplätze lo- de für die 21 Gemeinden des Projektgebietes (sie­ kalisiert. Auch theoretische Verdichtungsreserven he Abb. 7) umgesetzt und liefert Ergebnisse auf (Typ 4) sind nicht zu vernachlässigen, selbst wenn Landes-, Gemeinde- sowie Parzellenebene. Im deren Mobilisierungswahrscheinlichkeit oft gering Jahr 2014 waren demnach insgesamt 446,3 ha ist: 40,9 ha in der Stadt Salzburg, 13,4ha in Wals- theoretische Bauplätze vorhanden (123,7 ha auf Siezenheim oder 9,4 ha in Bad Reichenhall.

Abb. 5: Filter Theoretische Bebaubarkeit (links); Parametrisierung nach Wohnbaulandpotenzial-Typen (rechts) Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 48 SPITZER, PRINZ

Abb. 6: Wohnbaulandpotenziale 2014: Anzahl / Hektar (links); Anteil am Wohnbauland (rechts)

Grund und Boden, insbesondere der sparsame Im Gegensatz zu diesen absoluten Reserven zeigt Umgang mit Bauland“, siehe LAND SALZBURG Abb. 6 (rechts) den Anteil theoretischer Wohn- 2009) von großer Bedeutung. Da viele planerische baulandpotenziale am gesamten Wohnbauland Herausforderungen in der Europaregion Salzburg in Prozent. Beiderseits der Grenze macht das nicht an den Ländergrenzen enden, ist es nahelie- vorhandene theoretische Wohnbaulandpotenzi- gend, auch länderübergreifend zu planen und zu al ‒ global betrachtet ‒ etwa gut 10 % des Wohn- handeln. Im „Masterplan. Kooperatives Raumkon- baulandes aus. Weniger ausgeglichen ist dieser zept für die Kernregion Salzburg“ wurde dieses Anteil auf der Betrachtungsebene Gemeinde (siehe Erfordernis festgehalten (Leitprojekt 2: Flächen- Abb. 8). Während in der Stadt Salzburg die Wohn- Monitoring in den regionalen Schwerpunkten der baulandpotenziale einen verhältnismäßig gerin- Wohnentwicklung, vgl. AMT DER SALZBURG gen Anteil ausmachen, stechen hier v.a. Umland- LANDESREGIERUNG, ABTEILUNG RAUMPLA- gemeinden hervor: Koppl, Bergheim und Nußdorf NUNG & REGIO BERCHTESGADENER LAND - mit mehr als 20 %, Wals-Siezenheim, Elixhausen, TRAUNSTEIN E.V. 2013). Eugendorf, Grödig und Laufen mit 15–20 %. Auf- fällig ist, dass bayerische Gemeinden anteilsmäßig Durch die erstmalige GIS-gestützte Quantifizie- wesentlich weniger Reserven aufweisen als die rung auf Parzellenebene wird die Objektivierung Salzburger Umlandgemeinden. und Vergleichbarkeit der vorhandenen Wohnbau- landreserven gemeinde- und länderübergreifend Die Ergebnisse weisen eine durchschnittliche Ak- wesentlich unterstützt. Darauf aufbauend können tualität 2014 (±) auf. Allerdings zeigen erste Evalu- das Wohnungspotenzial bei ortsüblicher Bebau- ierungen eine mittlere Überschätzung der Wohn- ungsdichte sowie der zu erwartende Wohnungs- baulandpotenziale um etwa 10 % aufgrund von bedarf abgeschätzt werden und in entsprechende Einschränkungen bei den Datengrundlagen zum Flächenmanagementstrategien und Mobilisie- Bebauungsrad (siehe Abb. 4). rungsmaßnahmen einfließen.

Vorzugsweise ist dabei die Lagequalität hinsicht- lich der Anbindung an bestehende Infrastruktur 5 Nutzbarmachung und Ausblick zu berücksichtigen. Abb. 9 illustriert dazu anhand einer ersten Beispielsrechnung den Anteil der Die Kenntnis des vorhandenen unbebauten Bau- Wohnbaulandpotenziale Typ 1/2 im Land Salz- lands ‒ der Baulandreserve ‒ ist für die Konkre- burg nach der Standortqualität in Anlehnung an tisierung von Raumordnungsgrundsätzen (bspw. die Salzburger Wohnbauförderungsverordnung „haushälterische und nachhaltige Nutzung von 2015 (WFV 2015, LAND SALZBURG 2015). Ak- SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement PLANUNGSGRUNDLAGEN FÜR EIN GRENZÜBERGREIFENDES FLÄCHENMANAGEMENT IM RAUM SALZBURG 49

Abb. 7: Flächenausmaß der Wohnbaulandpotenziale 2014 (SPITZER, KERSCHBAUMER, PREISSLER & PRINZ 2015) Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 50 SPITZER, PRINZ

Abb. 8: Flächenanteil der Wohnbaulandpotenziale 2014 (SPITZER, KERSCHBAUMER, PREISSLER & PRINZ 2015) SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement PLANUNGSGRUNDLAGEN FÜR EIN GRENZÜBERGREIFENDES FLÄCHENMANAGEMENT IM RAUM SALZBURG 51

Abb. 9: Szenario zur Deckung des Wohnungsbedarfs durch Wohnbaulandpotenziale Typ 1/2 in zentralen Lagen im Land Salzburg

tuell ist im Land Salzburg von rund 900 ha un- in peripheren Lagen (ca. 14.000 Jahreskilometer). tergenutzter Wohnbaulandpotenziale auszuge- Ein nachhaltiger Umgang mit der begrenzt verfüg- hen, die selbständig bebaubar wären. Rund die baren und ortsgebundenen Ressource Fläche wird Hälfte (458 ha) erfüllt hinsichtlich Standortqua- zusammen mit der Deckung des steigenden Woh- lität die Anforderungen der Salzburger Wohn- nungsbedarfs durch zunehmenden Siedlungs- bauförderung (ÖV, Nahversorgung und Schule, druck begünstigt. Kinderbetreuung, Arzt oder Apotheke innerhalb 1000 m Luftlinie). Werden von den 458 ha in zen- Aktuelle Projekte beabsichtigen die Weiterent- tralen Lagen jährlich 5 % mobilisiert, so lässt sich wicklung derartiger Grundlagen zu Modellen bei einer mäßigen Bebauungsdichte (GFZ 0,6) für gemeindespezifische Wohnbaulandbedarfe und durchschnittlichen Wohnungsgrößen (3–4 bzw. für das Monitoring von Nachverdichtungs- Zimmer; 82,5 m² Nettowohnnutzfläche) bereits maßnahmen. Sie ermöglichen einen objektivierten mehr als die Hälfte des voraussichtlichen Gesamt- interkommunalen, politischen und planerischen bedarfs bis 2033 decken ‒ ohne Neuausweisung Diskurs und eine Evaluierung von Instrumenten von Wohnbauland, ohne Nachverdichtung, ohne der Baulandmobilisierung im Flächenmanage- übermäßige Bebauungsdichten. Gelingt es also, mentprozess. schwerpunktmäßig diese Potenziale zu mobili- sieren, müssen nicht nur mittelfristig kaum zu- sätzliche Neubaugebiete auf der „grünen Wiese“ LITERATUR erschlossen werden sondern wird auch die be- reits vorhandene Infrastruktur besser ausgelastet AMT DER SALZBURG LANDESREGIERUNG, ABTEI- ‒ mit einer entsprechenden dämpfenden Wirkung LUNG RAUMPLANUNG & REGIO BERCHTESGA- auf Erschließungs- und Infrastrukturkosten. Eine DENER LAND – TRAUNSTEIN E.V. (Hrsg., 2013): schwerpunktmäßige Erschließung zentral gele- Masterplan. Kooperatives Raumkonzept für die Kernre- gener und an leistungsfähigen Öffentlichen Ver- gion Salzburg. Schlussbericht zum Interreg IVa Projekt. kehr angebundenen Wohnbaulandpotenzialen – Salzburg, Bad Reichenhall. hätte auch einen signifikanten Beitrag zu einer BAYERISCHE STAATSREGIERUNG (2007): Bayerische verkehrsreduzierenden Raumentwicklung. Ver- Bauordnung (BayBO). in der Fassung der Bekanntma- gleichsrechnungen zeigen, dass die durchschnitt- chung vom 14. August 2007. lich zu erwartenden Jahreskilometer pro Haushalt BMLFUW – BUNDESMINISTERIUM FÜR LAND-UND (ohne Freizeitverkehr) in zentralen Lagen mit ca. FORSTWIRTSCHAFT, UMWELT UND WASSERWIRT- 10.000 Jahreskilometer rund 30 % geringer sind als SCHAFT (Hrsg., 2011): Grund genug? Flächenmanage- Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 52 SPITZER, PRINZ

ment in Österreich – Fortschritte und Perspektiven. – Wien. BOCK, S., A. HINZEN & J. LIBBE (Hrsg., 2011): Nachhal- tiges Flächenmanagement – Ein Handbuch für die Pra- xis. Ergebnisse aus der REFINA-Forschung. – Berlin. LAND SALZBURG (2009): 30. Gesetz vom 17. Dezember 2008 über die Raumordnung im Land Salzburg (Salzbur- ger Raumordnungsgesetz 2009 – ROG 2009) – Salzburg. LAND SALZBURG (2015): 29. Verordnung der Salzburger Landesregierung vom 19. März 2015 zur Durchfüh- rung des Salzburger Wohnbauförderungsgesetzes 2015 (Wohnbauförderungsverordnung 2015 – WFV 2015). – Salzburg. SALZBURGER LANDESREGIERUNG (o.D.): Gesetz vom 27. Juni 1968 über die zweckmäßige Gestaltung der Grundstücke im Bauland, die Schaffung von Bauplätzen und die Lage der Bauten im Bauplatz (Bebauungsgrund- lagengesetz – BGG). Fassung vom 20.4.2015. SPITZER, W., M. KERSCHBAUMER, H. PREISSLER & T. PRINZ (2015): Grenzübergreifendes Flächenmanage- ment. Voraussetzung für eine nachhaltige Siedlungs- entwicklung im Raum Salzburg. – Salzburg. – Online: http://giplus.de/downloadpubikationen, verfügbar am 3.10.2016. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement 53

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 SIR-Mitteilungen Möglichkeiten der Bauland­ mobilisierung und deren An­ wendung in Niederösterreich Possibilities for mobilising building land and their DI Helma Hamader application in Lower Austria Amt der NÖ Landesregierung Abt. Raumordnung und Regionalpolitik Landhausplatz 1 3109 St. Pölten Zusammenfassung [email protected]

In Niederösterreich sind rd. 86.000 ha Bauland gewidmet, wovon über 20.000 ha nicht baulich genutzt werden. Nur rd. 10 % des nicht baulich genutzten Bau­ lands sind jedoch auch tatsächlich verfügbar, sodass zwar für die nächsten 20 Jahre ausreichend Bauland gewidmet, allerdings nur für zwei Jahre ausreichend Bauland verfügbar wäre. Zur Mobilisierung gewidmeten Baulands kommen die Flächenbilanz als Evaluierung von Flächen und Bestand, die NÖ Flächen­ management-Datenbank, Vertragsraumordnung, Aufschließungszonen, befri­ stetes Bauland und Baulandumlegung zum Einsatz. Weiters werden die Über­ arbeitung von Örtlichen Entwicklungskonzepten oder die Beteiligung an der Baurechtsaktion empfohlen und der NÖ Infrastrukturkostenkalkulator zur Ver­ fügung gestellt.

Abstract

There are 86,000 ha of building land in Lower Austria; 20,000 ha of this area are not being used for construction. And only 10% of the building land that is not being used is actually available. In other words, theoretically there is enough building land for the next 20 years, but in practice there is building land availa­ ble for just two years. There are various tools available to mobilize building land: the land use record for evaluating the land and lease situation, the Lower Aus­ trian land use management database, contracts on spatial planning measures between municipalities and land owners, development zones, time-fixed land use contracts and building land reallocation. Further recommendations include revising local development schemes or using the Lower Austrian infrastructure expense calculator. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 54 HAMADER

In Niederösterreich sind rd. 86.000 ha Bauland lungen, Verfahrensvereinfachung, die Ein- gewidmet, wovon über 20.000 ha nicht baulich dämmung von Spekulationen und finanzielle genutzt werden. Etwa ein Drittel des gesamten Mittel für Gemeinden gefordert, weiters der gewidmeten Baulands ist Betriebsbauland, der Wegfall der Grunderwerbsteuer, wenn eine Prozentsatz der unbebauten Flächen liegt beim Be- Gemeinde Grund erwirbt und verwertet, aber triebsbauland geringfügig höher als beim Wohn- auch die Verpflichtungen für Gemeinden, un- bauland. Aus einem Pilotprojekt zur Etablierung genutztes Bauland in Randgebieten ohne Ko- einer Flächenmanagement-Datenbank ist bekannt, stenersatz rückzuwidmen (Grünland) sowie dass nur rd. 10 % des nicht baulich genutzten Freihalteflächen für zukünftiges Bauland fest- Baulands auch tatsächlich verfügbar sind. Das be- zulegen. deutet für Niederösterreich derzeit etwa 2.000 ha verfügbares Bauland bzw. 1.400 ha Wohnbauland • Die Landesverwaltung soll vor allem Infor- und damit Wohnraum für rd. 20.000 Personen. mation, Service und Prozessbegleitung bei Niederösterreichs Bevölkerung wächst jährlich Umsetzungsmaßnahmen sowie bewusstseins- um etwa 10.000 Einwohner. Daher wäre in Nieder­ fördernde Maßnahmen auch für Grundeigen- österreich zwar für die nächsten 20 Jahre bereits tümerInnen (z.B. zu Infrastrukturkosten) oder ausreichend Bauland gewidmet, allerdings nur für Rechtsberatung bieten. Außerdem wurden zwei Jahre ausreichend Bauland verfügbar. Zudem hier klare Rahmenbedingungen sowie Verfah- ist die räumliche Verteilung der verfügbaren Bau- rensbeschleunigung, Schulungsangebote für landreserven mit der Verteilung der Bevölkerung Gemeindeverantwortliche und die Schaffung in vielen Fällen nicht kompatibel. einer Förderkulisse für den Grundankauf in Baulanderweiterungsgebieten laut Entwick- Ein wesentlicher Prozentsatz der Baulandreser- lungskonzept gefordert. ven ist bereits vollständig erschlossen und liegt vielfach innerhalb der geschlossenen Ortsgebiete. • Die Gemeinden sollten sich vor allem um Auf- Rückwidmungen in Grünland sind in den meisten klärung und Bewusstseinsbildung für alle Fällen raumordnungsfachlich nicht vertretbar, da GemeinderätInnen sowie für Grundstücksei- die Gemeinden viel Geld in die Erschließung inve- gentümerInnen, aber auch um gemeindeüber- stiert haben und eine Bebauung bzw. Nutzung die- greifendes Denken bemühen, weiters die beste- ser Flächen sowohl für die Ortsstrukturen, als auch henden, baulandmobilisierenden Maßnahmen aus volkswirtschaftlicher Sicht von Vorteil wäre. nutzen und erforderlichenfalls Sanktionieren sowie Widmungen ohne Verfügbarkeit ver- Die Mobilisierung der bereits gewidmeten Flä- meiden. chen, die Nutzung von leerstehenden Gebäuden sowie die Nutzungsverdichtung stellen im Sinne • Die OrtsplanerInnen schließlich sollen die Ge- von Ressourcenschonung und Wirtschaftlichkeit meinden beraten und informieren sowie Un- wesentliche Ziele der Raumordnung dar. terstützung und Hilfestellung zur sinnvollen rechtmäßigen Umsetzung in Mobilisierungs- Im Rahmen einer Studie zu den Möglichkeiten der fragen leisten. Baulandmobilisierung aus dem Jahr 2009 wurde deutlich, dass das bestehende Bündel aus recht­ Diese Wunschliste macht deutlich, dass alle Ebe­ lichen, privatrechtlichen und privatwirtschaft­ nen an einem Strang ziehen müssen, um Bauland­ lichen Maßnahmen nicht ausreicht, um eine reserven zu mobilisieren. In Niederösterreich maßgebliche Mobilisierung der Baulandreserven wurden dazu neue Instrumente entwickelt und zu erzielen. Folgender Nachbesserungsbedarf Neuerungen in das NÖ Raumordnungsgesetz wurde von den beteiligten Gemeinden auf den aufgenommen. verschiedenen Ebenen festgestellt:

• Vom Gesetzgeber wurden neben klareren Flächenbilanz – Evaluierung der Bauland­ gesetzliche Regelungen und Möglichkeiten flächen und des Baubestandes zur Baulandmobilisierung auch eine Infra- strukturabgabe, klare Rahmenbedingungen, Als Grundlage für die Baulandmobilisierung wer- Rechtssicherheit für Baulandsicherungsver- den in Niederösterreich seit 2010 intensiv Daten träge, Optionsverträge sowie entschädigungs- gesammelt und aufbereitet sowie standardisierte lose Rückwidmungen, Schadenersatzrege- Unterlagen und Tools zur Verbesserung der Da- SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILISIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN NIEDERÖSTERREICH 55 tengrundlagen bereitgestellt. Entsprechend dem Darüber hinaus wird eine jährliche Auswertung NÖ Raumordnungsgesetz sind die Gemeinden der digitalisierten Baulandflächen vorgenommen. verpflichtet, „… das Ausmaß der als Bauland gewid- Durch die Verschneidung mit Grundstücks- und meten bebauten sowie unbebauten Flächen … in einer Wohnungsdaten kann auch auf dieser Ebene eine Flächenbilanz zu erfassen, auf aktuellem Stand zu hal- Erhebung der unbebauten Flächen erfolgen. ten und der Landesregierung auf Anfrage bekannt zu geben.“ (NÖ ROG §13 Abs. 5) Die Flächenbilanz ist jenes Instrument der Grund- lagenforschung zum Örtlichen Raumordnungs- Seit 2010 wird diese laufende Dokumentation bei programm, mit dem – vor dem Hintergrund des jedem Änderungsverfahren eingefordert, sodass konkreten Baulandbedarfs – abgeleitet werden derzeit von 95 % aller niederösterreichischen Ge­ kann, ob die Notwendigkeit von Neuwidmungen meinden die Daten der örtlichen Baulandbilanzen besteht oder ob der Bedarf im bestehenden, jedoch vorliegen. Das Alter der vorliegenden Bilanzen noch nicht konsumierten Bauland gedeckt werden differiert um bis zu drei Jahre, je nach Aktualität kann. Ist eine Bedarfsdeckung im bestehenden der Änderungsverfahren. Dieses Erfassungssystem Widmungsumfang möglich, sind die vorhandenen ermöglicht eine laufende Evaluierung der Bau- Reserveflächen jedoch nicht verfügbar, ergibt sich landentwicklung gesamt sowie der Entwicklung die Notwendigkeit zum Einsatz von baulandmobi- der Baulandreserven. Neben der tabellarischen lisierenden Maßnahmen. Erfassung der Baulandbilanz hat sich eine qualita- tive Erfassung der Baulandreserven in Form einer NÖ Flächenmanagement-Datenbank Plandarstellung bewährt. Dabei werden die Bau- landreserven nach Nutzungsart und Verfügbarkeit Mit der Erhebung der Baulandreserven, die je nach bewertet und die leerstehenden Gebäude gekenn- Gemeinde zwischen 5 und 30 % des gewidmeten zeichnet. Insbesondere bei der Neuwidmung von Baulands ausmachen, ist zwar der Umfang der größeren Siedlungserweiterungsbereichen ist diese „nicht widmungskonform genutzten“ Flächen be- Analyse der Baulandreserven als Grundlage zu kannt, jedoch noch keine weitere Vorgangsweise den Änderungsunterlagen beizulegen. damit verbunden.

Abb. 1: Amt der NÖ Landesregierung, Baulandreserven auf Bezirksebene Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 56 HAMADER

Abb. 2: Amt der NÖ Landesregierung, Erhebungsbogen zur Baulandbilanz

Seit dem Sommer 2016 steht den Gemeinden gestützten Grundstücks- und Immobilienbörse dazu die Flächenmanagement-Datenbank zur der Gemeinde als Potentialflächen im Bestand Verfügung. Diese, als MS-Access konzipierte, Da- präsentiert werden, was auch einen bürger- tenbank kann von den Gemeinden auf freiwilliger freundlichen Service für Bau- bzw. Umzugswil- Basis verwendet werden und bietet Unterstützung lige darstellt. bei folgenden Schritten: Die Flächenmanagement-Datenbank verfügt zu- • Erhebung und Auswertung der Innenent­ dem über Module zur automatischen Berechnung wicklungspotentiale: Ungenutzte bzw. unter- des Wohnbaulandbedarfs bzw. zum Monitoring genutzte Bauplätze und Immobilien werden der stattgefundenen Innenentwicklung, wodurch systematisch erfasst, verwaltet und bilanziert, eine flächen- und ressourcensparende Siedlungs- wobei Brachflächen, Leerstände, Baulücken planung unterstützt wird. und geringfügig genutzte Grundstücke unter- schieden werden können. Vertragsraumordnung • Durchführung der Eigentümeransprache: Ei- gentümerInnen werden durch eine schriftliche Auch bei der Mobilisierung eines Teils der be- Abfrage mit vorgefertigten Anschreiben und reits gewidmeten Baulandflächen für die aktuelle Fragebogen konkret zu Beratungsbedarf, Eigen- Siedlungsentwicklung, ist es in vielen Gemein- nutzungsabsichten oder Verkaufsbereitschaft den immer wieder erforderlich, neue Baulandflä- befragt. Die Informationen im Anschreiben und chen zu widmen. Um zu sichern, dass diese neu die begleitende Öffentlichkeitsarbeit bewirken zu widmenden Flächen in der Folge auch für die eine gute Mitarbeit in der Bevölkerung und ei- dafür vorgesehene Widmung zur Verfügung ste- ne hohe Beteiligung an der Befragungsaktion. hen, wurden im Zuge der 6. Änderung des NÖ Raumordnungsgesetztes (1995) die Gemeinden er- • Veröffentlichung in Bauland- und Immobili­ mächtigt, bei der Neuwidmung von Bauland mit enbörse: Jene Immobilien, die bisher nicht am den Grundeigentümern Verträge abzuschließen. Markt präsent waren, können in einer internet- SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILISIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN NIEDERÖSTERREICH 57

Derartige Verträge dürfen insbesondere folgende raumordnung hat sich als wesentliches plane- Inhalte aufweisen: risches Instrument erwiesen, weil dadurch in den Gemeinden eine intensive Auseinandersetzung • die Verpflichtung, Grundstücke innerhalb ei- mit den Baulandreserven, dem tatsächlichen Bau- ner bestimmten Frist zu bebauen bzw. der Ge- landbedarf und der Bautätigkeit in der Gemeinde meinde zum ortsüblichen Preis anzubieten, erfolgt und zur Sicherstellung der Verfügbarkeit • bestimmte Nutzungen durchzuführen oder zu vor der Widmung Verhandlungen mit den Grund- unterlassen, eigentümern notwendig sind. • Maßnahmen zur Erreichung oder Verbesse- rung der Baulandqualität (z.B.: Lärmschutz- maßnahmen, Infrastrukturmaßnahmen). Festlegung von Aufschließungszonen Voraussetzung für eine Widmung ist die Sicher­ Begleitend oder ergänzend zur Maßnahme der stellung der Verfügbarkeit. Diese wird durch ei­ Vertragsraumordnung kann Bauland ganz oder nen privatrechtlichen Vertrag nachgewiesen, der auch nur teilweise als Aufschließungszone(n) im von den Grundeigentümern und der Gemeinde un- Flächenwidmungsplan ausgewiesen werden. Die terzeichnet und anschließend ins Grundbuch einge- Gemeinde kann so einerseits durch entsprechend tragen wird. Im Falle der Nichteinhaltung obliegt formulierte Freigabebedingungen eine gezielte der Gemeinde die Durchsetzung von Strafbestim- Steuerung der Siedlungsentwicklung (ohne ein mungen. Die Glaubwürdigkeit bzw. der Nutzen neuerliches, raumordnungsrechtliches Genehmi- der Mobilisierungsverträge hängt stark von der gungsverfahren) sicher stellen bzw. die Freigabe Entschlossenheit der jeweiligen Gemeindever­ der Aufschließungszonen von konkreten Maß- antwortlichen ab, die Verpflichtung der Grundei­ nahmen (z. B. der Herstellung eines Grüngürtels) gentümer bei nicht fristgerechter Erfüllung auch abhängig machen. Andererseits besteht die Mög- notfalls gerichtlich einzufordern. Die Eintragung lichkeit zur Staffelung der Freigaben (z. B. in Ab- der Verträge in das Grundbuch stellt einen wesent- hängigkeit vom Bebauungsgrad in den vorange- lichen Schritt bei der Vertragsraumordnung dar, um gangenen Bauabschnitten). sowohl die Grundstückseigentümer, als auch deren Rechtsnachfolger an die Vereinbarung zu binden. Gesetzlich geregelt sind die Möglichkeiten der Aufschließungszonen unter § 16 Abs. 4 des NÖ Um den Gemeinden diese vertragliche Vereinba- Raumordnungsgesetzes (NÖ ROG 2014): „Zur Si- rung zu erleichtern, wurde 1997 seitens des Landes cherung einer geordneten Siedlungsentwicklung sowie in Kooperation mit Ortsplanern und Rechtsanwäl- zur Sanierung und/oder Sicherung von Altlasten bzw. ten ein Mustervertrag ausgearbeitet, der sowohl Verdachtsflächen kann das Bauland in verschiedene genaue Angaben zum Vertragsgegenstand, als Aufschließungszonen unterteilt werden, wenn zugleich auch Regelungen zur Bebauungsfrist, zum Vor- im örtlichen Raumordnungsprogramm sachgerechte kaufsrecht der Gemeinde, für eine Kaufoption, die Voraussetzungen für deren Freigabe festgelegt werden. Rechtswirksamkeit und entsprechende Strafbe- Als derartige Voraussetzungen kommen die Bebau- stimmungen umfasst. Im diesem Vertragsentwurf ung von Baulandflächen mit gleicher Widmungsart ist eine Nutzung der Baulandflächen nach maxi- zu einem bestimmten Prozentsatz, die Fertigstellung mal fünf Jahren vorgesehen. oder Sicherstellung der Ausführung infrastrukturel- ler Einrichtungen sowie von Lärmschutzbauten und Das Instrument der Vertragsraumordnung wird dergleichen in Betracht. … Die Freigabe erfolgt durch in Niederösterreich mittlerweile flächendeckend Verordnung des Gemeinderats nach Erfüllung der fest- bei Neuwidmungen eingesetzt und trägt we- gesetzten Freigabevoraussetzungen. Die Freigabe von sentlich zu einer Verbesserung der widmungs- Teilen einer Aufschließungszone ist zulässig, wenn die konformen Nutzung von Baulandwidmungen bei jeweils festgelegten Freigabevoraussetzungen für diesen – nicht zuletzt deshalb, weil einerseits nur nach- Bereich erfüllt sind, der Gemeinde keine unwirtschaft- weislich verfügbare Flächen als Bauland gewidmet lichen Aufwendungen für die Grundausstattung er- werden und andererseits im Falle eines weiteren wachsen und die ordnungsgemäße Bebauungsmöglich- Widmungswunsches eine entsprechende Prüfung keit der verbleibenden Restfläche gesichert bleibt.“ des Bedarfsnachweises erforderlich ist. Bei noch verfügbaren Baulandflächen mit vertraglicher Si- Als Freigabebedingungen werden gerne eine ge- cherstellung ist eine weitere Neuwidmung von ordnete Parzellenstruktur (Erstellung eines Tei- Bauland nur schwer begründbar. Die Vertrags- lungsplans in Abstimmung mit der Gemeinde, Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 58 HAMADER

Erstellung eines Teilbebauungsplans) sowie die Parzellen unbebaut blieben. Die Befristung von Verbauung vorangegangener Bauabschnitte (z. B. Bauland wird in Niederösterreich daher nicht als Baubeginn auf 75 % der Flächen) festgelegt. Die Sicherstellung der Verfügbarkeit anerkannt. Erstellung eines Teilbebauungsplans hat für die Gemeinde den Vorteil, dass ein Steuerungsin- Baulandumlegung strumentarium in Gemeindehand verbleibt. Die Vorschreibung eines Parzellierungskonzepts hat Ausgehend von dem Problem, dass Baulandre- sich nicht bewährt, da dieses von privater Hand serven oftmals innerörtliche Baulücken darstellen erbracht werden kann und die Gemeinde keinen und aufgrund einzelner Grundeigentümer nicht Einfluss auf die Gestaltung hat. aufgeschlossen werden können, wurde in der ersten Novelle der NÖ Raumordnungsgesetzes Die Widmung von Bauland-Aufschließungszonen 2014, die mit 23. August 2016 wirksam wurde, das kann mittlerweile als Standardinstrument der ört- ­Instrument der „Baulandumlegung“ gesetzlich lichen Raumplanung angesehen werden. Mit der verankert. Zielsetzung ist laut § 37 NÖ ROG, dass Möglichkeit einer Rückstufung von vollwertigem „zur Neugestaltung und Erschließung von Siedlungs- Bauland in Aufschließungszonen könnten die Ge- gebieten … bebaute und unbebaute Grundstücke in der meinden erforderliche Infrastrukturinvestitionen Weise neu geordnet werden können, dass nach Lage, leichter kalkulieren und steuern. So sind über- Form und Größe für bauliche und sonstige Nutzungen bordende Baulandreserven im Hinblick auf eine zweckmäßig gestaltete und erschließbare Grundstücke langfristige Finanzplanung der Gemeinde schwer entstehen (Umlegung).“ zu bewerten. Im Falle einer unvermuteten Verwer- tung dieser Reserven könnten Investitionserforder- Zur Einleitung des Umlegungsverfahrens sind fol- nisse entstehen, die in dieser Form vielleicht in der gende Rahmenbedingungen einzuhalten: Haushaltsgestaltung und mittelfristigen Finanz- • Das Umlegungsgebiet umfasst Baulandflächen planung gar nicht berücksichtigt wurden. Für die einschließlich der Verkehrsflächen, öffentliche Gemeinden stellt die Möglichkeit, Baulandreser­ Grünanlagen sowie die für die Sicherstellung ven in Aufschließungszonen „rückzustufen“ ein der Bebaubarkeit des Gebiets erforderlichen wesentliches Instrument zum Umgang mit be­ Flächen. stehenden, innerörtlich gelegenen Baulandreser­ • Ausschließlich die Gemeinde darf die Durch- ven dar. Der Mobilisierungseffekt ist durch diese führung eines Umlegungsverfahrens anregen. Rückstufung nicht sofort gegeben, jedoch wird bei • Es müssen mehr als 75 % der Grundeigentümer einem Eigenbedarf im Bereich dieser Fläche mögli- dem Umlegungsverfahren zustimmen. cherweise ein größeres Gebiet verfügbar. • Die Abgrenzung des Umlegungsgebiets muss fachlich begründet werden und der Verwirkli- chung der örtlichen Raumordnungsziele bzw. Befristetes Bauland Planungen dienen. Das Instrument der Befristung hat sich ausschließ- • Das Verfahren wird von der Landesregierung lich für projektbezogene Widmungen (Bauland- durch Verordnung eingeleitet. Sondergebiet) bewährt und wird in Niederöster- • Das Umlegungsverfahren ist die einzige Mög- reich nur in diesem Zusammenhang angewendet. lichkeit, um die Zielsetzung gemäß § 37 zu er- Wenn beispielsweise ein Tourismusprojekt nicht reichen. umgesetzt wird, kann die Gemeinde diese unbe- bauten, befristet gewidmeten Baulandflächen nach Ablauf einer Frist von fünf Jahren innerhalb eines Bodenpolitische Maßnahmen der Gemeinde Jahres entschädigungsfrei in Grünland rückwid- men. Bei der Widmung von Wohnbauland hat sich Neben den gesetzlich verankerten Möglichkeiten die befristete Widmung nicht bewährt, da die Be- zur Baulandmobilisierung und -sicherung steht es fristung nicht mit einer Bedingung (z.B. sukzessive darüber hinaus jeder Gemeinde frei, im Rahmen Bebauung vom Bestand ausgehend) kombiniert der Privatrechtsverwaltung eigene Initiativen zu werden kann. So hat die Gemeinde bei größeren ergreifen. Limitierender Faktor in der aktiven Bo­ Bereichen keine Einflussmöglichkeit auf die Art denpolitik der Gemeinden sind jedoch die dafür der Nutzung. Bei der Anwendung der Fristwid- erforderlichen Finanzmittel. Gemeinden können mung im Wohnbauland wurden in der Vergan- durch den Ankauf von Grundstücken, durch Flä- genheit oftmals Bauplätze in den Randbereichen chentausch, Liegenschaftsverwertung oder durch verkauft bzw. genutzt, während innenliegende die zielgerichtete Vergabe von Bauplätzen wesent- SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILISIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN NIEDERÖSTERREICH 59 lich zu einer Mobilisierung von Baulandreserven Generelle Überarbeitung des Örtlichen beitragen. Mit dem Ankauf von leer stehenden Raumordnungsprogramms Gebäuden kann eine Belebung bzw. Strukturberei- nigung im bestehenden Siedlungsverband erreicht Der Planungshorizont des Flächenwidmungs­ werden. Diese Altbestände genügen in ihrer Struk- plans liegt bei ca. fünf Jahren. Darüber hinausge- tur und Konfiguration in der überwiegenden Zahl hende Entwicklungsansätze können im Örtlichen der Fälle nicht den Anforderungen an zeitgemäße Entwicklungskonzept aufgespannt und verordnet Bauführungen und Projekte. Durch ein strategisch werden. Vor einer allfälligen Ausweisung im Flä- ausgerichtetes, aktives Engagement der Gemein- chenwidmungsplan (als Umsetzung der Ziele des den in der Bodenpolitik können jedoch im Laufe Entwicklungskonzepts) können die Flächen bei- der Jahre Einzelobjekte zusammengefasst und ge- spielsweise durch Optionsverträge, Ankauf oder meinsam einer Nachnutzung zugeführt werden. Flächentausch für die Gemeindezwecke gesichert Somit ergeben sich neue, innerörtliche Entwick- und auf den konkreten Baulandbedarf abgestimmt lungsbereiche und -potentiale, die auch dazu bei- werden. Darüber hinaus bietet das Entwicklungs- tragen, die vorhandene Infrastruktur weiterhin konzept die Möglichkeit, unterschiedliche Vari- effizient zu nutzen. anten und Erweiterungsoptionen zu prüfen. Dies erscheint auch oftmals vor dem Hintergrund der Die Umstände, dass die Gemeinden oftmals über Eigentumsverhältnisse zielführend und sichert einen engen Finanzierungsspielraum verfügen so- den Gemeinden größere Handlungsspielräume. wie dass bei geringer Nachfrage nach Bauparzellen Kapital gebunden bleibt und kein Mittelrückfluss Ein weiterer Mobilisierungseffekt ist im Falle stattfinden kann, schränken die Möglichkeiten der von Neuerstellungen bzw. Komplettüberarbei­ Gemeinden wesentlich ein. Oftmals wird daher die tungen von Örtlichen Entwicklungskonzepten Unterstützung durch einen Baulandfonds gefor­ gegeben. Dabei sind Bestandswidmungen zu hin- dert. Mangels eines solchen Baulandfonds in Nie- terfragen und allfällige Schritte (z. B. in Richtung derösterreich gründen immer mehr Gemeinden Baulandmobilisierung) zu setzen. Im Zuge einer eine ausgelagerte, gemeindeeigene Gesellschaft, generellen Überarbeitung sind daher auch lang- um die Vorteile einer raschen Entscheidungsfin- jährige Baulandreserven zu prüfen, im Zuge einer dung und Flexibilität zu erreichen. In Zusammen- Neuausrichtung der Planungsziele der Gemeinde arbeit oder mit Beteiligung von Banken kann so können sie unter bestimmten Voraussetzungen das erforderliche Kapital aufgestellt werden. Es auch in Grünland umgewidmet werden. Wesent- gilt jedoch stets, die Frage der Verhältnismäßig- liche Kriterien sind die raumordnungsfachliche keit zu betrachten (vereinzelte Grundstückstrans- Beurteilung sowie mögliche Entschädigungsan- aktionen in peripheren Gemeinden versus Lie- sprüche seitens der Grundeigentümer. genschaftsverwaltung in Stadtgemeinden). Auch wenn derzeit erst sporadisch Gesellschaften ge- Oftmals werden diese Möglichkeiten im Zuge der gründet werden, liegt der Vorteil eindeutig in ih- Überarbeitung mit den Grundeigentümern bespro- rer erhöhten Flexibilität (ohne sonst erforderliche chen, wodurch bereits eine Mobilisierung von Bau- Konsultationsverfahren). So steht die Vorlaufzeit landreserven erreicht wird. In anderen Fällen wird im Verwaltungswege im krassen Gegensatz zum die Entwicklungsoption einzelner Bereiche zwar kurzen Zeitfenster von Grundstückstranskationen aufrechterhalten, jedoch vorerst eine „Rück“-Wid­ (diverse Ausschusssitzungen, Gemeindevorstand, mung in Grünland (oftmals Grünland-Freihalte­ fraktionelle Behandlung, Beschlüsse Gemeinderat fläche mit dem Zweck „Siedlungserweiterung“) – insgesamt 6 Wochen bis 4 Monate). Falls genü- durchgeführt. Diese Flächen können in späterer gen Tauschgrundstücke im Gemeindeeigentum Folge, mit gesicherter Verfügbarkeit, wieder als vorhanden sind, können allfällige Grundstücks- Bauland gewidmet werden. täusche vor einer Baulandwidmung durchgeführt werden. Somit wird dahingehend Vorsorge gelei- Baurechtsaktion stet, dass die neuen Bauparzellen in Gemeindee- igentum stehen und damit für die Entwicklungs- Im Rahmen der Baurechtsaktion des Landes Nie- ziele der Gemeinde verfügbar sind. Diese Art der derösterreich können geeignete Grundstücke für Bodenpolitik erfordert oftmals eine langjährige Wohnzwecke verfügbar gemacht werden. Die Vorlaufzeit, um entsprechend Flächen zur Verfü- Grundstücke werden vom Amt der NÖ Landes­ gung zu haben. regierung angekauft, an die BauwerberInnen werden Baurechte vergeben. Das Land Nieder­ Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 60 HAMADER

österreich schließt dafür mit der Gemeinde und durchgeführt. Ein wesentliches Hemmnis für die den BauwerberInnen Baurechtsverträge ab. Als Vo- Durchführung einer detaillierten Kostenkalkulati- raussetzung hierfür gilt, dass nach Errichtung des on ist der erforderliche Zeitaufwand. Viele Zahlen Wohnhauses in der Gemeinde der Hauptwohnsitz und Fakten müssten von den einzelnen Gemein- zu begründen ist. Gleichzeitig wird den Bauwerbe- den aufwendig erhoben bzw. berechnet werden. rInnen im Baurechtsvertrag eine Kaufoption einge- Mit dem NIKK wird den Gemeinden ein Instru­ räumt. Frühestens nach Fertigstellung des Wohn- ment zur Verfügung gestellt, in dem viele wich­ hauses (gemäß § 30 NÖ Bauordnung 1996) kann tige Einflussgrößen bereits mit Zahlen hinterlegt diese Option ausgeübt werden. Für die Förderungs- sind. Die erforderlichen Zahlen und Hintergrund- würdigkeit gelten die Einkommensregelungen, die daten wurden unter Einbeziehung vieler Experten auch der Wohnbauförderung zugrunde liegen. aus Raumordnung, Finanzwissenschaft, Statistik, Wasserbau, Straßenbau und Flächenmanagement Die Baurechtsaktion wird durchaus auch als er­ in das Planungstool eingearbeitet. Der NIKK ist ster Schritt in Richtung eines Baulandfonds an­ ein kostenloses Online-Planungstool, das allen Ge- gesehen. Neben den Vorteilen, die die Baurechts- meinden und PlanerInnen zur Verfügung steht, aktionen bietet (günstig finanzierte Grundstücke und ein Hilfsmittel, um Gemeindekosten zu steu- für Jungfamilien), ergeben sich jedoch auch Nach- ern und nachhaltig zu senken. teile: Zum einen wird die lange Vorlaufzeit von Betroffenen bemängelt, zum anderen kann die Während die erste Version des Niederösterreichi- Baurechtsaktion durch restriktive Leitlinien nur schen InfrastrukturKostenKalkulators lediglich in ausgesuchten Situationen zur Anwendung ge- zur Abschätzung der Ausgaben und Einnahmen langen. Dadurch ist die Anwendung in der Praxis bei Siedlungserweiterungen anwendbar war, kön- relativ begrenzt. nen in der – derzeit in Fertigstellung befindlichen – Version „NIKK II“ Wohngebiete, Mischgebiete Niederösterreichischer InfrastrukturKosten­ und Betriebsgebiete im Bestand und für Neupla- nungen berechnet werden. Kalkulator (NIKK) Die Mobilisierung von Baulandreserven ist meist Bei der Entscheidung, ob und welche Art der Sied- eine mittel- bis langfristige Aufgabe in den Ge- lungserweiterung in einer Gemeinde erfolgen soll, meinden. Immer wieder ist es daher erforderlich, können die Gemeinden nicht nur nach rein plane- Siedlungserweiterungen zu planen. Die Umset- rischen bzw. transparent‐rationalen Gesichtspunk- zung eines neuen Siedlungsgebiets bedeutet für ten entscheiden. Es sind insbesondere realpolitische eine Gemeinde immer eine größere Investition. Im Erfordernisse zu berücksichtigen. Daher bewerten Gegenzug kalkulieren die Gemeinden auch mit die Gemeinden die Kosten der Siedlungsentwick- höheren Einnahmen aus Abgaben und Finanzaus- lung einerseits monetär und andererseits ideell gleich. Vor dem Hintergrund knapper Kassen aufgrund der sozialen Effekte. Dadurch kann mit und dem demografischen Wandel wird von vie­ der Anwendung des NIKK die Entscheidungsfin- len Gemeinden eine erhöhte Berücksichtigung dung bei Planungsvarianten unterstützt werden. der Kosten bei investiven Maßnahmen gefordert. Mit den Erweiterungen in der neuen Version Bei der Planung von Siedlungserweiterungen sind wird der NIKK ein umfassendes Werkzeug zur daher auch Möglichkeiten zur Kostenersparnis zu Bewertung von investiven und laufenden Aus­ prüfen und die zu erwartenden Einnahmen für die gaben und Einnahmen (monetärem Nutzen) von kommunalen Haushalte abzuschätzen. Siedlungs-, Misch- und Betriebsgebieten.

Die zu erwartenden unmittelbaren und mittel- Der NIKK ermöglicht baren Ausgaben im Zusammenhang mit Sied- • den Vergleich mehrerer Standort- und/oder Be- lungserweiterungsmaßnahmen werden jedoch sel- bauungsvarianten, ten in ihrer Gesamtheit erfasst und konnte daher • die Ausarbeitung objektiver Grundlagen für bisher in der Entscheidungsfindung nicht vollstän- Diskussions- und Entscheidungsprozesse, dig berücksichtigt werden. Ebenso erfolgte bisher • das Aufzeigen von Tendenzen der Auslastung nur selten eine Kalkulation der monetären Rück- von Infrastruktureinrichtungen (etwa Kinder- flüsse aus dem Finanzausgleich sowie aus den garten und Volksschule) im zeitlichen Verlauf, Aufschließungsabgaben. Eine Bilanzierung der • die Darstellung der Kostenentwicklung über 20 Ausgaben und Einnahmen im Zusammenhang mit Jahre, geplanten Siedlungserweiterungen wurde kaum • den Hinweis auf mögliche Kostenfallen. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILISIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN NIEDERÖSTERREICH 61

LITERATUR

Michael Fleischmann, DI Florian Huysza (Büro RaumRe- gionMensch): Studie „Evaluierung Baulandmobilisie- rungsinstrument“, Sulz im Weinviertel 2009 Gerald Kienastberger, Anna Stellner-Bichler: NÖ Baurecht – Praxiskommentar, St. Pölten 2015 Amt der NÖ Landesregierung, Abt. Raumordnung und Re- gionalpolitik: Planen – Bewerten –Kalkulieren, Folder- sammlung, St. Pölten 2016. Amt der NÖ Landesregierung, Abt. Raumordnung und Re- gionalpolitik: Leitfaden zur Erstellung eines Örtlichen Entwicklungskonzepts, St. Pölten 2001. (Neuauflage 2017) Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 62 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement 63

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 SIR-Mitteilungen Möglichkeiten der Bauland­ mobilisierung und deren An­ wendung in der Steiermark Possibilities for mobilising building land and their Dr. Liliane Pistotnig application in Styria Land Steiermark Abteilung 13 Umwelt und Raumordnung – Referat Bau- und Raumordnung Zusammenfassung Stempfergasse 7 8010 Graz In der Steiermark besteht schon seit der Novelle 2002 zum StROG 1974 die Mög- abt13-bau-raumordnung@ stmk.gv.at lichkeit, Mobilisierungsmaßnahmen zu treffen. Die mit Stand StROG 1974 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 89/2008 geregelten Mobilisierungsinstrumente wurden mit dem StROG 2010 unverändert übernommen.

Die derzeitige Regelung hinsichtlich der Baulandmobilisierung sieht drei Ar- ten vor. Die Gemeinden können privatwirtschaftliche Maßnahmen treffen oder auf hoheitlichem Wege entweder Bebauungsfristen oder Vorbehaltsflächen festlegen. Da die Gemeinden erst nach und nach in die Sanktionsphase ein- treten, kann die Abteilung 13 als Aufsichtsbehörde auch noch keine Aussage über allfällige Anfechtungen im Rechtswege treffen. Ferner ist der Abteilung 13 auch nicht bekannt, ob die aus den angewandten Baulandmobilisierungs- intrumenten resultierenden Sanktionen überhaupt zur Anwendung kommen. Letztlich liegt es in der Hand der Gemeinden, die bestehenden gesetzlichen Re- gelungen sinnvoll bis zur letzten Konsequenz einzusetzen.

Abstract

In Styria, already since the 2002 amendment to the StROG (Styrian Regional Planning Act) 1974, the possibility to take mobilisation measures exists. The tools for mobilisation regulated in the version of the amendment law gazette No. 89/2008 (status StROG 1974) were taken over in the StROG 2010 without modifications.

The current regulation concerning the mobilisation of building land allows for three options. The municipalities can take private measures or determine either development deadlines or reservation surfaces by sovereign means. Due to the fact that municipalities only gradually enter the penalty stage, the department 13 as controlling institution cannot yet make a statement about possible refu- tations by legal proceedings. Moreover, it is not known to the department 13 either if the penalties resulting from the applied tools for mobilising building land are even applied. Ultimately, the power to reasonably apply the current le- gal regulations to their ultimate consequences lies in the municipalities’ hands. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 64 PISTOTNIG

I. Gesetzliche Regelungen Detailliert geregelt wurde für den Fall des Erwerbs durch die Gemeinde, innerhalb welcher Zeit und in welcher Form eine Bebauung zu leisten war, 1. Historische Entwicklung welche Rechtsmechanismen bei zweckwidriger Verwendung eintreten sollten und was zu erfol­ gen hatte, wenn es keine Einigung hinsichtlich des Bereits mit der Novelle 1988, LGBl. Nr. 15/1989, Kaufpreises gab. zum damals in Geltung stehenden Steiermär­ kischen Raumordnungsgesetz 1974 wurde ledig­ Einige wenige steirische Gemeinden konnten auf lich eine Mobilisierungsmaßnahme geregelt. Im dieser gesetzlichen Basis den Infrastrukturkosten­ damaligen § 23 a wurde zur Sicherstellung einer beitrag als Sanktion für die Untätigkeit des Grund­ Bebauung im Zuge der Gesamtänderung des Flä­ eigentümers eintreiben und verdienten so gut da­ chenwidmungsplanes die Möglichkeit eingeräumt, bei, dass diese zweckgebundene Gemeindeabgabe eine Bebauungsfrist, die mindestens 5 Jahre und die Gemeindekasse vollends aufgefüllt hatte. nicht mehr als 10 Jahre zu betragen hatte, für als Bauland ausgewiesene Grundflächen festzulegen. Eine umfassende Neuregelung brachte die No­ velle 2002, LGBl. Nr. 20, zum Steiermärkischen Diese Möglichkeit der Festlegung war allerdings Raumordnungsgesetz, StROG 1974. Zunächst an folgende Voraussetzungen geknüpft: wurde mit § 26 die allgemeine Verpflichtung der Das Vorliegen eines öffentlichen Interesses (Bau­ Gemeinden zur aktiven Bodenpolitik festgelegt. landbedarf, wirtschaftliche und siedlungspoliti­ Die Gemeinden konnten zwischen insgesamt drei sche Interessen, Ver- und Entsorgungserforder­ möglichen Mobilisierungsmaßnahmen (§ 26 a, b nisse u. dgl.) sowie die vorhandene Erschließung. und c) auf der Grundlage verschiedener, in der örtlichen Raumplanung zu erarbeitender Entwick­ Der Grundeigentümer war nach dieser Regelung lungsziele wählen, mussten jedoch mindestens verpflichtet, der Gemeinde innerhalb der festge­ eines dieser Instrumente einsetzen (vergl. Erläute­ legten Frist schriftlich mitzuteilen, ob er beabsich­ rungen zu LGBl.Nr. 20/2003). Der zu erwartende tigt das Grundstück selbst zu bebauen oder von Bedarf war bereits auf der Ebene des örtlichen Ent­ einem Dritten bebauen zu lassen. In diesem Falle wicklungskonzeptes und schließlich auch auf jener musste der Rohbau des bewilligten Bauvorhabens des Flächenwidmungsplanes im Hinblick auf die zum Zeitpunkt des Fristablaufs fertiggestellt sein. Bestandsaufnahme und der aus dem örtlichen Ent­ Eine bescheidmäßig bewilligte Fristverlängerung wicklungskonzept abgeleiteten Wohnversorgung um ein weiteres Jahr war möglich. sowie Gewerbeentwicklung aufzubereiten und als Nachweis für die Maßnahmen der aktiven Bo­ Konnte der Grundeigentümer den Rohbau nicht denpolitik zu führen. Eine Abstimmung der Maß­ fertig stellen oder hatte er die Bebauung nicht be­ nahmen zur Erreichung der angestrebten Entwick­ absichtigt, so war die Grundfläche nach Ablauf der lungsziele unter Bezugnahme auf die örtlichen Frist im Zuge der darauffolgenden Flächenwid­ Verhältnisse mit dem zu erwartenden Bedarf war mungsplanänderung entschädigungslos in Frei­ nachweislich vorzunehmen. land rückzuwidmen – wenn mit dem örtlichen Entwicklungskonzept vereinbar – oder ein Infra­ Diese Baulandmobilisierungsmaßnahmen betra­ strukturkostenbeitrag in Höhe von ATS 3,--/m² fen alle Kategorien von unbebautem Bauland und der Grundfläche vorzuschreiben. Mit der Fertig­ waren sowohl bei Neuausweisungen als auch bei stellung des Rohbaues endete die Beitragspflicht. bereits ausgewiesenem, aber nach wie vor un­ Vorgesehen war auch eine Gegenverrechnung mit bebautem Bauland anlässlich jeder Flächenwid­ der Bauabgabe. Der Infrastrukturkostenbeitrag mungsplanänderung zu treffen. Weiters konnte stellte eine ausschließliche Gemeindeabgabe dar. auch die wesentliche Anhebung der Bebauungs­ dichte oder die Anpassung einer Baugebietska­ Im Falle des nicht vorhandenen Bebauungswun­ tegorie an die aktuelle Rechtslage die Gemeinde sches konnte der Grundeigentümer ferner von der verpflichten, Baulandmobilisierungsmaßnahmen Gemeinde den Erwerb zum Verkehrswert verlan­ zu treffen. Als bebaut wurde ein Grundstück dann gen. Demgemäß war die Gemeinde verpflichtet, angesehen, wenn es eine seiner Widmung ent­ die Grundfläche innerhalb von 2 Jahren entweder sprechende Nutzung in seiner Gesamtheit erfah­ selbst zu erwerben oder einen Dritten zu organisie­ ren hatte und zumindest ein Rohbau fertiggestellt ren, der diese Fläche erwirbt. wurde. Ein Industrie- oder Gewerbegrundstück SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILI-SIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN DER STEIERMARK 65 war dabei nicht mit denselben strengen Maßstäben Bei der Gestaltung dieser Verträge war insbesonde­ zu messen, da sich eine industrielle oder gewerb­ re auf die Gleichbehandlung der in Betracht kom­ liche Nutzung auch als Lagerung von Materialien menden Grundeigentümer neben den sonst gel­ erweisen konnte. tenden Regeln des zivilrechtlichen Vertragsrechtes zu achten. Für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs Für Grundstücke, die sich im Eigentum einer Ge­ waren Sanktionsfolgen in die Vereinbarung aufzu­ bietskörperschaft befanden, wurde ein erhöhtes nehmen. Dies konnte die Leistung eines bestimm­ öffentliches Interesse hinsichtlich der Bebauung ten Betrages oder unter Umständen – wenn es das angenommen, sodass diese Flächen vom Mobili­ örtliche Entwicklungskonzept erlaubte – eine ent­ sierungszwang ausgenommen waren. schädigungslose Freilandrückführung sein.

An möglichen Maßnahmen eingeführt wurden mit Lag kein Eigenbedarf vor, war der Abschluss von dieser Novelle privatwirtschaftliche Maßnahmen sog. Optionsverträgen sinnvoll. Mit diesen wurde (§ 26a), die Bebauungsfrist (§ 26 b) und Vorbehalts­ vereinbart, dass der Grundstückseigentümer in­ flächen (§ 26 c). nerhalb einer (kurzen) Frist sein Grundstück selbst verwertete oder es nach Ablauf dieser Frist der § 26 a, mit welchem die privatwirtschaftlichen Gemeinde zum Kauf anbot. Privatwirtschaftliche Maßnahmen geregelt wurden, entsprach im We­ Vereinbarungen mussten schon im Zuge der Ein­ sentlichen der Regelung im Salzburger Raum­ leitung des Flächenwidmungsplan-(änderungs-) ordnungsgesetz 1992. Entgegen der damaligen verfahrens abgeschlossen und bei Vorlage an die Salzburger Regelung stellte sie jedoch nur eine der Aufsichtsbehörde zwecks Genehmigung/Prüfung möglichen Maßnahmen dar. Enthalten war ferner Bestandteil des Erläuterungsberichtes sein. eine Verordnungsermächtigung zur Erlassung von notwendigen Inhalten derartiger Vereinbarungen. Die zweite Mobilisierungsmöglichkeit für eine Ge­ § 26 a war zugeschnitten für den förderbaren meinde bestand darin, anlässlich einer Revision Wohnbau, die zu erreichende Zurverfügungstel­ eine Bebauungsfrist gemäß § 26 b des StROG 1974 lung von Industriegrundstücken war jedoch nicht festzulegen. Die Gemeinde hatte hierbei eine Frist ausgeschlossen (vergl. Erläuterungen zu LGBl.Nr. für eine Planungsperiode (mindestens 5 und maxi­ 20/2003). mal 7 Jahre) für die Bebauung festzulegen, wenn folgenden Voraussetzungen vorlagen: Unter privatwirtschaftlichen Maßnahmen wa­ bei vollwertigem Bauland oder Aufschließungs­ ren Vereinbarungen (sog. Baulandverträge) der gebiet (aller Kategorien) Gemeinde mit den Grundeigentümern über die • es wurde keine privatwirtschaftlichen Verein­ Verwendung der Grundstücke innerhalb einer barung abgeschlossen oder keine Vorbehalts­ bestimmten Frist entsprechend der beabsichtigten fläche festgelegt Flächenwidmung und den beabsichtigten Festle­ • es handelte sich um Grundflächen eines Eigen­ gungen der Baulandzonierung zu verstehen. Mit tümers, welche zusammenhängend mindestens diesen verpflichteten sich einerseits die Gemein­ 3.000 m² umfassten. de, Bauland auszuweisen und Bebauungspläne zu erstellen (falls erforderlich), und andererseits Solche Grundflächen mussten die volle oder abseh­ der Grundeigentümer, innerhalb einer bestimm­ bare Aufschließung aufweisen. In der Regel han­ ten Frist sein Grundstück entweder selbst (oder delte es sich um Baulandbereiche in zentraler oder einer seiner Nachkommen) zu bebauen oder zu in ortsplanerischer Hinsicht günstiger Lage, die verkaufen. Zweck dieser Vereinbarungen war es, vor allen anderen Grundstücken bebaut werden den Gemeinden die erforderlichen Grundstücke sollten (vergl. Erläuterungen zu LGBl.Nr. 20/2003). für den förderbaren Wohnbau im Sinne des Stmk. Wohnbauförderungsgesetzes zur Verfügung zu Bei Aufschließungsgebieten konnte die festge­ stellen. Bei Abschluss der Vereinbarungen war der legte Bebauungsfrist erst ab dem Zeitpunkt der nachweisliche Eigenbedarf des Grundeigentümers Erschließung zu laufen beginnen, wenn diese selbst oder des Bauberechtigten für Wohnzwecke, von der Gemeinde vorzunehmen war. Hatte der aber auch jener der unmittelbaren Nachkommen Grundeigentümer die Erschließung entsprechend des Eigentümers innerhalb eines Zeitraumes von der Festlegungen im Flächenwidmungsplan selbst zehn Jahren zu berücksichtigen. vorzunehmen, begann die Frist ab Rechtskraft des Flächenwidmungsplanes zu laufen. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 66 PISTOTNIG

Im Wortlaut zum Flächenwidmungsplan waren Anregung des Grundeigentümers in Übereinstim­ die Rechtsfolgen eines fruchtlosen Fristablaufs mung mit dem örtlichen Entwicklungskonzept festzulegen. Dafür konnte die entschädigungslose zu einem späteren Zeitpunkt wieder als Bauland Freilandrückführung, eine festzulegende Sonder­ ausgewiesen werden. Für diese Grundstücke galt, nutzung vorgesehen oder der Grundeigentümer dass die Investitionsabgabe rückwirkend für den zur Leistung einer Investitionsabgabe in Höhe von Zeitraum zwischen Rückwidmung und Neuaus­ max. € 1,-- pro m² im Jahr verpflichtet werden. weisung, maximal jedoch für zwei Planungsperio­ den, sowie ab dem Zeitpunkt der Neuausweisung Die Investitionsabgabe stellte eine ausschließliche bis zur Fertigstellung des Rohbaus eines bewilli­ Gemeindeabgabe im Sinne des § 6 Abs. 1 Z. 5 des gten Gebäudes, wertgesichert nach dem Verbrau­ Finanzverfassungsgesetzes 1948 dar. Sie sollte von cherpreisindex, vorzuschreiben war. Diese Rege­ der Gemeinde für Zwecke der Baulandbeschaf­ lung sollte Missbrauch durch den Grundeigentü­ fung, insbesondere zum Ankauf oder zur Weiter­ mer verhindern (vergl. Erläuterungen zu LGBl.Nr. gabe von Baulandgrundstücken für Wohnen, Ge­ 20/2003). werbe oder Industrie, weiters für die Erstellung von Bebauungsplänen oder für die Verbesserung Schließlich bestand für Gemeinden als dritte Mög­ der Nahversorgung verwendet werden. Die Bei­ lichkeit der zu veranlassenden Mobilisierung die tragspflicht endete mit der nachweislichen Fertig­ Festlegung von Vorbehaltsflächen gem. § 26 c stellung des Rohbaus eines bewilligten Gebäudes Abs. 2 des StROG 1974 offenbar einem allgemeinen im Sinn der angestrebten Nutzung. Bedürfnis der Gemeinden entsprechend (vergl. Er­ läuterungen zu LGBl.Nr. 20/2003). Danach konnten Hatte die Gemeinde die Investitionsabgabe als Gemeinden zur Sicherstellung geeigneter Flächen Sanktion festgelegt und wurde innerhalb der Be­ für den förderbaren Wohnbau im Sinne des Stei­ bauungsfrist der Rohbau eines bewilligten Gebäu­ ermärkischen Wohnbauförderungsgesetzes 1993 des nicht fertig gestellt, so war der Grundeigen­ oder zur Sicherstellung geeigneter Flächen für Ge­ tümer vor Vorschreibung der Investitionsabgabe werbe und Industrie Vorbehaltsflächen ausweisen, anlässlich der Revision schriftlich zu befragen, ob wenn dies im örtlichen Entwicklungskonzept fest­ die betroffenen Grundstücke weiterhin als Bau­ gelegt war. Diese Vorbehaltsflächen mussten eine land ausgewiesen bleiben sollen. Sollten danach besondere Standorteignung aufweisen und durf­ die Grundstücke nicht als Bauland ausgewiesen ten nur für den förderbaren Wohnbau als reines bleiben, hatte die Gemeinde diese, sofern dies mit oder allgemeines Wohngebiet (§ 23 Abs. 5 lit. a dem örtlichen Entwicklungskonzept vereinbar und b) bzw. für die gewerbliche oder industrielle war, anlässlich der nächsten Revision des Flächen­ Nutzung als Industrie und Gewerbegebiet (§ 23 widmungsplanes entschädigungslos ins Freiland Abs. 5 lit. e) ausgewiesen werden, vorausgesetzt, rückzuwidmen. Mit dieser Bestimmung sollten dies entsprach dem voraussichtlichen Bedarf einer jene Fälle berücksichtigt werden, in denen die Bau­ Planungsperiode an einer derartigen Nutzung. landausweisung für den Grundeigentümer eine Die Festlegung hatte bereits in grober Form im Belastung darstellte, weil er seine Grundflächen örtlichen Entwicklungskonzept zu erfolgen (vergl. lediglich bewirtschaften wollte und andernfalls die Erläuterungen zu LGBl.Nr. 20/2003). Investitionsabgabe entrichten hätte müssen (vergl. Erläuterungen zu LGBl.Nr. 20/2003). In Folge der Festlegung als Vorbehaltsfläche konn­ te der Grundeigentümer nach Inkrafttreten des Flä­ Im Fall der weiterhin bestehenden Baulandauswei­ chenwidmungsplanes bei der Gemeinde schriftlich sung besaß der Grundeigentümer die Möglichkeit, einen Einlösungsantrag stellen. Zurückgezogen mittels schriftlichen Antrags von der Gemeinde konnte dieser nur mit Zustimmung der Gemeinde zu verlangen, dass die Grundstücke eingelöst werden. wurden, wobei die Bestimmungen des § 26c Abs. 3 bis 5 sinngemäß anzuwenden waren. Wurden Ab Stellung eines Einlösungsantrages hatte die die Grundstücke dementsprechend ins Freiland Gemeinde dem Grundeigentümer innerhalb eines rückgewidmet oder wurde ein Einlösungsantrag Jahres mitzuteilen, ob sie oder ein Dritter das gestellt, war der Grundeigentümer nicht mehr zur Grundstück erwerben will, widrigenfalls die Aus­ Leistung der Investitionsabgabe heranzuziehen. weisung als Vorbehaltsfläche durch Änderung des Flächenwidmungsplanes wieder aufzuheben war. Grundstücke, die nach Abs. 4 entschädigungslos Bei Nichtaufhebung hatte die Gemeinde oder der ins Freiland rückgewidmet wurden, konnten auf Dritte innerhalb von drei Jahren nach Ablauf der SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILI-SIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN DER STEIERMARK 67 einjährigen Frist zur Stellung des Einlösungsan­ licher Sicht können zusätzlich im Rahmen des örtlichen trages das Eigentum am Grundstück zu erwerben. Entwicklungskonzeptes durch die Gemeinde festgelegt werden. Diese Definition wurde unverändert vom in Gel­ 2. Derzeitiger Rechtsstand tung stehenden StROG 2010 übernommen und fin­ det sich in § 2 Ziff. 31 wieder.

Das Steiermärkische Raumordnungsgesetz 2010, Zu mobilisieren wäre nach dem Beamtenentwurf LGBl. Nr. 49/2010, übernimmt entgegen dem in den Siedlungsschwerpunkten bestehendes un­ Begutachtungsentwurf – als politischen Kom­ bebautes Bauland ab einer Größe von mind. promiss die bisherige Rechtslage (vergl. Erläu­ 3.000 m² eines Eigentümers gewesen, sowie alle terungen zu LGBl. Nr. 49/2010). Diese politische zukünftigen Baulandausweisungen, sofern sie der Vorgehensweise ist aus raumplanerischer Sicht Form und Größe nach für eine selbständige Be­ als Rückschritt in der Fortentwicklung der Mo­ bauung geeignet sind. Außerhalb von Siedlungs­ bilisierungsmöglichkeiten und deren Durch­ schwerpunkten hätte die Gemeinde Baulandmobi­ setzungskraft zu betrachten; sind doch die zahl­ lisierungsmaßnahmen treffen können. reichen praktischen Erfahrungen aus dem Vollzug Sind Teilbereiche mit besonderer Bedeutung für in den Beamtenentwurf eingeflossen. Einige, für die Siedlungsentwicklung festgelegt (§ 23 Abs. 6), Gemeinden nachteilige Regelungen im Zusam­ so wären nur in diesen Bereichen für unbebaute menhang mit der Sanktionsphase der Mobilisie­ Grundflächen die Maßnahmen oder Festlegungen rungsmaßnahmen sollten verbessert werden und zu treffen gewesen. Bei Flächen, die weniger als den Gemeinden verstärkten Zugriff auf unbe­ 3.000 m² betragen, hätte die Gemeinde inner- oder bautes Bauland verschaffen. außerhalb von Siedlungsschwerpunkten Bauland­ mobilisierungsmaßnahmen treffen können. Konkret sah der Beamtenentwurf folgende Ände­ rungen gegenüber der Rechtslage 1974 vor: Der Beamtenentwurf sah weiters vor, dass Ge­ meinden auch bei zusammenhängenden Grundflä­ Jede Gemeinde sollte grundsätzlich dann die Ver­ chen unter 3.000 m² eine Bebauungsfrist festlegen pflichtung haben Baulandmobilisierungsmaßnah­ können. Gerade diese Regelung war ein besonde­ men zu treffen, wenn es sich um unbebaute rer Wunsch der Gemeinden, da sie ihnen einen Grundflächen in den Siedlungsschwerpunkten verstärkten Zugriff auf schon länger unbebaute handelt. Außerhalb sollte ihr lediglich die Möglich­ Grundflächen in zentraler Lage unabhängig von keit – nicht die Verpflichtung - verschafft werden, der Bereitschaft des Grundeigentümers, mit der diese Maßnahmen oder Festlegungen zu treffen. Gemeinde einen Vertrag abzuschließen, verschaf­ Dort, wo keine Siedlungsschwerpunkte festgelegt fen sollte. Auf die Gleichbehandlung wäre jedoch sind, sollte demnach auch keine Baulandmobilisie­ in diesem Zusammenhang besonders zu achten rung verpflichtend sein. gewesen. Siedlungsschwerpunkte waren nach dem Beam­ tenentwurf als weiter entwickelbare Schwerpunkt­ Die Regelung betreffend die privatwirtschaftlichen bereiche der Siedlungsentwicklung definiert, die Maßnahmen glich auch im Beamtenentwurf der eine entsprechende Verdichtung, Nutzungsdurch­ „alten“ und auch heute noch bestehenden Rechts­ mischung und Versorgung mit öffentlichen Ein­ lage. richtungen und/oder privatgewerblichen Versor­ gungseinrichtungen aufweisen. Darüber hinaus Im Zusammenhang mit der Bebauungsfrist sah wurde folgendes festgehalten: der Beamtenentwurf durchaus zahlreiche, für Ge­ Siedlungsschwerpunkte bündeln die Entwicklung im meinden vorteilhafte Änderungen vor. So sollte Hinblick auf einen sparsamen Umgang mit der Res- beispielsweise eine festzulegende Bebauungsfrist source Boden, tragen zur Minimierung der Kosten für nicht an die Planungsperiode gekoppelt, sondern technische und soziale Infrastruktur bei und begünsti- mit exakt höchstens 7 Jahren bemessen sein. Dies gen den Ausbau bzw. die Aufrechterhaltung des öffent- hätte den Vorteil für Gemeinden, dass die Rechts­ lichen Personennahverkehrs; Siedlungsschwerpunkte folgen aus der Nichterfüllung einer festgelegten aus überörtlicher Sicht sind im Regionalplan festgelegte Bebauungsfrist unabhängig von der Inangriffnah­ Vorrangzone der Siedlungsentwicklung (im Regelfall me einer neuerlichen Revision eintreten können. der kompakte Hauptort mit allen öffentlichen Verwal- tungseinrichtungen). Siedlungsschwerpunkte aus ört- Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 68 PISTOTNIG

Die Festlegung der Bebauungsfrist sollte auch au­ • zusammenhängend mindestens 3.000 m² ßerhalb einer Revision, also auch anlässlich einer • vollwertiges Bauland oder Aufschließungs­ Flächenwidmungsplanänderung möglich sein. gebiet Die im § 26b Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 5 im • es liegt kein Baulandvertrag vor und es wurde StROG 1974 geregelte Befragungsverpflichtung keine Vorbehaltsfläche festgelegt der Gemeinde gegenüber den Grundeigentümern • räumliche oder zeitliche Staffelung möglich (welche in der nunmehr geltenden Fassung des StROG 2010 inhaltsgleich in § 36 Abs. 3 und 4 3. Vorbehaltsflächen (§ 37 StROG 2010) übernommen wurde) für den Fall der Nichteinhal­ • Flächen für öffentliche Einrichtungen und An­ tung der Bebauungsfrist konterkariert die Wirk­ lagen mit nachweisbarer samkeit dieses Mobilisierungsinstrumentes. Der • Notwendigkeit für öffentliche Zwecke Grundeigentümer ist demnach zu befragen, ob die • zur Sicherstellung geeigneter Flächen für den betroffenen Grundstücke weiterhin als Bauland förderbaren Wohnbau oder für Gewerbe und ausgewiesen bleiben oder in Freiland rückgeführt Industrie werden sollen. Im Falle der Freilandrückführung • Festlegung bereits im ÖEK erforderlich entfällt nämlich die verpflichtende Leistung der In­ • besondere Standorteignung vestitionsabgabe. Auf Grund dieser den raumpla­ • Ausweisung als reines oder allgemeines Wohn­ nerischen Zielsetzungen zuwiderlaufenden Kon­ gebiet sequenzen der Grundeigentümerbefragung sah • oder als Industrie- oder Gewerbegebiet der Beamtenentwurf den Entfall dieser Regelung über die Befragung des Grundeigentümers vor. Für Probleme sorgte das Inkrafttreten des StROG 2010, wenngleich es die Mobilisierungsvorschrif­ Die Regelung der Vorbehaltsflächen sollte im We­ ten unverändert aus der „alten“ Regelung über­ sentlichen bis auf vereinzelt vorgenommene Klar­ nahm. Der Gesetzgeber hatte es nämlich verab­ stellungen übernommen werden (vergl. Erläute­ säumt, eine Übergangsregelung zur Mobilisierung rungen zum Beamtenentwurf). Wie bereits oben vorzusehen. Gerade im Zusammenhang mit Be­ festgehalten, entsprechen die derzeit geltenden bauungsfristen, die in der früheren Planungspe­ Regelungen im Hinblick auf die Baulandmobili­ riode festgelegt worden waren, entstand Konfu­ sierung jenen des StROG 1974. Diese wurden ein­ sion darüber, wie diese zu behandeln seien. gangs bereits ausführlich beschrieben, sodass eine Wiederholung derselben entbehrlich erscheint. Mit Hilfe der Aufsichtsbehörde konnte diese fol­ gendermaßen aufgelöst werden: Um die gesetzlichen Regelungen überschaubarer Bei zum Revisionszeitpunkt abgelaufener Bebau­ und verständlicher zu gestalten, wird nachfolgend ungsfrist nach der Rechtslage des StROG 1974 ist nochmals dargelegt, unter welchen Voraussetzun­ die Vorschreibung einer Investitionsabgabe trotz gen diese jeweils zum Einsatz kommen können: der inzwischen geänderten Rechtsgrundlage zuläs­ sig, zumal die inhaltlichen Regelungen des StROG 1. Privatwirtschaftliche Maßnahmen – 2010 und des StROG 1974 diesbezüglich gleichlau­ Baulandverträge (§ 35 StROG 2010) tend sind. Bei zum Revisionszeitpunkt noch nicht • Vereinbarung als einseitige Verpflichtungs­ laufender oder nicht abgelaufener Frist (Aufschlie­ erklärung ⇒ Muster der Landesregierung ßungsgebiete), ist mangels entsprechender Über­ • Grundsätze d. Vertragsraumordnung gangsregelungen im StROG 2010 das Vorliegen (Gleichbehandlung, keine Verknüpfung von der Voraussetzungen für eine Neufestlegung der Hoheitsakten mit Privatrecht, keine Befristung nach dem StROG 2010 zu prüfen (vergl. Sittenwidrigkeit, im Einklang mit dem StROG) Wissensdatenbank der Abteilung 13). • Berücksichtigung des Eigenbedarfs auch für den unmittelbaren Nachkommen des Grund­ Anders verhielt sich die Situation bei den Gemein­ eigentümers innerhalb von 10 Jahren dezusammenlegungen im Zuge der Gemeinde­ • bei jedem Verfahren unabhängig von Grund­ strukturreform 2015 des Landes Steiermark. Die stücksgröße möglich Fusion mehrerer Gemeinden wird nicht als derart massive Änderung der Ausgangssituation betrach­ 2. Bebauungsfrist (§ 36 StROG 2010) tet, die dazu führt, eine Neufestlegung von Mo­ • nur innerhalb einer Revision möglich bilisierungsmaßnahmen (vor allem der hoheitlich • unbebaute Grundflächen eines Eigentümers festgelegten) zu erzwingen. Die von den Regie­ und rungskommissären zu erlassenden Überleitungs­ SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILI-SIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN DER STEIERMARK 69 verordnungen bewirkten eine Weiterführung der bereits eine Berücksichtigung erfahren, indem der Raumordnungspläne und somit auch der darin Gesetzgeber den Gemeinden nicht nur ein Instru­ festgelegten Mobilisierungsmaßnahmen. Einen mentarium sondern gleich drei – wenn auch mit nicht unerheblich nachteiligen Effekt auf die Mobi­ unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechts­ lisierungsmaßnahmen hat die nunmehr in § 42 des folgen verknüpft – in die Hand gab. StROG 2010 geregelte Dauer der Planungsperiode. Der Gesetzgeber hat diese nun mit 10 Jahren festge­ Obwohl das StROG 2010 die Regelungen über die legt, was einer Verdoppelung jener Planungsperio­ Baulandmobilisierung vom StROG 1974 wortgleich de entspricht, wie sie mit StROG 1974 in § 30 vorge­ übernahm, ergab sich dennoch eine erschwerte Si­ sehen war. Danach umfasste eine Planungsperiode tuation für die Gemeinden bei der Durchführung 5 Jahre. Da Mobilisierungsmaßnahmen insbeson­ von Revisionen. Die Vollzugspraxis der Aufsichts­ dere Bebauungsfristen, die für eine Planungspe­ behörde im Zusammenhang mit der Akzeptanz riode zu treffen sind, mit der Planungsperiode in von Überschreitungen des zulässigen Mobilitäts­ enger Verbindung stehen, kann deren Einhaltung faktors hatte sich nämlich geändert. Wurde zu erst anlässlich der Inangriffnahme der folgenden Zeiten des StROG 1974 noch eine dreifache Über­ Revision überprüft werden. Die Verdoppelung der schreitung des Baulandbedarfs geduldet (Mobi­ Planungsperiode hat durch das „Hinausschieben“ litätsfaktor 3), durfte er nach Inkrafttreten des der Sanktionsphase die Wirksamkeit der Mobilisie­ StROG 2010 den einfachen Bedarf nicht mehr rungsinstrumente deutlich reduziert. überschreiten (Mobilitätsfaktor 1)! Beachtlich ist, dass seit jeher gesetzlich lediglich die Ausweisung des einfachen Baulandbedarfs gestattet war. Die Er­ II. Umsetzung in der Praxis lassung des StROG 2010 wurde offenbar zum An­ lass genommen, die Vollzugspraxis auf eine recht­ lich vertretbare Basis zu bringen, normiert doch § Die Ausgangssituation der Gemeinden vor der 34 StROG 2010, dass jede Gemeinde Maßnahmen Raumordnungsgesetznovelle 1988 war für Ge­ oder Festlegungen im Sinn der §§ 35, 36 oder 37 meinden triste. Ein immenser Baulandüberhang im Flächenwidmungsplan zur Verwirklichung der belastete ihre jeweiligen Baulandflächenbilanzen. angestrebten Entwicklungsziele, insbesondere zur Eine mangelnde Verfügbarkeit und fehlende, Vorsorge von Wohnungen und Betrieben, entspre­ rechtliche Zugriffsmöglichkeiten auf unbebaute chend dem zu erwartenden Bedarf (§ 26 Abs. 1) Baulandflächen oft auch in zentralen Lagen brach­ zu treffen hat. § 26 Abs. 1 sieht vor, dass das im ten Gemeinden in die Situation, immer wieder Flächenwidmungsplan ausgewiesene unbebaute neues Bauland festlegen zu müssen. Dies bela­ Wohnbauland gemäß § 29 Abs. 1 den Bedarf für die stete nicht nur die Baulandflächenbilanzen son­ in der Planungsperiode zu erwartende Siedlungs­ dern führte auch zu Zersiedelungstendenzen. Eine entwicklung der Gemeinde nicht überschreiten gewisse Verbesserung konnte bereits durch die darf. Diese Wortfolge lässt eindeutig darauf schlie­ Raumordnungsgesetznovelle 1988, welche erstma­ ßen, dass nur ein einfacher Mobilitätsfaktor akzep­ lig den Gemeinden ein Mobilisierungsinstrument tiert werden kann. Um Härtefälle zu vermeiden, in Form der Bebauungsfrist in die Hand gab, er­ hat die Abteilung 13 des Landes Steiermark eine zielt werden. Wie bereits eingangs erwähnt, ver­ neue Berechnungsmethode eingeführt, die den Ge­ standen es volkswirtschaftlich und ökonomisch meinden einen gewissen Spielraum einräumt. Die vorausschauend agierende Gemeinden, sich über Erhöhung des Wohnbaulandbedarfs ist unter be­ dieses Mobilisierungsinstrument Finanzierungs­ stimmten Voraussetzungen demgemäß möglich. quellen für Raumplanungsinstrumente zu sichern und konnten durchaus gut daran verdienen bzw. Diese Situation zwang die Gemeinden entweder die Gemeindekassen auffüllen. bestehende Baulandausweisungen zu überdenken oder die Sanktionsphase der bereits in früheren Erst die Raumordnungsgesetznovelle 2002 bot ein Planungsperioden festgelegten Mobilisierungs­ breiteres Instrumentarium hinsichtlich der Bau­ maßnahmen ernst zu nehmen und dahingehende landmobilisierung. Erfahrungen mit dem Salzbur­ Überprüfungen tatsächlich durchzuführen. Nicht ger Modell (Aufhebung der Salzburger Regelung nur aus den einschlägigen Mobilisierungsbestim­ durch den Verfassungsgerichtshof wegen einer un­ mungen des Raumordnungsgesetzes auch aus zulässigen Verknüpfung von hoheitlichen Maßnah­ anderen Regelungen ergibt sich zweifellos eine men mit privatrechtlichen Vereinbarungen, ­VfGH Verpflichtung der Gemeinden, die Bestrebungen – Erkenntnis vom 13.10.1999, G77/99, V29/99) sollte im Hinblick auf die Baulandmobilisierung ernst Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 70 PISTOTNIG

zu nehmen. § 3 des StROG 2010 sieht in Absatz Falle der Nicht- oder mangelhaften Anwendung 1 vor, dass die Qualität der natürlichen Lebens­ von Mobilisierungsinstrumenten zu ziehen sein. grundlagen durch sparsame und sorgsame Ver­ wendung der natürlichen Ressourcen wie Boden, Um den Gemeinden die Vollzugspraxis zu er­ Wasser und Luft zu erhalten und soweit erforder­ leichtern, aber auch um Rechtssicherheit zu lich nachhaltig zu verbessern ist. Ferner hat danach gewährleisten, wurden Musterverträge von die Nutzung von Grundflächen unter Beachtung der Aufsichtsbehörde angeboten. Dabei wird eines sparsamen Flächenverbrauches, einer wirt­ zwischen Verpflichtungserklärungen bei vorlie­ schaftlichen Aufschließung sowie weitgehender gendem Eigenbedarf und Optionsverträgen für Vermeidung gegenseitiger nachteiliger Beein­ den Fall des Veräußerungswillens unterschieden. trächtigungen zu erfolgen. Auch die Entwicklung Diese Vertragsmuster sind auf der Homepage der der Siedlungsstruktur hat gemäß Absatz 2 dieser Aufsichtsbehörde abrufbar. Genau genommen Bestimmung im Einklang mit der anzustrebenden handelt es sich bei diesen Vertragsmustern ledig­ Bevölkerungsdichte eines Raumes unter Berück­ lich um einseitige Verpflichtungserklärungen, die sichtigung der ökologischen, wirtschaftlichen und vom Gemeinderat aus Gründen der Verfahrenser­ sozialen Tragfähigkeit sowie durch Ausrichtung leichterung nicht gegengezeichnet werden müs­ an der Infrastruktur stattzufinden. sen. Da auch einseitige Verpflichtungserklärungen zivilrechtlich verbindlich und einforderbar sind, Die Steiermärkische Landesregierung als Auf­ hat man sich auf diese Vorgehensweise in der Stei­ sichtsbehörde kann die tatsächliche Anwendung ermark geeinigt. Bei Abgehen von den von der bzw. Festlegung der gesetzlich möglichen Mobi­ Aufsichtsbehörde zur Verfügung gestellten Ver­ lisierungsinstrumente durch Gemeinden lediglich tragsmustern wird ein von einem Rechtsanwalt aus Anlass der Auflageprüfung von Revisionen oder Notar erstellter Vertrag verlangt. Werden von oder bei Anhörungen im Zusammenhang mit der Gemeinde selbst entworfene Verträge mit den Flächenwidmungsplanänderungen einfordern. Verordnungsunterlagen vorgelegt, wird auf eine Eine weitere Gelegenheit ergibt sich für die Auf­ möglicherweise damit im Zusammenhang stehen­ sichtsbehörde dann nur mehr bei der Vorlage in de Rechtsunsicherheit ausdrücklich hingewiesen. Genehmigungsverfahren. Die Kontrolltätigkeit der Aufsichtsbehörde bei bloßen Verordnungsprü­ Die Prüftätigkeit der Aufsichtsbehörde im Zusam­ fungen erschöpft sich in diesem Stadium im Fest­ menhang mit den vorgelegten Verträgen hat sich stellen einer allenfalls fehlenden privatwirtschaft­ in der Vergangenheit ebenfalls geändert. Wurde lichen Vereinbarung. Das Einfordern einer solchen noch kurz nach Inkrafttreten der Raumordnungs­ in diesem Verfahrensstand kann keine Ergebnisse gesetznovelle 2002 die Prüfung der vorgelegten mehr erzielen. Verabsäumt es eine Gemeinde privatrechtlichen Vereinbarungen sehr ernst ge­ zum Zeitpunkt der Flächenwidmungsplanände­ nommen – was auf die damals vorhandene perso­ rung auf den Grundeigentümer einzuwirken und nelle Ausstattung und Situation zurückzuführen auf eine vertragliche Vereinbarung zu bestehen, ist – ist man von dieser peniblen Prüfung in den sind die Möglichkeiten der Gemeinde auf dieser letzten Jahren wieder abgewichen. Geprüft wird Ebene erschöpft. nur mehr formal, ob die richtigen Grundstücke im richtigen Ausmaß etc. im Vertragsmuster eingetra­ Selbst in der Aufsichtsbehörde ist das Regelungs­ gen wurden bzw. ob überhaupt ein Vertrag im Falle verständnis der gesetzlichen Mobilisierungsin­ der Festlegung einer Mobilisierung vorgelegt wur­ strumente mitunter strittig. Sind aus Anlass einer de. Eine darüber hinausgehende Prüfung sprengt Revision alle vorgesehenen Mobilisierungsinstru­ den Rahmen des Möglichen, da die Aufsichtsbe­ mente gleichermaßen anzuwenden oder hat eine hörde als Verwaltungseinrichtung keine zivil­ Gemeinde ihrer Verpflichtung Genüge geleistet, rechtlich ausgerichtete Prüftätigkeit vornehmen wenn sie bloß Bebauungsfristen festlegt? Diesbe­ kann und zum anderen dabei auch noch mit der züglich war in der Vergangenheit durchaus auch Rechtsanwaltskammer in Konflikt geraten könnte. ein Gesinnungswandel festzustellen: von schär­ feren Forderungen gegenüber den Gemeinden hin Vorstellbar wäre durchaus auch in Zukunft nur zu einer etwas gelockerten Haltung im Streitfall mehr das Vorliegen von privatrechtlichen Verein­ oder umgekehrt. Zweifellos wird auch eine Trenn­ barungen – wenn diese von den Gemeinden als linie zwischen dem Einfordern von sinnvollen Mobilisierungsinstrument gewählt werden – abzu­ Festlegungen durch Gemeinden und den Durch­ fragen, nicht mehr jedoch jegliche Art von inhalt­ setzungsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde im licher Prüfung. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILI-SIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN DER STEIERMARK 71

III. Umgang mit den Mobilisierungs­ Nach den Erfahrungen der zuständigen Raum­ instrumenten in der Sanktionsphase planer setzen sich Gemeinden ungern mit den Folgen von nicht eingehaltenen Bebauungsver­ Da die Gemeinden erst seit der Novelle 2002, LG­ pflichtungen auseinander, ungeachtet der Kon­ Bl. Nr. 20/2003, die Möglichkeit haben, Mobilisie­ sequenzen, die dies nach sich ziehen kann. Zum rungsmaßnahmen zu treffen und Sanktionen auf einen könnten Gemeinden bei ernsthaftem Vollzug Grund der gesetzlichen Regelung erst bei Beginn der getroffenen Mobilisierungsmaßnahmen un­ der nächsten Planungsperiode – das ist das Ein­ bebaute Grundstücke damit in Verkehr bringen leiten der nächsten Revision – verhängt werden oder zumindest die Gemeindekassen nicht unbe­ können, gibt es noch wenig Erfahrungswerte . Ge­ trächtlich auffüllen. Zum anderen ist fraglich, ob meinden sind nicht verpflichtet, der Aufsichtsbe­ Gemeinden nicht auf Grund raumordnungsrecht­ hörde das Verhängen von Sanktionen auf Grund licher Vorgaben verpflichtet sind, Sanktionen tat­ der Nichterfüllung der Bebauungsverpflichtung sächlich zu verhängen. Im Falle einer Rechnungs­ zu melden. Ferner gibt es auch keine wiederkeh­ hofkontrolle könnten sich durchaus Gebarungs­ renden Berichtspflichten in diesem Zusammen­ fehler daraus ­ergeben. Welche Folgen hat aber hang. Die einzige Möglichkeit der Aufsichtsbehör­ eine Nichteinhaltung für den Grundeigentümer de über das Verhängen von Sanktionen informiert tatsächlich? Das Ziviltechnikerforum der Zivil­ zu werden besteht darin, aus Anlass einer einge­ technikerkammer für Steiermark und Kärnten ver­ leiteten Revision nachzufragen, ob das Einhalten anstaltete zu diesem Thema im Jahr 2015 eigens der Bebauungsverpflichtung durch die Grund­ ein Seminar mit dem Titel „Baulandmobilisierung eigentümer überprüft wurde und infolgedessen – wie weiter nach Ablauf der Bebauungsfrist?“ Sanktionen verhängt wurden. Bei der Formulie­ In diesem beleuchteten die Vortragenden die The­ rung der neu festzulegenden Mobilisierungsmaß­ matik aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Da ich nahmen im Wortlaut des Entwurfs zum neuen Flä­ in diesem Seminar ebenso als Vortragende meinen chenwidmungsplan ist auch auf bereits verhängte Beitrag geleistet habe und mich überwiegend mit Mobilisierungsmaßnahmen der letzten Planungs­ der Sanktionsphase auseinandersetzte, möchte ich periode Bedacht zu nehmen. Ebensolches gilt für die wesentlichen Inhalte meines Vortrages bzw. die Erläuterungen. In diesem Zusammenhang fällt die Folien aus der Präsentation an dieser Stelle es auf, wenn die Gemeinde die bereits festgelegten wiedergeben. Diese stellen sehr anschaulich die Mobilisierungsmaßnahmen unberücksichtigt lässt recht­lichen Konsequenzen für Gemeinde und bzw. sich mit diesen nicht auseinandersetzt. Grund­eigentümer dar: Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 72 PISTOTNIG SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILI-SIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN DER STEIERMARK 73 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 74 PISTOTNIG

Wie auch in der Veranstaltung zum Ausdruck schen) Bestrebungen dahingehend in Zukunft aus­ gebracht wurde, erweisen sich die bestehenden sehen werden, kann derzeit noch nicht abgeschätzt Regelungen für die Gemeinden als im Vollzug und daher die inhaltliche Ausgestaltung solcher höchst unpraktikabel, schwer durchschaubar und Regelungen auch nicht vorausgesagt werden. ineffizient. Häufige Anfragen aus den Gemeinde­ stuben lassen eine große rechtliche Unsicherheit Ein bereits ausgearbeiteter Entwurf für eine Neu­ in diesem Zusammenhang erkennen. Hat sich eine regelung der Mobilisierung sah folgendes vor: Gemeinde einmal zur Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber dem Grundeigentümer durchgerungen Jede Gemeinde sollte grundsätzlich Baulandmo­ oder ist sie tatsächlich gewillt, unbebaute Bauland­ bilisierungsmaßnahmen für unbebaute Grund­ grundstücke dem raumplanerischen Ziel folgend flächen in den Siedlungsschwerpunkten tref­ mit den vorhandenen Instrumentarien in Verkehr fen. Außerhalb derselben sollte ihr lediglich die zu bringen oder zumindest ihrer Zweckbestim­ Möglichkeit und nicht die Verpflichtung dazu mung – nämlich ihrer Bebauung – zuzuführen, eingeräumt werden. Die Entwicklungsziele für dann kann sie sich nicht sicher sein, wie allenfalls den Bereich Wohnen ergeben sich aus den Sied­ angerufene Zivilgerichte die privatrechtlichen lungsschwerpunkten, die in den Entwicklungs­ Vereinbarungen bewerten. Offen ist ebenso, wie programmen und örtlichen Entwicklungskon­ Höchstgerichte über hoheitliche Maßnahmen aus zepten festgelegt sind. Dort, wo keine Siedlungs­ dem Bereich der Mobilisierung erkennen. schwerpunkte festgelegt sind, sollte demnach auch keine Baulandmobilisierung verpflichtend vorzu­ Wie aus den oben dargestellten Folien erkennbar nehmen sein. wird, führt die derzeitige Regelung zum Teil auch in eine Sanktionslosigkeit, wenn der Grundeigen­ Konkret war vorgesehen, dass bestehendes unbe­ tümer es versteht, das ihm zustehende rechtliche bautes Bauland ab einer Größe von mindestens Instrumentarium geschickt auszunutzen. 3.000 m² eines Eigentümers sowie alle zukünftigen Baulandausweisungen, sofern sie der Form und Als großer Hemmschuh und Grund für beträcht­ Größe nach für eine selbständige Bebauung geeig­ liche Zeitverzögerungen erweist sich die Lücke im net sind, der Mobilisierungsverpflichtung unterlie­ StROG 2010 in Bezug auf eine Weiterführung der gen. Von zukünftigen Baulandausweisungen wä­ hoheitlich festgelegten Mobilisierungsinstrumente ren einerseits Neubaulandausweisungen betroffen nach dem Regime des StROG 1974, die noch nicht gewesen und andererseits auch eine Änderung ablaufen konnten. Leider hat es der Gesetzgeber von einer Baugebietskategorie in eine andere, so­ verabsäumt, eine Übergangsregelung im StROG fern der Nutzungsrahmen wesentlich verändert 2010 vorzusehen, welche die Weiterführung fest­ wird (z.B. von Industriegebiet in Wohnbauland). gelegter Mobilisierungsmaßnahmen nach der Grund­lage des StROG 1974 erlauben. Da dies un­ Sind Teilbereiche mit besonderer Bedeutung für terblieben ist, müssen Gemeinden bei Einleitung die Siedlungsentwicklung festgelegt, so wären der ersten Revision auf der Grundlage des StROG nach dem Beamtenentwurf nur in diesen Bereichen 2010 neue Mobilisierungsmaßnahmen festlegen, für unbebaute Grundflächen Mobilisierungsmaß­ ohne die aus der vorigen Planungsperiode stam­ nahmen zu treffen gewesen. Außerhalb von Sied­ menden Mobilisierungsmaßnahmen überprüfen lungsschwerpunkten und bei Flächen von weni­ bzw. Sanktionen festlegen zu können. ger als 3.000 m² hätte die Gemeinde die Möglich­ keit gehabt – soferne ihr die Baulandmobilisierung ein Anliegen ist – entsprechende Maßnahmen zu IV. Regelungswunsch der Aufsichtsbehörde treffen. Gerade die rechtliche Verankerung dieser Möglichkeit wird von einigen Gemeinden massiv eingefordert. Einem lang gehegten Wunsch der Beamtenschaft entsprechend sollte im Jahre 2015 eine Novelle Die Festlegung einer Bebauungsfrist als hoheit­ zum StROG 2010 ausgearbeitet werden, die unter liche Maßnahme der Baulandmobilisierung sollte anderem auch die Überarbeitung der bestehen­ nicht nur anlässlich einer Revision, sondern auch den Regelungen zur Baulandmobilisierung zum bei Änderungen von Flächenwidmungsplänen zu­ Gegenstand hat. Leider kam es auf Grund eines lässig sein, um eine möglichst rasche Anwendung Wechsels in der Person des zuständigen Landes­ zu ermöglichen. Die Frist für die Erfüllung sollte rates nicht mehr dazu. Wie die (vor allem politi­ höchstens 7 Jahre betragen. Die derzeit bestehende SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILI-SIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN DER STEIERMARK 75

Verpflichtung der Gemeinde, nach Fristablauf den LITERATUR Grundeigentümer über seine Raumplanungswün­ sche befragen zu müssen, sollte nach dem Beam­ Erläuternde Bemerkungen zu den Novellen LGBL. Nr. tenentwurf gänzlich entfallen. 15/1989 und LGBl. Nr. 20/2003 zum Steiermärkischen Raumordnungsgesetz 1974 (vergl. Beamtenenwurf/erläuternde Bemerkungen Erläuternde Bemerkungen zum Beamtenentwurf für ein für eine Novelle des Steiermärkischen Raumord­ Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 2008 nungsgesetzes 2015, Mobilisierungsmaßnahmen) Erläuternde Bemerkungen zum Beamtenentwurf für eine Novelle des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes Dieser Entwurf glich dem Begutachtungsentwurf 2015 (Mobilisierungsmaßnahmen) zum StROG 2010 vollinhaltlich. HAUER / TRIPPL, 2004 Steiermärkisches Baurecht, 4. Aufla­ ge, Linde-Verlag Bei entsprechender Ausgestaltung der recht­ Wissensdatenbank der Abteilung 13, Referat Bau- und lichen Basis für Mobilisierungsmaßnahmen Raumordnung, Land Steiermark könnten Gemeinden meiner Ansicht nach die­ se durchaus sinnvoll einsetzen und damit eine zweckentsprechende Grundstücksnutzung her­ beiführen. So könnte eine Neugestaltung dieser Regelungen durchaus einen sinnvollen Beitrag zu bodensparenden Maßnahmen leisten. Entschei­ dend ist, dass Gemeinden nicht nur die Verpflich­ tung zur Baulandmobilisierung haben sollten, sondern ihnen auch die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, im Rahmen ihrer Autonomie in Be­ reichen, für die sie ein besonderes Interesse hegen, Mobilisierungsmaßnahmen zu treffen. Dieser Ent­ scheidungsspielraum sollte ihnen vom Gesetzge­ ber jedenfalls eingeräumt werden.

Allenfalls zu überlegen wäre aus Anlass einer Novellierung auch, ob nicht die Regelung zu den Vorbehaltsflächen entsprechend geändert werden sollte. Wie aus den Ausführungen in den vorangehenden Kapiteln hervorgeht, bewirkt die Festlegung von Vorbehaltsflächen keine Mobilisie­ rung von unbebauten Grundstücken! Der Grund­ eigentümer kann infolge der Festlegung seines/r Grundstücks/e als Vorbehaltsfläche/n einen Ein­ löseantrag stellen. Ist die Gemeinde gewillt, sein/e Grundstück/e zu kaufen, ist der Zweck erfüllt. Mangelt es ihr jedoch an finanziellen Mitteln und kauft sie das Grundstück nicht, ist der Grund­ eigentümer von jeglicher Verpflichtung befreit!

Eine stringentere Abfolge von rechtlichen Konse­ quenzen könnte hier ebenso Abhilfe verschaffen. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 76 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement 77

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 SIR-Mitteilungen Möglichkeiten der Baulandmobilisierung­ und deren ­Anwendung in Tirol Possibilities for mobilising building land and their Dr. application in Tyrol Hermann Öggl Amt der Tiroler Landesregierung Sachgebiet Raumordnung Heiliggeiststraße 7–9 Zusammenfassung A-6020 Innsbruck [email protected] Nach einer kurzen Darstellung der Entwicklung der Auseinandersetzung mit dem Thema Baulandmobilisierung in Tirol seit den 1980er-Jahren werden jene Planungsinstrumente vorgestellt, von denen insbesondere baulandmobilisie- rende Wirkungen erwartet wurden. Hierauf folgt der Versuch einer Bewertung der Effektivität dieser Planungsinstrumente. Anschließend werden die Metho- dik der seit Mitte der 2000er-Jahren vom AdTLr durchgeführten Baulandbi- lanzierungen beschrieben und in der Folge bisher vorliegende Ergebnisse der Analyse dieser Daten präsentiert. Gegen Ende des Beitrags wird sodann auf der Grundlage der vorangehenden Befunde eine Synthese zum Stand der Bauland- mobilisierung vor dem Hintergrund aktueller Tendenzen der Raumentwicklung in Tirol versucht, woran sich die Identifikation eines hieraus aus raumordnungs- fachlicher Sicht bestehenden Handlungsbedarfs anschließt.

Abstract

A short presentation of the development of the engagement with the topic of mobilising building land in Tyrol since the 1980s is followed by an introduction of those planning tools from which particularly an impact on the mobilisation of building land was expected. After that, the methodology of the accounting of building land that has been carried out by the office of the government of Tyrol since the mid-2000s is described and subsequently the results of the analysis of data existing up to now are presented. Towards the end of the article, a syn- thesis of the status of the mobilisation of building land in the light of current tendencies in the spatial development in Tyrol is attempted on the basis of pre- ceding findings. Finally, the identification of a demand for action follows. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 78 ÖGGL

1. Einleitung

Das Thema Baulandmobilisierung, verstanden als ef- fektive zeitliche Steuerung der baulichen Inwert- setzung von Baulandflächen, ist wegen seiner ho- hen Bedeutung für die Raumentwicklung in Tirol bereits seit den 1980er Jahren in wechselnder In- tensität ein Kerninhalt des regionalen raumplane- rischen Fachdiskurses. „Baulandmobilisierung“ hat sich hierin im Laufe der Jahre zu einem schil- lernden Begriff entwickelt, der relativ uneinheit- lich Anwendung findet – sowohl in Fachdiskussi- onen als auch episodenhaft immer wieder in den regionalen Massenmedien. Die diesbezügliche öf- fentliche Diskussion geht typischerweise von den Themenkreisen Zersiedelung – Landschaftsfraß und Leistbares Wohnen aus.

Anfänglich wurde unter Baulandmobilisierung ver- standen, dass mit der initialen Flächenwidmungs- planung (also überwiegend in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren) geschaffene Bauland rasch seiner widmungsgemäßen Bestimmung, der Bebauung für Wohn- oder wirtschaftliche Zwecke, zuzuführen – diese Bedeutung soll im Folgenden als „Baulandmobilisierung im engeren Sinn“ be- zeichnet werden. Im Laufe der letzten 20 Jahre Abb. 1: Deckblatt roINFO Nr. 8/Dezember 1994 verlagerte sich der Begriffsinhalt jedoch zusehends in Richtung einer weiter greifenden Interpretation, Zweiteres verlagert, die Hauptstoßrichtung zielt die mehr oder weniger alle Vorschläge und Maß- darauf ab, Umwidmungen (ökonomisch betrach- nahmen umfasst, welche darauf abzielen, Flächen tet als Vergabe von neuen Lizenzen für baulichen für eine unmittelbar oder zumindest relativ zeit- Nutzungen durch die Planungsbehörde) mög- nah zu einem Planungsakt, der eine intensive bau- lichst wirksam mit einer Bebauungsverpflichtung liche Nutzung ermöglicht, erfolgende Bebauung innerhalb kurzer Frist zu koppeln und auf diese zur Verfügung zu stellen. Vielfach betreffen Letz- Weise spekulativer Hortung von neu gewidmeten terem zuzurechnende Maßnahmen Flächen, deren Bauland vorzubeugen. Entgegen der Überlegung, Widmung nach dem Tiroler Raumordnungsgesetz die den ersterlassenen Gesamtflächenwidmungs- vor dem Beginn einer solchen Maßnahme Freiland plänen wesentlich zugrunde lag (Ausweisung beträgt und diese besteht im Kern darin, eine Um- der für bauliche Zwecke geeignetsten Flächen, widmung von Freilandflächen in eine Widmungs- nachfolgendes „Aufbrauchen“ dieser Flächen, be- kategorie für intensive bauliche Nutzung1 zwin- vor darüber hinausgehende Flächen für die Sied- gend mit einer zeitnahen baulichen Inwertsetzung lungsentwicklung herangezogen werden), wurde zu verknüpfen – solche Maßnahmen werden im und wird das bestehende „Altbauland“ statt des- Folgenden als „Baulandmobilisierung im weiteren sen mittlerweile weitgehend so interpretiert, dass Sinn“ bezeichnet. hierfür unbefristete und nicht an Bedingungen geknüpfte Lizenzen für bestimmte bauliche Nut- Der Schwerpunkt der Baulandmobilisierung in zungen bestehen.2 Tirol hat sich in der Vergangenheit sukzessive auf 2 Dass sich die Interpretation der Flächenwidmung als nicht 1 Neben den Baulandkategorien (§ 38 ff TROG 2011: Wohnge- mehr antastbare Baulizenz, die einen Bestandteil des Eigen- biete, Mischgebiete, Gewerbe- und Industriegebiete) kom- tums an einem Grundstück bildet, zusehends verfestigte und men hierfür insbesondere auch Vorbehaltsflächen für ge- somit der ursprüngliche Planungsanspruch, der implizit förderten Wohnbau nach § 52a in Frage, in Ausnahmefällen auch eine Durchsetzung der widmungsgemäßen Nutzung auch Sonderflächen (§ 43 ff), die eine äußerst heterogene binnen angemessener Frist umfasste, mehr und mehr ver- Widmungskategorie bilden (s. SCHWANINGER 2015), lorenging, korreliert zeitlich auffällig mit dem in den 1980er- deren Ausmaß (ca. 30 % des Baulandes) es jedoch erfordert, Jahren raumgreifenden Bedeutungsgewinn des Neoliberalis- auch sie in diesem Zusammenhang zu erwähnen. mus. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILISIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN TIROL 79

2. Zur Umsetzung der Baulandmobilisie­ der Vertreter der Grundbesitzer in den Gemein- rung in der Tiroler Raumordnung deräten mag deshalb eine weitere wichtige Erklä- rung dafür sein, dass die zwar gesetzmäßig vor- Im Rahmen der Erstellung der ersten Generation gesehene Orientierung der Baulandausweisung der Flächenwidmungspläne in Tirol wurden die- an einem absehbaren Bedarfszeitraum (§ 11 Abs 1 se zu einem guten Teil als Planungsinstrumente TROG 1972 bzw. 1984) die Schaffung unverhältnis- mit strategischem Charakter verstanden, was sich mäßiger Baulandüberhänge nicht verhinderte. in der Regel nicht in einer strikten Bedarfsorien- tierung des ausgewiesenen Baulandausmaßes äu- K. SPÖRR weist bereits 1991 unmissverständlich ßerte, sondern als Planungsziele die Schaffung ge- auf die Folgen dieser Systemzusammenhänge hin: schlossener Siedlungsräume und die Vermeidung „Jedem verantwortungsvollen ‚Raumplaner‘ ist klarge- von Nutzungskonflikten in den Vordergrund worden, dass diese Vorgabe zu einer sträflichen Vorrats- stellte. Obwohl die Tiroler Raumordnungsgesetz- widmung an Bauland in vielen Gemeinden geführt hat, gebung von Beginn an eine Ausrichtung des Bau- an deren Folgen man noch heute leidet. Es hat dies nicht landausmaßes am zu erwartenden Bedarf vorsah, nur zu einer Baulandhortung verschiedener Grundei- entstanden so in zahlreichen Gemeinden substan- gentümer geführt, welche nicht zuletzt auch die Preis- zielle Baulandüberhänge. treiberei gefördert haben, sondern es wurde in anderen Bereichen vieler Gemeinden eine sinnvolle raumplane- Spätestens ab Mitte der 1980er Jahre kristallisierte rische Entwicklung verhindert.“ (S. 9) sich heraus, dass vor allem in ausgeprägten Gunst- lagen der Siedlungsentwicklung ungenutztes Bau- Bei der Konzeption des in Teilen der Fachöffent- land eine ausgesprochen hohe Eignung für speku- lichkeit überschwänglich als Jahrhundertgesetz lative Hortung aufwies. Dort sind seit dieser Zeit apostrophierten Tiroler Raumordnungsgesetzes Wertsteigerungen von Baugrundstücken in der 1994 kam dem Anliegen der Baulandmobilisierung Höhe von mehr als 10 % p.a. möglich. In Kombina- in der Folge ein hoher Stellenwert zu. Unter dem tion mit der Unzerstörbarkeit und Diebstahlsicher- Titel „Baulandmobilisierung und Sicherung der Bau- heit der Wertanlage „Baugrundstück“ entwickelte landverfügbarkeit“ erläutert der wesentlich an der sich dieses insbesondere auch als ein ideales Mittel Gesetzwerdung beteiligte damalige Amtsvorstand zur Kreditbesicherung. Diese Konstellation bringt der Abteilung für Bau- und Raumordnungsrecht es mit sich, dass eine am homo oeconomicus- beim AdTLr in einem Grundsatzartikel das beab- Prinzip orientierte Anlagestrategie grundsätzlich sichtigte Tiroler Modell der Baulandmobilisierung bereits seit Beginn der Flächenwidmungsplanung (SPÖRR 1994, 7ff): im Gegensatz zum Planungsziel einer zeitnahen baulichen Inwertsetzung von Baulandflächen Als zentrales Instrument wird in diesem Zusam- steht, wenn kein Eigenbedarf an der baulichen menhang die Vertragsraumordnung in die Tiroler Nutzung oder ein anderer Finanzierungsbedarf, Raumordnung eingeführt, durch welche die Ge- der den Verkauf eines Baugrundstücks auslöst, meinden in die Lage versetzt werden, kommunale gegeben ist. Neben bzw. im Zusammenwirken mit Planungsakte an privatrechtliche Vereinbarungen diesen Umständen spielten und spielen überdies mit den betroffenen Grundeigentümern zu binden, außerwirtschaftliche Faktoren eine Rolle für die durch die auch eine zeitnahe widmungsgemäße Zurückbehaltung gewidmeter Baulandflächen. Be- bauliche Nutzung sichergestellt werden kann (§ 33 sonders im Nahbereich der eigenen Wohnnutzung TROG, sowie nähere Ausführungsbestimmungen sind typische Motive hierfür die präventive Hint- in einer Verordnung der Landesregierung LGBl. anhaltung von Nachbarschaftskonflikten bzw. die 83/1993). Als weitere Neuerung wird für die ge- Minimalisierung von Immissionseinflüssen sowie widmeten Siedlungsgebiete eine weitgehend flä- die Strategie des Reservierens von Bauplätzen für chendeckende Verpflichtung zur Bebauungspla- Nachkommen. Solche Effekte wurden einerseits nung eingeführt. Dies soll wesentlich dazu dienen, bei der vorausgehenden Erstellung der Flächen- die Vertragsraumordnung auch für Zwecke der widmungspläne von planerischer Seite zu wenig Baulandmobilisierung im engeren Sinn anwendbar antizipiert, andererseits lag die Federführung in zu machen, ihre Wirkungsweise also auch auf das der Flächenwidmungsplanung von Anfang an auf „Altbauland“ auszudehnen. der kommunalen Ebene, nachdem bereits 1962 ver- fassungsmäßig klargestellt wurde, dass die örtliche Raumordnung dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zuzurechnen ist. Der starke Einfluss Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 80 ÖGGL

mungszweck wurde von der Errichtung objektge- GRUNDLAGEN DER förderter Wohnbauten zugunsten jeglicher dem BAULANDMOBILISIERUNG geförderten Wohnbau zuzurechnenden Bebau- Tiroler Raumordnungsgesetz 1994 ung, also insbesondere auch subjektgeförderter

Sicherung ausreichender Baulandflächen Wohnbauten, erweitert. für Wohnbedarf der Bevölkerung § 27 Abs. 2 lit. b Konterkariert wurden die Bemühungen, die für bauliche Nutzungen vorgesehenen Flächen einer Vorsorge für die bestimmungsgemäße stärkeren Mitsprache der Planungsbehörde zu un- Verwendung des Baulandes terwerfen, jedoch durch die ebenso im TROG 1994 § 27 Abs. 2 lit. d vorgesehene Regelung, mit der die bis dorthin be- stehenden „Bauland – Aufschließungsgebiete“ 4 zu Verpflichtung nach dem RO-Konzept vollwertigem Bauland erklärt wurden (§ 109 Abs 2 § 31 Abs. 1 lit. d TROG 1994).5 Als indirekte, der Mobilisierung des „Altbaulands“ dienende Maßnahme ist ergänzend Verpflichtung der Gemeinde die angestrebte Redimensionierung der Bauland- als Träger von Privatrechten § 33 gesamtausmaße im Rahmen der neu vorgesehenen Erstellung der Örtlichen Raumordnungskonzepte zu erwähnen. In diesem Kontext zeigte sich jedoch Richtlinien für Vereinbarungen § 33 Abs. 2 insbesondere die Widersprüchlichkeit der über- VO – der Landesregierung geordneten Vorgaben an die kommunalen Pla- nungsbehörden: Während von fachlicher Seite die

Vereinbarung bei Neuanweisung Vereinbarung bei Erlassung „intensive Befassung mit der Thematik der sogenannten von Bauland der Bebauungspläne ‘Rückwidmungen’“ als „Gradmesser für die Qualität § 33 Abs. 1 § 33 Abs. 1 des örtlichen Raumordnungskonzepts“ definiert wur- Bodenbeschaffungsfonds Vorbehaltsflächen de (RAUTER 1996 S. 32), wurde die Erforderlich- Ankauf – Verkauf § 33 Abs. 1 lit. b § 93 ff keit der Durchführung von Rückwidmungen von raumordnungspolitischer Seite definitiv in Abrede Abb. 2: Veranschaulichung der Baulandmobilisie­ gestellt (vgl. ÖGGL, 2012 S. 190). rungsmaßnahmen nach TROG 1994 (SPÖRR, 1994, S.8) Demgemäß entwickelte sich aus dieser Rück- widmungsdebatte keine „Drohkulisse“ in einem Als weitere Maßnahme wird mit dem TROG 1994 Ausmaß, das eine klar feststellbare baulandmo- der Bodenbeschaffungsfonds3 eingeführt, als des- bilisierende Wirkung entfaltete. Es kam zwar in sen Aufgabe die Akquirierung und Weitergabe der Folge der Einführung der Örtlichen Raum- von bebaubaren Grundflächen in Kombination mit ordnungskonzepte zu einer messbaren Reduktion der Sicherstellung der zeitnahen tatsächlichen bau- der Baulandüberhänge6, großflächigere Rückwid- lichen Nutzung definiert wird. mungen wurden jedoch in der Regel ausschließlich dort vorgenommen, wo die Herstellung der erfor- Als zusätzliches hoheitliches Instrument der Bau- derlichen Erschließungsinfrastruktur mit wirt- landmobilisierung wird zudem die Widmungska- schaftlich vertretbarem Aufwand nicht möglich tegorie der Vorbehaltsflächen für objektgeförderte war oder ein ausdrückliches Einverständnis der Wohnbauten eingeführt (§ 53 Abs 1 lit b TROG 1994). Für diese ist per Gesetz eine 5-jährige Frist 4 eine Form des Bauerwartungslandes: Flächen, deren Er- vorgesehen, während der der jeweilige Eigentü- schließung nicht sichergestellt, deren Grundstückseinteilung mer eine hiervon betroffene Fläche der Gemein- nicht für bauliche Zwecke geeignet war oder deren Ausmaß de, dem Bodenbeschaffungsfonds oder einem ge- weit über den unmittelbar erwartbaren Bedarf hinausreichte (§ 11 Abs 3 TROG 1984) meinnützigen Bauträger zum Kauf anzubieten hat. 5 Diese Maßnahme wurde unter anderem auch mit dem Ar- Bei Unterbleiben eines solchen Angebots ist als gument gerechtfertigt, dass die hiermit erfolgende markante Sanktion die Umwidmung der gegenständlichen Erhöhung des Angebots an vollwertigem Bauland zu einem Fläche in Freiland vorgesehen. Mit der Erlassung signifikant höheren Anteil von faktisch für bauliche Nutzung zur Verfügung stehenden Flächen führen würde. Das Eintre- des Raumordnungsgesetzes 2011 wurde diese Frist ten eines solchen Effekts konnte nachfolgend jedoch nicht nachfolgend auf 10 Jahre erweitert und der Wid- festgestellt werden. 6 nach ÖGGL 2012 kann von einer effektiven Baulandabnahme in der Größenordnung von ca. 5 % ausgegangen werden (S. 3 mit dem TROG 2006 umbenannt in Tiroler Bodenfonds 228 ff). SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILISIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN TIROL 81 betroffenen Grundbesitzer vorlag; letzteres meist die Einkaufszentren- und die Freizeitwohnsitzpro- gebunden an eine – nicht immer rechtlich formale blematik standen periodisch im Vordergrund. Das aber jedenfalls „moralisch verbindliche“ – Zusage Thema der Baulandmobilisierung schwappte fall- der Gemeindeführung, die zuvor bestehende Bau- weise im Kielwasser der zunehmend intensiveren landwidmung auf ein begründetes Verlagen der Debatte um die Schaffung von leistbarem Wohnraum Grundbesitzer hin wieder herzustellen. in die öffentliche Diskussion.

Als ergänzende Baulandmobilisierungsmaßnahme außerhalb des Raumordnungsrechts im engeren Sinn ist zudem im Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 eine generelle Bebauungsverpflichtung für Baugrundstücke verankert: Laut § 11 Abs 3 bestand eine fünfjährige Frist für die Bebauung ab dem Er- werb eines Baugrundstücks 7, die einmalig verlän- gert werden konnte, „wenn besonders berücksich- tigungswürdige Gründe hierfür vorliegen“. Als Abb. 3: Schlagzeile Tiroler Tageszeitung Sanktion für die Nichteinhaltung dieser Verpflich- tung ist im Gesetz die Versteigerung des betrof- fenen Grundstücks vorgesehen, allerdings hat die Es ist davon auszugehen, dass die Änderungen Grundverkehrsbehörde hiervon abzusehen, „wenn der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die im der Verlust des Eigentums für den Verpflichteten Zuge der Finanzkrise 2007 aufgetreten sind, die aufgrund von Umständen, die ohne sein Verschul- Problematik der Baulandhortung insofern weiter den eingetreten sind, eine unbillige Härte bedeuten verschärft haben, als dass sich die Attraktivität würde.“ Insbesondere in der Vehemenz der vor- von Baugrundstücken als Geldanlage im Vergleich gesehenen Sanktion dürfte in diesem Zusammen- zu den Anlagemöglichkeiten am Finanzmarkt hang die Ursache für sehr zögerliche Anwendung deutlich zugunsten ersterer verschoben hat. dieser Bestimmung durch die Grundverkehrsbe- hörden zu sehen sein, es liegt zwar keine systema- Eine deutliche Auswirkung als Reaktion auf diese tische Auswertung betreffend die Durchführung Entwicklungen zeigte sich im Vorfeld der TROG- diesbezüglicher Verfahren vor, Ausmaß und An- Novelle 2011, als im Begutachtungsentwurf de- zahl langfristig nicht bebauter Baugrundstücke zidiert die Einführung einer Widmungsabgabe weisen jedoch darauf hin, dass eine – im Sinne vorgesehen war. Diese sollte 10 % der durch die der Intention der Sicherstellung einer erwerbszeit- Umwidmung ausgelösten Steigerung des Ver- punktnahen baulichen Nutzung – strikte Vollzie- kehrswertes betragen und dem Tiroler Bodenfonds hung dieser Bestimmung bislang nicht erfolgt ist. zufließen (vgl. WIESER & SCHÖNBÄCK, 2011). Im Zuge des Begutachtungsverfahrens wurde dieses Mit der aktuellen Novelle des Grundverkehrsge- Instrument jedoch aus der Gesetzesvorlage ausge- setzes wird die Bebauungsfrist auf 20 Jahre für Be- schieden und als „Ersatzinstrument“ zur Bauland- triebsgrundstücke und 10 Jahren für sonstige Bau- mobilisierung im Tiroler Verkehrsaufschließungs- grundstücke geändert, dafür entfällt die optionale abgabengesetz der vorgezogene Erschließungsko- Erstreckung dieser Fristen. Bezüglich des derzeit stenbeitrag eingeführt. bestehenden Unterschieds zwischen Baugrund- stücken, die nach Erteilung der Baulandwidmung Im Unterschied zur Widmungsabgabe handelt es entgeltlich erworben wurden (diese fallen unter sich hierbei um keine zusätzliche finanzielle Be- die Bebauungsverpflichtung) und solchen, bei de- lastung von Bauland sondern um die vorzeitige nen der Erwerb bereits vor der Baulandwidmung Einhebung eines Teils jenes Erschließungskosten- oder im Erbweg erfolgte (diese fallen nicht unter beitrags, der von der Gemeinde regulär im Rah- die Bebauungsverpflichtung) ist keine Änderung men eines Bauverfahrens einzuheben ist. Konkret vorgesehen. betrifft dies den „Bauplatzanteil“, der sich nach der Fläche des Bauplatzes bemisst. Ein Fünftel die- Der raumordnerische Diskurs der späten 1990er- ses Betrags ist, beginnend mit dem Zeitpunkt der und 2000er Jahre in Tirol fokussierte immer wie- Baulandwidmung, jeweils in fünf aufeinanderfol- der auf unterschiedliche Themen, insbesondere genden jährlichen Raten an die Gemeinde abzu- führen, während im Rahmen eines nachfolgenden 7 durch ergänzende Bestimmungen im Wesentlichen einge- Bauverfahrens vom Bauwerber nur mehr der schränkt auf den entgeltlichen Erwerb Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 82 ÖGGL

„Baumassenanteil“ des Erschließungskostenbei- 3. Bewertung der aktuell in der Tiroler trags zu entrichten ist. Diese Regelung tritt aller- Raumordnung angewendeten Instru­ dings nicht automatisch in Kraft, sondern jeder mente der Baulandmobilisierung Gemeinde wurde die Einführung dieses Abga- benregimes freigestellt. Ergänzt wird diese Rege- Den skizzierten Bemühungen auf Ebene Schaffung lung um eine Befreiungsmöglichkeit der Grund- von Instrumenten für die Baulandmobilisierung besitzer von der Verpflichtung zur Entrichtung stehen leider kaum systematische Evaluierungs­ des vorgezogenen Erschließungskostenbeitrags: aktivitäten gegenüber. Es wurde die Möglichkeit geschaffen, im Rahmen der Fortschreibung des Örtlichen Raumordnungs- Vertragsraumordnung konzepts bestehendes Bauland mit einem tempo- rären Bauverbot zu belegen (hierzu sind zunächst Dies gilt insbesondere für den Themenkomplex klare Bedingungen zu definieren, an deren Erfül- Vertragsraumordnung durch die Gemeinden. lung die Aufhebung dieses Bauverbots geknüpft Festzuhalten ist zunächst, dass dieses Instrument wird, die Aufhebung des Bauverbots erfolgt zu jedenfalls in einer Reihe von Gemeinden einge- einem späteren Zeitpunkt nach Erfüllung dieser setzt wird. Neben dem Bestehen einer klaren ge- Bedingungen durch Beschluss des Gemeinderats). setzlichen Grundlage (§ 33 TROG nebst präzisie- Solche Flächen sind für die Dauer des Bauverbots render Verordnung) spielt hierfür zweifellos eine von der Verpflichtung zur Entrichtung des vorge- entscheidende Rolle, dass sich in vielen Gemeinden zogenen Erschließungskostenbeitrags ausgenom- die Ansicht durchgesetzt hat, dass die anlässlich men. Außerdem wurde im § 36 des TROG 2011 die großflächigerer Baulandwidmungen auftretenden Schaffung von zusätzlichen Bauplätzen explizit an Wertzuwächse Ausmaße erreichen (etwa bis zur den „Bedarf an der widmungsgemäßen Verwendung Verfünfzigfachung des Grundstückswerts im Frei- der betreffenden Grundflächen“ gebunden, was aus land), die eine Verpflichtung zur zeitnahen wid- amtsfachlicher Sicht grundsätzlich die Glaubhaft- mungsgemäßen Nutzung zumindest für einen Teil machung einer zeitnahen baulichen Inwertsetzung der Umwidmungsfläche mit dem Argument recht- für jede neue Bauplatzwidmung erfordert. fertigt, dass auch Gemeindebürger ohne eigene Grundreserven hierdurch zu Baugrund gelangen Obwohl in der Mediendiskussion in Tirol auch in können. Das als angemessen angesehene Ausmaß jüngster Zeit angesichts der galoppierenden Immo- des diesbetreffenden Flächenanteils ist allerdings bilienpreise in den Aktivräumen der Mangel an sehr unterschiedlich. Die Palette verschiedener „leistbarem Wohnraum“ immer wieder präsent Modelle solcher Projekte reicht von der Verpflich- ist, spielte das Thema Baulandmobilisierung in der tung der Grundeigentümer, einen Teil der Gesamt- Vorphase der aktuellen TROG-Novelle8 im Gegen- umwidmungsfläche zum ortsüblichen Preis an Ge- satz zu 2011 keine bedeutende Rolle. Dementspre- meindebürger zu verkaufen bis zur Verknüpfung chend finden sich im TROG 2016 keine neuen der Umwidmung mit der sofortigen Abtretung ei- Elemente zur Stärkung der Baulandmobilisierung ner Teilfläche an die Gemeinde zur eigenständigen im engeren Sinn. Eine mit der Baulandmobilisierung weiteren Projektentwicklung. Als entscheidend für im weiteren Sinn in Zusammenhang stehende Neu- die effektiv baulandmobilisierende Komponente erung besteht allerdings darin, dass Flächen, die bei der Anwendung der Vertragsraumordnung hat bestimmte klar definierbare Defizite in Bezug auf sich die gewählte Konstruktion der vertraglichen ihre Eignung als Bauland aufweisen, künftig den- Gestaltung erwiesen: Seitens der Gemeinde sind noch als Bauland gewidmet werden können, wenn privatrechtliche Vereinbarungen typischerweise durch ergänzende textliche Festlegungen im Wid- zweiseitig erforderlich, wenn die Gemeinde nicht mungswortlaut Maßnahmen festgelegt werden, selbst Eigentümerin der Grundflächen wird: Zum mit denen die festgestellten Defizite behoben wer- einen geht es hierbei um Vereinbarungen mit dem den können. Grundeigentümer, durch die die zeitnah zur Um- widmung erfolgende Veräußerung von Grundflä- Darüber hinaus wird im Zuge der aktuellen chen sichergestellt wird, zum anderen müssen auch ­Überarbeitung des Grundverkehrsgesetzes neben Verträge mit den Käufern abgeschlossen werden, Land­wirten, Gemeinden und dem Tiroler Boden- mit denen wiederum die rasch auf den Kauf fol- fonds nun auch Gemeinnützigen Wohnbauträ- gende widmungsgemäße bauliche Nutzung si- gern gestattet, Freilandflächen zu erwerben. chergestellt wird. Von besonderer Bedeutung ist die Ausgestaltung der Sanktionsregelungen in solchen Verträgen, neben Pönale-Zahlungen findet 8 Das TROG 2016 tritt mit 1.10.2016 in Rechtskraft. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILISIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN TIROL 83 in diesem Zusammenhang vor allem die Ermögli- Tiroler Bodenfonds chung eines ersatzweisen Grunderwerbs durch die Gemeinde Anwendung (– z.B. Eintragung von Vor- Der primäre Auftrag des Gesetzgebers an den Ti- kaufsrechten im Grundbuch). Der tatsächliche Grad roler Bodenfonds (TBF) besteht wie oben bereits der Zielerreichung in Bezug auf ihre baulandmobi- kurz angesprochen darin, geeignete Grundstücke lisierende Wirkung hängt somit einerseits stark von zu erwerben und entgeltlich an private und öffent- der konkreten Ausgestaltung der Vertragswerke liche Planungsträger für eine zeitnahe widmungs- ab, andererseits auch von der nachfolgenden Über- gemäße bauliche Nutzung weiterzugeben. In die- wachung der Einhaltung und gegebenenfalls von sem Zusammenhang wird der TBF vom TROG mit der Durchsetzung der vorgesehenen Sanktionen. dem Privileg ausgestattet, auch Freilandflächen Quantitative Daten zur Feststellung der bauland- erwerben zu können. mobilisierenden Wirkung der Vertragsraumord- nung stehen wie bereits angemerkt leider nicht zur Der TBF zeichnet sich durch eine sehr schlanke Verfügung, als qualitative Aussage kann jedoch Personalstruktur aus (lediglich ca. 1,5 Vollzeit­ festgehalten werden, dass funktionierende privat- arbeitsplatz-Äquivalente), die Finanzierung der rechtliche Baulandmobilisierungsmaßnahmen Personalkosten hat aus eigenen Mitteln zu erfol- besonders dort standardmäßig angewendet wer- gen. Seine konkrete Wirkungsweise in Bezug auf den, wo Gemeinden selbst oder gemeindenahe die Baulandmobilisierung besteht primär darin, Rechtspersonen (z.B. Gemeindeguts-Agrarge- dass – ähnlich der vorstehend geschilderten Ver- meinschaften) Grundeigentümer sind oder ein tragsraumordnung – durch privatrechtliche Ver- hoher unmittelbarer Finanzbedarf eine großflä- einbarungen im Zuge der Weitergabe von Bau- chige Umwidmung in Bauland auslöst. grundstücken deren zeitnahe bauliche Inwertset- zung sichergestellt wird. Nicht umgesetzt wurde hingegen die ebenso ur- sprünglich beabsichtigte Anwendung der Ver- Im Unterschied zur Vertragsraumordnung der tragsraumordnung auch für Flächen des „Alt- Gemeinden steht bei Bodenfondsprojekten in al- baulandes“. Die Verquickung der Erlassung von ler Regel die gestalterische Komponente stärker Bebauungsplänen mit privatrechtlichen Verein- im Vordergrund, oft werden für die Projektgebiete barungen zur Umsetzung der Baulandmobilisie- im Vorfeld Architekturwettbewerbe durchgeführt rung konnte nicht etabliert werden. Nachdem mit und ist der Verkauf von Bauplätzen zwingend an dem TROG 2011 endgültig der Grundsatz einer mehr oder weniger strenge gestalterische Vorga- flächendeckenden Bebauungsplanung im Sied- ben gebunden. Ein weiterer typischer Unterschied lungsgebiet aufgegeben wurde, kann in diesem besteht darin, dass bei Bodenfondsprojekten der Zusammenhang auch für die Zukunft kein Poten- Aspekt einer grundsparenden Siedlungsentwick- zial gesehen werden. lung einen stärkeren Schwerpunkt darstellt.

Abb. 4: Modell eines Wettbewerbsbeitrags zu einem Bodenfondsprojekt (aus: Huber, 2015) Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 84 ÖGGL

Im Jahr 2015 wurden vom TBF Verkäufe von auf (das entspricht 0,3 % des ausschließlich für Grundstücken im Ausmaß von ca. 2,5 Mio. € ge- Wohnzwecke vorgesehenen Baulandes). Hiervon tätigt, der Anteil, der diesbezüglich auf Betriebs- sind laut Luftbildanalyse allerdings ca. 10 ha, also grundstücke entfiel, betrug ca. 120 000 € (Tiroler beinahe 1/3 noch unbebaut. Aufgrund der geringen Bodenfonds 2016b, S. 89). Aus der Projektdaten- Gesamtanzahl dieser Flächen, des damit einherge- bank des TBV geht weiters hervor, dass in dem henden geringen Anteils am Wohnbauland und bisherigen knapp mehr als 20 jährigen Bestands- des beträchtlichen Anteils unbebauter Flächen10 zeitraum insgesamt ca. 1000 Baugrundstücke für dieser Kategorie muss die faktische Wirkung die- Wohnnutzung verkauft wurden, was einem Ge- ses Instruments zur Baulandmobilisierung jeden- samtflächenausmaß von etwa 40 ha entspricht. Ca. falls als sehr gering veranschlagt werden. 125 Baugrundstücke konnten in dieser Zeit nicht weiterverkauft werden, woraus sich eine effektive Vorgezogener Erschließungskostenbeitrag „Mobilisierungsquote“ von 85 % ergibt. Pro Jahr kann somit eine durchschnittliche Größenord- Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Bau- nung von etwa 50 Baugrundstücken oder 2 ha an- landmobilisierungsinstrumenten kommt die Ein- genommen werden, die aufgrund von Aktivitäten hebung des vorgezogenen Erschließungsbeitrags des TBF einer unmittelbaren Wohnnutzung zuge- nicht nur bei Neuwidmungen von Bauland zur führt werden. Anwendungen sondern bei allen gewidmeten Baulandflächen. Insgesamt haben mit Stand 2015 Bezüglich der Weitergabe von Betriebsgrundstü- 21 Tiroler Gemeinden den vorgezogenen Er- cken ist im selben Zeitraum von einer Gesamtzahl schließungskostenbeitrag eingeführt (ca. 7,5 %)11. von ca. 75 mit einer Gesamtfläche von etwa 22 ha Die sich aus der im vorausgehenden Kapitel skiz- auszugehen, diesbezüglich liegt die effektive „Mo- zierten Berechnungsmethodik ergebenden jähr- bilisierungsquote“ allerdings deutlich niedriger, lichen Abgabenleistungen12 erreichen in der Regel etwa bei 65 %. In Relation zum gesamten Sied- nicht ein Ausmaß, dessen Finanzierung den Eigen- lungsraum von Tirol zeigt sich jedoch, dass die tümer dazu zwingt, hierfür einen Teil der Bauland- Tätigkeit des TBF aufgrund der vorliegenden reserve als Finanzierungsquelle kurzfristig auf den Größenrelationen keine flächendeckende Wir- Markt zu bringen. Die beabsichtigte baulandmo- kung entfalten kann – das Gesamtflächenausmaß bilisierende Wirkung tritt im Wesentlichen dann der bislang im Rahmen von TBF-Projekten in Wert ein, wenn große Baulandreserveflächen – meist gesetzten Grundstücke entspricht etwa 0,36 % des entstanden durch die initiale Flächenwidmung –, Gesamtbaulandes Tirols bzw. 0,39 % des Gesamt- die eine substanzielle Abgabenschuld hervorrufen baulandes ohne dem auf Innsbruck entfallenden (etwa in einer Größenordnung von ca. 50 000 €) Teil. In Analogie zu den Vertragsraumordnungs- Personen gehören, die kaum über finanzielle Rück- projekten von Gemeinden sind die Aktivitäten des lagen verfügen. Eine solche Situation führt typi- Bodenfonds ebenso der Baulandmobilisierung im scherweise dazu, dass ein Teil der Baugrundstücke weiteren Sinn zuzuordnen, eine Mobilisierung des zur Bedeckung der Abgabenkosten verkauft wird. „Altbaulandes“ wird hierdurch in aller Regel nicht Durch die vergleichsweise hohen Baulandpreise erreicht. in vielen Landesteilen ist vom Verkauf allerdings in der Regel lediglich ein relativ geringer Teil der Vorbehaltsflächen für geförderten Wohnbau Baulandfläche betroffen.

Dieses Instrument wurde bislang von den Tiroler Von der im Verkehrsaufschließungsabgabengesetz Gemeinden nur sehr zaghaft genützt. Aus dem vorgesehenen Ausnahmemöglichkeit (temporä- aktuellen Geodatenbestand der Flächenwidmung res „Bauverbot“) wurde bislang überhaupt nicht in Tirol geht hervor, dass derzeit insgesamt 66 Flä- Gebrauch gemacht. Dies kann als ein weiteres chen eine solche Widmung aufweisen. Diese Flä- Indiz für die sehr beschränkten zu erwartenden chen befinden sich in 39 verschiedenen Gemein- Auswirkungen gewertet werden. Auch die mit den (= 14 % der 279 Tiroler Gemeinden) und wei- dieser Ausnahmeregelung verfolgte indirekte sen insgesamt ein Gesamtausmaß von ca. 31 ha9 10 Diese Angabe entspricht dem Stand zum Zeitpunkt der ak- tuellsten verfügbaren Orthofoto-Befliegungen (2013–2015), 9 Ein Teil der Flächen bezieht sich allerdings auf Widmungs- jüngst errichtete Wohnbauten können deshalb nicht erfasst festlegungen innerhalb von Sonderflächen mit verschiedenen werden. Teilfestlegungen (z.B. auf ein oder mehrere Geschoße inner- 11 lt. Angabe des AdTLr, Gemeindeabteilung halb einer für gemischte Nutzung vorgesehenen Liegen­ 12 diese liegen in einer Regel in der Größenordnung von ca. schaft). 1–2,5 €/m² als eine der 5 vorgesehenen Jahresraten SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILISIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN TIROL 85

Baulandmobilisierung im weiteren Sinn (die erleich- terte Aufnahme von neuen Flächen ins Bauland aufgrund dessen, dass Bauverbotsflächen formal nicht mehr in den Baulandüberhang einer Gemein- de eingerechnet werden) ist deshalb bislang nicht eingetreten. Aufgrund der geringen Anzahl der Gemeinden, die das beschriebene Abgabenregime eingeführt haben, dem relativ seltenen Auftreten der oben beschriebenen Konstellation und den fi- nanziellen Relationen zwischen vorgezogenem Er- schließungskostenbeitrag und Baulandpreis muss der effektive Beitrag dieses Instruments zur Bau- Abb. 5: Planliche Darstellung der Baulandreserven landmobilisierung ebenso als relativ gering ver- im trisMaps-Webauskunftsdienst Bauland­ anschlagt werden. bilanzierung

Abb. 6: Regionale Unterschiede bez. der Ausmaße der Baulandüberhänge (AdTLr, SG Landesstatistik & tiris, 2013, o.S.)

Geodaten als Grundlagen. Hierbei handelt es sich 4. Monitoring der Baulandreserven­ um die Digitale Katastralmappe, digitalisierte entwicklung Flächenwidmungspläne13 und digitale Ortho- fotos. Aus letzteren werden die Gebäudeumrisse Als Hilfsmittel für eine Bewertung der tatsächlichen digitalisiert, welche nachfolgend mit den Bauland- Erfolge der Baulandmobilisierung in Tirol kann auf polygonen aus den Flächenwidmungsdatensätzen die Daten der Baulandbilanzen des AdTLr zurück- verschnitten werden. Für die sich solcherart erge- gegriffen werden. Mitte der 2000er Jahre wurde sei- tens des AdTLr/Fachbereich tiris damit begonnen, 13 Mit Ausnahme der Landeshauptstadt Innsbruck liegen beim systematisch die bestehenden Baulandreserven­ zu AdTLr mittlerweile für sämtliche Tiroler Gemeinden digi- erheben. Die hierzu angewendete Methodik beruht tale Geodatensätze der Flächenwidmung vor. Für Innsbruck überwiegend auf einem automatisierten Workflow können deshalb nachfolgend keine Aussagen in Bezug auf und erfordert ausschließlich digital verfügbare Ausmaß und Entwicklung der Baulandreserven getroffen werden. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 86 ÖGGL

benden Differenzflächen wird mit verschiedenen den liegen bereits Ergebnisse vor, insgesamt ergibt Algorithmen die Möglichkeit der Errichtung von sich ein Reserveflächenanteil im Bauland von ca. eigenständigen, der jeweiligen Widmung entspre- 26,5 %, somit ein im Vergleich zur vorangehenden chenden Gebäuden bzw. von Nachverdichtungs- Vollerhebung etwas geringerer Wert. Vergleicht maßnahmen abgeschätzt. Bezüglich der hierfür man die Baulandüberhänge zwischen erstem und erforderlichen Flächen werden sodann die Flä- zweitem Zyklus auf Ebene der Planungsverbände, chenausmaße ermittelt und gemeindeweise zu- so zeigt sich zunächst, dass in 30 von 31 eine Re- sammengefasst. Der Stichzeitpunkt der Erhebung duktion der Reserveflächen erfolgt ist (Ausnahme entspricht aufgrund dieser Methodik dem jewei- PV Tannheimertal: +0,47 %) Über alle ausgewer- ligen Befliegungszeitpunkt, aus den Befliegungs- teten Gemeinden ergibt sich eine Abnahme der modalitäten (üblicherweise wird pro Jahr etwa ein Baulandreserveflächen im Ausmaß von fast 191 ha, Drittel der Landesfläche beflogen) ergibt sich, dass das entspricht etwas mehr als 5 % des aktuell be- deshalb nicht für ganz Tirol eine Baulandreserven- stehenden Reserveflächenausmaßes. Im gleichen bilanz zu einem Stichtag angegeben werden kann, Zeitraum hat sich die Gesamtbaulandfläche in die- sondern dass die Ergebnisse jeweils dem Zeitraum sen Gemeinden allerdings um ca. 261 ha erhöht.

Abb. 7: Planliche Darstellung der Veränderungen der Baulandreserven zwischen erstem und zweitem Erhebungs­ zyklus im trisMaps-Webauskunftsdienst Baulandbilanzierung

eines Befliegungszyklus zuzuordnen sind. Für den Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist jedoch ersten Bearbeitungszyklus (2005–2009, 275 von 279 eine gewisse Vorsicht geboten: Zum einen können Gemeinden) ergab sich ein Ge­samtausmaß von Re- aus den verschiedenen Stichzeitpunkten Verzer- serveflächen im Bauland von ca. 4425,4 ha, was rungen resultieren, zum anderen erfolgt am Ende etwa 28,5 % der gesamten Bauland­flächen in den des oben skizzierten Workflows eine Plausibili- erfassten Gemeinden entsprach. tätskontrolle durch ortskundige Sachbearbeiter, wodurch die Berücksichtigung besonderer, nicht Mit dem TROG 2011 wurde die Baulandreserven­ automatisiert erfassbarer Umstände gewährleistet erhebung in der beschriebenen Form als gesetz- wird. Bei diesem Schritt sind – räumlich und zeit- lich verpflichtende Aufgabe der Landesregierung lich – geringfügige Uneinheitlichkeiten nicht voll- festgelegt (§ 28a „Baulandbilanz“) und aktuell ist kommen auszuschließen. Jedenfalls erscheint auf- die erste Wiederholung der Erhebung im Gang (2. grund der geschilderten Ausgangslage der Schluss Zyklus, 2011 ff). Für 31 von 36 Planungsverbän- gerechtfertigt, dass in den letzten Jahren keine SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILISIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN TIROL 87

Zunahme sondern eine tendenzielle Abnahme Freiland in Bauland (oder ggf. in Vorbehaltsflä- der Baulandüberhänge erfolgt. Das aus den Da- chen) umgewidmet werden. Insbesondere für die ten ableitbare Ausmaß dieses Rückgangs ist jedoch Mobilisierung des „Altbaulandes“ stehen aus so gering (durchschnittl. < 1 %/Jahr), dass bei der fachlicher Sicht jedoch keine ausreichend wir- anzunehmenden Schwankungsbreite aufgrund kungsvollen Instrumente zur Verfügung. Die möglicher Ungenauigkeiten eine hierüber hinaus- Baulandmobilisierung im engeren Sinn erfolgt des- gehende Aussage aus fachlicher Sicht nicht ausrei- halb auch in deutlich geringerem Ausmaß. chend abgesichert erscheint. Diese Konstellation verstärkt zunächst die zentri- fugalen Kräfte in der Siedlungsentwicklung. Hier- durch 5. Fazit der bisherigen Entwicklung – nimmt die Wahrscheinlichkeit der Bereit- schaft von Grundeigentümern, ihre Flächen einer Einschätzung der aktuellen Situation baulichen Nutzung zu Siedlungszwecken zur Wie aus den vorstehenden Ausführungen her- Verfügung zu stellen, tendenziell mit der Ent- vorgeht, besteht in der Tiroler Raumordnung fernung von bestehenden kompakten Siedlungs- zwar bereits seit langer Zeit ein Bewusstsein für strukturen zu. Die Schließung von Baulücken und die Bedeutung und Notwendigkeit von bauland­ die Schaffung von durchgehend bebauten Sied- mobilisierenden Maßnahmen, auf der Umset- lungskörpern werden hierdurch in gleichem Ma- zungsebene sind bis jetzt jedoch relativ beschei- ße erschwert wie die Erhaltung von traditionell dene und im Wesentlichen punktuell signifikante bestehenden Freiraumstrukturen innerhalb des Erfolge zu verzeichnen. Ein „Durchbruch“ im Dauersiedlungsraums. In den Landesteilen mit Sinne einer flächendeckenden markanten Redukti- hoher Entwicklungsdynamik (z.B. zentraler Teil on der Baulandüberhänge konnte bisher nicht fest- der Inntalfurche) wird hierdurch der Herausbil- gestellt werden. Als wirkungsvolle Instrumente dung von Zwischenstadt-Siedlungsstrukturen im können nach wie vor die Vertragsraumordnung Sieverts’schen Sinn Vorschub geleistet. Aber auch und die Tätigkeit des Tiroler Bodenfonds ange- Bereichen mit etwas geringerem Siedlungsdruck sehen werden, diese beziehen sich jedoch nahezu bildet sich fußend auf der aus einer agrarisch ge- ausschließlich auf die Sicherstellung der zeitnahen prägten Besiedlungsgeschichte hervorgegangenen baulichen Inwertsetzung von Flächen, die erst im Streusiedlungsstruktur zunehmend eine stärkere Rahmen der jeweiligen Projektmaßnahmen von Verzahnung von Siedlungssplittern und fragmen-

Abb. 8: Siedlungsentwicklung im Bereich des Südöstlichen Mittelgebirges (südlich von Innsbruck) anhand von Luftbildaufnahmen 1940 und 2013 (AdTLr Webservice Laser- & Luftbildatlas) Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 88 ÖGGL

tierten landwirtschaftlichen Nutzflächen heraus. 6. Handlungsbedarf Neben den negativen Folgen für das Orts- und Landschaftsbild ist aus raumordnerischer Sicht in Aus raumordnungsfachlicher Sicht ergibt sich im diesem Zusammenhang insbesondere auf die En- Hinblick auf die Stärkung der Baulandmobilisie- ergie- und Ressourcenintensität einer solchen Sied- rung auf der Grundlage des oben Geschilderten lungsentwicklung hinzuweisen, die in krassem Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen: Widerspruch zum Paradigma einer nachhaltigen Raumordnung steht. Bezüglich der bestehenden Instrumente für Zwe- cke der Baulandmobilisierung im weiteren Sinn, ins- Gerade in den Aktivräumen der Siedlungsentwick- besondere der Vertragsraumordnung und dem lung führt die hierin sichtbar werdende – ange- Tiroler Bodenfonds ist ein weiterer Ausbau anzu- sichts der Blockierung der mittlerweile oft bereits streben. Hierzu erscheint insbesondere eine Ver- seit Jahrzehnten als Bauland gewidmeten Gunst- besserung der Informationsdiffusion auf die Ebe- lagen – gewählte Strategie des „Ausweichens in ne der kommunalen Entscheidungsträger von Be- zweit- und drittbeste Lagen“ in Bereiche, deren deutung, wobei sich diese Informationen nicht nur Nutzung zu Siedlungszwecken mit unzweifel- auf die prinzipielle Existenz der genannten Instru- haften Handicaps belastet ist. Diese können etwa mente beschränken dürfen sondern auch Details in einem erhöhten Naturgefahrenrisiko bestehen, und Hilfestellungen zur konkreten Anwendung z.B. durch Hochwasser- oder Steinschlaggefahr. und Wirkungsweise umfassen müssen. Besonders Aber auch andere Grenzen der Siedlungsentwick- geeignet erschiene in diesem Zusammenhang die lung, etwa jene, die sich aus spezifischen Immis- Etablierung eines institutionalisierten Erfahrungs- sionsbelastungen ergeben, werden angesichts austausches, insbesondere zur Möglichkeit der einer gefühlten Alternativlosigkeit immer mehr Präsentation und Diskussion von Best Practise- in Frage gestellt. In Tirol als traditionellem Tran- Beispielen. sitland ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Belastungen für die menschliche Gesund- Von hoher Bedeutung erscheint in diesem Zusam- heit hinzuweisen, die sich aus Auswirkungen des menhang die Erweiterung der Vertragsraumord- Kfz-Verkehrs ergeben. Dies betrifft einerseits die nung auch auf die in den Verordnungsplänen der Problematik der Luftreinhaltung, aktuell besteht Örtlichen Raumordnungskonzepte ausgewiesenen etwa im Bereich der Inntalautobahn im Tiroler Un- Siedlungserweiterungsbereiche. Diesbezügliche terland auf einer Breite von 200 m ein Belastetes Evaluierungen haben gezeigt, dass auch diese Flä- Gebiet NOx nach UVPG. Ebenso werden in den chen nur zu Teilen innerhalb der vorgesehenen Umgebungslärmkarten des BMLFUW zahlreiche Planungszeiträume intentionsgemäß für die Sied- Landstriche entlang von Bundes- und Landesstra- lungsentwicklung zur Verfügung gestellt werden, ßen sowie der West- Arlberg- und Brennerbahn als strukturell herrscht bezüglich dieses „Bauerwar- so schallimmissionsbelastet ausgewiesen, dass ihre tungslandes“ ein ganz ähnlicher Interessensge- Widmung als Wohn- oder Mischgebiet im Gegen- gensatz zwischen Planungsbehörde und Grund- satz zu den Richtlinien des Österreichischen Ar- eigentümern wie bei gewidmetem Bauland. Aus beitsrings für Lärmbekämpfung steht. raumordnungsfachlicher Sicht ist es deshalb zur Absicherung der nachfolgenden Umsetzung der Im in der aktuellen TROG-Novelle diesbezüglich geplanten Siedlungsentwicklung erforderlich, enthaltenen Ansatz, textliche Zusatzfestlegungen bereits diese Ausweisungen mit Verpflichtungen zu Baulandwidmungen vorzusehen, durch die ei- der betroffenen Grundbesitzer zu koppeln, ne Beseitigung der die mangelnde Baulandeignung durch welche eine Blockade der Heranziehung begründenden Umstände sichergestellt wird, ma- dieser Flächen für die Siedlungsentwicklung im nifestiert sich die oben angesprochene Tendenz, Planungszeitraum unterbunden wird. Ansonsten minder geeignete Bereiche verstärkt für die Sied- ist aufgrund der systemischen Voraussetzungen lungsentwicklung heranzuziehen auf der Ebene davon auszugehen, dass auch diese Hoffnungs- der Raumordnungsgesetzgebung. gebiete der Siedlungsentwicklung tatsächlich nur sehr eingeschränkt realisiert werden können, dass sozusagen ein „Baulandüberhang zweiter Ordnung“ entsteht. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement MÖGLICHKEITEN DER BAULANDMOBILISIERUNG UND DEREN ANWENDUNG IN TIROL 89

Sowohl zur Verhinderung einer weiteren Zer- keinerlei Einnahmen aus dem Finanzausgleich (Er- siedelung und zum Schutz eines qualitätvollen tragsanteile auf Basis der Hauptwohnsitzzahlen) Landschaftsbildes als auch im Sinne der Umset- oder aus der Kommunalsteuer gegenüber. zung einer nachhaltigen Raumordnung erscheint es aus raumordnerischer Sicht darüber hinaus von In welcher Form eine solche Abgabe eingehoben übergeordneter Bedeutung, den Fokus der Bau- würde, ob als eigenständiger Infrastrukturkosten- landmobilisierung auf die seit langem planerisch beitrag, als periodisch zu entrichtende Lizenz- hierfür vorgesehenen Gunsträume der Sied- gebühr oder als nach bebauten und unbebauten lungsentwicklung zu richten, das „Altbauland“. Flächen differenzierende Form der Grundsteuer, spielt aus raumplanerischer Sicht eine unterge- Durchaus effiziente Möglichkeiten hierzu bestehen ordnete Rolle – entscheidend dabei ist, dass die aus fachlicher Sicht zum einen im hoheitlichen Be- Attraktivität des Hortens von Bauland dadurch so- reich. Bereits durch eine Änderung der Gesetzes- weit gesenkt wird, dass jene Bereiche, die sowohl anwendung bzw. von Bemessungsgrundlagen aus ökonomischen als auch aus raumplanerischen könnten sowohl auf Bundesebene (Bodenwert- Gründen am besten für die weitere Siedlungsent- abgabe, Bodenbeschaffungsgesetz) als auch auf wicklung geeignet sind, vermehrt diesem Zweck Landesebene (Grundverkehrsrecht) diesbezüglich zugeführt werden.14 Die Grundidee dieses Vor- wirksame Maßnahmen gesetzt werden. Im Sinne schlags ist keineswegs neu, gerade im „Land im einer ursachenorientierten Handlungsstrategie Gebirg’“ mit seinem äußerst beschränkten Dauer- erscheint jedoch ein fiskalischer Ansatz wie er in siedlungsraum-Anteil wird die zunehmende Not- Fachkreisen bereits seit vielen Jahren diskutiert wendigkeit einer solchen Ergänzung des Instru- wird, nach wie vor am vielversprechendsten. Hier- mentariums der Baulandmobilisierung aus fach- bei müsste primär darauf abgezielt werden, die licher Sicht jedoch vor dem Hintergrund aktueller Baulandhortungsgewinne soweit zu reduzieren, Tendenzen der Raumentwicklung eindringlich vor dass Baugrundstücke im Vergleich mit anderen Augen geführt. Wertanlagen substanziell an Attraktivität verlie- ren. Eine geringfügige Reduktion dieser Gewinne ist mit der Einführung der Immobilienertragssteu- er vor einigen Jahren erfolgt, dieser Maßnahme LITERATUR kann jedoch keine baulandmobilisierende Wirkung zugemessen werden, weil die Abgabenschuld erst bei Verkauf eines Baugrundstücks entsteht und Gesetzliche Grundlagen: deshalb ein rascheres Auf den Markt bringen eines Baugrundstücks keinerlei ökonomische Vorteile Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 erwarten lässt. Tiroler Raumordnungsgesetz 1972 u. ff. Tiroler Verkehrsaufschließungsabgabengesetz 2011 Um einen im Sinne der Baulandmobilisierung Verordnung der Landesregierung vom 15. August 1994, mit steuernden Einfluss auf die Raumentwicklung der Richtlinien für Verträge nach § 33 Abs. 1 des Tiro- zu erreichen, wäre hingegen ein Abgabenregime ler Raumordnungsgesetzes 1994 erlassen werden (LGBl. erforderlich, bei dem das Hinausschieben der In- Nr. 83/1994 anspruchnahme einer erteilten baulichen Lizenz abgabenauslösend wirksam wäre. Insbesondere Literatur und statistische Quellen: im Bereich bereits erschlossener Siedlungsgebiete (– Baulücken, Freilandinseln innerhalb geschlos- AdTLr, 2000 (Hrsg.): Mobilisierung von Bauland in der AR- sener Siedlungskörper sowie deren Randbereiche) GE ALP – Projektbericht. Innsbruck wäre die Rechtfertigung einer solchen Abgabe un- AdTLr, FB tiris, 2008: GIS Workflow Baulandbilanzierung ter Hinweis auf Infrastukturerrichtungs- und -er- Tirol. Projektbericht, unveröffentlicht haltungskosten aus fachlicher Perspektive ebenso hinreichend gegeben wie durch die beträchtlichen indirekten Kosten, die durch die erzwungene Dis- 14 persität der Siedlungsstruktur entstehen (insbeson- Nachdem die skizzierten wirtschaftlichen Systemkompo- nenten überregional in sehr ähnlicher Weise wirksam sind dere durch die Umwelt-, Klima-. und Gesundheits- erstarken auch in anderen europäischen Ländern Bestrebun- kosten des hierdurch hervorgerufenen Verkehrs). gen, brach liegende Siedlungsressourcen stärker finanziell zu Umgekehrt stehen unbebautem Bauland – im Ge- belasten. So hat sich etwa aktuell in der BRD eine Initiative gensatz zu widmungsgemäß inwert gesetztem – gebildet, deren Ziel in der stärkeren steuerlichen Belastung von unbebautem Bauland besteht (JUNG, 2016). Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 90 ÖGGL

AdTLr, SG Landesstatistik & tiris, 2013: Jahresbericht zur Webressourcen: ­Tiroler Raumordnung, Berichtszeitraum Oktober 2012 AdTLr: Laser- und Luftbildatlas Tirol-Webauskunftsdienst bis September 2013. Unveröffentlicht portal.tirol.gv.at/LBAWeb/luftbilduebersicht.show AdTLr, SG Landesstatistik & tiris, 2016: Auswertungen Bau- (Berechtigung für Portal Tirol erforderlich) landbilanzierung 1. u. 2.Zyklus. Unveröffentlicht AdTLr: tirisMaps-Webauskunftsdienst Baulandbilanzierung HUBER R., 1994: „Der Tiroler Bodenbeschaffungsfonds im portal.tirol.gv.at/weboffice/tirisMaps/synserver Aufbau“. In: roINFO, 8, S. 7–10 (Berechti­gung für Portal Tirol erforderlich) HUBER R., 2015: Mögliche Ansätze zur Baulandmobilisie- BMLFUW: Lärminfo.at-Webauskunftsdienst rung. Präsentation, unveröffentlicht www.laerminfo.at ÖGGL H., 2012: Evaluierung des Planungswerkzeugs Ört- liches Raumordnungskonzept im Bundesland Tirol. SVH Saarbrücken JUNG, A., 2016: Lücken in Luxuslage. In: Der Spiegel 30/2016, S. 62–64 Österreichischer ArbeitsRING für Lärmbekämpfung (Hrsg.), 2006: ÖAL-Richtlinie Nr. 36 Blatt 1 – Erstellung von Schallimmissionskarten und Konfliktzonenplänen und Planung von Lärmminderungsmaßnahmen. Schalltech­ ni­sche Grundlage für die örtliche und überörtliche Raumplanung. Wien RAUTER F., 1996: Örtliche Raumordnungskonzepte – eine Zwischenbilanz. In: roINFO, 12, S. 29–33 RIEDL M, 2016: Beiträge des Sachgebietes für den Bericht des Lands Tirol zur 45. Expertenkonferenz der beam- teten RaumplanungsreferentInnen am 3. und 4. Oktober 2016. Unveröffentlicht SCHWANINGER T., 2015: Sonderflächenwidmungen im Tiroler Raumordnungssystem: Analyse, bundesweiter Vergleich und Identifikation von Handlungsfeldern. Diplomarbeit TU Wien, Department für Raumplanung SPÖRR K., 1991: Eine Überarbeitung der Flächenwidmungs- pläne wird notwendig! In: roINFO, 1, S. 9 SPÖRR K., 1994: Baulandmobilisierung und Sicherung der Baulandverfügbarkeit. In: roINFO, 8, S. 7–10 TIROLER BODENFONDS, 2016a: Projektdatenbank des Ti- roler Bodenfonds. Unveröffentlicht TIROLER BODENFONDS, 2016b: Rechnungsabschluss für das Jahr 2015. Unveröffentlicht WIESER R. u. W.SCHÖNBÄCK, 2011: Volkswirtschaftliche und raumordnungspolitische Aspekte der Widmungs- abgabe nach dem Entwurf zur Novelle zum Tiroler Raumordnungsgesetz. In: Raumforschung und Raum- ordnung 69, S. 169–280 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement 91

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 SIR-Mitteilungen Baulandmobilisierung und Flächenmanagement im Kanton Graubünden The practice in the canton of Grisons – Land use DI policy and mobilising building land in the munici­ Christoph Zindel Geschäftsführer pality Bündner Vereinigung für Raumentwicklung Gäuggelistrasse 7 Zusammenfassung CH-7000 Chur [email protected] Eigentumsgarantie, Glaubensfreiheit und Meinungsäusserungsfreiheit bilden die Grundpfeiler der Verfassung in der Schweiz und in jedem demokratisch organisierten Staat. Bauland zu mobilisieren stellt einen aktiven Eingriff der Öffentlichkeit dar, um gehortetes Bauland einer Nutzung zuzuführen. Dieser Akt greift in die Eigentumsrechte, das heisst in eines der basisdemokratischen Grundrechte, ein. Deshalb wurden Massnahmen für die Aktivierung von Bau- land bisher auf einvernehmlicher, vertraglicher Basis unter den Beteiligten an- gegangen. In der Schweiz erhielten die Planungsbehörden im Jahr 2014 mit dem neuen Raumplanungsgesetz des Bundes den Auftrag und auch die Legiti- mation gesetzliche Kaufrechte festzulegen und innert Frist auch zu vollziehen.

Abstract

Guarantee of ownership, freedom of belief and freedom of expression consti- tute the cornerstones of the Swiss constitution, as in any democratically organ- ised state. The mobilisation of building land represents an active intervention by the public to bring hoarded building land to a use. This act interferes with the proprietary rights, that is one of the direct democratic base rights. Therefore, measures to activate building land have been approached by the concerned parties on a consensual and contractual basis until now. In Switzerland, in the course of the new spatial planning law in 2014, the local planning authorities were given the task and legitimation to determine legal sale of goods laws and to enforce them within an appropriate period of time. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 92 ZINDEL

1. Die Herausforderung dende Bautätigkeit in Städten, Agglomerationen, aber auch in den touristischen und teils auch in den ländlichen Gebieten führte zu einer schrittwei- Auch 36 Jahre nach Erlass des ersten Raumpla- sen Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen nungsgesetzes (RPG) im Jahre 1980 für die schwei- und des Vollzugs. zerische Eidgenossenschaft beschäftigt ein Tatbe- stand Private, Organisationen, Gesetzgeber und Das erste Raumplanungsgesetz des Kantons Grau- Behörden: die nach wie vor schwierige Verfügbar- bünden (KRG) datiert aus dem Jahre 1973, also machung von eingezontem Bauland und dessen rund 7 Jahre vor Inkrafttreten der Bundesgesetzge- Mobilisierung zugunsten einer zukunftsgerichte- bung. Auch dieses Rahmengesetz mit zugehöriger ten Entwicklung der Gemeinden und der Regionen. Verordnung kann aus heutiger Sicht als zukunfts- trächtig bezeichnet werden. Allein der Vollzug Eigentumsfreiheit, Glaubensfreiheit und Mei- war nicht konsequent, was schlussendlich zu Ver- nungsfreiheit sind die Grundpfeiler der schwei- schärfungen der Grundgesetze führen musste. zerischen Eidgenossenschaft. Auf diesen Grund- werten baut die Gesellschaft auf. Diese Werte In der konkreten Umsetzung der Gesetzesebenen bilden das Rückgrat der Demokratie und sind bei Bund, Kanton und nachgelagert der Gemein- faktisch unantastbar. Staatliche Eingriffe in das den wiederspiegelt sich der föderalistische Aufbau Eigentum berühren somit die ureigensten Interes- der Schweiz, der Kantone und der Gemeinden. sen unseres Rechtsverständnisses. Solche Eingriffe werden sehr schnell als enteignungsrechtliche Massnahmen taxiert und von einer breiten Gesell- 3. Das neue Kantonale Raumplanungs­ schaftsschicht grundsätzlich abgelehnt. gesetz 2005 und die Umsetzungsmaß­ nahmen in Graubünden In diesem heiklen Schnittbereich berühren sich Entwicklungsvisionen für die Allgemeinheit und die privaten Interessen nach freier Verfügbarkeit Der Kanton Graubünden entschied sich anfangs von Eigentum. Boden ist wertvoll; dieser Wert 2000 neben dem Kantonalen Richtplan, welcher bildet die Grundlage für die Produktion und für eine Entwicklung des Kantons für die nächsten jegliche Entwicklung. Diesen Wert gegen den Wil- 15–25 Jahre vorskizzieren sollte, auch das Kanto- len des Eigentümers auszulösen, bildet den Gegen- nale Raumplanungsrecht (KRG und KRVO) zu stand des vorliegenden Diskussionsbeitrags. aktualisieren. Am 6. Dezember 2004 beschloss das kantonale Parlament das neue KRG, welches nach unbenützter Referendumsfrist durch den Regie- rungsbeschluss vom 24. Mai 2015 per 1. November 2. Die Entwicklung im Überblick 2015 in Kraft gesetzt wurde.

1980 wurde das erste Raumplanungsgesetz des In Art. 19 KRG wurden die Grundsätze der Boden- Bundes erlassen (RPG). Die Erarbeitung dauerte und Baulandpolitik definiert. mehrere Jahre und eine frühe Entwurfsfassung des RPG aus den frühen 70-er Jahren beinhaltete be- reits tiefgreifende, eigentumsrechtliche Eingriffs- möglichkeiten, was in den Diskussionen in den Räten des Bundesparlaments aber auf massiven Widerstand stiess, und schlussendlich die Geset- zesvorlage nicht mehrheitsfähig machte.

Das RPG 1980 kann auch aus heutiger Sicht nach wie vor als sehr gutes Rahmengesetz für die räum- liche Entwicklung der Schweiz beurteilt werden. Der Art. 15 RPG, welcher sich mit der zulässigen Die Gemeinde wird einerseits aufgefordert, and- Grösse der Bauzonen beschäftigte, ist auch heute rerseits aber auch gesetzlich berechtigt eine ak- noch zeitgemäss. Allein der mangelhafte Vollzug tive Rolle in der Boden- und Baulandpolitik ein- dieser Bestimmung in der konkreten Umsetzung zunehmen (Abs. 1). Die Gemeinde wird befähigt, in den Kantonen und Gemeinden, die überbor- Maßnahmen zu treffen, damit eingezontes Bau- SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement BAULANDMOBILISIERUNG UND FLÄCHENMANAGEMENT IM KANTON GRAUBÜNDEN 93 land aktiviert wird. Zudem wird ein Mehr- und Boden- und Baulandpolitik Art. 3 Minderwertausgleich auf vertraglicher Ebene sti- puliert. All diese Bestimmungen erlauben es der 1 Die Sicherung der Baulandverfügbarkeit im Gemeinde nach der gesamtheitlichen Entwicklung Sinne von Art. 19 Abs. 2 KRG erfolgt nach sinnvolle räumliche Dispositionen zu katalysieren. Massgabe von Art. 4 des vorliegenden Bauge- Die gesetzliche Grundlage bietet Hilfestellung für setzes (gesetzliche Sicherung der Baulandver- einen sanften Druck gegen die Hortung von Bau- fügbarkeit). land bis hin zu konkreten Eingreifen in das Ei- gentum. Eine schweizerische Tugend: anstossen, [1 … erfolgt durch Abschluss von Verträgen1) als Handlungsdruck erzeugen und möglichst große Voraussetzung für Neueinzonungen (vertrag- Entscheidungsfreiheit ermöglichen wird hier kon- liche Überbauungsfristen mit vertraglichem kret angewendet. Kaufsrecht zugunsten der Gemeinde im Falle der Nichteinhaltung der Überbauungsfristen).] Die BVR hat dafür eine Wegleitung erlassen und auch gleich musterhafte Verträge für das vertrag- 2 Der Gemeindevorstand kann in eigener Kom- liche Kaufsrecht zugunsten der Allgemeinheit und petenz über den Erwerb und die Veräußerung die Mehrwertabschöpfung entwickelt. Weil die von Bauland bis zum Betrag von [100.000,– bis konkrete Umsetzung der raumplanerischen Fest- … Franken] beschließen. Im Rahmen der Be- legungen den Gemeinden obliegt, sind diese Mu- stimmung über die Baulandverfügbarkeit [Im serbeispiele individuell konkret im Einzelfall zwi- Rahmen der Ausübung des Kaufsrechts] kann schen der Standortgemeinde und den betroffenen der Gemeindevorstand über den Erwerb und privaten Grundeigentümern auszuhandeln und die Veräußerung von Bauland auch dann be- zu unterzeichnen. Der Kanton als Genehmigungs- schliessen, wenn der Erwerbs- oder Veräuße- instanz für die Anpassung der Nutzungsplanung rungspreis über … Franken liegt.2) (Zonenplanung und Baugesetzgebung), kann sol- che Entscheide nur „kassieren“, d.h. genehmigen Gesetzliche Sicherung der Baulandverfügbarkeit oder eben ablehnen; er kann aber das eigene Er- Art. 4 messen nicht an Stelle des Ermessens der Gemein- de setzen. 1 Der Bauzone zugewiesene unüberbaute Grund- stücke sind innerhalb von [acht bis zwölf] Bevor Kaufrechts- und Mehrwertabschöpfungs- Jahren seit Inkrafttreten der vorliegenden Be- verträge abgeschlossen werden können, sind stimmung und fünf Jahren nach realisierter erfahrungsgemäss viele aufwändige Verhand- Groberschließung entsprechend dem Zonen- lungen zwischen den Interessierten nötig. Immer zweck zu überbauen, sofern keine anderen, län- wieder tritt der Fall auf, dass breite Abstimmungs- gerfristigeren Entwicklungsziele vor­liegen. Die abklärungen getroffen wurden, diese aber schluss­ Fristen stehen still, wenn sich der Baubeginn endlich an Detailfragen und Differenzen zwischen aus Gründen, welche die Grundeigentümer/­ den Vertragspartnern scheitern. Unschön an die- Grundeigentümerinnen oder die Bauherr­ ­schaft ser Entwicklung sind die nutzlosen Aufwände nicht zu vertreten haben, verzögert. die durch die langwierigen Verhandlungen ent- standen sind, ohne Gewähr für die schlussend- [1 Die im Zonenplan speziell gekennzeichneten liche Vertragsunterzeichnung. Dieses vertragliche unüberbauten Grundstücke oder Grundstücks­ Kaufs- und Mehrwertabschöpfungsinstrument teile sind innerhalb von [acht bis zwölf] Jahren konnte zwar als Neuerung im gesetzlichen Hand- nach Inkrafttreten der Kennzeichnung im Zo- lungsraum positive Effekte erzielen, stiess aber ge- nenplan und fünf Jahren ...] rade wegen der einzelfallweisen Optik gegenüber 1 den gesamtheitlichen Sichtweise auch an Grenzen. Vertragsbeispiel für einen Kaufrechtsvertrag auf www.bvr. ch unter Dokumente/Mustererlasse/Baulandmobilisierung und Verfügbarkeit Bauzonen. Es empfiehlt sich, die Beurkun­ Aus diesem Grund wurde gestützt auf die kan- dung des Kaufrechtsvertrages erst im Zeitpunkt des Inkraft- tonale Gesetzgebung ein gesetzliches Kauf und tretens der Neueinzonung oder noch später vorzunehmen, Mehrwertabschöpfungsinstrument in Form eines damit das Kaufrecht nicht bereits untergeht, wenn die Frist, innert welcher der Grundeigentümer sein Grundstück über- kommunalen Baugesetzartikels erarbeitet (vgl. bauen muss, abgelaufen ist. dazu auf der BVR homepage: http://www.bvr.ch/ 2 Die Kompetenzdelegation gemäß Abs. 2 stützt sich auf Art. 9 sites/dokumente/mustererlasse.html). lit. e des kantonalen Gemeindegesetzes ab. Sie bedingt jedoch allenfalls eine Anpassung der Gemeindeverfassung. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 94 ZINDEL

[1 Die seit xx.xx.xxxx neu eingezonten Grund- und das Rückübertragungsrecht. Die im Rah- stücke sind innerhalb von [acht bis zwölf] Jah- men der Ausübung des Übernahmerechtes an- ren nach Inkrafttreten der Neueinzonung und fallenden Aufwendungen der Gemeinde gelten fünf Jahren ...] als gebundene Ausgaben.

2 Werden die Grundstücke von den Grund­ 5 Die von der Gemeinde übernommenen eigentümern/Grundeigentümerinnen nicht Grundstücke sind sobald als möglich der in­nerhalb der in Absatz 1 festgelegten Fristen vorgesehenen Nutzung zuzuführen. Weiter- überbaut beziehungsweise trotz vorhandener veräußerungen haben in der Regel im Rahmen Nachfrage und angemessenen Preisangeboten von öffentlichen Ausschreibungen zu erfolgen. zur vorgesehenen Nutzung zur Verfügung ge- In den entsprechenden Verträgen sind den stellt, ist die Gemeinde unter nachstehenden bauwilligen Erwerbern/Erwerberinnen jene Voraussetzungen berechtigt, sie zum vollen Auflagen und Bedingungen zu machen, welche Verkehrswert zu übernehmen: für die umgehende Nutzung des Bodens zum festgelegten Zonenzweck erforderlich sind (Re- 1. Die Gemeinde hat den Grundeigentümern/ alisierungszeitpunkt, Vorgaben betr. Grad der Grundeigentümerinnen eine Nachfrist von Ausnützung, Regelung im Falle der Weiter- mindestens zwei Jahren gesetzt, um das veräußerung, Rückkaufsrecht, Vorkaufsrecht, Grundstück entweder selbst zu nutzen oder Konventionalstrafe bei Nichteinhaltung der durch Dritte der vorgesehenen baulichen Vorgaben etc.). Nutzung zuzuführen; 6 Die Kompetenz für die Anwendung dieser Re- 2. Es liegt eine ausgewiesene Nachfrage für gelung steht gemeindeintern dem Gemeinde- die bauliche Nutzung von Bauzonenflächen vorstand zu. Der Gemeindevorstand ist insbe- vor, für deren Befriedigung unter Beach- sondere zuständig für die Ausübung des Über- tung des Zweckmäßigkeits- und Verhält- nahmerechts und die Weiterveräußerung der nismäßigkeitsprinzips keine milderen Maß- übernommenen Grundstücke im erwähnten nahmen in Frage kommen; Sinne. Die Weiterveräußerung erfolgt zum Selbstkostenpreis der Gemeinde (Erwerbsko- 3. Das öffentliche Interesse an der Übernahme sten, Zinsen, Erschließungskosten). muss die entgegenstehenden privaten Inte- ressen überwiegen; 7 Die Gemeinde richtet eine Anlaufstelle für die Nachfrage nach Bauland ein. 4. Die Auswahl der zu übernehmenden Grund­ stücke hat nach anerkannten Zielen und 8 Der Gemeindevorstand ist befugt, zur vorlie- Grundsätzen der Raumplanung zu erfolgen. genden Vorschrift die erforderlichen Ausfüh- rungsbestimmungen zu erlassen (z.B. Orga- 3 Will die Gemeinde nach Vorliegen dieser Vo- nisation der Anlaufstelle für Nachfrage nach raussetzungen das Übernahmerecht ausüben, Bauland, Festlegung der Auswahlkriterien für teilt sie dies den Grundeigentümern/Grund- die Übernahme und der Kriterien bei Veräuße- eigentümerinnen unter Bekanntgabe der be- rungen etc.). anspruchten Rechte und der angebotenen Entschädigung in Form einer anfechtbaren Diese Ausformulierung benötigt nicht mehr die Übernahmeverfügung mit. Nach Inkrafttreten einvernehmliche, vertragliche Grundlage, son- der Übernahmeverfügung entsteht ein Über- dern baut auf einer strategischen Haltung der nahmerecht und eine Übernahmepflicht der Gemeinde zur Siedlungsentwicklung auf. Die ge- Gemeinde im Sinne von Art. 97 Abs. 3 KRG. samtheitlichen Überlegungen zur Entwicklung der Gemeinde rücken in den Vordergrund und 4 Können sich die Parteien über die Höhe der bilden Grundlage für diese eigentumsrechtlichen Entschädigung nicht einigen, kann jede Partei Eingriffe. Dadurch gewinnen diese Eingriffe bei der zuständigen Enteignungskommission auch an Gewicht und können auch gerichtliche die Durchführung des Schätzungsverfahrens Auseindersetzungen bestehen. verlangen. Im Übrigen gelten die Bestim- mungen der kantonalen Enteignungsgesetzge- bung, namentlich für den Eigentumsübergang SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement BAULANDMOBILISIERUNG UND FLÄCHENMANAGEMENT IM KANTON GRAUBÜNDEN 95

4. Das neue eidgenössische Raumpla­ 6. Die Praxis in Graubünden nungsgesetz 2014

Die Praxis in Graubünden bewegt sich weg von In der Schweiz wurde im Jahre 2012 die Land- den vertraglichen hin zu den gesetzlichen Lö- schaftsinitiative eingereicht, welche wegen der sungen der Baulandverfügbarkeit. Es ist davon weiterhin überbordenden Bautätigkeit ein Mora- auszugehen, dass der in Erarbeitung befindliche torium für 20 Jahre für Einzonungen von neuem Kantonale Richtplan diese Stoßrichtung aufneh- Bauland stipulierte. Dieser harte Eingriff auf das men wird. Künftig werden gestützt auf gesamt- Eigentum und die freie Entwicklungsmöglichkeit heitliche Entwicklungskonzepte zu Siedlung, der Gemeinde führte schlussendlich zu einer neu- Landschaft und Bevölkerung, Regelungen zur en, aktualisierten Raumplanungsgesetzgebung räumlichen Ausgestaltung nötig werden. Die bau- auf Bundesebene – sozusagen ein Kompromiss un- rechtlichen Bestimmungen sind im Mustertext der ter den Initianten und den Gegnern der Initiative. BVR bereits enthalten und müssen nur noch appli- Der Grundsatz in Art. 15 RPG blieb unangetastet, ziert werden. es sollten nur Baulandreserven für die nächste Planungsperiode von 10–15 Jahren bereitge- stellt werden. Zusätzlich wurden aber Zielset- 7. Fazit zungen zur Verdichtung im bereits eingezonten und überbauten Baugebiet sowie eine minimale Mehrwertabschöpfung von 20 % des erzielten Eingriffe in das Eigentum waren und bleiben Mehrwerts gesetzlich festgeschrieben. Diese schwierig. Sei es, dass die Öffentlichkeit Land für neue Gesetzgebung ist seit dem 1. Mai 2014 in die eigenen Bedürfnisse wie Schulen, Werkhöfe Kraft und fordert Gemeinden, Regionen und die u.ä. oder für private Vorhaben im öffentlichen In- Kantone aufs Äußerste (vgl. dazu Art 5, 8ff, 15/15a teresse wie bspw. sozialen Wohnungsbau auslösen RPG): https://www.admin.ch/opc/de/classified- muss; stets wird sie im Konflikt mit den privaten compilation/19790171/201601010000/700.pdf.) Eigentümern stehen. Dennoch darf festgestellt werden, dass die Begrenztheit des Bodens schritt- Die Gesetzesrevision verlangt eine gesamtheitliche weise in den Köpfen der Allgemeinheit verankert Planung auf Kantonsebene in Form eines ange- ist und das Bewusstsein für die allgemeinen Inte- passten Kantonalen Richtplans, in welchem die ressen für öffentlich zugängliche Nutzungen und Grundsätze der Siedlungsentwicklung abgebildet nötige Eingriffe gegenüber den privaten Interes- und mittels Verantwortlichkeiten abgesichert sind. sen nach uneingeschränkter Freiheit bezüglich Der Kanton Graubünden wird in den nächsten Grundeigentum stetig steigt. Monaten den Entwurf in die Vernehmlassung schi- cken. Bis dieser Kantonale Richtplan genehmigt ist, herrscht faktisch ein Einzonungsmoratorium; Ein- 8. Zusatzinformationen zonungen können nur genehmigt werden, wenn gleichzeitig anderenorts eine flächengleiche Aus- zonung erfolgt (Kompensationsregelung). Die Bündner Vereinigung für Raumentwicklung ist ein Verein, der sich seit 1968 um räumliche Sachthemen kümmert und ein wichtiges Binde- glied zwischen Bund, Kanton und Gemeinden bil- 5. Verschiedene Modelle der Umsetzung in det. Geschäftsführung seit 2005 bei Christoph Zin- der Schweiz del, STW AG für Raumplanung, Chur.

Die Schweizerische Vereinigung für Landespla- Die Vereinigung schweizerische Landesplanung nung (VLP) hat in ihrer Schrift 5/2013 eine voll- (VLP) ist die Mutterorganisation der BVR. Die BVR ständige Übersicht über die in den verschiedenen ist eine unabhängige Vereinigung und an die VLP Kantonen entwickelten Umsetzungsmaßnahmen angeschlossene Organisation. erstellt. Diese kann bei der VLP bezogen werden (vgl. dazu http://www.vlp-aspan.ch). Der Autor verzichtet hier auf eine weitergehende Erläuterung der sehr gut dargestellten, unterschiedlichen Mo- delle. Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 96 SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016

Kurzbericht aus Wissenschaft und Forschung mit Salzburgbezug

Baulandmobilisierung und Flächenmanagement 99

SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 SIR-Mitteilungen Regionale Benachteiligung und Daseinsgrundvorsorge am Beispiel des Oberpinz- gaus: Ein Widerspruch? Univ.-Prof. Dr. Martin Heintel Institut für Geographie und Regional deprivation and services of general Regionalforschung, Universität Wien Universitätsstraße 7 ­interest using the example of Oberpinzgau: A-1010 Wien A contradiction? [email protected]

Zusammenfassung

Die Studie, auf der dieser Beitrag basiert, wurde im Kontext der Neuaushand- lungen der Finanzgebahrungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in Auftrag gegeben, um eine potenzielle Benachteiligung der Region Oberpinz- gau (Salzburg) quantifizierbar zu machen. Durch die Unschärfen des Kernbe- griffs „Benachteiligung“ ergeben sich dabei Probleme der Umlegbarkeit des- Mag. Markus Speringer selben in eine quantitative Maßzahl, welche Relationalitäten und Intensitäten Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital der Benachteiligungen zum Ausdruck bringen kann. Mit der Entwicklung des Welthandelsplatz 2 Multiplen Benachteiligungsindex (MBI), der auf Basis sozioökonomischer und A-1020 Wien demographischer Indikatoren gebildet wird, ist es möglich, nach thematischen [email protected] Bereichen Potenziale und Herausforderungen für die Region Oberpinzgau und deren Gemeinden zu identifizieren und für die politischen AkteurInnen greif- bar zu machen. In diesem Artikel wird die Methode und ihre Interpretierbarkeit anhand des thematischen Teilbereichs Gesundheit illustriert, welche vertiefend mittels einer durchgeführten Erreichbarkeitsanalyse analysiert wird und mög- liche Interpretationsansätze aufgezeigt werden.

Abstract Mag. Judith Schnelzer Institut für Geographie und Regionalforschung, Universität Wien The research this paper is based on was contracted in the context of the re- Universitätsstraße 7 negotiations of the fiscal equalization scheme between national, province and A-1010 Wien municipal level, to attempt a quantification of a potential deprivation of the re- [email protected] gion Oberpinzgau (Salzburg). As the term itself is quite fuzzy as it is important to show relations and intensities, the quantification to a uniting index is quite difficult. With the development of the Multiple Deprivation Index (MBI), which is constructed based on socioeconomic and demographic indicators, it is pos- sible to identify by thematic areas the potentials and challenges for the region Oberpinzgau and its municipalities. In this paper we introduce the method and its interpretability exemplary for the thematic area of Health, which further gets analysed due to a connectivity analysis to illustrate potential interpretative ap- proaches. Mag. Ramon Bauer Institut für Geographie und Regionalforschung, Universität Wien Universitätsstraße 7 A-1010 Wien [email protected] Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 100 HEINTEL, SPERINGER, SCHNELZER, BAUER

1 Einleitung dieser Beitrag befasst. Eine solche Umlegung ei- ner subjektiven Wahrnehmungsstruktur auf eine quantifizierbar vergleichbare Ebene zu übertragen, Der vorliegende Beitrag basiert auf einer Studie bedurfte einer vorab gestellten deskriptiven Ana- im Auftrag des Regionalverbands Oberpinzgau1 lyse der sozialen, demographischen und ökono- mit der Zielsetzung, eine etwaige „Benachteili- mischen Ausganglage in der Untersuchungsregion gung“ der Region zu quantifizieren. Im Kontext sowie deren Gemeinden in Kontrast zu definierten der im Jahr 2016 stattfindenden Neuausverhand- Vergleichsregionen: Bundesland Salzburg, Stadt­ lung der Finanzausgleichsgebahrungen zwischen region Salzburg2, Gemeinde Saalfelden und Zell Bund, Land und Gemeinden soll diese Studie am See (siehe Karte 1). eine Diskussionsbasis für die Verhandlungen darstellen. Dem voran steht die Prämisse, die Be- grifflichkeit „Benachteiligung“ spezifisch für die 2 Ausgangslage Fragestellung zu präzisieren. Zusätzlich wird dies durch den Umstand erschwert, dass eben jener Be- griff äußerst unscharf definiert ist und sehr stark Die naturräumlichen Charakteristika der Regi- durch ein subjektives Empfinden geprägt wird. So on Oberpinzgau sind stark von ihrer peripheren verwundert es kaum, dass diese Debatte über eine Tallage im Südwesten Salzburgs entlang der „gerechte“ Verteilung von Finanzmitteln zwischen nördlichen Ausläufer der Hohen Tauern geprägt, den politischen und administrativen Verwaltungs- was sich gleichsam in der Komprimierung der einheiten stets entlang dieser unsichtbaren, aber Siedlungs-, Agrar-, Nutz- und Verkehrsflächen stets spürbaren Demarkationslinie des Ungleich- entlang der Haupt- und Nebentalsohlen abzeich- heitsempfindens von peripheren Regionen gegen- net. Diesem Umstand ist es auch geschuldet, dass über urbanen Ballungszentren verläuft. Hier steht sich trotz der teilweise großen Flächenausdehnung im Kontext des in der Regionalpolitik verankerten der Gemeinden (siehe Karte 2) im Untersuchungs- Gleichstellungsgrundsatzes (Republik Österreich gebiet (z.B. in Krimml [169,3 km² | 2,9 % davon 2013) das Argument einer vermeintlichen „Ver- Dauersiedlungsraum], Uttendorf [167,9 km²| 11,8 nachlässigung“ der peripheren Regionen durch %], und Neukirchen [166,1 km² | 7,4 %]) der Dau- das Land und den Bund jenem Argument des mo- ersiedlungsraum deutlich reduzierter darstellt. So netären „Mehraufwands“ in Städten bei sozialen entfallen im Oberpinzgau nur rund 10,7 Prozent und infrastrukturellen Ausgaben gegenüber. Der der Gesamtfläche auf den Dauersiedlungsraum Gleichstellungsgrundsatz besagt, dass eine flä­ (Stuhlfelden [29,6 km² | 27,4 %] und Niedernsill chendeckende Versorgung für die Bevölkerung [57,5 km² | 18,5 %]), der durch die umliegenden zu gewährleisten ist. Hierbei wird auch auf das Gebirgshänge und durch ausgewiesene Schutz- Arbeitsprogramm der Österreichischen Bundesre- zonen (z.B. Natura 2000 Gebiete) in ihrer Ausdeh- gierung (2013-2018) verwiesen, das als Ziel, „...bei nung beschränkt wird. künftigen Entwicklungen ländlicher Räume besonderes Augenmerk darauf zu richten [ist], Arbeit zu den Men- Dementsprechend sind die örtlichen Siedlungen schen zu bringen, sowie eine gleichwertige Daseinsvor- nur entlang der Täler verkehrstechnisch erschlos- sorge sicherzustellen“, ausgibt (Republik Österreich sen, wobei die B168 die Hauptverkehrsachse für 2013, S. 20). den individualisierten Personennahverkehr von Zell am See bis Mittersill bildet und weiter west- Ob und wie sich diese subjektive Ungleichheit wärts bis nach Krimml und Wald in die B165 über- oder – anders gesprochen – Benachteiligung de geht, die in das Nachbarbundesland Tirol führt. facto empirisch nachweisen lässt, ist die Fragestel- Vom Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) lung, mit der sich die Studie zur Quantifizierung gibt es nebst den Regionalbuslinien 670, 672, 673, der Benachteiligung der Region Oberpinzgau und 4094 und 4410 eine entlang der verlaufen- de eingleisige Bahnstrecke, welche die Pinzgau- 1 vgl.: Heintel, Martin/ Speringer, Markus/ Schnelzer, Judith/ er Lokalbahn (230) führt und touristisch sowie Bauer, Ramon (2016): Quantifizierung der Benachteiligung der Region Oberpinzgau. Projektendbericht im Auftrag des Regionalverbandes Oberpinzgau, 118 S. Die Studie wurde 2 Die Stadtregion Salzburg (SR041) wird, laut Statistik Austria vom Regionalverband Oberpinzgau beauftragt und durch (2013), durch die Pendelbeziehungen in die umliegenden Bund (LE 14-20), Land (Salzburg) und Europäische Union Gemeinden festgelegt. Das urbane Ballungsgebiet umfasst (LEADER) finanziert. Auftragnehmer: Institut für Geogra- somit elf Gemeinden: Bergheim, Hallwang, Eugendorf, Stadt phie und Regionalforschung der Universität Wien; Projekt- Salzburg, Wals-Siezenheim, Grödig, Anif, Elsbethen, Hallein, leitung: Martin Heintel. Oberalm und Bad Vigaun. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement REGIONALE BENACHTEILIGUNG UND DASEINSGRUNDVORSORGE AM BEISPIEL DES OBERPINZGAUS: EIN WIDERSPRUCH? 101

Karte 1: Übersichtskarte – Gemeinden der RV-Region Oberpinzgau Quelle: Landesstatistik Salzburg, Statistik Austria, Universität Wien

Karte 2: Bevölkerungsdichte 2015 – EinwohnerInnen pro Quadratkilometer 2015 (in km²) Quelle: Landesstatistik Salzburg, Statistik Austria – Bevölkerung zu Jahresbeginn Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 102 HEINTEL, SPERINGER, SCHNELZER, BAUER

für die knapp 21.984 lokale Bevölkerung (Stand: die implizit eine subjektive Relationalität ausdrü- 01.01.2015)3 nutzbar ist. cken. Menschen oder Regionen können somit nur in Relation zu anderen Menschen oder Regionen Entsprechend der topographisch-peripheren Lage benachteiligt oder bevorteilt sein. Dieser Umstand haben sich in diesen Siedlungsräumen standort­ muss sowohl methodisch als auch bei der Auswahl spezifische Infrastrukturen und Services of Ge- der zu verwendenden inhaltlichen Dimensionen neral Interest (SGIs)4 angesiedelt und etabliert, berücksichtigt werden. welche der lokalen Nachfrage gerecht werden. Solche Dienste wie die einstigen Dorflehrer oder Zu diesem Zweck wurde der Indexentwicklung -ärzte entwickelten sich mit der Zeit je nach Be- eine demographische und sozio-ökonomisch Ana- darf in Kindergärten, Schulen, Berufsbildungsein- lyse vorangestellt, welche die Untersuchungsregi- richtungen oder medizinische Einrichtungen, wie on Oberpinzgau (inklusive Gemeindeanalyse) in Facharztordinationen, Rettungsstellen oder Spitä- Kontrast zu den definierten Vergleichsräumen un- ler, die je nach kritischer Größe der Bevölkerungs- tersucht. Über diesen Weg wurden potenzielle the- zahl die notwendigen Auslastungskapazitäten auf- matische Bereiche und Indikatoren für die Einbin- weisen konnten. Eben jene Kapazitäten braucht es, dung in die Entwicklung des Multiplen Benachteili- um Rentabilität für die Instandhaltungs- und Be- gungsindex (MBI) identifiziert. Nebst einer kurzen triebskosten zu gewährleisten und zu argumentie- methodischen Ausführung zur Indexentwicklung ren. Dies ist der Grund, warum es unter anderem werden im Folgenden vor allem exemplarisch Teil- wenig Sinn machen würde, in dörflich-peripheren bereichsergebnisse sowie weiterführende Analy- Regionen sogenannte hochrangige SGIs wie Spi- sen erläutert. täler oder höhere Bildungseinrichtungen wie Uni- versitäten oder Fachhochschulen zu errichten. 3 Multipler Benachteiligungsindex (MBI) Dies wiederum bedeutet, dass Gemeinden oder Regionen nicht in jeder Gemeinde alle etwaigen Services anbieten können, und diese in bevölke- 3.1 Methodische Herangehensweise rungsstärkeren oder höherrangigen Gemeinden gebündelt werden müssen, was gleichzeitig die Frage der Erreichbarkeit solcher Einrichtungen für Um Benachteiligung, wie es in der vorangegan- die benachbarten Orte niedriger administrativer genen Fragestellung formuliert wird, quantifizier- Hierarchiestufe aufwirft. In der Regel erzeugt dies bar zu machen, um eine vergleichende räumliche aufgrund eines Mangels an einem öffentlichen An- Darstellung zu ermöglichen, bedarf es der metho­ gebot einen erhöhten Bedarf für die Anschaffung dischen Entwicklung einer zusammenführen­ und den Betrieb von Fahrzeugen im individuellen den Maßzahl, die es vermag, verschiedene the­ Personenverkehr (IPV) oder speziell im Bereich matische Bereiche und Indikatoren zu bündeln. Bildung die Taktung von (Schul-)Bussen oder ge- Teilweise methodisch, aber vor allem vom Prozess­ nerell die Schaffung eines Öffentlichen Personen- ablauf an einem in Großbritannien entwickelten nahverkehrs (ÖPNV). Index of Multiple Deprivation (IMD) fand die Orien- tierung zur Entwicklung eines eigenen Index zur Für diese Studie stellt sich die grundlegende Fra­ Erfassung von Benachteiligung statt (vgl. DCLG ge, wie sich Benachteiligung im räumlichen Kon- 2011a, DCLG 2015a, DCLG 2015b, DCLG 2015c, text quantifizieren und vergleichend darstellen Payne & Abel 2012). lässt. Hierbei stellt sich auch die Frage nach der begrifflichen Abgrenzung des Terms „Benachteili- Im Konkreten betrifft diese Orientierung vor gung“, welcher per se von Unschärfen geprägt ist, allem die Herangehensweise bei der Abgrenzung der thematischen Dimensionen sowie die Indi­ 3 Quelle: Bevölkerung zu Jahresbeginn, Statistik Austria katorauswahl zur bestmöglichen Repräsentati- 4 SGIs, Services of General Interest, sind frei übersetzt on der Benachteiligungsbereiche, wobei für diese ­Leistungen der Daseinsvorsorge und somit Dienstleistungen, konkrete Fragestellung sechs Bereiche mit 24 Indi- die gemäß öffentlicher Verwaltung von generellem Interesse katoren für die Bildung des Multiplen Benachteili- sind. Der Begriff umfasst beides, ökonomische und nicht- ökonomische Aktivitäten. Darunter fallen unter anderem gungsindex (MBI) identifiziert wurden: Dienstleistungen im Bereich Gesundheitsversorgung, Kin- derbetreuung und Versorgung älterer oder behinderter • Benachteiligung im Bereich Einkommen & Wohnen Personen, sozialer Wohnbau, Training- und Arbeitsmarkt­ • Benachteiligung im Bereich Beschäftigung services, Schulen, Universitäten etc. SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement REGIONALE BENACHTEILIGUNG UND DASEINSGRUNDVORSORGE AM BEISPIEL DES OBERPINZGAUS: EIN WIDERSPRUCH? 103

• Benachteiligung im Bereich Gesundheit notwendigerweise in allen Bereichen über eine po- • Benachteiligung im Bereich Bildung sitive Streuung gegenüber dem Bundeslandwert • Benachteiligung im Bereich Soziales & Versorgung (schwarz strichlierte Linie, entspricht Wert 0,00) • Benachteiligung im Bereich Finanzen oder der Untersuchungsregion verfügt, sondern auch markante Defizite aufweisen kann, welche Methodisch war es allerdings notwendig, andere den Gesamt-MBI drücken (siehe Abbildung 1). Wege als das britische Vorbild zu gehen, da neben dem ausdrücklichen Fokus auf eine relationale Während der Gesamt-MBI, welcher den durch­ Maßzahl auch eine Standardisierung der indika- schnittlichen MBI über alle Bereiche hin reprä­ torenspezifischen Skalenniveaus angestrebt wer- sentiert, für die Stadtregion Salzburg mit 0,06 den. Die Kalkulation dieser z-Werte produziert leicht positiv vom Bundesland abweicht, kann standardisierte Werte, die positive und negative man bei der Bereichsinterpretation erkennen, dass (Standard-)Abweichungen vom Bundesland­ stark positiv abweichende Bereichswerte in den durchschnitt ausdrücken (vgl. Magnello & Van Bereichen Finanzen (+0,28), Einkommen & Wohnen Loon 2014, Urdan 2011). Weiters wurde eine z- (+0,45) sowie Gesundheit (+0,351) durch (stark) ne- Transformation der einzelnen Indikatoren durch- gative Wertausprägungen in den Bereichen Bil- geführt, um sie in Folge über die Definition von dung (–0,31), Soziales & Versorgung (–0,39), sowie Bereichsgewichtungen und Wertungsrichtungen Beschäftigung (–0,03) teilweise kompensiert werden in sechs Bereich-MBIs und einen Gesamt-MBI zu- und die potenziell positive Abweichung vom Bun- sammenzuführen (vgl. Heintel et al. 2016). deslandwert drosselt. In der Untersuchungsregion Oberpinzgau gibt es einen solchen Kompensa- tionseffekt lediglich beim Bereich Soziales & Ver- 3.2 Ergebnisse und Interpretation sorgung (–0,23), welcher als einziger Bereich eine positive Wertausprägung gegenüber dem Bundes- land aufweist. In den Bereichen Finanzen (–0,80), Die Analyse des MBI lässt somit eine Interpreta­ Beschäftigung (–0,34) und Gesundheit (–0,28) lassen tion sowohl über den Gesamtindex als auch die sich für den Oberpinzgau die am stärksten nega- einzelnen Teilbereiche zu. Dies erlaubt es, ein tiven z-Werte finden, welche aufsummiert einen tieferes Verständnis für die Entstehung und Inter- Gesamt-MBI von –0,37 ergeben. pretation des Gesamt-Index zu entwickeln. Dieser Vergleich der Bereichs-MBI für die Region Ober- Diese Bereichsaufschlüsselung der Ergebnisse er- pinzgau (dunkle Fläche) und der Stadtregion Salz- möglicht es einerseits, den Index inhaltlich vertie- burg (helle Fläche) zeigt, dass die Stadtregion nicht fend interpretierbar zu machen beziehungsweise Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Regionen genauer analysie­ ren zu können.

3.2.1 Gesundheit

Der Bereich Gesundheit repräsentiert so ein Gegensatzpaar, in welchem die Stadtregion Salzburg deutlich positiv und die Region Oberpinzgau deut­ lich negativ vom Bundeslandwert ab­ weicht. Bei einer genaueren Betrachtung dieses Bereichs kann man feststellen, dass sich dieser aus den drei Indikatoren Anzahl der Apotheken, ÄrztInnen (All- gemeinmedizin) sowie ÄrztInnen (Fach- ärztInnen) pro 1000 EinwohnerInnen (2015) zusammensetzt, welche allesamt den Zugang zu einer medizinischen Ba- Abb. 1: Multipler Benachteiligungsindex nach Bereichen in der Region Oberpinzgau und Stadtregion Salzburg sisversorgung beschreiben. Quelle: Berechnung der AutorInnen, vgl. Heintel et al. 2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 104 HEINTEL, SPERINGER, SCHNELZER, BAUER

Die Indikatorauswahl er- gab sich in erster Linie durch die Verfügbarkeit und Robustheit dieser In- dikatoren, wobei speziell die Allgemeinmedizine- rInnen und Apotheken eine Aussage über die grundlegende medizini­ sche Versorgung, welche die alltägliche medizini­ sche Basisversorgung der ansässigen Bevölkerung bildet, zulassen. Bei den FachärztInnen kann man von einer vertiefenden Abb. 2: Bereichsindikatoren – Bereich Gesundheit oder höherrangigen me- Quelle: Berechnung der Autoren, vgl. Heintel et al. 2016 dizinischen Versorgung spre­chen, die, so besagt die Hypothese, sich stär- ker in urbanen als in länd- lichen Gebieten vorfinden lässt.

Bei genauerer Betrachtung der z-Werte nach den drei Bereichsindikatoren für die vier definierten Unter- suchungsregionen kann man leicht feststellen, dass die Untersuchungs- region Oberpinzgau bei allen drei Indikatoren eine negative Werteaus- Abb. 3: Ärztedichte (AllgemeinmedizinerInnen & FachärztInnen) pro 1.000 Ein- prägung gegenüber dem wohnerInnen 2016 Quelle: Ärztekammer, vgl. Heintel et al. 2016 Bundesland (Nulllinie) und den drei urbanen Vergleichsregionen auf- EinwohnerInnen aufweist, während es im Ober- weist. Diese weisen fast durchgehend, abgesehen pinzgau lediglich 0,86 sind. Damit liegt man auch von der Dichte der AllgemeinärztInnen in der Ge- deutlich unter dem Durschnitt von 1,5 im ganzen meinde Saalfelden, eine positivere Werteausprä- Bundesland Salzburg. Bei der Vorsorgung mit All- gung als der Oberpinzgau auf. Die mit –0,28 nega- gemeinmedizinerInnen ist der Kontrast zwar auch tive Bereichsgewichtung im Oberpinzgau hat mit gegeben, aber deutlich geringer ausgeprägt (siehe –0,43 die stärkste negative z-Wertausprägung bei Abbildung 3). eben jenen FachärztInnen, noch vor den Apothe- ken (–0,24) und AllgemeinmedizinerInnen (–0,17) Das Ergebnis des Bereichs-MBI lässt sich nebst (siehe Abbildung 2). der Gegenüberstellung von Vergleichsräumen auch auf Gemeindelevel anwenden, um so die Der Kontrast zwischen dem ländlichen Oberpinz- Aggregationsräume Oberpinzgau und die Stadt­ gau und der Stadtregion Salzburg ist am stärk- region räumlich explizit analysieren zu können. sten bei den FachärztInnen ausgeprägt, welche Hier lässt sich erkennen, dass die Stadtregion, vor wie erwartet eine sehr hohe Versorgungsdichte in allem die Kernstadt Salzburg im Kontrast zum der Stadtregion aufweisen. Dies lässt sich auch in Bundesland, eine erhöhte Versorgungsdichte im den Rohdaten vor der z-Transformation erkennen, Bereich Gesundheit aufweist. Bei den Umland- welche für die Stadtregion Salzburg eine Versor- gemeinden zeigt sich hingegen ein umgedrehtes gungsdichte an FachärztInnen von 2,5 pro 1.000 Bild mit teilweise stark negativen z-Werten. Dies SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement REGIONALE BENACHTEILIGUNG UND DASEINSGRUNDVORSORGE AM BEISPIEL DES OBERPINZGAUS: EIN WIDERSPRUCH? 105 ist ein durchaus plausibles Bild, da man von einer rierung eine Erreichbarkeitsanalyse nachgestellt, Konzentration der berücksichtigten medizinischen um Teilresultate des MBI vertiefend analysieren Infrastrukturen in der Landeshauptstadt ausgehen zu können. kann (siehe Karte 3).

Im Oberpinzgau lassen sich in sieben von neun Ge- 3.2.2 Erreichbarkeit – Bereich Gesundheit meinden teilweise stark negative z-Werte für die- sen Bereich vorfinden, mit Ausnahme von Wald Eine Erreichbarkeitsanalyse berücksichtigt die im Pinzgau und Mittersill. Letztere stellt mit 5.430 räumliche Verortung verschiedener SGIs als EinwohnerInnen im Jahr 2015 die bevölkerungs- Punkt­daten und deren verkehrstechnische An- reichste Gemeinde im Oberpinzgau dar, welche bindung über das hierarchische Straßennetz, als Stadt auch merkbar höherrangige Services of welche Bundesstraßen bis hin zu Waldwegen General Interest, wie Schulen der Primär- (Volks­ umfasst. Entsprechend der Hierarchie erlauben schule), unteren und oberen Sekundarstufe (BORG, unterschiedliche Straßen per Gesetz verschiedene Hauptschule/Neue Mittelschule, Polytechnikum) Fortbewegungsgeschwindigkeiten, wobei in der aufweist, wie auch ein eigenes 105 Betten fassendes Analyse sogenannte Pufferfaktoren angewandt Krankenhaus (Allgemein öffentliches Tauernklini- werden, um durchschnittliche siedlungsbedingte kum Mittersill). Fahrzeiten zu erhalten, die gleichzeitig auch Steh- zeiten berücksichtigen. „Siedlungsbedingt“ heißt in Diese und andere höherrangige Einrichtungen in diesem Kontext, dass in dichteren Siedlungsräu- zentralen Orten bilden Anlaufpunkte für Einwoh- men höhere Stehzeiten zu erwarten sind als in eher nerInnen anderer Umlandgemeinden, die ihre Kin- ländlich geprägten Räumen. Es ist nicht davon der z.B. in die Hauptschule schicken möchten oder auszugehen, dass eine durchgehende Fortbewe- sich im Krankenhaus untersuchen lassen müssen. gung mit Maximalgeschwindigkeit möglich ist. Hier spielt in weiterer Folge die Erreichbarkeit ei- ne Rolle, die eine Aussage über die Versorgungs- Das Resultat einer solchen Analyse sind Erreich­ dichte spezieller SGIs für die Bevölkerung liefern barkeitszonen rund um die SGIs, welche sich ent- könnte. Zu diesem Zweck wurde der Indexgene- lang der Straßen ausdehnen, da diese die Fortbewe-

Karte 3: Multipler Benachteiligungsindex – Gesundheit Quelle: Berechnung der Autoren, vgl. Heintel et al. 2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 106 HEINTEL, SPERINGER, SCHNELZER, BAUER

gungsachsen innerhalb des Netzwerkes darstellen. weiten Teilen des Untersuchungsgebiets innerhalb Die Zonen sind in drei Entfernungskategorien in von einer halben Stunde erreichbar, wobei man Minuten Fahrzeit unterteilt: 5, 15 und 30 Minuten. aus Gemeindeteilen in Wald und Krimml über 30 Minuten Fahrtzeit benötigen würde (siehe Karte 5). Bei der Anwendung dieser Methodik auf die Ärz- tInnen (Allgemein- und Fachmedizin) im Ober­ In weiten Teilen des Oberpinzgaus mit Ausnahme pinzgau lässt sich für die Region generell eine gu­ von Krimml, Wald und Neukirchen ergibt sich so- te Versorgung mit ÄrztInnen feststellen, welche gar eine Fahrtzeit von unter 15 Minuten. Bei der eine sehr gute Erreichbarkeit von weniger als 5 Mi- theoretischen Auflösung dieser Einrichtung wäre nuten oder 5 bis maximal 15 Minuten per Fahrzeug das nächstgelegene Krankenhaus jenes in Zell am fast im gesamten Untersuchungsgebiet skizziert, See, welches speziell für die westlichen Gemein- wobei hier die räumliche Clusterbildung in Mitter- den im Oberpinzgau deutlich höhere Fahrtzeiten sill offensichtlich wird (siehe Karte 4). Bei einer Un- bedeuten würde. So betrüge die Fahrtzeit lediglich terscheidung nach AllgemeinmedizinerInnen und in Niedernsill weniger als 15 Minuten und würde FachärztInnen würde sich hier durchaus ein dif- auf der Höhe Hollersbach auf über 30 Minuten an- ferenzierteres Bild ergeben. Die Versorgung und steigen (siehe Karte 6).

Karte 4: Erreichbarkeit von ÄrztInnen 2016 Quelle: Landesstatistik Salzburg, vgl. Heintel et al. 2016

Anbindung an derartige SGIs drückt implizit eine Dieses Beispiel einer hochrangigen Serviceeinrich- Benachteiligung von Regionen aus, die größere tung ließe sich auch auf niederrangige Einrich- Distanzen und Fahrzeiten zur Erreichung derar­ tungen umlegen, wie eben die besagten ÄrztInnen. tiger Dienste auf sich nehmen müssen. Je höher- Waren es im Mai 2016 noch rund 36 ÄrztInnen rangig die Serviceeinrichtung ist, desto markanter (davon 17 AllgemeinmedizinerInnen und 19 Fach- zeigt sich dieser Kontrast. Betrachtet man auf diese ärztInnen mit verschiedensten Spezialgebieten), Art die Erreichbarkeit des einzigen Krankenhauses würde sich bei 9 Gemeinden und knapp 21.984 im Oberpinzgau, das über eine Innere Medizin, EinwohnerInnen der Wegfall einzelner Ordinati­ Chirurgie, Orthopädie, Labor und Physiotherapie onen deutlich auf die Versorgungssicherheit und verfügt, wird schnell dessen zentrale Lage in der Erreichbarkeit auswirken. Dies wäre vor allem für Region deutlich. So ist das Spital, laut Analyse, aus die westlichen Gemeinden, wo z.B. in Wald laut SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 Baulandmobilisierung und Flächenmanagement REGIONALE BENACHTEILIGUNG UND DASEINSGRUNDVORSORGE AM BEISPIEL DES OBERPINZGAUS: EIN WIDERSPRUCH? 107

Karte 5: Erreichbarkeit von Krankenhäuser 2016 Quelle: Landesstatistik Salzburg, vgl. Heintel et al. 2016

Karte 6: Erreichbarkeit von Krankenhäuser (ohne Mittersill) 2016 Datenquelle: Landesstatistik Salzburg (Heintel et al. 2016) Baulandmobilisierung und Flächenmanagement SIR-Mitteilungen und Berichte 36/2016 108 HEINTEL, SPERINGER, SCHNELZER, BAUER

Ärztekammer nur ein Allgemeinmediziner ansäs- Literatur sig ist, von Relevanz. Dies lässt sich auf viele an- dere Services wie Schulen oder Nahversorger um- DCLG – Department for Communities and Local Govern- legen, die für eine Gemeinde oder Region wichtige ment (Hg) (2011a) The English Indices of Deprivation (Nah)Versorgungsfunktionen einnehmen. 2010. Neighbourhoods Statistical Release. London. DCLG – Department for Communities and Local Govern- ment (Hg) (2015a) Official Statistics, English indices of 4 Fazit deprivation 2015, verfügbar unter: https://www.gov. uk/government/statistics/english-indices-of-deprivati- on-2015, 25.7.2016. Mit dieser Studie und ihren methodischen Fa­ DCLG – Department for Communities and Local Govern- cetten wird die Möglichkeit, eine potenzielle ment (Hg) (2015b) The English Indices of Deprivation relative sozioökonomische und demographische 2015. Technical Report. London. Benachteiligung für die Gemeinden des Ober­ DCLG – Department for Communities and Local Govern- pinzgaus aufzuzeigen, geboten, welche es erlaubt, ment (Hg) (2015c) The English Indices of Deprivation die Ergebnisse nach thematischen Bereichen und 2015. Research Report. London. Indikatoren aufzusplitten und dementsprechend Heintel, Martin/ Speringer, Markus/ Schnelzer, Judith/ Bau- gut interpretierbar zu sein. Dabei wurde der Fokus er, Ramon (2016) Quantifizierung der Benachteiligung in diesem Beitrag bei der Ergebnisdarstellung und der Region Oberpinzgau. Projektendbericht im Auftrag -interpretationsfähigkeit auf den Bereich Gesund- des Regionalverbandes Oberpinzgau. Wien. 118 S. heit beschränkt. Magnello, Eileen/ Van Loon, Boris (2014) Statistik. Ein Sach- comic. London. Einerseits illustriert dieser die in den Köpfen der Payne, Rupert A./ Abel, Gary A. (2012) UK indices of mul- AkteurInnen allgegenwärtige Kluft zwischen tiple deprivation – a way to make comparisons across Stadt und Land, was sehr gut die der Methode im- constituent countries easier. In: ONS – Office for Nati- plizite Relationalität zum Ausdruck bringen kann. onal Statistics (Hg) Health Statistics Quarterly 53. Lon- Hier zeigt sich, dass im Bereich der Gesundheits- don. versorgung deutliche Vorteile bei der urban ge- Republik Österreich (Hg) (2013) Arbeitsprogramm der öster- prägten Stadtregion Salzburg vorherrschen, wobei reichischen Bundesregierung 2013-2018. Wien. sich die benannten medizinischen Einrichtungen Statistik Austria (Hg) (2013) Stadtregionen Abgrenzung 2001 verstärkt in der Zentralstadt Salzburg bündeln und – Zuordnung der Gemeinden Stand 01.01.2013. Wien. ein Gefälle zu den Umlandgemeinden innerhalb Urdan, Timothy (2011) Statistics in Plain English. New York, der Stadtregion aufzeigen. Auch innerhalb des Santa Clara. Oberpinzgaus gibt es leichte positive Werteaus- prägungen in der Stadtgemeinde Mittersill, wäh- rend die Versorgung in den Nachbargemeinden AUTORENINFORMATION teils deutliche Defizite aufweist. Zur Untermau- erung dieser Konstellation erwies sich die Erstel­ im Auftrag des Regionalverbandes Oberpinzgau lung einer Erreichbarkeitsanalyse als geeignete Stadtplatz 1, 5730 Mittersill Methodik, um derartige Zusammenhänge weiter www.nationalparkregion.at zu analysieren und zu differenzieren. Dabei ver- deutlichte sich die zentrale und hochrangige Posi- tion von Mittersill im Oberpinzgau gegenüber den Nachbargemeinden, speziell im Kontrast zu den bevölkerungsschwächeren westlichen Gemeinden.

Abschließend sei nochmals auf die Gesamtstudie (vgl. Heintel et al 2016) verwiesen, um die Detail- ergebnisse bzw. auch einzelnen Indikatoren sowie die methodische Herangehensweise im Rahmen der Entwicklung eines MBI nachlesen zu können.