Nr. 13 / 21.3.2020 Deutschland € 5,30
DER KAMPF HAT BEGONNEN Wie gut Deutschlands Kliniken für den Corona-Ansturm gerüstet sind fr 7,80 € 6,80 Slowakei Spanien € 6,80 195,- Kc Tschechien Slowenien € 6,50 Slowenien Spanien/Kanaren in Germany Printed Ft 2670,- Ungarn € 7,00
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KRISENSTAB Angst vor der Ausgangssperre WIRTSCHAFT Jetzt droht die Pleitewelle FORSCHUNG Die riskante Jagd nach dem Impfstoff BeNeLux € 6,40 Finnland € 8,30 Griechenland € 7,30 NOK 86,– Norwegen ZL 33,– (ISSN00387452) Polen s Schweiz Dänemark dkr 57,95 € 6,80 Frankreich Italien € 6,80 € 6,00 Österreich (cont) € 6,80 Portugal SHUTDOWN Familien im Lagerkoller Platz? Da.
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Hausmitteilung der Besten Betr.: Coronavirus, in eigener Sache, SPIEGEL GESCHICHTE Jetzt im Handel Die Coronakrise hat die Welt im Griff, nicht nur in Deutschland bestimmt sie das Leben: Europa schottet sich ab, auch die Bundesrepublik macht dicht. Die In- nenstädte leeren sich, auf vielen Straßen geht es ge- spenstisch ruhig zu. Für Unternehmen und die Finanz- märkte ist es der perfekte Sturm. Alle leiden: Gastwirte, kleine Unternehmen, Geschäftsinhaber, Selbstständige, Konzertveranstalter, Eltern. Weil es noch viel schlimmer werden kann, kommt es jetzt vor allem auf jene an, die
FELIX VON DER OSTEN / DER SPIEGEL DER OSTEN FELIX VON möglichst viele Menschenleben werden retten müssen: Blech in Eschweiler auf Krankenschwestern, Ärzte, Sanitäter, Apotheker. Die Titelgeschichte analysiert, ob unser Gesundheits- system kollabieren kann oder ob es robust genug ist. Was kommt auf die Kliniken zu? Was passiert, wenn die Zahl der Beatmungsgeräte nicht mehr ausreichen sollte und jemand entscheiden müsste, wer leben darf und wer sterben muss? Für die Co- rona-Artikel dieses Heftes haben Kollegen weltweit, aber besonders im eigenen Land, recherchiert, oft per Telefon, um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. In Deutschland gibt es bislang die meisten Covid-19-Fälle in Nordrhein-Westfalen. Autor Jörg Blech verbrachte zwei Tage im St.-Antonius-Hospital Eschweiler. Er sprach mit einem Patienten auf der Intensivstation, mit Medizinern und Pflegern. »Die Mitarbeiter halten zusammen«, sagt er, »sie wünschen sich aber mehr Wert- schätzung.« Chinakorrespondent Bernhard Zand recherchierte in Tokio, in den USA waren René Pfister und Ralf Neukirch unterwegs, Fritz Schaap besuchte ein Kran- kenhaus in einem Township bei Kapstadt.
Schwerpunkt Innovation Auch die SPIEGEL-Redaktion muss mit der Wie aus kreativen Ideen Gefahr umgehen. Unser Haus an der Hamburger attraktive Produkte werden Ericusspitze ist inzwischen nahezu leer. Denn vor drei Wochen haben wir eine Taskforce ge- gründet, die seitdem jeden Tag entscheidet, Unter anderem mit welche Schritte notwendig sind. Wir wollen die Mitarbeiter schützen, mögliche Infektionsketten diesen Themen: unterbrechen und trotzdem unsere Leser infor- mieren. Mittlerweile arbeiten fast alle Kollegen zu Hause im »Mobile Office«, das macht viele Block Jensen EINZELHANDEL Abläufe sehr kompliziert, beim Heft müssen Wenn es in Geschäften keine vor allem die Chefin vom Dienst Anke Jensen und ihre Stellvertreterin Gesine Block die Fäden zusammenhalten. Wie wir arbeiten, ändert sich gerade, aber unser Journa- Kassen mehr gibt lismus soll so bleiben, wie er ist. Dabei kann es in den nächsten Wochen natürlich mal passieren, dass Sie kein SPIEGEL-Heft mehr im Supermarkt oder an der Tankstelle bekommen oder Ihr Stammkiosk geschlossen bleibt. Dann finden Sie alle Inhalte LERNEN aus dem Heft digital unter www.spiegel.de/plus. Unsere Themenseite zum Corona- virus erreichen Sie über den Link www.spiegel.de/thema/coronavirus. Sie können KI und Roboter revolutionieren das gedruckte Heft auch online bestellen unter www.amazon.de/spiegel oder die Ausbildung www.meine-zeitschrift.de. Sollte Ihnen als Abonnent der gedruckte SPIEGEL einmal nicht pünktlich zugestellt werden, nutzen Sie bitte unter www.spiegel.de/ersatzsendung den Service der digitalen Ersatzlieferung. KARRIERE Wie Sie Ihren Vorgesetzten auff allen
Das alte Ägypten war eine der mächtigsten frühen Hochkulturen und fasziniert die Menschen bis heute: Pharaonen, Pyramiden, Mu- mien – ein paar Wörter genügen, und eine Welt scheint auf. Eine Welt, die durch neue Erkenntnisse immer konkreter wird. Wie re- gierten Herrscher wie Ramses II. oder Djoser? Wieso blieben die Hieroglyphen so lange ein Rätsel? Wie lebten die einfachen Leute? Antworten liefert die neue Ausgabe von SPIEGEL GESCHICHTE Jetzt App mit dem Titel »Das alte Ägypten«. Das Heft erscheint am Dienstag. downloaden
DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 3 harvardbusinessmanager.de Inhalt
74.Jahrgang | Heft 13 | 21.März 2020
Titel Bildung Die Milliarden aus dem Digitalpakt sind in Kliniken Das deutsche Gesund- den Schulen noch nicht heitssystem rüstet sich für angekommen – nur wenige den Corona-Ansturm – und Lehrer können via fürchtet den Kollaps ...... 8 Internet unterrichten ...... 46
Senioren Wie sicher sind Beziehungen Familienknatsch Pflegeheime? ...... 16 daheim – Eltern und Kinder streiten um den richtigen Umgang mit dem Risiko . . . . 50 Deutschland chland Einwurf Ich, der Hamster – eine Verteidigungsrede . . . . . 53 Leitartikel Was der Wirtschaft helfen kann ...... 6 Strafjustiz Zwei Polizisten sollen im Dienst eine Polizei bereitet sich auf Corona- Frau vergewaltigt haben . . . . 54 Szenarien vor / Koalitions- krach um Windkraft / Schwarze Kasse für AfD-»Flügel« / Die Reporter Gegendar stellung / So gesehen:
Homeoffice ...... 18 DER OSTEN FELIX VON Familienalbum / Warum Pi die Zahl der Krise ist ...... 56 Krisenpolitik Wie gut sind die Auf Leben und Tod Regierenden für den Ausnahme - Eine Meldung und ihre zustand präpariert? ...... 22 Das deutsche Gesundheitswesen gilt als eines Geschichte Wer zahlt 22491 Euro für Regierung Kanzleramtsminister der besten der Welt und könnte mit der eine Flasche Riesling? ...... 57 Helge Braun im SPIEGEL- kommenden Corona-Welle doch überfordert sein. Gespräch über die Maßnahmen Zu wenige Pfleger, zu wenig Ausrüstung, ein Ausnahmezustand Bleiben der Koalition ...... 27 auf Profit ausgerichtetes System. Eine Recherche müssen, wenn andere gehen: sieben Geschichten aus Seite 8 Europa Kommissionschefin an der Front des Virus. der Einsamkeit in Corona- Ursula von der Leyen versucht, Zeiten ...... 58 die EU zusammenzuhalten 30 Versorgung Eine Ärztin, Covid-19 Wie die Seuche das Virus und wir – das Leben der Deutschen ein Praxisbesuch in Berlin . . . 62 bestimmt ...... 32 Gesellschaft Der Psychiater SPD Juso-Chef Kevin Kühnert Borwin Bandelow erklärt, im SPIEGEL-Gespräch wie man mit sozialer Isolation über mehr Staatseinfluss im zurechtkommt ...... 64 Gesundheitswesen und seine Begeisterung für Olaf Kolumne Leitkultur ...... 66 Scholz ...... 40
Versorgung Politik und BERNHARD RIEDMANN / DER SPIEGEL Wirtschaft Handelsketten mühen sich, die Nachschubprobleme in Geschlossene Gesellschaft Rentenkommission kann den Supermärkten zu lösen 43 sich nicht einigen / Das Virus infiziert den Alltag, es kommt als Corona gefährdet Boni Ischgl Aus dem Party-Skiort Schock oder als Chance. Alle müssen für VW-Manager ...... 67 trugen Hunderte die nun improvisieren, nicht allen zeigt die Seuche Krankheit in ihre Heimat- Weltwirtschaft Die Folgen der länder – die Behörden dasselbe Gesicht. Der SPIEGEL hat Corona-Pandemie übertreffen griffen spät ein ...... 44 Stimmen und Stimmungen eingesammelt. Seite 32 sogar die Lehman-Krise . . . . 68
4 DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 Luftfahrt Die Lufthansa streicht Experten Im Kampf gegen die 95 Prozent ihrer Flüge ...... 72 Seuche werden Virologen und Epidemiologen plötzlich zu Streaming Disney, Netflix, einer Art Nebenregierung 104 Apple, Amazon: die Milliarden- schlacht ums Fernsehen . . . . . 74 Hygiene Was hilft gegen die Ausbreitung der Viren in Bus und Bahn? ...... 106 Ausland
Rechtsdrall in Sloweniens Kultur Regierung / Gefährdeter Frie- densprozess in Afghanistan 79 MICHAEL NAGLE / DPA Neue Biografie der Künstlerin Hilma af Klint / USA Die Coronakrise bringt Wirtschaft im Koma Geschichten in den Wahlkampf durcheinander einfachem Deutsch ...... 109 und könnte Trumps Läden bleiben geschlossen, Betriebe stellen die Wiederwahl gefährden . . . . . 80 Produktion ein: Der deutsche Wohlstandsmotor ist Denker Der Historiker Yuval bedroht. Regierungen und Notenbanken versuchen Noah Harari ist der Japan Premierminister Abe erfolgreichste Welterklärer will die Olympischen Spiele mit gigantischen Hilfsprogrammen, Unternehmen unserer Zeit – seine retten – und sich selbst . . . . . 83 und Banken am Leben zu erhalten. Seite 68 Kernthese: Der Homo sapiens steht vor dem Ende ...... 110 Dänemark Die Frau, die den U-Boot-Mörder Peter Madsen Essay Das Jahr 2020 als Kontra - im Gefängnis heiratete . . . . . 86 punkt zum Mauerfall ...... 116 Jagd nach dem Impfstoff Essay Der Historiker Philipp Ther über die Welt Schneller als je zuvor arbeiten Pharmaforscher nach der Pandemie ...... 92 daran, Mittel gegen das Coronavirus zu entwickeln. Erste Versuche am Menschen haben Südafrika In Kapstadt erwarten Mediziner ein Desaster durch schon begonnen. In der Krise werden Tabus das Virus ...... 94 gebrochen – mit ungewissem Ausgang. Seite 100
Sport
Nur Kriege konnten bisher Olympia stoppen / Gut zu wissen: Warum Sporttreiben bei einer Viruserkrankung gefährlich ist ...... 95
Fußball Sind die Profivereine solidarisch genug, um Pleiten zu verhindern? 96 ALESSANDRO RAMPAZZO / DER SPIEGEL RAMPAZZO ALESSANDRO Wissen Verliebt in einen Mörder Süßwasserschatz unter dem Meer entdeckt / Wenn Im August 2017 tötete der dänische Erfinder SPIEGEL-TV-Programm ...... 102 Pflanzen Alarm schlagen . . . 99 Peter Madsen eine schwedische Journalistin in Bestseller ...... 115 seinem selbst gebauten U-Boot. Nun hat Madsen Impressum, Leserservice . . . 118 Medizin Die schwierige Nachrufe ...... 119 Suche nach einem Impfstoff im Gefängnis geheiratet. Seine neue Ehefrau Briefe ...... 120 gegen Covid-19 ...... 100 verteidigt ihn vor aller Welt – warum? Seite 86 Hohlspiegel / Rückspiegel . . . 122
Titelfoto [M]: Thomas Frey / DPA 5 Das deutsche Nachrichten-Magazin
Eine Bazooka für alle
Leitartikel Viele Bürger bringt das Virus in Geldnot. Die Regierung muss helfen – schnell und schlau.
roße Krisen erfordern große Worte. »Die Spar - zu Aufträgen führt. Und auch das staatliche Helikoptergeld, einlagen sind sicher«, sagte Angela Merkel, das Präsident Donald Trump für die USA angekündigt hat, G als die Bürger in der Finanzkrise um das Geld auf würde hierzulande weitgehend verpuffen. Was sollen die ihren Konten bangten. Er werde »alles Nötige« Bürger mit einem 500-Euro-Scheck anfangen, wenn kein zur Rettung der Gemeinschaftswährung tun, versprach Geschäft, Restaurant oder Autohaus geöffnet hat? Mario Draghi auf dem Höhepunkt der Eurokrise. Umso entschiedener muss der Staat verhindern, dass der Und auch jetzt, wo das Coronavirus die Wirtschaft Kampf gegen die Pandemie nicht nur dem Virus, sondern in einen nie gekannten Stillstand zwingt, wollen auch Tausenden selbstständigen Existenzen den Garaus die Regierenden mit weitreichenden Zusagen Vertrauen macht. Das ist wichtig, damit die Bürger bei den drastischen schaffen. »Wir werden verhindern«, sagt Wirtschafts - Beschränkungen des sozialen Lebens weiter mitziehen. minister Peter Altmaier, »dass gesunde Unternehmen Und damit die Wirtschaft rasch durchstarten kann, wenn nur wegen Corona in die Insol- die Krise vorüber ist. Die Re - venz geraten«. gierung muss bei ihrem Corona- Das ist das richtige Verspre- Programm deshalb dringend chen zur richtigen Zeit, nur nacharbeiten, und zwar zweifeln viele Deutsche, ob die in mehrfacher Hinsicht. Regierung es auch einhalten Erstens muss sie ihre Liquidi- kann. Das Hilfsprogramm aus tätshilfen so einfach und un - Kurzarbeitergeld und Kredit - bürokratisch ausgestalten, dass zusagen, das die Regierung sie auch denjenigen helfen, unter dem martialischen Label die nur über ein Girokonto ver- »Bazooka« vergangene Woche fügen. Zweitens muss der Staat auf den Weg brachte, hilft Selbstständigen, denen ein Kre- Beschäftigten und größeren Fir- dit nicht hilft, auch mit direk- men. Millionen Selbstständige ten Geldzahlungen beistehen. und Kleinunternehmer aber, Inzwischen ist die Regierung die unter dem staatlich verord- offenbar gewillt, für Abhilfe zu neten Versammlungsstopp sorgen (siehe Seite 70). besonders leiden, fürchten wei- Und schließlich sollte sie ter um ihre Existenz. sich auf jenen Zeitpunkt vor - Der freischaffende DJ hat bereiten, zu dem sich das Wirt- wegen der Corona-Quarantäne schaftsleben wieder normali- keine Auftritte mehr, aber ein siert. Dann muss sie mit geziel- NILS THIES NILS Dienstauto, für das noch immer ten Maßnahmen die Nachfrage die Leasingrate fällig wird. stützen, damit dem vorüber- Der Fahrradhändler darf sein Geschäft nicht mehr öffnen, gehenden Stillstand keine konjunkturelle Abwärtsspirale trotzdem muss er weiter die Miete zahlen. Der Gastronom folgt. Vor diesem Hintergrund ist auch das angekündigte macht unfreiwillig Kurzarbeit, aber es gibt keine Arbeits- 750-Milliarden-Programm der Europäischen Zentralbank agentur, die für ihn zuständig ist. zu verstehen, das nichts anderes ist als Helikoptergeld für Manche Kleinunternehmer benötigen sofort Geld und Eurostaaten. Eine Art Vorauszahlung auf den Aufschwung, nicht erst, wenn die Sparkasse alle Sicherheiten geprüft hat. der nach dem Ende der Pandemie mit einiger Sicherheit zu Andere wollen keinen Kredit aufnehmen, weil sie nicht erwarten ist. wissen, wie sie ihn zurückzahlen sollen. Und alle fragen Anders als bei der Finanzkrise liegen der Corona-Misere sich, was wird, wenn die Krise nicht vier Wochen, sondern keine wirtschaftlichen Fehlentwicklungen zugrunde. vier Monate dauert. Wieder einmal, so scheint es, macht Das macht ihren besonderen Charakter aus. Die schlechte die Große Koalition Politik für Konzerne und Gewerkschaf- Nachricht daran ist, dass sich die Wirtschaft erst erholen ten, nicht jedoch für den kleinen Mittelständler. kann, wenn sich die Lage an der Virenfront entspannt. Die Dabei ist das Verhindern von Insolvenzen und Firmen - gute Nachricht lautet, dass die Konjunktur anschließend zusammenbrüchen zentral in einer Krise, in der die klassi- umso kräftiger anziehen könnte. Deshalb ist es so wichtig, sche Medizin der Konjunkturpolitik bis auf Weiteres nicht dass so viele Firmen und Freiberufler wie möglich die Durst - wirkt. Kein Unternehmer wird derzeit investieren, nur weil strecke überstehen. die Zentralbank die Zinsen senkt. Ein staatliches Ausgaben- Große Worte sind gut. Noch besser ist, wenn ihnen auch programm nützt wenig, wenn es erst in etlichen Monaten große Taten folgen. Michael Sauga
6 DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 Elektrisiert schon beim Starten
Der neue Golf mit eTSI-Mild-Hybrid-Technologie*
Es fühlt sich immer gut an, eine Ikone zu fahren, jetzt gibt es den neuen Golf aber sogar mit optionaler eTSI-Mild-Hybrid-Technologie*. Damit ist er effizienter und komfortabler, fährt sich aber immer noch genau wie ein Golf.
* Kraftstoffverbrauch des neuen Golf mit eTSI-Mild-Hybrid-Technologie in l/100 km: innerorts 6,1–5,9/ außerorts 4,1–3,9/kombiniert 4,8–4,6; CO₂-Emissionen in g/km: kombiniert 111–106; Effizienzklasse: A. Abbildung zeigt Sonderausstattungen gegen Mehrpreis. Coronakrise
Der Stresstest
Kliniken Das deutsche Gesundheitssystem gilt als eines der besten der Welt. Doch das Coronavirus legt seine Schwächen gnadenlos offen. In den Krankenhäusern herrscht Ausnahmezustand. Lässt sich ein Kollaps wie in Italien noch abwenden?
8 DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 Mitarbeiter auf derIntensivstationdesSt.-Antonius-Hospitals inEschweiler
FELIX VON DER OSTEN / DER SPIEGEL »Hypoxisches Atemversagen. Diesisteine D zu bieten«, sagtderPräsident derLombar - der Lage, denKranken eineBehandlung labiert. »InKürze sindwirnichtmehrin obachten, wiedasGesundheitswesen kol- weil ihre Krankheit unheilbar ist. an Betten, anGeräten fehlt. Und nicht, schen sterben müssen, weil esanPersonal, versagen. Versagt hätte es,wenn Men- chen steigt, droht derKollaps, dasSystem- Infizierten in dennächsten Tagen undWo- dert. Je nachdem,wieschnell dieZahlder sind große Teile dieses Systems überfor- derer Länder. besser gerüstet alsdieSysteme vieleran- Corona-Epidemie jedenfallsistesweit in ihrer Ansprache andie Nation. Für die deskanzlerin Angela Merkel amMittwoch eines derbesten derWelt«, erklärte Bun- zellentes Gesundheitssystem, vielleicht ten derWelt. Manverfüge überein»ex- der modernsten, reichsten undpotentes- heitssystem derBundesrepublik isteines in Deutschland. Diegute: DasGesund- eine schlechte Nachricht fürdieMenschen kam zuspät. ein Beatmungsgerät bereit, dochdieHilfe fektionsherd inDeutschland. Für ihnstand fernt, dembislanggrößten bekannten In- ler, nur30Kilometer von Heinsberg ent- pital imnordrhein-westfälischen Eschwei- Folge von Covid-19-Pneumonie.« Die unmittelbare Todesursache lautet: Assistenzärztin stellt denTotenschein aus. wollen. Dort dürfen diebeidensitzen, so lange sie kleidung ausundlässtsiezuihrem Vater. dazuzuholen, errüstet siemitSchutz - tionsleiter entscheidet, auchdieTochter zen. DerfürdiePflege zuständige Sta - Hand aufseiner Stirn,eineaufseinem Her- Handschuhen nebenihrem Mann,eine sitzt involler Schutzkleidungundmit 30 Minuten indasIsolierzimmer. DieFrau rona-Zeiten darfnureinAngehöriger für eintreffen. Nach denneuenRegeln inCo- die Frau unddieTochter, diegegen Mittag Zustand verschlechtert. Sieverständigen ger undÄrzte miterleben, wiesichsein kämpft gegen denEr reger Sars-CoV-2. senkt. 28-malpro Minute. Der83-Jährige Takt derkünstlichenBeatmung hebtund sieht man,wiesichsein Oberkörper im ge. Durch einFenster inderZimmertür In Norditalien lässtsichseit Wochen be- Die schlechte Nachricht: Schonjetzt Es gibtindiesen Tagen einegute und Der MannstirbtimSt.-Antonius-Hos- Um 15.15UhrstirbtderMann.Die Im Laufe desMontags müssen diePfle- stoff strömt inseine Lun- seiner Luftröhre, Sauer- steckt einSchlauchin bekam keine Luft. Jetzt vier derIntensivstation Haarschopf aufZimmer er Mannmitdemweißen 9 dei, Attilio Fontana. Weil es in der italieni- Schlechte Diagnose drastische Maßnahmen ergriffen und das schen Krisenregion nicht genügend Be - Leben im Land zum Stillstand gebracht. atmungsgeräte gibt, müssen Ärzte täglich Sie hat Geschäfte geschlossen, Grenzen neu entscheiden: Wer wird beatmet – und Fehlende abgeriegelt, Schulen, Kitas und Spielplätze wer muss sterben? Mitarbeiter … gesperrt. Dahinter steht die nackte Angst Diese grausame Wahl nennt man Offene Stellen vor dem tausendfachen Erstickungstod. »Triage«, vom französischen »trier« (aus- in der deutschen Hintergrund ist die drohende Knapp- suchen). Das Verfahren stammt ursprüng- Krankenpflege 17000 heit bei den Beatmungsgeräten. In deut- lich aus der Militärmedizin. Gibt es ganz Quellen: schen Kliniken gibt es derzeit rund 25000 plötzlich massenhaft Verletzte, müssen Bundesagentur 13600 einsatzbereite Geräte. Die Bundesregie- Prioritäten vergeben werden. Rettungs- für Arbeit, DKG rung bemüht sich zwar um Tausende wei- kräfte sichten die Opfer und verteilen dann tere Apparate, aber deren Produktion und Armbänder oder Anhängekarten, die 9800 Lieferung kann dauern. Zwar sind hierzu- meist mit Farben codiert sind. lande weit mehr Geräte als in Italien vor- Rot steht für Patienten, die eine sofortige handen, es steht auch mehr Personal zur Behandlung bekommen müssen. Gelbe Pa- Verfügung, das diese professionell bedie- tienten können warten, wer mit der Farbe nen kann. Dennoch, so die Furcht vieler Grün gesichtet wurde, hat die niedrigste Ärzte und Experten, könnte es auch hier Pri orität, muss am längsten auf Hilfe warten. zu einem Engpass kommen. Fast gar nichts mehr tun die Helfer für Pati - Wie viele Infizierte in Deutschland be - enten der Kategorie Blau. Sie sind so schwer 2014 2016 Dez. 2019 atmet werden müssen, hängt davon ab, ob verletzt oder erkrankt, dass jede Bemühung die Bürger beherzigen, was Virologen und unter diesen Umständen sinnlos wäre. … schlechter Personalschlüssel … Politiker seit Wochen anmahnen: soziale In Deutschland muss womöglich bald Selbstisolierung. Je konsequenter jeder ähnlich vorgegangen werden. Patienten pro Pflegekraft Kontakt vermieden wird, umso größer Ein Chefarzt aus dem Rheinland ge- im internationalen Vergleich sind die Chancen, das rasante Wachstum stand dieser Tage einem Kollegen, er habe Deutschland 13,0 der Neuinfektionen zu bremsen. 7 Beatmungsgeräte in seiner Klinik. Er Ebenso entscheidend aber ist, ob die brauchte 13, um eine größere Welle an Ärzte und Klinikchefs mitziehen und ihre schweren Infektionsfällen überstehen zu Großbritannien 8,6 Häuser für den erwarteten Ansturm der können. Corona-Patienten freiräumen. Zumal es Diese Welle wird kommen, so viel ist häufig schon im Normalbetrieb an Pflege- gewiss. »Wir schätzen, dass es in den Schweiz 7,9 kräften und Ausrüstung mangelt. nächsten zwei Wochen richtig losgeht auch Bislang verspricht das deutsche Gesund- bei uns in Deutschland«, sagt der Ge- heitssystem jedem Versicherten eine gute schäftsführer der München Klinik, Axel Niederlande 6,9 Versorgung, eine wirtschaftliche Therapie Fischer. In seinem Haus wurde Ende Ja - nach aktuellem Stand der Wissenschaft, nuar der erste deutsche Infizierte behan- so steht es im Sozialgesetzbuch. Einschrän- delt. Er fürchtet »massive Auswirkungen« kungen sind nicht vorgesehen. »Rationie- USA 5,3 der Krise. rung« ist ein Wort, das unser Gesundheits-
Das Coronavirus legt in aller Brutalität Quelle: OECD system bislang nicht kannte. Aber es jene Probleme offen, die das deutsche Ge- scheint, als müssten wir uns daran ge- sundheitssystem seit Jahren belasten: die wöhnen, ebenso wie an das Gruselwort Tücken der profitgetriebenen Klinikfinan- … und steigende Unzufriedenheit »Triage«. zierung. Den Sparzwang, den chronischen Umfrage unter Intensivpflegekräften In den Kliniken jedenfalls hat der Mangel an Pflegepersonal. Die oft schlech- Kampf gegen das Virus begonnen. Die te Ausstattung der Gesundheitsämter. Den »Haben Sie den Eindruck, dass kommenden Wochen werden darüber ent- Rückstand bei der Digitalisierung. die Arbeitsbelastung in den letzten scheiden, ob er zu gewinnen ist. »Wir bereiten uns auf die drohende Ka- Jahren deutlich zugenommen hat?« tastrophe vor, sagt Rudolf Mintrop, Chef Die Intensivbetten des Klinikums Dortmund. Er rechnet mit 10 bis 14 Tagen, bis die große Welle ihre Vergangene Woche sandte Gesundheits- volle Wucht entfaltet. Die Kanzlerin Ja: Nein: minister Jens Spahn einen persönlichen warnt, deutsche Krankenhäuser wären 97% 3% Brief an die Geschäftsführer der fast 2000 »völlig überfordert, »wenn in kürzester Krankenhäuser in Deutschland. Um genug Zeit zu viele Patienten eingeliefert würden, Intensivbetten freizuhalten, sollen »grund- die einen schweren Verlauf der Corona- sätzlich alle planbaren Operationen und Infektion erleiden.« »Wollen Sie den Beruf in den Eingriffe in allen Krankenhäusern ab Mon- Die Frage von Leben und Tod wird am kommenden fünf Jahren verlassen?« tag auf unbestimmte Zeit verschoben und Ende auf den Intensivstationen entschie- ausgesetzt werden«. Fast flehentlich bat den. Die Antwort hängt davon ab, wie vie- Spahn darum, Ärzte aus dem Ruhestand le Beatmungsbetten dort stehen, wie viele Ja: Nein: zu holen, Studierende einzusetzen, mehr Ärzte einsatzbereit sind und wie viele Pfle- 37% 63% Intensivbetten bereitzustellen. »Jetzt.« ger in der Lage sind, sich um schwerstkran- Einige Klinikchefs wie Michael Albrecht ke Patienten zu kümmern. vom Universitätsklinikum Dresden folgten
Um den Kollaps auf den Intensivstatio- Online-Umfrage von DGIIN und Marburger Bund artig. Es würden gezielt Betten freigeräumt, nen zu verhindern, hat die deutsche Politik vom 14. bis 21. Januar 2019; 2498 Befragte Operationen wenn möglich verschoben.
10 Coronakrise GIUSEPPE LAMI / EPA-EFE / SHUTTERSTOCK GIUSEPPE LAMI / EPA-EFE
Medizinisches Personal mit Transportisolator in Rom: Nackte Angst vor dem tausendfachen Erstickungstod
»Das ist mitunter schwer zu entscheiden«, »kein Gesetz«. Geplante Aufnahmen sei- sche Gesundheitssystem könne eine Lage sagt Albrecht. »Soll man eine notwendige nen vorerst nicht abzusagen. »Anders, als wie in Italien locker bewältigen, hat nichts Tumoroperation wegen Corona verschie- es mancher in der Regierung schon länger begriffen.« ben?« Man könne nach Prioritäten ordnen, zu glauben scheint, sind Krankenhausauf- Sie sei bestürzt, dass manche Kranken- aber nicht rigoros entscheiden. nahmen kein Freizeitvergnügen, auf das häuser planbare Operationen weiterhin »Derzeit verschieben wir nur Operatio- man einfach verzichten kann.« durchführen, sagt die Chefin der Ärzte- nen, wenn die Patienten dadurch nicht Die Bundesregierung hat den Kliniken gewerkschaft Marburger Bund, Susanne unverhältnismäßig leiden müssen«, sagt gleich mehrfach zugesichert, dass sie auf Johna. Dadurch würden Betten belegt, die Andreas Meier-Hellmann, Chef des Co - den Kosten der Coronakrise nicht sitzen man bald dringend für Covid-19-Erkrank- rona-Krisenstabs der privaten Helios Kli- bleiben sollen. Spahn versprach ihnen, er te benötige. Würden solche nicht akuten niken. Tumoren lässt Helios selbst dann werde sicherstellen, dass die »entstehen- Eingriffe verschoben, hätten Pflegekräfte noch operieren, »wenn die Patienten an- den wirtschaftlichen Folgen« ausgeglichen und Ärzte zudem Zeit für notwendige schließend womöglich auf die Intensiv - würden, wenn sie geplante Operationen Schulungen – nicht alle sind mit Beat- station müssten«. verschieben. »Darauf können Sie sich ver- mungsgeräten vertraut. »Wir müssen die Viele Klinikmanager boykottieren Spahns lassen«, schrieb Spahn in seinem Brief. Zeit nutzen. Es geht nicht, wenn einfach Appell ganz offensiv. Das mag daran lie- Doch die Krankenhauschefs bleiben miss- weiteroperiert wird, als wäre nichts«, sagt gen, dass ihre Häuser unter wirtschaftli- trauisch. Johna. chem Druck stehen und auf die Einnah- Die Kliniken könnten sich nur dann kon- Schon jetzt stoßen viele Kliniken per- men aus Knieprothesen, Hüftoperationen sequent auf die Behandlung von Corona- sonell an ihre Grenzen. Rücksicht darauf, oder Herzkatheter-Untersuchungen ange- Patienten konzentrieren, wenn sie die un- dass ein Arzt oder Pfleger sich bereits in- wiesen sind. Solche Eingriffe, die Experten bedingte Sicherheit hätten, »dass die Ab- fiziert haben und so zum Risiko für Patien- oft für überflüssig halten, sind für Kliniken sagen anderer Behandlungen nicht zu Li- ten und Kollegen geworden sein könnte, am lukrativsten. quiditätsengpässen führen«, sagt der Prä- wird mancherorts nicht mehr genommen. »Trotz Regierungsbeschluss – unsere sident der Deutschen Krankenhausgesell- Ein Ausfall des Personals ist nicht zu kom- Krankenhäuser bleiben zunächst im Nor- schaft, Gerald Gaß. Es brauche deshalb pensieren, trotz aller Bemühungen, Stu- malbetrieb«, schrieb ein kirchlicher Kli- einen »Schutzschirm für alle Krankenhäu- denten und pensionierte Ärzte für den Kri- nikträger nach Spahns Aufruf am 13. März ser«. Sonst drohe etlichen Häusern die In- senmodus zu rekrutieren. »Jeder arbeitet, seinen Mitarbeitern. Dies sei schließlich solvenz. »Wer heute noch meint, das deut- bis er Symptome hat. Anders ist es nicht
DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 11 mehr zu stemmen«, sagt die Oberärztin Er wisse von einigen Kollegen, die sich einer Privatklinik aus Bayern. krankgemeldet hätten, weil sie das nicht mehr mitmachen wollten. »Es geht dabei auch um unsere eigene Gesundheit«, sagt Die Pflege der Pfleger. Das Krankenhaussystem funk- Insbesondere in der Pflege sind Deutsch- tioniere nur noch, weil die Angestellten al- lands Kliniken für die Krise nicht gut ge- les tun, damit es nicht zusammenklappt. rüstet. Bereits ohne Corona seien sie und »Und die Katastrophe geht ja jetzt erst rich- ihre Kollegen häufig am Limit, erzählt eine tig los.« Krankenpflegerin, 50, die auf der Inten- sivstation einer niedersächsischen Uni - klinik arbeitet. Aus Angst vor Repressalien Fehlender Schutz möchte sie anonym bleiben. »Das System Die Angst von Ärzten und Pflegern, sich hat eigentlich keine Puffer mehr, wir haben anzustecken, ist berechtigt, denn auch bei oft unsere Belastungsgrenze überschritte.« der Ausstattung mit Schutzmitteln stehen Intensivbetten könnten bei ihr im Kran- Deutschlands Praxen, Gesundheitsämter kenhaus zum Teil nicht genutzt werden, und Kliniken schlecht da. In vielen Kran- weil das Personal dafür fehle, sagt sie. Als kenhäusern fehlen spezielle Schutzkittel, sie vor 25 Jahren auf der Station anfing, Mundschutz und Desinfektionsmittel. habe eine Pflegekraft ein bis zwei Inten- Selbst das Nahtmaterial für Operationen sivpatienten zu betreuen gehabt, nun seien könnte knapp werden. es zwei bis drei. »Wir schreiben Überlas- / DER SPIEGEL DER OSTEN FELIX VON Das verlangt nach ungewöhnlichen tungsanzeigen, die eigentlich Gefährdungs- Krankenschwester mit Covid-19-Test Maßnahmen. Auf der Intensivstation in anzeigen heißen müssten.« Manchmal »Belastungsgrenze überschritten« Eschweiler dürfen FFP2-Atemschutzmas- habe sie das Gefühl am Ende der Schicht, ken nicht mehr wie bisher weggeschmissen ihre Füße wären »dreimal so dick und je- werden, wenn man sie einmal benutzt hat. mand habe mich verprügelt. Dann krieche Jeder Mitarbeiter schreibt seinen Namen ich förmlich nach Hause«. auf die Maske, hängt sie zum Trocknen Auf die Gesellschaft sieht die Kranken- auf und benutzt sie während der gesamten pflegerin schwere ethische Konflikte zu- Schicht. kommen. »Alle haben sich an das System Inzwischen herrscht Besuchsverbot im der Maximalversorgung gewöhnt, nach 97% ganzen Hospital, uniformierte Mitarbeiter dem jeder alles bekommt, was geht.« Das des Eschweiler Ordnungsamts kontrollie- lasse sich nicht aufrechterhalten, wenn die ren den Zugang, zum Schutz von Patien- Zahl der kritisch Erkrankten steige wie der Intensivpflegekräfte ten und Personal. befürchtet. Überall in der Republik wurden in den Gesundheitsminister Spahn hat das Pro- in Deutschland beklagen vergangenen Wochen Atemschutzmasken blem zwar erkannt. Per Gesetz verpflich- eine Verschlechterung und Desinfektionsmittel aus Kliniken ge- tete er die Kliniken 2018 zu einer Mindest- raubt, sogar von Mitarbeitern. Bei Askle- ausstattung mit Pflegekräften, doch kaum der Arbeitsbedingungen pios in Hamburg-Barmbek habe eine OP- ist die Regelung in Kraft, muss Spahn sie in den letzten Jahren. Schwester rund hundert Atemschutzmas- wieder aussetzen. Anders wäre die Coro- Quelle: Onlineumfrage von DGIIN und Marburger Bund ken gestohlen, heißt es. Mehrere Häuser nakrise kaum zu bewältigen. vom 14. bis 21. Januar 2019; 2498 Befragte berichten, dass Desinfektionsmittel in Pa- Der Personalmangel in den deutschen tientenzimmern abgezapft und in leeren Krankenhäusern ist chronisch. Mindestens Wasserflaschen davongetragen worden sei. 17000 Pflegestellen sind dort nicht besetzt. sich einfach viel zu wenig getan«. Das rä- In manchen Fällen sei stattdessen Wasser Die Kliniken sind daran nicht unschuldig. che sich nun, in der Krise. in die Desinfektionsbehälter gefüllt wor- Sie haben in den vergangenen Jahren vor Patienten würden in manchen Kranken- den, damit niemand den Diebstahl bemer- allem an Pflegekräften gespart. Zugleich häusern wegen des Personalmangels schon ke, berichtet ein Klinikmitarbeiter. enthielten die Bundesländer den Kliniken heute nicht ausreichend versorgt. Jorde Nachschub zu bekommen sei weiter Milliarden Euro vor, die sie eigentlich für fordert eine bessere Betreuung für die Kin- schwierig, klagt der Einkaufsleiter des Investitionen in Infrastruktur hätten über- der von Pflegekräften, damit sie nicht auch Eschweiler Krankenhauses, Michael Di- weisen müssen. noch ausfallen, sowie regelmäßige Tests schinger. Er hat alle Atemschutzmasken »Bettenabbau und Personalnotstand für Kollegen, die mit Corona-Patienten in im Haus einsammeln lassen und lagert sie sind nicht plötzlich und unerwartet ent- Kontakt gekommen sind. Das Virus treffe nun unter Verschluss: 8000 Stück. Das standen«, sagt Asklepios-Konzernbetriebs- die Belegschaften in einer Extremsituation. reicht gerade noch für 14 Tage. Das Hos- ratschef Martin Schwärzel. »Die Zahl der »Die Pflege in Deutschland ist total über- pital hat bei örtlichen Behindertenwerk- Pflegekräfte wurde in den Kliniken als lastet«, sagt Jorde. stätten nachgefragt, ob diese Atemschutz- wirtschaftliche Kennzahl genommen und Die Arbeitsabläufe seien zum Teil chao- masken herstellen könnten – doch es fehlt so weit wie möglich gedrückt. Jetzt arbei- tisch, klagt ein Pflegerkollege. »Da werden am notwendigen Ausgangsmaterial. Im- ten alle am Limit.« Patienten einfach direkt in die Intensiv - merhin sind gerade 200 grüne Stoffmas- Das sieht auch Deutschlands bekanntes- station geschoben, ohne dass einer mal ken eingetroffen, die waschbar sind. Bei ter Krankenpfleger, Alexander Jorde, so. schaut, ob sie ansteckend sein könnten. einem Hersteller in der Türkei hat Dischin- Der heute 23-Jährige erklärte Kanzlerin Bis eine Diagnose da ist, hatten wir alle ger 45000 Atemschutzmasken bestellt, Merkel im Wahlkampf 2017 vor laufender längst Kontakt mit ihm – und das ohne die aber erst in fünf Wochen kommen sol- Kamera die katastrophale Situation des Schutzkleidung.« Die ganze Station sei len. »Alles gegen Vorkasse, ist eine heiße Klinikpersonals. Seither, sagt Jorde, »hat dann theoretisch verseucht. Kiste.«
12 DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 Coronakrise
Für Atemschutzmasken müssten Kli- Nacht. »Wir brauchten dringend personel- rung versprochen hatte, seien die mehr als niken derzeit teilweise das 25-Fache des le Verstärkung«, fordert Teichert. 6500 Berliner Praxen bis Mitte der Woche Normalpreises zahlen, kritisiert DKG- Jahrelang wurden die Gesundheitsäm- nicht mit Atemschutzmasken und -klei- Präses Gaß. Mundschutzmasken hätten ter ausgedünnt. Innerhalb von 20 Jahren dung ausgestattet worden. Am Donners- früher 69 Cent pro Stück gekostet, berich- ist die Zahl der besetzten Arztstellen dort tag hieß es endlich, zehn Millionen Mas- tet ein Arzt. Heute seien es etwa 18 Euro. um ein Drittel geschrumpft. Mindestens ken und weiteres Material seien kurzfristig Bisweilen würden sogar bis zu 30 Euro 1000 Mitarbeiter fehlten, sagt Teichert. verfügbar und würden unter Polizeischutz aufgerufen. Neue Kolleginnen und Kollegen zu finden verteilt. »Ohne Schutzbekleidung können wir sei fast unmöglich. Bei den Ämtern ver- Die Ärztevereinigung berichtet von An- keinem Mitarbeiter anordnen, einen Coro - dienten Mediziner rund 1000 bis 1500 rufen verstörter Ärzte, die ankündigten, navirus-Patienten zu behandeln«, sagt der Euro weniger als in Krankenhäusern. ihre Praxis angesichts der Epidemie schlie- Geschäftsführer des Eschweiler Kranken- Und so können viele Infizierte nicht ßen zu müssen. Es wäre ein Paradox: Aus- hauses, Elmar Wagenbach. »Dann müssen kontrolliert werden, was für den Verlauf gerechnet jetzt, da der Ansturm auf die wir das Krankenhaus schließen.« der Epidemie aber entscheidend ist. In Mediziner wächst, müssen sie ihre Praxis- Auch Desinfektionsmittel werden in sei- einigen Krankenhäusern wurden zur Ent- tür verriegeln. nem Haus knapp. Der Vertragslieferant lastung Corona-Ambulanzen eingerichtet, Einige lassen das Telefon am Empfang weigere sich, die Zuteilungen zu erhöhen, um die Tests durchzuführen. Sie sind einfach klingeln und kleben Zettel an die und beliefere Apotheken, weil diese mehr meist getrennt vom normalen Klinik- Tür, wie eine Berliner Hausärztin: »Waren zahlten. Deshalb hat man in der Klinik mit betrieb in separaten Gebäuden unterge- Sie in China, Italien, Iran oder Südkorea? der »Eigenherstellung« begonnen. Hierfür bracht. Doch davor bilden sich teils absurd Haben Sie Fieber, Husten oder Luftnot? wurden 2000 Liter Isopropanol bei einem lange Schlangen, in denen potenziell Infi- Wenn zweimal ja: Bitte nicht die Praxis Industrielackierer in Heinsberg beschafft zierte eng beieinanderstehen. So wie ver- betreten.« Stattdessen möge sich der be- und, über persönliche Kontakte, beim gangenen Montag am Universitätsklini- sorgte Patient beim Gesundheitsamt oder Fleischfabrikanten Tönnies. »Wir machen kum Dresden, in dem mehr als 500 Men- dem Patientenservice der Kassenärztli- eine Katastrophenpharmazie, wie ich sie schen für einen Test anstanden. chen Bundesvereinigung (KBV) unter der in 35 Jahren noch nicht erlebt habe«, sagt Viele Menschen suchen da lieber Hilfe Hotline 116117 melden. Chefapotheker Jörg Gildehaus. bei ihrem Hausarzt und anderen nieder- Leider sind beide Nummern über Stun- Die eigenen Mitarbeiter vor Anste- gelassenen Medizinern – und gefährden den nicht erreichbar, nicht nur in Berlin, ckung zu schützen fällt den Krankenhäu- so deren Praxisbetrieb. Erst in dieser Wo- sondern in vielen Städten. Im ganzen Land sern zunehmend schwer, die bundesweite che warnte die Vereinigung der Berliner berichten verunsicherte Menschen von Infektionsrate des ärztlichen Personals Kassenärzte vor einem »Zusammenbruch endlosen Warteschleifen und überlasteten steigt. Axel Fischer, Chef der München der ambulanten Versorgung« in der Haupt- Leitungen. Allein am vergangenen Mon- Klinik, ärgert sich, dass die Politik viel zu stadt. Denn anders als die Bundesregie- tag erreichten die Callcenter bundesweit spät reagiert habe. »Man konnte schon früh sehen, dass die Materialien knapp werden«, kritisiert er. »Uns ist im Moment Bettenbestand Schleswig-Holstein: Mecklenburg-Vorpommern: völlig egal, was das kostet, wir müssen es 900 (15800) 1000 (10300) beschaffen. Aber nach dieser Krise müs- Anzahl sen sich alle Gedanken machen, wie man mit Firmen umgeht, die jetzt die Preise Intensivbetten Hamburg: hochtreiben. Hier geht es um die Gesund- (Krankenhausbetten) 800 (12500) Quelle: GBE, 2017 heit aller Menschen, um ein öffentliches Berlin: Gut.« 1500 (20400) Auch der Landrat des Corona-geplagten Bremen: Niedersachsen: Heinsberg beklagt den Mangel an Atem- 300 (5000) 2400 (42000) schutzmasken und Schutzanzügen in den Brandenburg: drei Kliniken seines Kreises. »Das ist un- Sachsen-Anhalt: 750 (15400) sere Achillesferse«, sagt Stephan Pusch am 1000 (15800) Telefon. Die Coronakrise sei ein »Armuts- Nordrhein-Westfalen: zeugnis für das Gesundheitssystem«. 6100 (118500) Thüringen: 700 (15800) Die Tests Rheinland-Pfalz: Sachsen: Völlig konfus ist die Lage bei den Corona- 1300 Hessen: (24900) 1900 (25900) Tests. In vielen Gesundheitsämtern liegen 1800 (36400) die Nerven blank. Sie kommen bei der stei- genden Zahl der Infizierten und der Suche Saarland: nach ihren Kontaktpersonen nicht mehr 550 (6500) hinterher. »Wir haben erheblichen Ver zug bei der Erfassung der Infizier tenzahlen«, Covid-19-Fälle Bayern: sagt Ute Teichert, Vorsitzende des Bundes- über 2000 3800 (76300) verbands der Ärz tinnen und Ärzte des über 1000 Baden-Württemberg: Öffentlichen Gesundheits dienstes. über 250 3300 (55800) Aus den Gesundheitsämtern im Land über 50 kämen bereits Hilferufe. Einige Behörden Quelle: Robert Koch-Institut, würden im Mehrschichtbetrieb arbeiten, Stand: 19. März zum Teil blieben Mitarbeiter sogar über
13 Coronakrise
Die Lehren Deutschland, das sich eines der besten Gesundheitssysteme der Welt rühmt, hat viele gefährliche Schwächen. Anders als oft behauptet wird, ist das System nicht kaputtgespart worden, im Gegenteil. Seit Jahren steigen die Ausgaben für Gesund- heit. Von 2009 bis 2019 kletterten die Aus- gaben der gesetzlichen Krankenversiche- rung von 167 auf 246 Milliarden Euro. Das Geld aber landete oft an der fal- schen Stelle. Bei Radiologen oder Ortho- päden statt bei den Hausärzten, die als ers- te Anlaufstelle für verunsicherte Patienten dringend gebraucht werden. Und schon gar nicht bei den Krankenpflegern. Die falsche Verteilung des Geldes hat viel mit der deutschen Krankenhausfinan- zierung zu tun. Seit 2003 werden Klinik- leistungen über sogenannte Fallpauschalen vergütet. Für jede Knie- oder Wirbelsäu- len-OP erhalten die Krankenhäuser eine
REVIERFOTO / DDP IMAGES REVIERFOTO festgesetzte Summe Geld – egal wie viele Testpersonal bei Einsatz in Oberhausen: Endlose Warteschleifen und überlastete Leitungen Tage der Patient auf der Station liegen muss und wie aufwendig er versorgt wird. Für Klinikmanager ergibt sich daraus eine simp- rund 165000 Anfragen. Vor der Corona- Behörde dafür, mit wem er nach seiner le Logik: Mit planbaren Operationen lässt krise waren es 25000 pro Werktag. Die Rückkehr aus Norwegen Kontakt gehabt sich besonders gut verdienen, sofern mög- KBV spricht von einer »absoluten Aus - habe. lichst wenig für die Pflege ausgegeben wird. nahme situation«. Auf ihrer Website ver- Das Systemversagen wird bei Tausen- Und so rüstet ausgerechnet Deutsch- weisen die Kassenärzte alle Patienten mit den Geschichten dieser Art deutlich. Jeder land, eines der reichsten Industrieländer Fieber und Husten darauf, sich im Ver- unterbliebene Test, jede nicht verhinderte der Welt, seine Kliniken mit Spitzentech- dachtsfall an ein Gesundheitsamt zu wen- Ansteckung, entscheidet mit darüber, ob nik in den Operationssälen hoch, stellt pro den. Und so dreht sich das System im es in den Intensivstationen der Republik Krankenhausbett aber weniger Pflegestel- Kreis. bald eng wird, ob es zum Kollaps kommt. len bereit als Estland oder die Slowakei. Geschichten wie die von Axel Weber, Von einer schnellen und umfassenden Co- SPD-Politiker Karl Lauterbach formuliert 41, kennt inzwischen fast jeder Bundes- rona-Testung, mit der das Virus zum Bei- es drastisch: »Seit den Fallpauschalen gilt, bürger. Weber war bei einer Norwegen - spiel in Südkorea erfolgreich eingedämmt der Arzt ist eine Investition, die Pflege- reise Anfang März in engen Kontakt mit wurde, kann in Deutschland jedenfalls kraft ist Kostenballast.« Seit Jahren warnt Reisenden aus den USA, China, Spanien keine Rede sein. der Gesundheitsökonom davor, dass die und Italien gekommen. Zu Hause zeigte Einheitshonorierung im Krankenhaus die er mögliche Covid-19-Symptome, Fieber Anreize für schlechte Pflege erhöhe. und Husten, und wollte sich testen lassen. Auch Ärzte leiden unter dem System. Seine Odyssee begann bei der 116117, er- Lebenswichtiger Vorsprung »Krankenhäuser sind längst einer indus- folglos. Dann meldete sich Weber beim triellen Logik unterworfen. Dabei macht Ordnungsamt und wies darauf hin, dass Intensivbetten in Europa es keinen Sinn, Kliniken wie Fabriken zu er als Betreiber einer Halle seit seiner je 100000 Einwohner betreiben. Es darf nicht primär ums Geld Rückkehr mit vielen Menschen in Kontakt gehen«, warnt Peter Hoffmann, Oberarzt gewesen sei. Deshalb müsse man doch so Deutschland 29 einer Münchner Klinik und Vorstand beim schnell wie möglich wissen, ob er infiziert Verein demokratischer Ärztinnen und Ärz- sei, um all diese Leute zu warnen. »Ich bin te, der sich als Gegenpol zu den traditio- echt sauer geworden«, sagt er. Es geschah nellen Verbänden sieht. nichts. Italien 13 »Wir werden hinterher nicht einfach zum Schließlich meldete sich das Gesund- Alltag zurückkehren können«, mahnt Axel heitsamt der Stadt. Weber könne nun ge- Fischer, der Geschäftsführer der München testet werden. Leider war das Labor, das Frankreich 12 Klinik. »Wir werden unser Gesundheits - den Abstrich machte und auswertete, völ- Zusätzlich system auf den Prüfstand stellen müssen.« lig überlastet. »Ich habe am vergangenen haben sich Bund Vielleicht brauchte es erst eine Pan- Montag einen Termin für den kommen- Spanien 10 und Länder auf demie, um das zu begreifen. den Montag bekommen, um 12.25 Uhr«, eine Verdoppelung Matthias Bartsch, Jörg Blech, sagt Weber: »Das ist dann ziemlich genau der Bettenzahl Annette Bruhns, Lukas Eberle, elf Tage nach Auftreten der ersten Symp- Großbritannien 7 geeinigt. Katrin Elger, Markus Feldenkirchen, tome.« Den Termin will er trotzdem Kristina Gnirke, Hubert Gude, wahrnehmen, auch wenn er dann viel- Veronika Hackenbroch, Julia Jüttner, leicht gar keine Symptome mehr habe. Martin U. Müller, Cornelia Schmergal, Portugal 4 Steffen Winter Aber womöglich, meint Weber, interes- siere sich dann wenigstens doch noch eine Quelle: Rhodes A. et al, 2012
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Nun wird überall dichtgemacht. »Wegen der Ansteckungsgefahr mit Co- #bleibtgesund rona schließen wir unser Haus sofort und bis auf Weiteres« – solche Aushänge wie in einem Münchner Seniorenpflegeheim Senioren Die Seuche bedroht vor allem alte Menschen. sind derzeit überall zu lesen. Die Glasschie- Der Druck auf die Pflegekräfte betüren öffnen sich nicht mehr automa- steigt – wie sicher ist das Leben in den Heimen? tisch, in der Schleuse steht ein Spender mit Desinfektionsmittel. Die Last der Ver- antwortung, die auf den Heimleitern und ans-Jochen Vogel ist Jahrgang 1926, Vogel. »Und zwar nur per Telefon, weil den Pflegekräften liegt, ist groß. Nicht je- das macht gelassen. »Mit 94 Jahren wir noch in der analogen Welt leben.« der fühlt sich gut genug vorbereitet. H hat man vor dem Ende des Lebens Vogel war Zeitzeuge der Ausgangssper- Eine dramatische Situation wie im sowieso keine Angst mehr«, erzählt der ren nach dem Zweiten Weltkrieg. Als die Würzburger Pflegeheim oder im Haus Als- SPD-Politiker und ehemalige Bundes - Rote Armee Fraktion Deutschland mit tertal in Hamburg möchte keiner erleben. minister am Telefon. Jedoch: »Natürlich Terror überzog, gehörte er der Bundes- In der Hansestadt war in der vergangenen würden wir gern vermeiden, dass meine regierung an. Die Coronakrise sei anders: Woche ein 76-jähriger Rentner mit Vor- Frau oder ich diese Corona-Krankheit be- »Etwas Vergleichbares habe ich bislang erkrankung gestorben. Dass er das Corona- kommen.« nicht erlebt«, sagt Vogel. »Heute ist es virus in sich trug, hatten die Ärzte erst nach Vogel lebt mit seiner Frau im Augusti- eine weltweite Situation.« seinem Tod festgestellt. num-Seniorenstift im Münchner Stadtteil Die Maßnahmen, die das öffentliche Le- Ob er andere Heimbewohner oder Pfle- Hadern. Derzeit verlässt er seine Woh- ben beinahe zum Erliegen bringen, sollen ger angesteckt hat, lässt sich bislang nicht nung nicht, die Mahlzeiten bekommt das vor allem die Älteren schützen. Denn bei sagen. Am Dienstag holten Rettungskräfte Paar in das Apartment geliefert, das Res- ihnen verläuft die Krankheit oft schwerer der »Bild«-Zeitung zufolge weitere Senio- taurant der Anlage ist geschlossen, Kinder oder gar tödlich. In einem Würzburger ren mit Fieber ab, um sie in ein nahe gele- und Enkel kommen derzeit nicht. »Wir hal- Pflegeheim starben vier der Bewohner an genes Krankenhaus zu bringen. Darüber, ten telefonischen Kontakt nach außen«, so Covid-19. ob die Einrichtung geschlossen werden ALESSANDRA SCHELLNEGGER / PICTURE ALLIANCE / SZ PHOTO ALLIANCE / SZ / PICTURE SCHELLNEGGER ALESSANDRA Ehemaliger SPD-Vorsitzender Vogel im Münchner Augustinum-Stift: »Etwas Vergleichbares habe ich bislang nicht erlebt«
16 muss, entscheidet das zuständige Gesund- Desinfektionsmittel ausgeht. »Bei uns wur- den. »Im Akutfall einer Infektion mit dem heitsamt. Bisher läuft der Betrieb weiter. de nichts geklaut, und wir haben einen Be- Coronavirus wären wir kurzfristig hand- Es seien keine weiteren Infektionsfälle stand, der über Wochen reichen würde. lungsfähig für einen beschränkten Zeit- im Haus Alstertal bekannt, sagt ein Spre- Ansonsten wäre ich jetzt nervös«, sagt sie. raum von wenigen Tagen«, sagt er. Des - cher der Hamburger Gesundheitsbehör- Derartige Materialvorräte sind allerdings infektionsmittel würde »nur stockend« ge- de, die im engen Austausch mit den Ver- nicht in allen deutschen Altenheimen liefert. Zudem mangle es »eklatant« am antwortlichen im Heim steht. Bei einem selbstverständlich. Entsprechend groß ist Nachschub an Einmalschutzkitteln und Verdacht würden die Betroffenen aber die Unsicherheit bei manchen Heimbetrei- Masken. selbstverständlich direkt vor Ort auf Co- bern und ihren Angestellten. rona getestet und isoliert werden, Pflege- Die Deutsche Stiftung Patientenschutz Der Unternehmer hat einen heimübergrei- kräfte beträten dann die Zimmer nur sieht ein weiteres Problem: Die meisten fenden Krisenstab eingerichtet. Tritt ein noch in geeigneter Schutzkleidung. Die Altenheime seien nicht in der Lage, Coro- Corona-Fall auf, sollen folgende Regeln gel- Senioren bekämen das Essen momentan na-Patienten innerhalb der Einrichtung ten: Die Betroffenen werden isoliert und in ihren Zimmern serviert und müssten ausreichend zu isolieren, sagt Stiftungsvor- nur noch von denselben Mitarbeitern be- Abstand zueinander halten. »Und natür- stand Eugen Brysch. treut. »Die Schutzausrüstung wird dann lich sind alle dazu angehalten, verstärkt Dafür gebe es nicht genügend Pflege- auf diese Personen konzentriert«, sagt Ka- auf Hygienemaßnahmen zu achten«, sagt kräfte, Ärzte und Räumlichkeiten. Er for- dereit. der Behördenmitarbeiter. »Trotzdem dert von der Regierung deshalb einen Not- Er befürchtet, Corona-Patienten müss- muss es gelingen, die Menschen adäquat fallplan für Pflegeheime und ambulante ten schon bald direkt in den Altenheimen zu betreuen. Bei der Altenpflege ist eine betreut werden, weil die Krankenhäuser bestimmte Nähe nicht zu vermeiden, überlastet sind. »Unseren Mitarbeiterin- etwa beim Waschen.« Das ängstigt beide nen fehlt aber ein spezielles Wissen darü- Seiten: die Alten, die sich anstecken könn- ber, wie Beatmungsgeräte für intubierte ten, aber natürlich auch die Pflegerinnen 818000 Bewohner zu bedienen wären«, sagt er. und Pfleger, die ebenfalls um ihre Gesund- Und wer soll die kranken Senioren pfle- heit fürchten. Senioren lebten Ende 2017 gen, wenn die Heimmitarbeiter selbst mit Wenige Kilometer vom Haus Alstertal in 14 500 Altenheimen. Corona oder Grippe flachliegen? Viele hät- entfernt liegt, umgeben von hohen Bäu- ten Angst, sich während der Arbeit zu in- men, das Cura Seniorencentrum Haus Ler- Das sind 24 Prozent von fizieren, sagt Kadereit. Ein Teil der Pfle- chenberg in Hamburg-Volksdorf. Auch 3,4 Mio. Pflegebedürftigen genden sei bereits älter als 60 und gehöre hier hängt nun ein Zettel an der Tür: »Un- damit selbst zur Risikogruppe. sere Einrichtung bleibt bis auf Weiteres in Deutschland. Die meisten Deutschen wissen, was den für Besucher geschlossen!« Wer reinwill, Quelle: Statistisches Bundesamt 2019 Pflegerinnen und Pflegern abverlangt muss klingeln. »Sowohl die Bewohner als wird. Die sozialen Netzwerke sind voll mit auch die Angehörigen haben dafür großes Lobreden auf »die Helden«, »Euch gehört Verständnis. Die wollen ihre Eltern und Dienste, so wie es ihn bereits für Kranken- aller Respekt und Hochachtung«, schreibt Großeltern in Sicherheit wissen«, sagt Sa- häuser gibt: Um Kliniken zu entlasten, die etwa eine Twitter-Nutzerin. »Danke, dass bine Becker, die das Heim seit mehr als sich auf den Aufbau von Intensivbetten es euch gibt. #COVID19de #bleibtge- zehn Jahren leitet. Neun von zehn Haus- konzentrieren, sollen an anderen Kranken- sund«, heißt es an anderer Stelle. bewohnern sind älter als 80 Jahre. Viele häusern und gegebenenfalls auch an pro- Nicht alle Pfleger freuen sich über die von ihnen haben ein schwaches Immun- visorischen Standorten wie Hotels oder plötzliche Aufmerksamkeit. »Jaja, danke, system und sind krank. »Wir hatten bisher, Hallen zusätzliche Betten- und Behand- dass ich für die alten Menschen in diesem Gott sei Dank, noch nicht einmal einen lungskapazitäten aufgebaut werden. Land als Altenpfleger da bin«, schreibt ei- Verdachtsfall«, sagt Becker. In der gesam- Die Regierung will die Pflegeheime ner. »Spart euch dieses fadenscheinige Lob ten Unternehmensgruppe mit mehr als außerdem durch weniger Bürokratie ent- und pumpt endlich mehr Geld ins Pflege- 5600 Mitarbeitern gebe es bisher keinen lasten. Der medizinische Dienst soll alte system.« Ein anderer postet: »Pflegekräfte infizierten Kollegen. »Stimmung und Zu- Menschen nicht mehr körperlich untersu- sollten generell unabhängig von Katastro- sammenhalt sind immer noch gut.« chen, um sie in eine Pflegestufe einzuord- phen und dergleichen gewertschätzt wer- nen. Stattdessen sollen die Mitarbeiterin- den. Denn sie sind diejenigen, die Dir hel- Becker hofft, dass auch die rüstigeren un- nen und Mitarbeiter dort helfen, wo sie fen, wenn es Dir schlecht geht.« Der twit- ter den Bewohnern die Warnungen, Ab- im Moment viel mehr gebraucht werden: ternde Pfleger scheint sich seine gute Lau- stand zu anderen zu halten, ernst nehmen. in Gesundheitsämtern und Pflegeeinrich- ne trotz allem bewahrt zu haben: »Wenn Mittwochs und samstags gibt es in Volks- tungen. ich könnte, würde ich auch ins #Homeof- dorf einen Wochenmarkt. Vom Haus Ler- Es gehe bei der Forderung nach eigenen fice gehen«, schreibt er. »Aber als Alten- chenberg sind es bis dorthin nur ein paar Quarantäne- und Schutzkonzepten für die pfleger, hm?? Also fahre ich morgen wie- Hundert Meter, selbst im fortgeschrittenen Altenheime nicht um Panikmache, sagt der hin und bringe den Menschen dort ein Alter ist das gut zu schaffen. Die kleine Brysch, sondern darum, »einen realisti- bisschen Sonnenschein.« Einkaufstour ist unter den Senioren be- schen Blick auf die örtlichen Möglichkei- Auch Hans-Jochen Vogel, der hochbe- liebt. Auch am vergangenen Mittwoch sind ten« zu haben. tagte Bewohner im Münchner Augusti- einige von ihnen dorthin spaziert. »Ich Auch Frank Kadereit, Geschäftsführer num, bleibt optimistisch. »Ich hoffe, dass kann ihnen das nicht verbieten«, sagt Be- der Evim-Altenhilfe, findet es wichtig, die die Gesellschaft durch diese Erfahrung so- cker. »Es gibt ja keine Ausgangssperre.« »Problemlage klar zu benennen«, ohne lidarischer wird«, sagt er. »Dass die Men- Sollte es im Haus Lerchenberg zu einem den Menschen Angst zu machen. Was er schen künftig stärker füreinander da sein Verdachtsfall oder einer Infektion kom- sagt, klingt allerdings nicht gerade beruhi- wollen.« men, müssten die Pflegerinnen und Pfle- gend. Zu seinem Unternehmen gehören Katrin Elger, Jan Friedmann, ger ihrer Chefin zufolge nicht fürchten, zwölf Häuser in Rheinland-Pfalz und Hes- Kristina Gnirke dass ihnen die Schutzkleidung oder das sen, in denen 1200 Menschen betreut wer-
DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 17 Deutschland PAWEL KOPCZYNSKI / REUTERS KOPCZYNSKI PAWEL
Telemann für jedermann Ein Geiger sorgte diese Woche auf einem Balkon mitten in Berlin mit seinem Solokonzert für Hoffnung. Welche Melodien der professionell gekleidete Musiker – dunkle Anzugjacke, weißes Hemd – spielte, ist nicht bekannt. Der SPIEGEL tippt auf eine Fantasie. Von Telemann. Mehr häusliche Gewalt?
Pandemie Sicherheitsbehörden stellen sich auf neue Anforderungen ein.