Protokoll-Nr. 19/169

19. Wahlperiode Ausschuss für Gesundheit

Wortprotokoll der 169. Sitzung

Ausschuss für Gesundheit Berlin, den 19. Mai 2021, 14:15 Uhr als Kombination aus Präsenzsitzung (Paul-Löbe-Haus, Saal 4 700) und Webex-Meeting*.

*Die Zugangsdaten zum Webex-Meeting werden an den entsprechenden Teilnehmerkreis versandt.

Vorsitz: Erwin Rüddel, MdB

Tagesordnung - Öffentliche Anhörung

Tagesordnungspunkt Seite 5 a) Antrag der Abgeordneten Dr. , Mi- Federführend: Ausschuss für Gesundheit chael Theurer, , weiterer Abge- Berichterstatter/in: ordneter und der Fraktion der FDP Abg. Lothar Riebsamen [CDU/CSU] Krankenhausfinanzierung der Zukunft - Mehr In- vestitionen und weniger Bürokratie BT-Drucksache 19/26191

19. Wahlperiode Seite 1 von 17

Ausschuss für Gesundheit

b) Antrag der Abgeordneten , Federführend: Ausschuss für Gesundheit , Matthias W. Birkwald, weiterer Mitberatend: Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- Systemwechsel im Krankenhaus – Gemeinwohl munen statt Kostendruck und Profite Haushaltsausschuss Berichterstatter/in: BT-Drucksache 19/26168 Abg. Lothar Riebsamen [CDU/CSU]

c) Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Federführend: Ausschuss für Gesundheit Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Kordula Schulz- Mitberatend: Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Haushaltsausschuss BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berichterstatter/in: Mehr Verlässlichkeit und Qualität in der stationä- Abg. Lothar Riebsamen [CDU/CSU] ren Krankenhausversorgung – Vergütungssystem, Investitionsfinanzierung und Planung reformieren BT-Drucksache 19/27830

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 2 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

Mitglieder des Ausschusses Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder CDU/CSU Henke, Rudolf Albani, Stephan Hennrich, Michael Brehmer, Heike Irlstorfer, Erich Knoerig, Axel Kippels, Dr. Georg Lezius, Antje Krauß, Alexander Nordt, Kristina Kühne, Dr. Roy Pantel, Sylvia Maag, Karin Schummer, Uwe Monstadt, Dietrich Stracke, , Stephan Straubinger, Max Riebsamen, Lothar Tiemann, Dr. Dietlind Rüddel, Erwin Weiß (Emmendingen), Peter Schmidtke, Dr. Claudia Zimmer, Dr. Matthias Sorge, Tino Zeulner, Emmi SPD Baehrens, Heike Bahr, Ulrike Dittmar, Sabine Baradari, Nezahat Franke, Dr. Edgar Bas, Bärbel Heidenblut, Dirk Freese, Ulrich Mattheis, Hilde Katzmarek, Gabriele Moll, Claudia Steffen, Sonja Amalie Müller, Bettina Tack, Kerstin Stamm-Fibich, Martina Westphal, Bernd Völlers, Marja-Liisa Ziegler, Dagmar AfD Podolay, Paul Viktor Braun, Jürgen Schlund, Dr. Robby Gehrke, Dr. Axel Schneider, Jörg Oehme, Ulrich Spangenberg, Detlev Wildberg, Dr. Heiko Witt, Uwe Wirth, Dr. Christian FDP Aschenberg-Dugnus, Christine Alt, Renata Helling-Plahr, Katrin Kober, Pascal Schinnenburg, Dr. Wieland Nölke, Matthias Ullmann, Dr. Andrew Theurer, Michael Westig, Nicole Willkomm, Katharina DIE LINKE. Gabelmann, Sylvia Krellmann, Jutta Kessler, Dr. Achim Movassat, Niema Weinberg, Harald Schreiber, Eva-Maria Zimmermann, Pia Wagner, Andreas BÜNDNIS 90/DIE Dahmen, Dr. Janosch Hoffmann, Dr. Bettina GRÜNEN Kappert-Gonther, Dr. Kirsten Kurth, Markus Klein-Schmeink, Maria Rottmann, Dr. Manuela Schulz-Asche, Kordula Rüffer, Corinna

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 3 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

Die Anwesenheitslisten liegen dem Originalprotokoll bei.

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 4 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

Beginn der Sitzung: 11:42 Uhr oder eine Sachverständige gestellt. Ich darf sowohl die Fragenden als auch die Sachverständigen bit- ten, sich möglichst kurz zu fassen, damit wir viele Der Vorsitzende, Abg. Erwin Rüddel (CDU/CSU): Fragen beantwortet bekommen. Nach 60 Minuten Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuschaue- werde ich die Anhörung schließen. Die aufgerufe- rinnen und Zuschauer, sehr verehrte Sachverstän- nen Sachverständigen sollten vor der Beantwortung dige, liebe Vertreterinnen und Vertreter der Bun- der Fragen ihr Mikrofon und ihre Kamera einschal- desregierung. Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu ten und sich mit Namen und Verband vorstellen. unserer öffentlichen Anhörung hier im Ausschuss Sobald Sie Ihre Rede beginnen, sind Sie bei uns für Gesundheit, die wieder in einer Mischung aus hier im Saal auf dem Videowürfel zu erkennen und Präsenz und Onlinemeeting stattfindet. Es ist un- zu hören. Des Weiteren bitte ich alle im Saal Anwe- sere 169. Sitzung. Vorab möchte ich die Sachver- senden, ihre Mobiltelefone auszuschalten, ein Klin- ständigen und die Teilnehmer bitten, sich mit Na- geln kostet fünf Euro. Ich weise darauf hin, dass die men bei Webex einzutragen, weil das dann auch Anhörung aufgezeichnet und anschließend in der gleichzeitig die Teilnahmebestätigung ist. Außer- Mediathek eingestellt wird. Das Wortprotokoll wird dem darf ich darum bitten, dass das Mikrofon vor- auf der Internetseite des Ausschusses veröffent- erst stummgeschaltet ist. In der heutigen Anhörung licht. Ich danke den Sachverständigen, die eine geht es um die folgenden drei Anträge: Antrag der schriftliche Stellungnahme abgegeben haben. Die Fraktion der FDP, Krankenhausfinanzierung der FDP beginnt mit der ersten Frage. Diese Frage stellt Zukunft – mehr Investitionen und weniger Büro- Prof. Dr. Ullmann. kratie; Antrag der Fraktion DIE LINKE., System- wechsel im Krankenhaus, Gemeinwohl statt Kos- tendruck und Profite, und ein Antrag der Fraktion Abg. Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP): Die erste Bündnis 90/Die Grünen, Mehr Verlässlichkeit und Frage geht an den Einzelsachverständigen Qualität in der stationären Krankenhausversorgung, Prof. Dr. Straub. Welchen Reformbedarf sehen Sie Vergütungssystem, Investitionsfinanzierung und in der Krankenhausfinanzierung? Planungen reformieren. Meine Damen und Herren, die heute zur Beratung vorliegenden Anträge von FDP, Die Linke. und Bündnis 90/Die Grünen befas- ESV Prof. Dr. Christoph Straub: Der Antrag „Kran- sen sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit kenhausfinanzierung mit Zukunft, mehr Investitio- der Krankenhauspolitik. Während die FDP die nen und weniger Bürokratie“ der FDP benennt we- Bundesländer auffordert, ihren Verpflichtungen bei sentliche Defizite im Bereich der Krankenhausfi- der Krankenhausfinanzierung nachzukommen und nanzierung und macht wichtige Vorschläge, wie für eine Entbürokratisierung des DRG-Systems plä- diese behoben werden können. Die Bestandsauf- diert, engagiert sich Die Linke. für einen System- nahme ist zutreffend. Obwohl die Krankenhäuser wechsel, der das Gemeinwohl und nicht den Profit gegenüber den Ländern den Anspruch auf volle Fi- in den Mittelpunkt der künftigen Krankenhauspla- nanzierung ihrer Investitionen haben, kommen die nung stellt. Dazu sei es unter anderem erforderlich, Länder dieser Verpflichtung seit vielen Jahren das DRG-System abzuschaffen. Bündnis 90/Die nicht nach. Wir wissen das alle. Es fehlen jährlich Grünen unterstützen die Ausrichtung der künftigen mindestens drei bis vier Milliarden Euro. Der auf- Krankenhauspolitik an den Bedarfen der Patientin- gelaufene Investitionsstau ist enorm. Das führt nen und Patienten. Sie halten neben einer grundle- auch direkt dazu, dass Betriebsmittel der Kranken- genden Reform der Betriebs- und Investitionskos- kassen in diese für die Bezahlung der Patientenver- tenfinanzierung auch eine Reform der Kranken- sorgung, und das heißt eben auch, für mehr Perso- hausplanung für erforderlich. Das sind die unter- nal, bezahlen, dafür eingesetzt werden müssen, In- schiedlichen Ansätze, die wir mit den Experten vestitionen zu tätigen. Das DRG-System hat sich diskutieren werden. Bevor wir anfangen, einige In- grundsätzlich wegen des Leistungsbezuges be- fos zum Ablauf. Die Anhörung dauert 60 Minuten. währt. Es setzt jedoch aufgrund von strukturellen Die Fraktionen werden in dieser Zeit abwechselnd Rahmenbedingungen Fehlanreize. So führt die in einer festgelegten Reihenfolge, die sich an der hohe Krankenhausdichte, insbesondere die hohe Stärke der Fraktionen orientiert, Fragen stellen. Es Zahl kleiner Krankenhäuser in den Ballungsgebie- wird immer eine Frage an einen Sachverständigen

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 5 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

ten dazu, dass zu viele Kliniken um begrenzte per- Pauschalen, fielen 33 000 Vollzeitstellen weg. Ins- sonelle und finanzielle Ressourcen konkurrieren. gesamt fehlen in den Krankenhäusern für eine be- Bevor das Vergütungssystem angepasst wird, sollte darfsgerechte Versorgung inzwischen gut 100 000 deshalb eine Strukturreform für den stationären Vollzeitstellen. Daher ist es eine richtige Entschei- Sektor angestoßen werden, mit dem Ziel einer Kon- dung gewesen, die Pflegepersonalkosten als einen zentration stationärer Leistungen. Ich will das deut- ersten Schritt aus dem DRG-System auszugliedern. lich sagen, zuerst müssen die Länder für eine adä- Dem müssen weitere folgen, weil sich bereits jetzt quate Struktur der Krankenhausversorgung sorgen, zeigt, dass der Kostendruck sich auf das bestehende dann kann das DRG-System seine Stärken zeigen o- Personal außerhalb des Pflegedienstes konzentriert. der andersherum, die Idee des Bundesgesetzgebers, So bauen private Krankenhauskonzerne beim ärzt- dass die DRG als Wettbewerbs- oder Leistungs- lichen Dienst Personal ab und planen Massenkün- preise, wie man damals sagte, direkt die notwen- digungen bei Servicetöchtern. Deshalb plädiert dige, sinnvolle Weiterentwicklung der Strukturen ver.di für die Ersetzung des DRG-Systems durch bewirken würden, ist falsch. eine an dem tatsächlichen Bedarf der Patient*Innen bemessene Krankenhausfinanzierung.

Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE.): Meine Frage geht an den Interessenverband der Kommunalen Abg. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE Krankenhäuser, Herr Dr. Alschner. Welche Auswir- GRÜNEN): Meine erste Frage richtet sich an Herrn kungen hat das DRG-System für kommunale Kran- Scheel von G-Kind. Können Sie kurz am Beispiel kenhäuser? Was sind die gravierendsten Probleme, der Kinderkrankenhäuser und -abteilungen skizzie- die sich durch die Fallpauschalen auftun und wel- ren, warum für bestimmte Krankenhäuser eine ge- che Alternativen schlagen Sie vor? sonderte Finanzierung der Vorhaltekosten geboten ist?

Der Vorsitzende: Herr Dr. Alschner ist nicht da. Dann müssten Sie die Frage an jemand anderen ESV Jochen Scheel: Immer wenn die Fallzahlen ei- stellen. ner Fachabteilung nicht ausreichen um die notwen- dige Vorhaltung, das sind im Wesentlichen Perso- nal- und Infrastrukturkosten, zu finanzieren, dann Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE.): Nein, dann droht ein wirtschaftlicher Verlust. Das ist die logi- stelle ich eine andere Frage. Ich stelle die Frage an sche Konsequenz eines Fallpauschalensystems, das Herr Dr. Alschner zurück und hoffe, dass er noch auf durchschnittlichen Fallzahlen und durch- kommt. Meine Frage richte ich dann an Frau Gens- schnittlicher Leistungsstruktur und durchschnittli- ter von ver.di. Welche Fehlanreize setzt die DRG- chen Kosten basiert. Das gilt für die kleine Fachab- Finanzierung aus Ihrer Sicht für die nicht-ärztli- teilung in dünn besiedelter ländlicher Region, aber chen Beschäftigten? Was müsste getan werden, um genauso für die seltene hochspezialisierte Leistung diese Fehlanreize zu beseitigen? einer Unikinderklinik. Da Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen nur einen geringen Anteil SVe Grit Genster (Vereinte Dienstleistungsgewerk- der stationären Patienten versorgen, es sind nur schaft (ver.di)): Die Dysfunktionalität des DRG-Sys- etwa acht Prozent, trotzdem aber ein ähnliches tems ergibt sich durch die Steuerungswirkung von Spektrum wie in der Erwachsenenmedizin vorhal- Krankenhausleistungen auf Grundlage von Vergü- ten müssen, treten gerade dort diese Probleme aus- tungsanreizen und einer Kostensenkungslogik. Un- geprägter, deutlich öfter und viel früher auf. Ein ter dem Kostendruck wurde vor allem bei den Per- breites Leistungsspektrum bedeutet hohe Vorhal- sonalausgaben gespart. Das geschah vor allen Din- tung. Niedrige Fallzahlen sind gleichzusetzen mit gen beim technischen und beim Servicepersonal einem niedrigen Deckungsbeitrag. Der Verlust ist der Krankenhäuser, das über Ausgliederungen in also vorprogrammiert. Das ist der Grund, warum Tochterfirmen mit oftmals deutlich schlechterer wir auf dieses Problem seit Jahren hinweisen, hier Bezahlung wechseln musste. Drastisch waren auch im Ausschuss übrigens zuletzt im Jahr 2016. Die die Auswirkungen im Pflegedienst. Allein zwi- seit kurzem geltenden Regelungen zum Sicherstel- schen 2002 und 2006, rund um die Einführung der lungszuschlag für Fachabteilungen der Kinder- und

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 6 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

Jugendmedizin sind zwar eine Hilfe, lösen das Blick hat, auch in dem Wissen, dass die finanzielle Problem aber nur unvollständig und nicht wirklich Belastung letztlich zu Lasten Dritter geht, zu Lasten zielgerichtet. Benötigt wird stattdessen eine Ausfi- der Solidargemeinschaft. Es ist auch ganz interes- nanzierung notwendiger Versorgungsstrukturen, sant, wenn man mal guckt, so Präzedenzfälle. Es und zwar fachabteilungsbezogen. sind ja häufig Kliniken oder Abteilungen für Ge- burtshilfe, die geschlossen werden, manchmal auch Krankenhäuser, die jetzt schon geschlossen wer- Abg. (CDU/CSU): Ich richte den. Wir sind mittendrin im kalten Strukturwan- meine Frage an den Einzelsachverständigen Dr. Lo- del. Es wird gerade nicht geguckt, sind das bedarfs- eser. Wie bewerten Sie den Vorschlag, die Kranken- notwendige Häuser oder nicht, sondern es geht um hausbedarfsplanung insofern neu zu organisieren, ökonomisch-strategische Zielsetzungen der Träger, dass künftig auch Bürgerinnen und Bürgern sowie die dann zu einer Schließung einer Abteilung oder Beschäftigte in Kliniken über die Länder einbezo- eines Krankenhauses führen. Das sind keine star- gen werden sollen, um die notwendige Zahl und ken Planungsentscheidungen der Länder, die zu Größe von Krankenhäusern und unter anderem die Schließungen führen. Wenn es dann Proteste gibt Anzahl der Fachabteilungen und Betten zu ermit- in der Bevölkerung und man sich dann mal an- teln? guckt auf der Basis der Daten, bei uns heißt diese Auswertung Fluchtquoten, wenn man mal guckt, ESV Dr. Simon Loeser: Es ist schon richtig, dass wie viele Menschen aus der Region mit einem Ver- die Stimmung in der Bevölkerung ein ganz wichti- sorgungsanliegen, was eigentlich in einem örtli- ger Einflussfaktor ist für hohe Entscheidungen, die chen Krankenhaus bedient werden könnte, doch in die Kommunalpolitik, die Landespolitik, vor allen ein anderes Krankenhaus gehen, in der Geburts- Dingen die Träger treffen. Ich habe das gemerkt hilfe zum Beispiel, weil da eine Kinderklinik ange- während der Gespräche in der Antragsphase zum schlossen ist oder weil das Hebammenkonzept Strukturfonds, wo viele Träger schon gesagt haben, überlegen ist, dann sieht man, dass das Vertrauen wir müssten eigentlich jetzt Strukturen anpassen, der regionalen Bevölkerung häufig eigentlich gar aber ich hatte wirklich Respekt vor der Reaktion nicht so da ist, man aber trotzdem natürlich auf- aus der Bevölkerung. Aus diesem Grund sind auch grund dieser Nebenziele protestiert. viele gute Anträge ausgeblieben. Insofern ist es eine nachvollziehbare Idee, die Bevölkerung einzubin- Abg. (SPD): Meine Frage geht an den. Aber man muss sich dann fragen, ob das hin- ver.di. Könnten Sie uns bitte erläutern, wie aus Ih- sichtlich der Entwicklung der Qualität der Versor- rer Sicht der Stand der Investitionskostenfinanzie- gungsstrukturen wirklich dann auch zum Ziel rung der Krankenhäuser ist und welche Auswir- führt. Es ist ja so, dass in der Bevölkerung auch ver- kungen dies auf die Krankenhäuser, die Versorgung sorgungsfremde Nebenziele völlig legitim verfolgt der Patientinnen und Patienten und die Beschäftig- werden. Es geht um regionale Wirtschaftsförde- ten in den Krankenhäusern hat? Was ist Ihr Vor- rung, es geht auch um die Attraktivität des eigenen schlag zur Lösung des Problems? Standortes und wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Belastung für die Vorhaltung von üppigen Strukturen sage ich jetzt mal, dann wieder auf das SVe Grit Genster (Vereinte Dienstleistungsgewerk- ganze Bundesgebiet verteilt werden über den schaft (ver.di)): Herr Dr. Straub hat es schon er- Morbi-RSA (Morbiditätsorientierter Risikostruktur- wähnt und in der Analyse sind wir uns da einig, ausgleich) und den Gesundheitsfonds, dann wür- die Länder erfüllen ihre Investitionsverpflichtun- den Entscheidungsstrukturentscheidungen, die in gen nur sehr unzureichend. Einen jährlichen Inves- einem Bundesland jetzt getroffen würden, vor allen titionsbedarf von über 6,5 Milliarden Euro stehen Dingen über die bundesweit agierenden Kassen tatsächliche Investitionsförderungen von 2,8 Milli- und den Gesundheitsfonds, sage ich mal, vom arden Euro gegenüber und die Folgen dieser jahr- Ruhrgebiet bis nach Schleswig-Holstein schwap- zehntelangen – wir reden ja schon lange darüber – pen. Insofern ist es so, dass wahrscheinlich nicht Investitionsversäumnisse sind, dass die Gelder der die Bevölkerung zielgerichtet auf die Qualität der Versicherten, die für die Personalausstattung vorge- Versorgung guckt, sondern diese Nebenziele mit im sehen sind, in die Sanierung und den Ausbau der

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 7 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

Krankenhäuser fließen. Das geht zu Lasten einer gung kümmern, die Schwerpunkt- und Maximal- qualitativ hochwertigen Versorgung der Patientin- versorger dann eher komplexere Aufgaben und spe- nen und Patienten und es geht zu Lasten des Perso- zialisiertere Behandlungen vornehmen. Die Länder nals, die massiv unter dem gestiegenen Arbeits- mussten auch nach unserer Auffassung in der Ver- druck leiden. Die laufende Investitionskostenförde- gangenheit im Rahmen der Krankenhausplanung rung der Länder ist daher auf ein bedarfsgerechtes immer wieder auch Grundversorgern Spezialaufga- Niveau anzuheben. Zusätzlich ist der bestehende ben zuweisen, damit diese im bestehenden Finan- Investitionsrückstand von circa 30 Milliarden Euro zierungssystem überhaupt in der Lage waren, ihre abzutragen. ver.di begrüßt eine ergänzende Beteili- Kosten insgesamt zu decken aus dieser leistungsbe- gung des Bundes an der Investitionsfinanzierung zogenen Refinanzierung ihrer Leistungen und so- der Krankenhäuser, beispielsweise im Rahmen ei- mit Personal- und Sachkosten dann auch gedeckt ner Weiterentwicklung des Krankenhausstruk- werden konnten. Wir gehen davon aus, und wir turfonds zur Unterstützung der erforderlichen In- plädieren dafür, dass wir zukünftig eine Verände- vestitionsmaßnahmen. Wichtig ist aber, dass die rung des Finanzierungssystems bekommen, wo Länder mit ihrem Sicherstellungsauftrag nicht aus auch Vorhaltefinanzierung eine stärkere Rolle der Verantwortung der Investitionsverpflichtung spielt, also die rein leistungsbezogene Finanzierung für Krankenhäuser entlassen werden. Daher sehen nicht mehr in der Form dominiert, wie das heute wir die Notwendigkeit einer wirksamen Vorgabe, der Fall ist und dass auch in dünner besiedelten mit der die Länder verpflichtet werden, tatsächlich Gebieten beispielsweise bedarfsgerechte Kliniken bedarfsbezogene Investitionen zu ermitteln und dann adäquat finanziert werden können, selbst auch zu erfüllen. wenn sie sich auf Grundversorgungsaufgaben kon- zentrieren. Darüber hinaus brauchen wir, und das richtet sich auch an die Krankenhausplanung der Abg. (AfD): Meine Frage geht Länder, eine Krankenhausplanung, die stärker in an die Deutsche Krankenhausgesellschaft, Herrn regionalen Gesundheitsnetzwerken, also kranken- Dr. Gaß. Der Bundesrechnungshof hat festgestellt, hausübergreifend, denkt, wo die Zusammenarbeit dass eine gemeinsame, länderübergreifende Kran- der Kliniken letztlich auf einen sehr zentralen As- kenhausplanung kaum festzustellen ist. Die pla- pekt ausmacht. Das sind Weiterentwicklungen, die nungsrelevanten Qualitätsindikatoren des Gemein- auch wir einfordern. samen Bundesausschusses nutze, so sagen sie, kein einziges Land für seine Krankenhausplanung. Nur teilweise hätten die Länder eine in die Zukunft Abg. Michael Hennrich (CDU/CSU): Ich richte ausgerichtete Bedarfsplanung in ihren Kranken- meine Frage auch an Herrn Dr. Gaß von der Deut- hausplänen berücksichtigt. Die Frage lautet: Wie schen Krankenhausgesellschaft. Wie bewerten Sie beurteilen Sie diese Situation mit Blick auf eine die Vorschläge, die darauf abzielen, die Pflege-DRG nachhaltige Krankenhausfinanzierung? in den Krankenhäusern einzuführen?

SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- schaft e. V. (DKG)): Man muss zunächst einmal schaft e. V. (DKG)): Es ist auch unsere Forderung, feststellen, und das ist bei den Vorrednern auch die wir gemeinsam mit der Gewerkschaft ver.di schon zum Ausdruck gekommen, Krankenhauspla- und dem Deutschen Pflegerat formuliert haben, so- nung und Krankenhausfinanzierung stehen und wohl in der Konzertierten Aktion wie auch darüber hängen in der Tat sehr eng zusammen. Der Vorwurf hinaus, dass wir für die Krankenhäuser ein soge- an die Bundesländer, sie würden keine adäquate nanntes Pflegepersonalbemessungssystem/ Pflege- bedarfsgerechte Krankenhausplanung machen, re- personalbemessungsinstrument brauchen. Wir sultiert vielfach daraus, dass man den Vorwurf wenden uns allerdings gegen ein System, was dann macht, dass die sogenannte gestufte Krankenhaus- in Form von Pflege-DRG entwickelt wird, weil die versorgung nicht durchgehalten wird in der Grund- ja dafür plädieren, dass der Pflegebedarf gemessen versorgung dass Krankenhäuser sich tatsächlich wird am tatsächlichen Behandlungsbedarf und mehr oder weniger ausschließlich um Grundversor- Pflegebedarf der Patientinnen und Patienten. Das

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 8 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

heißt, im Aufnahmeprozess die Patienten entspre- dass Krankenhäuser dann nur noch solche Aufga- chend identifiziert werden mit ihrem Pflegebedarf, ben übernehmen, in denen sie Routine haben, gut beispielsweise durch entsprechende Assessments. ausgestattet sind und ausreichend Personal vorhal- Das kann auch alles digital erfolgen, sodass der ten. Mit einer monistischen Krankenhausfinanzie- Pflegebedarf nicht erst im Behandlungsprozess er- rung könnten die bisherigen Probleme tatsächlich mittelt wird, in dem ähnlich, wie in den heutigen erheblich angegangen werden. DRG dann einzelne Leistungen kodiert werden, die am Ende dazu führen, dass bestimmte Pflege-DRG daraus entwickelt werden. Das ist ein erheblicher Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE.): Ich habe jetzt Mehraufwand in Form von Bürokratie und wir ken- gehört, Herr Dr. Alschner von dem Interessenver- nen das noch aus der Vergangenheit, die sogenann- band kommunaler Krankenhäuser ist jetzt im Sys- ten Komplex-Codes PKMS (Pflegekomplexmaßnah- tem. Dann stelle ich meine Frage nochmal. Welche men-Score), die Begrifflichkeit ist Ihnen vielleicht Auswirkungen hat das DRG-System für kommunale bekannt, sind bewusst abgeschafft worden, weil Krankenhäuser? Was sind die gravierendsten Prob- sich auch die Politik gegen diese überbordende Bü- leme, die sich aus den Fallpauschalen ergeben? rokratie innerhalb der Pflege und innerhalb der Welche Alternativen schlagen Sie vor? Krankenhäuser gewandt hat. Insofern lehnen wir die Pflege-DRG ab. Wir sprechen uns aber auch für SV Dr. Uwe Alschner (Interessenverband kommu- eine bedarfsgerechte Personalbemessung in der naler Krankenhäuser e. V. (IVKK)): Das Problem ist, Pflege aus. dass DRG einen gut gemeinten Vorsatz, Missbrauch im Einzelfall zu unterbinden, dadurch gelöst ha- Abg. Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP): Meine ben, dass sie einen strukturellen Missbrauch er- Frage nächste Frage geht an die Bundesvereinigung möglicht haben. Das ist das, was man gewöhnlich der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA. In unse- unter Rosinenpickerei im Volksmund hört. Das rem Antrag fordern wir die Einsetzung einer Kom- heißt, die realen Kosten der Behandlung werden mission, die prüft, welche alternativen Finanzie- dahinter verborgen. Die Leidtragenden sind natür- rungsmodelle zur Krankenhausfinanzierung ge- lich die Häuser, die die Grundversorgung sicher- nutzt werden können. Sie schlagen in Ihrer Stel- stellen, die nicht kommerziell ausgerichtet sind lungnahme vor, eine monistische Finanzierung. und die dann im Zweifelsfall die teuren Fälle zu Können Sie uns dieses Modell und seine Vorteile übernehmen haben. Das hat sich ganz besonders in kurz erläutern? der Pandemie jetzt gezeigt, insofern, dass dort auch ein Beweis erbracht worden ist, dass die kommerzi- elle Kalkulation von solchen Leistungen schlicht SV Dominik Naumann (Bundesvereinigung der nicht möglich ist. Die Lösung, die man angehen Deutschen Arbeitgeberverbände e. V. (BDA)): Tat- muss, ist tatsächlich, und das hat sich bei der Her- sächlich lässt sich nicht bestreiten, dass die bishe- auslösung der Pflegekosten aus den DRG auch be- rige Form der Krankenhausfinanzierung problem- reits angedeutet, dass man ein System denken behaftet ist. Wie von den Vorrednern schon ange- muss, was DRG im Sinne von Steuerungsinstru- sprochen, ist es so, dass die Länder ihrer Finanzie- menten, sprich Abbildung von Kosten in den Häu- rungsverantwortung nicht nachkommen und es sern durchaus auch denken kann, aber dass die Ab- folglich zu Problemen kommt, weil die Investiti- rechnung auf der Sachkostenebene, auf der Ebene onskosten auf der Strecke bleiben. Eine Variante, der tatsächlichen Kosten bleiben muss. Missbrauch das Problem zu lösen, wäre eine vollständige Um- ist immer ein Problem. Das ist aber in jedem Sys- stellung auf eine monistische Krankenhausfinan- tem so. Das heißt, dazu muss man geeignete Instru- zierung, bei der dann allerdings auch die Kranken- mente auch entwickeln. Aber die DRG als Abrech- hausplanung von den Ländern auf die Krankenkas- nungsinstrument haben ganz eindeutig gezeigt, sen überginge. Folgerichtig müssten dann auch die dass sie ungeeignet sind, ein hochkomplexes Sys- Krankenkassen die Investitionskosten übernehmen. tem wie das Gesundheitswesen, das Krankenhaus- Das würde die Probleme tatsächlich deutlich lösen. wesen steuern und finanzieren zu können. Der Grundsatz, der ohnehin erfolgen sollte, wäre

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 9 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE.): Meine DRG als Grundlage der Finanzierung abschafft, wie nächste Frage geht an den Verein der demokrati- das der Herr Dr. Alschner eben auch schon gesagt schen Ärztinnen und Ärzte, Frau Dr. Rakowitz. Wie hat, zugunsten einer Finanzierung, die alles medi- wirkt sich die Erlösorientierung der Fallpauschaule zinisch Notwendige bezahlt, nicht mehr, aber auch auf die Professionalität von Ärztinnen und Ärzten nicht weniger und das durchaus kontrolliert von in den Krankenhäusern aus? Was ist aus Ihrer Sicht den Krankenkassen. Damit werden einerseits Ge- notwendig, um eine professionelle, an medizin- winne unmöglich gemacht und andererseits wären ethischen Standards orientierte Berufsausübung im dadurch viele bürokratische Tätigkeiten, die aktuell ärztlichen Dienst sicherzustellen? rein daran liegen, dass es hier um Konkurrenz geht, um Ökonomisierung, die würden wegfallen.

SVe Dr. Nadja Rakowitz (Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VdÄÄ)): Die Fallpauschalen Abg. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE waren ursprünglich so gedacht, dass das Geld der GRÜNEN): Meine nächste Frage richtet sich an Leistung folgen sollte. Die Erlöse der Krankenhäu- Herrn Dr. Matthias Bracht von der Allianz kommu- ser hängen einzig an den Fallpauschalen. Die Vor- naler Großkrankenhäuser. Warum halten Sie für haltung von Ressourcen, wie von Personal, gilt in eine zukünftige Krankenhausplanung eine bundes- diesem System nicht als Leistung, sondern nur die weit einheitliche Definition der Anforderungen an Diagnose an einem Patienten und die dazugehöri- verschiedene Versorgungsstufen für zwingend not- gen Prozeduren. Damit stehen die Ärztinnen und wendig? Und wie könnte so etwas aussehen? Ärzte im Krankenhaus an der Schnittstelle von me- dizinischen Entscheidungen einerseits und Erlösen des Krankenhauses andererseits. Von ihrer Diag- SV Dr. Matthias Bracht (Allianz Kommunaler nose hängt die ökonomische Situation des Kran- Großkrankenhäuser e. V.): In der Tat ist auch un- kenhauses ab. Das wird den Ärzten sowohl auf sere Position, dass sich die Versorgungsstrukturen Ebene der Fachgruppen als auch individuell im der deutschen Krankenhäuser stärker an den ei- Krankenhaus sehr deutlich gezeigt. Die Folgen da- gentlichen und objektiven Versorgungsbedarfen von sind einerseits eine Überversorgung der Pati- ausrichten müssen. Gerade die Corona-Pandemie ent*Innen durch die Ausweitung der Indikations- hat gezeigt, ein Krankenhausbett ist nicht gleich stellung, insbesondere bei lukrativen Prozeduren, Krankenhausbett. Nicht jedes Krankenhausbett was nichts anderes heißt, als eine ökonomisch mo- kann die gleiche Leistung erbringen und zur glei- tivierte Intervention und andererseits eine Unter-, chen Qualität versorgen. Moderne, spezialisierte eine Fehlversorgung durch die Verknappung von Medizin erfordert nun mal eine stärkere Konzentra- Behandlungszeiten und von Personal zum Zwecke tion, höhere Fallzahlen und höhere Spezialisierun- der Fallzahlsteigerung, die in diesem System syste- gen und eine entsprechende Breite und damit Inter- matisch notwendig ist. Die Logik gilt für alle Kran- disziplinarität der Fächer. Das auf der einen Seite. kenhäuser, alle Trägerschaften. Allerdings ist es Auf der anderen Seite müssen wir natürlich die selbstredend, sodass der ökonomische Druck in pri- Versorgung in der Fläche genauso sicherstellen. vaten Krankenhäusern auf die Ärztinnen und Ärzte Das sind aber inhaltlich unterschiedliche Dinge noch höher ist als in öffentlichen oder frei gemein- wie im Stichwort „Bett ist nicht gleich Bett“. Des- nützigen. Die Ärzte befinden sich in diesem System wegen sind wir der festen Überzeugung, dass es also in einem permanenten Widerspruch zwischen richtig ist, konsequent Versorgungsstufen zu defi- einmal dem Wohl des Patienten und ihrem profes- nieren und nicht dem Leistungsanbieter selbst zu sionellem Ethos und auf der anderen Seite dem be- überlassen, welche Leistung sie sich auswählen, triebswirtschaftlichen Erfolg des Krankenhauses. sondern das Ergebnis, wer welche Leistungen Um das zu ändern und professionelle Autonomie macht, muss sich ganz klar an dem Bedarf in der je- überhaupt wieder möglich zu machen, wäre es weiligen Region orientieren und darf nicht anderen dringend nötig, die Bezahlung, also die Erlöse der Kriterien folgen. Wie kann man das machen? Dazu Krankenhäuser vollkommen von der medizini- braucht man natürlich dann Planungskriterien, da schen Entscheidung zu trennen, zu entkoppeln. Es sind wir schon viel in der Diskussion, aber, sagen wäre übrigens auch im ambulanten Sektor drin- wir mal, die Lösung liegt nicht auf dem Tisch. Die gend notwendig. Das geht aber nur, wenn man die wird natürlich entsprechend in Expertengruppen

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 10 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

entwickelt werden müssen, um anhand von Struk- Kindernotfallversorgung. Die Einführung eines wis- turmerkmalen, zum Beispiel Qualifikationsmerk- senschaftlichen Personalbemessungsinstrumentes malen, Ausstattungsmerkmalen, aber auch Mengen- in der Pflege, wie vorgeschlagen, kann für die Kin- merkmalen, dann die Kriterien zu entwickeln, wer derkrankenpflege nur begrüßt werden. Eine an der welche Versorgungsstufe in welchem Umfang tat- tatsächlichen Pflegebedürftigkeit von Kindern und sächlich auch in ausreichender Qualität erfüllen deren Bezugspersonen ausgerichtete angemessene kann. Personalausstattung ist ein wichtiger Faktor für gute medizinische Versorgung. Für die Kinderkran- kenpflege existiert bereits ein solches bürokratiear- Abg. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE mes Instrument. Es wurde getestet und wird weiter- GRÜNEN): Meine nächste Frage geht an Herrn Jo- entwickelt. chen Scheel, G-Kind. In welcher Weise kann der in unserem Antrag vorgesehene Ansatz für eine Ver- sorgungsplanung nach Stufen eine flächende- Abg. (SPD): Meine Frage geht an ckende gute Versorgung für alle Kinder sicherstel- den GKV-Spitzenverband. Das DRG-System vergü- len? tet grundsätzlich erbrachte Leistungen. Ein Prob- lem ist dabei die Finanzierung von Vorhaltungen, die unabhängig von erbrachten Leistungen für er- ESV Jochen Scheel: Eine weitere Finanzierungs- forderlich gehalten werden. Wie könnte dieses säule, wie vorgeschlagen, für die Strukturen einer Problem gelöst werden? Geht das überhaupt im bedarfsgerechten und qualifizierten Versorgung Rahmen des DRG-Systems? also letztlich deren Vorhaltekosten, ist aus unserer Sicht die richtige Lösung um Versorgungssicherheit für Kinder zu erreichen. Voraussetzung dabei ist al- SVe Stefanie Stoff-Ahnis (GKV-Spitzenverband): lerdings eine möglichst exakte Beschreibung be- Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes ist es in der darfsgerechter Strukturen, das ist ja eben schon Tat notwendig, dass leistungsunabhängige Vergü- mehrfach angeklungen, für alle Leistungsangebote tungskomponenten entwickelt werden, ergänzend in allen Versorgungsstufen. Ansonsten verlagern zum DRG-System. Die Idee, leistungsorientierte wir diese Diskussion auf eine andere Ebene. Konk- Vergütung sozusagen zu ergänzen um fallzahlenun- ret müssen folgende Fragen beantwortet werden: abhängige Vergütungsanteile, zum Beispiel in Form Wovon wieviel? Dabei sind Häufigkeit, Bevölke- von Strukturfinanzierung, das wird ausdrücklich rungszahl und Erreichbarkeit zu berücksichtigen, auch begrüßt. Das funktioniert auch im Rahmen welche Leistungen in welcher Versorgungsstufe, des DRG-Systems. Auch heute existieren bereits In- was soll die kleine Grundversorgungsabteilung si- strumente zum Zweck struktureller Vorhaltefinan- cherstellen, welche Leistungen sollen zusätzlich in zierung. Ich denke hier an die Vergütung von Not- mittelgroßen Abteilungen und welche darüber hin- fallstufen oder auch die Vergütung von Sicherstel- aus von Maximalversorgern erbracht werden? Wel- lungszuschlägen. Bisher ist es so, dass diese Instru- che Vorhaltungen sind in welcher Stufe und für mente nur einzelne Bereiche der Krankenhausver- welche Leistung erforderlich und wie sieht der Kal- sorgung adressieren. Also eine durchgängige leis- kulationsrahmen für diese Strukturen aus? Das al- tungsunabhängige Vergütungskomponente, die gibt les sollte möglichst im Einvernehmen mit den me- es noch nicht. Es wäre sinnvoll aus unserer Sicht, dizinischen Fachgesellschaften passieren. Das ist wenn so eine generelle Säule entwickelt würde. zugegebenermaßen eine Mammutaufgabe, der wir uns aber stellen sollten, um bezahlbar Versorgungs- sicherheit zu erreichen. Die Verbesserung der regio- Abg. Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Meine Frage nalen sektorübergreifenden Versorgung, idealer- richtet sich an die Deutsche Krankenhausgesell- weise zunächst der Notfallversorgung, ist eine zent- schaft, Herrn Dr. Gaß. Würden Sie bitte nochmal rale Forderung aller Verbände der Kinder- und Ju- auf das Thema Pflege-DRG eingehen, wie Sie diese gendmedizin und gerade für die Kinderversorgung bewerten und wo Sie auch mittelfristig das Abrech- von enormer Bedeutung. Es gibt bereits in einigen nungssystem im Bereich der Pflege sehen. Regierungen gute Beispiele für eine gemeinsame

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 11 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- auf die bereits über das Krankenhauszukunftsgesetz schaft e. V. (DKG)): Wir wissen, dass vor etwa zwei initiierten Programmen, unter anderem zur Förde- Jahren die Pflegefinanzierung umgestellt wurde. rung der Digitalisierung in Kliniken ein. Das heißt, die Pflegepersonalkosten sind aus den DRG herausgerechnet worden und es gibt zur Zeit eine, das muss man so formulieren, unbegrenzte Fi- SVe Stefanie Stoff-Ahnis (GKV-Spitzenverband): Ja, nanzierungszusage für die Pflege, da wir hier keine in der Tat ist unbestritten, dass es einen Nachhol- Personalbemessung haben, die einen Standard bedarf an Investitionen gibt in die digitale Infra- auch nach oben setzen würde. Wir sprechen uns struktur von deutschen Krankenhäusern. Genau dafür aus, einen solchen Standard zu entwickeln, dieser Gedanke lag dem Krankenhauszukunftsge- der die Häuser in die Lage versetzt, mit den Kran- setz zugrunde. Sie sprachen es gerade an, mit dem kenkassen zukünftig, gemessen an dem Pflegeper- Krankenhauszukunftsfonds steht dafür auch ein sonalbedarf, der sich dann für das gesamte Haus großes Förderprogramm zur Verfügung. Das sind wegen der Patientenbehandlungen, die dort statt- insgesamt 4,3 Milliarden Euro, die Krankenhäuser finden, ermittelt, einen adäquaten Anteil an Pflege- erhalten, um digitale Services, um Lösungen zu im- personalkosten letztlich auch zu verhandeln. Das plementieren und damit Patientensicherheit zu er- hat aus unserer Sicht zwei wesentliche Vorteile. höhen, also den Versorgungsablauf effizient zu ge- Zum einen reduziert es den Wettbewerbsdruck in stalten und transparent. Es liegen zugrunde diesem einem Pflegepersonalmarkt, der nicht unbegrenzt Förderprogramm verbindliche Kriterien. Die sind Pflegekräfte vorhält und wo die Krankenhäuser im ausgerichtet eng am Patienten, an den Bedarfen Rahmen der jetzigen Selbstkostendeckung mit Al- und auch an Mitarbeiterbedürfnissen. Also es gibt tenpflegeeinrichtungen, ambulanter Krankenpflege, da Patientenportale, das Thema Arzneimittelthera- Reha-Kliniken und ähnlichen um diese knappen piesicherheit ist adressiert und vom Zeitablauf Pflegekräfte konkurrieren, was nicht zum Vorteil sieht das Krankenhauszukunftsgesetz vor, dass zu- dieser komplementären Einrichtungen ist, was aber nächst eine Evaluation stattfindet, eine Nullmes- auch innerhalb der Krankenhauslandschaft zu sung jetzt im Jahr 2021 und eine Folgemessung im Problemen führt. Das ist der eine Punkt. Der zweite Jahr 2023. Das heißt also auf Ihre Frage bezogen, im Punkt, eine solche Pflegepersonalbemessung, zu- Jahr 2023 werden uns erstmals Daten zur Verfü- sammen mit einem Pflegebudget, würde es auch er- gung stehen, die dann einen Vergleich ermöglichen möglichen, zurückzukehren zu stärker pauschalier- zum internationalen Standard im Vergleich zum ten Pflegefinanzierungen, die weniger stark im deutschen und zwar in der Frage, wie digitale Selbstkostendeckungsprinzip beheimatet sind, wie Dienste genutzt werden. Aus unserer Sicht sollte das in der jetzigen Situation der Fall ist, was vor diese Auswertung abgewartet werden, bevor neue Ort zu permanenten Auseinandersetzungen zwi- Finanzierungsmodelle aufgelegt werden. schen Krankenhäusern und Krankenkassen führt. Ist das jetzt angemessen, dass diese Pflegekraft Abg. Sabine Dittmar (SPD): Meine Frage geht auch noch mit dazukommt oder gehört sie zum Pflege- an den GKV-Spitzenverband. Wie beurteilen Sie budget oder nicht? Deswegen sprechen wir uns im die Vorschläge zur Lösung der Investitionskosten- Interesse einer guten Pflege, aber auch einer wirt- problematik? Reichen weitere Appelle an die Län- schaftlichen Finanzierung und eines Zurückdrän- der, ihren Verpflichtungen nachzukommen? Soll- gens von Bürokratie und Misstrauen für eine solche ten die Kassen im Rahmen einer monistischen Fi- Personalbemessung in Kombination mit der Finan- nanzierung, die Investitionskosten alleine überneh- zierung aus. men oder soll der Bund auf Dauer einen Teil der Investitionskosten übernehmen? Könnten Sie uns Abg. Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Meine nächste Ihre Auffassung bitte begründen. Frage richtet sich an den GKV-Spitzenverband. Wie bewerten Sie die Forderung, eine Anschubfinanzie- SVe Stefanie Stoff-Ahnis (GKV-Spitzenverband): rung für eine patientenorientierte Digitalisierungs- Status quo ist, die Investitionsfinanzierung ist allei- strategie zu entwickeln? Gehen Sie bitte dabei auch nige Aufgabe der Länder. Und da kein Weisungs- recht besteht von der Bundes- auf die Landesebene,

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 12 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

ist der , genauso wie Krankenhausträger, Herr Prof. Dr. Straub bereits angesprochen, dass er- darauf angewiesen, dass die Länder ihrer Verpflich- höht natürlich insgesamt den Druck auf die Be- tung nachkommen. Wir sehen aus der zurücklie- triebskostenfinanzierung immer mehr, auch das genden Zeit, dass diese Verpflichtungsbemühung Konfliktpotential. Zum anderen ist aber auch das des Bundes gegenüber den Ländern stets geschei- Geld nicht ins Personal umgelenkt worden, also so tert ist. Es gab beispielsweise schon mal den An- wie es vorgesehen war, sondern in Investition. Das satz, verpflichtende Investitionsquoten einzufüh- heißt, Personal wurde in den Kliniken nicht hinrei- ren. Jetzt hat aber der Bund gezeigt mit dem auch chend beschäftigt und eine politische Konsequenz gerade eben angesprochenen Krankenhauszu- war, dass das Selbstkostendeckungsprinzip im Pfle- kunftsgesetz, dass mit der Förderung der Digitali- gebereich eingeführt wurde mit dem Pflegebudget. sierung auch aus Bundesmitteln einen Beitrag zur Das Fazit ist, die GKV zahlt für Personal, also so- Investitionskostenfinanzierung leisten kann. Aus wohl über die Betriebskosten, als auch über das unserer Sicht ist dieses Prinzip zu begrüßen und Pflegebudget. Wir haben es also nicht damit zu tun, sollte auch verallgemeinert und verstetigt werden, dass es hier eine Nichtfinanzierung von Personal zum Beispiel in Form eines Bundeszuschusses zu gibt. Die schnelle Einführung aber des Selbstkos- den Investitionskosten. Aus unserer Sicht wäre da tendeckungsprinzips auch im Pflegebereich, das er- aber absolut mit zu verbinden, dass der Mittelab- weist sich jetzt als problematisch. Es gibt teilweise fluss an klare und auch an bundeseinheitliche Auf- Doppelfinanzierungen, weil für Pflege am Bett teil- lagen gebunden sein muss, sodass es kein Ausei- weise noch bezahlt wird über das verbleibende nanderklaffen weiterhin gibt von planerischen DRG-System und auch über das Pflegebudget. Hier Kompetenzen und der Übernahme von Finanzie- gibt es Abgrenzungsschwierigkeiten und auch vor rungsverantwortung. Insofern wäre das letztlich Ort in den Kliniken viele Streitfälle. Insofern ist es auch wichtig, dass Bundesmittel, die über einen grundsätzlich eine Thematik, die über die Finan- solchen Bundeszuschuss eingesetzt würden, dass zierung geklärt wäre, aber fehlende Transparenz die auch zur Veränderung der Krankenhausstruktu- führt auch zu Verschiebungen, die letztlich das zur ren beitragen, dass man ausschließlich bedarfsnot- Folge haben, was Sie als Sachverhalt beschrieben wendige Krankenhausstrukturen damit fördert. In- haben. sofern könnte das sozusagen ein Kompetenzfeld des Bundes werden, auch bundeseinheitliche Vor- gaben zur Finanzierung zu definieren. Abg. (CDU/CSU): Ich richte meine Frage an den Einzelsachverständigen Dr. Simon Lo- eser. Sie sind, ich glaube, Fachbereichsleiter heißt Abg. Jörg Schneider (AfD): Meine Frage richtet sich das, für die stationäre Versorgung der AOK Rhein- ebenfalls an den GKV-Spitzenverband. Wir spra- land Hamburg und teilen, wie ich weiß, die Vor- chen jetzt gerade schon über die Investitionen. Bei stellung, dass die Bundesländer ihrer Verpflichtung einem Viertel der Krankenhäuser liegt die öffentli- für eine ausreichende Finanzierung der Investiti- che Förderquote wohl nur noch bei 30 Prozent oder onskosten in Kliniken zu sorgen, besser nachkom- weniger. Das heißt, die Investitionskosten müssen men müssten. Meine Frage geht dahin, ob es auch im Endeffekt gedeckt werden über die Leistungen noch andere Ansätze gibt aus Ihrer Sicht, das Prob- der gesetzlichen Krankenversicherung. Können Sie lem der fehlenden Investitionsmittel der Länder zu mal kurz darstellen, wie sich das auf die Personal- lösen? ausstattung in den Krankenhäusern konkret aus- wirkt? ESV Dr. Simon Loeser: Aus meiner Sicht gehen Planung und Investition schon Hand in Hand. Es SVe Stefanie Stoff-Ahnis (GKV-Spitzenverband): wäre sehr wünschenswert, dass die Länder dieser Ich hatte es gerade schon angesprochen. Also die Verpflichtung nachkommen, einfach auch, weil Investitionskosten, die die Länder zu leisten haben, dadurch der Krankenhausplanung Kraft verliehen sind in den zurückliegenden Jahren unzureichend wird und die Qualität, die man sich wünscht, die gezahlt worden. Die Folge war zum einen, dass es man plant, dass die auch mit den investiven Mit- eine unzulässige Quersubventionierung der Investi- teln ermöglicht wird und man das Geld dann auch tionen gab aus GKV-Beitragsmitteln. Vorhin hatte

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 13 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

dort investiert. Jetzt gibt es unterschiedliche Mög- kontinuierlich zugenommen. Sehen Sie die Not- lichkeiten, an was man die Investitionen koppelt. wendigkeit, Bürokratie abzubauen und wenn ja, Wir haben in Nordrhein-Westfalen die Baupau- wie kann dies umgesetzt werden, ohne die Versor- schale. Da hängt die Investition auch am Fall und gungsqualität zu gefährden? verstärkt den Anreiz, in die Menge zu gehen. Die Bedarfsgerechtigkeit spielt in dem Sinne da nicht die große Rolle. Dann gibt es die Möglichkeit, dass SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- über Einzelanträge zu machen, was extrem bürokra- schaft e. V. (DKG)): Wir sehen diese Notwendigkeit tisch ist, wo die Abwägung auch schwerfällt, wel- unbedingt. Es gibt Untersuchungen, die nachwei- che Investitionen jetzt wirklich am sinnvollsten sen, dass sowohl die Medizinerinnen und Medizi- sind. Unser Plädoyer würde in die Richtung gehen, ner wie auch die Pflegekräfte mehrere Stunden am dass auch die Investitionen an den Versorgungsauf- Tag mit Dokumentationsaufgaben verbringen, die trag gekoppelt werden, dass man über die Planung sie natürlich sehr viel besser für die Patientenver- guckt, für wieviel Menschen, für welchen Versor- sorgung zur Verfügung hätten. Deswegen brauchen gungsauftrag das Krankenhaus zuständig ist und wir dringend Schritte, diese Dokumentations- und daran einen Pflichtbetrag an die Investition gekop- Kontrollaufgaben und diese Bürokratie zurückzu- pelt ist, der sich dann pro Person, pro versorgter drängen. Es gibt eine ganze Reihe von Ansatzpunk- Person, auch ermittelt. Ich würde das auch im Ein- ten. Ich bin eben mal auf das Thema Pflegefinanzie- klang machen mit der Einführung einer Vorhaltefi- rung eingegangen. Ganz grob gesprochen ist natür- nanzierung. Das ist auch eine Frage von eben gewe- lich die Finanzierungslogik in den deutschen Kran- sen, ob man hier auch eine Vorhaltefinanzierung kenhäusern mit ihrer Kontrolldichte, die sich dar- einführt, gekoppelt an strukturelle und qualitative aus ergibt, sozusagen ein Quell ständiger Auseinan- Vorhalteleistungen. Ich würde da gerne mal Grö- dersetzungen zwischen Krankenkassen und Kran- ßenordnungen geben. Wir haben, glaube ich, die kenhäusern, die dann über den Medizinischen 10-20-30-40-Regel, wir haben zehn Prozent des Dienst der Krankenkassen, so wie er früher hieß, Budgets in Investitionen, zwanzig Prozent sind auch zu diesen Kontrollen führt. Aber wir haben Pflege, dreißig Prozent müsste etwa dieser Vorhal- auch über den Gemeinsamen Bundesausschuss, das tesockel sein und vierzig Prozent wären dann die muss man so feststellen, eine Vielzahl von Struk- Fallpauschalen, die immer noch abgerechnet wür- turvorgaben, von Regelungen, die letztlich für die den und so für eine ökonomische Ressourcenver- Krankenhäuser Nachweispflichten erbringen, wo wendung sorgen. Dann haben wir die Investitionen wir sehr viel mehr an Vertrauenskultur glaube ich, und die Vorhaltung, die an einen Versorgungsauf- gemeinsam entwickeln müssen und wir denken da- trag gekoppelt sein sollten. Da müsste man in § 9 bei, beispielsweise in der Finanzierungslogik, auch Krankenfinanzierungsgesetz sicher was ändern, an stärkere Budgetfinanzierung, die wirklich einen weil durch diese unverbindlichen Regeln dort Gestaltungsspielraum für die Krankenhäuser, einen wirklich ein drastischer Mangel an Investitionsmit- Verantwortungsspielraum bei den Krankenhäusern teln festzustellen ist. Wir sind nicht nur real seit belassen und Eingriffe von außen nennenswert re- 1991 auf einem niedrigeren Level, wir sind sogar duzieren. Da gibt es eine ganze Reihe von Möglich- nominal auf einem niedrigeren Level. Wir kommen keiten und wir sehen hier ganz dringenden Hand- von vier Milliarden Euro und sind jetzt bei 3,1 Mil- lungsbedarf, gerade auch mit Blick auf unsere Be- liarden Euro. Das ist natürlich absolut unzu- schäftigten und damit letztlich auch mit Blick auf reichend. Unsere Vorstellung wäre eine Kopplung eine gute Patientenversorgung. an den Versorgungsauftrag, sodass Planung, Lan- desplanung und Investitionsfinanzierung Hand in Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE.): Meine Hand, aber verbindlich, Hand in Hand gehen. nächste Frage richte ich nochmal an ver.di, Frau Genster. Was sind aus Ihrer Sicht notwendige oder Abg. Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP): Meine sinnvolle Schritte, um eine bedarfsgerechte statio- nächste Frage geht an die Deutsche Krankenhausge- näre Versorgung sicherzustellen? Vielleicht können sellschaft, Herrn Dr. Gaß. Die Bürokratiebelastung Sie bei der Gelegenheit auch noch einmal ein biss- in den Krankenhäusern hat in den letzten Jahren chen auf die aktuelle Stimmungslage unter den Pflegekräften in den Krankenhäusern eingehen?

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 14 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

SVe Grit Genster (Vereinte Dienstleistungsgewerk- Abg. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE schaft (ver.di)): Zu allererst braucht es Vorgaben für GRÜNEN): Meine nächste Frage richtet sich an die bedarfsgerechte Personalausstattung in den Herrn Dr. Gaß, Deutsche Krankenhausgesellschaft. Krankenhäusern. Da möchte ich nochmal bekräfti- Die unzureichende Investitionsfinanzierung der gen, dass es ein Instrument gibt, was vorliegt und Länder ist eines der Hauptprobleme der aktuellen was kurzfristig einsetzbar ist. Das ist die PPR 2.0. Krankenhausfinanzierung, nicht das einzige, aber Herr Dr. Gaß hat es erwähnt, wir haben es gemein- ein sehr großes. Welche Ansätze sehen Sie als DKG, sam entwickelt mit dem Deutschen Pflegerat, der um mit diesem Problem umzugehen? Gehen Sie DKG und ver.di. Es ist wichtig, dass der Auftrag zur auch auf unsere Vorschläge ein. Entwicklung und Erprobung eines Personalbemes- sungsinstrumentes jetzt durch den Gesetzgeber auf den Weg gebracht wird, aber dass bis dahin, bis SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- dieses Instrument möglicherweise vorliegt und ein- schaft e. V. (DKG)): In der Tat, wir befürworten gesetzt werden kann, nichts passiert, das sorgt für zum einen, dass der Bund hier auch unterstützt, großen Unmut bei den Beschäftigten in der Kran- sprich einsteigt, mit einsteigt in die Investitionsfi- kenhauspflege, wenn Sie danach fragen, wie ist die nanzierung. Die Lücken sind mehrfach beziffert Stimmung gerade. Es muss damit gerechnet wer- worden. Wir reden über mindestens drei Milliar- den, dass weiter geflüchtet wird in Teilzeit und aus den Euro und wir müssen wohl zur Kenntnis neh- dem Beruf, wenn in den nächsten vier Jahren men, dass die Landeshaushalte offensichtlich nicht nichts passiert, was kurzfristig greift. Deshalb in der Lage sind, dieses Geld gänzlich zu refinan- braucht es diesen Zwischenschritt, die Einführung zieren. Insofern sehen wir die Notwendigkeit, dass der PPR 2.0 als kurzfristige Maßnahme zur Perso- zwischen Bund und Ländern eine Art Investitions- nalbemessung. Was weiter notwendig ist, die Kran- pakt entsteht, der aber, und das sagen wir ganz kenhausfinanzierung ist zu reformieren. Dabei deutlich, dann auch so gestaltet sein muss, dass die müssen die Versorgungserfordernisse der Patientin- Länder verpflichtet werden, eine Mindestquote an nen und Patienten in den Mittelpunkt gestellt wer- Finanzierungsmitteln bereitzustellen, wenn sie den. Das DRG-System ist aus unserer Sicht dazu diese Bundesmittel in Anspruch nehmen wollen nicht geeignet. Die Krankenhausplanung und die für ihre Krankenhäuser in dem entsprechenden Krankenhausversorgung sind Bestandteil öffentli- Bundesland. Das halten wir für unbedingt erforder- cher Daseinsvorsorge und daher ist auch die Finan- lich. Insofern unterstützen wir diese Überlegungen, zierung der Investitionskosten staatliche Aufgabe. die letztlich die Krankenhäuser in die Lage verset- Wir bleiben dabei, dass die duale Finanzierung die zen, als attraktive Arbeitgeber nicht nur gute Pati- richtige Form ist, aber die Länder müssen ihren In- entenbehandlung anzubieten, sondern auch über vestitionsverpflichtungen nachkommen. Dazu ist gute Arbeitsplätze, gute Arbeitsinfrastruktur auch einiges gesagt worden. Auch zum Thema Versor- die Fachkräfte zu gewinnen, die wir in der Zukunft gungsplanung sind wir der Auffassung, dass die brauchen. Versorgungsplanung reformiert werden muss, drin- gend. Sie muss sich am Bedarf der Menschen im Abg. Rudolf Henke (CDU/CSU): Meine nächste Land orientieren und die Länder müssen auf der Frage geht wieder an den Einzelsachverständigen Grundlage regionaler Morbiditätsdaten sektoren- Dr. Simon Loeser. Wir haben gerade den Vorschlag übergreifend transparent und präzise steuern, auch gehört, den Bund stärker an der Investitionskosten- durch bundesweit einheitliche Vorgaben zur Struk- finanzierung zu beteiligen. Für die Union ist klar, turqualität. Das sind aus unserer Sicht die wichtigs- dass wir uns das ohne Entscheidungsbeteiligung ten Schritte. Ganz wichtig zur Stimmung der Be- schwierig vorstellen können. Deswegen würde ich schäftigten ist, dass in dieser Legislaturperiode Sie gerne fragen, an welche Voraussetzungen Sie kurzfristige Schritte angeschoben werden, die zur die Einbeziehung des Bundes in die Krankenhaus- Verbesserung der Situation führen und dass es eine bedarfsplanung knüpfen würden? Wie positionie- klare Zielperspektive gibt, damit die Flucht aus der ren Sie sich zu einem solchen Vorschlag? Welche Pflege gestoppt werden kann. Voraussetzungen sehen Sie dafür?

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 15 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

ESV Dr. Simon Loeser: Anknüpfend an das, was Spitzenbelastung, die Bevölkerung gut zu versor- ich eben gesagt habe, wen die Investitionen geteilt gen. Es gab keine totale Überlastung unseres Sys- werden zwischen Land und Bund, dann muss auch tems. In anderen europäischen Ländern haben wir die Planungsverantwortung geteilt werden. Hier ist die Situation leider erlebt, sodass auch Patienten die Frage, wie man eine schlaue Arbeitsteilung vor- beispielsweise nicht mehr adäquat auf Intensivsta- nimmt, weil die regionalen Gegebenheiten sind na- tionen versorgt werden konnten. Das hat es in türlich im Land viel besser bekannt, aber der Bund Deutschland nicht gegeben und das ist, denke ich, hätte schon die Möglichkeit über zentrale Vorga- zunächst einmal ganz klar ein Vorteil. Das heißt ben, was weitere Mindestmengen angeht, was wei- nicht, das will ich ausdrücklich sagen, dass deswe- tere Qualitätsvorgaben angeht, auch was Qualitäts- gen alles so bleiben muss, wie es ist. Auch die transparenz für den Patienten angeht, hier wirklich Deutsche Krankenhausgesellschaft spricht sich da Voraussetzungen zu schaffen, die eine qualitative durchaus für Strukturentwicklungen aus. Wir se- Mindestausstattung in den Ländern voraussetzt hen eine große Chance, die sich durch die Pande- und die Länder dann dort die Verteilung auch der mie bewiesen hat, in neuen regionalen Steuerungs- Kapazitäten wieder vornehmen. Dann hätten wir modellen. Es ist wirklich ganz beeindruckend ge- eine Arbeitsteilung bei den Investitionen und eine wesen, wie die Regionen, die dortigen Versorger in Arbeitsteilung bei der Planung, die allen nützen den Kliniken, von der Maximalversorgung bis zur würde. Dann würden die Patienten von einer besse- Grundversorgung zusammengewirkt haben, sich ren Qualität auch profitieren, von der Vereinheitli- Aufgaben geteilt haben, Patientensteuerung wirk- chung. Es gibt eine Voraussetzung, das brauchen lich ganz hervorragend organisiert wurde, vielfach wir dafür. Wir brauchen eine einheitliche Sprache auch unter der Federführung der Landesbehörden. für die Krankenhausplanung über alle Länder hin- Ich glaube, dieser Gedanke und diese Kultur der weg, damit der Bund auch zielgerichtet diese Län- Kooperation, die müssen wir unbedingt bewahren, der einsetzen kann und auch das Controlling des die sollten wir fortführen und für die Zukunft ein Mitteleinsatzes hinbekommen kann. Das heißt, wir stückweit weniger Wettbewerb, mehr Kooperatio- brauchen eine Leistungsgruppensystematik und nen in den Regionen befördern, zusammen mit eine Planungssystematik, die in allen Ländern an- neuer Finanzierung, zusammen mit anderen Rah- gewandt wird, nicht um den Ländern die Souverä- menbedingungen. Letztlich glaube ich ist hier auch nität und die Planung zu nehmen, sondern einfach, eine zukünftig klarere Leistungszuordnung zwi- um eine Vergleichbarkeit über Strukturen und Qua- schen Grundversorgung, Schwerpunktversorgung lität herzustellen. und Maximalversorgung zu organisieren. Da sind wir zuversichtlich und da sind die Krankenhäuser auch dazu bereit. Abg. Heike Baehrens (SPD): Meine Frage richtet sich an die DKG, Herrn Dr. Gaß. Die Pandemie hat auch bei der Krankenhausversorgung Stärken und Abg. Michael Hennrich (CDU/CSU): Ich richte Schwächen offenbart. Was sind aus Ihrer Sicht die meine Frage an Frau Dr. Stoff-Ahnis vom GKV- positiven Lehren, die wir aus der Pandemie ziehen Spitzenverband. Aktuell steht auch der Vorschlag sollten? Was sollte erhalten bleiben, zum Beispiel zur Diskussion, die Finanzierung der Personalkos- bei den Themen Vernetzung, Kooperation und ten im Rahmen der Selbstkostendeckung nur dann schnellere Zuweisung zur richtigen Versorgungs- zu übernehmen, wenn eigene Beschäftigte unter stufe? Beachtung der Tarifverträge eingesetzt werden. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag, auch vor dem Hin- tergrund der derzeitigen gesetzlichen Regelung zur SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- Finanzierung des Pflegebudgets? schaft e. V. (DKG)): Zunächst einmal kann man, glaube ich, positiv hervorheben, dass wir in Deutschland durch die überdurchschnittlich guten SVe Stefanie Stoff-Ahnis (GKV-Spitzenverband): Kapazitäten im Normalversorgungsbereich, aber Hintergrund Ihrer Frage ist die Frage, wie Versor- auch im Intensivbereich, und die flächendecken- gungsqualität gewahrt werden kann. Kernpunkt ist den Angebote in der Lage waren, auch in dieser hier, dass die Patienten natürlich sicher und gut versorgt werden, also durch die Pflegekräfte. Hier

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 16 von 17 vom 19. Mai 2021

Ausschuss für Gesundheit

ist die Überlegung, dass eine regelhafte Versorgung natürlich durch häufig wechselndes Personal durch Dritte problematisch ist, weil lokale Gegebenheiten und Abläufe nicht bekannt sind und weil das na- türlich auch nachteilig ist für die lokal Beschäftig- ten. Aus diesem Grunde ist aus unserer Sicht eine Einschränkung des Einsatzes von Dritten durch Servicegesellschaften, also Stichwort „Leiharbeit- nehmer“, auf sachlich notwendige Fälle begrenzt sind, sinnvoll. Also den Einsatz von externem Per- sonal zu verbieten, ist aus unserer Sicht nicht prak- tikabel, weil es einfach temporär Belastungsspitzen geben kann. Mit Blick auf das Pflegebudget, was Sie erfragt hatten, die gesetzliche Regelung, wo- nach der Selbstkostendeckung besteht, die umfasst bereits Regelungen mit Blick auf Leiharbeitnehmer. Diese können nämlich nur bis zur Tarifgrenze gel- tend gemacht werden. Das heißt, eine übertarifliche Vergütung kann ein Klinikträger nicht geltend ma- chen über das Pflegebudget. Und wenn Sie jetzt auch darauf zielten, auf eigene Beschäftigte außer- halb von Tarifverträgen: Hierzu gibt es keine Rege- lung im Pflegebudget, aber natürlich ist es durch die Eins zu eins-Vergütung aller Pflegepersonalkos- ten in Tarifvertragshöhe hier auch natürlich ein Anreiz gesetzt, Tarifverträge abzuschließen.

Vorsitzender Erwin Rüddel (CDU/CSU): Vielen Dank. Wir sind am Ende unserer Anhörung ange- langt, weil in gut fünf Minuten die nächste Anhö- rung wieder beginnt. Ich darf mich bei allen Sach- verständigen, aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich bedanken. Interessant wäre sicherlich gewesen, diese Diskussion heute zu füh- ren, wenn man die Pandemie nicht hätte, wie weit wir diese Dinge schon geregelt hätten. Aber ich denke, es hat gezeigt, dass es hier noch einen gro- ßen Klärungsbedarf gibt. Ich schließe die Sitzung und wünsche denen, die bei der nächsten Anhö- rung nicht dabei sind, schon mal einen schönen Nachmittag.

Schluss der Sitzung: 12:47 Uhr

gez. Erwin Rüddel, MdB Vorsitzender

19. Wahlperiode Protokoll der 169. Sitzung Seite 17 von 17 vom 19. Mai 2021