Dez.14/Jan.15
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DEZ.14/JAN.15 2014 EINSCHLAUFEN Betrifft: Sei vorsichtig mit dieser Axt, Pete! Impressum Nº 10.14 Im ausgehenden Jahr der Dampfplauderer nen, der neben seinen Folk-Songs auch mit dem DER MUSIKZEITUNG LOOP 17. JAHRGANG habe ich einige neue Ausdrücke gelernt. Wör- kolportierten Newport-Satz «If I had an axe, ter wie «Abusedesk», «Toscanabratwurst» oder I'd chop the microphone cable right now» im P.S./LOOP Verlag «Raumkonzept», die von Bäumen und Melonen Gedächtnis der Popgeschichte bleiben wird. Na- Postfach, 8026 Zürich eifrig beklatscht werden. Doch nicht von mir. türlich ist da aber auch der unsterbliche «Song Tel. 044 240 44 25, Fax. …27 Vielmehr möchte ich den Erfindern dieser zwei- For Che», der aus der Feder des sanften Rebel- www.loopzeitung.ch felhaften Grossmaulwelt ein fluchendes «Pig len Charlie Haden stammt, ein Song, der auch in Fuck» entgegnen, doch das würde mich wiede- den Sets des wiederaufgetauchten Neutral Milk Verlag, Layout: Thierry Frochaux rum traurig machen, weil dieser Kraftausdruck Hotel dann und wann zu hören ist. [email protected] an den halbfiktiven Sektenonkel Lancaster Neben der traurigen Bilanzierung, die am sinnlo- Dodd erinnert, der im filmischen Meisterstück sen Himmelszelt abzulesen ist, bleibt eines nicht Administration, Inserate: Manfred Müller «The Master» von Philip Seymour Hoffman zu vergessen: Das Plattenjahr 2014, es war ein [email protected] verkörpert wird. Der Schauspieler ist eine der grosses. Davon zeugen die Bestenlisten der ho- Personen, die dieses Jahr tragischerweise von norigen Loop-Autoren und zugewandten Freun- Redaktion: Philippe Amrein (amp), uns gegangen sind. Eine Person, die durch ihre den. Listen, die nun mit Leuchtstift und vierfar- Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe ausgesuchten Rollen wichtige Leitsätze in mein bigem Kugelschreiber sauber durchgearbeitet [email protected] Notizheft des Lebens geschrieben hat. «Be ho- werden und die auch ein wenig Ordnung in die nest and unmerciful» ist eine jener Losungen, die verzettelte Gegenwart bringen können. Vor al- Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Reto Aschwanden mir Hofmann als beschnauzter Lester Bangs auf lem aber Listen, mit denen nun der Plattenladen (ash), Ueli Bernays, Thomas Bohnet (tb), Pascal den «Almost Famous»-Schreibweg mitgegeben meines Vertrauens geentert wird. Denn Musik Cames (cam), Martin Dahms, Harald Fette (hu), hat. Und auch: «You can not make friends with zu kaufen und der Lieblingskünstlerschaft ein Chrigel Fisch, Christian Gasser (cg), the rock stars». Und: sei lieber uncool. würdevolles Dasein zu ermöglichen, ist leider Michael Gasser (mig), Hanspeter Künzler (hpk), Uncool sein: Das ist natürlich das schwierigste schrecklich uncool geworden. Tony Lauber (tl), Mathias Menzl (men), Unterfangen in dieser Zeit, in der selbst die gute So gehe ich meinen bescheidenen Weg als klei- Christoph Merki, Philippe Niederberger alte und liebevoll zusammengestellte Mischkas- ner Tänzer immer weiter, zähle mit meinen neu- sette zum schönen Accessoire verkommen ist en Platten auf dem Nachhauseweg die Schein- Druck: NZZ Print, Schlieren und die Plattensammlung in den digitalen Wol- werferlichter auf den Highways und lege mich ken hängt. So erinnert das vorliegende Drucker- schliesslich nach einem anstrengenden Jahr in Das nächste LOOP erscheint am 29.01.2015 zeugnis auch an Personen, die zeitlebens aufrich- mein Bett. Schlafen Sie gut! Redaktions-/Anzeigenschluss: 22.01.2015 tig und unbarmherzig, allenfalls aber auch allzu stur geblieben sind. Pete Seeger war einer von je- Guido Phoenix Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, Postfach, 8026 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] DER HUMORLOSE HEILIGE Pete Seeger war das Gewissen der ame- rikanischen Folkmusik. Doch der poli- tisch denkende Purist hatte es in seinem langen Leben nicht immer leicht. Für ihn war Musik nicht Unterhaltung, sondern Mission. Mit dieser Haltung prägte er in den Sechzigerjahren den Zeitgeist. Und mit dem Tod des Folk-Sängers, Fünf-Saiten- Banjo-Virtuosen, Musikethnologen und Polit-Aktivisten Pete Seeger am 27. Januar hat die amerikanische Musikszene eine wegweisende Persönlichkeit verloren. Noch 2008 brachte der Musiker ein neues Album heraus: «Pete Seeger At 89». Im September 2013 trat er mit Neil Young und Willie Nelson bei einem Benefizkonzert für Farm Aid in Saratoga Springs, New York, auf, und bis zu seinem Lebensende war er davon überzeugt, dass harte Arbeit und Idealismus eine bessere Zu- kunft bringen würden. MUSIK UND SOZIALES ENGAGEMENT Dem am 3. Mai 1919 in Patterson, New York, geborenen Pete Seeger wurden die Musik und ein soziales Engagement sozusagen in die Wiege gelegt. Seine Mutter Constance war Geigerin, sein Vater Charles, ein Komponist, hatte in Berke- ley doziert, bis ihm sein Pazifismus so viele Feinde eintrug, dass er an die Ostküste flüchten musste. Pete genoss das Pri- pete seeger vileg einer privaten Schulbildung, war aber schon mit drei- zehn Jahren Abonnent der kommunistenfreundlichen Zeit- schrift «New Masses», zu deren Autoren Ernest Hemingway, dern auch viele alte Lieder mit neuen Texten versah. Johns ich ihm das Mikrofonkabel Upton Sinclair und Eugene O’Neill gehörten. Bei einem Fes- Sohn Alan Lomax hat diese Begegnung als den «Beginn der kappen», soll der Purist ge- tival in North Carolina entdeckte er mit sechzehn Jahren das modernen Folkmusik» bezeichnet. schrien haben. altmodische fünfsaitige Banjo für sich. Sein Vater wollte neue Nach dem Krieg – Seeger diente von 1942 bis 1945 in der Musik mit politischen Inhalten schaffen. Der Sohn verwarf Army – und seiner Heirat mit Tashi Ohta gründete er die BERGE VERSETZEN das Unterfangen: Musik, die etwas bedeuten solle, müsse or- Musikergewerkschaft People’s Songs Inc., um dann mit ganisch aus dem Volk herauswachsen, meinte er. Lee Hays, Fred Hellerman und Ronnie Gilbert das stilprä- Seegers schulmeisterliche, Ein Soziologiestudium an der Harvard University gab er gende Gesangsquartett The Weavers zu formieren. Dessen humorlose Folk-Song-Kunst nach kaum zwei Jahren wieder auf. Stattdessen trat er einen Mischung von süffigen Songs, Optimismus und Streicher- wurde in der neuen Ära, in Job beim Archive of American Folksong an, das John L. Lo- Klängen entsprach der Zeit: Seine verzuckerte Version von der auch Ironie und Ob- max im Rahmen der Library of Congress eingerichtet hatte. Leadbellys «Goodnight Irene» erreichte die Spitze der ame- szönität zum Vokabular Diese Stelle erlaubte es ihm, auf der Jagd nach Volksliedern rikanischen Hitparade. Seeger füllte nun mühelos die Carne- des Protestsongs gehörten, zwei Jahre lang durch Amerika zu schweifen. Neue Aufnah- gie Hall. Sein Ruhm und sein Ansehen halfen ihm auch, das zwar weiterhin respektiert, megeräte hatten das Festhalten von Musik ausserhalb des legendäre Newport-Folk-Festival aufzubauen. aber nicht immer geschätzt. Aufnahmestudios wesentlich erleichtert. Das Hoch indes hielt nicht lange an. 1955 nämlich wurde Nach 1969 verlagerte er sei- Nebst dem Blues wurden so auch viele regionale Musikstile Seeger ein Opfer von McCarthys Kommunistenjagd. Das ne Aufmerksamkeit auf den einem überregionalen Publikum zugänglich gemacht. Auch «Komitee für unamerikanische Aktivitäten» befand ihn, Umweltschutz. die Möglichkeit, Lieder aufzunehmen und einen Namen un- Arthur Miller und sechs weitere Autoren der subversiven Bob Dylan bezeichnete Pete ter die Aufnahme zu setzen, löste grundlegende Veränderun- Tätigkeit für schuldig. Jahre später wurde Seeger zwar re- Seeger als einen «lebendigen gen aus. Bis dahin waren die Interpreten von Volksliedern habilitiert, aber er blieb den Konservativen verhasst. Im Heiligen». 1997 wurde er in nicht aus dem Kreis der Zuhörer hinausgetreten. Die Me- Fahrwasser der Weavers bildete sich die im neusten Film der den amerikanischen Main- lodien waren von Generation zu Generation weitergegeben Coen-Brüder, «Inside Llewyn Davis», wunderbar parodierte, stream aufgenommen, als er worden, die Stimmen, welche diese Melodien mit aktuellen ziemlich populäre Szene grinsender Folkies, die mit Glocken- für das Album «Pete» den Texten und melodischen Variationen versehen hatten, blie- stimmen mehrstimmig eine Art swingende Pfadfinderlieder ersten Grammy zugespro- ben anonym. trällerten. Seeger profitierte davon nur am Rande. Der Zu- chen bekam – tatsächlich Fortan trugen die Lieder nun aber auch den Namen ihrer gang zu wichtigen TV-Sendungen und Konzerthallen wurde hat Seeger in seiner Karriere Autoren. Der 1889 geborene Bluessänger Huddie Ledbetter ihm verwehrt, sein Auftreten rief bisweilen sogar reaktionäre fast hundert Alben heraus- alias Leadbelly gehörte zu den Ersten, die so als Autor von Demonstranten auf den Plan. Er liess sich jedoch nicht ein- gebracht. «Folksongs sind «Folk Songs» in die Annalen eingingen. Seegers Kollege John schüchtern. eine ernste Sache», soll er L. Lomax war es gewesen, der die Autoritäten dazu überre- Seeger entdeckte, adaptierte und komponierte Evergreens wie einmal gesagt haben. Und det hatte, Leadbelly aus dem Gefängnis zu entlassen, damit «If I Had a Hammer», «Turn! Turn! Turn!», «Waist Deep in dank ihm glauben die Idea- dieser 1937 nach New York ziehen und von seinem musika- the Big Muddy», «We Shall Overcome» und «Where Have listen unter den Folksängern lischen Ruhm leben konnte. Pete Seeger lernte damals nicht All the Flowers Gone» oder «Die Gedanken sind frei». Als noch immer, dass Musik nur Leadbelly persönlich kennen und schätzen. 1940 begeg- aber Paul Butterfield