GEOGRAPHICA AUGUSTANA

Matthias Schmidt Serge Leopold Middendorf Sebastian Purwins (Hrsg.)

The Power of Political Ecology Tagungsband zur ersten augsburger.forschungswerkstatt.

Band 29 The Power of Political Ecology Tagungsband zur ersten augsburger.forschungswerkstatt.

Augsburg 2019

ISSN 1862-8680 ISBN 978-3-948283-02-5

Copyright © 2019 Institut für Geographie, Universität Augsburg Alle Rechte vorbehalten

Universität Augsburg Lehrstuhl für Humangeographie Alter Postweg 118 86159 Augsburg

Schriftleitung: Jochen Bohn Umschlaggestaltung, Layout: Serge Leopold Middendorf Inhaltsverzeichnis

Matthias Schmidt, Serge Leopold Middendorf, Sebastian Purwins: 1

Einleitung

Gavin Bridge: 11

Political Ecologies of Extraction

Fernando Ruiz Peyré: 13

Geopolitik des Lithiums in Südamerika

Felix Malte Dorn: 19

Neue Technik, neue Rohstoffe: Transformation der Automobilität und die Produktion von Lithium in Südamerika

Robert Hafner, Martin Coy: 27

Von Win-Win, Entwicklung und Wohlstand:Las Lajitas (AR) und Sinop (BR), zwei Städte des Agrobusiness und die Strategie der Konflikt-Vermeidung

Fenna Otten: 41

Deconstructing Sustainable Rubber Production in Sumatra: Local Contradictions of a Global ‘Green’ Agenda

Joachim Rathmann: 51

Die Dringlichkeit der Frage nach einer Monetarisierung von Natur – am Beispiel von Ökosystemleistungen

Tobias Kalt: 59

Polit-ökologische Perspektiven auf Arbeit und Umwelt

Andreas Benz, Niklas Völkening: 67

Politische Ökologie am Riedberger Horn

Marcel Langer: 75

Strukturwandel in der Lausitz: Der Wandel der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und die Bedeutung für Sorben/Wenden

Julian Bothe: 83

Leise Stimmen der Energiewende in einer Erneuerbare-Energien- Region in Südbayern. Diskursive Aushandlungen und die Konstruktion der Nicht-Betroffenheit

Fenja Jacobs: 97

Degrowth – A Feminist Perspective

Einleitung Matthias Schmidt, Serge Leopold Middendorf, Sebastian Purwins Universität Augsburg

Noch nie hat die Menschheit über so viel Wis- denn es geht ja um Arbeitsplätze, Wohlstand sen verfügt wie heute. Nie zuvor war auch der und Fortschritt. Zugang zu Wissen in allen seinen Formen ein- Robbins konstatiert, dass die Politische Ökolo- facher. Die Fülle an Daten und Fakten über un- gie besonders aufgrund ihrer „kleinteiligen“ sere Welt und darüber hinaus ist so groß wie Arbeitsweise für viele Fragestellungen „too nie. small“ sei, dass aber der Anspruch auf kon- Wir wissen um die verheerenden Auswirkun- krete Veränderung an Verhältnissen gleichzei- gen unserer Lebensweise auf Klima, Ökosys- tig auf einer globalen Ebene ein „too big“ be- teme und Gesellschaften. Wir hören davon in deute. “Sadly then, political ecology is not a den Nachrichten, lesen darüber in unter- roadmap, a recipe, or a theory or technique you schiedlichsten Medien oder besuchen Fach- can apply to solve whatever problem might be vorträge. Wir kennen die Fakten zu Klimawan- bothering you. Happily, it is a great deal more” del, Plastikmüll, virtuellem Wasserhandel, (Robbins 2012: 252). ökologischem Fußabdruck oder dem hohen Verbrauch fossiler Brennstoffe zur Realisie- Aber: Was ist eigentlich Politische Ökologie? rung unserer Mobilitätsbedürfnisse und -wün- Für was steht sie? Was verstehen wir, versteht sche. jede/r einzelne unter Politischer Ökologie? Dennoch scheint es, als wären wir nicht willig Handelt es sich um eine Theorie, eine (Sub)Dis- oder imstande, Konsequenzen aus diesem Wis- ziplin, einen Analyseansatz oder eine For- sen zu ziehen und unser Handeln zu ändern. In schungsrichtung? Die Wahrnehmungen, Ein- der Wissenschaft wird dieses Phänomen als schätzungen und Bewertungen von Politischer Knowledge-Action Gap oder Value-Action Gap Ökologie fallen sehr heterogen aus: Für man- diskutiert, wonach zwischen unserem Wissen che ist die Politische Ökologie immer noch bzw. unseren Werten auf der einen Seite und hoch aktuell, wird gar als junger Ansatz geprie- unserem Handeln auf der anderen ein teils ek- sen, der unbedingt weiterverfolgt werden latanter Widerspruch besteht. Neben solchen sollte. Für andere ist sie ein alter Hut, der an Widersprüchen sind es scheinbar unverrück- Aktualität und Innovationskraft bereits verlo- bare Essentialismen, die unsere Wahrnehmun- ren und wenig Neues zu bieten habe. gen und unser Handeln prägen. Tatsächlich existiert die Politische Ökologie Im letzten Kapitel seines Buches „Political Eco- bereits seit mehreren Jahrzehnten, wobei das, logy“ mit der Überschrift „Beyond Political was als Politische Ökologie definiert wird, Ecology?“ beschreibt Paul Robbins (2012) zu- ebenfalls stark differiert. Die in der Geographie nächst seinen Eindruck einer artenreichen und diskutierte Politische Ökologie bezieht sich zu- weitgehend unberührten Landschaft im Coro- meist auf die mit der Publikation „Land Degra- nado National Forest in Arizona. Hier soll eine dation and Society“ (1987) von Piers Blaikie Kupfermine entstehen. Neben anderen Exper- und Harold Brookfield begonnene Denktradi- tinnen und Experten wurde er eingeladen, zu tion, die in den vergangenen Jahren eine nicht diesem Vorhaben Stellung zu nehmen. Doch mehr zu überblickende Vielzahl an Studien dabei stellt sich bei Robbins ein Zustand des und Publikationen sowie eine sehr große Viel- „Heimgesucht-und-Gequält-Seins“ ein. Die Zer- falt an Themen hervorgebracht hat. störung von Natur und Artenvielfalt in der Auch in der deutschsprachigen Community Vielstimmigkeit der „Experten“, deren Teil er verfügt die Politische Ökologie über eine Anhä- selbst ist, erscheint ironischerweise „logisch“, ngerschaft oder eine Reihe von Personen, die

1 sich entweder direkt als Politische Ökologin o- die viel erreicht hat, aber in der alles gesagt der Politischer Ökologe bezeichnen oder zu- wurde. Denn tatsächlich werden viele Denkfi- mindest auf den Ansatz rekurrieren. In der Ge- guren, Fragestellungen und Konzepte, die in ographie manifestiert sich dies beispielsweise politisch-ökologischen Arbeiten diskutiert an der Herausgabe von Themenheften (Zeit- werden, ebenfalls von AutorInnen behandelt, schrift für Wirtschaftsgeographie 1999; Geo- die sich keineswegs auf die Politische Ökologie graphische Rundschau 2008; Geographica Hel- berufen, wie etwa die Berücksichtigung ver- vetica 2016), an Kapiteln in zentralen Lehrbü- schiedener Maßstabsebenen, der Fokus auf chern (Gebhardt et al. 2012), an verschiedenen Akteure und deren Interessen, auf Machtfra- Aufsätzen und Dissertationen mit politisch- gen in Konflikten etc. Selbst die explizit kriti- ökologischem Ansatz sowie an Vortrags- und sche Perspektive der Politischen Ökologie Sitzungsthemen auf Konferenzen und Tagun- stellt schon längst kein bzw. stellte niemals ein gen. Dabei hat die Geographie keinen Allein- Alleinstellungsmerkmal in der Umweltfor- vertretungsanspruch für die Politische Ökolo- schung dar. gie, sondern wird von Vertreterinnen ver- schiedener Disziplinen, etwa der Politikwis- Bei Betrachtung all der Publikationen und Stu- senschaft, Soziologie, Ethnologie oder anderer dien, die Politische Ökologie bzw. Political Eco- Sozialwissenschaften rezipiert. logy im Titel oder als Keyword führen, sieht es so aus, was wäre die Politische Ökologie eine Dennoch scheint es, als käme die Politische Blackbox, in die nahezu alles hineingepackt Ökologie über ein gewisses Maß an Sichtbar- werden kann. Ihre Bandbreite ist inzwischen keit und disziplinärer Verstetigung in der enorm, so dass ihr durchaus auch eine gewisse deutschsprachigen Geographie nicht hinaus, ‘Fuzziness’ vorgeworfen werden kann. Ausge- taucht sie doch in Lehrbüchern nur vereinzelt hend von ländlichen Räumen im Globalen Sü- auf und ist in den Curricula von Bachelor- und den reicht das Spektrum über Urban Political Masterprogrammen selten zu finden. Interna- Ecology im Globalen Norden bis zu rein theo- tional wird die Arbeit der deutschsprachigen retisch-konzeptionellen Perspektiven. Bei ei- Politischen Ökologie ebenfalls kaum wahrge- nem genaueren Blick auf die jüngsten Publika- nommen. Dies zeigt sich etwa auch in der Tat- tionen finden sich Studien, die sich mit natürli- sache, dass in den beiden vor wenigen Jahren chen Ressourcen befassen wie Wasser und erschienenen State-of-the-Art-Publikationen Wälder, die einen Fokus auf die Landwirtschaft von Bryant (2015) und Perreault et al. (2015) legen oder sich mit Migrationsprozessen, Kli- Aktivitäten einer Politischen Ökologie in mawandel-Anpassung, Gesundheit und Tou- Deutschland nicht aufgeführt werden und sich rismus beschäftigen (Abb. 1). Diese Auflistung nur wenige Verweise auf deutschsprachige Au- ließe sich beliebig ergänzen und wird durch torinnen oder Autoren finden. Ganz anders stets neue Publikationen erweitert. Noch im- sieht es in Großbritannien, Australien oder den mer lassen sich politisch-ökologische For- USA aus, wo die Political Ecology deutlich schungen überwiegend in den Ländern des sichtbarer positioniert ist, viele prominente Globalen Südens verorten (Abb. 2), weshalb Anhänger aufweist und fest in den Curricula Loftus (2019) die Frage aufwirft, wie sehr die zahlreicher Bachelor- und Masterprogramme Politische Ökologie als Kritikerin der moderni- der Geographie verankert ist. sierungstheoretischen Entwicklungspolitik selbst postkoloniale Muster der eigenen For- Wo steht die Politische Ökologie heute? Die schung reflektiert. Zeitgleich befindet sich die beiden genannten umfang- und inhaltsreichen Politischen Ökologie in einer immerwähren- Publikationen könnten als Ausdruck einer den Weiterentwicklung, etwa durch González- nach wie vor bestehenden Vitalität gewertet Hidalgo und Zografos (2019) und der Frage werden, aber auch als Symbole eines Abschlus- nach dem ‚emotional turn‘ in der Politischen ses, eines Epilogs zu einer Forschungsrichtung, Ökologie.

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Abb. 1: Ausgewählte aktuelle Beiträge der Politischen Ökologie nach thematischem Schwerpunkt Quelle: Eigene Darstellung 2019.

Abb. 2: Ausgewählte aktuelle Beiträge der Politischen Ökologie nach Region Quelle: Eigene Darstellung 2019.

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Trotz dieser Themenvielfalt: Der Begriff Politi- merkt gefällten Entscheidung und die folgen- sche Ökologie steht für eine Reihe theoreti- den Aktivitäten sind das Ergebnis von Politik scher Positionen und Ideen, denen allen die und damit auch von Machtbeziehungen. Das Prämisse einer politisierten Umwelt zugrunde heißt, Forschung über Klima- oder Umwelt- liegt. Ökologische Argumente sind demnach wandel benötigt dringend die Perspektive des nie gesellschaftlich neutral, ebenso wie poli- Politischen und die Analyse von Machtbezie- tisch-gesellschaftliche Argumente niemals hungen. Darum geht es. Dies adressiert die Po- ökologisch unbedeutend sind. Mensch-Um- litische Ökologie. welt-Systeme müssen immer als machtgela- dene Strukturen interpretiert werden, die Bruno Latour (2012: 9) formuliert die Frage überall miteinander verknüpft sind. nach dem, was Politische Ökologie leisten Wenn eine Antwort auf die Frage nach der könne und müsse, ganz programmatisch: „Was Stärke (Power) der Politischen Ökologie gege- tun mit der politischen Ökologie? Nichts. Was ben werden müsste, so ließe sich eine Antwort tun? Politische Ökologie!“ am ehesten darauf reduzieren, dass die Politi- sche Ökologie (1) politische und ökologische Ausgehend von dieser Frage und dem An- Dimensionen sowie materielle und diskursive spruch, sich einer Antwort anzunähern, fand Elemente integriert, (2) eine normative Hal- vom 16. bis 17. November 2018 in den Räumen tung bzw. einen Anspruch einfordert und (3) des Wissenschaftszentrum Umwelt (WZU) der weniger als Theorie oder Methode, denn viel- Universität Augsburg und organisiert vom mehr als eine Art Analysekonzept verstanden Lehrstuhl für Humangeographie die erste werden muss. Alle drei hervorgehobenen As- Augsburger Forschungswerkstatt zum Thema pekte ließen sich mitunter ergänzen oder dis- “The Power of Political Ecology” statt. Das Ziel kutieren, versuchen aber zumindest der Breite dieser Forschungswerkstatt bestand darin, der Politischen Ökologie gerecht zu werden. junge Forscherinnen und Forscher aus dem Feld der Politischen Ökologie zusammenzu- Unserem Verständnis nach sind dies nach wie bringen und den Austausch von Ideen und Ar- vor sehr wichtige, aktuelle und notwendige gumenten zu fördern und ein gewisses Abtas- Prämissen und Ansatzpunkte für künftige Um- ten über den State of the Art der politisch-öko- weltforschung. Der gegenwärtige, sich stets logischen Forschung im deutschsprachigen beschleunigte Umweltwandel mit Klimaerwär- Raum zu erlauben. mung und Artensterben, Ausbeutung von Roh- stoffen und Vernichtung von Ökosystemen ge- Im Rahmen von Fachvorträgen mit anschlie- hört sicherlich zu einer der größten Herausfor- ßenden lebhaften Diskussionen wurden Facet- derungen unserer Zeit - neben der Bekämp- ten und Dimensionen von Macht bei der Aus- fung von Hunger, Gewaltkonflikten und sozia- handlung von Ressourcenkonflikten, bei der len Ungleichheiten. Nach wie vor scheint je- diskursiven Deutung von “Naturschätzen” o- doch in der Klima- und Umweltwandelfor- der des Konzepts “(Neo-)Extraktivismus” an- schung eine Art Primat oder zumindest eine gesprochen. Als Keynote Speaker konnte Gavin stärkere Förderung der naturwissenschaftli- Bridge von der Durham University gewonnen chen Forschung vorzuliegen. Aber was wir werden, der zum Thema “Political Ecologies of wirklich brauchen, ist die Betonung und Unter- Extraction” vertiefende Einblicke in die The- suchung der gesellschaftlichen Perspektiven matik der Ressourcenextraktion gewährte und und besonders der Rolle der Politik. Wenn somit einen hervorragenden Einstieg in die Menschen zusammenkommen und über ge- Forschungswerkstatt lieferte. meinsame Aktivitäten oder Handlungen disku- tieren und verhandeln, betreten sie die Sphäre In den folgenden vier Sessions wurden sowohl des Politischen. Die explizit oder eher unbe- empirische Fallstudien aus dem Globalen Sü-

4 den und Norden als auch konzeptionelle An- angestoßenen sowie erweiterte und neue Dis- sätze präsentiert und anschließend diskutiert. kussionen zur Politischen Ökologie fortzufüh- Mehrere Vorträge fokussierten den Abbau mi- ren, sei es im Format einer weiteren Augsbur- neralischer Ressourcen, von Gold über Lithium ger Forschungswerkstatt oder im Rahmen des bis Sand, und thematisierten neben den Strate- Netzwerks Politische Ökologie. gien beteiligter Akteure und den ökologischen Dieses Engagement zu stützen und dem inzwi- und sozioökonomischen Folgen auch geopoli- schen schon über drei Jahrzehnte bestehen- tische und ethische Fragen. In weiteren Vorträ- den, aber nach wie vor aktuellen Forschungs- gen standen Aspekte der Monetarisierung von ansatz der Politischen Ökologie weiter Gehör Natur, Konflikte zwischen Arbeit und Umwelt zu verschaffen, was angesichts der zahlreichen sowie zwischen Politik, Tourismus und Natur- ungelösten Fragen und Probleme im Nexus schutz im Fokus. Schließlich wurden Perzepti- von Umwelt, Gesellschaft und Politik dringen- onen zum Ausbau Erneuerbarer Energien so- der denn je erscheint, sind die Ziele der vorlie- wie feministische Perspektiven auf Degrowth genden Publikation. Neben den spannenden thematisiert. Die Vielfalt der angesprochenen und hoch informativen Beiträgen soll durch Themen demonstrierte erneut die große Band- die folgende Zusammenstellung aktueller Lite- breite der Politischen Ökologie. Der vorlie- ratur aus dem Feld der Politischen Ökologie gende Band der Reihe Geographica Augustana ein weiterer praktischer Nutzen für die Lese- vereint in Form von Extended Abstracts die auf rinnen und Leser erwachsen. Diese Liste kann der Forschungswerkstatt gehaltenen Vorträge. selbstverständlich nicht als vollständig be- zeichnet werden, da die Publikationsorgane Angesichts der sehr positiven Resonanz und für wissenschaftliche Beiträge zu zahlreich des hohen Engagements aller Teilnehmerin- und vielfältig sind, gleichwohl können anhand nen und Teilnehmer, ob als Vortragende oder der Titel gegenwärtige Diskussionsfelder und Diskutierende, wäre es wünschenswert, die regionale Schwerpunkte politisch-ökologi- scher Forschung identifiziert werden.

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Political Ecologies of Extraction Gavin Bridge Durham University

Research on the political ecologies of extrac- tutive of the Anthropocene, as those who con- tion has boomed over the past decade, against trol these material flows have the capacity to the backdrop of a commodity ‘super-cycle.’ act as a geological force. Buoyed by industrialization and urbanization, growing demand for minerals has drawn large Each of these characteristics of contemporary amounts of money into extractive projects, extraction represents a substantial claim about while encouraging states to once again turn to what extraction is, what it does, and its conse- their resource bases as a way to generate rents. quences for livelihoods, ecologies and geopoli- The availability of capital for extraction, and tics. Political ecology has been among the fields the prospect of resource rents from future pro- of study to grapple, empirically and theoreti- duction, has propelled firms and states to pur- cally, with extraction. Characterised by its sue territorially-assertive strategies: to control commitment to critical social theory, a meth- access to lands via property rights; develop the odological approach that favours in-depth, infrastructure of ports, pipelines, and rail and open-ended and place-based inquiry, and a po- power networks to realise resource value; and litical sensibility attuned to social justice, polit- invest capital to move exploration projects into ical ecology has contributed a rich body of production. The resulting land grabs and re- work on extractive conflicts (Perreault et al. source booms have generated a rise in social 2015, Bebbington and Bebbington 2018). This conflict over acts of enclosure, air and water work shows how the subsoil matters in deci- pollution, and extractive modes of develop- sive ways, demonstrating what mining and oil and gas development mean for those who live ment. and work in landscapes affected by extraction, How should we interpret these new geogra- and the ways in which mining intersects with phies of extraction? The acquisition and ex- livelihood strategies and cultural and political traction of raw materials is a long-run histori- identities. cal process, but three features of the contem- porary extractive boom suggest we are wit- I argue, however, that there are important un- nessing a distinctive moment in the re-territo- resolved issues within political ecology about rialisation of extraction. First, as extractive how extraction should be understood. Parts of conflicts have proliferated worldwide, they the field remain haunted by a pervasive natu- have spawned new networks of knowledge ralism which continues to understand extrac- generation, activism and solidarity as revealed tion primarily in physical terms – i.e. as the re- through the innovative cartographies of initia- moval of materials and transformation of land- tives like the EJ Atlas and the Observatory of scapes through the application of labour and Mining Conflicts in Latin America (Temper et technology. I offer a strategy for getting be- al. 2015). Second, the prevalence of extraction yond this, by inverting the conventional imagi- today means it needs to be understood as an nary of the mine: to see the mine not as a point integral mode of contemporary capitalism, and of origin for material flows, but as a site not as a throwback economy or surviving relic through which capital can be sunk, circulated from a previous age. And third, the immense and expanded. I show how such an approach flux of raw materials associated with contem- requires a critical engagement with the dy- porary geographies of extraction - and the as- namics of investment process, across the pro- sociated re-sedimentation of materials (and ject cycle, from exploration, through develop- wastes) in the built environment - are consti- ment, production and closure. I argue that, from this perspective, extraction can be fruit-

11 fully understood as a form of political-ecologi- cal order that enables circulation and expan- sion of capital via natural resources

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Geopolitik des Lithiums in Südamerika Fernando Ruiz Peyré Universität Innsbruck

Lithium gewinnt in der Weltwirtschaft an Bedeutung, sowohl im Rahmen neuer Technologien wie der Elektromobilität als auch im Kontext der Energiewende. Als leichtestes Metall der Welt wird Lithium eine Schlüsselrolle in der bevorstehenden und notwendigen sozial-ökologischen Transformation zu- gesprochen. Die größten Lithiumvorkommen der Welt befinden sich in den hochgelegenen Salzseen Südamerikas, im sogenannten Lithium-Dreieck. Seit einigen Jahren ziehen diese großen Lithiumvor- kommen der Region verstärkt internationale Investitionen an und wecken gleichzeitig enorme Erwar- tungen bei der lokalen Bevölkerung.

Alle drei Länder des Lithium-Dreiecks verfolgen unterschiedliche Strategien, um Vorteile aus der Res- source zu ziehen. Während Argentinien und Chile auf private Investoren setzen, ist Bolivien darum bemüht, die Extraktion und Weiterverarbeitung in nationaler Hand zu realisieren. Der hohe Wasser- bedarf für die Lithiumgewinnung stellt in den ariden Gebieten des Lithium-Dreiecks eine große Her- ausforderung dar. Die überwiegend indigene lokale Bevölkerung kann nur begrenzt von diesem Pro- zess profitieren. Während die nationalen Regierungen auf zukünftiges Wirtschaftswachstum hoffen und Industrialisierungsprozesse vorantreiben wollen, formiert sich auf lokaler Ebene bereits Wider- stand. Sozial-ökologische Konflikte in der Region sind praktisch vorprogrammiert.

In diesem Beitrag werden einige Grundgedanken über die geopolitischen Implikationen des Lithium- bergbaus und deren sozio-ökologische Auswirkungen präsentiert. Das Ziel ist es, Widersprüche zwi- schen nationalen und lokalen Interessen aufzudecken und die Chancen und Risiken für die Region zu identifizieren.

Die geopolitische Bedeutung von Li- vorkommendes Mineral, seine Gewinnung ist thium in Chile, Bolivien und Argenti- jedoch nur unter bestimmten Bedingungen nien rentabel. Während in der Vergangenheit das geostrate- gische Interesse an natürlichen Ressourcen in In Chile wurde Lithium Anfang der 1980er erste Linie mit der Energieversorgung und dem Jahre aufgrund seiner potentiellen Nutzung bei Rüstungsbereich verbunden war, kommen der Entwicklung von Atomwaffen als „strategi- heute die spezifischen Anforderungen des mo- sche Ressource“ definiert. Außer per präsiden- dernen Technologiesektors – beeinflusst durch tiellem Dekret dürfen deshalb keine Abbauli- sogenannte „grüne Technologien“ – hinzu (Mez zenzen für Lithium an private Unternehmen er- und Abdolvand 2016:141). Die besondere stra- teilt werden. Seit den 1980er Jahren sind tegische Bedeutung von Lithium ist mit seiner Sociedad Química y Minera (SQM) und Albe- Energiespeicherkapazität verbunden. Nicht marle Corporation die einzigen Unternehmen, nur weil fast alle tragbaren elektronischen Ge- die berechtigt sind, das Mineral abzubauen räte Lithium-Ionen-Batterien enthalten, son- (Otto 2000). Im Jahr 2016 wurde der Vertrag dern vor allem wegen ihrer Schlüsselrolle im mit Albermarle bis 2043 verlängert. Anfang Rahmen der Elektromobilität und der Energie- 2018 wurde durch ein umstrittenes Abkom- wende. Lithium ist zwar ein weltweit häufig men die derzeitige Konzession an SQM bis 13

2030 verlängert (siehe Senado de la República 2015:155). Kooperationen mit Privatunter- de Chile 2018). Dies geschah nach langen Ver- nehmen seien nur erwünscht, sofern sich die handlungen und trotz des Vorwurfs zahlrei- Unternehmen der staatlichen bolivianischen cher Unregelmäßigkeiten seitens verschiede- Kontrolle unterstellten. Im Gegensatz zu Chile ner sozialer Organisationen (Jerez Henríquez und Argentinien, wo der Lithium-Abbau größ- 2018:16). Die relativ restriktive Lithium-Ge- tenteils von privaten Unternehmen durchge- setzgebung Chiles wurde vom Bergbau-Sektor führt wird, setzt Bolivien somit restriktive Rah- kritisiert, weil sie eine „Bremswirkung“ auf in- menbedingungen für die Kooperation mit ternationale Investitionen habe (siehe Amts- transnationalen Unternehmen, damit Gewin- blatt 6940-08, 2010 der Cámara de Diputados nerträge dem Staat und nicht wie bisher aus- de Chile; siehe auch Aranda 2015:111). Im Jahr ländischen Investoren zufließen. Aber nicht al- 2016 präsentierte die Nationale Lithiumkom- les läuft wie geplant und die Lithiumstrategie mission die „Lithium Policy and Salt Flats sieht sich immer wieder mit erheblichen finan- Governance“, die einen Überblick über den ziellen, administrativen und technischen Prob- „Salzbergbau“ gibt und das Interesse an einer lemen konfrontiert. Die schwache Infrastruk- Steigerung der Abbaumengen ankündigt. Ein tur und fehlendes technologisches Wissen er- multiinstitutioneller Ausschuss wurde einge- schweren die Umsetzung des ambitionierten richtet, um die Aktivitäten zu koordinieren und Vorhabens. Das letzte bedeutende Abkommen die öffentliche Ordnung festzulegen, um unter mit dem bolivianischen Staat unterzeichnete anderem die wirtschaftliche Nachhaltigkeit Ende 2018 das deutsche Unternehmen ACI Sys- nichtmetallhaltiger Mineralressourcen in Salz- tems und sicherte sich somit den Zugang zum seen zu fördern (Gobierno de Chile 2016). Das wertvollen Rohstoff. Das Projekt umfasst den Ziel der chilenischen Regierung ist es, den ers- Bau einer Lithiumhydroxid-Anlage mit einer ten Platz als größte Exportnation auf dem Kapazität von 40.000 Tonnen pro Jahr (Taj, Weltmarkt zurückzugewinnen, den in den letz- Nienaber 2019). Davon soll Deutschland etwa ten Jahren Australien innehatte. 80% bekommen, was somit seine Abhängigkeit von asiatischen Herstellern verringern würde. Bolivien verfügt über eine sehr lange und zum Teil traumatische Bergbaugeschichte. Der Roh- Argentinien unterscheidet sich von den ande- stoffreichtum im Land – man denke nur an den ren zwei Ländern durch das Fehlen einer lang- „Cerro Rico“ von Potosí – war in der Vergan- fristigen, einheitlichen und klaren Politik. Auf genheit mehr Fluch als Segen, von dem der der einen Seite sind die Kompetenzen zwi- Großteil der Bevölkerung nicht profitieren schen dem Nationalstaat und den Provinzen konnte (Ströbele-Gregor 2012:11). Der seit verteilt, was die öffentliche Politik komplexer 2006 amtierende Präsident Evo Morales hat macht (siehe Rojas, Wagner 2015:197). Auf der sich vorgenommen, dass sich die für Bolivien anderen Seite erschweren starke politische negative Geschichte dieses Mal nicht wiederho- Schwankungen langfristige Maßnahmen. Das len soll. Mithilfe einer sehr ambitionierten „Na- Ergebnis ist ein verwirrendes Szenario, in dem tionalen Strategie zur Industrialisierung des Li- konkurrierende Interessen multinationaler thiums“ sollen der Lithiumbergbau und die Unternehmen, undurchsichtige Kooperationen weitere Verarbeitung unter nationaler Kon- zwischen öffentlichem und privatem Sektor trolle realisiert werden und dadurch ein Groß- und große Unsicherheiten für die lokale Bevöl- teil der Einnahmen im Land bleiben. Lithium kerung aufeinander treffen. Darüber hinaus ge- soll in einem autonomen und souveränen Pro- stalten sich die Bergbau-Politiken auf Provinz- zess industrialisiert werden (Aranda Garoz ebene etwas unterschiedlich (Fornillo

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2015a:75). In allen drei Provinzen Salta, Cata- der geopolitischen Implikationen des Lithiums marca und Jujuy dominiert eine Pro-Bergbau- präsentiert: a) Die Möglichkeiten für die Län- Politik. Dabei hat in den letzten Jahren die Pro- der des Lithiums-Dreiecks einer globalen vinz Jujuy eine aktive Rolle übernommen, um Marktbeherrschung und b) die Chancen einer einen größeren Nutzen aus der Ressource zu nationalen/regionalen industriellen Entwick- ziehen. Sie erklärte im Jahr 2011 Lithium zum lung, die auf der Nutzung von Lithium basiert. strategischen Mineral. In dem Dekret 7592 (Gobierno de Jujuy 2011) ist festgelegt, dass a) Möglichkeiten einer globalen Marktdo- die Ressource Lithium der Erzeugung lokalen minanz Mehrwerts und der Beteiligung und Arbeitsin- Dass das Lithium-Dreieck der „Persische Golf tegration der Einwohner von Jujuy dienen der Zukunft“ oder Bolivien das „neue Saudi- müsse. Dadurch solle die sozioökonomische Arabien“ sein werden, sind – sicherlich über- Entwicklung der Provinz gefördert werden triebene – Spekulationen, die in dieser Arbeit (Gobierno de Jujuy 2011:240). Dennoch haben keinen Platz haben. Lithium ist kein knappes einige vielversprechende Initiativen für die Li- Mineral und kommt in verschiedenen Arten thium-Industrialisierung zwischen der Pro- von Ablagerungen vor, auch im Meerwasser. vinzregierung Jujuys, der Universidad Nacional Der spezifische Vorteil des Lithium-Dreiecks de Jujuy und dem CONICET, der wichtigsten gegenüber anderen Lithiumproduzenten sind Wissenschaftsinstitution Argentiniens, im letz- die niedrigen Extraktionskosten. Mit anderen ten Jahr durch die schwierige Wirtschaftslage Worten, wenn der Lithiumpreis ausreichend an Dynamik – und an der nötigen Finanzierung steigen würde, würden andere Lagerstätten – verloren. rentabel und die geostrategische Position des Lithium-Dreiecks erheblich geschwächt wer- den. Das Ausmaß der aktuellen Prozesse und (Geo)Strategisches Potenzial für das Li- der potenzielle Lithium-Bedarf der Zukunft thium-Dreieck machen jedoch eine vertiefte Analyse der Situ- ation notwendig. Die Steigerung der Berg- Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden auf bautätigkeit um einen „Faktor X“ würde eine die Relevanz von Lithium für die Zukunft der soziale, politische, wirtschaftliche und ökologi- drei Länder des Lithium-Dreiecks eingegan- sche Umstrukturierung von großem Ausmaß in gen. Auch wenn in diesem Zusammenhang oft der Region bedeuten. Wenn die nationalen Li- übertrieben wird, die Energiewende und die thium-Strategien nicht an die erwarteten Ver- Elektromobilität schreiten weltweit voran änderungen angepasst werden, kann dies be- (Aranda Garoz 2015:119). Der letzte IPCC-Re- deuten, dass eine einzigartige historische port „1,5 °C globale Erwärmung“ drängt auf Chance verpasst wird. entschlossene Maßnahmen in diese Richtung

(IPCC 2018:17). Änderungen der nationalen Im Jahr 2011 berichteten verschiedene Medien Gesetzgebungen zu den CO2-Emissionen – vor über das Interesse der argentinischen Regie- allem in der Europäischen Union und China – rung an der Förderung der Gründung einer „Li- sowie die jüngste E-Auto-Offensive in Deutsch- thium-OPEC“ (siehe Infobae 20.06.2011; La land erhöhen den Druck auf den Lithium-Berg- Nación 15.05.2014; Télam 19.12.2014). Der bau. Entsprechend ihrer Aktionen, ob einzeln Vorteil einer solchen Union wäre, die Anstren- oder gemeinsam, haben Argentinien, Bolivien gungen Argentiniens, Boliviens und Chiles zu und Chile wahrscheinlich eine einzigartige Ge- bündeln, um sich vor (wirtschaftlichem) Druck legenheit, sich im internationalen geostrategi- der Lithium-verbrauchenden-Länder, also den schen Kontext (neu) zu positionieren. Im Fol- am stärksten industrialisierten Ländern des genden werden zwei unterschiedliche Aspekte 15

Globalen Nordens, zu schützen. Die Initiativen im wissenschaftlich-technologischen Bereich haben jedoch keine Früchte getragen und die verbindet, kann es jedoch der Region einen derzeitige politische und wirtschaftliche Reali- starken Impuls geben. tät in den drei Ländern lässt eine gemeinsame Strategie chancenlos erscheinen. Solange die b) Förderung der industriellen Entwicklung drei Länder eine solch gegensätzliche Extrakti- Eine andere Analyse ist erforderlich, um die onspolitik beibehalten, ist eine neue geopoliti- Möglichkeiten für eine Industrialisierung des sche Positionierung unrealistisch. Die ehrgei- Lithiums in der Region zu bewerten. Der zige Position und das gleichzeitige politische Wunsch, einen größeren Teil der Wertschöp- Misstrauen Boliviens gegenüber seinen Nach- fungskette von Lithium zu kontrollieren, ist barländern (es sei daran erinnert, dass Boli- verständlich und in der Region weit verbreitet. vien und Chile einen historisch diplomatischen Der Grund dieser Denkweise liegt darin, dass Konflikt über territoriale Ansprüche haben) ist der bevorzugte und kostengünstige Zugang zur wahrscheinlich das größte Hindernis für eine strategischen Ressource Lithium den Ein- gemeinsame südamerikanische Lithium-Poli- schränkungen oder Nachteilen im Industriali- tik. sierungsprozess im Vergleich zu den führen- den Ländern bei der Herstellung von Lithium- Aber welche Macht hätte eine „Lithium-OPEC“? Ionen-Zellen wie Japan, China und Südkorea Wahrscheinlich sehr wenig. Lithium ist aus entgegenwirken kann (Fraunhofer-Institut, verschiedenen Gründen nicht mit Öl vergleich- 2016). bar. Erstens bildet Öl die Grundlage der Welt- wirtschaft, sowohl im Energie- als auch im In- Keines der drei Länder des Lithium-Dreiecks dustriesektor. Die Markttiefe von Öl ist so hoch, ist derzeit in der Lage, den Bau einer modernen dass jede Veränderung des Ölmarktes die Welt- Lithium-Batterie vollständig und selbstständig wirtschaft beeinflusst. Lithium wird vermut- umzusetzen (Fornillo 2014:82). Argentinien lich nie diese Durchdringung erreichen (For- hat in der 2010er Jahren aktiv versucht, die In- nillo 2015a). Zweitens hat Lithium nur eine dustrialisierung von Lithium voranzutreiben. Energiespeicherfunktion, was wichtig ist, aber Dafür wurde 2012 Y-TEC gegründet, mit dem es stark von Öl unterscheidet. Der Wechsel zur Ziel, technologische Lösungen für den Energie- elektrischen Mobilität erfordert nach wie vor sektor im Allgemeinen anzubieten und gleich- eine Stromerzeugung, welche noch aus fossilen zeitig Spezialisten für die Entwicklung dieser Brennstoffen stammen kann. Gerade bei der Branche im Land auszubilden. Zu den ehrgeizi- Transformation der Energiematrix hin zu er- gen Zielen des Unternehmens gehört die Ent- neuerbaren Quellen ist die Energiespeicherung wicklung von Lithium-Batteriezellen, die im in großen Lithium-Batterien unerlässlich. Hier Automobilsektor eingesetzt werden könnten. bietet sich die Möglichkeit, die globale Abhän- Die neue Wirtschaftsorientierung und schwie- gigkeit von Erdöl zu verringern. Drittens kann rige gesamtwirtschaftliche Lage des Landes ha- die Geschwindigkeit des technologischen Fort- ben die Investitionen deutlich begrenzt und schritts bei der Energieerzeugung den Einsatz den Grund für Optimismus gedämpft. Im Falle von Lithium vollständig oder teilweise substi- Boliviens wird immer wieder über wichtige tuieren und somit deutlich reduzieren (z.B. Fortschritte bezüglich einer Fabrik für Li- durch Wasserstoff). Laut Fornillo (2015b:156) thium-Batterien berichtet, die 2014 die Pro- wird Lithium allein nicht die Basis eines „neuen duktion aufgenommen hat (Ministerio de Mi- Entwicklungsmodells“ darstellen können. Im nería y Metalurgia 2015). Bis heute ist die Fab- Rahmen eines umfassenden und integrativen rik jedoch noch nicht über die Pilotphase hin- Plans, der Bergbauaspekte mit Investitionen ausgegangen. 16

Die vielen (nicht gehaltenen) Ankündigungen Die zusätzliche Dimension, die Lithium auf- sind ein weiterer Beweis für die Schwierigkei- grund seiner Rolle für die Energiewende und ten der drei Länder des Lithium-Dreiecks, eine für eine Transition zu einer CO2-freien Gesell- eigene Industrialisierung von Lithium voran- schaft erlangt hat, ist ein Element, das berück- zubringen. Wenn man bedenkt, dass die wich- sichtigt werden muss. Insbesondere auf der tigsten Produzenten in Ostasien (China, Japan diskursiven Ebene erhalten lithiumbezogene und Südkorea) und in den USA einen erhebli- Politiken zusätzliche Legitimität als Teil einer chen Vorsprung, auch gegenüber Deutschland gewünschten „Green Economy“ – vor allem im und Frankreich, haben (vgl. Fraunhofer-Insti- Globalen Norden. Aber dies sollte nicht dazu tut 2016), lassen sich die Chancen für die süd- genutzt werden, die potenziellen Konflikte im amerikanischen Länder, sich im Batterie-Welt- Lithium-Bergbau, sowohl sozial als auch ökolo- markt zu behaupten, nur als sehr gering ein- gisch, zu ignorieren. In diesem Sinne sind in- schätzen. tensive Studien über die ökologischen und so- zialen Auswirkungen der Aktivität erforder- Fazit lich, insbesondere über die Verfügbarkeit und Die Nachfrage nach Lithium ist in den letzten den Bedarf an Wasser, einer bereits knappen Jahrzehnten deutlich gestiegen und wird si- Ressource in der Region. cherlich in der Zukunft auch weiter steigen, denn das Metall hat sich als einer der wichtigs- Schließlich soll die Notwendigkeit einer multi- ten Rohstoffe für die Energiewende und Elekt- skalaren und umfassenden Sicht auf die Lithi- romobilität erwiesen. Somit wird das soge- umwirtschaft hervorgehoben werden. Die nannte Lithium-Dreieck, in dem sich die größ- Triebkräfte für den Wandel kommen von der ten Lagerstätten der Welt befinden, mit einer globalen Ebene. Die Art und Weise, wie sich die Zukunft grundlegender Veränderungen kon- Region in das globalisierte Netzwerk der Lithi- frontiert, die auch historische Herausforderun- umgewinnung und -produktion einfügt, wird gen und Chancen mit sich bringen. entscheidend für die Chancen sein, die sich aus diesem Prozess ergeben. Die Geschichte der Die Zunahme von Bergbauprojekten unter Be- Region ist geprägt durch negative Erfahrungen teiligung unterschiedlicher Akteure (sowohl im Zusammenhang mit der Rohstoffgewin- aus dem internationalen Bergbau als auch aus nung, die nur Enttäuschungen und Armut hin- der Automobilindustrie) ist ein deutliches Zei- terlassen haben. Wenn Lithium einen Beitrag chen für das internationale Interesse an den Li- zu einer langfristigen Verbesserung der Le- thium-Vorkommen in Chile, Bolivien und Ar- bensbedingungen in der Region ermöglichen gentinien. Bisher befindet sich die überwie- soll, wird es auf ein Gleichgewicht zwischen in- gende Mehrheit der Projekte in der Explorati- ternationaler Zusammenarbeit und einer Stär- onsphase, mit unterschiedlichem Fortschritt, kung der beteiligten nationalen Akteure an- während nur wenige die Produktionsphase er- kommen. reicht haben. Ohne Zweifel bietet Lithium eine echte Entwicklungschance für diese Länder, Literaturverzeichnis und das nicht nur für den Bergbausektor, son- Aranda Garoz I. (2015): La industrialización dern auch für eine industrielle und technologi- del litio en América Latina: Alternativa sche Entwicklung. Dafür sind gut geplante, um- productiva para la soberanía estratégica. In Nacif F., Lacabana, M. (Hg.): ABC del litio Su- fassende und langfristige Investitionen eine damericano. Soberanía, ambiente, wichtige Voraussetzung. tecnología e industria. Quilmes: Ediciones del CCC, 107-170.

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Neue Technik, neue Rohstoffe: Transformation der Automobilität und die Produktion von Lithium in Südamerika Felix Malte Dorn Universität Innsbruck

Das Thema Elektro-Automobilität polarisiert. Während Automobilindustrie, Regierung und viele Me- dien die Elektromobilität als „entscheidenden Beitrag zur Entschärfung der Klimakrise und der Luft- verschmutzung“ (Hartung 2018: 561) bewerben, geht die Produktion leistungsstarker Akkus auch mit einem zunehmenden Bedarf kritischer Rohstoffe, darunter das Leichtmetall Lithium, einher. Im fol- genden Beitrag stelle ich wichtige Aspekte der derzeitigen Transformation der Automobilität vor. An- schließend beschreibe ich die Rohstoffproblematik der Elektromobilität am Beispiel des Lithium-Berg- baus in Südamerika. Auf Basis eines dreieinhalbmonatigen Feldforschungsaufenthaltes in der Region, realisiert zwischen Februar und Mai 2018, stelle ich die besondere Problematik der Lithiumgewinnung in den hochandinen Salztonebenen Südamerikas dar.

Elektrifizierung des Verkehrs eine Manifestierung und Fortführung der im- perialen Lebensweise (vgl. Anlauf 2017; Brand, Spätestens seit dem VW „Diesel-Skandal“ im Wissen 2017). In einer Studie des Heidelberger Jahr 2015 setzen die deutschen Automobilkon- Umwelt- und Prognose-Instituts (2017) wer- zerne in großem Stil auf Elektromobilität. So den vier Rebound-Effekte zur E-Mobilität iden- startet Volkswagen laut eigenen Angaben „die tifiziert (siehe Tab. 1), die letztendlich das Ge- umfassendste Elektrifizierungsoffensive der genteil des beabsichtigten Ziels reduzierter Automobilindustrie“ und verspricht bis 2030 Treibhausgas-Emissionen bewirken. So führt Investitionen von rund 20 Milliarden Euro so- unter anderem der Kauf eines „klimafreundli- wie die durchgängige Elektrifizierung des chen“ Elektroautos häufig zu einer Substitution Wolfsburger Modellportfolios (Volkswagen öffentlicher Verkehrsmittel und des Fahrrad- 2017). Auch Daimler und BMW setzen auf ei- verkehrs durch Elektroautos (mentaler nen konsequenten Ausbau der Elektromobili- Rebound), was am Beispiel Norwegens bereits tät und versprechen eine rasche Elektrifizie- umfassend dokumentiert wurde. Da Elektroau- rung ihres Fahrzeug-Portfolios (Menzel 2019). tos zudem in ihrer Reichweite begrenzt sind, Weltweit wurden im Jahr 2018 etwa 2,1 Millio- können sie PKWs mit klassischem Antrieb nach nen Elektroautos und Hybride verkauft. Wäh- wie vor nicht vollständig ersetzen. Elektroau- rend in Deutschland 68.000 E-Autos verkauft tos werden daher häufig als Zweitwagen ge- wurden, präsentiert sich China mit über 1,2 kauft, was zu einer Zunahme des Fahrzeug-Ge- Millionen verkauften E-Fahrzeugen als trei- samtbestands und gleichzeitig zu einer Erhö- bende Kraft (Der Spiegel 2019). Bis zum Jahr hung des Flächen- und Ressourcenverbrauchs 2025 könnte der Gesamtbestand so auf bis zu führt (funktionaler Rebound). Zwar bringen 150 Millionen E-Fahrzeuge weltweit anwach- Elektrofahrzeuge hohe Anschaffungskosten sen (Wolf 2018). mit sich, jedoch werden sie im Vergleich zu Die Elektrifizierung des Individualverkehrs Benzin- und Diesel-Fahrzeugen in Bezug auf soll einen entscheidenden Beitrag zur Reduzie- ihre fahrleistungsabhängigen Betriebskosten rung des anthropogenen CO2-Ausstoßes leis- steuerlich begünstigt. „Dadurch besteht bei ten. Dagegen befürchten Kritiker im Rahmen Elektroautos ein starker Anreiz, ‚viel‘ zu fahren, der Elektromobilität eine mittelfristige Zu- damit sich die hohen Anschaffungskosten ‚loh- nahme der CO2-Emissionen durch den erhöh- nen‘“ (ebd.: 38) (finanzieller Rebound). Zu gu- ten Verbrauch fossiler Brennstoffe in der ter Letzt werden sowohl Elektro- als auch Hyb- Stromerzeugung (Hartung 2018: 561) sowie

19 ridfahrzeuge per Gesetz als Nullemission-Fahr- 2030 und 500.000 Tonnen im Jahr 2050 stei- zeuge gerechnet, was es den Automobilherstel- gen, verglichen mit einem derzeitigen Jahres- lern ermöglicht, den Verkauf schwerer spritin- bedarf von 35.000 Tonnen. Obwohl die Elekt- tensiver Sport-Utility-Vehicles (SUV) mit dem romobilität derzeit noch in den Kinderschuhen Verkauf elektrisch betriebener Fahrzeuge aus- steckt, zeigt sich die gestiegene Nachfrage – zugleichen (regulatorischer Rebound). und die Erwartung der zukünftigen Nachfrage – nach Lithiumkarbonat bereits an den Welt-

marktpreisen. Nach der Jahrtausendwende Tab. 1: Rebound-Effekte zur Elektromobili- sorgte eine Art „Lithium Rush” für einen star- tät. ken Preisanstieg. Obwohl die Rohstoffpreise Substitution des Fahrradverkehrs Mentaler als direkte Folge der Finanzkrise einbrachen, und öffentlicher Verkehrsmittel erholten sich die Preise für Lithiumkarbonat Rebound durch Elektroautos. rasch. Auf lange Sicht kann ein Preisanstieg von Funktio- Kauf als Zweitwagen führt zur Zu- 2000 US$ je Tonne im Jahr 2003 auf 7400 US$ naler nahme des Fahrzeug-Gesamtbe- je Tonne im Jahr 2016 konstatiert werden Rebound stands. (USGS 2017; Zícari 2015). Steuerliche Begünstigung fahrleis- Finanzi- tungsabhängiger Betriebskosten Grundlegend kann zwischen zwei Möglichkei- eller führt zu dem Anreiz überdurch- ten der Lithium-Extraktion unterschieden wer- Rebound schnittlich viel zu fahren. den: In Australien, Simbabwe und Ghana wird Eine Einstufung als Nullemission- Regula- Lithium als mineralisches Gestein mit einem Fahrzeug ermöglicht eine Kompen- Lithium-Anteil von einem bis fünf Prozent ge- torischer sation des Verkaufs spritintensiver Rebound SUVs. wonnen (Leifker et al. 2018). Auch im größten europäischen Lithium-Projekt im österreichi- Quelle: Eigene Darstellung nach Umwelt und Prog- schen Kärnten sowie im deutschen Zinnwald nose-Institut (2017). wird Lithium auf diese Weise gewonnen. Dage- Neben dem Betrieb von Elektrofahrzeugen gen ist die Extraktion aus Salzlauge im Unter- wird häufig der Produktionsprozess außer grund hochandiner Salzwüsten (siehe Abb. 1) Acht gelassen. Einerseits ist die Produktion deutlich kostengünstiger, was für die Länder leistungsstarker Batterien besonders CO2-in- des sogenannten Lithium-Dreiecks – Argenti- tensiv, wodurch ein einzelnes E-Auto bis zur nien, Bolivien und Chile – einen wichtigen kom- ersten Inbetriebnahme bereits zwischen 15 parativen Kostenvorteil darstellt. und 20 Tonnen Kohlenstoffdioxid „auf dem Konto hat“ (Romare, Dahllöf 2017). Anderer- seits ist der Umstieg auf Elektro-Fahrzeuge auch mit einer starken Ausweitung des Li- thium-, Kobalt-, Nickel- und Graphitverbrauchs verbunden (vgl. Hartung 2018). Baustein der Batterien: Lithium Während bei einem Smartphone-Akku ledig- lich 2-3 g Lithium verbaut werden, benötigt die Produktion eines Elektroautos mit durch- schnittlich 8-40 kg Lithium etwa die zehntau- Abb. 1: Die Salinas Grandes sind die bekann- sendfache Menge (British Geological Survey teste Salztonebene Argentiniens. 2016). Laut einer Studie des Öko-Instituts, er- Quelle: Eigene Darstellung. stellt im Auftrag der Denkfabrik Agora Ver- kehrswende, könnte der weltweite Lithium- Der Lithium-Boom der vergangenen Jahre ist in Jahresbedarf so auf 160.000 Tonnen im Jahr Südamerika im Rahmen der Re-Primarisierung der Volkswirtschaften ab den 1990er Jahren zu sehen (vgl. Dorn, Hafner 2018). Im Lithium- 20

Dreieck finden sich rund 54,2 Prozent (siehe von Nutzungsrechten und Nutzungsmöglich- Abb. 2) der weltweiten Lithiumvorkommen keiten (Göbel 2013a, 2013b), wodurch traditi- (USGS 2017) sowie 85 Prozent der in Salzlau- onelle wirtschaftliche Aktivitäten massiv be- gen vorkommenden Ressourcen (Fornillo einträchtigt werden. 2014; Hollender, Shultz 2010; Zícari 2015). Während für die argentinischen Gemeinschaf- Auch wenn Australien noch der größte Lithi- ten vor allem der transhumante Pastoralismus umproduzent der Welt ist, finden sich die größ- – insbesondere die Haltung von Lamas, Schafen ten Lithiumvorkommen in Argentinien und Ziegen – identitätsstiftend ist (Gil Montero (19,1%), Bolivien (19,1%) und Chile (16%). 2004; Göbel 2002), kommt in Bolivien und Vor diesem Hintergrund sind die drei Länder in Chile traditionell der Landwirtschaft eine den Fokus internationaler Investoren geraten. große kulturelle Bedeutung zu. Dabei werden Während 1995 noch 65 Prozent der weltwei- hauptsächlich Quinoa und Kartoffeln, in tiefe- ten Lithiumprodukte aus mineralischer Gewin- ren Lagen auch Luzerne, Oka, Bohnen, Mais nung stammten, wurden 2007 bereits 86 Pro- und Gerste für den Eigenverbrauch angebaut zent aus Salzlaugen gewonnen (COCHILCO (vgl. Gundermann, Göbel im Druck; Hollender, 2009: 35). Shultz 2010; Ströbele-Gregor 2012). In einigen Teilregionen, beispielsweise im Bereich der ar- gentinischen Salinas Grandes sowie des bolivi- anischen Salar de Uyuni, spielt auch die traditi-

onelle Salzextraktion eine große Rolle für die Abb. 2: Verteilung der Lithiumvorkommen kulturelle Identität. Die genannten Wirt- weltweit (in Prozent). Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von USGS (2017). schaftsaktivitäten werden häufig durch die Herstellung traditioneller Kunsthandwerke Sozial-ökologische Facetten der Li- und Textilwaren sowie durch temporäre Lohn- thium-Extraktion in Südamerika arbeit im Bergbau und im Tourismus ergänzt. Charakteristisch für die gesamte Region ist da- Das Lithium-Dreieck in den andinen Hochwüs- bei die Strategie der wirtschaftlichen Diversifi- ten Südamerikas erstreckt sich vom Salar de kation, was traditionell zu einer Minimierung Uyuni im bolivianischen Altiplano über den Sa- von Umweltrisiken beiträgt. lar de Atacama in der chilenischen Atacama- Wüste bis hin zu mehreren Salzwüsten in der Großräumige Konzessionen sowie die Errich- argentinischen Puna. Trotz geringer Bevölke- tung bergbaulicher Infrastrukturen, wie neue rungsdichte kann die Region nicht als leerer o- Straßen, Evaporationsbecken, Bohrtürme und der ungenutzter Raum gesehen werden. Das Bergbau-Camps, schränken nun nicht nur die Gebiet wird seit Jahrhunderten von indigenen Mobilität der lokalen Bevölkerung ein (Göbel Gemeinschaften, insbesondere Atacameños, 2014), sondern beeinträchtigen auch den äs- Kolla, Lickanantay und Quechua, besiedelt, thetischen Wert einer unberührten Landschaft, welche lange Zeit sowohl im globalen als auch welche auf dem globalisierten Tourismus- oftmals im nationalen Kontext marginalisiert markt nachgefragt wird. Dabei haben sich ins- wurden. Durch den starken Anstieg der Lithi- besondere die Gemeinschaften der Salinas umgewinnung (vgl. Dorn 2017) finden sich Grandes, des Salar de Uyuni, des Salar de viele Gemeinschaften plötzlich im Zentrum glo- Arizaro sowie einige Gemeinschaften des Salar baler Wirtschaftsprozesse wieder. Die lokale de Atacama dem Tourismus verschrieben (ei- Bevölkerung, welche keinesfalls als homogene gene Interviews). Gruppe zu verstehen ist, zeigt sich dabei zuse- Der Lithium-Bergbau wird in Argentinien, Bo- hends gespalten. Einerseits revitalisiert der Li- livien und Chile jeweils politisch unterschied- thium-Bergbau Hoffnungen auf bezahlte Ar- lich umgesetzt, wodurch die Legitimation von beitsplätze und wirtschaftliche Entwicklung, Bergbauprojekten im Falle Boliviens (staatli- andererseits führt die großräumige Konzessio- che Kontrolle der Projekte) eine andere ist als nierung indigener Areale zu Einschränkungen 21 im Falle Argentiniens (Vergabe von Konzessio- nen an multinationale Konzerne). Obwohl jede Gemeinschaft und jede Salztonebene individu- elle Charakteristika aufweisen, erlaubt die Ähnlichkeit der naturräumlichen Bedingungen eine weitgehende Vergleichbarkeit ökologi- scher und sozialer Folgen. Zwar gilt der Li- thium-Bergbau im Vergleich zum konventio- nellen Bergbau als weniger schädlich, die Ent- nahme fossiler Wasserreserven in den hochari- den Regionen der Puna, der Atacama und des Altiplano gelten jedoch unter Wissenschaftle- Abb. 3: Der kanadisch-chilenische Konzern rInnen, AnwohnerInnen und NaturschützerIn- SQM ist der größte Produzent des Lithium- nen gleichermaßen als besorgniserregend (vgl. Dreiecks. Anlauf 2015, Göbel 2013a, 2013b; Puente, Ar- Quelle: Eigene Darstellung. gento 2015; Schiaffini 2013). In Argentinien1 und Bolivien2 ist der Lithium- Da in Chile bereits seit Beginn der 1990er Jahre Bergbau dagegen ein weitgehend junges Phä- Lithium gewonnen wird (Otto 2000), sind die nomen. In Argentinien führen die Vorgehens- Langzeitfolgen des Wasserverbrauchs vor al- weisen der multinationalen Bergbau-Konzerne lem am Salar de Atacama sehr gut feststellbar. vielerorts zu einer territorialen Enteignung der Die Verdunstungsbecken des kanadisch-chile- indigenen Gemeinschaften sowie einer Demon- nischen Konzerns SQM (siehe Abb. 3) belegen tage der lokalen Autonomie (Schiaffini 2013). heute eine Fläche von 1700 Hektar, was etwa Die räumliche Überlagerung unterschiedlicher 2500 Fußballfeldern entspricht. Zusammen territorialer Logiken führt dabei insbesondere mit dem US-amerikanischen Konzern Alber- dann zu Konflikten, wenn die lokalen Akteure marle entnimmt SQM dem Salar de Atacama eine potenzielle Gefährdung ihrer traditionel- pro Sekunde 2142 Liter Sole und 273 Liter Süß- len Aktivitäten, ihrer Mobilität oder ihrer poli- wasser (Jerez Henríquez 2018: 28). Für jede tischen und kulturellen Rechte empfinden Tonne Lithium verdunsten somit rund zwei (Dietz 2016). Millionen Liter Wasser (Sole und Süßwasser), Ein bedeutendes Beispiel für den Widerstand wodurch eine einzelne Elektroauto-Batterie gegen die Bergbau-Konzerne ist die Anhörung mit etwa 80.000 Liter Wasser zu Buche schlägt der indigenen Gemeinschaften der Salinas (Leifker et al. 2018). Die hydrogeologischen Grandes-Guayatayoc vor Argentiniens Obers- Veränderungen des Salar de Atacama haben tem Gerichtshof im Jahr 2012. Sie berufen sich schon heute sichtbare Auswirkungen auf die dabei auf das Übereinkommen 169 über „ein- umliegenden Lagunen und Feuchtgebiete, die geborene und in Stämmen lebende Völker in sowohl für Flora und Fauna als auch für die lo- unabhängigen Ländern“, das 1989 von der In- kale Bevölkerung wichtige Lebensvorausset- ternationalen Arbeitsorganisation beschlossen zungen darstellen (Jerez Henríquez 2018: 28). (1991 in Kraft getreten) und von Argentinien, Bolivien und Chile gleichermaßen ratifiziert wurde. Dieses dient der Wahrung indigener Rechte und etabliert unter anderem das Recht auf vorherige Konsultation der durch ein Pro- jekt betroffenen Dörfer und Gemeinschaften.

1 Zwar begann die US-amerikanische Firma FMC Corp. 2 Lithium spielt in Bolivien unter der Regierung Mora- 1998 mit der Extraktion von Lithium im Salar del les eine wichtige Rolle im Rahmen des nationalen Ent- Hombre Muerto, weitere Explorationsarbeiten für die wicklungsplans (Ströbele-Gregor 2012). heute 53 Lithiumprojekte (Oieni 2017) begannen je- doch erst nach der Jahrtausendwende. 22

Trotz aller Unterschiede schlossen sich die 33 Verbrennungsmotoren, andererseits ist die Gemeinschaften des Gebiets Salinas Grandes- Produktion von leistungsstarken Elektro-Ak- Guayatayoc zusammen, um juristisch gegen kus besonders kohlenstoffdioxid- und ressour- ihre Provinzregierungen Jujuy und Salta vorzu- cenintensiv. Neben einem Austausch der An- gehen (für eine ausführliche Beschreibung des triebsart von fossiler Motorenverbrennung zu Verfahrens siehe Schiaffini 2013). Sie klagten Elektromotoren ist also vor allem die Stärkung gegen den Beginn von Explorationsarbeiten des Fahrradverkehrs und der öffentlichen Ver- auf ihrem Gebiet ohne Berücksichtigung der kehrsmittel, insbesondere des Personennah- gesetzlich vorgeschriebenen Konsultation. verkehrs, entscheidend (vgl. Brie 2012; Leifker Zwar wies der Oberste Gerichtshof die Anklage et al. 2018). der indigenen Gemeinschaften zurück, weitere (2) Die ökonomische Notwendigkeit, neue Explorationen wurden jedoch vorerst ge- Technologien zu fördern und die dafür not- stoppt. Anfang 2019 führte die Firma AIS Re- wendigen Rohstoffe inwertzusetzen sollte des- sources erneut Explorationsarbeiten in der La- halb nicht „den Blick auf die Menschen am An- gune Guayatayoc auf Territorium der indige- fang der Wertschöpfungskette versperren“ nen Gemeinschaften Quebraleña, San Miguel (Leifker et al. 2018: 27). Der für die Akku-Pro- de los Colorados und Rinconadillas durch, was duktion notwendige Lithiumbergbau gestaltet zu einem starken Protest der Gemeinschaften sich vielfach ökologisch und sozial problema- sowie zu Straßenblockaden des wichtigen tisch und führt vielerorts zu Konflikten zwi- Transportkorridors Ruta Nacional 52, Argenti- schen Bergbaufirmen und lokaler Bevölkerung. nien-Chile, führte. Als direkte Folge der Explo- Da die Langzeitfolgen des Lithiumbergbaus für rationsarbeiten verstärkten die 33 Gemein- die Extraktionsregionen oftmals noch nicht ab- schaften erneut ihre Zusammenarbeit und än- schätzbar sind, ist ein genaues Monitoring von derten ihre bisherige Forderung auf vorherige Flora und Fauna unabdingbar. Es braucht Konsultation auf ein klares „No al litio!“ (Nein Transparenz hinsichtlich der sozialen Auswir- zu Lithium!). kungen der Lithium-Extraktion sowie in Bezug

auf soziale Konflikte zwischen AnwohnerInnen Schlussfolgerungen und Bergbauunternehmen. Auch braucht es ge- Die heutige Klimakrise ist das Resultat eines di- setzlich verpflichtende Mindeststandards hin- rekten Zusammenhangs zwischen Wirtschafts- sichtlich Umwelt- und Menschenrechten, wel- wachstum und Treibhausgasemissionen (Mül- che die Automobilkonzerne und Zulieferer ent- ler 2011). Auch der Individualverkehr und der lang ihrer gesamten Lieferkette einhalten müs- Wechsel vom konventionellen Verbrennungs- sen. motor zum Elektromotor stellen hier keine Danksagung Ausnahme dar. Elektromobilität ist in Deutsch- land ein Politikum – und wird gerade deshalb Ich bedanke mich für die Förderung durch das sehr stark vorangetrieben. Ich argumentiere, Doktoratsstipendium aus der Nachwuchsför- dass die folgenden zwei Aspekte die Basis für derung der Universität Innsbruck sowie durch eine umfangreiche Mobilitätswende im Sinne das Marietta Blau-Stipendium der OeAD- einer sozial-ökologischen Transformation dar- GmbH, finanziert aus den Mitteln des österrei- stellen müssen: chischen Bundesministeriums für Wissen- schaft und Forschung. (1) Das Elektroauto bietet den großen Automo- bilkonzernen heute zwar eine neue Möglich- keit der Akkumulation und Imageverbesse- rung, ändert jedoch wenig an den Strukturen und Problemen des Individualverkehrs (Cand- eias 2012). Einerseits verursachen E-Autos im Betrieb je nach Strommix kaum geringere Koh- lenstoffdioxid-Emissionen als konventionelle 23

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Von Win-Win, Entwicklung und Wohlstand: Las Lajitas (AR) und Sinop (BR), zwei Städte des Agrobusiness und die Strategie der Konflikt- Vermeidung Robert Hafner1und Martin Coy2

1Universität Graz; 2Universität Innsbruck

Win-Win, Entwicklung und Wohlstand – mit diesen drei Begriffen werden oftmals neue Städte des Agro- business charakterisiert. Sei es durch stetiges Bevölkerungswachstum, Integration in den globalisierten Commodities-Markt oder die schier grenzenlosen Möglichkeiten für die lokale Bevölkerung und Wirt- schaftstreibenden, das Agrobusiness genießt oftmals innerhalb der Produktionsregionen hohes Ansehen. Ebendiese positive Rahmung wird jedoch aus einer kritischen Mensch-Umwelt-Perspektive stark hinter- fragt, vor allem in Hinblick auf sozial-ökologische Konflikte um den Anbau von Monokulturen.

Vor diesem Hintergrund wollen wir mit unserem Beitrag drei Aspekte bearbeiten: Erstens wird die Stadt des Agrobusiness konkretisiert und definiert. Die Frage nach den definitorischen Leitlinien soll hierbei geklärt werden. Darauf aufbauend werden zweitens zwei Beispiele von Agrobusiness-Städten kurz um- rissen: Sinop in Brasilien und Las Lajitas in Argentinien. Mit den beiden Städten im Fokus widmen wir uns drittens der Frage, wie die offensichtlichen Strategien der sozial-ökologischen Konfliktvermeidung funk- tionieren. Dabei wird sich zeigen, dass sehr wohl Konflikte ausgetragen werden, diese jedoch vom über- geordneten Positiv-Diskurs überlagert werden.

Stadt des Agrobusiness: Ein spezifisches „konservativen Modernisierung“, die eine wirt- „Raumformat“? schaftlich „rational“ orientierte mittel- und groß- In vielen Ländern des Globalen Südens sind seit betriebliche Farmwirtschaft gegenüber der in Jahren der Agrarsektor, der ländliche Raum und vielen Regionen zum damaligen Zeitpunkt zah- damit auch die Land-Stadt-Verhältnisse tiefgrei- lenmäßig (noch) vorherrschenden kleinbäuerli- fenden Veränderungen unterworfen. Spätestens chen Subsistenzlandwirtschaft begünstigte. seit den 1950er Jahren spielt dabei Modernisie- „Konservativ“ vor allem auch deshalb, weil das rung im Sinne der „Grünen Revolution“ eine Verständnis von „Modernisierung“ im Wesentli- zentrale Rolle mit dem Ziel der Steigerung der chen auf wirtschaftliche Aspekte der Marktori- Produktion von Grundnahrungsmitteln und entierung oder des Krediteinsatzes begrenzt landwirtschaftlichen Rohstoffen, wobei Produk- blieb, nicht jedoch agrarsoziale Strukturverän- tivitätszunahmen mittels verbessertem Saatgut, derungen beispielsweise im Sinne einer grundle- neuartigen Produktionstechniken, insbesondere genden Reform der seit der Kolonialzeit in gesteigertem Maschineneinsatz, und vor allem höchstem Maße ungleichen Landeigentumsver- auf der Basis einer immer stärkeren Marktorien- hältnisse vorsah. Die strukturellen und sozial- tierung wesentliche Motoren des Modernisie- räumlichen Folgen der konservativen Moderni- rungsprozesses waren. So verfolgten viele süd- sierung waren in vielen Regionen eine sukzes- amerikanische Länder, beispielhaft Brasilien sive Verdrängung der Kleinbauern, die mit dem und Argentinien, ab den 1960er Jahren im Ge- kapitalintensiven Modernisierungsprozess nicht folge der durch die USA (unter anderem als „Ant- mithalten konnten, und damit einhergehend wort“ auf die strukturverändernden Agrarrefor- eine sich verschärfende Landeigentumskonzent- men bzw. -revolutionen in Kuba) mitfinanzier- ration. ten „Allianz für den Fortschritt“ eine Politik der

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Im Zuge der konservativen Modernisierung än- Argentiniens und Brasiliens grundlegend verän- derten sich nicht zuletzt die Land-Stadt-Verhält- derten. Dies traf einerseits die wirtschaftlichen nisse grundlegend. Der zunehmende Druck auf Kernregionen: in Argentinien die Pampa-Region, die kleinbäuerliche Familienlandwirtschaft in Brasilien den Süden und Südosten des Landes. führte zu einer massiven Verdrängungsmigra- Darüber hinaus wurden vormals äußerst perip- tion in nahgelegene Landstädte, in Regionalzen- here Räume von dieser Entwicklung geradezu tren sowie in die großen Metropolen, wobei sich überrollt, so auch die hier im Fokus stehenden die Hoffnungen auf ein besseres Leben in der Sojaanbaugebiete im brasilianischen Mittelwes- Stadt für die Wenigsten erfüllten. Gleichzeitig ten (insbesondere im Bundesstaat Mato Grosso) übernahmen die städtischen Zentren im ländli- sowie im argentinischen Chaco. Agrarwirtschaft- chen Raum insofern zunehmend wirtschaftliche liche Grundlage hierfür war der beeindruckende „Drehscheibenfunktionen“, als sich in ihnen mit „Siegeszug“ des voll mechanisierten, zumindest Genossenschaften, dem Handel mit Vorleis- mittel-, zumeist allerdings großbetrieblich orga- tungsgütern, dem landwirtschaftlichen Zwi- nisierten Sojaanbaus (inzwischen in der Regel schenhandel oder teilweise auch mit der agroin- im Fruchtwechsel mit Mais und/oder Baum- dustriellen Verarbeitung wesentliche „Institutio- wolle), der, global betrachtet, direkt beziehungs- nen“ der konservativen Modernisierung lokali- weise über proteinreiche Pressrückstände der sierten (Abb. 1). Allerdings war auch in den Kraftfutterindustrie den Grundstoff für die welt- (Land)Städten Modernisierung zumeist mit ei- weit expandierende Massentierhaltung bereit- ner Zunahme sozialräumlicher Polarisierungen stellt. Soja ist auf diese Weise in den letzten Jah- verbunden. ren zu einer strategischen Commodity der zu- nehmend global vernetzten Agro-Food-Systeme geworden (vgl. als Überblick Oliveira, Hecht 2015; Turzi 2017; Coy et al. 2017 sowie allge- mein Langthaler 2018).

Neu- oder zumindest andersartig an der Soja- wirtschaft im Vergleich zu anderen Agrarpro- dukten ist, dass Soja als „agrarischer Rohstoff“ am Anfang einer komplexen, global vernetzten agroindustriellen Wertschöpfungskette steht, in Abb. 1: Landwirtschaftliche Maschinen im Großformat. In den Städten des Agrobusiness der transnationale Konzerne (z.B. die „großen werden diese verkauft, gewartet und vermie- Vier“ des Agrobusiness: ADM, Bunge, Cargill, tet. Louis Dreyfus) eine zunehmend konzentrie- Quelle: Eigene Darstellung. rende Rolle spielen. Auch die Vorleistungsseite Dieser mit der konservativen Modernisierung (Landmaschinen, Saatgut, Agrochemikalien) eingeleitete Strukturwandel der Landwirtschaft, wird inzwischen von den großen transnationa- der ländlichen Räume und der damit einherge- len Playern des Agrokomplexes dominiert, und henden Stadt-Land-Verhältnisse erfuhr spätes- ebenso ist der Einfluss des internationalen Wa- tens seit den 1980er Jahren eine deutliche Be- renterminhandels auf Preisgestaltung und Ren- schleunigung und Neukonfiguration im Gefolge diteerwartung entscheidend. Die zwischenzeitli- der Globalisierung und der Durchsetzung global che Durchsetzung einer „Präzisionslandwirt- ausgerichteter und oftmals transnational organi- schaft“, die auf dem Direktsaatverfahren, dem sierter Wertschöpfungsketten, die den Agrarsek- Einsatz von genmanipuliertem Saatgut und tor und die ländlichen Räume in vielen Regionen Breitband-Herbiziden, der Verwendung von technologisch hoch komplexen Maschinen sowie

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der minutiösen Planung und Steuerung des ge- Positionen, die ihre ökonomischen (hohe Ver- samten Produktionssystems beruht, erhöht die wundbarkeit durch Monostruktur und Abhän- Anforderungen und verstärkt die vielfältigen gigkeit von globalen Marktentwicklungen), sozi- Kopplungen bei betrieblicher Planung und Bera- alen (geringe Absorption von Arbeitskraft, Ver- tung, Finanzierung, Produktion und Vermark- tiefung von Ungleichheiten) und ökologischen tung. Die Sojawirtschaft wird somit zum Proto- Begleiteffekte (Rodungszunahme, Biodiversi- typ eines komplexen weitverzweigten, oftmals tätsverlust, Erosionsgefahr, Belastung durch vertikal integrierten Agrobusiness, in dem der Pestizide) thematisieren, spielen kaum eine eigentliche Anbau beinahe zur „Nebensache“ ge- Rolle. Die lokalen Eliten definieren sich zumeist worden ist. über das Agrobusiness, egal ob sie ihm direkt an- gehören oder lediglich indirekt involviert sind, So lassen sich die durch den Sojaanbau domi- sie vertreten politisch seine Interessen und re- nierten ländlichen Räume immer mehr als „Pro- präsentieren in persönlichem Lebensstil und Ha- duktionsmaschinen“ bezeichnen, in denen auf- bitus in vielerlei Hinsicht das Agrobusiness un- grund der hier vorherrschenden Betriebsgrößen terstützende „Werte“, in denen die „Konstruk- und Betriebstypen deutlich weniger Menschen tion des Ländlichen im Städtischen“ eine beson- als zuvor leben und die auf diese Weise ihre dere Rolle spielt. Damit werden allerdings oft- Funktion als vielfältige Sozial- und Lebensräume mals auch bestehende Konflikte oder zumindest zunehmend verlieren. Ihre „Steuerung“ wird im Konfliktpotenziale – sozusagen die Ausprägun- Wesentlichen aus den Städten heraus betrieben, gen der „Kehrseite“ der Stadt des Agrobusiness – denn ein Großteil der direkt und indirekt für das weitgehend „zugedeckt“, die sich aus den durch Funktionieren dieses komplexen Produktions- das Agrobusiness verursachten, beschriebenen systems entscheidenden Elemente sind nicht auf sozioökonomischen Ungleichheitskonstellatio- den landwirtschaftlichen Betrieben selbst oder nen und sozialökologischen Risiken ergeben. im ländlichen Raum, sondern in der (Land)Stadt „verortet“, ja sie benötigen für ihr Funktionieren Die Stadt des Agrobusiness ist der Prototyp eines die Stadt, ihre Fühlungsvorteile, ihre Infrastruk- „globalisierten Ortes“ im Sinne des Modells der tur und Logistik. Im Umkehrschluss drückt das „fragmentierenden Entwicklung“ nach Fred Agrobusiness mit seinen besonderen Anforde- Scholz (2002). Sie kann in diesem Zusammen- rungen den Städten in seinem „Wirkungsbe- hang als strategischer und multiskalar verfloch- reich“ einen unverkennbaren Stempel auf (siehe tener „Knotenpunkt“ einer vergleichsweise neu- zu den – durchaus unterschiedlichen – konkre- artigen sozioökonomischen, sozialökologischen ten „Ausprägungen“ dieser wechselseitigen Be- und territorialen „Raumordnung“ unter den ziehungen die nachfolgenden Fallbeispiele). In- Rahmenbedingungen der Globalisierung ver- sofern erscheint es zulässig und sinnvoll, von ei- standen werden. Die Städte des Agrobusiness ner „Stadt des Agrobusiness“ zu sprechen, die sind geradezu die Symbole einer Raumproduk- durch eine spezifische wirtschaftliche, lokal-glo- tion, die den Logiken globaler Wertschöpfungs- bal vernetzte Basis geprägt wird, die charakte- ketten und den Mechanismen der für ihr Funkti- ristische (rural-urbane) Akteurskonstellationen onieren erforderlichen institutionellen Verflech- aufweist, die also sowohl in wirtschaftlicher als tungen unterworfen ist. In vielen Fällen sind sie, auch in sozial-kultureller Hinsicht einen „hybri- wie die nachfolgenden Fallbeispiele zeigen, peri- den“ Charakter hat und in der um das Agrobusi- pher und doch gleichzeitig global vernetzt. Er- ness „kreisende“ Diskurse besonders wirkmäch- zählungen von Dynamik, Wachstum und „Unter- tig sind. So dominiert beispielsweise die „Er- nehmergeist“ prägen die „Erfolgsgeschichte“ der folgsstory“ der expandierenden Sojawirtschaft Stadt des Agrobusiness, mit der in vielen Fällen als „Motor“ der Regionalentwicklung. Kritische

29 der klassische „Frontier-Mythos“ unter den Rah- Durchschnittsgröße von 100 ha entsprechend, menbedingungen globalisierter Regionalent- an Kleinbauern und Pächter, die zuvor in ihren wicklung neu besetzt wird. Damit wird auch ein Herkunftsgebieten in Südbrasilien vor allem Kaf- „gesellschaftliches Naturverhältnis“ (vgl. hierzu feeanbau betrieben hatten. Eigene Auswertun- Becker, Jahn 2006), das von jeher in Frontier-Re- gen von Unterlagen des Kolonisationsunterneh- gionen existierte, „rekonstruiert“, in dem die mens ergaben, dass die ungefähr 1.000 Landver- kompromisslose und kurzfristige „Inwertset- käufer, die für die Colonizadora Sinop während zung“ von Natur als Ressource für wirtschaftli- der 1970er Jahre tätig waren, ihre Aktivitäten ches Wachstum und unternehmerischen Erfolg bewusst im Norden und Westen des südbrasilia- oberste Priorität hat. Gleichzeitig wird diese nischen Bundesstaates Paraná konzentrierten, nicht-nachhaltige, kurzsichtige Sicht durch den also in Regionen, die zum damaligen Zeitpunkt Rekurs auf den – vermeintlichen – Beitrag des tief greifende agrarsoziale Strukturveränderun- Agrobusiness – und damit seiner verräumlichten gen durchliefen (Krise des Kaffeeanbaus, Expan- Logiken – zur Lösung globaler Herausforderun- sion des modernisierten Sojaanbaus), durch die gen, wie beispielsweise der Welternährungs- in den ländlichen Räumen starke Verdrängungs- problematik, zu legitimieren versucht. Dies bil- prozesse stattgefunden hatten (vgl. Coy et al. det im Übrigen auch den Hintergrund für die ab- 2016). Auf diese Weise veräußerten die Makler solut prioritäre Stellung, die das Agrobusiness in die Ländereien im nord-matogrossensischen der aktuellen ultra-konservativen und ultra-ne- Siedlungsgebiet oftmals an dieselben Familien, oliberalen Politikwende in den betroffenen Län- an die sie bereits Jahrzehnte zuvor Land in Pa- dern einnimmt. Auch dies verleiht den hier dar- raná verkauft hatten. Private Siedlungskolonisa- gestellten Zusammenhängen eine besondere Ak- tion in Nord-Mato Grosso wie im Falle Sinop war tualität. also von Anfang an vor allem ein lukratives Ge- schäft mit den agrarsozialen Folgen der konser- 1 Beispiele aus Brasilien und Argenti- vativen Modernisierung in den ländlichen Räu- nien men Südbrasiliens. Wie sich die Stadt des Agrobusiness konkret ent- wickeln und manifestieren kann, soll nun an Nach mehreren schwerwiegenden agrarsozialen zwei Beispielen erläutert werden: Die Städte Krisen im Raum Sinop während der letzten Jahr- Sinop in Nord-Mato Grosso, Brasilien und Las zehnte, mit denen weitreichende Verdrängun- Lajitas in Salta, Nordwest-Argentinien zeigen gen der kleinbäuerlichen Siedler verbunden wa- unterschiedliche Ausprägungen der Stadt des Agrobusiness. ren, bestimmt heutzutage das globalisierte Agro- business auf der Basis des mittel- und großbe- Sinop (Nord-Mato Grosso): Von der Pionier- trieblichen Sojaanbaus den ländlichen Raum in stadt zur Stadt des Agrobusiness der Region Sinop (vgl. Coy et al. 2019). Dies ent- Das Privatkolonisationsprojekt Sinop ist eines spricht den großregionalen Tendenzen, denn in- der ältesten und größten Siedlungsvorhaben in zwischen stellt das Einflussgebiet der Bundes- Nord-Mato Grosso, im Übergangsbereich zwi- straße BR-163 (Cuiabá-Santarém) zwischen Dia- schen brasilianischem Mittelwesten und Amazo- mantino und Nova Mutum im Süden und Sinop nien (vgl. hierzu ausführlicher Coy, Lücker 1993 im Norden ca. 35% der gesamten Sojaanbauflä- sowie Coy et al. 2016). Das ursprünglich aus dem che und sogar 44% der mit Soja und Mais genutz- südbrasilianischen Paraná stammende Unter- ten ackerbaulichen Flächen Mato Grossos, des nehmen Colonizadora Sinop verkaufte vor allem inzwischen wichtigsten Sojaproduzenten Brasi- in den 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre liens (nach Angaben von IMEA 2016). Vor dem ungefähr 650.000 Hektar Land, einer Gesamt- Hintergrund der günstigen Weltmarktbedingun- zahl von 6.200 individuellen Parzellen mit einer

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gen für Ölsaaten, die immer weniger von der eu- ropäischen, dafür aber immer mehr von der ra- sant gestiegenen chinesischen Nachfrage beein- flusst werden, verspricht der Fruchtwechsel Soja als Haupt- und Mais als Zwischenfrucht die bes- ten Umsätze für die Farmer, auch wenn hohe Transportkosten zu den Exporthäfen nach wie vor den wesentlichen Standortnachteil der matogrossensischen Produktionsgebiete dar- Abb. 2: Die Ausbreitung des Agrobusiness um stellen. Seit Jahren werden deshalb seitens der Sinop Interessenverbände der Sojafarmer_innen sub- Quelle: Eigene Darstellung. stanzielle Investitionen in den Infrastrukturaus- bau als entscheidende Maßnahmen gegen diesen Mit der Durchsetzung des Agrobusiness und der wesentlichen „Wettbewerbsnachteil“ eingefor- damit verbundenen zunehmenden Besitzkon- dert. Neue Produktionssysteme, vor allem der zentration ist es zu einer Entleerung des ländli- Einsatz genetisch veränderten Saatgutes im Zu- chen Raumes gekommen (Abb. 2). Die Aufrecht- sammenhang mit dem Direktsaatverfahren, sind erhaltung ländlicher Versorgungsinfrastruktu- inzwischen nicht nur auf Großfarmen, sondern ren lohnt nicht mehr, denn eine hoch mechani- auch auf den im Raum Sinop als Folge der Privat- sierte Sojafarm kann weitgehend direkt von den kolonisation vorherrschenden mittelgroßen Be- Landstädten aus betrieben werden. Durch die trieben die Regel. Allerdings haben sich im Ver- Schließung sozialer Infrastrukturen (bspw. lauf der letzten Jahre mit der Ausdehnung des Schulen) verlieren die ländlichen Räume zusätz- Agrobusiness die Farmen durch Kauf und Zu- lich an Attraktivität, was wiederum die Abwan- pacht auch hier deutlich vergrößert. Somit ist derung und Besitzkonzentration fördert. Nach von der ursprünglichen bäuerlichen Vergangen- Meinung zahlreicher lokaler Beobachter werden heit des Kolonisationsprojektes nur noch wenig sich diese Trends bei günstigen Marktbedingun- übriggeblieben. Damit ist auch eine deutliche Re- gen auch in Zukunft fortsetzen. duzierung der Arbeitsplätze auf den landwirt- Inzwischen ist die Stadt Sinop der Ort, an dem schaftlichen Betrieben verbunden. Und für alle, auch der Farmer einen Großteil seiner alltägli- die im ländlichen Raum keine Beschäftigung chen Aktivitäten erledigt: Verhandlungen mit mehr finden, ist die Migration in städtische Zen- den traders, die oftmals ganze packages des Soja- tren die einzige Möglichkeit, um Arbeit – nicht Mais-Komplexes anbieten, den Beratern, Trans- selten unter prekären Rahmenbedingungen portunternehmen und sonstigen Dienstleistern, (niedrige Löhne, temporäre Beschäftigung, etc.) hier werden Bankgeschäfte getätigt, etc. Dies – zu finden. Allerdings hat dort, in den führt dazu, dass immer mehr Farmer ein Leben (Agro)Städten, das moderne Agrobusiness in der Stadt nicht nur aus Bequemlichkeits- und durchaus neue – direkte und vor allem indirekte gesellschaftlichen Gründen, sondern auch aus –Beschäftigungsoptionen generiert: Dienstleis- betriebswirtschaftlichen Überlegungen dem Le- tungen in der Agrarberatung, im Umfeld der ben auf der Farm, die sie in der Obhut von Ver- technischen, finanziellen und agrochemischen walter_innen und Angestellten lassen, vorzie- Vorleistungen sowie in der Lager- und Trans- hen. Damit sind verschiedene funktions- und so- portlogistik, aber auch im städtischen Einzelhan- zialräumliche Implikationen verbunden. Die del, im Bildungs- und Gesundheitswesen oder im Stadt Sinop ist heute, etwas mehr als 40 Jahre Beherbergungsbereich. nach ihrer Gründung, mit rund 130.000 Einwoh- nern (2017) das bedeutendste Regionalzentrum

31 in Nord Mato Grosso geworden, mit einem stark sich bis heute an zahlreichen Sägewerksruinen ausdifferenzierten städtischen Handel und mit sowie an teilweise recht großen Brachflächen er- einem strukturierten Gesundheits- und Bil- kennen (vgl. entsprechende Vergleichskartie- dungsangebot. So verfügt die Stadt inzwischen rungen in Huber 2015). Inzwischen haben, wie über vier Universitäten (zwei öffentliche, zwei eine Detailkartierung aus dem Jahr 2018 deut- private) mit mehr als 5.000 Studierenden, wobei lich zeigen kann (Abb. 3), die verschiedensten nicht überrascht, dass Studienangebote rund um auf das Agrobusiness ausgerichteten Aktivitäten den Agrobereich eine besondere Rolle spielen. dieses Bild völlig verändert. Sowohl an der süd- Sozialräumlich lässt sich der „Erfolg“ der ehema- lichen als auch an der nördlichen Peripherie der ligen Pionierstadt an den inzwischen fünf gated Stadt dominieren die große Flächen beanspru- communities ablesen, die sich sowohl bei den chenden Soja-(bzw. Mais-)Silos und Trock- Stadteliten aus Politik und Dienstleistungssektor nungsanlagen der nationalen (Amaggi) und als auch bei den erfolgreichen Farmern größter transnationalen (ADM, Bunge, Cargill) traders Beliebtheit erfreuen, nicht zuletzt, weil sie die das periurbane Umfeld der BR-163. In den stadt- Kopie eines in den großen Metropolen vorgeleb- ferneren Bereichen der Straße befinden sich ten Lebensstils ermöglichen. auch zumeist die großen Betriebshöfe der Logis- tik-Unternehmen, wo zeitweise mehrere Hun- dert der Groß-Sattelzüge stationiert sind, mit de- nen der Transport zu den Exporthäfen in Südost- Brasilien oder am nördlich von Sinop gelegenen Amazonas durchgeführt wird. In zentrumsnähe- ren Bereichen der BR-163 fallen insbesondere die zahlreichen Groß-Konzessionäre von Land- maschinen auf. Dabei sind alle global players des Sektors vor Ort vertreten (z.B. John Deere, Case, New Holland, Valtra, Ford, Massey Ferguson etc.). Die wichtigsten Geräte, die sie praktisch Abb. 3: Funktionale Kartierung der BR-163 in alle im Angebot haben, sind Großtraktoren, Mäh- Sinop (Mato Grosso) drescher, Direktsaatmaschinen, Feldspritzen – Quelle: Eigene Darstellung. alles Geräte, die jedes für sich einen enormen monetären Wert darstellen. Der Einzugsbereich Am direktesten dokumentiert sich die regional- der in Sinop angesiedelten Repräsentationen ökonomische und funktionalräumliche Kopp- dieser Unternehmen erstreckt sich in der Regel lung zwischen dem Agrosektor des ländlichen von hier aus in ein weites Hinterland. Neben dem Raumes und der Stadtstruktur von Sinop an der Verkauf und der oftmals über die Firmenbanken BR-163, die – wie in allen Städten, die ab den erfolgenden Finanzierung der Landmaschinen 1970er Jahren an ihr gegründet wurden – in ge- werden von hier aus auch Wartung und Repara- wisser Weise die (zumindest wirtschaftliche) tur, zumeist auch mittels mobiler Wartungs- und „Lebensader“ der Stadt bildet. Bis zu Beginn der Reparaturteams, erledigt. Zusätzlich zu den do- 2000er Jahre dominierten entlang dieser Fern- minierenden Groß-Konzessionären haben sich straße – auch im relativ zentrumsnahen Bereich zwischenzeitlich auch ein Sektor für Gebraucht- – neben den üblichen Tankstellen und dem Re- Landmaschinen sowie Reparaturwerkstätten paraturgewerbe vor allem die Sägereien. Ihre entlang der BR etabliert. Ein weiterer Bereich, Stilllegung beziehungsweise Verlagerung – und der direkt mit dem Agrobusiness in Verbindung damit die Krise des lokalen Sägereisektors – lässt

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steht, ist der Saatgut- und Agrochemikalien-Sek- Lajitas, traditionell an einem Verkehrsknoten- tor (Dünger, Pestizide). Hier lassen sich zahlrei- punkt der Provinzrouten 5, 30 und 52 gelegen che Repräsentanzen der großen Agrochemie- und somit wichtig für den internationalen Nord- Konzerne beobachten (Bayer, Syngenta, Dow, Süd-Transit und Transport von Commodities, er- BASF etc.), in der Regel sowohl Verkaufsagentu- lebte eine massive Expansion des Agrobusiness: ren als auch Beratungsbüros, weil auch in die- Von 1990 bis 2015 verzeichnete die Region ei- sem Bereich die Sojafarmer_innen, ähnlich wie nen Anstieg der Sojaanbaufläche um 550 Pro- bei den großen traders, package-Lösungen ver- zent (SIIA 2016). Trotz der großen Entfernung einbaren. Einen direkten, mindestens aber einen von über 1000 km zu den wichtigen Soja-Häfen indirekten Bezug zum Agrobusiness haben auch im Süden des Landes profitiert Las Lajitas stark die zahlreichen an der BR-163 angesiedelten von dem Ausbau der Route 5, die unter anderem KFZ-Konzessionäre. So wird die BR-163 als „Le- auch für den Warentransport von Bolivien (inkl. bensader“ von Region und Stadt Sinop zum di- der anschließenden Erdgas-Leitung) genutzt rekten und indirekten „Schaufenster“ der Wirt- wird. Insbesondere im näheren Umkreis der schaftsaktivitäten, die Region und Stadt Um- Stadt – ähnlich wie im Beispiel Sinop – siedelten sätze, Dynamik und Prosperität verleihen. sich die großen Vertreter des Agrobusiness an. Die Stadt und die umliegende Region werden so- Auf Basis der lokal/regional immer stärker aus- mit relevant für den globalen Markt. Nordwest- differenzierten Wertschöpfungskette des globa- Argentinien, das vormalige Armenhaus des Lan- lisierten Agrobusiness haben sich also die Land- des, wird umgedeutet und gewinnt an Prestige Stadt-Beziehungen deutlich verändert. Der länd- durch das landwirtschaftliche Potential. Dies liche Raum erfüllt zunehmend nur noch die lässt sich auch sehr gut anhand des Knight Frank Funktion des „Produktionsraumes“, wie be- International Farmland Index erkennen: Die schrieben aber immer weniger die eines tatsäch- Preise für Land um Las Lajitas sind immer noch lichen „Lebensraumes“. Dies ist auch für die Far- relativ niedrig im Vergleich zu den Kernregionen mer und ihre Familien immer mehr die Stadt, die der Agroproduktion, jedoch wird mit einem ste- sich zu einer wahrhaftigen „Steuerungszentrale“ tigen, zweistelligen Anstieg kalkuliert (Knight der regionalen Wirtschaft entwickelt hat. Frank 2011: 37).

Las Lajitas (Nordwest-Argentinien): Vom Die Konsequenz dieser Entwicklung ist jedoch kleinen Dorf zum Nukleus der Produktion die (meist un-)freiwillige Migration der pues- Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Klein- teros (kleinbäuerliche Viehalter_innen) von ih- stadt Las Lajitas im Kerngebiet der Sojaproduk- ren kleinstrukturierten Wald- und Landwirt- tion des Chaco, im Nordwesten Argentiniens. Die schaften im Umland in Richtung Stadt. Ein inte- Gegend um Las Lajitas wurde 1936 in das natio- ressantes Detail dabei ist, dass durch die großen nale Eisenbahnnetz eingebunden. Vier Jahre spä- Munizipflächen ebendiese Migration in den Sta- ter wurde um die Station Nummer 1126 Las tistiken nicht signifikant aufscheint. Das Munizip Lajitas gegründet (Hafner 2018: 148). Das Las Lajitas ist kaum von einer Veränderung der Haupteinkommen stammte aus der Extraktion Gesamtbevölkerungszahlen betroffen; die ur- von Bahnschwellen, Feuerholz und anderen bane Fläche dehnt sich jedoch stetig aus. Der waldbezogenen Gütern (inklusive Holzkohle). ländliche Raum durchlief in zunehmendem Landwirtschaft spielte eine untergeordnete Maße einen Wandel weg von der Funktion eines Rolle, vor allem auch bedingt durch die hohe Lebensraums hin in Richtung einer „Produkti- Waldbedeckung der Region. Dies änderte sich je- onsmaschine“ für das Agrobusiness. Dabei wer- doch grundlegend in den 1990er Jahren. Las den die Iändlichen Infrastrukturen auf ein für den reibungslosen Ablauf der großflächigen

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Landwirtschaft notwendiges Minimum redu- Ein großer Unterschied zum brasilianischen ziert. Sinop ist das Fehlen einer signifikanten Agro- Elite, die auch ihren Lebensmittelpunkt in Las Lajitas begründet. Durch die relative Nähe von Las Lajitas zur Provinzhauptstadt Salta (ca. zwei Stunden am Landweg) bevorzugt der Großteil der lokalen Agrovertreter_innen die Annehm- lichkeiten der knapp 800.000-Einwohner-Stadt. Dabei spielen neben einem viel größeren kultu- rellen Angebot auch (Aus-)Bildungsdiversität und -qualität eine große Rolle für die Entschei- dung gegen Las Lajitas als Wohnstandort und Le- Abb. 4: Banner des eigenen, räumlich abge- bensmittelpunkt. Las Lajitas ist somit mit einer trennten Agrobusiness-Zentrums in Las Lajitas Blase zu vergleichen. Seine Bewohner spüren ei- Quelle: Eigene Darstellung. nen auf harten Fakten basierenden positiven

Einfluss des Agrobusiness eher wenig. In ihrer Währenddessen entwickelt sich die Stadt zum alltäglichen Lebensweise werden die agrari- Logistikzentrum des Agrobusiness (Abb. 4), mit schen Aktivitäten relativ wenig wahrgenommen eigenem Wirtschaftszentrum des einschlägigen (Hafner 2016a: 185), aber trotzdem sind sie (zu- Sektors, Labors zur optimalen Züchtung von mindest vordergründig) den Veränderungen ge- Saatgut, Servicedienstleistungen und Versiche- gengenüber positiv eingestellt. Und dies, obwohl rungen. Im Sinne der Stadt des Agrobusiness sich die Lebensumstände derselben Personen zeigt sich die starke Ausrichtung auf den globa- häufig verschlechtern (z.B. Arbeitsverlust, for- len Commodity-Markt und die Präsenz internati- cierte Land-Stadt-Migration, Abhängigkeit von onaler (oft nicht namentlich bekannter) Agroin- Sozialhilfe, etc.). vestoren, die in pooles de siembra (Saatpools; Somit zeichnet sich ein stark ambivalentes Bild Hafner, Rainer 2017: 127) in semi-anonymer in Las Lajitas: Es fungiert als Kommandozentrale Weise das Agrobusiness vorantreiben. Wirt- für das Agrobusiness, lebt diskursiv vom positi- schaftlich hat sich Las Lajitas somit zur Dreh- ven Image des Agrobusiness, das in Verbindung scheibenstadt des Agrobusiness im Nordwesten mit Wohlstand und Entwicklung gebracht wird. Argentiniens entwickelt. Die Bevölkerung profitiert de facto jedoch direkt Auf diskursiver Ebene zeigt sich, dass der Dis- kaum davon und bringt sich selbst nur wenig mit kurs „Soja ernährt, Soja schafft Arbeit und Wohl- dem Agrobusiness in Verbindung. Gepaart mit stand“ bei der lokalen Bevölkerung einen sehr den negativen Umwelteffekten wäre somit eine hohen Durchdringungsgrad erreicht hat, auch Konsequenz naheliegend: Konfliktive Situatio- wenn aufgrund einer Stichprobenuntersuchung nen. Vordergründig treten diese jedoch nicht auf. lediglich ein Viertel der Bevölkerung direkt oder indirekt vom Agrobusiness profitiert (Hafner 2 Zur Frage des Umgangs mit Kon- flikten. Ein Perspektivenwechsel 2016a: 208). Emblematisch dafür ist auch die Aussage des Bürgermeisters Fermani: „Diese Konflikte scheinen also auf den ersten Blick nicht Stadt lebt nicht vom Agrobusiness“ (eigene vorhanden zu sein oder sich zumindest nicht zu Übersetzung; Interview Fermani, 08.10.2013). materialisieren. Allerdings kommen Konflikte im Trotzdem: Las Lajitas wird auf den ersten Blick Zusammenhang mit dem Agrobusiness sehr als Erfolgsstadt gepriesen, in der Entwicklung wohl vor, jedoch in anderen Formen und Ausprä- und Wohlstand Einzug gefunden haben. gungen, als zunächst vermutet.

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Exkurs 1: Klassische Umweltgerechtigkeit nisiert. (2) Großflächige Pflanzengiftsprühun- als Analysetool gen: Las Lajitas ist umgeben von Flächen, die mit genmanipuliertem Saatgut und dazugehörigen Das Konzept von Umweltgerechtigkeit eignet sich als Analysetool für sozial-ökologische Pflanzenmittel-Packages bewirtschaftet werden Konfliktfragen im Soja-Agrobusiness. Es ste- (Abb. 5). Bei ungünstigem Wind werden die Pes- hen drei zentrale Fragestellungen im Vorder- tizide und Herbizide in die Stadt geweht; Haus- grund (vgl. Drummond 2008: 180): Welche gärten, die häufig einen wichtigen Beitrag zum bio-physischen Umwelt-Veränderungen (Über-)Leben leisten, vertrocknen (Hafner 2018: werden von wem durchgeführt? Welche so- 231). Anhand dieser beiden Beispiele zeigt sich, zial-ökologischen Effekte ergeben sich dar- aus? Wer ist von diesen Effekten betroffen? dass das Voranschreiten von Soja-Monokulturen Besonders die letzte Frage zielt stark auf den auch die Lebensumstände der Stadtbewoh- normativen Charakter von Gerechtigkeit ab, ner_innen tiefgreifend negativ beeinflussen. speziell inwiefern die Verteilung der positi- ven und negativen Effekte unter den beteilig- ten Akteur_innen aufgeteilt werden. Bei der Be-antwortung dieser drei Fragen wird im- pliziert, dass jene Akteur_innen, die nicht die Verursacher negativer Effekte, aber sehr wohl die Leidtragenden davon sind, ihren Unmut artikulieren. Offene Konflikte sind in dieser Denkweise die logische Folge.

Bringt man das in Exkurs 1 präsentierte Ver- ständnis von Umweltgerechtigkeit zur Anwen- Abb. 5: Sozialbauten in Las Lajitas: Nur eine dung, so sind unterschiedliche Konfliktszenarien Straße trennt die Gebäude von Sojafeldern; die abzuleiten. Für das Fallbeispiel Las Lajitas lassen Effekte von Pestizidsprühungen sind unmittel- . sich beispielhaft folgende Sachverhalte darle- bar bemerkbar Quelle: Eigene Darstellung. gen: (1) Abholzung von umliegenden Arealen: Wie bereits oben beschrieben, war Las Lajitas Der Positivdiskurs gegenüber dem Soja-Agrobu- vor 30 Jahren von Wald umgeben; die Bevölke- siness überlagert nun jedoch die greifbaren Kon- rung lebte von und mit dem Wald, sei es durch fliktpotentiale und führt dazu, dass sich diese Aktivitäten des Honigsammelns, Jagens oder Fi- nicht materialisieren. Ein Perspektivenwechsel schens. Die fast gesamte Waldfläche wurde abge- der/s Forschenden ist notwendig (Exkurs 2), um holzt und der Zugang zu den Flächen privatisiert die dahinterliegenden Gründe aufzudecken. und eingeschränkt. Die Lebensweise der in Las Lajitas lebenden Personen wird drastisch verän- dert und aufgrund äußerer Einwirkungen urba-

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Exkurs 2: Environmental Justice Incommensurabilities Framework (EJIF)

Das Environmental Justice Incommensurabilities Framework (EJIF) stellt eine Weiterentwicklung des klassischen Umweltgerechtigkeitsansatzes dar. Es zielt auf Situationen ab, in denen zwar (aus der Perspektive von Forschenden) offensichtliche Konfliktpotentiale vorhanden sind, diese jedoch nicht materialisiert werden (können). Das Ziel des EJIF ist nun, zu verstehen, warum ebendiese Kon- fliktpotentiale nicht in Konflikte umgewandelt werden.

Abb. 6: Environmental Justice Incommensurabilities Framework Quelle: EJIF; Hafner 2016b. Obwohl das Framework als nichtlinear gedacht werden soll (sprich, der Startpunkt von Analysen kann an beliebiger Stelle gesetzt werden), so ist es hier naheliegend, im ersten Feld (IDENTIFICA- TION) zu beginnen. Ähnlich wie in Exkurs 1 werden nun die Fragen zur Veränderung von bio-phy- sischen Variablen und deren negative Auswirkung auf Akteure untersucht. Konfliktpotentiale wer- den identifiziert und anhand dahinterliegender Ebenen (UNDERLYING DIMENSIONS) – in Anleh- nung an die Weiterentwicklungen der Umweltgerechtigkeitsforschung – auf Fragen zu Verteilung, Anerkennung lokaler Gegebenheiten, Strukturen und Praktiken, Partizipationsmöglichkeiten be- nachteiligter Parteien, Verantwortung und Capabilities bewertet. Die Ergebnisse dieser Analyse werden in der Form von claims-making, also dem Artikulieren von Unmut und dem Anmelden eige- ner Ansprüche, visualisiert. In einem nächsten Schritt sollen die beteiligten Akteur_innen den glei- chen Identifikationsprozess wie die Forschenden durchlaufen. Wie sich am Beispiel von Las Lajitas zeigt, stehen nun ein vom Forschenden erwartetes claims-making dem no-claims-making der Ak- teur_innen gegenüber. Dieses Auseinanderdriften von Erkenntnissen, das Nicht-Verstehen der Er- gebnisse wird als INCOMMENSURABILITY bezeichnet. Um eine vertieftes Verständnis dieser diver- gierenden Positionen zu erhalten, wird anhand von Positionierungen der Akteur_innen bei den The- menbereichen Gerechtigkeit und Fairness (sprich, was ist gerecht und fair), der Rolle der Umwelt (zum Beispiel Umwelt als Lebensraum, oder als reine Produktionsmaschine für den urbanen Raum) und der Verankerung der jeweiligen Akteur_innen in diesen Denkweisen Stellung bezogen. Dabei spielt die letzte Analyseebene eine wichtige Rolle: Was ist die Ausgangsposition der Akteur_innen bzw. der Forschenden? Wird von einem Idealbild gestartet (in unserem Falle spricht man von der Stadt des Agrobusiness als Ideal für eine Wohlstandsgesellschaft), oder ist die Grundhaltung bereits kritisch gegenüber dem Agrobusiness?1

1 Für eine detaillierte Beschreibung des EJIF siehe Hafner (2018: 125ff).

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Das EJIF ist ein umfangreiches Tool zur Analyse Entsprechend verbinden fast zwei Drittel der Be- von Konflikten, inklusive deren Potentiale und fragten mit der Expansion des Agrobusiness eine Nichtausschöpfung. Konkret zeigt die Anwen- Verstärkung der Landflucht. Allerdings werden dung auf den Fall Las Lajitas, dass die Grundhal- die damit verbundenen offensichtlichen „sozia- tung „das Agrobusiness ist der Weg hin zur Ide- len Kosten“ der Expansion des Agrobusiness sei- alsituation der Stadt des Agrobusiness“ quer ner vermeintlich positiven ökonomischen Wir- durch sämtliche Bevölkerungsschichten wieder- kung „untergeordnet“. In diesem Sinne bringt in zufinden ist. Diese Auffassung spiegelt sich auch der Sicht eines signifikanten Anteils (mehr als in der lokalen Wahrnehmung der Umwelt wider: 70%) der Befragten das Agrobusiness eher Vor- Frühere Aktivitäten von und im Wald sind in teile für Sinop und Region und trägt zu einer Ver- nostalgischen Erzählungen präsent. In der aktu- besserung der Lebensqualität bei. In diesen Er- ellen Wahrnehmung von Las Lajitas ist die Um- gebnissen schlägt sich eine Ambivalenz nieder, gebung der Stadt jedoch nicht repräsentiert; Las die die Frage nach „Gewinnern“ und „Verlierern“ Lajitas befindet sich unter einer imaginären aufwirft. Auch wenn nicht explizit genannt, so Blase, die von der unmittelbaren Außenwelt ab- liegt doch die Vermutung nahe, dass der wirt- geschnitten zu sein scheint. schaftliche Erfolg des Agrobusiness in seinen Auswirkungen auf die unterschiedlichsten vor- Die Perspektiven in Sinop sind hierbei ähnlich und nachgelagerten Bereiche gesehen und stark gelagert: Interessant ist, wie die lokalen Akteurs- dem Städtischen zugeschrieben wird. Denn gruppen selbst die Stadt-Land-Verhältnisse in schließlich sind nach Meinung fast aller Befrag- der Region Sinop und ihre Veränderungen wahr- ten (88%) die in der Stadt beheimateten „Zulie- nehmen und welche Rolle sie in diesem Zusam- ferer“ des Agrobusiness und die hierauf bezoge- menhang der beschriebenen Expansion des Ag- nen Dienstleistungen, die ebenso in der Stadt lo- robusiness zuweisen. Eine im August 2018 kalisiert sind, mindestens ebenso wichtig wie die durchgeführte Befragung von ca. 100 Probanden unmittelbaren, im ländlichen Raum stattfinden- bildet die empirische Basis der nachfolgenden den Produktionsaktivitäten. Vor diesem Hinter- Ausführungen. Aus der Perspektive der Befrag- grund ist es auch nicht erstaunlich, dass 80% der ten ist es eindeutig (92% Zustimmung), dass das Befragten der Aussage, dass Sinop heute als eine Agrobusiness zwischenzeitlich der dominante „Stadt des Agrobusiness“ bezeichnet werden Entwicklungsfaktor im ländlichen Raum von kann, zustimmen. Dabei wird im Vergleich zu Sinop geworden ist. Die damit in Verbindung ste- den Zeiten, als Sinop unter der Vorherrschaft der henden sozialen Veränderungen im ländlichen Holzextraktion und des Sägereisektors stand, Raum schlagen sich in einer vergleichsweise ho- dem Agrobusiness eine vergleichsweise positive hen Zustimmung von 73% der Befragten zu der Wirkung auf die lokal/regionalen Arbeitsmärkte dezidierten Aussage nieder, dass der ländliche (insbesondere hinsichtlich der Qualität der Ar- Raum immer mehr einer „Produktionsma- beitsplätze) zugeschrieben. schine“ für agrarische Commodities entspricht und dabei seine Funktion als Lebensraum einer Sinop ist also keineswegs mehr die Pionierstadt bäuerlichen Bevölkerung verliert, die ja ur- früherer Jahre. Aber ist sie deshalb eine „nor- sprünglich dem Projekt der Agrarkolonisation male“ brasilianische Stadt geworden? In der zugrunde lag. Darin drückt sich letzten Endes Selbstsicht ihrer Bewohner – und hier insbeson- auch aus, dass den Befragten die problematische dere innerhalb der politisch, ökonomisch und Verdrängungswirkung des expandierenden Ag- gesellschaftlich führenden Gesellschaftsgruppen robusiness für den ländlichen Raum in seiner – ist die Stadt eine der „Zukunftsmetropolen“ des Funktion als Sozialraum durchaus bewusst ist. Landes. Wachstumsdynamik und wirtschaftli- cher Erfolg sind für sie nach wie vor Ausdruck

37 und Ergebnis eines „Pioniergeistes“, der die agroökonomische Sekundarschule gegründet, Frontier-Diskurse in Brasilien und anderswo zu um einen lokalen Pool an verfügbaren Arbei- allen Zeiten prägte. Dabei wird nur allzu oft ter_innen für das Agrobusiness zu schaffen. übersehen, dass die Alltagsrealität sozialräumli- Die städtische Entwicklung wird jedoch nur be- cher Fragmentierung auch die Stadt Sinop mit grenzt von nachhaltigen Entwicklungsmustern Formen der Marginalisierung, wie sie aus allen begleitet. Wie am Beispiel Sinop zu sehen ist, brasilianischen Städten bekannt sind, schon mag die demographisch und räumlich rasch an- längst erreicht hat. So überrascht nicht, dass die wachsende und heute in der Region größte Stadt Lebensbedingungen zum Beispiel in einigen pe- zwar als Musterbeispiel einer imposanten öko- ripheren Regionen der Stadt äußerst prekär nomischen Entwicklung betrachtet werden, sie sind. Selbst die auf den ersten Blick äußerst „or- weist jedoch auch eine Vielzahl an Entwicklungs- dentlich“ wirkenden Viertel des sozialen Woh- problemen auf. Lokale Ökonomie und Arbeits- nungsbaus, die auch in Sinop mit dem seit 2008 welt stehen in enger Verzahnung zum und in betriebenen nationalen Wohnbauförderpro- großer Abhängigkeit vom Agrobusiness. Direkte gramm „Minha Casa Minha Vida“ (MCMV) deut- wie indirekte Arbeitsplätze sind der Vulnerabili- lich an Sichtbarkeit gewonnen haben, zeugen tät der überwiegend global ausgerichteten Ag- letztendlich von einer zunehmenden städtischen rarwirtschaft ausgesetzt, Alternativen zu diesem Fragmentierung: einerseits die hochwertigen Wirtschaftsmodell sind bisher nicht in Sicht. Wohnviertel der reichen und erfolgreichen – und auf der anderen Seite ausgedehnte Bereiche we- Umso stärker ist es daher notwendig, die Dyna- niger privilegierter Einwohner der „zukünftigen miken von Städten des Agrobusiness besser ver- Hauptstadt von Nord Mato Grosso“. stehen zu können. Ein ebensolcher Ansatz wurde hier mit dem Environmental Justice Incommen- 3 Conclusio surabilities Framework (EJIF) vorgestellt. Mit Wie die beiden Fallbeispiele zeigen, ergeben sich solchen Tools lässt sich empirisch herausarbei- bei Städten des Agrobusiness deutliche Gemein- ten, wie die Großdiskurse von Win-Win, Ent- samkeiten: Entleerung des umliegenden Lebens- wicklung und Wohlstand geformt, und warum raumes und monetäre Inwertsetzung ebendie- Konflikte nicht materialisiert werden (können). ses in Form von Produktionsräumen für das von Monokulturen geprägte Agrobusiness. Darauf aufbauend ist auch ein Imageschub für die Re- gion zu erkennen. Wie am Beispiel Las Lajitas ge- zeigt wurde, konnte im Großdiskurs das Verdikt vom „Armenhaus Argentiniens“ durch wirt- schaftliches Wachstum und Einbindung in Glo- balisierungsprozesse ersetzt werden. Das Agro- business ist omnipräsent, jedoch auch wiederum stark entkoppelt vom täglichen Habitus der loka- len Bevölkerung. In Sinop sind die Ausprägun- gen der Stadt des Agrobusiness noch deutlicher spürbar. Dies zeigt sich auch an dem rasanten Bevölkerungswachstum und dem Aufbau neuer (Bildungs-)Infrastrukturen für das Agrobusi- ness. Während Sinop mittlerweile mehrere Uni- versitäten beherbergt, wurde in Las Lajitas eine

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Deconstructing Sustainable Rubber Production in Sumatra: Local Contradictions of a Global ‘Green’ Agenda Fenna Otten Georg-August-Universität Göttingen

Introduction model plantations in Sumatra to produce ‘eco- The global demand for natural rubber has in- friendly’ rubber “in both social and environ- creased steadily throughout the last decades. mental terms”; the company cooperates with Related, the area under cultivation expanded local communities, applies best management and this trend is predicted to continue. Among practices on the plantations and spares half of the manifold uses of natural rubber, tyre man- the concession for conservation. To reach this ufacturing is the most prominent, consuming goal, Michelin cooperates with the World Wild 70% of the global production (Clay 2004). Es- Fund for Nature (WWF) (Michelin 2015) and pecially China and India with their emerging several other organisations, e.g. the United Na- economies and growing middle class contrib- tions Environment Programme (UNEP) (UNEP ute to this process (Tyson 2009). In order to 2019). meet the projected demand, it is estimated that another 4.3 - 8.5 million ha of rubber planta- Based on empirical research findings from a tions will be necessary (Warren-Thomas et al. village in Jambi Province, Sumatra, located in a 2015). rubber producing area, I argue that Michelin’s Most of the world’s natural rubber is provided statement is highly contestable. During inter- by South East Asian countries, Thailand and In- views, villagers referred to land tenure con- donesia alone are responsible for more than flicts and that their customary land rights were 50% of the global yields (FAOSTAT 2018). Yet, neglected by the company. Farmers were in- the ongoing cultivation and its expansion are timidated to accept low compensations for presenting an impending threat to biodiversity their land; they reported there was no alterna- hotspots and fragile forest ecosystems, which tive but to accept the payments. include many protected areas (Ahrends et al. 2015). Natural rubber is a renewable resource, Thus, “the framing of Michelin’s tyres produc- but its sustainability is highly questionable tion as ‘eco-friendly’ and the alleged sustaina- (Warren-Thomas et al. 2015). Rubber is mainly ble rubber production in Jambi Province con- cultivated on agro-industrial monoculture tradict with statements made by villagers liv- plantations, which cause “negative conse- ing around Michelin’s concessions. Michelin quences for biodiversity and ecosystem ser- merely follows an [old-established] blueprint vices” following forest conversion (Warren- for development to justify its engagement in Thomas et al. 2018 following Clough et al. rubber cultivation in Indonesia, i.e. the com- 2016). pany counts on […] large-scale, interventionist Lately, tyre producers such as Michelin in- projects instead of integrating site-specific creasingly claim to take sustainability issues knowledge of socio-ecological relations” (Otten into account. Michelin was the first tyre pro- et al. submitted, following Roe 1991; Bebbing- ducing company to release a sustainable natu- ton 2003). ral rubber policy promising to adopt a “zero- Therefore, the aim of this paper is first, to de- deforestation policy” (Michelin 2016, 2017). construct the narrative of a so-called ‘eco- Michelin (2019) states that they established 41

friendly’ production of natural rubber and sec- requires engagement in large projects with sig- ond, to investigate its functioning, i.e. the wide nificant social and environmental impact” recognition of Michelin’s statement and the (UNEP 2017). further capitalisation on it, despite the fact that local voices tell opposing stories of land right Fairhead et al. (2012:237) describe these en- conflicts and environmental degradation. closures as ‘green grabbing’ – “the appropria- tion of land and resources for environmental I will first introduce my conceptual framing, ends”. During this process, “human-ecological the discursive creation of current-day ‘green’ interactions and agrarian social-economic rela- development narratives legitimising large- tions, rights and authority are being restruc- scale land acquisitions. Then, I will detail the tured (Fairhead et al. 2012:242). network of actors having created this powerful The enclosures can be considered as a specific narrative and thereby uncover its functioning. mode of contemporary globalization, which ‘is The subsequent section finally reveals oppos- nothing more than yet another round in the ing empirical research findings from an af- capitalist production and reconstruction of fected village called Muara Sekalo in December space’ (Harvey 2001:24). Relating to neoliber- 2017. Empirical fieldwork included qualitative alism “as one possible ‘shell’ for the capitalist interviewing techniques and participatory ob- mode of production” (Castree 2008:146), he servations. argues that “this shell offers firms, state bodies, and sympathetic stakeholders a range of ‘envi- A global discursive framing of develop- ronmental fixes’ to the endemic problem of ment narratives sustained economic growth”. “Action in the field with pilot plantations: In These ‘sustainability enclosures’ (Otten et al. 2015, Michelin and the Indonesian company submitted) are legitimized through a “discur- Barito Pacific created a joint venture to pro- sively-constructed global green agenda” (Fair- duce eco-friendly natural rubber at two sites in head et al. 2012:251) promising ‘green’ growth Indonesia: one in Sumatra, the other in Borneo. for sustainable development and can be con- The objective is to create model rubber planta- ceptualised as “carbon sinks, green fuel planta- tions, in both social and environmental terms. tions or biodiversity offset reserves” (ibid.). Working with local communities, we want to Worth mentioning, sustainability “became in- replant rubber trees on around 45,000 ha. On creasingly interpreted […] in economic terms, the other half of the sites, we plan to restore the as maximising flows of income while maintain- forest and plant community crops. The project ing the stock of capital from which it comes” also aims to protect primary forests and natu- (Adams 2017:246). ral parks bordering the plantations, as well as elephants, tigers, orangutans, etc. These plan- Almost 30 years ago, Roe (1991:228) reflected tations should eventually produce 80,000 tons on such universalised development narratives: of natural rubber and create around 16,000 lo- “Indeed, the pressure to generate narratives cal jobs.” (Michelin 2019) about development is directly proportional to This statement serves as a legitimation for new the ambiguity decision makers experience over enclosures of land and labour. It goes hand in the development process. The more uncertain hand with a statement of Satya Tripathi, Senior things seem at the microlevel, the greater the Adviser for the 2030 Sustainable Development tendency to see the scale of uncertainty at the Agenda at UN Environment, which is related to macrolevel.” this case: “We are running out of time, and that

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These narratives are defined “as those stories – Recently, the Indonesian company PT Royal scenarios and arguments – that are taken by Lestari Utama (PT RLU) received a manage- one or more parties to the controversy as un- ment concession for more than 88,000 ha in Su- derwriting and stabilizing the assumptions for matra and Kalimantan. PT RLU is a joint ven- policymaking in the face of the issue’s uncer- ture between the Indonesian Barito Pacific tainty, complexity or polarization” (Roe Group (51%) and the French Michelin Group 1994:3). Consequently, whenever required in (49%) for producing natural ‘eco-friendly’ rub- decision-making processes or for the imple- ber (TLFF 2018b). About 70,000 ha are located mentation of policies, respective responsible in Jambi Province (Sumatra) and managed by actors and institutions can refer to these two of three subsidiaries of PT RLU, namely PT largely accepted narratives. Concluding, “as- Lestari Alam Jaya (PT LAJ) and PT Wana Mukti sumptions, in this way, are linked together [as] Wisesa (PT WMW), who manage 61,000 ha and ‘stories’ about the world which frame problems 9,000 ha respectively. The third subsidiary PT in particular ways and in turn suggest particu- MKC manages the segment of the concession lar solutions [emphasis added]” (Leach et al. located in Kalimantan (ibid.). 1999:229). However, it remains questionable, why such narratives effectively function as legitimation and why they are rarely challenged. Following Somers (1992: 606) “all of us come to be who we are (however ephemeral, multiple, and changing) by being located or locating our- Figure 1: The Transnational Actors' Network selves (usually unconsciously) in social narra- Source: Authors own work. tives rarely of our own making.” “Thus, the ac- tors creating the global ‘green’ agenda proceed intentionally, whereas they anticipate that re- The World Wild Fund for Nature envi- sioning sustainable rubber cultivation cipients of their discursive framing of sustaina- ble development will unconsciously accept it as “In Sumatra, Indonesia’s Thirty Hills Land- mainstream” (Otten et al. submitted). scape, WWF is working with Michelin and its joint venture partner to design deforestation- Transnational and local narratives of free, wildlife-friendly plantations that provide ‘eco-friendly’ rubber sustainable income for local communities— and show that natural rubber can be produced In this section, the transnational actors net- in a sustainable way.” (WWF 2019) work will be depicted that discursively co-pro- The cooperation between the WWF and Mich- duced the narrative of ‘eco-friendly’ rubber elin was announced in a press release dated cultivation in Sumatra (figure 1). Special focus 19th May 2015. Accordingly, the organisation lies on the WWF, the Tropical Landscape Fi- aims at supporting Michelin regarding “the nance Facility (TLFF), and the discussion how promotion of best practices in rubber tree these institutions’ are embedded in and like- plantation and the extraction and transfor- wise co-produce the wider global ‘green’ mation of latex […] with the WWF having pres- agenda (cf. Fairhead et al. 2012). Subsequently, ence on concessions bordering those of Mich- local perspectives are outlined, revealing some elin/Barito in Jambi”, and “involving protec- of the contradictions inherent in the former tion, conservation and restoration operations narrative. for the fauna and flora within and around the concession zones” (Michelin 2015). 43

Wondering why the WWF engages with private itself” (Dempsey and Suarez 2016:267 in Ad- business in this case becomes clearer if the ams 2017:246). Michelin’s press release (ibid.) is substantiated. According to a WWF (2018b) project descrip- tion, the environmental organisation agreed with Michelin and Barito Pacific to implement a wildlife protection corridor along the na- tional park that connects two tracts of an eco- system restoration concession (ERC) managed by PT Alam Bukit Tigapuluh (PT ABT). PT ABT is a private conservation company, WWF being Figure 2: "Transforming the Global Rubber one of the two founding parties besides the Market" - Natural Forest in Bukit 30 Frankfurt Zoological Society (FZS). The Leo- Source:©Adam Oswell/WWF 2019. nardo DiCaprio Foundation (LDF) and The The Tropical Landscape Finance Facil- Orangutan Project (TOP) are associated organ- ity funding ‘green’ growth isations. The LDF notes that “one of the most significant conservation accomplishments thus Investigations strongly suggest that Michelin far has been 30 Hills partner, Michelin’s agree- and the Barito group do not spare their conces- ment to convert 10,000 hectares (25,000 sion for nothing. As the “world’s largest buyer acres) of its rubber plantation into a Wildlife of natural rubber and second largest tire man- Conservation Area abutting the ‘Thirty Hills’ ufacturer” (WWF 2019) the company does not hold back it was the first tyre maker declaring National Park (Taman Nasional Bukit Tigapuluh) that will connect the two forest their commitment to a zero-deforestation pol- blocks of the concession. Additionally, as a re- icy collaborating with the WWF. sult of the work in 30 Hills, Michelin last year First, this strategy “perfectly fits with ‘The so- released the rubber industry’s first zero defor- ciety of the spectacle’ (Debord 2002 [1967]). estation policy, one that is serving as a model Brockington & Duffy (2010) discuss the ‘power for the industry” (LDF 2019). In simple terms, of spectacular media productions’ and argue “‘green grabbing’ […] by conservation organi- that ’in consuming these images people are zations desperate to secure key territories and given ‘the romantic illusion that they are ad- extend the protected area network is made eas- venturously saving the world’ while the delete- ier through alliance with business” (Adams rious ecological impacts of these very pur- 2017:252). chases, and the lifestyles they require, are These NGOs represent their dedication in ex- neatly erased’ (Brockington, Duffy 2010:472 pressive imagery, as the WWF (2019) exempli- quoting Debord 1995 [1967]:502). Of the same fies. Its article titled ‘Transforming the global tenor, Fairhead et al. (2012:246 following rubber market’ with pictures of natural upland Brockington 2009, Igoe et al. 2010) argue that forest worth to be conserved (figure 2) and the ’such new forms of green commodity have their Sumatran tiger remarking that “sustainable value constructed and sustained through pop- rubber production is a means for ensuring ular imagery and representations. In the news tiger habitat is protected”. media, in advertising brochures or through in- This exemplarily displays that “the cultural and ternet campaigns, images urge tourists to visit political effects [of neoliberal market-based eco-destinations or offset their high-consump- discourse in conservation] have been consider- tion lifestyles, for example’ (Otten et al. submit- able, changing the way conservation imagines ted) (cf. figure 2 & 3).

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Second and beyond ‘spectacular’ imagination value of nature so as to calculate what price has for the sake of profits, the financialization of to be paid in order to conserve its services, the conservation and community development then, is not just about trying to preserve eco- integrated in Michelin’s conception of model systems […]. It is about finding new arenas for rubber plantations is at least partially funded markets to operate in and thus to expand the by a huge investment project by the Tropical remit, and ultimately the circulation of capital” Landscape Finance Facility (TLFF). The TLFF (Büscher et al. 2012:8). was launched in October 2016; founding mem- bers are UN Environment, the World Agrofor- estry Centre, ADM Capital, and BNP Paribas (TLFF 2018b, UNEP 2018). The institution Figure 3: “Developing climate smart, wildlife “aims to ‘leverage private finance for public friendly, socially inclusive and sustainable good’ by scaling up investment in renewable production of rubber to generate legal in- come for companies and multiplier effect to energy and landscapes resulting in enhancing communities” the ‘Gross Domestic Product of the Poor’ Source: TLFF 2018a. achieved through sustainable production of ag- The Case of Muara Sekalo ricultural commodities, and improved small- The information depicted hereafter is based on holder productivity with reduced deforesta- empirical field research, unless otherwise tion in Indonesia” (UNEP 2016). specified. Fieldwork was conducted in Decem- The multi-tranche Sustainability Bond will “fi- ber 2017 in Muara Sekalo, a local village sur- nance a sustainable natural rubber plantation rounded and affected by the establishment of on heavily degraded land in two provinces in the concession of PT Lestari Asri Jaya (PT LAJ). Indonesia” (UNEP 2018). The finance volume This company’s concession stretches along the amounts to US$ 120 million; the inaugural ‘Thirty Hills’ National Park in Tebo district and transaction is US$ 95 million and was an- separates two tracts of the ERC held by PT ABT, nounced in February 2018 (ibid.). In this which is also adjacent to the national park (fig- course, UNEP is a key actor co-producing the ure 4). narrative of a ‘green’ economy being crucial for the eradication of poverty and the conserva- tion of the ecosystems those poor depend upon. “The TLFF and stakeholders significantly ex- pand the actor-network and introduces a ‘new’ dimension to [the assemblage]” (Otten et al. submitted). It links private donors and public funds to the concession in Indonesia, though simultaneously this land and its newly created ‘green’ value is de-territorialised. “Following

Sullivan (2013:207), those ’emerging environ- Figure 4: Research Area – Bukit mental markets” are prime [examples] for this Tigapuluh/’30 Hills’ Landscape construction and co-production of values. The Source: Otten et al. Submitted. process of nature’s marketization leaves the power of resource allocation and pricing to The village Muara Sekalo evolved during Dutch markets, not to people living within this na- colonial regime. The present agricultural land- ture” (Otten et al. submitted, following Bakker scape can be characterised by long-standing 2010). “Making clear the (monetary) exchange 45

rubber cultivation introduced by the colonial- generally accept the offered compensation ists. Oil palm cultivation increased after the payments. Nonetheless, the process was decel- first private estate was established in the sur- erated, and a partnership scheme will not be rounding of Muara Sekalo in the 1993; to date, realised soon. three private companies established agro-in- Besides, members of a women’s group “vividly dustrial oil palm plantations in the area. Nowa- demonstrated that they and many others did days, smallholders generally cultivate both not want to abandon their plots and preferred rubber and oil palms; they abandoned tradi- to stay independent farmers, but they were in- tional paddy farming almost completely. timidated to give their land to the company. Two years ago, the rubber company PT LAJ They had no choice; in the end, the company “started its business and initiated the planta- would have won” (ibid.]. ”In fact, there is a sin- tion establishment” (Otten et al. submitted). gle villager, who confronted the company and Roughly, half of the concession area will be could keep his plot. If needed, he would even planted with rubber, villagers told, the other have defended himself before the court. Other half is designated for conservation, “including a villagers did not follow him, because they do buffer zone to the national park and an ele- not know their rights, he continues, and it was phant’s reserve. Parts of this concession are not in the interest of the former village govern- claimed by villagers according to local custom- ment to inform them about their rights. The vil- ary law, though” (ibid.). lage government, […] who negotiated the deal with the company and other political stake- “There are also plans for a partnership scheme holders on district and regional level, had their between PT LAJ and local farmers, but villag- own particular interests” (ibid). ers’ information is vague. It is uncertain, when the plans of such collaboration will be ad- On the plantation, the rubber trees are planted dressed and if the land designated for the col- in monoculture; the local CSR assistant of PT laboration will be part of the company’s core LAJ explained that the company follows stand- plantation or the spared conservation area in- ards for plantation management, e.g. “rubber side the concession. Only the corporate social trees should not show any budding of branches responsibility (CSR) assistant of PT LAJ was up to a height of 2.7 meters” (ibid.). Those vil- aware that the company would not build up lagers currently working for PT LAJ told of ac- this partnership scheme until all land is ac- tivities like forest clearing, growing seedlings, quired by PT LAJ. However, not all land has managing and cleaning the plantation as yet been transferred yet since the company faced planted, and tapping the first trees. “Generally, some difficulties due to locals’ land claims” none of the villagers knew in which ways Mich- (ibid.). Basically, “peasants cultivate land the elin and the WWF were involved exactly, some Ministry of Environment and Forestry has allo- just heard about a cooperation between these cated to the rubber company” (ibid.); contra- institutions. Nobody mentioned other cooper- dictions arose due to overlapping land tenure ating partners, nor were villagers aware about regulations between de-jure and de-facto ten- ‘sustainable’ or ‘eco-friendly’ rubber produc- ure (Kunz et al. 2017). Generally, PT LAJ com- tion at all” (ibid.). pensates villagers in case they claim land within the concession, but “not everyone rec- Contradictions between local and global ognizes the payments straightforward. […] In narratives last consequence, the company takes legal ac- “Unless you are able […] to treat seriously peo- tion, the CSR assistant reports”, although, locals ple's stories about those situations where facts

46 and values are in dispute, you are not taking the Concluding remarks situations seriously” (Roe 1994:x). Amidst To sum up, “contemporary green valuations, global sustainable development, reified and in- circulations and commodifications, along with stitutionalised for instance in the Sustainable associated business and market logics, are be- Development Goals (SDGs), and the powerful ing shaped in global fora, media and actor-net- representations of Michelin and associate part- works that are sometimes virtual and often dis- ners, “it becomes even more difficult to disen- located and distanced from the places they gov- tangle the [complex] network and reveal what ern” (Fairhead et al. 2012:247). Other case is happening on the ground. In fact, the co-pro- studies also revealed that, “in different ways, duction of the narrative of ‘eco-friendly’ rubber all are presenting themselves as ‘green’, and is powerful and creates an impression of credi- engaging in diverse ways with local elites, na- bility; it might indeed be ‘true’ in a self-referen- tional and international NGOs and diverse state tial [cycle]” (Otten et al. submitted). Nonethe- actors to secure land and resources for their in- less, this does not mean there is no gap or yet a vestments” (Fairhead et al. 2012:250). Regard- very different story. ing the likewise critical agro-industrial oil palm Considering the global framing, local communi- cultivation, Castellanos-Navarrete et al. ties are not named but as homogenous group, (2018:2) assess the narrative where “govern- benefiting from nature conserved and jobs cre- ment officials and representatives of corpora- ated. They are those who must appreciate the tions and international organisations [are] pro- engagement of transnational corporations and moting oil palm [and] argue this crop brings international NGOs. “Communities are imaged development by creating numerous jobs for the either as environmentally destructive, back- rural poor, even through large-scale planta- ward and disordered, needing reconstruction tions.” to conform with modernist visions of ‘sustain- able development’ [or] naturalized and roman- Ultimately, the ‘green’ economy justifies the ticized as ‘green primitives’, part of increas- appropriation of land and resources for the ingly globalized media spectacles” (Fairhead et sake of the environment, for more efficient re- al. 2012:251 following Adams 2004 and Igoe at source use, for inclusive and green growth (cf. al. 2010). Thus, local resistance is outside the Otten et al. submitted, UNEP 2015). They imag- horizon. ine macro-scale narratives blurring the locale. Finally, it is their discursive practices of linking According to Fairhead et al. (2012:247) “in sev- and relating, which create and co-produce a eral cases […] the distribution of value is highly new valuation of nature as a commodity that skewed, with local beneficiaries receiving often necessarily has to be exploited; if nature is not vanishing small benefits from newly commodi- good for economic exploitation it is good-for- tised, traded nature”. In the case of Muara nothing and loses its right to exist (Castree Sekalo, I conclude, that local beneficiaries are 2008; Fairhead et al. 2012). limited to few members of elitist networks, e.g. political stakeholders, but that they do not di- However, is it possible to change the global dis- rectly benefit from newly commoditised or cursive framing of the ‘green’ economy as a traded nature, but instead from the very fact means to legitimise new enclosures of land? that investments are realized with the support Surprisingly, the World Wide Fund for Nature of state actors appropriating community land. (WWF 2018a) realised that “global markets are shifting toward deforestation-free rubber as major buyers like Michelin and General Motors

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pledge to source more sustainably. But right Brockington D., Duffy R. (2010): Capitalism and now, not a single country in the world is able to Conservation. The Production and Repro- demonstrate that its rubber is produced sus- duction of Biodiversity Conservation. In: Antipode 42(3), 469–484. doi: tainably.” “A first step must be to scrutinize de- 10.1111/j.1467-8330.2010.00760.x. velopment narratives, despite or exactly be- Büscher B., Sullivan S., Neves K., Igoe J., Brock- cause of their wide recognition” (Otten et al. ington D. (2012): Towards a Synthesized submitted). By pointing out contradictory pro- Critique of Neoliberal Biodiversity Conser- cesses in case-specific cases such as Muara vation. In: Capitalism Nature Socialism Sekalo, the research community may contrib- 23(2), 4–30. doi: ute to a further visualization of the underlying 10.1080/10455752.2012.674149. conflicts and thus try to derange the powerful Castellanos-Navarrete A., Tobar-Tomás W. V., discourse of the ‘green’ economy. López-Monzón C. E. (2018): Development without change: Oil palm labour regimes, development narratives, and disputed “More generally, we need to rethink the con- moral economies in Mesoamerica. In: Jour- cept of ‘sustainable’ rubber itself. Kenney- nal of Rural Studies. doi: Lazar et al. (2018:96) raised this question, ar- 10.1016/j.jrurstud.2018.08.011. guing, ‘that the sustainability of rubber is a Castree N. (2008): Neoliberalising Nature. The challenging and elusive prospect – particularly Logics of Deregulation and Reregulation. In: in resource frontier contexts’ since “concepts Environ Plan A 40(1), 131–152. doi: like ‘sustainability’ or ‘green’ production are 10.1068/a3999. vague and malleable. They can be imbued with Clay J. (2004): World agriculture and the envi- a variety of contradictory meanings, which of- ronment: a commodity-by-commodity ten do not address the most socially and envi- guide to impacts and practices. Island Press, Washington, D.C. ronmentally problematic aspects of cash crop expansion’” (Otten et al. submitted). Debord G. (2002 [1967]): The Society of the Spectacle. Canberra: Treason Press.

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Die Dringlichkeit der Frage nach einer Monetarisierung von Natur – am Bei- spiel von Ökosystemleistungen Joachim Rathmann Universität Augsburg

Einleitung Zentrales Anliegen der Studie war es, die Aus- Natur- und Umweltschutz steht unter einem wirkungen des Ökosystemwandels auf das permanenten Rechtfertigungsdruck und mit menschliche Wohlergehen darzustellen, um zu dem Konzept der Ökosystemleistungen wird einem nachhaltigen Umgang mit Ökosystemen versucht, basierend auf umweltökonomischen zu gelangen. Costanza et al. (2014) bezifferten Ansätzen, unterschiedliche gesellschaftliche den globalen Nutzen durch Ökosystemleistun- Interessen und Ansprüche an den Naturhaus- gen (ÖSL) im Jahr 2007 auf 125-145 Billionen halt abzuwägen, um zu einem schonenden Um- US-Dollar. Denn die Natur erbringt zahlreiche gang mit Ökosystemen zu gelangen. Im Folgen- Leistungen wie z. B. die Schadstofffilterung den wird am Beispiel des Vertragsnaturschutz- durch Böden oder die Speicherung von Treib- programmes des Freistaates Bayern verdeut- hausgasen; Leistungen, die von der Natur kos- licht, dass eine Monetarisierung von Ökosys- tenfrei zur Verfügung gestellt werden und ei- temleistungen, bei aller methodischer Kritik, nes besonderen Schutzes bedürfen, denn Fol- einen pragmatischen Ansatz darstellen kann, gen menschlicher Eingriffe in die natürlichen um Ziele des Umweltschutzes zu erreichen und Ökosysteme sind unter anderem negative Aus- ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit sowie bei wirkungen auf die biologische Vielfalt sowie Entscheidungsträgern für die Bedeutung un- eine Verschlechterung zahlreicher Ökosystem- terschiedlicher Ökosystemleistungen zu schaf- leistungen (MEA 2005; TEEB DE 2012). Dass fen. jedoch eine nachhaltige Nutzung sowie der Schutz der Natur auch aus ökonomischer Sicht

sinnvoll ist, ist ein zentraler Gedanke des Kon- 1. Ökosystemleistungen zeptes der Ökosystemleistungen (TEEB DE Globale Umweltbelastungen stellen eine große 2012). Weil jedoch zahlreiche Ökosystemleis- Herausforderung dar und unterschiedliche An- tungen als öffentliche Güter keinem Preisme- sätze versuchen, diese zu verringern, zu kom- chanismus unterliegen und kostenlos verfüg- pensieren und weitere Schäden an Ökosyste- bar sind, müssen hypothetische Märkte gene- men zu verhindern. Um Politik und Wirtschaft riert werden, um Natur in einen Preismecha- vom Schutz der biologischen Vielfalt zu über- nismus einzubeziehen (Pascuak et al. 2012; zeugen, ist die Erhaltung von Ökosystemleis- TEEB DE 2012; Schweppe-Kraft, Grunewald tungen ein zentrales Argument. Der vorrangige 2013). Durch eine Quantifizierung von Ökosys- Zweck des Ökosystemleistungsansatzes ist es, temleistungen lassen sich ökonomische, sozi- Ökosysteme als grundlegenden Wohlfahrtsfak- ale und ökologische Belange in Entscheidungs- tor, als Quelle für menschliches Wohlbefinden prozesse einbeziehen (TEEB DE 2012) und öf- zu identifizieren, zu monetarisieren und zu fentliches Verhalten kann hin zu einem verbes- schützen. 2005 wurde mit dem Millennium serten Schutz von Ökosystemen gelenkt wer- Ecosystem Assessment eine detaillierte Zu- den. Die Monetarisierung dient hier als zusätz- standsbeschreibung globaler Ökosysteme und liches Argument für einen umfassenden Schutz ihrer Leistungen vorgenommen (MEA 2005). von Natur. Denn das Konzept der ÖSL soll dabei helfen, eine Brücke zwischen ökosystemaren 51

Prozessen und gesellschaftlichem Nutzen zu istische Ansatz fokussiert auf den positiven Ef- schlagen. fekt, den Natur auf das Wohlergehen von Ge- Ökosystemleistungen lassen sich dabei nach sellschaften hat und stellt dabei nicht das Indi- unterschiedlichen Kriterien klassifizieren; viduum in den Vordergrund (Pascuak et al. weite Verbreitung findet die Klassifikation des 2012; Badura et al. 2016). MEA aus dem Jahre 2005 in Versorgungsleis- tungen, Regulierungsleistungen, kulturellen Für die Erfassung der jeweiligen ökonomi- Leistungen und unterstützenden Leistungen o- schen Werte werden geeignete Indikatoren der Basisleistungen wie beispielsweise Photo- herangezogen, die, basierend auf Einzeldaten, synthese oder Bodenbildung. Die CICES-Klassi- entsprechende Rückschlüsse auf das zu erfas- fikation (The Common International Classifica- sende Untersuchungsobjekt erlauben, um auf tion of Ecosystem Services, kurz: CICES) konkre- dieser Quantifizierung aufbauend eine Bewer- tisiert die Systematik des MEA auf europäi- tung der ÖSL vorzunehmen (Hansjürgens scher Ebene und ist im Kontext ökologischer 2012; Schröter-Schlaack, Hansjürgens 2014). Untersuchungen durch das System of En- Zur monetären Bewertung stehen eine Vielzahl viromental and Economic Accounting (SEEA) – unterschiedlicher Methoden mit jeweils spezi- eine unter der Führung der Vereinten Nationen Stärken und Schwächen zur Verfügung. (UN) entwickelte Richtlinie zur Umwelt- und Liegen dabei keine Marktpreise vor, weil die Wirtschaftserfassung entstanden (Schüler ÖSL kein Marktgut hervorbringt, lassen sich in- 2016; Haines-Young, Potschin 2018). Seit 2016 direkte Marktbewertungsmethoden, die Präfe- ist die aktuelle Version (V 5.1) verfügbar (EEA renzen der Marktteilnehmer zu ermitteln ver- 2018). suchen, angeben (Koetse et al. 2015; Badura et al. 2016). 2. Monetarisierung von Ökosystemen Bei den Methoden der geäußerten Präferenz Eine umfassende Darstellung umweltbezoge- (stated preference approach) durch Konsu- ner Werte wird durch den ökonomischen Ge- menten werden hypothetische Märkte aufge- samtwert (total economic value, TEV), basie- baut, indem Marktteilnehmer Entscheidungen rend auf nutzungsabhängigen und nutzungs- über die Bereitstellung und die verbundenen unabhängigen Werten, vorgelegt (Hansjürgens Kosten von nicht vermarkteten Gütern treffen 2012; Schweppe-Kraft, Grunewald 2013). Ers- (Badura et al. 2016). Die Methoden der geäu- tere lassen sich in den direkten (z.B. landwirt- ßerten Präferenz simulieren somit einen Markt schaftliche Nutzung) und indirekten Nutzwer- und die Nachfrage nach ÖSL basierend auf An- ten (z.B. Regulierung von Hochwasser durch nahmen und Tests zu hypothetischen (politisch natürliche Retentionsflächen), sowie den Opti- verursachten) Veränderungen bei der Bereit- onswert unterteilen. Der Optionswert be- stellung von ÖSL (Pascuak et al. 2012). Diese schreibt eine zukünftige potentielle Nutzung Bewertungsmethoden lassen sich sowohl für eines Naturraumes. Existenzwert, Vermächt- nutzungsabhängige als auch nutzungsunab- niswert und der altruistische Wert bilden die hängige Werte anwenden; nutzungsabhängige Gruppe der nutzungsunabhängigen Werte Werte betreffend stellen sie sogar die einzig (Hansjürgens 2012; Badura et al. 2016). Der mögliche Art der Monetarisierung dar Existenzwert beschreibt, dass die bloße Exis- (Schweppe-Kraft, Grunewald 2013). Auch tenz von Ökosystemen oder Arten für uns ei- beim Fehlen eines Ersatzmarktes, aus dem der nen Wert darstellt, der Vermächtniswert ver- Wert eines Ökosystems abgeleitet werden leiht dem Verlangen, Natur für zukünftige Ge- kann, sind diese Methoden, welche kontin- nerationen zu bewahren, Ausdruck. Der altru- gente Bewertungsmethoden (contingent valu-

52 ation method) und Choice Modelle (coice mo- ÖSL, wie beispielsweise Erholung. Zusätzlich delling) umfassen, geeignet (Pascuak et al. besteht ein großer Einfluss auf die Grundwas- 2012; Koetse et al. 2015). Zahlreiche ÖSL las- serqualität und für zahlreiche Organismen stel- sen sich mit kontingenten Bewertungsmetho- len Grünlandflächen ein wichtiges Habitat dar den taxieren. Dabei lassen sich zwei grundsätz- (Beierkuhnlein, Jörg 2014). In einem Vergleich lich verschiedene Ansätze durchführen: die von Grün- und Ackerland veranschaulicht WTP (willingness to pay) befragt nach der Zah- TEEB DE (2016) die ÖSL sowie die jeweiligen lungsbereitschaft für die Bereitstellung einer monetären Kosten und Nutzen der Landnut- bestimmten ÖSL, wohingegen die WTA (wil- zungsformen. Dabei werden erhebliche Unter- lingness to accept) danach fragt, wieviel die schiede deutlich: bei einer ackerbaulichen Nut- Teilnehmer für den Verlust oder die Ver- zung sind die Erträge bezogen auf die Bio- schlechterung einer ÖSL an Kompensation for- masseproduktion höher als beim Grünland. Die dern würden. Dabei werden für die erfragten regulierenden ÖSL des Grünlandes hinsichtlich ÖSL hypothetische Märkte aufgespannt und Klima- und Naturschutz sowie Grundwasser- entsprechende Präferenzen zum Nutzen oder qualität übersteigen jene des Ackerlandes je- Erhalt bestimmter ÖSL erfragt. Daraus lassen doch erheblich, daher ist eine Umwandlung sich dann monetäre Werte ableiten (Pascuak et von Grün- in Ackerland mit einem hohen Ver- al. 2012; Koetse et al. 2015). lust an ÖSL und entsprechenden Kosten ver- bunden (TEEB DE 2016). Dennoch nimmt 3. Monetarisierung von Grünlandum- durch den Druck zunehmender Siedlungs- und bruch im Rahmen des Bayerischen Ver- Verkehrsflächen insbesondere der Anteil der tragsnaturschutzprogrammes als Grünland bewirtschafteten Flächen in Das Bayerische Vertragsnaturschutzpro- Deutschland ab. Gleichzeitig ist eine Intensivie- gramm (VNP) dient dazu, die bayerische Bio- rung der verbleibenden ackerbaulichen Nutz- diversitätsstrategie umzusetzen und bezogen fläche erkennbar (TEEB DE 2016). auf vier Biotoptypen (Acker, Wiese, Weide, Beispielhaft wird im Folgenden der Klima- Teich) eine extensive Bewirtschaftung wert- schutz als eine ÖSL (Regulierungsleistung) voller Lebensräume zu fördern (StMELF, zwischen intensiver und extensiver Bewirt- StMUV 2017). 2017 wurden dafür 41 Millionen schaftung von jeweils Acker- und Grünland Euro aufgewendet, um entgangene Erträge mit vorgestellt. Prämienzahlungen auszugleichen. Knapp 85.000 Hektar waren dabei Teil des VNP und 3.1 Klimaschutz als Beispiel einer Öko- etwa 18.000 Betriebe waren daran beteiligt systemleistung (StMUV o. J.; Güthler 2018; Güthler, Waltz Treibhausgasemissionen aus landwirtschaftli- 2018). chen Nutzflächen entstehen vor allem durch Basierend auf den VNP Flächen werden ÖSL Grünlandumbruch, Pflanzenbau, Düngung und von Grün- und Ackerland in der Untersu- Tierhaltung (Götzl et al. 2011; Albert et al. chungsregion (Landkreis Rhön-Grabfeld) ge- 2015,). Der Indikator für die korrespondie- genübergestellt (ausführlich dazu: Dubrow et rende regulierende Ökosystemleistung lässt al. 2018). 2017 befanden sich ca. 5800 Flächen sich als Veränderung in der Treibhausgasspei- mit einer Gesamtfläche von etwa 6000 ha im cherung (Kohlenstoffspeicherung) pro Jahr VNP, der dominante Biotoptyp war dabei durch Veränderung der landwirtschaftlichen Wiese (LfU 2017). Landnutzung in t CO2/Jahr beschreiben (Götzl Grünland stellt zahlreiche ÖSL bereit; insbe- et al. 2011; Staub et al. 2011; Albert et al. 2015). sondere pflanzliche Biomasse (Versorgungs- Zunächst wird der organische Kohlenstoff im leistung) aber auch regulierende und kulturelle Boden und in der Biomasse bezüglich seiner 53

Veränderungen, die aus den Landnutzungsän- ten für das Jahr 2018 zu ermitteln, wird zwi- derungen resultieren, untersucht. Unterstellt schen den Werten für 2016 und 2030 linear in- wird eine Umwandlung von Grünland in Acker- terpoliert. Der Schadenskostensatz für 2018 flächen basierend auf Daten für Referenzbo- beträgt etwa 185,1€2017. Zur Preisbereini- deneinheiten zum organischen Kohlenstoff aus gung des Kostensatzes wird der Verbraucher- der Bodenübersichtskarte (BÜK25) des Land- preisindex des Statistischen Bundesamts ver- kreises Rhön-Grabfeld. Dabei werden die VNP- wendet (Destatis 2018). Grünlandflächen den Referenzbodeneinheiten Die Klimaregulierungsleistung in € /ha/a wird zugeordnet. Nach Amelung et al. (2018) lässt dadurch berechnet, dass die jährliche Ände- sich der Vorrat an organischem Kohlenstoff in rung des Kohlenstoffs im Boden (infolge der t/ha für die einzelnen Horizonte basierend auf Umwandlung von Grün- in Ackerland) mit dem der Feinerdedichte, dem Skelettanteil und der erwähnten Kostensatz multipliziert wird. Mächtigkeit bzw. Tiefenstufe des Horizontes Grünland stellt eine Klimaschutzleistung mit berechnen. In einem weiteren Schritt ist der einem Wert von durchschnittlich 72.760 € be- Kohlenstoffgehalt für Grün- und Ackerland zu reit, Ackerland hingegen lediglich 48.641 €. berechnen, dies basiert auf Angaben von Poe- Dieser Ansatz zeigt beispielhaft die Höhe einer plau et al. (2011) zur durchschnittlichen Koh- ÖSL, um basierend auf diesen Werten unter- lenstoffabnahme bei der Umwandlung von schiedliche ÖSL und Schutzgüter, aber auch ge- Grün- in Ackerland. Diese liegt im Oberboden sellschaftliche Interessen gegeneinander abzu- bei etwa 36%, im Unterboden bei etwa 30%. wägen. Die Übergangszeit bei Landnutzungsänderun- gen, bis sich ein neuer Systemzustand einstellt, 4. Monetarisierung von Natur: Versuch liegt bei 20 Jahren (Gensior et al. 2018), daher einer Sichtung der Argumente wird die Gesamtänderung durch 20 dividiert, Zahlreiche Einwände werden gegen eine Mo- um eine jährliche Veränderung zu erhalten, die netarisierung von Natur vorgebracht. Diese einen Vergleich mit anderen ÖSL erst ermög- können hier nur knapp und fragmentarisch licht. Für den Untersuchungsraum ergeben dargestellt werden. Es wird im Weiteren ver- sich dann folgende Wert: Unter einem Hektar deutlicht, dass sich einige Einwände leicht wi- Grünland lassen sich durchschnittlich etwa derlegen lassen und dass mit dem Konzept der 393 t CO2 sequestrieren, der vergleichbare Ökosystemleistungen ein Rahmen aufgespannt Wert für Ackerland liegt nur bei 263 t CO2; das wurde, um den Naturhaushalt mit Konzepten entspricht einem Anteil von 67%. Der CO2-Ver- der Wirtschaftswissenschaften zu schützen. lust, der demnach durch Umwandlung gene- Durch eine neoliberale Umweltpolitik, Deregu- riert wird, beträgt 130 t CO2 /ha. lation und einer Bepreisung von Natur ver- schärfen sich sowohl soziale Probleme als auch 3.2 Monetarisierung des Klimaschutzes Umweltprobleme (Heynen et al. 2007). Natur Im vorliegenden Beispiel wird die ÖSL Klima- werde dadurch zu einem handelbaren Gut schutz in monetären Werten für vermiedene (Gómez-Baggethun, Ruiz-Pérez 2011; Kallis et Kohlenstoffemissionen dargestellt (Remme et al. 2013), eine „Ökonomisierung“ von Natur al. 2015). Dies basiert auf den Schadenskosten führe zu einem „Ausverkauf“ von Natur der Methodenkonvention 3.0 des Umweltbun- (Hansjürgens 2015). Ein verengter Blick habe desamtes, wobei ein Wert von 180 €2016 / t nur eine ökonomische Wohlfahrt im Auge und CO2 äq für das Jahr 2016 bei einer Zeitpräfe- Eigenwerte der Natur sowie ethische Normen renzrate von einem Prozent empfohlen wird widersprechen grundsätzlich jedem Preisme- (Matthey, Bünger 2018). Um die Schadenskos-

54 chanismus. Neben diesen und anderen Ein- des Vertragsnaturschutzprogrammes kann wänden gibt es auch grundsätzliche Vorbehalte versucht werden, die Höhe der Prämien, die für gegen jede Form von Marktmechanismen. eine extensive Bewirtschaftung und entspre- Zweifellos haben alle ökonomischen Bewer- chende Ertragsverluste, geleistet werden, an tungsverfahren von Natur methodische Schwä- den dadurch entstandenen Zugewinn anderer chen (Klie 2010); Bewertungen erfolgen auch ÖSL zu orientieren. Denn durch eine Extensi- immer in einem bestimmten gesellschaftlichen vierung der Landnutzung entsteht ein höherer Rahmen und sind daher kaum objektivierbar Nutzen für Natur und Gesellschaft, der sich mit (Hansjürgens 2011). Aber methodische Unsi- dem Konzept der Ökosystemleistungen auch cherheiten und Grenzen sind den Arbeiten zur quantifizieren lässt. Ein zentrales Anliegen des Monetarisierung von Natur bewusst und wer- VNP-Programmes liegt im Schutz der Biodiver- den soweit möglich auch berücksichtigt. Die sität; würden nun sämtliche Auswirkungen Bemessung zukünftiger Umweltschäden muss dieses Programmes auf alle ÖSL quantifiziert sich zusätzlich der Schwierigkeit der Diskon- und monetarisiert, müssten die Prämien im tierung stellen (Wirths et al. 2016) bei gleich- VNP-Programm erheblich angehoben werden. zeitiger Unsicherheit über die Höhe zukünfti- ger Umweltschäden und der Einschätzung der- Literaturverzeichnis selben durch zukünftige Generationen. Albert C., Burkhard B., Daube S., Dietrich K., En- Eine Monetarisierung von Natur oder ÖSL je- gels B., Frommer J. (2015): Empfehlungen doch stellt zunächst nur eine Ermittlung von zur Entwicklung bundesweiter Indikatoren Präferenzen dar, dies bedeutet nicht, dass sich zur Erfassung von Ökosystemleistungen (= BFN-Skripten, Band 410). Bonn. daraus eine unmittelbare Marktbildung ablei- tet. Die Frage nach einem Eigenwert von Natur Amelung W., Blume H.-P., Fleige H., Horn R., schließt ebenso wenig Präferenzzuschreibun- Kandeler E., Kögel-Knabner I. (2018): Schef- fer/Schachtschabel Lehrbuch der Boden- gen und damit eine Anschlussfähigkeit an das kunde. Berlin. System der Ökonomie aus. Selbst bei grund- Badura T., Bateman I., Agarwala M., Binner A. sätzlichen Bedenken, Natur in einem ökonomi- (2016): Valuing preferences for ecosystem- schen Kontext zu diskutieren, lassen sich über related goods and services. In: Potschin M., Zahlungsbereitschaftsanalysen Präferenzen Haines-Young R. H., Fish R., Turner R. K. bestimmter Gruppen offenlegen. Damit wird (Hg.): Routledge handbook of ecosystem keine Art, keine Landschaft und kein Men- services. London, New York, 228–242. schenleben zu einem Marktprodukt, aber es ist Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU) ein Konzept, mit dem sich darstellen lässt, wel- (2017): VNP Bestand 2017. Augsburg. che sozialen Gruppen beispielsweise welchen Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, seltenen Arten oder ÖSL einen bestimmten Landwirtschaft und Forsten (StMELF) Wert zuweisen (Elsasser 2017). Damit entsteht (2017): Bayerisches Vertragsnaturschutz- für Entscheidungsträger eine Basis, um unter- programm - Verpflichtungszeitraum 2018 - 2022 - Maßnahmenübersicht. O. O. schiedliche Interessen gegeneinander abzuwä- gen. Gerade dadurch wird der Blick eben nicht Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) (Hg.) (o. auf eine Kommerzialisierung der Natur gerich- J.): Bayerisches Vertragsnaturschutzpro- tet – es gilt lediglich eine gemeinsame Argu- gramm (VNP). https://www.stmuv.bay- mentationsbasis zu entwickeln, im Kern ein ern.de/, letzter Zugriff 31.1.2019. ganz pragmatisches Vorgehen, um die Belange Beierkuhnlein C., Jörg J. (2014): Einfluss der des Natur- und Artenschutzes zu unterstützen Biodiversität auf die ökologischen Dienst- und gleichzeitig eine Sensibilisierung bei Ent- leistungen und Güter des bayerischen Grün- scheidungsträgern zu erreichen. Am Beispiel landes. Hof. 55

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Polit-ökologische Perspektiven auf Arbeit und Umwelt Tobias Kalt Universität Kassel

In der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung und auch in der Politischen Ökologie spielte eine Beschäf- tigung mit 'Arbeit' lange Zeit kaum eine Rolle. Eine Ausnahme stellt die marxistische Umweltsoziologie dar, die schon länger das Verhältnis von Arbeit und Umwelt und deren polit-ökonomischen Determinanten the- matisiert. Dabei laufen ökomarxistische Ansätze jedoch oft Gefahr, funktionalistisch und deterministisch zu argumentieren und die Rolle von politischen Prozessen, Akteuren und diskursiven Vermittlungszusammen- hängen auszublenden. Dieser Artikel argumentiert, dass die Politische Ökologie eine hilfreiche Analyseper- spektive für die empirische Forschung zu Arbeit-Umwelt-Dynamiken bieten kann. Mit ihren Schwerpunkten auf sozial-ökologische Konflikte, Akteure, Macht sowie die materielle und diskursive Dimension gesellschaft- licher Naturverhältnisse reagiert sie auf die Schwächen ökomarxistischer Ansätze. Jedoch hat sich die Politi- sche Ökologie bisher nur in Ansätzen mit 'Arbeit' befasst. Dieser Artikel zeigt Ansatzpunkte auf, wie Fragen von Arbeit und Klasse in die Politische Ökologie integriert werden könnten und skizziert ein Forschungspro- gramm einer Politischen Ökologie der Arbeit.

Einleitung zueinander stehen, sondern dass vor allem Ar- Eine weitverbreitete Annahme in Umweltde- beiter*innen, die nicht oder nur gering ent- batten ist der vermeintliche Gegensatz zwi- lohnte, körperlich anstrengende Arbeit in ge- schen Arbeitsplätzen und Umwelt- und Klima- sundheitsschädlichen Arbeitsumgebungen tä- schutz. Die geläufige Erzählung lautet folgen- tigen, oftmals am stärksten von Umwelt- und dermaßen: Umweltpolitische Regulierungen Gesundheitsbelastungen betroffen sind und haben negative soziale Auswirkungen, ver- sich am wenigsten davor schützen können. nichten Arbeitsplätze und verlagern Umwelt- Barca untersucht Phänomene eines „working- verschmutzung unter Umständen lediglich an class environmentalism“, in dem Kämpfe für andere Orte. Sichere und gutentlohnte Arbeits- bessere Arbeitsbedingungen auf eine Reduzie- plätze in den fossilen Industrien im Globalen rung von Umweltbelastungen ausgerichtet Norden sind wiederum nur auf Kosten von Um- sind. In eine ähnliche Richtung weisen politi- weltzerstörung und Klimawandel aufrechtzu- sche Strategiedebatten um eine Neue Klassen- erhalten. Arbeitsplätze und Umweltschutz fol- politik, welche die Ähnlichkeit sozialer und gen der Logik eines Nullsummenspiels und so- ökologischer Fragen betonen und versuchen, mit heißt es, Entscheidungen zu treffen zwi- beide in einer ökologischen Klassenpolitik für schen dem Erhalt von Arbeitsplätzen oder dem eine sozial-ökologische Transformation zu- Schutz der Umwelt. In der Folge kommt es zu sammenzubringen (Röttger, Wissen 2017). Konflikten und Konfrontationen zwischen Be- Nicht zuletzt in Ansätzen einer ökologischen schäftigten und Gewerkschaften auf der einen Modernisierung und einer Green Economy Seite und Umweltaktivist*innen und Umwelt- wird das Arbeit-Umwelt-Verhältnis nicht als NGOs auf der anderen Seite. ein zwangsweise konfliktreiches gedeutet, son- dern die Vereinbarkeit von Wirtschaftswachs- Eine andere, weniger geläufige Erzählung tum, Arbeitsplätzen und Umweltschutz unter stammt von der Umwelthistorikerin Stefania dem Paradigma des grünen Wachstums und Barca (2012). Sie weist darauf hin, dass Arbeit grüner Jobs betont. In diesem Kontext widmet und Umwelt nicht zwangsläufig im Gegensatz sich das Feld der Environmental Labor Studies der Art und Weise wie Umweltbelange Einzug 59 in gewerkschaftliche Agenden erhalten und tum mit immer schnelleren Produkt- und Kon- wie Forderungen nach sozialgerechten Über- sumzyklen, die in immer größerem Maße die gängen (engl. Just Transitions) von fossilen zu natürlichen Lebensgrundlagen zerstören. grünen Industrien artikuliert werden (Räthzel, Schnaiberg (1980) argumentiert, dass Arbei- Uzzell 2012). ter*innen an die Tretmühle gebunden sind, da sie auf Wirtschaftswachstum angewiesen sind, Diese unterschiedlichen Perspektiven auf Ar- damit Jobs und materieller Wohlstand entste- beit und Umwelt deuten auf die Notwendigkeit hen und ihre Reproduktionsfähigkeit erhalten einer näheren theoretischen Bestimmung des wird. Um ihre (vermeintlichen) materiellen In- Arbeit-Umwelt-Verhältnisses hin. Obgleich in teressen zu schützen, gehen sie häufig Allian- den vergangenen Jahren ein neuerliches Inte- zen mit Staat und Kapital und gegen Umwelt- resse an Arbeit in der sozialwissenschaftlichen bewegungen ein. Umweltforschung entstanden ist, steht eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Ar- Eine ähnliche Argumentation verfolgt James beit-Umwelt-Verhältnis nicht im Mittelpunkt. O'Connor (1988), der im Kapitalismus einen Auch in den umweltsoziologischen Debatten inhärenten ökologischen Widerspruch diag- seit den 1970er Jahren spielte die Beschäfti- nostiziert. Die kapitalistische Akkumulation gung mit Arbeit eine untergeordnete Rolle. führe zu Umweltzerstörungen, die wiederum Eine Ausnahme sind marxistische Strömungen die auf funktionierende Ökosysteme angewie- innerhalb der Umweltsoziologie, welche die senen Produktionsbedingungen des Kapitalis- Theoretisierung des Arbeit-Umwelt-Verhält- mus untergraben. Einerseits führe dies zu fal- nisses zu einem zentralen Forschungsgegen- lenden Profitraten und ökonomischen Krisen – stand machten. Nach einer kurzen Darstellung bis hin zu einer mutmaßlichen Krise des Kapi- der ökomarxistischen Debatte über Arbeit und talismus, der an seine natürlichen Grenzen ihrer Stärken und Schwächen wird im Folgen- stößt (siehe auch Altvater 2005; Mahnkopf den für die Politische Ökologie als Analyseper- 2014). Andererseits sind es die kapitalistisch spektive argumentiert, die an zentrale Er- induzierten ökologischen Krisen, die ihre eige- kenntnisse der ökomarxistischen Debatte an- nen systemkritischen Umweltbewegungen zuknüpfen und dabei die Schwächen ökomar- hervorbringen. O'Connor argumentiert hier xistischer Ansätze zu überwinden vermag. Da- analog zu Karl Polanyis (1944/2001) Diagnose von ausgehend wird ein Forschungsprogramm der Entstehung von breiten gesellschaftlichen einer Politischen Ökologie der Arbeit für die Gegenbewegungen als Reaktion auf die globale empirische Analyse von Arbeit-Umwelt-Dyna- Vermarktlichung. In zunehmend krisenhaften miken skizziert. Ziel dieses Artikels ist es, An- Zeiten attestieren O'Connor und andere Öko- knüpfungspunkte und Erweiterungsmöglich- marxist*innen (Bond 2012; Satgar 2018) die keiten für Auseinandersetzungen mit dem Ge- Möglichkeit der Zusammenführung von Ge- genstandbereich 'Arbeit' in der Politischen werkschafts- und Umweltbewegungen, die sich Ökologie aufzuzeigen. gemeinsam gegen die kapitalistische Ausbeu- tung und Entfremdung von Arbeit und Natur Marxistische Umweltsoziologie richten. Ein zentrales Theorem früher ökomarxisti- scher Debatten ist die Treadmill of Production Während Schnaibergs Tretmühlen-These eine von Allan Schnaiberg (1980). Die Tretmühle Erklärung dafür bietet, warum Konflikte zwi- der kapitalistischen Produktion hat einen ein- schen Arbeit und Umwelt so persistent sind, gebauten Zwang zu wirtschaftlichem Wachs- betont O'Connor im Gegensatz dazu das Koope- rationspotential zwischen Arbeit und Umwelt 60 mit einem gemeinsamen ökosozialistischen gie ist dabei der Kontext, in dem Konfliktak- Horizont. Beide Analysen bleiben jedoch letzt- teure handeln (Dietz, Engels 2018). Der fossile endlich zu funktionalistisch und ökonomis- Kapitalismus führt nicht zu einer einheitlichen tisch. Für Schnaiberg scheint die Allianz zwi- polanyischen Gegenbewegung, sondern es sind schen Arbeit, Kapital und Staat beinahe unaus- eine Vielzahl an kontextspezifischen Faktoren, weichlich solange die Tretmühlen-Logik intakt welche die Entstehung und den Verlauf von bleibt (siehe auch Gould et al. 2004:309-310), Konflikten beeinflussen. Erst durch eine kon- während bei O'Connor alte wie neue soziale textualisierte Analyse, wie dies die Politische Bewegungen im Grunde Ableitungen gesell- Ökologie macht, kommen die ökonomischen, schaftlicher Widersprüche und Krisen sind. Es ökologischen, politischen und kulturellen wird eine fast schon notwendige Interessen- Strukturen, Prozesse und Faktoren in den kongruenz von Umwelt- und Arbeiter*innen- Blick, die den Akteurskonstellationen und den bewegung als natürliche Verbündete postu- Arbeit-Umwelt-Verhältnissen unterliegen. liert, die nicht der beobachtbaren Realität ent- spricht. Des Weiteren ist eine Beschäftigung mit Fragen von Macht und Politik für die Politische Ökolo- Politische Ökologie als Analyseper- gie konstitutiv. Dies unterscheidet sie von öko- spektive marxistischen Herangehensweisen der oftmals Die Politische Ökologie kann an die Schwächen funktionalistischen Herleitung sozialer Phäno- ökomarxistischer Ansätze anknüpfen und eine mene. Aus kapitalistischer Expansion und öko- vielversprechende Perspektive für die Analyse nomischen Widersprüchen folgt nichts auto- von Dynamiken zwischen Arbeit und Umwelt matisch, sondern die jeweiligen kontextspezifi- bieten. Ein Leitgedanke der Politischen Ökolo- schen Macht- und Herrschaftsverhältnisse und gie ist die Abgrenzung zu dualistischen Natur- die politischen Konflikte und Kämpfe um die verständnissen, in denen Natur und Gesell- Gestaltung der gesellschaftlichen Naturver- schaft in der Moderne als voneinander ge- hältnisse sind zentral. Damit kommen auch die trennte Sphären begriffen werden. Stattdessen Akteure und ihre Handlungs- und Gestaltungs- wird Natur nicht außerhalb der Gesellschaft fähigkeit in Bezug auf gesellschaftliche Natur- verortet, sondern Gesellschaft und Natur wer- verhältnisse in den Blick, die in ökonomisti- den als immer schon konstitutiv miteinander schen Analysen fehlen und zentraler Analyse- verwobene Beziehungsgeflechte verstanden. gegenstand einer akteurszentrierten Politi- Die Politische Ökologie untersucht gesell- schen Ökologie sind (Bryant, Bailey 1997). schaftliche Naturverhältnisse (Görg 2003), d.h. die Art und Weise, wie Gesellschaften in unter- Schließlich werden strukturelle Veränderun- schiedlichen Kontexten die Aneignung von Na- gen und Krisen wahrgenommen, gedeutet und tur organisieren. Dabei betont die Politische in größere Zusammenhänge gestellt. Während Ökologie analog zu ökomarxistischen Ansätzen diskursive Vermittlungszusammenhänge im die Rolle von materiellen Veränderungen, aber Ökomarxismus kaum Beachtung finden, hat die nicht als abstrakte, systemische Widersprüche Politische Ökologie seit dem Cultural Turn den oder Grenzen, sondern als räumlich und zeit- Anspruch, die materielle Dimension sozial- lich unterschiedliche Ausprägungen kapitalis- ökologischer Konflikte mit der diskursiven Di- tischer gesellschaftlicher Naturverhältnisse, mension zu vermitteln. In den Worten von Ar- die sozial-ökologische Krisen und Konflikte turo Escobar (1996:326): „there cannot be a hervorrufen (Dietz, Wissen 2009). Ein zentra- materialist analysis which is not at the same ler Analysegegenstand der Politischen Ökolo- time a discursive analysis.“

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Die Politische Ökologie bietet damit eine Per- dete Beziehungen zwischen Arbeit und Um- spektive, die das Verhältnis zwischen Arbeit welt entstehen (Foster 2000). Arbeit nimmt so- und Umwelt kontextualisieren, die relevanten mit auch einen zentralen Stellenwert für Fra- Akteure und ihr Handeln fokussieren wie auch gen sozial-ökologischer Transformation ein. die materiellen und diskursiven Dimensionen Für die Politische Ökologie sollten bei der Ana- der Konflikte in den Blick nehmen kann. Wäh- lyse gesellschaftlicher Naturverhältnisse daher rend die Politische Ökologie Umweltkonflikte Arbeit-Umwelt-Verhältnisse zentral sein, ohne und Naturverhältnisse zum zentralen Analyse- jedoch in die anthropozentrische Falle zu tap- gegenstand macht, ist eine Beschäftigung mit pen und die Nichtidentität von Natur und die Arbeitsverhältnissen, Arbeitskämpfen und or- Ko-Produktion von gesellschaftlichen Natur- ganisierter Arbeit randständig (Pye 2017). Um verhältnissen durch nicht-menschliche Natur eine polit-ökologische Analyse von Arbeit-Um- zu ignorieren (vgl. Bennett 2009). welt-Verhältnissen zu ermöglichen, sollen im Folgenden die Kategorien Klasse und Arbeit in- Ein zweiter Punkt ist eine klassentheoretische tegriert und in Anlehnung an Stefania Barca Perspektive, die sozial-ökologische Konflikte (2012) Grundzüge einer Politischen Ökologie als Klassenkonflikte begreift. Klasse ist hier ei- der Arbeit skizziert werden. nerseits verstanden als ökonomisches Abhän- gigkeitsverhältnis und andererseits als sozia- Politische Ökologie der Arbeit les Ungleichheitsverhältnis. In Anlehnung an Eine Politische Ökologie der Arbeit zur Analyse einen dichotomen marx'schen Klassenbegriff von Arbeit-Umwelt-Dynamiken umfasst Ele- geraten die Positionen sozialer Gruppen im mente aus ökomarxistischen und ökofeministi- Produktionsprozess und das Verhältnis von schen Debatten (Barca 2012, 2014, 2015). Ers- Lohnarbeit und Kapital in den Blick. Das Ver- tens bedeutet dies die zentrale Rolle von Arbeit hältnis von Arbeit und Umwelt kann somit im bei der Gestaltung gesellschaftlicher Naturver- Kontext von Abhängigkeitsverhältnissen von hältnisse ernst zu nehmen. Im Anschluss an Arbeitnehmer*innen analysiert werden, die Karl Marx ist Arbeit das zentrale Moment, das auf Lohnarbeit in umweltschädlichen Indust- den gesellschaftlichen Stoffwechsel zwischen rien angewiesen sind, um ihren Lebensunter- Mensch und Natur gestaltet: „Die Arbeit ist zu- halt zu verdienen. Unter Androhung des Ver- nächst ein Prozess zwischen Mensch und Na- lusts von Arbeitsplätzen aufgrund von umwelt- tur, ein Prozess, worin der Mensch seinen politischen Maßnahmen versuchen Herr- Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene schaftsstrategien des „job blackmail“ (Kazis, Tat vermittelt, regelt und kontrolliert“ (Marx Grossmann 1982) Klassenantagonismen zwi- 1871/1968:192). Jeder Gesellschaft unterliegt schen Lohnarbeit und Kapital zu überbrücken, notwendigerweise ein Stoffwechsel mit der indem die Interessen von Beschäftigten in um- Natur, während die jeweilige Gestaltung des weltschädlichen Industrien an Kapitalinteres- gesellschaftlichen Stoffwechsels sich jedoch sen und die Tretmühle der Produktion gekop- über die historischen Epochen gewandelt hat. pelt und somit ein Gegensatz zwischen Arbeit Während Arbeit in kapitalistischen Gesell- und Umweltschutz erzeugt wird. schaften strukturell mit Naturzerstörung ein- hergeht und zu einem Bruch im Stoffwechsel Indem der Klassenbegriff jedoch von einer ein- und ökologischen Krisen führt (Foster et al. seitigen Fokussierung auf das Lohnarbeitsver- 2011), betonte Marx die Möglichkeit, den ge- hältnis gelöst wird, kommen auch die den so- sellschaftlichen Stoffwechsel so zu gestalten, zial-ökologischen Konflikten unterliegenden dass nicht-ausbeuterische und nicht-entfrem- ungleichen Verteilungen von Verantwortlich-

62 keiten, Betroffenheiten und Anpassungsmög- schaftlichen Interessenvertretungen und klas- lichkeiten entlang von sozialen Klassen in den senbasierte Bewegungen als Akteure in sozial- Blick. Raymond Murphy (1994) schlägt den Be- ökologischen Konflikten in den Blick zu neh- griff der „environmental classes“ vor, um damit men. Dabei können sie für die Schaffung oder die Stellung von sozialen Gruppen in Bezug auf den Erhalt von Arbeitsplätzen in industriellen die Verteilung der Kosten und Nutzen von Um- und extraktivistischen Großprojekten eintre- weltveränderungen zu beschreiben. Die ökolo- ten. Sie können aber auch zu den zentralen Pro- gische Krise trifft vor allem diejenigen am testakteuren gegen industrielle Umweltzerstö- stärksten, die nicht genügend Ressourcen ha- rung gehören und als genuine Umweltbewe- ben, um sich gegen die Folgen von Umweltver- gung im Sinne eines „working-class environ- änderungen zu schützen oder sich daran anzu- mentalism“ (Barca 2012) in Erscheinung tre- passen. Diese klassenspezifischen Auswirkun- ten, in dem Kämpfe um bessere Arbeits- und gen der ökologischen Krise sind dabei immer Lebensbedingungen mit dem Schutz der natür- schon mit patriarchalen, rassistischen und lichen Umwelt einhergehen. Eine Politische post- bzw. neo-kolonialen Ungleichheitsver- Ökologie der Arbeit müsste sich dann vermehrt hältnissen verschränkt. Dies zeigte sich bei- auch (industriellen) Arbeitsumgebungen und spielsweise bei Hurricane Katrina in den USA, sich den am Arbeitsplatz entstehenden Ge- der afro-amerikanische Working-Class Com- sundheits- und Umweltfolgen und deren Politi- munities - und dort vor allem Frauen - am sierung durch Arbeiter*innen widmen (Barca, stärksten traf, die nicht mobil genug waren, um Bridge 2015). Das bedeutet außerdem, die sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen und Möglichkeit einzuräumen, dass organisierte denen die finanziellen Ressourcen zum Wie- Arbeit zu einem Subjekt der sozial-ökologi- deraufbau fehlten (Squires, Hartman 2013). schen Transformation werden kann. Die tat- Daher muss eine Klassenanalyse immer auch sächliche Rolle, die organisierte Arbeit in so- eine intersektionale Analyse der Verschrän- zial-ökologischen Konflikten einnimmt, lässt kung verschiedener sozialer Ungleichheits- sich jedoch nicht a priori bestimmen und ist ein und Diskriminierungsstrukturen sein (Kaijser, empirisch zu ermittelnder Sachverhalt. Insbe- Kronsell 2014). Beide Klassenkategorien sind sondere die unterschiedlichen Ansätze einer je nach Kontext unterschiedlich miteinander Just Transition, die derzeit innerhalb von Ge- verschränkt. Während die globalen Working werkschaften diskutiert werden, könnten im Poor aufgrund von Mehrfachdiskriminierun- Hinblick auf ihren sozial-ökologischen Gehalt gen sowohl in schlecht entlohnten und gesund- näher untersucht werden (vgl. Goods 2013; heitsschädlichen Arbeitsverhältnissen aus- Stevis, Felli 2015). kommen müssen wie auch am stärksten die Kosten von Umweltzerstörung tragen, sind die Da die Positionierung von organisierter Arbeit mehrheitlich weißen, männlichen Industriear- in sozial-ökologischen Konflikten meist nicht beiter im Globalen Norden zwar auch von Ar- einheitlich ist, braucht es, viertens, die Öffnung beitsplatzverlust im Zuge der Abwicklung fos- der Blackbox Arbeit und einen differenzierten siler Industrien betroffen, aber sie sind auch Blick auf verschiedene Gruppen von Arbei- weniger stark von Klimawandel betroffen und ter*innen und Angestellten und ihre verschie- in einer besseren sozio-ökonomischen Lage, denen Interessen, Visionen und Handlungs- um sich anzupassen. strategien. Diese Vielfalt an Akteuren und Ar- beit-Umwelt-Beziehungen sollte eine polit- Drittens bedeutet eine Politische Ökologie der ökologische Perspektive nicht voluntaristisch Arbeit, Arbeitnehmer*innen, ihre gewerk- erklären, sondern vor dem Hintergrund von unterschiedlichen sozialen Positionierungen 63 entlang von Klasse, Race und Gender sowie im kömmliche, demokratische und selbstbe- Kontext von räumlich und zeitlich verschiede- stimmte Arbeit zentral ist für die Umgestaltung nen ökonomischen, ökologischen, politischen der kapitalistischen Produktionsweise hin zu und kulturellen Entwicklungen begreifen. sozial gerechten, ökologisch nachhaltigen und demokratischen Lebens- und Produktionswei- Anknüpfend an ökofeministische Debatten sen. Ergänzend könnten konkrete Ansatz- (Bauhardt, Harcourt 2018; Mies 2014; Salleh punkte, Strategien und Pfade der Transforma- 2017) ist, fünftens, ein weiter Arbeitsbegriff tion von Arbeit-Umwelt-Verhältnissen unter- zweckdienlich, der Arbeit nicht verengt auf die sucht werden sowie die Bedingungen und Mög- sogenannte produktive, sichtbare und ent- lichkeiten für Allianzen zwischen (progressi- lohnte Arbeit. Analog zu dem weiter oben ver- ven) Gewerkschaften und Arbeiter*innenbe- wendeten weiten Klassenbegriff weist auch ein wegungen auf der einen und Umwelt- und weiter Arbeitsbegriff über Lohnarbeitsverhält- Klimabewegungen auf der anderen Seite. nisse hinaus und umfasst reproduktive und oft- mals unsichtbare und gering oder unentlohnte Letztendlich erfordert dies, achtens, eine Aus- Formen der Arbeit. Gerade die Sichtbarma- einandersetzung mit den methodischen und chung und Aufwertung reproduktiver Arbeit forschungsethischen Herausforderungen des bzw. Care-Arbeit und deren geschlechterge- Zusammenarbeitens von polit-ökologischen rechte Verteilung sollten für die Transforma- Forscher*innen mit denjenigen Teilen der Ge- tion hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft ei- werkschaften und Arbeiter*innenbewegun- nen zentralen Stellenwert einnehmen. gen, die offen für sozial-ökologische Fragen sind. Diese sollten dabei nicht zu passiven For- Sechstens zeichnet die Politische Ökologie ein schungsobjekten gemacht werden, sondern ge- normatives Interesse an sozial-ökologischer meinsam mit den Forscher*innen gestalterisch Gerechtigkeit und der Überwindung von Herr- an Forschungsvorhaben mitwirken und Debat- schafts-, Unterdrückungs- und Ausbeutungs- ten über sozial-ökologische Arbeit und sozial- verhältnissen aus (Robbins 2011). Bridge et al. ökologische Transformations- und Transiti- (2015:8) betonen, die Politische Ökologie habe onsstrategien führen (Brand, Niedermoser schon immer ihr Augenmerk gelegt auf „the 2017). struggles, interests, and plight of marginalized populations: peasants, indigenous peoples, Fazit ethnic and religious minorities, women, the Nicht zuletzt die hitzigen Debatten und hefti- poor.“ Eine normative Politische Ökologie der gen Konflikte um den Kohleausstieg und Struk- Arbeit würde zu dieser Aufzählung ausgebeu- turwandel in Deutschland haben ein breiteres tete und entfremdete Lohnabhängige und Interesse am Verhältnis von Arbeit und Um- Care-Arbeiter*innen hinzufügen. Eine Politi- welt hervorgerufen. Vermehrt beschäftigen sche Ökologie der Arbeit beinhaltet somit eine sich sozialwissenschaftliche Umweltfor- explizite normative und politische Positionie- scher*innen mit Gewerkschaften, sozial-ökolo- rung gegen Ausbeutung und Entfremdung von gischer Arbeit und Just Transition (e.g. Brand, Arbeit und Natur und für die Demokratisierung Niedermoser 2017; Flemming 2018; Stevis, von Arbeits- und Naturverhältnissen. Felli 2015; Stevis et al. 2018), jedoch wird da- bei häufig das Arbeit-Umwelt-Verhältnis theo- Das bedeutet, siebtens, Visionen einer sozial- retisch nicht näher bestimmt. Dieser Artikel ökologischen Transformation bzw. einer Just unternimmt eine theoretische Bestimmung des Transition weiterzuentwickeln, in denen aus- Verhältnisses von Arbeit und Umwelt und ar- gumentiert für die Politische Ökologie als eine 64 vielversprechende Perspektive, die sowohl Bauhardt C., Harcourt W. (2018): Feminist Po- materielle als auch diskursive Aspekte sowie litical Ecology and the Economics of Care: In die Rolle von Akteuren und Fragen von Macht Search of Economic Alternatives. New York: Routledge. und Herrschaft bei der Gestaltung gesellschaft- licher Naturverhältnisse betont. Bennett J. (2009): Vibrant Matter: A Political Ecology of Things. Durham: Duke Univer- Die Politische Ökologie hat jedoch eine Be- sity Press. schäftigung mit Arbeit lange vernachlässigt. Bond P. (2012): Politics of Climate Justice: Pa- Eine Politische Ökologie der Arbeit, wie sie hier ralysis Above, Movement Below. Scottsville: als Forschungsprogramm skizziert wird, bietet University of KwaZulu-Natal Press. ein Instrumentarium, das Arbeit als zentrale Brand U., Niedermoser K. (2017): Gewerk- Schnittstelle zwischen Mensch und Natur in schaften und die Gestaltung einer sozial- den Mittelpunkt polit-ökologischer Analysen ökologischen Gesellschaft. Wien: ÖGB Ver- lag. rückt, den Klassencharakter ökologischer Fra- gen herausstellt, Arbeitskämpfe - sowohl in Bridge G., McCarthy J., Perreault T. (2015): Ed- Lohnarbeitsverhältnissen wie auch in der Re- itor's Introduction. In: Routledge Handbook of Political Ecology. New York: Routledge, 3- produktionssphäre - fokussiert und die Rolle 18. von Arbeit für die sozial-ökologische Transfor- Bryant R. L., Bailey S. (1997): Third World Po- mation in den Blick nimmt. litical Ecology. London: Routledge. Dietz K., Engels B. (2018): Field of Conflict: Ein relationaler Ansatz zur Analyse von Kon- Literaturverzeichnis flikten um Land. GLOCON Working Paper, Nr. 1, Berlin: GLOCON. Altvater E. (2005): Das Ende des Kapitalismus, Dietz K., Wissen M. (2009): Kapitalismus und wie wir ihn kennen: eine radikale Kapitalis- „natürliche Grenzen“. Eine kritische Diskus- muskritik. Münster: Westfälisches sion ökomarxistischer Zugänge zur ökologi- Dampfboot. schen Krise. In: Prokla 159, 351–370. Barca S. 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Politische Ökologie am Riedberger Horn Andreas Benz und Niklas Völkening Universität Augsburg

Einleitung Beitrag wollen wir uns mit diesem Konflikt und seiner Dynamik beschäftigen und ihn einer Das Riedberger Horn, ein Berg in der Hörner- Analyse aus politisch-ökologischer Perspektive gruppe der Allgäuer Alpen, hat in den vergan- unterziehen. genen Jahren einen merklichen Bekanntheits- zugewinn innerhalb Bayerns und darüber hin- Konfliktgegenstand aus in ganz Deutschland erfahren, so dass es Das Riedberger Horn ist der höchste Gipfel der manche gar als den „derzeit berühmtesten Hörnergruppe, die einen Teil der Flysch-Alpen Berg Deutschlands“ (Job et al. 2017:74) be- des Oberallgäus im äußersten Südwesten Bay- zeichnen. Zwischen 2014 und 2018 war das erns bilden. Die nächstgelegenen größeren Riedberger Horn medial fast dauerpräsent: In Orte sind Oberstdorf und (Abb. 1). regionalen Zeitungen und in überregionalen Leitmedien wie der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Berliner taz, der Frankfurter Rundschau, der Welt und weiteren wurde ausführlich über den Berg be- richtet. Zudem nahmen sich mehrere TV-Re- portagen und Dokumentationen dem Riedber- ger Horn an. Doch wie kam es dazu? Weshalb erlangte dieser Gipfel im Oberallgäu, der mit ei- ner Höhe von 1787 m aus alpinsportlicher und touristischer Perspektive eine eher unterge- ordnete Rolle spielt, eine derartige Aufmerk- samkeit und Berühmtheit? Das Riedberger Horn wurde zum Kristallisati- Abb. 1: Alpenplanzonierung und Schutzge- onspunkt und Zentrum eines Konflikts, der sich biete im Oberallgäu Quelle: Job et al. (2014:337). zunächst zwischen Akteur*innen der lokalen Tourismuswirtschaft und Naturschützern ab- spielte, ausgelöst durch kommunale Pläne zur Erweiterung eines lokalen Skigebiets und der Das Gebiet des Riedberger Horns liegt in den dazugehörigen Liftanlagen. Der Konflikt blieb Gemarkungen der Gemeinden nicht lange lokal begrenzt, sondern wurde lan- und . Diese Kommunen neh- des- und bundesweit zum Symbol für den Kon- men im Verlauf des Konfliktes am Riedberger flikt zwischen Naturschutz und (v.a. winter-) Horn zentrale Rollen ein, da sie für die Aufstel- touristischer Erschließung der Alpen und er- lung der Flächennutzungs- und Bebauungs- hielt damit grundsätzliche Bedeutung. So pläne am Riedberger Horn zuständig sind. Ver- schrieb etwa die Allgäuer Zeitung im Juli 2015: schiedene Teile des Riedberger Horns liegen „Inzwischen steht das Riedberger-Horn-Pro- hierbei aus naturschutzrechtlicher Perspektive jekt exemplarisch für den Streit der verschie- in unterschiedlichen Arten von Schutzgebieten. denen Interessengruppen über den Umgang Zu nennen ist primär der Alpenplan, der Teil mit Natur und Landschaft, über den Sinn des der Internationalen Alpenkonvention ist und Skitourismus in den Alpen, über die Zukunft der drei unterschiedliche Schutzkategorien un- des Wintersports angesichts der globalen Er- terscheidet: A, B und C. Zu Beginn des Konflikts wärmung" (Munkler 2015). Im vorliegenden 67 am Riedberger Horn waren weite Teile des Gip- ben wurden. Die beiden kleinen Skigebiete soll- felbereichs als Teil der Schutzzone C ausgewie- ten über einen sog. „Liftverbund“ miteinander sen, die die strengsten Schutzvorgaben vor- so verbunden werden, dass durch neue Lifte sieht. Andere Bereiche fielen in Zone B. Wäh- und Pisten Skifahrer*innen beide Skigebiete rend in dieser Zone die Möglichkeit einer infra- nutzen können und der bisher notwendige strukturellen Erschließung und Bebauung un- Transfer mit Auto oder Bus entfällt. Geplant ter sehr strengen Auflagen zumindest einge- war der Bau eines neuen Gondel-Lifts mit einer räumt wird, schließt Zone C jegliche infrastruk- Trassenlänge von 1,55 Kilometer. Die neue turelle Erschließung (außer Forst- und Alm- Bergstation sollte sich ca. 400 m vom Gipfel des wege) und Bebauung aus. Große Teile des Riedberger Horns entfernt und etwa 100 Hö- Riedberger Horns stehen zudem unter dem henmeter unterhalb desselben befinden. Ge- strengen Schutz der EU-Flora-Fauna-Habitat plant war darüber hinaus die Anlage einer (FFH)-Richtlinie und der EU-Vogelschutzricht- neuen, 3,3 Kilometer langen und zwischen 15 linie und damit unter strengem Naturschutz. und 50 m breiten Verbindungspiste in Rich- Darüber hinaus ist das gesamte Riedberger tung Balderschwang. Weitere Baumaßnahmen Horn als Landschaftsschutzgebiet deklariert sahen die Errichtung eines Speicherbeckens und zudem Teil des Naturparks Nagelfluhkette. für die künstliche Beschneiung und die Verla- gerung eines bestehenden Lifts vor. Die veran- Ungeachtet dieses hohen umweltrechtlichen schlagten Baukosten lagen bei 12 Mio. Euro Schutz-Status am Riedberger Horn bestehen (Meyer, Sebald 2016). bereits seit den 1960er Jahren zwei vergleichs- weise kleine Skigebiete mit entsprechenden Der eigentliche Konflikt entzündete sich daran, Liftanlagen am Riedberger Horn (Abb. 2). Das dass sich Teile der geplanten neuen Piste und Skigebiet Grasgehren (Gemeinde Obermaisel- der Liftanlagen in der Alpenschutzzone C befin- stein) liegt in einem Talkessel oberhalb von den sollten. Je nach Planvariante (gelbe bzw. 1440 m, gilt als relativ schneesicher und ist rote Signaturen in Abb. 2) wäre ein Gebiet von Bundesstützpunkt für Ski- und Snowboard- 80-150 ha in der Zone C des Alpenplans betrof- Cross. Es umfasst derzeit knapp 11 Kilometer fen gewesen. Das Liftprojekt sollte durch, nach Pisten, 5 Sessel- bzw. Schlepp-Lifte und ein Ansicht der Projektgegner, ökologisch hoch- Wirtshaus. In der Hochsaison kommen bis zu sensible Bereiche führen (BN 2014). Das be- 2000 Skifahrer*innen täglich in das Skigebiet plante Gebiet in den Alpenplan-Zonen B und C (Schophoff 2016). Das Skigebiet Riedberger ist unter anderem Lebensraum für die natur- Horn bei Balderschwang umfasst 5 Pistenkilo- schutzrechtlich geschützten Birkhühner. Das meter und 4 Lifte (darunter eine 2er-Sessel- Riedberger Horn beheimatet dabei die größte bahn). Die Pisten liegen in einer Höhe von Birkwildpopulation des Allgäus, die nach Anga- 1200-1300 m. In Balderschwang gibt es zudem ben des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) auf der südlichen Talseite am Schwarzenberg ca. 40-50 Birkhähne umfasst (Wert, Kraft ein größeres Skigebiet mit etwa 25 Kilometern 2015). Dieser Lebensraum für Birkhühner ist Pistenlänge und 7 Liften. Zusammen kommen besonders wertvoll, da es sich sowohl um ein die beiden Skigebiete am Riedberger Horn der- Brutgebiet , als auch um ein sog. „Quellgebiet“ zeit auf 16 Kilometer Piste und 9 Skilifte. Um handelt, in dem mehr Birkhühner aufwachsen zwischen den Skigebieten zu wechseln, sind als später im Gebiet leben und von dem aus sich derzeit etwa 10 Minuten Fahrt mit dem Auto die Population in angrenzende Gebiete aus- bzw. Bus auf der Riedbergpass-Straße erfor- breitet. Das Birkhuhn gilt gemäß der „Roten derlich. Liste“ von IUCN als in Bayern und Deutschland vom Aussterben bedroht (Kategorie 1). Neben Der Konflikt am Riedberger Horn basiert auf dem Birkwild bietet das Riedberger Horn Le- umstrittenen Ausbauplänen für neue Liftanla- bensräume für seltene Arten wie den Alpensa- gen, die von den Gemeinden Balderschwang lamander, den Raufußkauz und die seltene und Obermaiselstein initiiert und vorangetrie- Waldbirkenmaus, die im August 2018 nach fast

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40 Jahren zum ersten Mal wieder in diesem Ge- konzipierte Akteurs-Analyse angewandt. Die biet nachgewiesen wurde (LBV 2018). Analyse des Konflikts sowie die Akteurs-Ana- lyse erfolgten im Rahmen eines Projektkurses

mit Bachelor-Studierenden der Geographie, der im Sommersemester 2018 an der Universi- tät Augsburg durchgeführt wurde. Zunächst er- folgten die Recherche und Auswertung von In- formationen über den Konflikt, die Medienbe- richte, NGO-Berichte, Dokumente kommunaler und staatlicher Institutionen sowie wissen- schaftliche Publikationen einbezog. Auf dieser Basis wurden fünf zentrale Akteurs- gruppen im Konflikt identifiziert: die Kommu- nen Balderschwang und Obermaiselstein, die übergeordneten Gebietskörperschaften (v.a. Landkreis- und Landesebene), Vertreter*innen der Tourismuswirtschaft sowie Umweltschutz- verbände und andere zivilgesellschaftliche Or- Abb.2: Bestehende Pisten und Liftanlagen ganisationen. Die in die Analyse einbezogenen und Erschließungspläne am Riedberger empirischen Daten wurden im Rahmen von Horn Ortsterminen und Interviews mit zahlreichen Quelle: Job et al. 2013:234, verändert. der identifizierten Schlüsselakteur*innen ge- wonnen. Unter diesen waren unter anderem der Landrat des Landkreises Oberallgäu Anton Theoretisch-konzeptioneller Rahmen Klotz, die ehemalige Staatsministerin für Um- und Methodik welt und Verbraucherschutz, Ulrike Scharf, die Die sich um das Riedberger Horn entsponnene Bürgermeister der beiden Gemeinden und wei- Auseinandersetzung stellt ein Paradebeispiel tere Gemeinderatsmitglieder, Vertreter*innen für einen politisch-ökologischen Konflikt dar, der wichtigsten Naturschutzverbände (u.a. bei dem unterschiedliche Akteur*innen auf Deutscher Alpenverein DAV, LBV und Bund Na- verschiedenen Skalenebenen unterschiedliche turschutz in Bayern BN), Vertreter*innen der Interessen auf eine politisierte Umwelt(res- zivilgesellschaftlichen Organisation „Freun- source) richten. In diesem Beitrag wollen wir deskreis Riedberger Horn“, Hoteliers und Gast- den Konflikt am Riedberger Horn einer poli- wirt*innen in den Gemeinden, Vertreter*innen tisch-ökologischen Analyse unterziehen. Wir von Tourismus-Gesellschaften, Vertretern des orientieren uns dabei am polit-ökologischen Kreis-Jagdverbandes, Vertreterinnen des Na- Modell, wie es z.B. bei Schmidt (2013) skizziert turparks Nagelfluhkette sowie Experten für wurde, und fragen nach den zentralen Ak- das Bayerische Planungsrecht. teur*innen auf unterschiedlichen Skalenebe- Genese, Dynamik und Analyse des Kon- nen, deren Interessen, den beteiligten Instituti- flikts am Riedberger Horn onen und Prozessen (z.B. in Form des Alpen- plans, formaler Raumplanungsprozesse, etc.) Die touristische Erschließung am Riedberger und zeichnen nach, auf welche Arten und Wei- Horn begann mit dem Bau der Passstraße über sen Umwelt politisiert und diskursiv konstru- den Riedbergpass im Jahr 1961, dem bis heute iert wurde. höchstgelegenen befahrbaren Alpenpass Deutschlands. Balderschwang war damit erst- Wir konzentrieren uns dabei vor allem auf die mals direkt von Deutschland aus mit dem Auto Rolle der zentralen Akteur*innen in der Kon- erreichbar; zuvor gab es nur von der österrei- fliktgenese und -dynamik. Hierfür wurde eine chischen Talseite eine Zufahrtsstraße. Ein Jahr in Anlehnung an Hübner-Schmidt et al. (2003) 69 nach Fertigstellung der Passstraße wurde Kommunen erneut für den Verbindungslift und 1962 die Liftgesellschaft Balderschwang ge- die dazugehörigen Skipisten am Riedberger gründet, erste Liftanlagen errichtet und Pisten Horn ein. Der von den Gemeinden zur Geneh- in den Skigebieten Grasgehren und Riedberger migung vorgelegte Projektentwurf (vgl. Abb. 2, Horn ausgewiesen. Bereits zum Ende der gelbe Signaturen) wurde jedoch 2009 vom 1960er Jahre entwickelten die Liftbetrei- Bayerischen Umweltministerium zurückge- ber*innen der beiden Skigebiete Planungen für wiesen, da er gegen die Schutzvorgaben des Al- einen Lift zur Verbindung beider Skigebiete. penplans verstieß. Die bereits damals kontrovers diskutierten Im Jahr 2011 entwickeln die Gemeinden einen Pläne wurden jedoch mit dem Inkrafttreten des modifizierten Projektentwurf (vgl. Abb. 2, rote Bayerischen Alpenplans im Jahr 1972 obsolet. Signaturen), bei dem die betroffene Fläche der Der Alpenplan definiert seitdem drei Zonen, Schutzzone C des Alpenplans deutlich redu- die die ihnen zugewiesenen Gebiete der Baye- ziert wurde (Job et al. 2014). Auf Basis dieses rischen Alpen unter unterschiedlich strengen modifizierten Projektentwurfs beschlossen die Schutz stellen (Goppel 2012, 2018). In der Zone Gemeinden Balderschwang und Obermaisel- A (der sog. Erschließungszone), die 34% der stein im Jahr 2014 eine Änderung ihres Flä- Fläche der Bayerischen Alpen umfasst, sind chennutzungsplans (FNP), um Baurecht für die Bau- und Infrastrukturmaßnahmen sowie Neu- Realisierung des Verbundliftprojekts zu schaf- erschließungen grundsätzlich möglich. In Zone fen. Dieses Vorgehen war planungsrechtlich in- B (der sog. Pufferzone), die 23% der Fläche des sofern problematisch, als die Änderung der Alpenplans umfassen, sind zukünftige Erschlie- FNPs durch die Gemeinden in Widerspruch zu ßungen nur im Einzelfall und nach eingehender den übergeordneten Zielen der Raumordnung Prüfung möglich. Zone C (die sog. Ruhezone), standen – in diesem Fall konkret die Schutz- unter deren Schutz 43% der Fläche der Bayeri- zone C des Bayerischen Alpenplans –, die auf schen Alpen fallen, sind jegliche Erschließungs- Landesebene festgelegt werden und die von maßnahmen mit Ausnahme „notwendiger lan- den untergeordneten Planungsebenen beach- deskultureller Maßnahmen für die traditio- tet werden müssen. nelle Land- und Forstwirtschaft“ (Job et a. Um das Vorhaben mittels einer Ausnahmege- 2017:20), wie beispielsweise die Anlage von nehmigung dennoch realisieren zu können, be- Alm- und Forstwegen, landesplanerisch unzu- antragten die beiden Gemeinden Anfang 2015 lässig. Die ersten Pläne für einen Verbindungs- ein sog. Zielabweichungsverfahren vom LEP. lift am Riedberger Horn wurden damit hinfäl- Dieses räumt die Möglichkeit ein, dass die lig, da das betroffene Gebiet in die Schutzzone oberste Landesplanungsbehörde in Einzelfäl- C fiel. Zudem wurde der Bayerische Alpenplan len eine Abweichung von den verbindlichen in den Folgejahren in übergeordneten Rah- Zielen der Landesplanung genehmigen kann. menwerken rechtlich zusätzlich verankert und Über das Zielabweichungsverfahren kann so- in seiner Bedeutung aufgewertet. So fand er mit eine Ausnahme von einem verbindlichen 1976 Eingang in das Bayerische Landesent- übergeordneten Ziel der Raumordnung (hier: wicklungsprogramm (LEP), das rechtsverbind- des Alpenplans als Teil des LEPs) erwirkt wer- liche Grundlagen der Landesplanung festlegt; den. Das beantragte Verfahren stellte das erste darüber hinaus wurde er in die 1995 in Kraft Zielabweichungsverfahren vom Bayerischen getretene Internationale Alpenkonvention in- Alpenplan seit dessen Inkrafttreten dar (Gop- tegriert. pel 2018:46). Dennoch kam es im Jahr 2005 zur Wiederauf- Bereits zu diesem Zeitpunkt kündigten Um- nahme der Planungen für einen Verbindungs- weltschutzverbände, Bündnis 90–Die Grünen lift am Riedberger Horn. Auf Initiative der ört- in Bayern und der DAV ein juristisches Vorge- lichen Betreiber*innen von Liften und Skischu- hen gegen eine mögliche Ausnahmegenehmi- len sowie von Hoteliers aus Balderschwang gung im Rahmen des Zielabweichungsverfah- und Obermaiselstein setzten sich die beiden rens an. Bevor es jedoch hierzu kommen 70 konnte, scheiterte das Zielabweichungsverfah- klärte die Bayerische Staatsregierung unter Mi- ren im März 2015 an der Ablehnung durch das nisterpräsident Horst Seehofer bereits einen Bayerische Umweltministerium unter Staats- Tag nach der Abstimmung ihre Absicht, dem ministerin Ulrike Scharf (CSU), die das Projekt Ergebnis des Bürgervotums zu folgen und sich aus fachlich-planungsrechtlichen Gründen für für die rasche Realisierung des Projekts einzu- nicht vertretbar hielt (Schophoff 2016:60). setzen. Sie wollte nach der klaren Zustimmung im Bürgervotum umgehend die planungsrecht- Mit dem Scheitern des Zielabweichungsverfah- lichen Voraussetzungen für die Realisierung rens verblieb für die Gemeinden als einziger des Projekts schaffen. Dafür wurde eine Ände- Weg zur Realisierung des Liftverbundprojekts rung des Alpenplans angestrebt (Jauß 2016b). eine Änderung des Alpenplans im Rahmen des Die Umweltschutzverbände LBV und der BN LEPs, auf die die Gemeinden von nun an hin- Bayern e.V. kündigten wiederum umgehend wirkten. Die CSU-Bürgermeister der Gemein- Klagen an. Experten für Planungsrecht sowie den nutzten ihre parteiinternen Kanäle, unter- ein Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen stützt vom politisch gut vernetzten ehemaligen Diensts des Deutschen Bundestags äußern er- Bürgermeister von Fischen und Vorsitzenden hebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines der Verwaltungsgemeinschaft Hörnergruppe, solchen Vorgehens (Goppel 2017; SZ 2016). Toni Vogler. Es gelang ihnen, den Fraktionsvor- sitzenden der CSU im Bayerischen Landtag, Im Dezember 2016 ließen Berichte über enge Thomas Kreuzer, und den Staatsminister für wirtschaftliche Beziehungen von Gemeinde- Finanzen, Landesentwicklung und Heimat, rät*innen mit den Betreibergesellschaften der Markus Söder, für ihr Anliegen zu gewinnen. Lifte Zweifel aufkommen, ob die Gemeinde- Thomas Kreuzer ist auf besondere Weise mit ratsbeschlüsse zur Änderung der Flächennut- der Region Oberallgäu verbunden: er ist in zungspläne nicht gegen die Vorgaben der Bay- Kempten im Allgäu geboren und wurde mit erischen Gemeindeordnung, die Stimmenthal- dem Direktmandat des Stimmkreises Kempten, tung bei Befangenheit und Interessenskonflik- Oberallgäu in den Bayerischen Landtag ge- ten vorsieht, verstießen und damit nichtig wählt. Am 6. Oktober 2015 sprach sich die Bay- seien (SZ 2017a). Die Kommunalaufsicht im erische Staatsregierung für das Projekt des ge- Bayerischen Innenministerium kam nach Prü- planten Verbindungslifts aus. Markus Söder fung der Vorwürfe im Februar 2017 jedoch zu und Thomas Kreuzer stellten sich damit offen dem Schluss, dass die Beschlüsse rechtens wa- gegen Umweltministerin Ulrike Scharf. ren (Schwäbische Zeitung 2017). Nachdem der damalige Bayerische Minister- Darauffolgend setzte die Bayerische Staatsre- präsident Horst Seehofer im Frühjahr 2016 die gierung ihre Absichtserklärung um und be- Gemeinden und das Projektgebiet am Riedber- schloss am 28. März 2017 die Änderung des Al- ger Horn besucht hatte, schlug er zur Lösung penplans, um den Weg für das Liftprojekt frei- des Konflikts einen Bürgerentscheid vor, in zumachen (SZ 2017b). Kurz zuvor, im Januar dem die Bürger*innen der Gemeinden Ober- 2017 hatten sich in einer repräsentativen Um- maiselstein und Balderschwang über das Pro- frage rund 80% der bayerischen Bevölkerung jekt abstimmen sollten. Trotz Bedenken der gegen das Projekt und 91% gegen die Ände- Landtagsopposition fand der Bürgerentscheid rung des Alpenplans ausgesprochen (Nürnber- am 18.9.2016 statt. Mit einem Ergebnis von ger Nachrichten 2017); dies schien die Ent- 85% Zustimmung in Balderschwang und scheidung jedoch nicht zu beeinflussen. Die 68,3% Zustimmung in Obermaiselstein spra- vorgesehene Änderung des Alpenplans sah chen sich die Einwohner*innen der Gemeinden konkret vor, ca. 80 ha des Gebiets der Alpen- klar für das Liftprojekt aus (Bauer 2016; Jauß plan-Zone C am Riedberger Horn von Schutz- 2016a). Die Abstimmung war rechtlich nicht kategorie C auf B herabzustufen und im Gegen- bindend, es handelte sich juristisch gesehen le- zug eine Ersatzfläche von 304 ha an benach- diglich um eine Meinungsumfrage. Dennoch er- barten Bergen von Kategorie B auf C heraufzu- stufen. Staatsminister Markus Söder bewertete 71 den Änderungsbeschluss als „eine deutliche ersten Wochen nach der Übernahme des Amts Verbesserung für den Naturschutz“ (SZ online des Bayerischen Ministerpräsidenten mehrere 2017), gewinne die Zone C doch rein quantita- bei der Mehrheit der Bevölkerung unpopuläre tiv eine Fläche von 224 ha hinzu. Der geänderte politischen Projekte zu stoppen, darunter auch Alpenplan ging in die ohnehin geplante Novel- das kontrovers diskutierte Projekt am Riedber- lierung des LEP ein, die am 9. November 2017 ger Horn. vom Bayerischen Landtag mit der Stimmen- Bei der bayerischen Landtagswahl am 14. Ok- mehrheit der CSU verabschiedet und am 20. tober 2018 kam die CSU auf 37,2% der Stim- Februar 2018 von der Bayerischen Staatsregie- men und verlor damit nicht nur über zehn Pro- rung bestätigt wurde (BGZ 2018). Bereits Ende zentpunkte gegenüber der letzten Landtags- März 2018 reichten BN und LBV beim Bayeri- wahl, sondern auch ihre absolute Mehrheit im schen Verwaltungsgerichtshof eine Normen- Landtag. Um weiter regieren zu können, ging kontrollklage gegen die vom Landtag und der die CSU mit den erstarkten Freien Wählern am Staatsregierung beschlossene Änderung des 2. November 2018 eine Koalitionsregierung LEPs und des Alpenplans ein. Ein Dutzend wei- ein, die von der CSU teilweise deutliche Zuge- terer Umweltverbände, darunter u.a. CIPRA ständnisse erforderte. So wurde auf Bestreben Deutschland und DAV, unterstützten die Klage. der Freien Wähler u.a. folgende Vereinbarung Am 6. April 2018, fünf Tage nach seinem Amts- in den Koalitionsvertrag eingefügt: „Der baye- antritt als Bayerischer Ministerpräsident, ver- rische Alpenraum ist ein Aushängeschild unse- kündete Markus Söder recht überraschend das res Landes und ein einmaliger Natur- und Le- vorläufige Aus für das Liftprojekt am Riedber- bensraum. Wir wollen ihn schützen und beson- ger Horn (Schnell, Sebald 2018). Zumindest in- ders sensibel weiterentwickeln. Die Änderun- nerhalb der nächsten 10 Jahre solle das Projekt gen im Alpenplan werden wir rückgängig ma- nicht realisiert werden, so das gemeinsam mit chen“ (CSU, Freie Wähler 2018:29). den Bürgermeistern von Obermaiselstein und Im Kontext dieser Ereignisse genehmigte Land- Balderschwang bei einer Pressekonferenz ver- rat Anton Klotz (CSU) – weitestgehend ohne kündete Übereinkommen. Allerdings solle die mediale Berücksichtigung – umfangreiche Mo- Änderung des Alpenplans nicht rückgängig ge- dernisierungsmaßnahmen an den bestehen- macht werden, so dass ein Verbindungsliftpro- den Lift- und Pistenanlagen im Grasgehren-Ski- jekt rechtlich weiterhin möglich blieb. Als Aus- gebiet am Riedberger Horn. Diese sehen unter gleich für das Aussetzen der Projektpläne er- anderem den Bau einer 8-er Sesselbahn und halten die Gemeinden 20 Millionen Euro aus ein neues Staubecken für die künstliche Be- Landesmitteln für den Ausbau des naturver- schneiung vor, das in einem ökologisch sensib- träglichen Tourismus. Unter anderem soll ein len Quellmoorgebiet errichtet werden soll „Zentrum Naturerlebnis Alpin“ eingerichtet (Munkler 2017). Der Freistaat Bayern trägt und dauerhaft vom Land gefördert werden hierbei 30% der veranschlagten Baukosten in (Nürnberger Zeitung 2018). Einige Beobach- Höhe von rund 10 Mio. Euro (Munkler 2018). ter*innen erklärten Ministerpräsident Markus Auch hiergegen kündigten Natur- und Umwelt- Söders unerwartete Kehrtwende mit den an- schutzverbände Widerstand an (Frey 2018), haltend relativ niedrigen Umfragewerten im der voraussichtlich jedoch mit weit weniger damals laufenden Bayerischen Landtagswahl- überregionaler Berichterstattung und zivilge- kampf (Münchener Abendzeitung 2018; sellschaftlicher Unterstützung rechnen muss. Schnell, Sebald 2018). Bereits bei der Bundes- tagswahl im September 2017 hatte die CSU mit Fazit 38,8% der Zweitstimmen ihr niedrigstes Er- Zusammenfassend möchten wir auf drei – aus gebnis seit dem Jahr 1950 eingefahren und al- unserer Sicht bemerkenswerte – Punkte hin- lein gegenüber der letzten Bundestagswahl weisen. Erstens ist dieser Konflikt sehr stark 2013 über 10,5 Prozentpunkte verloren. Minis- von Einzelpersonen und ihren Beziehungen terpräsident Markus Söders versuchte in den untereinander geprägt. Dies gilt sowohl für die 72

Projektbefürworter*innen, bei denen insbe- BGZ (Bayerische Gemeindezeitung) (2018): sondere politische Beziehungen zur Durchset- LEP Teilfortschreibung. In: Bayerische Ge- zung eigener Interessen genutzt wurden, als meindezeitung 2018(5), 5-6. auch für die Projektgegner*innen, bei denen BN (BUND Naturschutz in Bayern e.V.) (2014): besonders engagierte Einzelpersonen für die Gemeinsamer sachlicher Teilflächennut- dauerhafte Organisation der Projektopposition zungsplan der Gemeinden Obermaiselstein und deren Langlebigkeit verantwortlich wa- und Balderschwang. Verbindungsbahn ren. Zweitens lassen die konkreten Zeitpunkte Grasgehren/Balderschwang. Offener Brief einzelner Entwicklungs- bzw. Eskalations- des BN an die VG Hörnergruppe, 8.12.2014. schritte des Konfliktes den Schluss zu, dass München: BUND Naturschutz in Bayern e.V. https://kempten.bund-natur- viele Zuspitzungen, Konfrontationen und Zuge- schutz.de/fileadmin/kreisgruppen/kemp- ständnisse – und damit der Konflikt als solches ten/Dokumente/Stellungnah- – von den unterschiedlichen Konfliktparteien men/Ste_BN_OA-Balderschwang-Obermai- stark instrumentalisiert wurden. Für die Pro- selstein-FZ__79-2014__mit_Briefkopf.pdf jektgegner*innen stellte der Widerstand gegen (15.04.2019). das Projekt eine Möglichkeit dar, sich und die CSU, Freie Wähler (2018): Koalitionsvertrag eigenen Organisationen einer breiteren Öffent- für die Legislaturperiode 2018-2023. Für lichkeit zu präsentieren und sich ebenso zu ein bürgernahes Bayern. Menschlich, nach- profilieren. Auf Ebene der Landespolitik hinge- haltig, modern, CSU; Freie Wähler, Mün- gen spielte das Lift-Vorhaben an sich scheinbar chen: CSU; Freie Wähler. keine zentrale Rolle, das Projekt war stattdes- Frey T. (2018): Keine Ruhe am Riedberger sen vielmehr ein „Spielstein“ von vielen, der je Horn. BN klagt gegen neue Baugenehmigun- nach Stimmungslage in der Bevölkerung gezo- gen. In: Natur + Umwelt 2018(4), 10. gen werden konnte, um möglicherweise auf ein Goppel K. (2012): 40 Jahre bayerischer Alpen- günstigeres Landtagswahlergebnis hinzuwir- plan – Eine Erfolgsgeschichte. In: Jahrbuch ken. Diese Überlegungen führen schließlich des Vereins zum Schutz der Bergwelt drittens zu der Feststellung, dass der Konflikt 76/77, 53-54. am Riedberger Horn in seiner Endphase keine sachzentrierte Auseinandersetzung mehr um Goppel K. (2017): Raumordnungsrechtliche Aspekte einer Zurücknahme der Zone C des die (Nicht)Errichtung eines Liftes war, sondern Alpenplans am Riedberger Horn durch die vielmehr persönliche und institutionelle Profi- laufende Fortschreibung des Bayerischen lierung, Gesichtswahrung und Klientelpolitik Landesentwicklungsprogrammes. In: die zentralen Motive und Triebkräfte der ver- BayVBI 2017(24), 840-841. schiedenen beteiligten Akteur*innen in einer Goppel K. (2018): Der bayerische Alpenplan. sich zunehmend ideologisch verhärtenden Sein Erfolg und seine Anfechtungen. In: Ge- Konfliktkonstellation gewesen sein dürften. ographische Rundschau 70(5), 44-47. Der Konflikt und der Berg waren derart symbo- lisch aufgeladen, dass Kompromisse oder gar Hübner-Schmid K., Borries B. v., Hasemann A. ein Konsens ab einem gewissen Zeitpunkt sehr (2003): Netzwerk- und Akteursanalyse. Ein methodischer Leitfaden. Bonn: Bundesmi- schwer – wenn nicht gar unmöglich – wurden. nisterium für wirtschaftliche Zusammenar- beit. Jauß U. (2016a): Riedberger Horn: Mehrheit Literaturverzeichnis für Liftverbund. Bürger in betroffenen Ge- meinden stimmen deutlich für das umstrit- Baur D. (2016): Allgäuer stimmen für Skischau- tene Projekt. In: Schwäbische Zeitung kel. Die Leute vom Riedberger Horn ent- 19.09.2016, 2. scheiden sich per Bürgerentscheid für den Bau einer Gondel und einer Piste. In: taz 20.09.2016, 9.

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Jauß U. (2016b): Staatsregierung drückt aufs Nürnberger Zeitung (2018): Viel Geld statt Ski- Tempo. Rechtliche Voraussetzung für Lift schaukel. Söder stoppt das umstrittene Pro- am Riedberger Horn soll noch heuer ge- jekt im Allgäu - aber nicht ohne Ersatz. In: schaffen werden. In: Schwäbische Zeitung Nürnberger Zeitung, 07.04.2081, 19. 20.09.2016, 22. Schmidt M. (2013): Mensch und Umwelt in Kir- Job H., Mayer M., Kraus F. (2014): Die beste gistan. Politische Ökologie im postkolonia- Idee, die Bayern je hatte: der Alpenplan. len und postsozialistischen Kontext. Stutt- Raumplanung mit Weitblick. In: Gaia 23(4), gart: Franz Steiner. 335-345. Schnell L., Sebald C. (2018): Abgeräumt. Mar- Job H., Mayer M., Haßlacher P., Nischik G., Knauf kus Söder kippt überraschend die Skischau- C., Pütz M., Essl J., Marlin A., Kopf M., Obkir- kel am Riedberger Horn. In: Süddeutsche cher S. (2017): Analyse, Bewertung und Si- Zeitung, 07.04.2018, 45. cherung alpiner Freiräume durch Raumord- Schophoff J. (2016): Die Hühner aus Zone C. In: nung und räumliche Planung. Forschungs- Die Zeit 2/2016 (07.01.2016), 60-61. berichte der ARL 7, ARL - Akademie für Lan- desplanung und Raumforschung, Hanno- Schwäbische Zeitung (2017): Riedberger Horn ver: ARL - Akademie für Landesplanung und – Niemand war befangen. In: Schwäbische Raumforschung. Zeitung, 27.02.2017, 18. LBV (Landesbund für Vogelschutz e.V.) (2018): SZ (Süddeutsche Zeitung) (2016): SPD: Neue Spektakulärer Nachweis der Waldbirken- Skischaukel bleibt unzulässig. In: Süddeut- maus nahe Riedberger Horn. Eine von sche Zeitung 25.07.2016, R15. Deutschlands seltensten Kleinsäugerarten – SZ (Süddeutsche Zeitung) (2017a): Vorwürfe Erstnachweis seit 1980er Jahre in dem Ge- gegen Gemeinderäte. In: Süddeutsche Zei- biet. Presseinformation 76-18. München: tung 24.01.2017, R14. Landesbund für Vogelschutz e.V. SZ (Süddeutsche Zeitung) (2017b): Weg für Mayr S., Sebald C. (2016): Aussichtsreich. Am Skilift am Riedberger Horn ist frei. In: Süd- Sonntag stimmen die Bürger im Oberallgäu deutsche Zeitung 29.03.2017, 26. über die umstrittene Skischaukel ab. In: Süddeutsche Zeitung, 15.09.2016, R17. SZ-online (2017): Kabinett lockert strengste Alpenschutzzone für die Skischaukel am Munkler M. (2015): Riedberger Horn entzweit Riedberger Horn. In: SZ-online 28.03.2017. Bürgermeister und Naturschützer. In: All- www.sueddeutsche.de/bayern/skigebiet- gäuer Zeitung, 23.07.2015. kabinett-passt-strengste-alpenschutzzone- https://www.all-in.de/oberstdorf-und-re- an-fuer-die-skischaukel-am-riedberger- gion/c-rundschau/riedberger-horn-ent- horn-1.3440504 (29.03.2017) zweitbuergermeister-und-naturschuet- zer_a2025752 (15.04.2019). Werth H., Kraft B. (2015): Untersuchungen am Birkhuhn (Tetrao tetrix) im Gebiet des Munkler M. (2017): Grasgehren: Neue Bahn Riedberger Horns. In: Berichte zum Vogel- und Beschneiung geplant. In: Schwäbische schutz 52, 69-84. Zeitung 28.12.2017, S. 26.

Munkler M. (2018): Riedberger Horn: Bahn darf gebaut werden. In: Schwäbische Zei- tung, 31.08.2018, S.26. Münchner Abendzeitung (2018): Der Skischau- kelbremser. In: Münchner Abendzeitung, 07.04.2018, 9. Nürnberger Nachrichten (2017): Bürger leh- nen Skischaukel ab. 80 Prozent sind gegen das Projekt am Riedberger Horn. In: Nürn- berger Nachrichten 20.01.2017, 16.

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Strukturwandel in der Lausitz: Der Wandel der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und die Bedeutung für Sor- ben/Wenden Marcel Langer Sorbisches Institut, Bautzen

Der Zugang zur Erarbeitung gesellschaftlicher Transformationen und der Aufdeckung von Macht- konstellationen, die in räumlichen und symbolischen Materialitäten in einer Politischen Ökologie verankert sind, stellt auch Fragen nach den vorhandenen gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Mit Blick auf bevorstehende Transformationsprozesse in der Lausitz, dem östlichsten Braunkohlerevier Deutschlands, können dominante Naturkonstruktionen in einem bestimmten gesellschaftlichen Min- derheits-Mehrheits-Gefüge herausgearbeitet werden. Natur als vergesellschafteter Akteur zeigt sich durch diverse Interessen und Praktiken von Akteur*innen. Mit dem Verschwinden der Dörfer der Sorben/ Wenden sind auch Sprache und Kultur und damit die Identität der Lausitzer Minderheit in Gefahr. Den inhaltlichen Zugang dieses Textes bildet der Abschlussbericht der Kommission „Wachs- tum, Strukturwandel und Beschäftigung“, in dem sich die Strukturprogramme hauptsächlich um die Themen Energieproduktion, wirtschaftliche Entwicklung, Sicherung von Arbeitsplätzen und infra- struktureller Ausbau drehen. Der vorliegende Text zeigt die Politische Ökologie der Lausitz und er- öffnet Einblicke in Umwelt- und Naturschutzfragen sowie die Sicherung von Wohn- und Kulturräu- men von Sorben/Wenden.

1 Einleitung werden (Brand, Wissen 2011:21). Natur als Teil des gesellschaftlichen Handelns weist Die ökologische Krise der neoliberal- ebenso wie die Materialisierungen von sozia- globalisierten Wirtschaftsweise zeigt sich len Handlungsmustern strukturelle Machtver- bereits an vielen Orten der Welt, sie wird aber hältnisse auf, die Einfluss auf die Gestalt eben vor allem dort sichtbar, wo Entwicklungen dieser Umwelt besitzen (Schmitt 2016:231; eine rasante Geschwindigkeit aufweisen und Wissen 2008:74). Natur, pluralistisch auch als unterschiedlichste Interessen um Räume be- Naturen zu betrachten, ist das Produkt gesell- stehen (Brand, Wissen 2011:9). Der maßgebli- schaftlicher Aushandlungen und Zuschreibun- che Hintergrund dafür sind soziale Verursa- gen und kann stofflich-materiell als Ressource chungen von Umweltproblemen getragen und kulturell-symbolisch als Erscheinung oder durch ökonomische und politische Ausbeu- Narrativ in einer Kulturlandschaft gesehen tungsprozesse, Macht- und Klassenstrukturen werden. Dennoch ist die hier beschriebene sowie bestimmte Eigentumsverhältnisse neomarxistische Perspektive auf die Produk- (Brand, Wissen 2011:21). Eingebettet in den tion von Natur weiter mit erkenntnistheoreti- herrschaftsanalytischen Ansatz der Politi- schen Anregungen als fluide, verursachte Na- schen Ökologie zeigt sich dieses Krisenver- turphänomene im Sinne der gesellschaftlichen ständnis in einer grundlegenden Infragestel- Naturverhältnisse zu füttern. lung ökonomischer Wertzuschreibungen und gesellschaftlicher Produktionsmuster von Gleichwohl handelt es sich bei dem Übergang Natur(-räumen) (Bauriedl 2016:342). Mit der zu einem verantwortungsvollen Umgang mit polit-ökologischen und räumlichen Sicht kann Gesellschaft und Natur um einen langwierigen, den Konstruktionen von Natur auf den Grund umkämpften Prozess, in dem Akteur*innen gegangen und auf politisch, kulturell, wirt- mit unterschiedlichem Interesse agieren. Dar- schaftlich und ideologisch umkämpfte Lebens- über hinaus wirken sowohl ökonomische Kri- realitäten in bestimmten Räumen geschaut senprozesse als auch die zunehmend manifes- 75 ter werdenden Krisen der gesellschaftlichen schaft nach der politischen Wende 1989/90 Naturverhältnisse auf die gebaute Umwelt ein komplexe Spannungsfelder auf. Gesellschaftli- (Harvey 2006:233). Nicht nur in offensichtli- che Narrative der Nutzung und Extraktion von chen Konflikträumen werden Forderungen Natur und Umwelt wurden durch die omni- nach einer sozio-ökologischen Transformation präsente intensive Landnutzung und den Roh- in der Gesellschaft lauter. Verknappung und stoffabbau verankert. Regelungen im Zugang zu Rohstoffen und damit verbundene mögliche Änderungen der Lebensqualitäten von Bewohner*innen der 2 „Gott schuf die Lausitz, aber der Teu- Wohlstandsgesellschaften zeigen sich auf un- fel legte Kohle darunter“1: Politische terschiedlichen Maßstabsebenen (Brad Ökologie in der Lausitz 2016:355). Globale Konflikte um Dürren, Kli- mawandel und allgemeine Umweltzerstörun- Die von der Bundesregierung eingesetzte gen sind omnipräsente Elemente vieler öffent- Kommission „Wachstum, Strukturwandel und licher Debatten zum Umgang mit Rohstoffen, Beschäftigung“ präsentierte im Januar 2019 die erst durch die Verflechtung von Praktiken einen Abschlussbericht mit Empfehlungen zu und Strategien auf verschiedenen Maßstabs- strukturpolitischen Maßnahmen, die zur ebenen manifestiert werden (Schmitt Raumentwicklung der Kohlereviere beitragen 2017:92). sollen. Ausgehend vom klimapolitischen Aus- stieg Deutschlands aus der Kohleförderung Folglich ist auch auf staatlicher Ebene, wie in und -verstromung bis zum Jahr 2038 beinhal- Deutschland, die öffentliche Aufmerksamkeit tet der Bericht explizite Vorschläge für infra- auf Entscheidungsträger*innen im Natur- strukturelle, wirtschaftliche, soziale und um- schutz und der Energiepolitik, beispielsweise weltrelevante Konzepte, die erstens für alle während der Verhandlungen zum Atomaus- Reviere allgemein und zweitens für jedes ein- stieg in den letzten Jahren oder beim aktuellen zelne Revier herausgestellt werden. Das ange- Kampf um den Kohleausstieg stetig gewach- gebene Ziel der steuerungspolitischen Maß- sen. Dabei wird klar, dass es nicht nur um die nahmen im Kontext der Klimaverpflichtungen zukünftige Ausrichtung der Energiepolitik sei eine „nachhaltige Weiterentwicklung der eines Staates gehen kann, sondern immer industriellen Wertschöpfungsketten in zugleich Zusammenhänge von Natur und ge- Deutschland“ (KWSB 2019:10). Welche Struk- sellschaftlichen Lebensweisen auf verschiede- turprogramme aus der Zielsetzung konkret nen Maßstabsebenen zueinander in Frage entstehen und welche Wirkung diese für die gestellt werden. Die aktuellen Fragen nach Bewohner*innen der jeweiligen Reviere ha- einem Wandel von kohleindustriellen Struktu- ben werden, ist aus heutiger Sicht reine Spe- ren und die darin verknüpften und abhängi- kulation. Hingegen analysierbar bleiben die gen Lebens- und Wirtschaftsweisen können Intentionen und Strategien, die zur Einsetzung ohne die Reflexion vorhandener Perspektiven der Kommission im Juni 2018 führten und die und Machtstrukturen nicht beantwortet wer- durch dieses Gremium verhandelten globalen den. Bereits die Handlungsmuster diverser und vor allem lokalen Interessensfelder. Der Akteur*innen lassen einzelne Zusammenhän- Bericht macht auch deutlich, dass Raument- ge auf unterschiedlichen Maßstabsebenen wicklung Bundessache wird, in dem es heißt: erkennen und als Bestandteil der Produktion „Deutschland braucht einen gesellschaftlich von Natur ausmachen (Brad 2016:355). Dabei breit verankerten Konsens, der einen sozial zeigen insbesondere staatlich regulative Maß- ausgewogenen und gerecht gestalteten Über- nahmen zur Raumentwicklung, wie die strikt gang in ein neues Energiesystem ebnet und für durchgeführte Bodenreform mittels sozialisti- die kommenden Dekaden sicherstellt“ (KWSB scher Kollektivierung der Landwirtschaft in 2019:2). Mit anderen Worten: Die Entwick- den 1960er Jahren sowie die Privatisierungs- bestrebungen und das Ende der Planwirt- 1 Sorbisches Sprichwort

76 . Im Original: Bόh je stworił Łužicu, čert je tam zarył brunicu. lung der zukünftig ehemaligen Kohlereviere schaftliche Narrative in der Lausitz. Zum Bei- wird durch den Staat organisiert. Dabei sind spiel wurde das in den 1950er Jahren ent- gerade die finanziellen Förderungen für einen standene VEB Gaskombinat Schwarze Pumpe, Strukturwandel auf lokaler Ebene Anreiz in ein hochindustrieller Komplex von Kraftwer- den betroffenen Regionen, zukünftige Per- ken, Kokereien und Brikettfabriken, als spektiven zu diskutieren. Allein die Einrich- „Flamme des Sozialismus“ bezeichnet (Abb.: tung der Kommission und die darin begründe- 1). Die moderne Industriegesellschaft der DDR ten Erwartungen an hohe staatlich bereitge- wuchs auf der Basis von Braunkohle, bis mit stellte Investitionen in den betroffenen Regio- der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 nen setzen einen Prozess in Gang, in dem Ak- das Ende der stets wachsenden Produktions- teur*innen, Themen und Argumente auf ver- mengen im Kohlesektor kam. Von den einsti- schiedenen Maßstabsebenen organisiert wer- gen 32 Tagebauen bestehen heute noch vier den. aktive, von denen der Tagebau Jänschwalde 2023 als Erster stillgelegt werden soll. Die Dieser Aufsatz stellt einen ersten Versuch dar, Tagebaue Nochten, Welzow-Süd und Reich- diesen hoch dynamischen Prozess in einer der walde laufen nach aktuellem Stand bis ca. betroffenen Regionen abzubilden. Ferner geht 2038-2040. Auch heutzutage sind die Beschäf- es darum, zu prüfen, inwieweit die Brille der tigungszahlen im Lausitzer Revier verglichen Politischen Ökologie die (Re-)Konstruktion mit den Revieren in Mitteldeutschland und von Machtstrukturen und gesellschaftlichen Nordrhein-Westfalen am höchsten (KWSB Naturverhältnissen ermöglicht. Der räumliche 2019:74). Die Prekarität eines Wandels in der Fokus der Untersuchung liegt in der Lausitz, Region zeigt sich in der wirtschaftlichen Ab- des zweitgrößten der vier großen Braunkoh- hängigkeit von nur einem Industriesektor. lereviere Deutschlands, das durch kontroverse Aber: Die „Schmerzen der Lausitz“2 zeigen sich Debatten zum Kohleausstieg und durch die nicht nur in dem teilweise als Bedrohung ge- Verhandlungen um einen Strukturwandel meinten Wegfall der Montanindustrie und erneut überregionale Aufmerksamkeit erlangt. dessen wirtschaftlichen Folgeerscheinungen, Hier werden die Spannungsverhältnisse zwi- wie beispielweise des einhergehenden Ver- schen den unterschiedlichen Akteur*innen in lusts von Arbeitsplätzen und kommunalen der Konstruktion von Naturverhältnissen und Steuereinnahmen. Sondern sie zeigen sich im Zugang zu Ressourcen besonders deutlich. auch in den radikalen umweltschädlichen Nach über einem Jahrhundert anhaltender Eingriffen in die Landschaftsräume durch die extraktiver Landnutzung durch Braunkohle- Extraktion des Rohstoffs. tief- und -tagebau sowie intensiver Land- und Forstwirtschaft, stehen abermals zukünftige Raumentwicklungsperspektiven im Fokus. Anders als in den drei weiteren Braunkoh- lerevieren in Mitteldeutschland, im Rheinis chen und Helmstädtischen, bildet in der Lau- sitz die Frage nach dem Wegfall eines ganzen Industriezweiges und einem damit verbunde- nen Verlust von Identität den Kern vieler De- batten. Die Lausitzer Braunkohlenförderung war im sozialistischen Staat der DDR für 90% der gesamten Energieproduktion verantwort- Abb. 1 – Baubeginn des Kombinats Schwarze lich. Der damalige Energiebezirk Cottbus war Pumpe 1955 mehr als nur eine industriell geprägte Verwal- Quelle: Sorbisches Kulturarchiv. tungseinheit, denn die ideologisch- aufgeladenen Zuschreibungen Arbeit und 2 Vgl. DEFA-Dokumentarfilm „Die Schmerzen der Produktion bestimmen noch heute gesell- Lausitz. Zalosci nam Luzyca“ von Peter Rocha, 1989- 1990. 77

Die Überformung der Landschaft durch den Sorben/Wenden3, einer westslawischen Min- Kohleabbau ist neben den sich wandelnden derheit, die vor allem in der Grenzregion von naturräumlichen Dimensionen vor allem das Brandenburg und Sachsen leben. Die ehemals divergierende Verhältnis von Mensch und landwirtschaftlich geprägten Lebensrealitäten Natur. Zudem ist die Transformation der ge- der Sorben/Wenden veränderten sich im Lau- sellschaftlichen Naturverhältnisse insbeson- fe der letzten Jahrzehnte, ebenso wie die ihrer dere in der Lausitz komplex, weil neben der angrenzenden Nachbar*innen durch die Über- Extraktion und aller damit verbundenen Ne- formung alter Strukturen. Industrialisierung, benerscheinungen (Devastierungen, Rodun- Mechanisierung der Landwirtschaft und Ar- gen, Umsiedlungen) zeitgleich auch die Kon- beitsmigration in Großstädte, wie Cottbus, struktion von „neuen“ Landschaften stattfin- Leipzig, Dresden oder Berlin, ließen die Be- det. Zurück bleiben nährstoffarme Sande, kar- völkerung im ländlich-geprägten Raum ge Altbergbauflächen, die einerseits als Sied- schrumpfen. Im Unterschied zu den hegemo- lungsflächen nicht mehr zur Verfügung stehen, nial deutschsprachigen Gebieten schrumpften andererseits jedoch neue Lebensräume für jedoch auch die sorbischen/wendischen Tier- und Pflanzenarten bilden und mitunter Sprachräume und ebenso das Sprach- bzw. Objekte des Naturschutzes werden. Beispiele Siedlungsgebiet der Sorben/Wenden. Die In- dafür sind Sielmanns Naturlandschaft in Wan- stitutionalisierung der Gutswirtschaften in ninchen oder das Biosphärenreservat Ober- Preußen, während der Zeit der Nationalsozia- lausitzer Heide- und Teichlandschaft. Mit Blick listen strikt verstärkte Sprachverbote und auf den großen zeitlichen Aufwand der Rekul- Migration nach Ende des Zweiten Weltkrieges tivierung bereits ausgekohlter Gruben bedeu- ließen Teile der sorbischen/wendischen Be- tet das für die Rekultivierung der verbleiben- völkerung sich assimilieren. Das Minder- den Tagebaue und der regionalen Umgestal- /Mehrheitsverhältnis änderte sich maßgeb- tung eine Planung bis ans Ende des laufenden lich. Ein ambivalenter Umgang mit den in Jahrhunderts. Das Leitbild der Rekultivie- Minderheit lebenden Sorben/Wenden zeigte rungsbestrebungen von Abraumhalden und sich vor allem in der sozialistischen DDR, wo Tagebaurestlöchern setzt dabei voll und ganz die Sorben/Wenden erstmals als Minderheit auf die touristische Naherholung, auf Forst- offiziell anerkannt wurden. Im Gegenzug wur- und Landwirtschaft sowie auf den Natur- de durch den steigenden Energiebedarf und schutz. Angefangen durch die Abwicklung die sozialistische Energiepolitik die Zahl der vieler Tagebaue Anfang der 1990er Jahre im Braunkohleaufschlüsse enorm erhöht, was die Senftenberg-Spremberger Raum entstand ein Zerklüftung des sorbischen/wendischen Sied- Gebiet, das als Lausitzer Seenland beschrieben lungsgebietes bedeutete (Abb. 2 und Abb. 3). wird. Dazu zählen in Brandenburg und Sach- sen insgesamt 48 geflutete Tagebaulöcher, die so der Region zu einem neuen Charakter ver- helfen sollen. Der Gestaltung von Natur schei- nen keine Grenzen gesetzt zu sein. Nur was ist mit den Menschen? Wie wertvoll ist die Öko- logie in der Lausitz?

Die Rolle der Sorben/Wenden Die Lausitz, als Grenzregion Deutschlands,

Polens und Tschechiens, ist neben den Roh- 3 Die Bezeichnungen Sorben bzw. Wenden werden im stoffvorkommen auch das Siedlungsgebiet der sorbischen Sprachgebrauch synonym verwendet, es gibt lediglich eine Trennung in Niedersorben und Obersorben. Im Deutschen hingegen gibt es die sprachliche Trennung von in der Oberlausitz lebenden Sorben und in der Niederlausitz lebenden Wenden. 78

cobs 2019). An die verlorenen Dörfer erinnern heute nur noch eiszeitliche Findlinge, die wäh- rend der Grubenarbeiten gefunden wurden. Zwar arbeiteten auch viele Sorben/Wenden in den umliegenden Tagebauen und waren somit Teil der industriellen Modernisierung der Lausitz, aber zugleich wird der Umgang mit der eigenen Herkunft, Tradition und Sprache neuverhandelt.

Die Komplexität verschiedener Interessensla- gen in der Lausitz kann mit Hilfe des Blicks auf die sorbische/wendische Minderheit und de- rer Wissensregime, kultureller Geschichten und Mythen im Umgang mit Natur erweitert werden. Dies führt zu einem geweiteten Ver- ständnis der gesellschaftlichen Naturver- ständnisse und macht auch folgendes deutlich: bestehende Narrative, wie die zerstörte Hei- mat der Sorben/Wenden, werden in den Aus- handlungen um die Strukturmaßnahmen um- gedeutet. Sind die Sorben einerseits durch die Abb. 2 – Braunkohletagebau und Ortsabbrü- che im sorbischen Siedlungsgebiet von 1886 Assimilierung ihrer Kultur bedroht, so können (Stand 2014) andererseits der Schutz der Minderheitenkul- Quelle: Sorbisches Kulturlexikon; Schön et al. 2014:55. tur durch den künftigen Strukturwandel ge- festigt, sogar legitimiert werden. Ein Blick in den Abschlussbericht der Kommission macht deutlich, dass Minderheitenschutz auch (Kul- tur-)Landschaftsschutz bedeutet (KWSB 2019:56). Bereits 1994 wurde in den bran- denburgischen und 1999 in den sächsischen sogenannten Sorbengesetzen festgehalten, dass die Sprache, Kultur und Identität der Sorben/Wenden zu schützen und weiterzu- entwickeln seien. Zusätzlich sind territoriale Ansprüche im sogenannten angestammten Siedlungsgebiet der Sorben/Wenden definiert, Abb. 3: Proteste gegen die Abbaggerung von Klitten (Klětno) im Herbst 1989 das bspw. die Zweisprachigkeit innerhalb Quelle: Sorbisches Kulturarchiv. einzelner Gemeinden regelt (Tschernokoshe- wa 2011:9). Darauf aufbauend geben die vor- Die Folgen des Bergbaus inmitten des Sied- geschlagenen Maßnahmen zum Erhalt der lungsgebietes trafen die Minderheit unver- sorbischen Kultur und dem Erkennen eines hältnismäßig stark, sodass deren Siedlungsflä- Mehrwertes für die Gesamterscheinung der che und Sprachräume rund ein Drittel der Lausitz den Grund zur Förderung der Minder- Fläche von 1886 verloren (Muka 1979). Das heitenkultur. Jahrhundert des Braunkohleabbaus führte zur Gemäß Stuart Hall (1994) sind Identität und Devastierung von 130 meist sorbi- das Konstrukt der Subjektivität die Zusam- schen/wendischen Dörfern, wodurch ca. mennahmen von Geschichte, Sprache und 27.000 Bewohner*innen betroffen waren Kultur, die wiederum durch Diskurse und und/oder nach wie vor sind (Laschewski, Ja- Narrative verortbar werden können. Je nach 79

Perspektive auf die verschiedenen räumlichen Zur Identifikation von sorbischen/wendischen Maßstabsebenen der Ober- und Niederlausitz, Naturen ist der Blick auf die lokale Maßstabs- ob in einzelne Gemeinden und Ortsteile oder ebene notwendig. Konkrete Natur der sozialen ganze Landkreise, ob auf Naturdenkmäler Praxis ist beispielsweise an den sogenannten oder Biosphärenreservate: die Interessen der Tanzlinden beobachtbar, die als Ort für Ver- raumprägenden Akteur*innen und deren Ver- sammlungen und gemeinschaftliche Treffen hältnisse zueinander unterscheiden sich und Feste genutzt wurden und stark symbo- grundlegend. Die Beziehungen zwischen Ge- lisch als Narrativ sorbischer/wendischer Kul- sellschaft und Natur zeigen sich nicht nur tur verstanden werden. So wird in einem Dorf stofflich-materiell, beispielsweise in den viel- gerade erst wieder eine Tanzlinde zum Wie- zähligen Energieversorgungsnetzen der Regi- deraufbau als kultureller Ort konzipiert. Eben- on oder den Erinnerungsorten sorbi- so ist der inzwischen für den Fortlauf des Ta- scher/wendischer Dörfer, sondern auch kultu- gebaus Nochten gerodete Teil der Muskauer rell-symbolisch in Landschafts- und Naturbil- Heide als Symbol der Devastierung und Mar- dern, Erzählungen und Mythen über die Lau- ginalisierung sorbischer/wendischer Veror- sitz. Dabei ist vor allem die gesellschaftliche tung geworden. Das Waldstück des alten Ur- Wahrnehmung von stofflicher Natur als Land- waldes diente den Bewohner*innen der um- schaft die Grundlage für Natur- und Umwelt- liegenden Dörfer als Sammelort für Blaubee- schutz und zugleich Landschafts- und Kultur- ren und Holz. Wie gezeigt wurde, ist die Lau- landschaftsschutz (Mölders 2010:84). sitz durch weitaus mehr Spannungsfelder gekennzeichnet als Zu- und Gegenstimmen Einerseits hinterlässt die Kohlewirtschaft Öd- zum flächenprägenden Braunkohleabbau. Der land, worauf nach der Auskohlung möglichst Kampf gegen den Tagebau scheint jedoch als schnell wieder neues Geld mit Wald- und Nebeneffekt auch ein Pro „für das sorbi- Landwirtschaft akkumuliert werden soll. Um sche[/wendische] Territorium“ zu bedeuten die öden, sandigen und tonigen Böden wieder (Toivanen 2001:52). So gibt es noch weitere nutzbar zu machen, wurde so in den frühen Zeugnisse sorbischer/wendischer Kultur, die Jahren des 20. Jahrhunderts in der Lausitz die sich in Naturbildern zeigen. Die unterschiedli- Kippenkultivierung erfunden. Sie sollte chen Verständnisse von Natur(en) in der Lau- schnell ökonomisch interessante Nutzungen sitz sind somit als Teil der Identitätsbildung ermöglichen und setzte vorrangig auf neue der sorbischen/wendischen Minderheit zu Nutzwälder und Ackerflächen. Mittlerweile ist verstehen. sie fester Bestandteil in jedem Braunkohle- plan, der die Grundlage für das Führen eines Fazit Tagebaus gibt. Das Verschwinden einer alten Der vorgelegte Abschlussbericht des Kommis- Welt schafft also Platz für Neues und daran sion „Wachstum, Strukturwandel und Beschäf- lässt sich Geld verdienen. Die Entwicklung des tigung“ zum Strukturwandel in der Lausitz „neuen“ Raumes ließ Projekte entstehen, die macht deutlich, dass der Verlust von sorbi- sonst keinerlei Chance hätten. Erst hohe staat- scher/wendischer Sprache und Kultur erkannt liche Subventionszahlungen ermöglichten wurde und mittels Fördermaßnahmen abge- deren Umsetzung: die größte freitragende wendet werden soll. Wenn auch nur wenige Halle der Welt als Freizeitpark Tropical Island, Punkte zur kulturellen Komplexität der Zivil- die Motorsport-Anlage EuroSpeedway Lausitz, gesellschaft in dem Bericht vorkommen, so das Lausitzer Seenland oder die Internationale können die genannten Ideen als ein beachtli- Bauausstellung Fürst-Pückler-Land, kurz IBA cher Teil des Minderheitenschutzes interpre- See. Die Tragweite der wirtschaftlichen Pres- tiert werden. Weiterhin zeigt sich, dass der tigeprojekte, die Naturverständnisse in eine Organisationsprozess von Akteur*innen und Region tragen, wird sich erst in den kommen- verwendete Argumentationen um die zerstör- den Jahrzehnten zeigen. te Heimat sorbische/wendische Themen auf-

80 gegriffen wurden (Jacobs 2018; Tschernokos- Verstehen lokaler Verhältnisse auf unter- hewa 2011:91). schiedlichsten Maßstabsebenen herangezogen werden. Dabei wird einmal mehr deutlich, Allerdings bildet der Bericht der Kommission dass eine polit-ökologische und räumliche auch die kapitalistischen Herrschaftsverhält- Analyse die Komplexität der umfassenden nisse ab, da vor allem die Wirtschaftlichkeit Transformationsprozesse in der Lausitz her- des Raumes im Vordergrund steht. Die darin ausstellt und erst dadurch die Positionen von enthaltenen Ideen zu möglichen Förderpro- Akteur*innen sowie die Bedeutungen von jekten der Raumentwicklung in den betroffe- Natur gefasst werden können. Gerade in Hin- nen, als Kohleregionen identifizierten Räu- blick auf die Herausforderungen des Struk- men, so auch der Lausitz, zielen besonders auf turwandels muss eine Verknüpfung sozialer eine wirtschaftliche Stärkung als Kompensati- Gerechtigkeit des Minderheits-Mehrheits- onsstrategie ab. Zum einen veranschaulichen Gefüges und der Natur- und Umweltschutz- sie, dass ein erneutes Buhlen um finanzielle konzepte stattfinden. Erst dann können die Mittel zum Auf- und Umbau bestehender he- aktuellen Ideen der Raumentwicklung und gemonialer Realitäten bevorsteht, die vor deren Tragweite eingeschätzt werden. allem der Wirtschafts- und Infrastrukturpoli- tik zu gute kommen werden (KWSB 2019). *** Zum anderen zeichnet sich ab, dass der Staat eine vermittelnde Rolle im Verhältnis von Anmerkungen: Natur und Gesellschaft einnimmt. Die gesell- Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem aktuel- schaftlichen Naturverhältnisse sind also durch len Forschungsprojekt „Sorbische Lausitz“ – die staatlichen Eingriffe in die Raumentwick- (T)Räume einer nationalen Minderheit von lung klar beeinflusst. Offen bleiben die Fragen 1918 bis heute von zur tatsächlichen Organisation des Struktur- Marcel Langer am Sorbischen Institut in Baut- wandelprozesses und zum Verhältnis der be- zen. Im Zentrum des Dr.int erdisziplinären Jana Piňosová Vor- und vorstehenden staatlichen Subventionen und habens steht das Erforschen der Vorstellun- der klimapolitischen Verpflichtungen der gen einer sorbischen Lausitz, die im Zuge der Bundesregierung hinsichtlich der Senkung des Neuordnung Europas nach 1918 relevant CO2. wurden und seitdem von verschiedenen Akt- euren mit unterschiedlichen Motiven und Die gegenwärtige klimapolitische Fragestel- Erfolgen im Laufe des 20. Jahrhunderts vorge- lung nach einem Leben nach der Kohle ver- bracht wurden. Das Vorhaben beschäftigt sich weist in der Lausitz auf neue Konstellationen mit der Funktion sowie der Wirkung, die diese und Wechselwirkungen von Gesellschaft und Vorstellungen seit 1918 bis in die Gegenwart Natur. Die beobachtbaren Narrative spiegeln entfalten. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dominante Diskurse und deren Einfluss auf „Natur“ und (territorialem) Raum. Es wird die Produktion von Natur wider, die im Falle danach gefragt, inwieweit Objekte der Natur, der Lausitz besonders durch einen Rohstoff Naturräume, natürliche Ressourcen sowie geprägt sind: Braunkohle. Die Suche nach eine spezifische Nutzung von Natur in die Antworten für die potenziellen Perspektiven Konzeption von Sorben/Wenden als nationale der (sorbischen/wendischen) Bewoh- Minderheit einflossen und welche Ansprüche ner*innen in einem regionalen Strukturwan- im Umgang mit Natur und Landschaft sich del setzt nicht nur eine Betrachtung der sozio- daraus für die sorbische/wendische Minder- ökonomischen Gegebenheiten voraus, die heit ergaben. insbesondere durch das vorhandene dialekti- sche Minderheits-Mehrheitskonstrukt aus Die Fragestellung wird im Rahmen von zwei Sorben/Wenden und Nicht-Sorben/Nicht- Teilprojekten bearbeitet, um die historische Wenden geprägt ist. Vielmehr müssen voran- mit der gegenwärtigen Perspektive zu verbin- gegangene Transformationen, soziale Prozes- den. Das Projekt stützt sich auf Theorien und se, Strukturen und Handlungen ebenso für das Methoden, die im Rahmen der Erforschung 81 der Mensch-Natur-Beziehungen entwickelt Mölders T. (2010): Gesellschaftliche Natur- wurden (Umweltgeschichte, Politische Ökolo- verhältnisse zwischen Krise und Nation. gie, Politische Soziologie, Environmental Hu- Eine Fallstudie im Biosphärenreservat Mit- manities). telelbe. München. Muka A. Literaturverzeichnis Budyšin. 1884–1886. 5. Auflage unter dem Bauriedl S. (2016): Politische Ökologie: nicht- (1979): Statistika łužiskich Serbow, deterministische, globale und materielle sches geographisches Wörterbuch]. Dimensionen von Natur/Gesellschaft- Domowina.Titel Serbski Bautze zemjepisnyn. słowničk [Sorbi- Verhältnissen. Geographica Helvetica 71, Schmitt T. (2016): Immer Ärger mit der Mate- 341-351. rialität? – Politische Ökologie und das Dis- Brad A. (2016): Politische Ökologie und Poli- positiv der Dürre im Nordosten Brasilien. tics of Scale – Vermittlungszusammenhän- Geographica Helvetica 71, 229-244. ge zwischen Raum, Natur und Gesellschaft. Schmitt T. (2017): Dürre als gesellschaftliches Geographica Helvetica 71, 353-363. Naturverhältnis. Die politische Ökologie Brand U., Wissen M. (2011a): Die Regulation des Wassers im Nordosten Brasiliens. der ökologischen Krise. Theorie und Empi- Erdkundliches Wissen- Band 162. Stutt- rie der Transformation gesellschaftlicher gart. Naturverhältnisse – In: Österreichische Schön F., Hose S. (2012): Sorbisches Kulturle- Zeitschrift für Soziologie 36, 12-34. xikon. Domowina-Verlag. Bautzen. Brand U., Wissen M. (2011b): Sozial- Toivanen R. (2001): Menschenrechte als Iden- ökologische Krise und imperiale Lebens- titätsressource. Die Sorben in Deutschland weise. 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Leise Stimmen der Energiewende in einer Erneuerbare-Energien-Region in Südbayern. Diskursive Aushandlungen und die Konstruktion der Nicht-Betroffenheit Julian Bothe Ludwig-Maximilians-Universität München

Einleitung 2018a; Setton 2019). Auf der anderen Seite wird die Energiewende von drei Vierteln der Der lange und heiße Sommer 2018 hat zu Bevölkerung als teuer und von der Mehrheit erneuten Diskussionen über den Klimawandel als chaotisch und sozial ungerecht angesehen geführt: „Heißzeit“ ist das Wort des Jahres (Setton 2019). Ausbauprojekte sind regelmä- 2018 (GfdS 2018), der IPCC wies erneut auf ßig Gegenstand von regionalen und lokalen die Dringlichkeit des Handelns hin, um das Konflikten und Gegeninitiativen (Hoeft et al. 1,5° Ziel maximaler globaler Erwärmung aus 2017). Trotz der hohen abstrakten Zustim- dem Pariser Vertrag noch zu schaffen (IPCC mung zur Energiewende setzt sich nur ein 2018), und im Rheinischen Braunkohlerevier kleiner Teil der Bevölkerung aktiv für diese demonstrierten Zehntausende gegen die Ro- ein (Müller et al. 2016, S. 20). dung des Hambacher Waldes und für ein schnelles Ende der Braunkohleverstromung in Dieses In-, Neben- und Gegeneinander unter- Deutschland. Trotz des direkten inhaltlichen schiedlicher Phänomene soll im Folgenden Zusammenhangs sind diese Debatten jedoch anhand von Gruppendiskussionen zur Ener- weitgehend getrennt von Diskussionen um giewende rekonstruiert werden. Annahme ist, erneuerbare Energien und Energieeinsparung. dass die genannten Phänomene auf unter- Der Ausbau erneuerbarer Energien hat zum schiedliche Diskurse, Erzählungen und Hege- Beispiel im Bundestagswahlkampf 2017 und monieprojekte (Buckel et al. 2014) zur Ener- im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl giewende zurückzuführen sind, auf Spannun- 2018 nur eine geringe Rolle gespielt. Diverse gen und Widersprüchen zwischen und inner- Gesetzesinitiativen seit 2012 bis heute zielen halb dieser. In den Blick genommen werden explizit auf eine Begrenzung des Ausbaus also die diskursive Konstruktion von „Ener- (Haas 2017a; Sack 2018). Diese Regelungen giewende“, die damit verbundenen Aushand- werden auch nach der Veröffentlichung des lungsprozesse (Ullrich 2008) und die diskur- Berichts der sogenannten „Kohle- sive Begründung sowohl von Handeln als auch Kommission“ zum Ausstieg aus der Kohlever- von Nicht-Handeln. stromung nicht infrage gestellt und nur ver- einzelt erwähnt (Nürnberger 2019; Kemfert Bisherige sozialwissenschaftliche Forschung 2019). zur Energiewende in dieser Tradition der Dis- kursforschung untersucht beispielsweise poli- Ambivalenzen zeigen sich auch in Umfragen tische Akteure, Kräfteverhältnisse und Kon- zu erneuerbaren Energien. Auf der einen Seite flikte deutschlandweit (Haas 2017a, 2017b; zeigen diese seit langem eine sehr hohe allge- Leipprand et al. 2017; Radtke und Schaal meine Zustimmung für erneuerbare Energien 2018) oder politische Akteure und Konflikte (AEE 2018b; Setton 2019). Eine große Mehr- regional und in bestimmten „Energiewende- heit sieht die Energiewende als Gemein- regionen“ (Müller 2014; Keppler 2013; Eiche- schaftsprojekt an, zu der alle in der Gesell- nauer et al. 2018; Reusswig et al. 2016; Hoeft schaft einen Beitrag leisten sollten, und viele et al. 2017). Hinzu kommt ein breites Spekt- Menschen wünschen sich eine schnellere Um- rum anwendungsorientierter Forschung, die stellung auf erneuerbare Energien (AEE Engagement für die Energiewende fördern 83 will (Müller et al. 2016; Tischer et al. 2008), miken und Einflüsse hegemonialer Diskurse. sowie Studien, die sich vor allem mit den All- Zuerst werden der Forschungsstand und die tagspraxen und dem tatsächlichen Handeln Fragestellung präzisiert, bevor im dritten Ka- der Bevölkerung auseinandersetzen (John et pitel der auf Gramsci aufbauende theoretische al. 2014). Hintergrund erläutert wird. Im vierten Kapitel werden das Fallbeispiel, die Energiewendere- Dagegen sind die diskursiven Auseinanderset- gion bayerisches Oberland sowie die empiri- zungen um Hegemonie und deren Veranke- sche Vorgehensweise vorgestellt, bevor im rung im Alltagsbewusstsein der Mehrheit der fünften Kapitel erste Ergebnisse skizziert Bevölkerung bedeutend seltener Gegenstand werden. Geschlossen wird mit einem kurzen der Energiewendeforschung in Deutschland. Ausblick. Im Gegensatz zu den zahlreichen Umfragen gibt es kaum qualitative Studien zu den Dis- Forschungsstand: Die unbekannten kursen und Einstellungen in Bevölkerungs- ‚leisen‘ Stimmen gruppen, die nicht aktiv für oder gegen erneu- Bisherige Forschungen zu Diskursen der erbare Energien Stellung beziehen. Nur durch Energiewende fokussieren vor allem auf ‚rele- solche Studien – so die These dieses Beitrags – vante‘ Akteure – institutionalisierte Stakehol- lassen sich jedoch die angesprochenen Phä- der und Schlüsselpersonen – und auf Konflikte nomene einordnen und die diskursive Be- und Proteste. Auch unterschiedliche Diskurse gründung von Nicht-Handeln und Inaktivität werden vor allem im Hinblick auf diese verstehen. Damit wird auch die häufig als „Va- Schlüsselakteure behandelt. Auf gesamtdeut- lue-Action-Gap“ (Blake 2007) beschriebene scher Ebene unterscheiden bspw. Leipprand Kluft zwischen abstrakt geäußerter Zustim- et al. (2017) anhand der Diskussionen im mung zu erneuerbaren Energien auf der einen Bundestag zwischen einem Energiemix- und Seite und Nichthandeln oder Gegenaktivitäten einem Energiewendediskurs. Haas (2017a) im Konkreten auf der anderen Seite als zu- unterscheidet ähnlich zwischen einem von mindest zum Teil diskursiv begründet ange- bestimmten Akteursspektren getragenen sehen: Diese Kluft ist damit nicht nur ein Er- „grauen“ und einem „grünen“ Hegemoniepro- gebnis falscher Erwartungen, die den Unter- jekt, wobei das vor allem in der traditionellen schied zwischen kommunikativem und routi- Energiewirtschaft und den konservativ- niertem Handeln nicht einbezieht (Jaeger- liberalen Parteien verankerte graue Hegemo- Erben 2017), bzw. ein Ergebnis unzureichen- nieprojekt gemäß dieser Analyse in den letz- der Differenzierung (Bell et al. 2013; Hilde- ten Jahren an Bedeutung gewonnen hätte. Der brand et al. 2018), sondern ebenso in der „Energiewendediskurs“ bzw. das „grüne“ He- Überlagerung verschiedener Diskurse in den gemonieprojekt betont die Bedeutung erneu- Individuen selbst begründet. Die breitere Be- erbarer Energien für den Klimaschutz, regio- völkerung und allgemein zivilgesellschaftliche nale Wertschöpfung und Demokratisierung Organisierung wird somit als Resonanzboden der Energieversorgung, sieht die Wirtschafts- und Pool für Aktivitäten für oder gegen Ener- kraft Deutschlands durch die Energiewende giewendevorhaben konzeptualisiert. Diese gestärkt und bewertet damit eine Vorreiter- Überlagerung und der Einfluss verschiedener position Deutschlands beim Ausbau erneuer- Diskurse, so die Annahme, zeigt sich beson- barer Energien positiv. Dagegen betont der ders deutlich in ansonsten unbeteiligten Be- „Energiemixdiskurs“ bzw. das „graue“ Hege- völkerungsschichten. monieprojekt auch längerfristig die Notwen- Im Folgenden werden daher erste Ergebnisse digkeit fossiler Energien, um Versorgungssi- von Gruppendiskussionen dargestellt, bei cherheit, einen niedrigen Energiepreis und denen ansonsten unbeteiligte Personen über damit die wirtschaftliche Position Deutsch- „die Energiewende“ diskutiert haben. Fokus- lands sicherzustellen. siert wird auf die dabei anzutreffenden Dyna-

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Auf regionaler Ebene werden vor allem die ser These werden in Deutschland insbesonde- Konstellation diverser Stakeholder wie Politik, re die Zivilgesellschaft, aber auch milieu- Energieversorgungsunternehmen und bspw. übergreifende Aktivitäten vor allem als er- Stadtwerke oder Landwirtschaft betrachtet möglichend und aktivierend wahrgenommen (Keppler 2013; Müller 2014). Zwar wird regi- (Adloff 2005; Jaeger-Erben, Walk 2014). Es onalen Leitbildern häufig eine hohe Bedeu- fehlt eine Auseinandersetzung mit der Rolle, tung bei der Umsetzung von Energiewendepo- die zivilgesellschaftliche Gruppen und Aktivi- litiken zugeschrieben, Prozesse und Probleme täten für Nicht-Handeln und die Aufrechter- ihrer diskursiven Verankerung in der breite- haltung des Status Quo spielen (Schönborn et ren Bevölkerung jedoch weitestgehend ausge- al. 2014), sowie eine Beschäftigung mit der blendet (Späth, Rohracher 2010). Frage, welche Rolle welche Diskurse dabei spielen. Zweitens – und als Kehrseite des ersten Punk- tes – gibt es in Deutschland nur wenig qualita- Angesichts dieser Lücken wird daher im Fol- tive Forschungen zu Energiewendediskursen genden untersucht, welche Diskurse und Ein- bei Angehörigen verschiedener sozialer Mili- stellungen zur Energiewende sich bei ver- eus. Einstellungen zur Energiewende werden schiedenen Bevölkerungsgruppen in einer vor allem durch die im Auftrag des Bundes- bestimmten Region finden lassen, die nicht umweltamtes durchgeführten Umweltbe- aktiv für oder gegen erneuerbare Energien wusstseinsstudien thematisiert, die seit 2008 und Energiewende Stellung beziehen und die soziale Milieus mit einschließen (Wippermann nicht aufgrund ihrer institutionellen Zugehö- et al. 2008). Als Umfragestudien sind diese rigkeit mit diesen Themen in Kontakt kom- jedoch stark kontextabhängig und nur bedingt men: Welche Wissensbestände und zugrunde- geeignet, Diskurse und Positionen zu erfassen liegenden Annahmen zu erneuerbaren Ener- (Roose 2012: 92; Schipperges et al. 2016: 10). gien sind zu finden? Zeigen sich Widersprüche Zwar wurden im Rahmen dieser und anderer und Spannungen zwischen verschiedenen Umfragen auch wiederholt qualitative Vorstu- Aussagen? Welche Einflüsse und Spuren he- dien durchgeführt, diese wurden jedoch nicht gemonialer Diskurse gibt es? Wie werden sehr tiefgehend ausgewertet oder tauchen in regionale Besonderheiten und bestehende den Endberichten gar nicht mehr auf (BMU Auseinandersetzungen um die Energiewende und Umweltbundesamt 2015; Setton et al. thematisiert? Angeknüpft wird somit an die 2017). Die wichtigste Veröffentlichung in Hegemonietheorie im Anschluss von Gramsci. diesem Bereich ist immer noch die von In dieser wird die breitere Bevölkerung als Borgstedt et al. (2009) veröffentliche Studie, Terrain konzipiert, auf dem der Kampf um die jedoch auf neuere Entwicklungen, bspw. Meinungen ausgetragen wird. nach dem Atomunfall von Fukushima, nicht eingeht. Theoretischer Hintergrund: Hegemo- nie und Alltagsbewusstsein nach Drittens gibt es in Deutschland wenig Ausei- Gramsci nandersetzung mit der These der „sozialen Die Theorien Gramscis wurden in den letzten Organisation der Verdrängung“ (Norgaard Jahren verstärkt rezipiert. Ein Grundgedanke 2011). Nach Norgaard (2011) ist die Nicht- ist, dass sowohl der Erhalt von Herrschaft als Auseinandersetzung mit dem Klimawandel auch des gesellschaftlichen Status Quo we- sozial organisiert und durch identifizierbare sentlich durch das vermittelt ist, was gesell- Dynamiken vermittelt. Während Klimawandel schaftlich als ‚normal‘ und legitim anerkannt abstrakt bekannt ist, fehlt eine Verbindung mit ist. Die Schaffung und Aufrechterhaltung die- dem alltäglichen Leben. Diese Fehlstelle wird ser anerkannten Normalität passiert nicht nur jedoch aktiv hergestellt, bspw. durch Taktiken in politischen Prozessen im engeren Sinn – der Dethematisierung im Alltag und bei gesell- etwa in Parlamenten und Parteien –, sondern schaftlichen Aktivitäten. Im Gegensatz zu die- vor allem in der breiten Sphäre der Zivilge- 85 sellschaft: „Religion/Kirche, Wissenschaften, sozialer Gruppen widersprüchlich struktu- Bildungseinrichtungen, Familie, Vereine, Ge- riert sein.“ (Sutter 2016: 56) werkschaften, Medien, Institute etc.“ (Lange- Der Alltagsverstand bietet somit eine Mög- meyer 2009: 75). Wenn ein solcher Zustand lichkeit, Auseinandersetzungen verschiedener temporär etabliert ist, wird in Anknüpfung an Positionen zur Energiewende und deren Ver- Gramsci auch von einer „kulturellen Hegemo- ankerung in der breiteren Bevölkerung zu nie“ gesprochen (Opratko 2018; Leggewie betrachten. Notwendig ist hierfür, dem frag- 1987). Im Normalfall streben allerdings ver- mentarischen, widersprüchlichen Charakter schiedene gesellschaftliche Kräfte danach, ihre des Alltagsverstands Raum zu geben und ne- Positionen als anerkannte zu etablieren – ver- ben der individuellen auch dessen kollektive schiedene „Hegemonieprojekte“ streben da- Ebene erfassen zu können. Einen solchen Zu- nach, hegemonial zu werden (Buckel et al. gang bieten Gruppendiskussionen und deren 2014). In diesem Verständnis ist „der eigent- Auswertung anhand der dokumentarischen lich politische Kampf der Kampf um die He- Methode (Bohnsack 2008). gemonie oder, wie Bourdieu es ausdrückt, um die legitime Sichtweise der sozialen Welt“ Empirische Umsetzung: Gruppendis- (Hirsch und Voigt 2017). kussionen in der breiteren Zivilgesell- schaft in der Energiewenderegion bay- Diese Auseinandersetzungen finden vor allem erisches Oberland in dem statt, was Gramsci (2012) den „All- tagsverstand“ nennt – die Sphäre dessen, was Regionale Verortung und Hintergrund der alltäglich als normal angesehen wird und nicht Diskussionen ist die Region ‚bayerisches Ober- hinterfragt wird: „Eine revolutionäre Bewe- land‘ – drei Landkreise im Süden Bayerns, gung muss den Kampf um diesen Alltagsver- welche sich per Kreistagsbeschluss das Ziel stand aufnehmen, und dies ist nichts anderes der vollständigen Versorgung durch erneuer- als der Kampf um politische ‚Hegemonien‘‘‘ bare Energien bis zum Jahr 2035 gesetzt ha- (Opratko 2018: 47). Der Alltagsverstand stellt ben. Wichtigster Akteur für die Energiewende den Individuen in einer Gesellschaft somit ist die „Bürgerstiftung Energiewende Ober- einen „Bedeutungsrahmen zur Verfügung, aus land“, die mittels Kampagnen und Netzwerk- dem heraus die alltägliche Lebenswelt wie arbeit sowie unabhängiger Beratung versucht, eine solide Realität erscheint“ (Sutter 2016: dieses Ziel zu unterstützen. 54- 55). Gleichwohl ist er beeinflusst von un- Wie bestehende Forschungen im Kontext des terschiedlichsten Quellen und Diskursen und Forschungsprojekts INOLA ergeben haben1, umfasst somit sehr inkohärente und wider- finden erneuerbare Energien in dieser Region sprüchliche Elemente. Trotz der Wahrneh- wie in Gesamtdeutschland in Umfragen starke mung als fest und unumstößlich ist er perma- Zustimmung (Halwachs et al. 2017). Etwa 37 nent im Wandel, indem neue Elemente aufge- Prozent der Befragten haben angegeben, dass nommen werden und alte an Bedeutung ver- sie das energiepolitische Ziel der Landkreise lieren. Durch diese Kombination von individu- kennen, bis zum Jahr 2035 die Energieversor- eller Reproduktion und kollektiven Prozessen gung möglichst zu 100 Prozent aus erneuer- vereint er „sowohl individuelle wie auch sozia- baren Energien zu decken (Halwachs et al. le und kollektive Elemente“ (Sutter 2016: 56): 2017: 28). Gleichzeitig ist der Ausbau erneu- „Der Alltagsverstand […] lässt […] sich ei- erbarer Energien regelmäßig Gegenstand nerseits sozial im Sinne milieuspezifischer starker Konflikte in der Region, beispielsweise Weltauffassungen verorten und konstituiert aufgrund damit einhergehender Landschafts- sich in Relation zu solchen anderer sozialer veränderungen oder anderer befürchteter Gruppen. Auf der anderen Seite ist der All- 1 tagsverstand nicht kohärent und homogen Diese Veröffentlichung basiert auf Arbeiten im Projekt INOLA (Innovationen für ein nachhaltiges Land- und Energiemanagement auf regionaler Ebene), das und kann dementsprechend auch innerhalb mit Laufzeit 2014-2019 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. 86

Auswirkungen. Insgesamt werden bei Be- Thema beschäftigen und diese Position auch trachtung der Auseinandersetzung unter Sta- nach außen vertreten: Regionale Naturschutz- keholdern erneuerbare Energien häufig mehr gruppen und Energiewendeengagierte sowie als Risiko denn als Chance wahrgenommen eine Gruppe aus dem Bereich Klimaaktivis- (Bothe und von Streit 2017). Es stellt sich mus. daher die Frage, welche Positionen und Dis- kurse darüber hinaus in der breiteren Bevöl- In der ersten Erhebungsphase ergaben sich kerung vertreten sind. Lässt sich die gleichzei- Diskussionen mit zwei bis vier Teilnehmen- tige Zustimmung in den Umfragen und das den, bei drei Anfragen auch nur Einzelinter- Auftreten von Konflikten aus den Diskursen views. Im Kontrast dazu waren die Diskussio- der breiteren Bevölkerung erklären, oder ist nen in den Bereichen Naturschutz und Ener- hier dies vor allem auf die Positionen der etab- giewendeengagierte mit acht bzw. zehn Teil- lierten Stakeholder zurückzuführen, deren nehmenden sehr viel größer. Im Einklang mit Meinung als ‚laute Stimmen‘ in Öffentlichkeit der Empfehlung, selbstläufige Diskussionen zu und Medien präsent sind? initiieren, wurden lediglich grobe Themen- komplexe vorgegeben und Nachfragen erst Für diese Fragestellung bedarf es einer diffe- gegen Ende der Diskussionen gestellt. Eben- renzierteren Sichtweise, als es mittels quanti- falls gegen Ende wurde eine Reihe von Post- tativen Umfragen möglich ist. Als qualitativer karten zu Aspekten erneuerbarer Energien Ansatz wurde deshalb die Durchführung und vorgelegt und um Auswahl der anziehendsten Auswertung von Gruppendiskussionen gemäß oder abstoßendsten Motive gebeten. Hier- der dokumentarischen Methode (Bohnsack durch wurde das Themenfeld nochmals ge- 2008) gewählt. Für die Rekrutierung der Teil- weitet und die Teilnehmenden zur eigenen nehmenden wurde der Zugang über diverse Positionierung angeregt (vgl. Degele et al. zivilgesellschaftliche Organisationen außer- 2009). Die Diskussionen wurden begleitet von halb der bestehenden Energiewendenetzwer- einem zweiseitigen Fragebogen, wo neben ke und ohne Bezug zu erneuerbaren Energien demographischen Daten auch die Lebensfüh- gewählt: Sport-, Trachten- und Gesangsverei- rungstypologie von Otte (2013) abgefragt ne, Lions bzw. Rotary Club, Mieterschutzorga- wurde. Diese erfasst auf kompakte Weise so- nisationen (vgl. Schweizer-Ries et al. 2016: wohl biographische Grundorientierung als 99). Es wurden Diskussionen mit Gruppen auch subjektive Kapitalausstattung und er- angestrebt, die – gemäß den Empfehlungen möglicht eine schnelle Milieu-Einordnung. der dokumentarischen Methode – aus einer kleineren Anzahl von Personen bestehen und Entgegen den ursprünglichen Erwartungen deren Teilnehmende als Realgruppen auch haben auch bei dieser Rekrutierungsmethode, außerhalb der Diskussionen miteinander in die nicht an bestehende Netzwerke der Ener- Kontakt stehen. Vorsitzende oder andere Ga- giewende angeknüpft hat, vor allem Personen tekeeper wurden gefragt, ob sich einige Per- an den Diskussionen teilgenommen, die be- sonen für ein Gespräch über „Energiewende reits interessiert sind und erneuerbaren Ener- und erneuerbare Energien im Oberland“ fin- gien grundsätzlich positiv gegenüberstehen. den lassen. Hinzu kamen Kurzdiskussionen Vor diesem Hintergrund müssen auch die während Zugfahrten, in denen gemeinsam demographischen Daten der Teilnehmenden Reisende mit Wohnsitz in der Untersuchungs- interpretiert werden: Teilgenommen haben region um ein ca. 30-minütiges Gespräch ge- vor allem Männer mit höheren Bildungsab- beten wurden, sowie informelle Gespräche schlüssen und in relativ hohem Alter (vgl. bspw. in Kneipen in der Region und teilneh- Tabellen im Anhang) – also Bevölkerungs- mende Beobachtung bei Informationsveran- schichten, die auch anderswo als überdurch- staltungen zu Ausbauprojekten erneuerbarer schnittlich häufig engagiert bzw. beteiligt be- Energien. Kontrastierend wurden außerdem schrieben werden (Simonson und Vogel 2017; ‚laute‘ Gruppen kontaktiert, die sich mit dem Yildiz et al. 2015; Fraune 2018): 28 von 36

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Teilnehmenden waren männlich, 27 hatten einen universitären Abschluss und vier weite- re Abitur, und das Durchschnittsalter lag bei 56 Jahren (wobei sich hinter diesem Durch- schnitt einige jüngere Teilnehmende um die 30 und viele RentnerInnen verbergen). Bei der Einordnung gemäß der Lebensführungstypo- logie nach Otte (2013) zeigt sich eine Häufung der mittleren Kapitalausstattungen und der mittleren Modernität, auch wenn hier die an- hand der Rekrutierung erwarteten Unter- schiede vorhanden sind (vgl. Abb. 1). Traditi- onelle Milieus und niedrige Kapitalausstattung fehlen fast komplett. Abb. 1: Mileuverortung der Diskussionsteil- Insgesamt sind also Positionen zugunsten nehmenden. Eigene Darstellung nach Otte(2013). erneuerbarer Energien deutlich stärker im empirischen Material vorhanden. Deutlich Erste Ergebnisse: Die Besonderheit des wird dies auch beim Vergleich mit Positionen, Oberlandes und die Konstruktion der die bei teilnehmenden Beobachtungen und Unmöglichkeit zu handeln damit ohne Selbstauswahl der Teilnehmenden Auf den ersten Blick scheinen die Ergebnisse zu beobachten waren – bspw. Stammtischge- in Einklang mit bestehenden Umfragen zu spräche, wo erneuerbaren Energien als unzu- stehen. Auch wenn hier natürlich die erwähn- verlässig, teuer und insgesamt nicht in Be- te Selbstauswahl wirksam ist, äußerten sich tracht zu ziehend abgelehnt wurden. fast alle Gruppen grundsätzlich positiv zu er- neuerbaren Energien. Trotzdem ist auch be- Trotz dieser Vorauswahl der Teilnehmenden reits auf dieser Ebene sichtbar, wie wenig das ergeben sich interessante Punkte. Auch konn- regionale Energiewendeziel in der Bevölke- ten anhand des Datenmaterials Dynamiken rung verankert ist: Es wurde von keinem der herausgearbeitet werden, die auch bei den Teilnehmenden in die Diskussionen einge- teilnehmenden Beobachtungen unter Umge- bracht. Auf Nachfrage war zu erfahren, dass es hung der Selbstauswahl beobachtet werden niemand kannte, selbst Personen, die zeitwei- konnten – womit sich die Frage stellt, ob die se bei regionalen Energiewendearbeitskreisen Effekte der Selbstauswahl wirklich so groß aktiv waren. Umfrageergebnisse, wonach 37 sind, wie auf den ersten Blick anzunehmen. Prozent der Befragten dieses Ziel kennen Erste Ergebnisse aus der laufenden Auswer- (Halwachs et al. 2017: 28), sind somit vermut- tung werden im Folgenden dargestellt. Eine lich teilweise auf soziale Erwünschtheit zu- noch offene Frage ist, ob die unterschiedlichen rückzuführen. Rekrutierungswege sich auch in den Ergebnis- sen widerspiegeln, ob also die unterschiedli- Bei genauerem Blick auf die Argumentationen chen Realgruppen auch als Gruppen unter- ist jedoch festzustellen, dass sich hinter der schiedlicher Einstellungen rekonstruiert wer- Zustimmung zur Energiewende tiefere Zweifel den können. Geplant ist zudem eine zweite verbergen und dass neben der Zustimmung Erhebungsphase, in der der Kreis der Befrag- andere, widersprüchliche Positionen vorhan- ten noch einmal erweitert wird und auffällige den sind. Es überlagern sich Diskurse, wonach Unterschiede durch theoretisches Sampling erneuerbare Energien als „gut“ anzusehen ergänzender Gruppendiskussionen vertiefend sind, mit Diskursen, die beispielsweise die betrachtet und generalisiert werden können. Kosten erneuerbarer Energien oder deren Unzuverlässigkeit betonen oder die den Erhalt regionaler Landschaftsbilder fordern. Bei-

88 spielsweise wurden erneuerbare Energien abgelehnt werden (vgl. Althaus 2012). Jedoch und Energiewende in einer Gruppendiskussi- greift diese Einordnung zu kurz. Zweifel sind on als „recht sinnvoll“ charakterisiert (Zug 1,8- nicht nur aufgrund der wachsenden generel- 24). Im Anschluss dominierten jedoch Zweifel, len Kritik an der Erklärungskraft des NIMBY- ob erneuerbare Energien ausreichen, um „den Konzeptes angebracht (Schmitt et al. 2016; Stromhaushalt zu erzeugen, den wo man jetzt Hoeft et al. 2017). Auch ein weiterer Blick auf zur Zeit mit Atomkraftwerken und etcetera das Material lässt eine komplexere Interpreta- herbringt“ (Zug 1,29-33). In einer anderen tion nötig erscheinen. Diskussion wurde zwar vehement für einen Ausbau erneuerbarer Energien argumentiert – Deutlich wird dies bspw. in den Bezugnahmen das gehe „alle“ an und es müsste eigentlich auf das politische System. In den Diskussionen viel schneller vorangehen (Gesangverein 1, unter Energiewende-Engagierten, Natur- 203-222). Im Gegensatz zu dieser abstrakten schutz- und Klima-Aktivist_innen wurden Ebene steht jedoch der persönliche Umgang erneuerbare Energien als nötig für Demokra- mit dem Thema, bei dem Zweifel und Lang- tie und soziale Gerechtigkeit angesehen. Diese samkeit bei möglichen Investitionsentschei- stellen auch umgekehrt Demokratie und sozia- dungen überwiegen: „Das muss sich ja irgend- le Gerechtigkeit als Voraussetzung für eine wo auch amortisieren“ (Gesangverein 1, 157). gelingende Energiewende bzw. ein klima- Bei der Frage nach der persönlichen Vision für freundliches Energiesystem dar: Verteilungs- die regionale Energieversorgung wurde spon- gerechtigkeit, Bürgerenergie und Kleinteilig- tan angegeben, dass es doch Windparks in der keit seien nicht nur Werte an sich, sondern Ostsee geben solle, von denen „wir dann sau- würden auch für Akzeptanz, demokratische bere Energie da zapfen können“ (Gesangverein Kontrolle durch die jeweilig Betroffenen und 1, 358-364). Impliziert ist, dass Erzeugungsan- eine Passfähigkeit der Versorgung an die je- lagen möglichst weit weg stehen sollten, wo weiligen Umstände sorgen. In diesen Diskus- keine Auswirkungen spür- oder sichtbar sind. sionen zeigen sich Bestandteile eines Diskur- Auch die folgende Diskussion möglicher regi- ses von erneuerbarer Energie als dezentrale onaler Anlagen stand unter dieser Prämisse: „sanfte“ Energie, der bis auf die ersten Anfän- Denkbar seien Anlagen, „wo sie jetzt vielleicht ge von Windkraft und Photovoltaik zurück- nicht direkt im Mittelpunkt stehen“ oder „wo geht (Mautz et al. 2008). (Gesangverein 1, 410- halt jetzt keiner wohnt“ Dagegen wurde in den anderen Diskussionen 419). kein positiver Bezug zwischen erneuerbaren Insgesamt wird die Energiewende trotz Sym- Energien und Demokratie hergestellt. Im Ge- pathien als vom eigenen Handeln getrennt genteil wurden vor allem Bürgerinitiativen gesehen. Ebenso wurde der persönliche gegen erneuerbare Energien mehrfach als Wunsch, dass die Energiewende schneller Problem gesehen. Die Lösung liege einerseits vorangehen möge, nicht in Zusammenhang in der Politik: „Ja, aber da ist meiner Meinung gebracht mit der Beeinflussung von Regie- nach die Politik gefragt, weil jeder einzelne - rungshandeln: Auch wenn die Regierung dafür ist klar, dass der was dagegen hat, wenn ne- verantwortlich gemacht wird, dass es keine ben ihm eine Windkraft gebaut wird oder, schnellere Energiewende gibt, werden eine oder ein Solarfeld dahingepflastert wird oder mögliche Einflussnahme oder politische Betä- eine Stromtrasse vorbeigeht. Aber da muss tigung nicht erwähnt oder Regierungshandeln dann einfach die Politik sagen, du jetzt pass explizit als nicht beeinflussbar angesehen. auf, das ist eben für die Allgemeinheit und jetzt nicht für den einzelnen“ (Gesangverein 1, Die Argumentation folgt auf den ersten Blick 102-107). Andererseits wird die politische dem NIMBY-Prinzip („Not in my Backyard“), Form der Demokratie selbst als Problem ge- nach denen Energiewendeanlagen abstrakt sehen: „Das ist natürlich […] unsere politische befürwortet, aber bei eigener Betroffenheit Form. […] Wenn jeder was dazu sagen kann,

89 dann, […] das ist das Problem“ (Gesangverein auch keine Hoffnung auf zukünftige, lediglich 1, 117-137). Während in den Diskussionen „noch“ nicht verfügbare technische Möglich- unter Energiewende-Engagierten, Natur- keiten gesetzt. Sanierung wird – durch die schutz- und Klima-Aktivist_innen in erneuer- Wiederholungen noch verstärkt – als ein Prob- baren Energien und direkter Demokratie All- lem angesehen, für das es überhaupt „keine gemeinwohl und Partikularinteresse in Ein- Lösungen“ gebe. Im weiteren Verlauf des Ge- klang gebracht werden können, wird hier eine sprächs wurde dies auch als Grund angegeben, Trennung aufgemacht zwischen der Notwen- warum keine Sanierung des eigenen Hauses digkeit erneuerbarer Energien (Allgemein- erfolgt. wohl) und der verständlichen Ablehnung von Energieanlagen im persönlichen Umfeld (Par- Auf ähnliche Weise wurden Besonderheiten tikularinteresse). Laut dieser Sichtweise muss des Oberlandes auch in einem Stammtischge- dieser Gegensatz auf ziemlich klassische Wei- spräch beschrieben, bei dem nach der Mei- se durch die Politik gelöst werden, wobei nung zur Energiewende gefragt wurde. Nach- technische, neutrale Abwägungen nötig sind dem zuerst über Investitionskosten und die und Elemente direkter Demokratie vor allem Absenkung der EEG-Vergütung geredet wur- als störend angesehen werden. de, entwickelte sich ein Zwiegespräch, in dem die Teilnehmenden begründeten, warum sie Neben diesem Politikverständnis war zudem keine Nachtabsenkung der Heizung durch- auffällig, wie die Region selbst als außerge- führten. Auch wenn sie selbst das Thema auf- wöhnlich und nicht mit anderen Gegenden zu brachten, überwog bei den Teilnehmenden vergleichen konstruiert wurde. Dies war in offenbar das Gefühl, sich rechtfertigen zu mehreren Diskussionen zu beobachten und müssen: diente vor allem als Begründung, warum trotz der generell positiven Einstellung keine wei- Im Winter, wenn es kalt ist, […] stelle ich al- tergehende eigene Aktivität erfolgte. Beson- le [Heizungen] auf Handbetrieb und lasse ders prägnant zur Sprache kam dies in der die dann durchlaufen. Ich betreue 30 Häu- Diskussion „Gesangsverein 1“ beim Thema ser, Büros und andere Gebäude. Das ist viel Energiesparen durch Wärmedämmung: besser, wenn man keine Nachtabsenkung macht, das funktioniert vielleicht in Mün- Wobei wir im Oberland natürlich ein Rie- chen, wo die Nachttemperaturen gleichmä- senproblem haben. Bei alten Häusern geht ßig sind, aber nicht hier in der Region, wo eine Wärmedämmung nicht so, wie es (.) man im Winter manchmal tagsüber minus wie es eigentlich sein soll. Weil jeder Punkt 15 Grad hat. […] Auch 30 Kilometer weiter ist (.) ist ein Problem, jeder Balkonan- kann es schon etwas Anderes sein. Hier ist schluss ist ein Problem, jede Dachrinne ist es besonders kalt im Winter. (Stammtisch 1, ein Problem. Jedes Regenrohr ist ein Prob- Gedächtnisprotokoll, 58-66) lem, jeder Baum, der vorm Haus steht, ist Auch hier wird die Region als ein Grund kon- ein Problem. Ja, wirklich, es ist so! […] Und struiert, warum zu befürwortende Maßnah- da gibt es noch keine Lösungen. Da gibt’s men nicht durchgeführt werden: Eigentlich keine Lösungen. (Gesangsverein 1, 305- sollten die Heizungen nachts abgesenkt wer- 309) den, um Energie zu sparen. Dies gehe aber Auch wenn eine Wärmedämmung eigentlich (zumindest im Winter) nicht, weil es hier be- befürwortet oder sogar als notwendig angese- sonders kalt sei – im Unterschied zu anderen hen wird, wird deren Durchführung im Ober- Orten, die 30 Kilometer entfernt sind. land nicht für möglich gehalten: Im Oberland gebe es laut dieser Argumentation besonders In beiden Fällen erschien es den Teilnehmen- viele alte Häuser, und bei alten Häuser sei es den offenbar notwendig zu begründen, warum nur unter sehr großem Aufwand möglich eine auf diese Art und Weise gehandelt wird. Ob- Wärmedämmung durchzuführen. Hier wird wohl die Teilnehmenden im ersten Beispiel 90 erneuerbaren Energien und der Energiewende zur Energiewende vor allem auf abstrakter grundsätzlich positiv, die Teilnehmenden im Ebene zu finden und in einem abstrakten zweiten Beispiel grundsätzlich skeptisch ge- Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsdiskurs genüberstanden, gleichen sich die Argumenta- verwurzelt. Wenn erneuerbare Energien nä- tionen. Die gesellschaftliche Forderung nach her an das eigene Lebensumfeld rücken, wird Energiesparen und Dämmung scheint einer- diese abstrakte Zustimmung zunehmend seits im Alltagsverstand verankert zu sein, so durch andere Diskurse überlagert – bspw. dass es notwendig ist, Gründe für Nicht- durch einen Energiekostendiskurs und den Handeln anzugeben. Gleichzeitig scheint die- Diskurs zum Erhalt der Landschaft (vgl. ser gesellschaftliche Imperativ aber abstrakt Leipprand et al. 2017; Brühne 2015). Mittel, zu sein, ohne Bezug zum eigenen Handeln – um diese Kluft zu überbrücken, sind der Ver- und nicht notwendigerweise verbunden mit weis auf die Politik, die das Allgemeinwohl einer Überzeugung, auch handeln zu wollen. gegen Partikularinteressen durchsetzen müs- Um dies aber nicht offenzulegen, werden in se, und insbesondere eine Konstruktion der beiden Fällen Begründungen gesucht, warum Region als für die Energiewende nicht geeig- Aktivitäten nicht möglich sind. net – ein „Tool of Innocence“, um trotz dieser Spannung das eigene Handeln bzw. Nicht- Insgesamt ist dies eine Dynamik, die bereits Handeln zu rechtfertigen (Norgaard 2011: von Norgaard (2011) als „Tool of Innocence“ 170). beschrieben wurde: „Two sets of tools are utilized to ignore problems: ’tools of order’ Offen bleibt damit, wie diese Befunde einzu- affirm a sense of how things are in the world, ordnen sind. Wie in der Einleitung betont, and ‘tools of innocence’ create distance from sollen die skizzierten Phänomene als ein Mo- responsibility and assert rightness or good- ment von Diskursen und hegemonialer Kons- ness of actions” (Norgaard 2011: 215). Dies tellationen interpretiert werden, und damit wird in ihrem Beispiel durch die Konstruktion nicht vorrangig z.B. als sozialpsychologisches von Norwegen als klein, unbedeutend und Phänomen oder als Phänomen inkorporierter friedlich geleistet (Norgaard 2011: 170), in Praktiken (Jaeger-Erben 2017). Auch wenn dieser Studie eher durch die Konstruktion von dies in der gegebenen Kürze nicht vollständig naturräumlichen und siedlungsgeographi- zu leisten ist, sollen doch ein paar Hinweise schen Besonderheiten. Gleichwohl werden in gegeben werden: Erstens sind die beschriebe- beiden Fällen räumliche Einheiten als je be- nen Phänomene als kommunikative Akte von sondere Umstände für die Unschuld der Nicht- gesellschaftlich verfügbaren Wissensbestän- Aktivität angeführt, obwohl Handeln abstrakt den – Diskursen – abhängig und geben damit als gesellschaftlich gewünscht gesehen wird. Auskunft über deren Verbreitung und Verar- beitung im Alltagsverstand. Zweitens ist die Schluss und Ausblick Spannung zwischen abstrakter Zustimmung Die These dieses Beitrags lautet, dass die Dis- und Verantwortungszuschreibung an „uns kurse und Aushandlungsprozesse in der alle“ auf der einen Seite und konkreter Ableh- Mehrheitsgesellschaft betrachtet werden nung und der Zuschreibung von Verantwor- müssen, um das Verhältnis von abstrakter und tung an Gesetzgeber und Politik im konkreten konkreter Befürwortung erneuerbarer Ener- Fall auf der anderen Seite bereits in Umfrage- gien, aber auch von Aktivität und Nicht- studien thematisiert, aber nicht in ein Ver- Aktivität zu verstehen. Hierzu wurde der Zu- hältnis gestellt worden (vgl. Borgstedt et al. gang über Gruppendiskussionen gewählt, de- 2010: 38; Schweizer-Ries et al. 2016: 41). ren Teilnehmende anhand ansonsten nicht Spannungen treten also bereits auf der Ebene beteiligter zivilgesellschaftlicher Organisatio- kommunikativen Handelns auf, nicht erst zwi- nen wie Sport- und Gesangvereine rekrutiert schen kommunikativem Handeln und routi- wurden. Wie bei der kurzen Skizze erster Er- nierten Praktiken. Drittens ist auch das Ver- gebnisse deutlich wurde, ist eine Zustimmung hältnis dieser Diskursfragmente Teil von he- 91 gemonialen Aushandlungsprozessen. In dem Bohnsack R. (2008): Gruppendiskussion. In: Maße, indem ein Diskurs regionaler oder de- Flick U., Kardorff E.v., Steinke I.: Qualitative zentraler Energiewende auch in der breiteren Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Bevölkerung an Einfluss gewinnt, würde zum Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl., Beispiel auch die Spannung zwischen abstrak- 369–383. ter Zustimmung und konkreter Distanzierung Borgstedt S., Calmbach M., Wippermann, C. durch die Verortung von Handlungsmöglich- (2009): Milieusensible Umweltpolitik: Hin- keiten im eigenen Umfeld abnehmen. Dies tergrundwissen und Strategien. Heidel- auszuarbeiten und den Einfluss unterschiedli- berg. http://www.demokratie- cher Diskurse nach verschiedenen gesell- goettingen.de/content/uploads/2012/09/ 11288_BMU_ schaftlichen Gruppen zu unterscheiden, bleibt Zielgruppenhandbuch%20Institutslogo.pdf Gegenstand weiterer Forschung. (01.05.2018). Borgstedt S., Christ T., Reusswig, F. (2010): Literaturverzeichnis Umweltbewusstsein in Deutschland 2010: Ergebnisse einer repräsentativen Bevölke- Adloff F. (2005): Zivilgesellschaft: Theorie und rungsumfrage. politische Praxis. Frankfurt Main u.a.: Cam- pus-Verl. Bothe J., von Streit A. 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Degrowth – A Feminist Perspective Fenja Jacobs

This paper portrays a feminist perspective on degrowth, which is a concept and movement from the Global North1 criticizing the current state of society from several standpoints. Those include economic growth and capitalism both from a materialist point of view, as well as from a socio-cultural perspective. Degrowthers also criticize concepts like development and progress or “sustainable development” and “green growth”. The alternative vision that degrowth imagines, is instead based on different notions of well-being and happiness, democracy and justice. Until now, feminist voices have been rare in the degrowth literature and movement. However, this lack of awareness on feminist concerns bears the risk of reproducing patriarchal structures in the imagined degrowth society and it is absolutely crucial to include those perspectives from the beginning, putting them at the basis of the movement. Bringing the two approaches together could bear fruitful out- comes for both sides, as feminisms, as well as degrowth share many similar goal.

1. Introduction area, combined with the Degrowth Summer School offering many workshops and discussions The mood at the climate camp in Erkelenz, Ger- on the topic. The incidence is not representative many 2017 is tense. Once again, there are almost for climate camps or even the degrowth move- no men volunteering for the evening shift of toilet ment. However, it shows the importance of taking cleaning. The volunteers are standing in a circle, feminist concerns into account and explicitly chal- talking about how to clean the toilets and how to lenge gender imbalances. This paper aims to dis- share the tasks, but the conversation quickly turns cuss the necessity and potential of a feminist per- towards the elephant in the room. The awareness spective on degrowth. After giving an overview of of the camp participants of patriarchal structures the degrowth movement, it aims to give answers in the current society is supposedly very high; the to the question: “Why do we need a feminist per- patriarchy and its consequences and causes are spective on degrowth?”. discussed thoroughly and, above all, alternatives to this much criticized society are practiced and lived. And yet, even in an event like that, women 2. What Degrowthers Criticize seem to be the ones responsible for cleaning activ- ities. And of course, everybody understands that it In the following I will describe degrowth and what is much more interesting to attend a workshop on degrowthers criticize in a detailed way in order to “Care Revolution & Degrowth” than cleaning the fully understand the concept and afterwards be toilets, but the latter is crucial for the camp to able to draw a feminist perspective from that. function. Hence, the women, who volunteered for the evening shift are annoyed and agree to meet after the cleaning shift to plan an intervention in 2.1 Historic Overview of Degrowth order to raise awareness on the topic. They aim to The history of degrowth started in 1972, when the get the other participants of the camp to make an report “Limits to Growth” was published by the effort to reach a gender balance in cleaning activi- “Club of Rome”. The report indicated, that infinite ties. I observed this situation at the climate camp economic growth was not feasible in a world with in Erkelenz “Klimacamp im Rheinland” in August finite resources and sinks (Muraca 2015: 25). The 2017, a protest camp against lignite mining in the

1 The terms ‚Global North‘ and ‚Global South‘ in this paper will be used to distinguish between countries, more considered to be part of the ‘Western’ world, such as countries of Europe, North America, Australia and New Zealand and on the other hand the Global South with countries of Africa, Latin America, Asia and the Middle East. This distinc- tion also reflects political and economic differences between the two categories. However, the division is not always completely clear and can be problematic. Some countries within the categories and also regions within the same coun- try may have major differences. Also, some countries may not fit well into either of these categories, as they have char- acteristics of both of them. 97 book was a great success and economic growth concept of progress was a male dominated do- was discussed more controversially after its pub- main. Women were excluded from the public lication. The concept of “degrowth” was first intro- sphere, where, by definition, the economy and duced in France (décroissance) by André Gorz. Af- progress happened (Braidotti et al. 1994: 30-32). ter that, in the end of the 1970s, a book by Nicolas Later, progress and economic growth became syn- Georgescu-Roegen, whose work has been very in- onymous in how they were understood by a wide fluential on the degrowth movement, included the majority of the society (Victor 2008: 5-9). Eco- term “décroissance” in the French translation of nomic growth has long been, and still is, used as a the book (Bayon, Flipo, Schneider 2010: 10). In promise for wealth for everyone. Growth thus has this first phase of the degrowth movement, the fo- been used as a synonym for wealth. In fact, for a cus was put on limited resources (D’Alisa 2016: long time, economic growth did increase wealth 18). However, economic growth was also criti- through the supply of basic material goods and cized from a socio-cultural perspective and as a therefore the belief in economic growth as a savior negative mentality itself (Muraca 2015: 25-27). A has become unquestioned. However, economic second phase of degrowth took place in the begin- growth nowadays is based on intensified competi- ning of the new millennium especially in France, tion and often increases social inequalities (Mu- where a focus was put on the critique of develop- raca 2015: 77). ment and sustainable development (D’Alisa et al. 2016: 18). Conferences were held and several pa- 2.3 Limits to Growth pers were published on the topic and the term be- By now it is commonly recognized that the earth came more and more established (Bayon et al. has limited resources and a limited capacity of 2010: 10-14). The English term “degrowth” first waste disposal – sources and sinks. Economies de- came up in 2008 after the first Degrowth Confer- pend on their environment in order to get materi- ence in Paris took place. Since then, several als and energy and to be able to dispose them. Degrowth Conferences have followed (Muraca Economies exceed both the capacity of natural 2015: 29-30). systems to supply resources as well as the capac- ity to take up wastes (Victor 2008: 47-74). Figure 2.2 Critique on Economic Growth 1 shows the current state of control over seven The critique of economic growth is, as the name planetary boundaries. suggests, essential to the degrowth movement and the abolition of economic growth and especially the great influence it has on society is a declared goal of degrowth (D’Alisa et al. 2016: 20). Eco- nomic growth is commonly measured by the Gross Domestic Product (GDP). It therefore occurs when the GDP grows, meaning an increase of goods and services within a certain time period in a national economy (Victor 2016: 188). It is questionable and controversial if GDP is a suitable tool to meas- ure economic growth, for example because it does not include care work or voluntary work in its measurements (O’Neill 2016: 86-88). The idea of economic growth has historically been strongly Figure 1: Current state of control over seven Planetary Boundaries linked to the concept of “progress” which came up Source: Steffen et al. 2015: 736. with the European Enlightenment alongside with other values such as private property, human rights or representative democracy. At that time, It is also important to mention that environmental progress referred to improvement in wealth but destruction is based on great injustices. Industrial also in fields like social organization or art (Victor production has more and more been relocated to 2008: 5-9). It should be noted, however, that this

98 the Global South and has increased the CO2 emis- For many degrowth advocates, the term sustaina- sions there, while the goods being produced are ble development is a contradiction in itself, as it mostly consumed in the Global North (Jorgenson, disguises how development looks like in reality Clark 2012: 30). Yet, the ecological foot prints of (Latouche 2015: 27-28). Based on this critique it the Global South are vanishingly small compared is necessary to deconstruct the common notion of to those of the Global North (Latouche 2015: 45- development, which is a construct developed by 46). the Global North and portrays development as a linear process based on progress (Kothari et al.

2014: 366-367).

2.4 Critique on (Sustainable) Development Another critique essential to the degrowth move- ment is the critique on (sustainable) development. 2.5 Critique on Green Growth According to Escobar (2016: 49-50), the concept With the background that awareness of environ- of development came up with the late colonialist mental problems, resource scarcity and the link to period with the aim to eliminate poverty in “un- economic growth has reached wide parts of soci- derdeveloped” regions and was continued after ety, a new form of economic growth – green the Second World War to “modernize” those re- growth – is being propagated in recent years, gions. In this sense, development and economic based on the ecological modernization theory growth are closely linked to each other (Escobar (Jorgenson, Clark 2012: 6). The idea is, that tech- 2016: 49-50). Development and economic growth nological innovations can prevent environmental according to degrowthers, lead to a loss of cultural destruction and resource exhaustion (Brown et al. diversity and the disappearance of local cultures 2014: 246). More sustainable products, infra- of the Global South (Latouche 2015: 52-55). The structures and technologies, as well as a circular rest of the world is emulating the way of consump- economy, are meant to protect the environment tion and production of the Global North and tech- and still keep up the economic growth and living nologies deriving from the Global Norths’ way of standards in the Global North (Paech 2013: 72). life are spreading all over the world (Kothari et al. New technologies contribute to the creation of 2014: 366). Development as it is practiced by in- new markets which open up new opportunities dustrialized countries produces dependencies of for investments and profits which in turn can be the Global South which function as resource sup- used for other innovations contributing again to pliers for the Global North (Muraca 2015: 45-46). cleaner production (Jorgenson, Clark 2012: 6). It is significant that everyday life in the Global Economic growth should be “decoupled” from North or in capitalistic centers in general is based emissions or resource use. Decoupling can either on structures in other places, especially in the happen in relative or in absolute terms. Relative Global South. Brand and Wissen (2017: 43-45) call decoupling means, that impacts on the environ- this circumstance the “imperialist way of life”. De- ment decrease in relation to the economic output. spite decades of propagating development, only Absolute decoupling on the other hand means that few countries can be called “developed” by today economic activities are completely decoupled (Kothari et al. 2014: 366). Nowadays especially from resources and emissions (Jackson 2009a: 59- the concept of “sustainable development” is being 67). There has been some success in relative de- promoted. The concept was introduced to a wider coupling. However, this does not solve anything if popularity with the “Brundtland Report” 1987. the economy continues to grow and decoupling is Based on the fact that the definitions of sustaina- not happening in the same measure (Jackson ble development were not very clear in that re- 2009a: 60-67). Absolute decoupling has not been port, definitions suitable for anyone without hav- achieved in the last years and it is not very likely ing to compromise other objectives came up soon that it is going to happen anytime soon (Demaria afterwards. The conventional notion of sustaina- et al. 2013: 196). ble development today includes economic growth It is not certain if an absolute decoupling with con- as an essential component (Victor 2008: 19-20). tinuous economic growth is technologically and economically possible (Jackson 2009a: 74) as 99 there is a constant need for economic expansion how a good life for everyone can be realized (Mu- and therefore for resource use which in turn pro- raca 2015: 77-78). duces emissions (Jorgenson, Clark 2012: 7). An- other problem are rebound effects, which means, that through a higher efficiency there is also a 2.7 Critique on Capitalism higher level of consumption and this leads to un- The issue of capitalism is controversially dis- sustainable effects in other areas – the so-called cussed within the degrowth movement, as many Jevons’ Paradox. More efficient goods furthermore degrowth advocates do not position themselves often replace old infrastructures and goods earlier clearly against capitalism (Andreucci, McDonough than they needed replacement which leads to a 2016: 151). However, as capitalism is based on high proportion of gray energy (Schulz, Affolder- constantly expanding and accumulating, promot- bach 2015: 6). ing degrowth also means searching for alterna- tives to capitalism (Kallis 2015: 4). According to Swyngedouw (2016: 119), capitalism nowadays is 2.6 Critique on Economic Growth from a Socio- commonly seen as the only reasonable organiza-

Cultural Perspective tional form. Voices that state the opposite are fre- Even if an absolute decoupling would be possible, quently unheard or their legitimacy is not degrowthers criticize growth not only from an acknowledged. This leads to a process of depoliti- ecological standpoint but also from a social point cization. Politics get economized and economies of view and refuse to accept the notion that get depoliticized, which is problematic for the growth allows a good life for everyone. The East- state of participation and democracy erlin Paradox describes the lacking link between a (Swyngedouw 2016: 119-120). Moreover, neolib- higher income and subjective well-being. People eralization has led to a destruction of institutional tend to compare themselves and their living structures, as well as power, and has endangered standards to others and material claims as well as democracy (Harvey 2007: 9-10). expectations are continuously rising as wealth is rising (Sekulova 2016: 133). This means that when looking at a long-term time frame, happi- 3. What Degrowthers suggest ness does not increase when the income increases After having outlined what it is that degrowthers (Easterlin et al. 2010: 22466). Happiness studies criticize on the current state of societies, the fol- suggest that a higher income leads to a higher sub- lowing chapter will give an overview of what jective well-being, while it happens on a low level degrowth proposes. of economic development. However, after a cer- tain amount of income has been reached, a higher income has only a small or no impact on happiness 3.1 Degrowth – a Definition (Frey, Stutzer 2002: 73-86). Degrowth is a concept with multiple interpreta- An additional criticism of growth from a socio-cul- tions and there are different suggestions and on- tural perspective is, that economic growth does going discussions on how to practically implement not eliminate income inequalities. It only raises degrowth. It cannot be defined as one homogene- the scale instead of changing the distribution of ous movement with one common goal (Schneider wealth among a society (Demaria et al. 2013: 199). et al. 2010: 512-513). The term “degrowth” should Income inequalities have a big negative impact on not be understood literally, as a decline of the GDP life satisfaction, leading to social comparison and (Demaria, Kothari 2017: 2594). However, such a exclusion. Research on happiness also shows that decline would most certainly be part of a non-material components are more important for degrowth process (Schneider et al. 2010: 512). In individual well-being than monetary ones (Seku- the current state of many societies which are lova 2016: 132-134). Degrowth argues for an- based on economic growth, a decline of GDP other perspective on growth than the common would be an economic recession and that would one where economic growth is seen as an un- have severe undesirable consequences (Latouche changeable necessity and suggests to think about 100

2015: 25), such as increased unemployment, pov- of reality, a utopia can also be transformative. erty and inequalities (Beling et al. 2017: 4). Hence, Plus, utopias can give hope and indicate pathways degrowth needs to be a “socially sustainable eco- towards change. According to Ernst Bloch, for a nomic degrowth” (Martínez-Alier 2012: 60). Cru- concrete utopia it is necessary to have a feeling for cial to that is the redistribution of wealth on a what could be possible in reality. Concrete uto- global level, between the Global South and North pias, hence, take tendencies for real possibilities as well as within those regions and also between and enforce them with optimism in order to meet future and present generations (Kothari et al. the hopes of many other people (Muraca 2015: 14- 2014: 369). The emphasis should not only be put 24). on the reduction of economic growth and the re- Apart from being a concrete utopia and a vision for duction of the amount of energy and materials an alternative society, there are already many ini- used by a society – its metabolism – but on the no- tiatives today that are experimenting with tion that the structure and functions of the metab- degrowth ideas and building concrete alterna- olism of a degrowth society would be completely tives, although those initiatives might not always different than the existing one (Demaria, Kothari define themselves as degrowth projects (D’Alisa et 2017: 2594). As Schneider et al. (2010: 512) put it: al. 2016: 194-257). Examples of those initiatives “Sustainable degrowth may be defined as an equi- range from digital commons like Wikipedia and table downscaling of production and consumption other Open Source Software, over Urban Garden- that increases human wellbeing and enhances ing projects, eco-communities, alternative curren- ecological conditions at the local and global level, cies to various cooperatives. Furthermore, there in the short and long term.” are diverse proposals on how to move towards a Also, degrowth does not imply a degrowth in all degrowth society. Those include the redistribu- areas and places, but there could be certain small- tion of labor in order to assure that everybody can scale economic spheres that could still experience get an employment or an unconditional basic in- growth, such as renewable energies (Schneider et come and a maximum income (D’Alisa et al. 2016: al. 2010: 512) or the care sector, such as hospitals 194-257). However, open questions remain on or educational institutions (Neumann, Winker how to push for a degrowth society on a large scale 2016: 6). Above all, regions which are character- in the context of capitalism and economic growth ized by poverty might still need to grow in order (Demaria et al. 2013: 205). to fulfill basic human needs (Research & Degrowth 2010: 524). Most importantly, degrowth should be 4. A Feminist Perspective on Degrowth a voluntary process characterized by participation After having discussed the concept of degrowth in and democracy (Schneider et al. 2010: 512), as detail, I want to reflect on the contributions that deepening democracy is a crucial requirement in degrowth and feminisms can bring to each other. order to move towards a degrowth society (Kallis

2015: 4). Degrowth is a concept from the Global North, de- 4.1 Feminist Streams signed for that context. Yet, there are many con- In the following, I outline different feminist cepts and movements from all around the world streams. Doing so, I will concentrate on the ideas that are envisioning a different society like “Buen and contributions of those streams that I consider Vivir” or “Swaraj” (Kothari et al. 2014: 368). important to my approach. However, this does not

display the whole variety and diversity of each 3.2 Degrowth in Practice stream.

Degrowth could easily be dismissed as a utopia, which sounds great but is not possible to achieve. 4.1.1 Feminist Economy Utopias usually are ideas of another ideal society One stream of feminism with a large potential and which is “better” than the one now and which ex- influence on degrowth are feminist economics. In ists only in fantasy, in another place or in the fu- the center of a feminist economy critique is the re- ture. However, through criticizing the status quo productive sphere of the economy (Bauhardt and changing the perspective and interpretations 101

2012: 4). Reproductive work is work that repro- work, as it cannot be reduced to monetary value duces the capacity for labor work of oneself or of (D’Alisa, Cattaneo 2013: 72), reproductive work others. This reproductive work, also referred to as exceeds productive work. In Germany in 2001, re- care work, includes house work, educational work productive works consumed 96 Billion hours, and caring for family members or other people while productive work took up 56 Billion hours that need care. In the economy as a discipline, the (Winker 2011: 1). reproductive sphere is not considered as ‘work’ Consequently, feminist economists argue, that the and hardly taken into account in economic models concept of ‘work’ needs to be redefined consider- (Urban, Pürckhauer 2016). Labor, on the one ing also reproduction work (Urban, Pürckhauer hand, is very visible within the society, carried out 2016). Economic models frequently ignore the di- in the public sphere, and socially recognized and versity of factors that people, and especially appreciated (Trouble everyday collective 2016: women, consider in making economic decisions 1). Reproductive work, on the other hand, is car- (Perkins 2009: 192-200). Feminist economists ried out in the private sphere, mostly in house- were also among the first to criticize the GDP, es- holds (Urban, Pürckhauer 2016). Therefore, care pecially for the fact that care work is not taken into work is invisible within society and does not re- account (Demaria et al. 2013: 206). ceive much of social recognition. Unlike produc- Nowadays, it is expected of every adult person to tive work, reproductive work is unpaid or poorly carry out productive work. Gendered division of paid (Trouble everyday collective 2016: 1). The labor and the separation of the public and private vast majority of care work is conducted by sphere, however, remains (Trouble everyday col- women. In Germany, two thirds of paid work is lective 2016: 2). What seemed to be the emancipa- carried out by men, while women carry out two tion of women, hence, resulted in a double burden thirds of unpaid work (Biesecker et al. 2012: 15). for many women, being responsible for reproduc- This gendered division of labor derives from the tive work and productive work at the same time fact that the household traditionally has been as- (Winker 2013: 121). Moreover, it resulted in so- signed to women 2 , based on the notion that called “global care chains”. Women, who can af- women are supposedly rather emotional and em- ford it, employ migrant women or otherwise dis- pathetic by their nature and therefore better suit- criminated or poor women for carrying out the able for caring for others (Trouble everyday col- care work for them (Trouble everyday collective lective 2016: 2). However, the attribution of cer- 2016: 2). Care work is thus outsourced from eco- tain characteristics based on gender, derives from nomically richer countries to poorer countries material and social circumstances and not from a (Bauhardt 2014: 64). specific “nature” of women or men (Agarwal 1992: 126-127). Reproductive work is essential to the economic sphere and highly relevant, as every- 4.1.2 Feminist Ecological Economics body needs others to care for them, since the mo- The field of Feminist Ecological Economics links ment of their birth and throughout the whole life feminist work with Ecological Economics (Perkins on a daily basis (Neumann, Winker 2016: 1). Also, 2007: 230) and examines inputs into the economy. without social reproduction, there can be no pro- The focus is put on those inputs, that are underval- duction (Biesecker et al. 2012: 15). Hence, care ac- ued by the mainstream economy. Those include tivities have a great value for the economy. For ex- work, which is mainly done by women and other ample, Swiss women produced a net product more non-monetized services, as well as inputs from the or less equal to the entire net product of the finan- natural environment (Perkins 2010: 3). Industrial cial sector in Switzerland only with care work production depends on caring and reproductive (Bauhardt 2012: 4). Also measured by time, which activities, as well as on ecological processes, which may be a more suitable unit for measuring care at the same time set the limits for production. However, industrial economic thought barely

2 I use the terms “women” and “men” under the 2-3). However, I think it is necessary to use the categori- assumption that those categories are socially constructed. zation into men and women in order to describe existing Differences between the two genders, thus, are based on inequalities. social practices and not on their biology (Meissner 2008: 102 acknowledges the crucial role of the natural envi- of culture, nature stands in a dualism to culture as ronment and people who carry out reproductive well. Based on those dualisms, there are further work and the industrial economic sector even dualisms: spirit opposed to matter, mind to body, tends to degrade natural environments (Dengler, reason to emotion. Those dualistic concepts are Strunk 2017: 3-4). Figure 2 demonstrates this re- used in order to justify oppression and exploita- lationship of the economy with ecological and car- tion of hierarchically lower groups and place ing activities. women closer to nature and apart from culture and the “human” (Plumwood 2006: 58-65). It is also within these dualistic concepts that labor, as men’s activity, is seen as culturally important, while reproductive work, as women’s activity, is seen as something “natural” and inferior (Perkins 2009: 192-200). Figure 3 shows some of those du- alisms and their hierarchical order.

Figure 2: Relationship of the monetized econ- omy with ecological and caring activities Source: cf. Dengler, Strunk 2017: 4. Figure 3: Dualisms and their hierarchy Care workers and the natural sphere, thus, experi- Source: cf. Nelson 2009: 5. ence a similar treatment by mainstream econom- ics, as both are being frequently overlooked and Ecofeminists challenge these dualisms, as they ar- seem to happen in the background of economic ac- gue, that when placing the human outside of na- tivity. However, both are seen as a resource, serv- ture, the human dependency on nature and the ing to satisfy human needs (Nelson 2009: 4). This ecological identities of humans are denied. Also, similarity can be exemplified by looking at the the non-human – nature – is denied its ethical as- concept of time. Hence, economic activity ignores pects and consequently, it is justified to neither both the biological time of humans, and the long care about, nor consider it (Plumwood 2006: 58- time that ecological processes take, leading to the 65). Dualisms are seen to be an important source fact, that industrial economic processes are far of domination over nature and women and thus of from ecological realities (Perkins 2009: 194-202). environmental destruction as well as the oppres- Most economic models do not mention where re- sion of women (Leff 2012: 27-35). Because of the sources taken from the natural environment came similarity of oppression of women and nature by from, or what happens to them after the industrial the dominating patriarchal society, ecofeminists production. Similarly, it is not mentioned how argue, that the two of them are closely connected workers reproduce their ability to work or what with each other (Rocheleau et al. 1996: 3-4). happens to them, when they are not able to work However, the tendency of some ecofeminists to anymore (Nelson 2009: 4). adopt patriarchal attributions to women and give them a positive connotation (Habermann 2016: 33) was criticized by many. Root of the special re- 4.1.3 Ecofeminism lationship of women to nonhuman nature, there- Ecofeminists stress the similarity of the domina- after, are oppressive mechanisms within the soci- tion of men over women and that of humans over ety, that push women closer to nature than culture non-human nature (Bauhardt 2012: 9). Ecofemi- (Bauhardt 2012: 9-10). nism brings focus to existing dualisms deeply rooted in Western societies. Above all, there is the dualism between humans and nature. The two 4.1.4 Feminist Post-Structuralism concepts are opposed to each other and placed Important aspects of Feminist Post-Structuralism within a hierarchy. As humans are seen to be part are a feminist science critique as well as a post- 103 structuralist development critique (Rocheleau et to a more profound reflection on feminist con- al. 1996: 4). The stream draws from theoretical cerns within the degrowth movement and aims to and methodical concepts by Paul-Michel Foucault be constructive. Also, it is important to mention and includes notions of alternative development, that there are already many important reflections as well as theories of multiple identities (Roche- and contributions by degrowthers on that topic. leau 2007: 722). Feminist post-structuralists give With this critique I do not want to point fingers on emphasis to the social construction of nature and the degrowth movement, but rather point out many other concepts like gender or race (Neu- some existing weaknesses. mann 2009: 229-230). Moreover, feminists and feminist post-structural- ists have often been criticizing mainstream sci- 4.2.1 Marginalizing Feminism and Feminists Taking a look on the literature cited and the au- ence. The truth of this science is seen to be univer- thors and editors of major degrowth literature, it sal and neutral. However, science is heavily influ- becomes clear, that degrowth is still a male-domi- enced by culture. ‘Western’ science developed in nated field. References to thinkers who were influ- the period after the Enlightenment and its concep- ential on the emergence and concretization of the tions therefore are embedded into socio-economic degrowth approach are mostly only to male per- conditions of that time, which developed within a sons (e.g. D’Alisa et al. 2016, Demaria et al. 2013). patriarchal ideology. Based on that ideology, the Furthermore, citation of feminist scholarship can domain for women was determined to be the hardly be found in degrowth literature, although household – the private sphere, as they were seen for example growth, capitalism and neoliberalism to be emotional and caring for others. Hence, they have been criticized and analyzed for decades by were systematically excluded from the scientific feminist economists. Their work is only being field. On the other hand, the public sphere was at- taken into account in the context of care and re- tributed to be a male domain, as men were seen to production (Raphael 2016: 46-47). be more able to use reason. Science, being associ- “This margin- ated with rationality and reason, therefore was a alises the feminist scholarship within degrowth lit- male domain as well. In addition, the subject of sci- erature and overlooks important critiques of the ence, which is based on male supremacy, is male political economy as well as growth by feminists” (Braidotti et al.1994: 29-48). Feminine or natural (Raphael 2016: 47). Another point of critique, made clear for example characteristics, seen to be opposed to rationality, by Amaia Pérez Orozco (2015: 30) is, that the ex- are perceived as not equally humane (Plumwood clusion of care activities from the definition of 1991: 292). Hence, women are seen as something work is reproduced by some degrowthers. When different from the norm. These hierarchies are talking about employment guarantee, in the heavily internalized in ways of thinking and world degrowth vocabulary, reproductive work is re- views, while seeming to be the norm, or natural ferred to as part of the ‘autonomous sphere’, being and not being questioned. Also, other categories opposed to labor work (D’Alisa et al. 2016: 33), like race, culture, and class, that are different from although later in the book, the aim of redefining white male subjects are being devaluated the work is expressed (Unti 2016: 204). Also, re- (Braidotti et al. 1994: 29-48). distributing work is often only mentioned in the Donna Haraway, expressing concerns towards the context of labor work and care activities are not supposed rational objectivity of science, states counted into the calculation (Pérez Orozco 2015: that science can never be analyzed without its con- 30). text and can never be seen as a universal truth (Neumann 2009: 229-230). 4.2.2 Potential Openness for Reactionary Stand- points

4.2 Feminist Critique on Degrowth One risk in the degrowth approach pointed out by Based on the feminist streams and ideas outlined feminists, is the openness for reactionary stand- above, I will formulate a critique on degrowth points, in the sense of romanticizing “naturality” from a feminist perspective. This critique should and lifestyles of previous generations (Trouble be understood as an attempt to give some ground everyday collective 2016: 7). Some approaches to 104 post-growth societies can take a conservative or critique seems to be adequate for the degrowth eco-fascist character, advocating for conserving approach as well. Responsibility for reproductive local cultures through the assimilation of immi- and caring activities is again put on the household grants or calling for traditional family roles (Mu- sphere by many degrowthers due to their seem- raca 2015: 59-66). It should be made very clear, ingly blindness on these issues (Picchio 2016: that it is not desirable for a degrowth society to go 274). back to previous lifestyles which were character- ized by strong hierarchies and inequalities. Also, it is important to understand, that there is no such 5.3 Why Do We Need a Feminist Perspective on thing as a “natural original state” to which we Degrowth? could return (Trouble everyday collective 2016: However, there have been some voices in the 7). degrowth discourse calling for further elaboration on a feminist perspective on degrowth (e.g. Demaria et al. 2013: 201). 4.2.3 Reproducing Heteronormativity Starting from this, I want to argue, that it is abso- Another point of critique is, that degrowthers, lutely crucial to include feminist approaches into when talking about gender issues, risk to repro- degrowth thought. Also, because there are implicit duce heteronormativity by framing ‘women’ as gender hierarchies in the degrowth model, that “being the main subjects within the undervalua- need to be addressed (Bauhardt 2014: 64-65) and tion of social reproduction and care” (Raphael because gender hierarchies and inequalities may 2016: 46). The focus on the classification into men continue in a degrowth society if they are not ex- and women, while important to talk about existing plicitly challenged (Eicker, Keil 2017). As long as injustices, tends to reproduce the dualism of male there is no reflection on the undervaluation of re- and female. It is necessary to reflect on and chal- productive work and on the unequal distribution lenge this categorization (Trouble everyday col- of work among genders, those structures may con- lective 2016: 8) and to make clear that the aim in tinue to exist in a society imagined by the long term is to deconstruct gender categoriza- degrowthers (Perkins 2010: 3). It is important to tions. keep in mind, that work might not get less in a post-growth society, although there will be a re- 4.2.4 Overlooking Feminist Perspectives duction and redistribution of labor time. Work In general, apart from some exceptions, feminist that today is not considered in the calculation, and perspectives are rarely to be found in the mainly done by women, will have to be redistrib- degrowth literature (Dengler, Strunk 2017: 13- uted as well (Muraca 2015: 74-75). 14). Up until now, feminist critiques on the econ- In a lot of transformative discourses, a gender per- omy and on environmental issues have mainly de- spective is added only after the problem is already veloped separately from degrowth and there have framed. This “add women and stir” (Perkins 2010: not been made many hints to one another (Eicker, 5) approach will not be able to address feminist is- Keil 2017). Feminism, thus, is rather listed as a po- sues properly (Perkins 2010: 5). It is necessary tential alliance with degrowth than as a basis of that feminism is not only seen as an alliance of the degrowth approach (Dengler, Stunk 2017: 13). degrowth, but it should be rooted at the base of the Gender equity is not explicitly listed as an objec- movement and broadly acknowledged (Trouble tive for a degrowth society and gender issues are everyday collective 2016: 9). seldom openly discussed (Bauhardt 2014: 64-65). The degrowth perspective in this sense seems to 4.4 What is the Potential of a Feminist Perspec- fail to offer enough profoundness in their critique tive on Degrowth? and fails to address the exploitation of many women in current societies (Picchio 2016: 274). In Putting feminist perspectives on the base of the 1970s and 80s, Marxism was criticized by fem- degrowth thought bears the potential of very fruit- inists for reproducing the separation of a private ful outcomes for both sides (Dengler, Strunk 2017: and public sphere and therefore gender hierar- 1), which will be explored in the following. chies (Trouble everyday collective 2016: 3). This 105

4.4.1 Common Goals of Degrowth and Feminisms (Eicker, Keil 2017). To prevent that the gained free The two approaches share many common goals. time is only beneficial for men, while women con- Both degrowth and feminist economists challenge tinue being the main responsible for care work, the current capitalist way of production (Trouble the responsibility of everyone for reproductive everyday collective 2016: 6). Feminisms, at least work should be emphasized in the degrowth pro- those that I outlined above, as well as posals. Also, work-sharing proposals should take degrowthers, acknowledge the destruction of hu- lived realities of care work into account from the mans as social beings and the destruction of eco- start. Rather than taking one more day off per systems through capitalism (Neumann, Winker week, as proposed for example by Kallis et al. (Kal- 2016: 7). Also, they share the notion, that the sta- lis et al. 2013), it could make more sense to reduce tus quo is not natural and can be changed. This is the daily working hours because care activities are true for the growth paradigm as well as the cate- often to be carried out on a daily basis. Those mat- gorization into two genders. Feminists and ters should be discussed thoroughly in order to degrowthers alike emphasize the importance of reach a solution that fits and benefits the lived re- everyday life practices, which should challenge ex- alities of many people who do care work. In case isting structures and aim towards the life they im- degrowth proposals take those considerations agine (Trouble everyday collective 2016: 6-7). into account, they have a great potential to move Moreover, degrowthers emphasize the im- towards a more gender equal society (Dengler, portance of (re)politicizing the current unpolitical Strunk 2017: 17-20). society (Swyngedouw 2016: 118-122). Together It is crucial to include questions about the gen- with the emphasis on everyday life practices, ob- dered division of labor in an imagined degrowth jectives of degrowth therefore align with the fem- society early on in a degrowth proposal. The asso- inist demand of making the private political (Ha- ciation of care work with women should be chal- bermann 2016: 36). lenged and deconstructed (Pérez Orozco 2016: Degrowth as well as feminist approaches, further- 30-31). Further, improving the recognition of care more, share the aim to search for a good life for work is an important step towards a society imag- everyone (Neumann, Winker 2016: 1). Both advo- ined by degrowthers (Nierling 2012: 241). Pro- cate centering the society they want to build moting a transformation of values and framing re- around peoples’ needs (Trouble everyday collec- productive work as a responsibility of everyone is tive 2016: 3). Thinking the two approaches to- crucial. The importance of caring about oneself gether would mean striving for a degrowth of all and others should be acknowledged by both men destructive spheres of society and economy and and women, rather than seen as an affliction for a growth of the areas that are important to cre- (Dengler, Strunk 2017: 8). At the same time, care ate and maintain life (Neumann, Winker 2016: 6). work should not be romanticized and it should be made clear that it is indeed work and not solely a deed of affection and love (Pérez Orozco 2016: 4.4.2 Redistributing Work for a Good Life for Eve- 30). In fact, there lies great potential in putting ryone care in the center of a society, which could help As mentioned above, proposals on how to move creating a degrowth society. And if a degrowth ap- towards a degrowth society include the proposal proach takes feminist considerations into account, of work redistribution and the reduction of work- this relationship between care and degrowth ing hours. Wage labor time would be reduced and could be fruitful for both sides (Dengler, Strunk redistributed among everyone, so that there is no 2017: 20). Experiences of women could help to unemployment and every person would have to understand the complexity of life and make it eas- spend less time on wage labor (Dengler, Strunk ier to determine the necessary steps for a society 2017: 15). This work-sharing could be very fruit- that acknowledges and nurtures this complexity ful for feminist demands and indeed could lead to (Picchio 2016: 274). If degrowth strives towards a a higher recognition of reproductive activities. good life for everyone, it should be recognized that However, it is not certain that this will automati- creating this society is a collective responsibility, cally be the case. Therefore, feminist considera- which is not rooted in the private sphere and not tions should be taken into account from the start a female responsibility (Pérez Orozco 2016: 30). 106

Also, creating a good life for everyone obligatory degrowthers, who are searching for a society has to include feminist demands like for example without economic growth. the equal distribution of care work. Otherwise it would be a good life only for some (Muraca 2015: 84). 4.4.4 Potential Allies for a More Feminist Degrowth

There are already existing concepts and move- 4.4.3 Care Work as a Practical Alternative to Capi- ments, coming from a feminist perspective from talism which degrowth could draw from. One of them is Intrinsic to care work lies a radically distinct logic the so-called “Care Revolution”. Care Revolution is than the one the market economy is based on. Re- a movement that developed in Germany. The term productive activities follow their own logic cen- was coined by Gabriele Winker. Starting from the tered around relationships that are not based on analysis of the crisis of social reproduction, men- exchange (Biesecker et al. 2012: 14-15). Care ac- tioned earlier in this paper, Care Revolution pro- tivities are oriented on the rhythms of life and poses an alternative (Habermann 2016: 30), with time usage is not aimed to be more efficient the goal to reach social transformation towards a (D’Alisa et al. 2016a: 128), because they are in life in which every person can fulfill their own general not profit oriented (Nierling 2012: 240). needs without doing so on the expenses of other Instead of being based on property rights and people (Neumann, Winker 2016: 1). This is markets, they are characterized by cooperation reached through opening up more time for care (Habermann 2016: 26-31). Thus, increasing the activities as well as political commitment and lei- efficiency of reproductive work in a capitalist sure, while at the same time guaranteeing social sense can not be easily done (Biesecker et al. 2012: and financial security (Habermann 2016: 135). 15). However, a partial commodification of care Crucial is the recognition of care activities, stress- work has already been taking place (Habermann ing the importance of them in our everyday life 2016: 30-31). Gabriele Winker (2011, 2013) de- and putting them into the center of society (Neu- scribes the crisis of social reproduction existing in mann, Winker 2016: 1). some societies today, on the example of Germany. A Care Revolution aligns with degrowth pro- The neoliberalist trend of rationalization and pri- posals, as expanding care services would reduce vatization does not halt before care work. The the GDP and economic growth. A Care Revolution state gradually shortens funding for education, or would be strongly anti-capitalist. This is why it is the health and care sector (Winker 2011: 1). How- necessary for a Care Revolution, as it is for ever, rationalizing and automating care work Degrowth, to have a broad and strong social move- through technological innovations is not possible ment, involving everyone in the decision making in the same way as it is with other sectors of the (Habermann 2016: 137-138). economy (Winker 2013: 125). Caring for elderly Potential steps proposed in order to move to- or sick people cannot be sped up without allowing wards a Care Revolution are for example a univer- inhumane conditions and ultimately reaching the sal basic income, and a minimum wage without ex- limits that human life determines (Trouble every- ceptions, as well as a higher payment for care jobs. day collective 2016: 2). At the same time there needs to be a significant This logic of care activities is completely different work time reduction. Care activities would need to from a capitalist logic and bears the potential of be redistributed among genders. Furthermore, the building up practical alternatives opposing the infrastructure of care services such as education capitalist system. Care activities also offer a differ- and health, needs to be drastically expanded and ent approach to the non-human nature. Rather made accessible to and free for everyone. Another than nature as separated from humans, humans important precondition is that everybody should are seen to be part of it. Putting care principles in have the possibility of participating in political de- the center in the search for alternatives to capital- cision making, requiring democratic self-govern- ist societies (Habermann 2016: 31-138), femi- ance and decentralization (Neumann, Winker nisms could be an important inspiration to 2016: 2-3). Those proposals are very similar to the ones made by degrowthers, showing once more

107 the potential of thinking the two proposals to- degrowth activism and scholarship. Over the last gether. two years, the network has mainly operated in There are other existing feminist proposals for an form of a mailing list. In the summer of 2018, FaDA alternative way of doing economy, from which was able to continue this dialogue at both the 6th degrowth could draw from. One of them is the International Degrowth Conference in Malmö and four-in-one-concept (Vier-in-Einem-Konzept) at the 1st North-South Conference on Degrowth- (Biesecker et al. 2012: 19). The concept was Descrecimiento in Mexico City.” phrased by Frigga Haug (2011) and aims to struc- ture time into four areas of activity, which are the 5. Conclusion areas of labor, reproduction, culture and politics. This paper showed the necessity and the potential All of these areas should take the same amount of of a more feminist degrowth. It showed that there time per day. This revolution of time use aims to are already some starting points for a discussion dissolve hierarchies and power structures and to on which to build on and a network of feminists enable every person to manage their time accord- aiming to put a feminist perspective on the roots ing to their own needs and the needs of others of degrowth. However, a lot remains to be done to (Haug 2011: 242-243). foster this alliance. Also, the insights of a feminist

perspective on degrowth have to be carried into 4.4.5 Existing Alliances between Degrowth and the practice of degrowthers. Which brings us back Feminisms to the situation at the Klimacamp in Western Ger- The alliance between degrowth and feminist pro- many. There, the women who were fed up with be- posals has made some important starting points. ing responsible for cleaning the toilets, put up In the German context, on a symposium in Berlin posters around the camp, explaining the problem in July 2016 called “Gutes Leben für Alle? Post- and appealing to everyone to take up their respon- wachstum meets Gender” (A good life for every- sibility and put their names on the lists of the toilet one? Post-growth meets gender), there has been a shifts. After some days, the share of men volun- discussion on the alliance of degrowth and femi- teering for the toilet shifts increased significantly nist proposals, such as the Care Revolution. After and in many shifts there were even more men than this, a conference on Care and Degrowth took women. Hence, the participants of the camp place in Leipzig in November 2017 (Carl, Kor- seemed to be open for critique and up for changing sonewski 2017: 1). Furthermore, there have been their habits in order to reach a more just division entries by Care Revolutionaries and queer femi- of labor in the camp. The degrowth movement also nists in the “Degrowth in movement(s)”, a collec- self-describes as an open concept, requiring the tion of essays on degrowth from different move- input and participation of everyone in order to ments (Konzeptwerk Neue Ökonomie 2018). work towards a good life for everyone. Thus, Also in the non-German context, there have been degrowth does not offer one solution but is open some first steps towards a more profound alliance. for critique and change (Schneider et al. 2010: At the Degrowth Conference in Budapest 2016, 513). This opens up space for a reflection on femi- there has been a round table on Feminisms and nist critique on degrowth and allows to think Degrowth (Wager 2017). The result was the for- about the necessary steps to integrate feminist mation of a Feminisms and Degrowth Alliance concerns into the degrowth movement. (FaDA) (Orzanna 2017). In one mail to the FaDA mailing list Corinna Dengler, Camila Rolando Maz- References zuca and Renda Belmallem (2018) explain: Agarwal B. (1992): The Gender and Environment “The Feminisms and Degrowth Alliance (FaDA) Debate. Lessons from India. In: Feminist Stud- network was launched in September 2016 at the ies, 18 (1), 119-158. 5th International Degrowth Conference in Buda- Andreucci D., McDonough T. (2016): Kapitalismus. pest. As an inclusive network of both academics In: Degrowth. Handbuch für eine neue Ära, and activists, FaDA aims at fostering a dialogue be- 147-151. München. tween feminists and degrowth proponents and at making feminist reasoning an integral part of

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